Die Lady und der griechische Tycoon

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Er muss sie noch einmal haben! Seit der griechische Tycoon Nik Latsis einen One-Night-Stand mit der hinreißenden Lady Chloe hatte, verfolgen ihn Nacht für Nacht quälend sinnliche Träume. Nur noch einmal möchte er ihre Leidenschaft spüren. Seine Chance erhält er, als er die adlige Schöne überraschend nach Griechenland begleiten soll … Dort wird er Chloe verführen! Doch dann beobachtet er sie im silbernen Morgenlicht nackt im Pool. Erschrocken erkennt er, was sie ihm in den Monaten seit ihrer Trennung verheimlicht hat …


  • Erscheinungstag 25.09.2018
  • Bandnummer 2355
  • ISBN / Artikelnummer 9783733710439
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Wann hatte er eigentlich das letzte Mal geschlafen?

Durch die Arznei, die ihm der Arzt im Feldlazarett verabreicht hatte, waren seine Qualen nur geringfügig gemildert worden. Seit er an Bord des Militärflugzeugs in Richtung Deutschland gegangen war, hatte die Wirkung bereits so stark nachgelassen, dass er verzweifelt versucht hatte, mit Alkohol nachzuhelfen.

Als er endlich kurz vor dem Einschlafen war, ließ ihn das Funkenfeuerwerk eines auseinanderfallenden Scheits im offenen Kamin wieder aufschrecken. Unter schweren Augenlidern hindurch beobachtete er, wie die Flamme wieder für einen Moment aufloderte, ehe sie ganz verlosch.

Die Frau, die neben ihm im Bett lag, seufzte leise, um sich dann noch enger an ihn zu schmiegen.

Er sah zu ihr herunter und strich ihr vorsichtig einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Das Mondlicht, das durch das offene Fenster fiel, ließ ihre zarte Haut schimmern. Die Frau war wunderschön. Es war nicht nur ihr hübsches Gesicht oder dieser unglaubliche Körper, sie hatte etwas an sich … es war ein Leuchten, entschied er und lächelte über seine ungewohnt sentimentalen Gedanken. Sie war die Art Frau, die er zu jedem anderen Zeitpunkt in seinem Leben angesprochen hätte. Doch dieses Mal hatte er nicht reagiert. Obwohl er sie sofort bemerkt hatte, als sie die Bar gemeinsam mit einer lärmenden Gruppe junger Skifahrer betreten hatte. Doch er hatte den gut betucht wirkenden jungen Leuten keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt und sich direkt wieder seinem Drink und seinen düsteren Gedanken zugewandt.

Dann stand sie auf einmal neben ihm. Aus der Nähe sah sie noch viel attraktiver aus, und sie hatte das Selbstbewusstsein einer Frau, die sehr genau um ihre Reize wusste. Ein echtes Golden Girl, mit langen schlanken Beinen, enganliegender, perfekt geschnittener Skikleidung, die ihren sportlichen Körper noch betonte, und glänzenden blonden Haaren, die ihr Gesicht wie ein Heiligenschein umrahmten. Ein sexy Engel mit vollen Lippen und tiefblauen Augen.

„Hallo.“

Ihre Stimme klang tief und verführerisch. Ein Anflug von Unsicherheit ging über ihr Gesicht, als er nicht antwortete. Dann wiederholte sie die Begrüßung, zuerst auf Französisch, dann auf Italienisch.

„Englisch ist schon in Ordnung.“

Sie nahm den Kommentar als Einladung und glitt auf den Barhocker neben ihm. „Du bist mir gleich aufgefallen, als ich mit den anderen reinkam.“ Ohne den Blick von ihm abzuwenden, nickte sie in Richtung der Gruppe, die mit einem lautstarken Trinkspiel beschäftigt zu sein schien. Beim Anblick der verwöhnten jungen Snobs, die den Barkeeper in Atem hielten, verzog er verächtlich das Gesicht.

„Scheint, als würdest du etwas verpassen“, bemerkte er spöttisch.

