Die Männer von Thunder Ridge (3-teilige Serie)

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

KEIN GEHEIMNIS KANN UNS TRENNEN von WENDY WARREN
Nach Thunder Ridge zurückzukehren war entweder ein Riesenfehler – oder die beste Entscheidung seines Lebens! Nate ist hin und hergerissen, als er Izzy wiedersieht, seine wunderschöne, unvergessene Sommerliebe. Aber warum geht sie ihm bloß beharrlich aus dem Weg?

DU BIST DIE SÜSSESTE VERSUCHUNG von WENDY WARREN
Liebe bedeutet Schmerz und Tränen. Das weiß Willa ganz genau. Schon deshalb will sie sich auf keinen Fall in den sexy Derek Neel verlieben. Aber als er sie in ihrer Bäckerei heiß küsst, verfällt sie rettungslos der verführerischen Süßigkeit, die man Liebe nennt!

GEMMAS TRAUM VOM GLÜCK von WENDY WARREN
Eine Zweckehe einzugehen, um das Sorgerecht für seinen kleinen Neffen zu behalten – das war Ethans Plan. Doch schon bald verliert der Footballstar sein Herz an die bezaubernde College-Lehrerin Gemma. Wird sie ihn noch lieben, wenn sie sein dunkelstes Geheimnis erfährt?


  • Erscheinungstag 27.05.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506991
  • Seitenanzahl 338
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Wendy Warren

Die Männer von Thunder Ridge (3-teilige Serie)

IMPRESSUM

Kein Geheimnis kann uns trennen erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2016 by Wendy Warren
Originaltitel: „His Surprise Son“
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA EXTRA
Band 44 - 2017 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Rainer Nolden

Umschlagsmotive: GettyImages_Vasyl Dolmatov / shutterstock_mythja

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2021.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751506915

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

 

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

 

Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.

1. KAPITEL

Thunder Ridge, Oregon

Izzy Lambert hielt sich für eine grundehrliche Person. Und sie hätte ihren letzten Dollar darauf verwettet, dass die meisten Menschen, die sie kannte, ebenso dachten. In ihrem ganzen Leben hatte sie nur zwei Mal die Unwahrheit gesagt. Genau genommen hatte sie die Wahrheit nur verschwiegen.

Lange hatte sie befürchtet, dass ihre Geheimnisse ans Tageslicht kommen könnten, und noch mehr Zeit hatte sie damit verbracht, nach dem Mann zu suchen, dem sie die Wahrheit vorenthalten hatte. Manchmal glaubte sie sogar, ihn zu sehen, etwa …

… im Supermarkt, wo er eine Tüte Milch aus dem Regal nahm …

… in der Schlange vor dem Bankschalter …

… im Wagen hinter ihr am Drive-In-Restaurant …

Einmal hätte sie sich fast an einem Pfannkuchen in einem Restaurant in Disneyland verschluckt, als sie glaubte, ihn in einem der Kellner wiederzuerkennen.

In Wirklichkeit war er es nie gewesen – Gott sei Dank! –, aber jedes Mal, wenn Izzy glaubte, Nate Thayer zu erblicken, begann ihr Herz wie wild zu schlagen, ihr Puls raste, ihr wurde ganz heiß und schwindlig, und im Handumdrehen war sie schweißgebadet.

Wie jetzt, als sie auf der Straße Flyer verteilte, um Passanten und Touristen auf ihr Restaurant The Pickle Jar aufmerksam zu machen.

„Was gibt’s denn da so zu essen?“, wollte eine Frau wissen und wedelte mit dem Flyer. „Nur Salzgurken?“, spielte sie auf den Namen des Lokals an.

„Natürlich nicht. Wir bieten regionale Küche mit regionalen Spezialitäten an. Sehr viel Vegetarisches. Und absolut gesund.“

„Wo liegt es denn?“, fragte eine andere Frau.

„Etwa dreißig Meter in diese Richtung.“ Izzy streckte die Hand aus.

