Die Insel am Horizont

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Für die bildhübsche Tamara ist die Situation schwierig: Nach einem Schiffsunglück können sie und die Besatzung des Frachters sich zwar auf eine einsame Insel retten, aber die Männer sind sehr aufdringlich. Zum Glück macht der attraktive Keith ihr einen verlockenden Vorschlag …


  • Erscheinungstag 25.04.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756604
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Miss Smith“, stellte der Käpt’n fest, „ist eine außergewöhnlich junge Frau, dass sie so eine Reise ganz allein überhaupt geplant hat. Ich bewundere den Mut zum Risiko unserer heutigen Jugend.“

„Mut zum Risiko?“, erwiderte der dunkelhaarige Mann an seiner linken Seite und zog eine Augenbraue hoch. „Könnte man es nicht auch leichtsinnige Sorglosigkeit nennen?“

Tamara sah, wie ihr Gegenüber sie mit einem hämischen Blick musterte. „Vielleicht ein bisschen von beidem“, entgegnete sie kühl. „Ein Stück Sorglosigkeit ist immer dabei, wenn man sich aus dem alten Trott löst, um zu sehen, was der Rest der Welt zu bieten hat. Bleibt noch hinzuzufügen, dass ich völlig abgebrannt wieder nach Hause komme. Aber ich werde Erinnerungen mitbringen, die mir die nächsten Jahre, in denen ich wieder für meinen Lebensunterhalt arbeiten muss, verschönen können. Es sei denn, jemand ist so nett, mir noch eine kleine Erbschaft zu hinterlassen. Dann reise ich überall dorthin, wo ich dieses Mal nicht hinkomme.“

„Sie haben wohl eine Menge älterer Verwandter?“ Der Spott in der Stimme des Mannes war unverhüllt.

„Nein“, gab Tamara zu. „Tatsächlich habe ich überhaupt keine Verwandten. Diese Reise habe ich meinem Paten zu verdanken.“ Fast bedauerte sie es, dass sie so offen war und ihre Anwesenheit an Bord der „Saratoga“ erklärte. Aber Kapitän Anders hatte sich so warmherzig nach den Gründen erkundigt, weshalb sie ein Frachtschiff den Bequemlichkeiten eines Luxusdampfers vorzog, dass sie gar nicht anders konnte. Nicht, dass sie etwas dagegen hatte, wenn man ihre Lebensverhältnisse kannte. Aber dieser eine Mitpassagier hatte es fertig gebracht, sie in die Defensive zu drängen, und das ärgerte sie. Bryant hatte ihn der Kapitän genannt, und er war Engländer wie sie selbst. Allerdings deutete seine tiefe Bräune darauf hin, dass er nicht auf der britischen Insel zu Hause war.

Es war schwierig, unter den abschätzenden Blicken dieses Mannes Unbefangenheit zu bewahren. Er sah gut aus, das musste Tamara zugeben, wenn man diese Art hagerer harter Männlichkeit mochte. Etwas mehr Empfindsamkeit und weniger Zynismus wären eher nach ihrem Geschmack gewesen.

„Ich persönlich stimme mit dem Skipper überein“, unterbrach der blonde Mann in Uniform an ihrer rechten Seite ihre Gedanken. „Man braucht schon Nerven, um auf allen möglichen Frachtschiffen bis hierher zu kommen, ganz zu schweigen von dem, was Sie noch vorhaben. Die meisten Frauen hätten einen hübschen, bequemen Musikdampfer vorgezogen.“

Tamara lächelte. „Da haben Sie recht, aber mit einem Luxusliner wäre ich mit dem Geld nicht weit gekommen. Zuerst hatte ich ja auch Bedenken, aber die Reederei hat alles perfekt arrangiert!“ Leicht selbstironisch schloss sie: „Die meisten meiner Freunde halten mich allerdings für total verrückt.“

Der Erste Offizier grinste zurück. „Nun ja, ganz Unrecht haben sie wahrscheinlich nicht. Wie lange wollen Sie denn unterwegs sein?“