Doch sie zuckte bloß die Schultern. „Es hat schon zwei Bars davor aufgehört, Spaß zu machen.“ Aus ihren leuchtend blauen Augen sah sie ihn stirnrunzelnd an und neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Du wirkst irgendwie … einsam.“

Er warf ihr einen dieser Blicke zu, die neunundneunzig von hundert Leuten zurückweichen ließen. Der hundertste war zumeist betrunken. Diese Frau jedoch schien stocknüchtern zu sein. Der Blick aus ihren blauen Augen war klar und offen. Sie ließ sich offenbar nicht so leicht verunsichern. Vielleicht war es aber auch nur die Spannung zwischen ihnen, die ihn irritierte. Sie war nicht greifbar, und doch war sie unverkennbar da.

„Ich bin Chloe …“

Er fiel ihr ins Wort, noch ehe sie sich vollständig vorstellen konnte.

„Tut mir leid, agape mou, ich bin heute Abend keine gute Gesellschaft.“ Er wollte, dass sie ging. Er wollte in Ruhe gelassen werden, um sich wieder seiner dunklen Welt zuzuwenden. Doch sie blieb, und zu seiner Überraschung störte es ihn nicht.

„Bist du Grieche?“

„Unter anderem.“

„Wie heißt du?“

„Nik.“

„Einfach nur Nik?“

Er nickte, und sie schien sich mit seiner Antwort zufriedenzugeben.

Als ihre Freunde gegangen waren, war sie geblieben.

Das hier war ihr Zimmer. In einem Apartment in einem eleganten Chalet – sie hatten es nur bis ins Schlafzimmer geschafft. Ihre Kleidungsstücke waren vom Ledersofa, auf dem sie lagen, bis zur Tür überall verstreut.

Er hatte an der körperlichen, sinnlichen Seite seiner Natur immer viel Freude gehabt, letzte Nacht jedoch … Nik konnte noch immer nicht fassen, wie ungezügelt es gewesen war – eine wahre Explosion der Leidenschaft. Für einige kurze Momente hatte er sich frei gefühlt, frei von dem Leid, den Schuldgefühlen und dem üblen Nachgeschmack, den all die Dinge, die er mit ansehen musste, bei ihm hinterlassen hatten.

Versonnen strich er mit der Hand über ihren bloßen Rücken und ließ seine Finger auf der Wölbung ihres glatten runden Pos ruhen. Als er ihren Duft inhalierte, hätte er nur zu gern die Augen geschlossen und sich hingegeben. Doch seine Aufmerksamkeit galt seinem Handy. Immer wieder wurde sein Blick in die dunkle Ecke des Raumes gezogen, wo es aus seiner Tasche gefallen war.

Woher wusste er, dass es klingeln würde?

Als der schrille Ton erklang, blickte er hinab, um zu sehen, ob sie aufgewacht war. Doch statt des Gesichtes einer schönen Frau sah er das blasse Gesicht seines besten Freundes. Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich, fast hätte er laut aufgeschrien. Der Körper in seinen Armen war nicht warm, sondern eiskalt und unbeweglich. Die Augen nicht geschlossen, sondern weit aufgerissen und starr!

Als er aufwachte, schnappte er nach Luft. Dann erst merkte er, dass er nicht in seinem Bett lag, sondern neben dem Bett auf dem Boden kniete und zitterte, als hätte er Fieber. Von seinem Körper tropfte der Schweiß, während er gierig Sauerstoff in seine Lunge sog. Dann endlich kam er, der Schrei, der ihm in der Kehle steckengeblieben war. Und zu seinem Bedauern half er wieder nicht, weder jetzt noch all die unzähligen Male zuvor, als er aus genau dem gleichen Albtraum erwacht war.

Langsam stand Nik auf. Seine Bewegungen waren steif, sein durchtrainierter Körper, nach dem sich so viele Frauen verzehrten, reagierte nur unwillig, als er sich zum Badezimmer schleppte, wo er den Wasserhahn aufdrehte und seinen Kopf unter das kalte Wasser hielt.