„Und um für Ihr Restaurant zu werben, haben Sie sich als Gurke verkleidet?“, bemerkte ein älterer Herr, dem Schweißperlen auf der Stirn standen, schmunzelnd.

In ihrem Gurkenkostüm war Izzy in der Nachmittagssonne genauso heiß geworden. Vor nicht allzu langer Zeit hätte sie nicht im Traum daran gedacht, in dieser blödsinnigen Maskerade auf die Straße zu gehen. Aber in einem Marketingkurs für selbstständige Unternehmer hatte sie gelernt, dass Auffallen und Originalität äußerst wichtig waren, um aus der Masse hervorzustechen und die Kundschaft anzulocken.

Eigentlich hatte Izzy Wirtschaftswissenschaften studieren und danach ein eigenes Büro eröffnen wollen, in dem sie in eleganter Businesskleidung mit ihren Klienten verhandelte. Leider aber erfüllten sich manche Wünsche nicht, und Izzy hatte lernen müssen, dass man nur weiterkam, wenn man die Realität akzeptierte. Nun, da sich das Restaurant, in dem sie Geschäftsführerin war, gegen immer mehr Konkurrenten behaupten musste, war Izzy gezwungen, alles Mögliche zu versuchen, um zu überleben. Und eine der Maßnahmen bestand darin, ein lächerliches Gurkenkostüm anzuziehen und sich zum Hanswurst zu machen.

Aber wenn es den Umsatz steigerte, war ihr jedes Mittel recht.

Es war unerträglich heiß in dem grünen Ganzkörperkostüm. Vermutlich mit ein Grund, warum sie keinen ihrer Angestellten hatte überreden können, in dieser Verkleidung auf die Straße zu gehen. Also war sie kurzerhand selbst hineingeschlüpft, um die Werbetrommel für The Pickle Jar zu rühren.

Ein anderer Tourist baute sich vor ihr auf. „Und es ist wirklich so günstig, wie es hier steht?“, erkundigte er sich.

„Noch viel günstiger. Und die Speisen sind noch viel besser.“ Izzy lief der Schweiß in Strömen am Körper herunter – und sie schwitzte noch mehr, als ein Mann aus dem Reisebus am Straßenrand stieg, der wieder einmal Nate Thayer ähnelte. Vermutlich sah sie nur deshalb überall Gespenster, weil sie nichts mehr fürchtete als eine Begegnung mit ihm. Vielleicht sollte sie an weniger stressige Dinge denken als daran, ihm zufällig über den Weg zu laufen.

Konzentrier dich aufs Geschäft, ermahnte sie sich. Dann verschwinden auch die Gespenster.

The Pickle Jar war nicht nur ihr Arbeitsplatz, sondern auch ihr Zuhause geworden. Hier hatte sie zum ersten Mal erfahren, was Familienleben bedeutete. Und jetzt stand das Lokal praktisch vor der Pleite. Aber sie würde das Steuer herumreißen, schwor sie sich. Sie musste es herumreißen. Ihr blieb gar keine andere Wahl.

Izzy verdrängte diese niederschmetternden Gedanken und setzte ihr strahlendstes Lächeln für die Touristen auf. „Ich verspreche Ihnen, Sie werden den Besuch nicht bereuen. Es wird einer der Höhepunkte Ihrer Reise sein.“

Vermutlich hatte Nate Thayer sich die Rückkehr in seine Heimatstadt anders vorgestellt, als Jackson Fleming gegenüberzusitzen, mit dem er in derselben Baseballmannschaft gespielt hatte und der ihm die Ohren volljammerte, weil angeblich alles viel schlechter geworden war. Seine vier Kinder fraßen ihm die Haare vom Kopf, sein Job als Fahrer eines Milchlasters langweilte ihn zu Tode … und der Service im Pickle Jar, in dem die beiden Männer saßen, war auch nicht mehr das, was er einmal gewesen war. Stundenlang, schimpfte Jackson, musste man aufs Essen warten.