„Rund zehn Wochen. Ein bisschen Zeit habe ich dadurch gespart, indem ich von London nach Barbados geflogen bin. Doch in La Guaria musste ich drei Tage auf mein Schiff warten. Sie mussten einen neuen Kessel einbauen.“ Tamaras blaue Augen funkelten, als sie die grauen Augen ihres Gegenübers trafen. „Eines der kleinen Hindernisse, die das Leben parat hat. Nur wenige Dinge gehen exakt nach Plan. Immerhin gab es mir die Chance, mehr von Venezuela zu sehen, als ich gehofft hatte.“

„Was ein ziemliches Loch in Ihre Reisekasse gerissen haben muss“, konterte der Mann. „Noch mehr solch unvorhergesehener Hindernisse, und Sie finden sich gestrandet auf der falschen Seite der Erde wieder!“

Tamaras Kopf schoss hoch, und die Lampe ließ ihr dichtes, honigfarbenes Haar aufleuchten. „Wenn das passiert, würde ich mich nicht als gestrandet betrachten, Mr. Bryant. Ich nehme einen Job an und verdiene mir Geld für die Heimreise.“

„Ach, einfach so“, spottete der Mann. „Bei Ihnen klingt das fast plausibel. Warum nicht zugeben, dass Sie keine unvorhergesehenen Ausgaben eingeplant haben?“

Seine Ironie war unüberhörbar, aber Tamara ignorierte sie. „Sagen wir, ich überquere meine Brücken erst dann, bevor ich sie erreicht habe. Bis zu den Gesellschaftsinseln ist meine Passage bezahlt. Dann will ich nach Tonga und dann hinüber nach Australien, wo ich bei Freunden wohnen kann.“

„Und Neuseeland wollen Sie einfach auslassen? Wie schade!“

„Das kommt nächstes Mal dran.“ Langsam brachte Mr. Bryant sie zum Überkochen, und genau darauf spekulierte er wohl. Dieser Typ würde sich köstlich amüsieren, wenn sie die Fassung verlöre. Aber da hatte er keinen Erfolg bei ihr.

Tamara wandte ihre Aufmerksamkeit den anderen beiden Passagieren zu und erkundigte sich mit strahlendem Blick: „Sie beide gehen auch in Tahiti von Bord, stimmt’s?“

Der ältere der beiden betrachtete mit Wohlgefallen ihr fein gezeichnetes Gesicht, ehe er antwortete: „Mein Bruder und ich möchten uns auf den Inseln niederlassen. Wir haben uns beide zurückgezogen, und als Junggesellen können wir es uns leisten, noch einmal unser Leben zu ändern. Anders als Sie hatten wir nicht den Mut, ins Unbekannte aufzubrechen, als wir noch jünger waren.“

„Es jetzt zu tun, bedarf noch viel mehr Mut“, widersprach Tamara sanft. „Ich hoffe, Sie finden das, was Sie sich vorstellen.“

Der Erste Offizier rückte seinen Stuhl näher an Tamara heran, wobei er vorgab, ihr mehr von dem ausgezeichneten Wein einschenken zu müssen, den der Kapitän spendiert hatte, um den ersten Abend nach ihrem Auslaufen aus Panama festlich zu begehen. Den Steward übersah er dabei geflissentlich.

„Ist Smith Ihr richtiger Name?“, forschte er. „Oder ein Pseudonym?“

„Der richtige“, antwortete Tamara.

„Und was ist mit Ihrem Vornamen?“

„Auch der richtige. Tamara. Meine Eltern haben damit etwas übertrieben, um das ‚Smith‘ nett zu machen, finde ich.“

„Das finde ich nicht. Er passt zu Ihnen.“ Er blickte ihr tief in die Augen, während er ihren Namen Silbe für Silbe wiederholte. „Ungewöhnlich, würde ich sagen. Übrigens, ich heiße Mike.“

Michael Chandris, Erster Offizier der Saratoga, du bist ein Mann, vor dem man auf der Hut sein muss, entschied Tamara auf Anhieb. Man gibt dir den kleinen Finger, und du nimmst die ganze Hand. Unter gewissen Umständen ganz amüsant, sofern die Umstände ein Alleinsein mit ihm ausschlossen.