Seine Hände zitterten, und als er sich wieder aufrichtete, erhaschte er einen Blick in den Spiegel und erschrak, als er den angstvollen Ausdruck in seinen Augen sah.

Die anschließende Dusche vertrieb die Dämonen in ihm zwar nicht gänzlich, erweckte ihn aber wieder zum Leben. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass ihm mindestens zwei Stunden Schlaf fehlten. Doch die Vorstellung, sich noch einmal hinzulegen und womöglich den gleichen Traum weiterzuträumen, war nicht gerade verlockend.

Fünf Minuten später ließ er sich vom Sicherheitsdienst die Eingangstür zum Gebäude aufschließen. Der Concierge nickte ihm zu und wünschte ihm einen angenehmen Lauf. Wahrscheinlich dachte er heimlich, dass der Typ aus dem Penthouse, der regelmäßig vor Sonnenaufgang laufen ging, nicht alle Tassen im Schrank hatte. Vielleicht hat er damit gar nicht mal so ganz unrecht, überlegte Nik mit grimmigem Gesichtsausdruck, während er sich die Kapuze seines Sweatshirts über den Kopf zog, um sich vor dem Regen zu schützen.

Die sportliche Bewegung machte wie immer seinen Kopf frei, sodass er die nächtlichen Qualen so gut wie vergessen hatte, als er später rasiert und frisch gestylt in seinem Wagen saß und losfuhr, nachdem er seine E-Mails gelesen hatte. Er musste sich jetzt um andere Dinge kümmern, die nichts mit der Nachricht auf seinem Handy zu tun hatten. Nachdem er in der Nacht gesehen hatte, wer ihn anrief, hatte er das Handy direkt wieder in die Tasche seiner Jeans gesteckt.

Er hatte gewusst, dass es eine Erinnerung an die Dinnerparty sein würde, die seine Schwester an diesem Abend veranstaltete. In einem Moment der Schwäche hatte er zugesagt. Bei Ana konnte man schlecht Nein sagen, denn das war kein Wort, das sie verstand. Ebensowenig wie Single oder ungebunden, zumindest, was ihren jüngeren Bruder anging.

Eine rote Ampel tauchte vor ihm auf. Er wurde langsamer und unterdrückte ein Seufzen, während er sich anstrengte, die Gedanken an die heutige Abendveranstaltung und die übliche Kandidatin für den Platz als Frau an seiner Seite, die seine Schwester neben ihn an den Tisch setzen würde, zu verdrängen.

Er liebte seine Schwester und bewunderte ihr Talent und die Tatsache, dass sie nicht nur alleinerziehende Mutter war, sondern zugleich eine Karriere als Designerin erfolgreich vorantrieb. Und er musste zugeben, dass sie eine Menge guter Eigenschaften hatte. Aber sich Niederlagen einzugestehen, gehörte nicht dazu.

Langsam schlängelte er sich durch den immer dichter werdenden Verkehr und versuchte, an etwas anderes zu denken, doch immer wieder wanderten seine Gedanken zu den Verkupplungsversuchen seiner Schwester. Wenn es nach Ana ging, waren all seine Probleme gelöst, wenn er nur seine Seelenverwandte fand. Er fand ihren romantischen Optimismus zwar durchaus süß – wenn auch meist erst nach mehreren Gläsern Wein –, doch größtenteils irritierte sie ihn damit.

Wenn er ernsthaft glauben würde, dass Liebe das Allheilmittel war, dann hätte er sich längst auf die Suche gemacht! Aber was ihn betraf, so würde diese Suche wahrscheinlich vergeblich sein. Falls es so etwas wie wahre Liebe wirklich gab, dann war er wohl – so wie andere Menschen farbenblind waren – liebesblind.

Es war eine Unfähigkeit, mit der er leben musste. Wenigstens würde er so nie unter einer Trennung leiden müssen. Er hatte es bei seiner Schwester miterlebt. Ihre Scheidung war für alle Beteiligten, vor allem für ihre Tochter, ein furchtbares Erlebnis gewesen.