Es war Nates erster Besuch in Thunder Ridge seit fünfzehn Jahren. Er hatte vorgeschlagen, dort zu Mittag zu essen. Während Jack über sein Leben nach der Highschool berichtete, ließ Nate den Blick durch das Lokal schweifen. Sein erster Eindruck war: Hier hat sich nicht viel verändert. Er erinnerte sich an die Resopaltheke, an der er oft gesessen hatte, für die Prüfung gepaukt und dabei Softdrinks getrunken und Mixed Pickles in sich hineingestopft hatte, bis Sam Bernstein ein Cornedbeef-Sandwich auf Kosten des Hauses vor ihn hinstellte. „Iss das“, hatte der alte Mann mit dem großen Herzen ihm befohlen, als er ihm zum ersten Mal ein Essen spendierte. „Ich sehe doch, dass du ununterbrochen lernst. Da braucht man zwischendurch etwas Anständiges zu essen. Sieh es als Unterstützung für deinen Collegebesuch. Eines Tages, wenn du mal erfolgreich bist, wirst du mir dafür dankbar sein.“

Er war tatsächlich erfolgreich geworden – als Architekt in Chicago. Immer wenn er an Thunder Ridge dachte, fielen ihm die Bernstein-Brüder ein, und er hoffte, dass sie stolz auf ihn sein würden. Er musste sie unbedingt wiedersehen. Während seines Studiums hatte er ihnen noch ein oder zwei Mal geschrieben, aber dann war der Kontakt abgerissen, und er hatte nichts mehr von sich hören lassen. Umso mehr hoffte er, den beiden Männern jetzt die Hand schütteln zu können.

Die abgebrochene Beziehung zu den Brüdern war jedoch nicht das einzige Problem, das ihm zu schaffen machte. Wobei das andere sehr viel schwerwiegender war. Kurz nachdem er der Stadt den Rücken gekehrt hatte, war Isabelle Lambert ebenfalls weggezogen. Seit fünfzehn Jahren hatte er nichts mehr von ihr gehört. Manchmal hatte er überlegt, nach ihr zu suchen, doch den Gedanken daran immer wieder verworfen.

Dennoch war es unmöglich, nach Thunder Ridge, Oregon, zurückzukehren und nicht an das Mädchen mit den karamellfarbenen Haaren, der zarten Haut und den seeblauen Augen zu denken – Augen, die so groß waren, dass Nate am liebsten darin versunken wäre.

Unwillkürlich hielt er die Speisekarte fester umklammert. Entspann dich, befahl er sich. Denn wenn es um Izzy ging, spürte er selbst nach fünfzehn Jahren noch immer diese seltsame Sehnsucht.

„Haben Sie schon gewählt?“

Nate hatte die Kellnerin gar nicht bemerkt, die an ihren Tisch getreten war. Sie füllte die Wassergläser, stellte den Plastikkrug auf den Tisch und sah ihre Gäste erwartungsvoll an. Auf ihrem Namensschild stand „Willa“ – ein passender Name für die zierliche Person mit den langen kastanienbraunen Haaren und der fröhlichen Miene.

Jack lächelte ihr zu. „Was können Sie denn heute empfehlen? Außer sich selbst?“ Obwohl er verheiratet war und vier Kinder hatte, konnte er das Flirten nicht lassen.

Nate zuckte innerlich zusammen, aber die Frau schien nichts erschüttern zu können. Ungerührt antwortete sie: „Das Ochsenbrustsandwich mit frischem Salat der Saison. Dazu vorab die Hühnersuppe.“

Rasch bestellte Nate das Sandwich und hoffte, sein Freund möge das Gleiche tun, ohne sich noch mehr zum Narren zu machen. Doch der dachte nicht im Traum daran. „Ich nehme ebenfalls das Sandwich. Aber bringen Sie mir bitte auch einen eiskalten Drink, Schätzchen. Denn je länger ich Sie anschaue, desto heißer wird mir.“

„Jack …“, begann Nate mit einem warnenden Unterton in der Stimme, aber der ehemalige Football-Held ließ sich nicht beirren.