Die anderen Offiziere betrachteten das Geplänkel der beiden mit Kennermienen. Das Draufgängertum ihres Ersten beim schönen Geschlecht schien schiffsbekannt zu sein. Etwas abrupt wandte Tamara sich dem Kapitän am Kopfende des langen Tisches zu.

„Ihre Reederei sagte mir, dass Sie mir eine Passage von Tahiti aus verschaffen können, Kapitän. Stimmt das?“

„Das lässt sich sicher machen, aber es wird nicht die gleiche Linie sein. Es gibt da eine Menge Inseldampfer mit Kabinen, die Sie zu einigen Anlaufhäfen mitnehmen können“, antwortete der Kapitän.

„Laufen wir außer der Cocos-Insel noch andere Häfen an?“

„Einer ist vorgesehen, um unseren Freund hier abzusetzen!“ Der Kapitän wies auf den Mann an seiner anderen Seite. „Mr. Bryant gehört die Insel Mataleta.“

Tamara glaubte, nicht recht gehört zu haben. Unwillkürlich weiteten sich ihre Augen, als sie einen erstaunten Blick auf ihr Gegenüber warf. Sie sah das schwache Zucken seiner Mundwinkel und biss sich auf die Lippen. Na schön, sie war beeindruckt. Wer wäre es nicht? Eine Pazifik-Insel wirklich und wahrhaftig sein Eigen nennen zu können – das war der Stoff, aus dem die Träume sind. Aber er sollte nur nicht denken, dass sie deswegen begann, um ihn herumzuschwänzeln. Reich oder arm, der Mann behielt die gleichen unleidlichen Eigenschaften.

„Faszinierend“, sagte sie. „Haben Ihre Vorfahren sie sich gekapert?“

„Nein“, erwiderte Mr. Bryant gleichmütig. „Mein Ururgroßvater bekam sie für erwiesene Dienste. Sie bildete einst die Grenze der Marquesas-Gruppe. Ich teile sie jetzt mit einem Freund und Geschäftspartner.“

„Wie geht es ihm?“, unterbrach der Kapitän besorgt.

Mr. Bryant zuckte die Achseln. Sein Gesicht blieb unbewegt. „So gut, wie man es erwarten kann. Der Verfall geht langsam voran. Das macht es in einer Weise noch schlimmer für ihn. Er kann noch Jahre leben, während er alle Fähigkeiten langsam verliert.“

„Und kein Arzt kann ihm helfen?“

„Nein.“

Offensichtlich hielt es Kapitän Anders an der Zeit, das Thema zu wechseln. „Ihre Tochter muss inzwischen mächtig gewachsen sein. Wie alt ist sie jetzt eigentlich?“, erkundigte er sich.

„Neun.“ Mr. Bryants Stimme blieb ausdruckslos, aber sein Gesichtsausdruck hatte sich irgendwie geändert. Seine Augen kehrten zu Tamara zurück und streiften ihr Haar und ihr Gesicht mit einem Anflug von Missachtung. „Es wird Zeit, dass sie in ein Internat geschickt wird. Die letzte Hauslehrerin hat es nur zwei Monate ausgehalten.“

Der Kapitän lachte leise. „Sie sollten wieder heiraten, Keith.“ Plötzlich sah er etwas unsicher drein. „Nun ja, vielleicht ist das Internat die bessere Lösung.“

Ein Witwer? Oder geschieden? Tamara überlegte verwundert. Komisch, aber sie konnte sich diesen Mann beim besten Willen nicht als Ehemann vorstellen. Welche Frau würde es schon mit einem solchen Partner aufnehmen? Es sei denn, die Ehe war es, die ihn so unleidlich gemacht hatte. Verstohlen betrachtete sie seinen mitleidlosen Mund und fühlte, wie ein Schauer sie durchfuhr. Nein, das war ihm angeboren. Er war seinen Weg gegangen, ohne Rücksicht auf irgendjemanden und irgendetwas. Ein Mann, der alles und jedes siegreich umschiffte. Aber was sollten diese Gedanken? Schließlich war sie nicht in ihn verliebt.