Solange seine Lust jederzeit befriedigt wurde, würde er sich nicht beschweren. Lieber wurde er alleine alt als neben jemandem, dessen Anblick er kaum ertragen konnte.

Sicher gab es die eine oder andere glückliche Ehe, aber das schien doch eher die Ausnahme zu sein.

Er fuhr einige Meter, dann musste er wieder halten. Irgendwo weiter hinten in der Kolonne hupte jemand verärgert. Nik verdrehte die Augen und schaute aus dem Seitenfenster, wo sein Blick auf das hell angeleuchtete Gesicht einer Frau fiel, die ihn von einer Werbetafel anstrahlte.

Die Werbeagentur hatte auf eine ziemlich altmodische Strategie gesetzt. An der Werbebotschaft war nichts Subtiles, hier wurde schlicht und einfach mit Männerfantasien gespielt. Man nehme die beworbene Gesichtscreme für Männer, schmiere sie auf den knackigen Po der Frau im Bikini, und schon würde man sich vor liebeskranken schönen Frauen gar nicht retten können.

Diese hier war allerdings nicht zu haben … Sein Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. Er war einer von vermutlich höchstens einer Handvoll Leuten, die wussten, dass dieses spezielle Objekt männlicher Begierde in einer heimlichen Beziehung mit einer Frau steckte. Heimlich, nicht weil Lucy sich um ihre Karriere sorgte, sondern wegen einer Abmachung, die das Paar mit dem künftigen Ex-Mann ihrer Partnerin Clare getroffen hatte. Der Typ würde der Scheidung nur zustimmen, wenn sie die Bekanntgabe ihrer lesbischen Beziehung so lange hinauszögerten, bis die Vertragsverhandlungen mit einem Unternehmen abgeschlossen waren, das seine Marke auf traditionellen Werten und einem lupenreinen Image aufgebaut hatte.

Vielleicht, überlegte Nik, wäre der Typ immer noch verheiratet, wenn er mehr Zeit für seine Ehe statt für sein Unternehmen aufgebracht hätte … Wenn man alles glauben konnte, was man las, brauchte es viel Zeit, Energie und harte Arbeit, um eine Beziehung zu erhalten und zu pflegen. Und Nik hatte definitiv keine Zeit für so etwas. Was Energie anging, sah es schon etwas besser aus, aber nicht, wenn der Sex nichts als harte Arbeit war … Nein, eine Ehe war wirklich nichts für ihn.

Ein weiteres Hupen ließ ihn zusammenfahren. Und plötzlich hatte er einen völlig unerwarteten Geistesblitz. Warum war er nicht schon früher darauf gekommen? Er brauchte bloß mit irgendeiner Frau auftauchen und so tun, als wäre er verliebt. Dann wäre seine Schwester endlich machtlos, was ihre Verkupplungsversuche anging.

Er lächelte der Frau auf der Leuchtreklame zu … War Lucy Cavendish in der Stadt? Und falls ja, wäre sie bereit, ihm einen kleinen Gefallen zu tun? Sie stand in seiner Schuld, schließlich hatte er ihr Clare vorgestellt.

Die Mitarbeiter des Partyservice trugen Kartons durch die offene Haustür, als Chloe ankam. Tatiana hatte sie gebeten, früh zu kommen – offenbar war sie zu früh da?

„Geh ruhig durch ins Büro. Mum ist dort.“

Chloe musste zwei Mal hinschauen, ehe sie das Mädchen mit dem Pappkarton in den Händen als Eugenie, Tatianas Tochter, erkannte.

Die bemerkte ihren Gesichtsausdruck und nickte. „Ja, ich weiß. Ich sehe ziemlich dämlich aus in diesem Outfit, aber Mum wollte, dass ich wenigstens die Hälfte der Ferien arbeite, damit ich mich nicht irgendwann in eines dieser verwöhnten reichen Mädchen verwandele, die glauben, dass das Geld auf den Bäumen wächst. Du siehst toll aus!“, fügte sie hinzu, als sie den ärmellosen seidenen Overall bemerkte, den Chloe trug. „So etwas kannst auch nur du tragen mit deinen langen Beinen.“

Chloe lachte, während das Mädchen mit dem Karton an ihr vorbeieilte.