Es war schon spät, als sie sich vom Dinner erhoben. Tamara entschuldigte sich mit der Bemerkung, dass sie noch auspacken müsse, und machte sich auf den Weg zu ihrer Kabine. Die Unterkunft auf der Saratoga war nicht übertrieben geräumig, aber für das, was sie gezahlt hatte, gab es keinen Grund zur Beschwerde. Drei Kabinen waren sozusagen für menschliche Fracht reserviert. Keith Bryants lag direkt neben ihrer. Die dritte teilten sich die Regan-Brüder. Sie mussten es sehr eng haben, aber sie bezweifelte, dass ihnen das etwas ausmachte. Die längste Zeit ihres Lebens hatten sie auf diese Reise gewartet. Wie glücklich musste sie sich selbst preisen, dass ihr das Schicksal dieses Abenteuer so viel früher beschert hatte.

Die Nachricht von der Erbschaft hatte Tamara kurz vor ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag erhalten. Sie kam völlig unerwartet, denn sie hatte ihren Paten seit Jahren nicht mehr gesehen.

Das Leben war nicht einfach gewesen, seitdem achtzehn Monate zuvor ihr Vater gestorben war. Darum wäre es gewiss das Vernünftigste gewesen, wenn sie das Geld als Sicherheit gut angelegt hätte, was ihr auch jeder geraten hatte. Aber was hätte sie dann alles versäumt: die märchenhafte Schönheit der karibischen Inseln, das aufregende Erlebnis, von Hafen zu Hafen entlang der venezolanischen und kolumbianischen Küste zu schippern, das Abenteuer, durch den Panama-Kanal hindurchzufahren.

Nein, sie bereute nichts. An die Zukunft konnte sie immer noch denken, wenn die Reise vorbei war. Jetzt lagen noch zwei Monate Welterkundung vor ihr, und sie wollte das Beste daraus machen.

Sie war noch dabei, ihre Sachen zu verstauen, als es an der Kabinentür pochte. Als sie öffnete, sah sie Mike Chandris davor stehen.

„Ich dachte, Sie würden sich gern mal das Schiff zeigen lassen“, sagte er mit beschwörendem Lächeln. „Draußen ist außerdem ein echter pazifischer Bilderbuchmond.“

„Doch wohl derselbe, den wir auch zu Hause in England haben, schätze ich. Es sei denn, man hat für ihn ein Double gefunden.“ Tamara lächelte zurück, ohne sich zu rühren. „Diesmal muss ich darauf verzichten. Es war ein ziemlich hektischer Tag. Dennoch danke für den Vorschlag.“

„Ah, kommen Sie!“ Mike gab nicht so schnell auf. „In Ihrem Alter können Sie noch gar nicht müde sein. Die See ist heute Nacht wunderbar ruhig. Wir werden sie wohl für einige Zeit nicht mehr so erleben, wenn man dem Wetterbericht trauen darf. Für morgen Vormittag ist Windstärke neun angesagt.“

Tamara unterdrückte ihre spontane Reaktion. Stürme waren auf See nicht selten, und die Saratoga hatte gewiss schon manches Unwetter durchgestanden. „Dann sollten wir alle sehen, dass wir ein wenig Schlaf bekommen, solange es möglich ist“, sagte sie. „Erwähnten Sie nicht, dass Ihre Wache um vier Uhr beginnt?“

„Ja. Ein Grund mehr, um vorher ein bisschen Entspannung zu genießen.“ Mike weigerte sich immer noch, ihre Absage zu akzeptieren. „Wir haben noch einige Wochen totzuschlagen, bis wir die Gesellschaftsinseln erreichen. Sie werden sich doch hoffentlich nicht die ganze Zeit in Ihrer Kabine verkriechen?“

„Das kommt darauf an, wie freundschaftlich Sie sich verhalten“, erwiderte sie freimütig. „Ich kann mir vorstellen, dass ich als einziges weibliches Wesen an Bord so eine Art Sensation bin, aber mir geht es lediglich um die Reise, Mike.“

„Das ist auch so eine Sache, die ich an Ihnen mag. Sie sind nie unehrlich“, entgegnete er lachend.

„Verlassen Sie sich nicht allzu sehr darauf. Das ist …“ Sie unterbrach sich, als sie Keith Bryant den schmalen Schiffsgang entlangkommen sah. Ihr Gesicht erglühte unter dem kurzen Blick, den er ihr über Mikes Schulter zuwarf.

„Es ist Zeit, dass Sie gehen“, sagte sie leise. „Gute Nacht.“

Aus der Nachbarkabine hörte Tamara Geräusche, als sie sich schlafen legte. Aber nach einer Weile wurde es still, abgesehen von dem sanften Stampfen und Stöhnen des Schiffs, das so angenehm einlullend war wie die Bewegung eines Schaukelstuhls. Bisher hatte sich auf ihrer Küstenfahrt das Wetter nicht geändert, aber das würde wohl anders werden, wenn Mike Chandris recht behielt. Der Pazifik war riesig, und sie entfernten sich immer mehr von der sicheren Küste. Alles Mögliche konnte geschehen.

Aber war es nicht gerade das, was sie von dieser Reise erwartet hatte? Das Ungewisse, das Nichtvorhersehbare – das waren doch die Reize des Abenteuers. Und was für ein Abenteuer! Die meisten Leute ihres Alters hätten wer weiß was dafür gegeben, mit zweiundzwanzig die Welt zu sehen. Vielleicht mangelte es ihrem Unternehmen ein wenig an praktischer Vernunft. Aber was tat’s? Das Leben war dazu da, gelebt zu werden.

Irgendjemand schüttelte sie sanft, um sie aufzuwecken. Sie öffnete die Augen, fand ihre Kabine erleuchtet und Keith Bryant über sie gebeugt. Seine kräftigen Hände lagen warm auf ihren nackten Schultern.

„Schreien Sie nicht!“, befahl er mit spöttischem Tonfall. „Sie haben einen Albtraum gehabt und im Schlaf gerufen. Ich dachte, es sei besser, Sie zu wecken, bevor Sie das ganze Schiff aufwecken.“

Tamara spürte, wie ihr Herz zu rasen begann, und sie fragte sich, ob dies von dem Traum oder von der Gegenwart dieses Mannes in ihrer Kabine herrührte. Abrupt schüttelte sie seine Hände ab und zog die Decke enger um sich, als sie sich auf einen Ellenbogen aufstützte.

„Ich habe keine Erinnerung an einen Traum“, sagte sie.

„Aber Sie haben geträumt. Sehr heftig sogar, wenn man bedenkt, wie wild Sie sich herumgeworfen haben.“ Er machte keine Anstalten, sich von ihrer Koje zu entfernen. „Mir kam es vor, als ob Sie gegen etwas oder gegen jemanden kämpften.“ Er machte eine bedeutungsvolle Pause. „Vielleicht eine Vorwarnung. So, wie Sie flirten, könnte es bald eintreffen.“

„Flirten? Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden“, fauchte Tamara ihn an.

„Ich meine, dass Ihr Unterbewusstsein Ihnen versucht hat zu erklären, was Ihr gesunder Menschenverstand Ihnen längst hätte begreiflich machen müssen.“ Keith Bryant steckte seine Hände tief in die Taschen seines Morgenmantels aus dunkler Seide. „Haben Sie sich schon mal überlegt, was Sie da mit Ihrer Art, so ganz allein auf Abenteuerreise zu gehen, herausfordern? Chandris kann doch nicht der erste Mann sein, der auf diese Weise reagiert.“

Tamara sah ihn unerschrocken an. „Auf welche Weise?“

„Spielen Sie nicht die Naive. Er war schnell genug, die Situation zu nutzen. Ein Mann von seiner Art besitzt wenig Feingefühl“, erwiderte Bryant.