Die Tür zum Büro war leicht angelehnt, und nach einem kurzen Klopfen trat Chloe ein. Der Raum war leer, bis auf den Hund, der sich auf einer Designerjacke zusammengerollt hatte, die auf einem Sessel in der Ecke lag. Selbst zerknittert und unter einem Labrador ließ der unverkennbare Stil des Kleidungsstückes erkennen, welche Designerin hier am Werk gewesen war. Tatiana war für ihre starken, leuchtenden Farben und die einfachen tragbaren Designs bekannt.

Der Hund öffnete ein Auge, und Chloe ging zu ihm herüber, um ihn zu streicheln. Dabei fiel ihr Blick auf die Zeichnungen, die an einem Zeichentisch hingen, der mitten im Raum stand.

„Oh, schau dir diese lieber nicht an! Da hatte ich einen schlechten Tag“, rief Tatiana aus, als sie das Büro betrat. Die kleine brünette Frau trug eines ihrer eigenen Designs und strahlte eine mühelose Eleganz aus. „Runter, Ulysses!“ Doch der Hund wedelte bloß mit dem Schwanz und machte keine Anstalten, seinen bequemen Platz zu verlassen. „Nik sagt immer, ein Hund muss wissen, wer das Sagen hat – aber genau das ist das Problem, nicht wahr, mein kleiner Frechdachs? Du weißt es bereits.“ Sie seufzte.

Chloe zwang sich zu einem Lächeln, wenngleich sie innerlich aufstöhnte – wie jedes Mal, wenn sie den Namen von Tatianas jüngerem Bruder hörte.

Tatianas Erzählungen nach schien es dem Mann nicht gerade an Selbstbewusstsein zu mangeln. Ganz im Gegenteil sogar – offenbar war er davon überzeugt, in allem ein Experte zu sein.

Aber Zurückhaltung und Bescheidenheit waren wohl nicht die typischen Eigenschaften für jemanden, dem eine griechische Reederei gehörte. Und auch wenn Nik Latsis erst kürzlich in die Fußstapfen seines Vaters getreten war, so schien es ihr, als habe er sich bereits perfekt mit seiner neuen Rolle identifiziert.

Tatiana schien es nicht infrage zu stellen, dass ihr jüngerer Bruder das Unternehmen geerbt hatte, bloß weil er ein Mann war. Warum regte sie selbst sich dann darüber auf?

Vielleicht weil ich keine Griechin bin …

Und es bestand kein Zweifel daran, dass die Familie Latsis sich als griechisch betrachtete, obwohl sie bereits seit dreißig Jahren in London lebten. Sie waren Teil einer sehr großen, gut betuchten griechischen Community, die sich in der englischen Hauptstadt niedergelassen hatte. Jeder kannte hier jeden, Traditionen wurden sorgfältig gepflegt.

Nachdem sie dem Hund ein letztes Mal über den Kopf gestreichelt hatte, fiel ihr Blick auf ihre Reflektion in dem Spiegel, der das großzügig geschnittene Büro noch viel größer erscheinen ließ, und bemühte sich, die Stirnfalten zu glätten, die der Gedanke an Tatianas Bruder bei ihr hervorgerufen hatte.

Dabei hatte sie ihn noch nie im Leben gesehen. Was jedoch kein Zufall war. Es waren eineinhalb Jahre seit dem Herzanfall seines Vaters vergangen, der ihn quasi auf den Thron von Latsis Shipping befördert hatte, und seitdem hatte man kaum etwas von ihm gehört. Was kaum möglich war, es sei denn, man hatte eine sehr loyale Familie und Freunde, unbegrenzte Ressourcen und Insiderwissen darüber, wie die Medien funktionierten. Immerhin war er vorher Journalist gewesen.