„Ausgerechnet Sie müssen das feststellen.“ Tamara sah, wie sich sein Gesicht verdunkelte und bekam es ein bisschen mit der Angst zu tun. Doch für einen Rückzieher war es zu spät. „Was hat das alles eigentlich mit Ihnen zu tun?“ griff sie weiter an und reckte ihr Kinn trotzig hoch. „Ich kann schon mit Mike Chandris allein fertig werden.“

„Wirklich? Ich bezweifle es.“ Der Hohn war aus seiner Stimme gewichen. „Vielleicht sollte ich Sie gewähren lassen. Vielleicht lernen Sie etwas aus dieser Erfahrung.“

„Ich verstehe“, sagte sie bissig. „Die Tür ist drüben.“

Keith rührte sich nicht vom Fleck. Seine Augen hatten sich gefährlich verengt, sein Mund war eine schmale Linie. „Hat Sie irgendwer mal durchgeprügelt?“, fragte er. „So richtig gründlich und heilsam?“

„Nicht, seitdem ich acht Jahre alt war.“ Sie war wütend, hatte sich aber in der Hand. „Jetzt bin ich ein bisschen zu alt dafür.“

„Vielleicht haben Sie recht.“ Das Glitzern in seinen Augen verstärkte sich, als er sich niederbeugte und sie in die Kissen zurückstieß. „Aber hierfür sind Sie nicht zu alt.“

Mit seinem Mund auf dem ihren und von seinen Händen niedergehalten, war Tamara hilflos. Der Kuss tat ihr weh, dennoch erweckte er in ihr den Wunsch, ihn zu erwidern.

Keith Bryant hatte das erkannt. Sie sah es ihm an, als er sich aufrichtete.

„Und dabei habe ich es noch nicht einmal wirklich versucht“, höhnte er. „Glauben Sie immer noch, sich die Männer vom Leib halten zu können?“

„Niemand würde gleich so weit gehen“, antwortete sie mit Mühe. „In Zukunft werde ich meine Tür verriegeln.“

„Das ist das Gescheiteste, was Sie gesagt haben, seit wir uns begegneten.“ Bryant stand auf und betrachtete sie mit einem Lächeln, das sie plötzlich sehr unsicher werden ließ. „Nicht verzweifeln. Irgendwann werden Sie es schon lernen, wie man einen Mann am Spieß röstet.“

„Ich hoffe“, ihre Stimme zitterte vor Verlangen, ihn zu verletzen, „ich hoffe, dass jemand Sie mal am Spieß röstet.“

„Ich bin sicher, Sie tun’s. Schlafen Sie ruhig. Ich bin gleich nebenan.“ Damit entfernte sich Keith Bryant.

Bis die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, lag Tamara bewegungslos da. Dann berührte sie mit der Hand ihre Lippen, auf denen sie noch seinen Kuss zu spüren glaubte. Noch vor wenigen Stunden hatte sie nichts von der Existenz eines Keith Bryant gewusst, und jetzt …

Hasste sie ihn? Die Gefühle, die er in ihr weckte, waren nicht so einfach zu definieren. Seit dem Augenblick ihres ersten Zusammentreffens war eine Spannung zwischen ihnen entstanden, die sich kaum erklären ließ. Ein Funke, der nur auf das Zünden wartete. Als er sie küsste, meinte er nicht sie. Es hätte auch irgendjemand anderes sein können, irgendjemand, den er verletzten wollte. Seltsam, wie ihr diese Erkenntnis wehtat!

Plötzlich wünschte sich Tamara, weit weg zu sein. Die Reise war ihr verleidet.

Bei Tagesanbruch herrschte kräftiger Wind. Müde von einer ruhelosen Nacht, versäumte Tamara das Frühstück und blieb in ihrer Koje, bis die heftigen Schiffsbewegungen sie zwangen, aufzustehen.

An Deck war es kühl. Große graue Wellen unter einem bedeckten Himmel – das war nicht der Pazifik ihrer Träume. Aber sie hatte noch viel Zeit vor sich. Das Unwetter konnte ja nicht ewig dauern. Inzwischen stellte sie dankbar fest, dass sie seefest war. Seekrankheit hätte ihrem Unternehmen einen Dämpfer verpasst.

Bei Tageslicht erschien ihr die letzte Nacht wie ein böser Traum. Keith Bryant war immer noch an Bord und würde es noch eine Weile sein. Ihr Fehlen am Frühstückstisch hatte ihn bestimmt amüsiert, und bestimmt dachte er, er wäre der Grund dafür.

Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, stimmte es ja auch zum Teil. Der Gedanke, sich seinen zynischen Blicken auszusetzen, war mehr, als sie ertragen konnte. Andererseits musste sie sich irgendwann damit abfinden, ihm zu begegnen. Sie konnte nicht die ganze Reise lang in ihrer Kabine bleiben.

Zur Lunchzeit hatte Tamara ihr Gleichgewicht so weit wieder gefunden, dass sie scheinbar unbefangen in den Salon ging. Egal, was seine Motive für den Kuss gewesen sein mochten, schließlich war es nicht ihr erster Kuss. Nimm’s als Erfahrung und lern daraus, befahl sie sich.

„Nicht gerade ein schöner Morgen, nicht wahr?“ Der ältere der Regan-Brüder gesellte sich an der Reling zu ihr und betrachtete die aufgewühlte See mit einer unbehaglichen Grimasse. „Und es wird noch schlimmer werden, habe ich aufgeschnappt. Wir laufen gerade in einen Sturm hinein.“

Tamara sah ihn schnell an. „Und wir versuchen nicht, ihm auszuweichen?“

„Ich kann es mir nicht vorstellen. Das Schiff muss Dienstag in einer Woche in Tahiti sein, um Fracht zu laden. Ein Tag Verspätung kann die Gesellschaft einen Haufen Geld kosten.“ Beruhigend setzte er hinzu: „Ich bin sicher, dass es keinen Anlass gibt, besorgt zu sein. Die Saratoga ist ein sturmerprobtes Schiff. Kapitän Anders erzählte mir, dass sie vor ein paar Jahren in der Karibik einen Hurrikan mit ein paar eingedrückten Planken und leichtem Schaden an den Aufbauten überlebt hat. Der Wetterbericht sprach gestern Abend von mäßigem bis schwerem Sturm in der ganzen Ecke hier, sodass wir das Schlimmste vielleicht gar nicht mitkommen.“

„Und was sagt er heute Morgen?“, erkundigte sich Tamara.

„Keine Ahnung. Sie haben irgendwie Ärger mit der Funkeinrichtung. Nichts, was man nicht in ein paar Stunden wieder reparieren kann, sagte man mir.“ Er warf ihr einen schnellen, wohlwollenden Blick zu. „Wir haben Sie beim Frühstück vermisst. Der junge Dritte Offizier wollte schon jemanden zu Ihrer Kabine schicken, aber Bryant sagte, Sie wollten lieber allein bleiben. Keinen Appetit gehabt?“

„So ähnlich.“ Innerlich kochte Tamara, aber sie durfte es sich nicht anmerken lassen. „Zu Hause frühstücke ich selten. Gewöhnlich nur eine Tasse Kaffee und ein Toast, wenn ich Zeit habe.“

„Das ist ein Fehler. Glauben Sie mir, Sie werden das später in Ihrem Leben bereuen“, sagte Mr. Regan lächelnd. „Ich als alter Mann darf Ihnen das doch sagen?“

Tamara lachte, während sie das freundliche Gesicht unter dem eisengrauen Haar studierte, „Sie können gar nicht so alt sein, wie Sie mich glauben machen möchten.“

„Ich könnte Ihr Großvater sein.“ Seine Augen zwinkerten zurück. „Tatsächlich aber war die Pensionierung freiwillig. Wir verkauften unsere Geschäftsanteile, um zu tun, was wir jetzt tun. Ein Vorteil, wenn man nicht für eine Familie zu sorgen hat.“

Impulsiv fragte Tamara: „Haben Sie nie das Bedürfnis gehabt, eine eigene Familie zu haben?“

„Ich habe nie Zeit dazu gehabt, eine zu gründen.“ Dieses Mal klang seine Stimme bedauernd. „Arbeit füllte das ganze Leben aus. Da schiebt man andere Dinge immer wieder hinaus, bis man eines Tages aufwacht und feststellt, dass es zu spät ist.“

„Aber nicht für alles, sonst wären Sie nicht hier“, bemerkte Tamara tröstend.