Du kennst den Mann gar nicht, rief Chloe sich zurecht. Du hast ihn nie getroffen und urteilst über ihn, bloß wegen ein paar Kommentaren von ihm. Normalerweise hasste sie Menschen, die Vorurteile hatten.

„Du bist eine Heuchlerin, Chloe.“

Die leise ausgesprochene Selbstanklage ließ Tatiana überrascht aufschauen.

Doch Chloe schüttelte nur den Kopf. „Die Farben sind wunderschön“, bemerkte sie stattdessen und deutete auf die Stoffe, die an eine der Tafeln geheftet waren. Mit dem Finger strich sie über ein Stück Seide, das fast den gleichen Ton hatte wie der blaue Overall, den sie trug.

„Die Farbe steht dir, aber ich weiß nicht, ob mein Design …“ Tatiana stockte und schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, ich bin mit dem Kopf immer viel zu sehr bei der Arbeit.“

Sie lächelte ein wenig schuldbewusst und trat auf Chloe zu, um ihr einen herzlichen Kuss auf die Wange zu geben.

„Die Probleme einer Künstlerin“, zog Chloe sie auf.

„Ich weiß nicht, ob es das ist, aber ich weiß, dass ich ein Workaholic bin. Ich habe es noch nie geschafft, Beruf und Privatleben unter einen Hut zu bringen.“ Ein sehnsüchtiger Ausdruck ging über ihr Gesicht. „Vielleicht ist das der Grund, warum ich mich habe scheiden lassen …“ Sie lächelte sanft. „Aber heute Abend will ich über so etwas gar nicht nachdenken. Du siehst toll aus!“ Die Hände leicht auf Chloes schlanke Oberarme gelegt, schob sie sie ein wenig von sich, um sie besser anschauen zu können. Der verträumte Ausdruck von zuvor erschien wieder in ihrem Gesicht, als ihr Blick für einen kurzen Moment auf Chloes Beine fiel, die von bauschiger himmelblauer Seide bedeckt waren. „So wunderbar, wie du heute ausschaust, wirst du wohl kaum Probleme haben, die Männer dazu zu bringen, ihre Geldbörsen für eine gute Sache zu öffnen.“

„Die Leute sind sowieso meist sehr großzügig“, entgegnete Chloe.

„Vor allem, wenn die Schwester einer künftigen Königin an ihr Gewissen appelliert. Aber warum sollte man seine guten Kontakte nicht nutzen?“ Sie deutete einen Hofknicks an, und Chloe lachte. Tatianas Schwester war eine Prinzessin, und eines Tages würde sie die Königin von Vela sein, aber Chloe konnte sich kaum jemanden vorstellen, der weniger royal wirkte als sie. Beide Schwestern war beigebracht worden, dass Taten wichtiger waren als irgendein hochrangiger Titel.

„Ich werde mein Bestes geben, was die Stiftung angeht“, fuhr Tatiana nun mit ernster Stimme fort. „Schließlich bin ich dir noch etwas schuldig.“ Sie ging hinüber zum Kaminsims, auf dem unzählige gerahmte Fotos standen. Nach einem davon griff sie und hielt es hoch, damit Chloe es sehen konnte. „Dafür, was du alles für Mel getan hast“, erklärte sie und blickte versonnen auf das Bild in ihrer Hand.

Doch Chloe schüttelte den Kopf. Das Lob war ihr unangenehm, denn ihrer Meinung nach war die junge Griechin ihre Inspiration gewesen. „Ich hab doch gar nichts gemacht.“ Sie nahm das Foto entgegen und schaute es an. Es war ein Schnappschuss, der letzten Monat in einem Straßencafé in Barcelona aufgenommen worden war. „Sie ist ein tapferes Mädchen.“

Chloe hatte Tatiana nur flüchtig gekannt. Doch dann hatte die Designerin Chloes Blog bei einem Interview auf der Londoner Fashion Week erwähnt und damit ihrer Karriere einen kräftigen Schub gegeben. Es war gerade einmal zwei Jahre her, doch Chloe kam es wie eine Ewigkeit vor.

Danach hatte Chloe sie kontaktiert, um sich bei ihr zu bedanken. Sie waren in Kontakt geblieben, hatten sich jedoch zunächst nie persönlich getroffen.

Dazu war es erst vor einem Jahr gekommen, und zwar in einem ganz anderen Zusammenhang. Tatianas Patentochter hatte in der Brandverletztenstation im Bett neben Chloe gelegen. Zu dem Zeitpunkt war Chloe bereits drei Monate dort gewesen, kannte jeden Riss in der Decke und jedes Detail aus dem Liebesleben der jungen Krankenschwestern.

Auch wenn die Verbrennungen, die Chloe bei einem Autounfall erlitten hatte, schwer und schmerzhaft gewesen waren und der Heilungsprozess sehr lange Zeit in Anspruch nahm, waren ihre eigenen Narben leicht unter ihrer Kleidung zu verbergen. Die junge Frau neben ihr jedoch konnte ihr entstelltes Gesicht nicht verstecken. Dann, als hätte sie nicht bereits genug durchgemacht, war sie auch noch von ihrem Freund verlassen worden.

Chloe hatte hinter der Trennwand alles mithören können, auch wie Mel danach geflüstert hatte, sie wolle nicht mehr leben. Es hatte ihr fast das Herz gebrochen. Ihr erstes Gespräch später in dieser Nacht durch die Trennwand hindurch war im Grunde nur ein Monolog gewesen. Mel hatte kein Wort gesagt. So war es wochenlang weitergegangen.

„Ohne dich hätte sie es nicht geschafft, Chloe“, stieß Tatiana mit tränenerstickter Stimme hervor. „Ich werde nie den Tag vergessen, an dem ich sie zum ersten Mal wieder lachen gehört habe – das war dein Verdienst.“

„Mel hat mir mindestens ebenso sehr geholfen, wie ich ihr. Hast du die Liste mit den verschiedenen Make-up-Techniken gesehen, die sie für mich zusammengestellt hat?“, erkundigte sie sich und stellte das Foto zurück auf den Kaminsims. Zufällig stieß sie dabei gegen das Bild direkt daneben. Während sie es wieder zurechtrückte, bewunderte sie den Bilderrahmen. Es war ein antiker Rahmen aus kunstvoll geschnitztem Ebenholz. Vorsichtig ließ sie die Finger über das kühle Holz gleiten, dann fiel ihr Blick auf das Bild, und ihre Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Eine junge Eugenie mit Zahnspange lächelte sie an.

Der Mann in den Jeans, der neben ihr auf dem Boden kniete, trug die gleiche Schirmmütze mit dem Logo eines bekannten Freizeitparks wie Eugenie, und er war … Chloes Lächeln verflog, als die Realität sie wie ein Schlag ins Gesicht einholte. Mit kreideweißem Gesicht starrte sie auf den Mann mit dem unbeschwerten Gesichtsausdruck, ein Gesicht, das in keiner Weise eine leidende Seele verriet. Da waren keine Schatten, die von ihr vertrieben werden mussten. Er war bloß ein ganz normaler Mann … Nun, abgesehen davon, dass dieser normale Mann um einiges attraktiver war als es einem Mann zustand, und der zudem einen Körper hatte, der einen Olympiaschwimmer neidisch machen würde.

Steif wie eine Statue stand sie dort mit dem Bild in der Hand, bis ihre Hand immer stärker zitterte – ein sichtbares Zittern, das langsam aber sicher ihren ganzen Körper erfasste und ihr tiefstes Inneres aufrüttelte.

Mit größter Willenskraft stieß sie den Atem aus, nicht jedoch den immer stärker werdenden Wirbelwind an Fragen, der durch ihr Gehirn brauste. Sie fühlte sich, als wären ein Dutzend Leute in ihrem Kopf, die so laut durcheinander riefen, dass sie die einzelnen Fragen nicht verstand.