„Nein, nicht für dieses hier.“ Er machte eine Pause und räusperte sich. „Schauen Sie, ich weiß, dass Sie mich jetzt für einen alten Narren halten, der sich einmischt, aber was Bryant gestern Abend gesagt hat, war nicht so unvernünftig. Sie sind jung und sehr attraktiv und völlig ungeschützt. Wie der Kapitän bewundere ich Ihren Unternehmungsgeist, aber anders als er sehe ich die Gefahren. Bisher hatten Sie Glück, und Sie sind bestimmt sicher, solange Sie hier auf der Saratoga sind. Aber was ist mit dem Rest Ihrer Tour? Diese Inseldampfer mögen ja billig sein, aber sie sind bestimmt auch nicht allzu wählerisch, was ihre Passagiere betrifft.“

Nicht noch einmal dieses, dachte Tamara resigniert. Laut sagte sie: „Es ist lieb von Ihnen, sich um mich zu sorgen, Mr. Regan, aber ich habe wirklich an all das gedacht. Wenn ich nicht darauf vorbereitet wäre, einige Risiken auf mich zu nehmen, hätte ich nicht mal die erste Station meiner Reise erreicht. Ich werde vorsichtig sein. Mehr kann ich nicht tun.“

„Aber ich!“ Er sprach schnell weiter, bevor sie ihn unterbrechen konnte. „Erlauben Sie mir bitte, dass ich Sie in ein Flugzeug setze, das Sie von Tahiti direkt zu Ihren Freunden in Australien bringt. Sie versäumen dann zwar Tonga, aber das ist nur eine Insel weniger. Wollen Sie mich das zu meinem eigenen Seelenfrieden tun lassen?“

Tamara zögerte. Sie wollte nicht undankbar erscheinen. Schließlich antwortete sie: „Sie sind sehr freundlich, und bitte, glauben Sie nicht, dass ich das nicht zu schätzen weiß. Aber ich muss für mich selbst sorgen.“

„Stolz?“, fragte Mr. Regan.

„Wenn Sie so wollen, ja. Wie würden Sie es nennen, wenn jemand von einem Fremden Geld annimmt?“ wollte Tamara wissen.

„Kein Geld, nur ein Flugticket.“

„Das ist Haarspalterei!“ Tamara machte eine ungeduldige Geste. „Ich wünschte, man würde mir endlich genug Vernunft zutrauen, auf mich selbst aufpassen zu können. Männer übertreiben ihr Vorurteil vom Schutzbedürfnis der Frau.“ Sie sah den bekümmerten Ausdruck auf seinem Gesicht und verbesserte sich schnell. „Tut mir leid, ich habe es nicht so gemeint. Aber Sie müssen verstehen, wie völlig unmöglich es für mich ist, Ihr gut gemeintes Angebot anzunehmen. Selbst wenn ich versprechen könnte, Ihnen das Geld wiederzugeben.“

Mr. Regan seufzte. „Ich verstehe nur zu gut. Und ich werde nicht aufhören, mir Sorgen zu machen, wenn Sie Tahiti verlassen haben.“

Es wurde Zeit, das Thema zu wechseln. Bevor er noch etwas sagen konnte, fragte Tamara: „Ist Ihr Bruder nicht so seefest wie Sie?“

„Was? Oh, ihm geht es gut. Er ist mit seiner Briefmarkensammlung beschäftigt. Nichts könnte ihn davon abhalten.“ Seine gute Laune kam zurück.

Bevor Tamara etwas darauf erwidern konnte, versteifte sie sich instinktiv. Sie drehte sich nicht um, als Keith Bryant an ihre andere Seite trat.

Autor

Kay Thorpe
Als Kay Thorpe 1964 ein Baby bekam, hatte sie bereits in den verschiedensten Bereichen gearbeitet, u.a. bei der Women’s Royal Air Force und als Zahnarzthelferin. Nun stand sie vor der Frage: Was kam jetzt für sie beruflich in Frage, wo sie wegen des Kindes ans Haus gebunden war? Da sie...
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