Er war es tatsächlich. Der Mann auf dem Bild war der gleiche Mann, mit dem sie eine unvergessliche Liebesnacht verbracht hatte. Wenn alle Lernerfahrungen so brutal gewesen wären wie diese, hätte es sich nicht gelohnt, morgens überhaupt aus dem Bett zu steigen – glücklicherweise war es nicht so, ihr Leben war weitergegangen.

Das hieß jedoch nicht, dass sie ihre gemeinsame Nacht vergessen hätte. Oder die verletzten Gefühle, die sie am nächsten Morgen heimgesucht hatten, nachdem ihr klar geworden war, dass er in der Nacht einfach gegangen war. Und das Schlimmste war, dass sie sich alles selbst zuzuschreiben hatte. Denn sie war es gewesen, die ihren Instinkten gefolgt war, als sie ihn in dieser Bar angesprochen hatte. Es hatte sich für sie so angefühlt, als ob es so sein sollte … Hätte es an jenem Abend Auszeichnungen für die größte Naivität und Dummheit gegeben, wäre sie wohl mit einem ganzen Arm voller Pokalen nach Hause gegangen!

Sie fragte sich, ob sein Name wirklich Nik war. Denn jetzt erschien es ihr ziemlich unglaublich, dass die Tatsache, nicht einmal seinen vollen Namen zu kennen, Teil ihres romantischen Erlebnisses gewesen sein sollte. Die Zeit hatte schließlich all den romantischen Glanz schwinden lassen und ihr offenbart, was es wirklich war – ein billiger und schäbiger One-Night-Stand, auch wenn der Sex unglaublich gewesen war.

Angestrengt bemühte sie sich um einen leichtfertigen Tonfall und wandte sich halb zu Tatiana um. „Wie alt war Eugenie hier?“

Tatiana kam zu ihr herüber, schaute das Foto ihrer Tochter an und seufzte traurig. „Das war an ihrem zehnten Geburtstag. Kurz nachdem das Foto gemacht wurde, musste sie sich übergeben, weil Nik ihr erst eine Tüte Donuts zum Essen gegeben und sie dann mit auf die Achterbahn genommen hatte.“

Chloe glaubte, selbst gerade Achterbahn zu fahren, so sehr raste ihr Herz. Aber warum denn nur? Es war doch bloß ein Foto. Dieser Mann war Vergangenheit – und das, was zwischen ihnen gewesen war, hatte nichts mit Liebe zu tun.

Sex, einfach nur Sex. Nicht mehr und nicht weniger!

Erst als sie diese Tatsache akzeptiert und erkannt hatte, dass das, was sie in dieser Nacht miteinander geteilt hatten, keine spirituelle Verbindung, sondern blinde Lust gewesen war, konnte sie ihn endlich vergessen.

Vergessen? Wirklich? Warum zitterte sie dann so?

Vorsichtig stellte sie das Bild wieder auf den Kaminsims und strich mit den Händen den Stoff ihres Overalls glatt. Sie würde es nicht zulassen, dass dieser Mann sie noch einmal verletzte. Schließlich war sie längst nicht mehr das naive Mädchen von damals.

Es war ein schmerzhafter Lernprozess gewesen, doch irgendwann hatte ihr verletzter Stolz aufgehört, in ihr zu rumoren, und sie hatte verstanden, dass purer Sex mit fremden Männern zwar körperlich befriedigend sein konnte, jedoch nichts für sie war. Zwar war es nicht so, dass sie sich für die Liebe ihres Lebens aufsparen wollte, aber ein wenig gegenseitiger Respekt wäre doch nett, fand sie.

Autor

Kim Lawrence
Kim Lawrence, deren Vorfahren aus England und Irland stammen, ist in Nordwales groß geworden. Nach der Hochzeit kehrten sie und ihr Mann in ihre Heimat zurück, wo sie auch ihre beiden Söhne zur Welt brachte. Auf der kleinen Insel Anlesey, lebt Kim nun mit ihren Lieben auf einer kleinen Farm,...
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