Er grinste Nate über das ganze Gesicht an. „Du bleibst doch eine Weile in der Stadt, nicht wahr? Vielleicht hat Willa eine Freundin, und wir könnten zu viert was unternehmen.“

Willa nahm den Wasserkrug und murmelte nur: „Die Sandwiches kommen gleich.“ Nun schienen bei Jack sämtliche Sicherungen durchgebrannt zu sein. Er versetzte der Kellnerin einen Klaps auf den Po und packte sie am Handgelenk. Das Mädchen versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, aber Jack ließ nicht locker.

Plötzlich ging alles so schnell, dass Nate hinterher gar nicht mehr hätte sagen können, was genau geschehen war. Er hörte jemanden ein warnendes „He!“ rufen, und dann tauchte eine große … Salzgurke ??? … neben ihm auf. Gleichzeitig ergoss sich ein Schwall eiskaltes Wasser über ihn und Jack. Das meiste davon bekam Jack ab.

Jack schrie etwas, die Gurke schrie zurück, und dann rutschte sie in einer Wasserpfütze aus. Grüne Beine strampelten, grüne Arme ruderten durch die Luft.

Nate stand auf, um dem Wesen wieder auf die Beine zu helfen.

„Das haben Sie mit Absicht gemacht“, grollte Jack.

„Halt die Klappe“, befahl Nate, als er sich neben das lebende grüne Gemüse kniete. „Bewegen Sie sich nicht“, riet er der Gurke. „Lassen Sie mich erst mal nachsehen, ob Sie sich verletzt haben.“ Aber offenbar war das Kostüm so gut wattiert, dass seine Befürchtung unbegründet war.

Die wütende Gurke zeigte auf Jack. „Verlassen Sie sofort dieses Lokal. Auf der Stelle!“ Dann drehte sie sich zu Nate um. „Und Sie … Sie …“

Sie hielt inne. Die Gurke war definitiv weiblich.

In Sekundenbruchteilen lief Nates halbes Leben vor seinem geistigen Auge ab. „Izzy?“ Er klang fast atemlos, als er den Namen aussprach.

Sie brauchte etwas länger, ehe sie heiser hervorbrachte: „Nate?“

„Du kennst sie?“ Wütend starrte Jack ihn an. „Sie hat mir Wasser über meine teuren Stiefel gekippt.“ Er hob einen Fuß und zeigte mit dem Finger darauf. „Das ist Wildleder, verdammt, und ich habe sie noch nicht imprägniert. Ich möchte sofort den Geschäftsführer sprechen.“

Da es ihm unmöglich war, den Blick von Izzy abzuwenden, spürte Nate mehr, dass sich eine kleine Traube von Menschen um sie versammelt hatte, als dass er es sah. Er hörte jemanden sagen: „Sie ist die Geschäftsführerin“, und dann redeten auf einmal alle durcheinander. Wie aus weiter Ferne drangen die Stimmen an sein Ohr.

Izzy.

Die Tatsache, dass Izzy Lambert vor ihm stand – praktisch am selben Ort, an dem er sie verlassen hatte –, traf ihn wie ein Blitz. Hatte sie nicht geschworen, eines Tages in eine richtige Großstadt zu ziehen, wo sie mehr und bessere Möglichkeiten hatte als irgendwo in Oregon?

„Was ist passiert?“, murmelte er.

„Ich bin in der Pfütze ausgerutscht.“

Er schüttelte den Kopf. Das hatte er nicht gemeint. Aber er zog es vor, seine Gedanken für sich zu behalten.

Man hatte ihm doch erzählt, sie sei weggezogen. Es hatte ihn regelrecht aufgewühlt, und er hatte eine Weile gebraucht, bis er sich mit dem Gedanken anfreunden konnte, dass sie Teenager gewesen waren, als sie miteinander gingen, und dass ihre Beziehung nur einen Sommer und nicht ein ganzes Leben lang dauern sollte. Dennoch gehörte Izzy Lambert zu den großen Fragen seines Lebens, die immer noch nicht beantwortet waren.

„Lassen Sie mich mal durch. Was ist hier passiert?“

Aus den Augenwinkeln bemerkte Nate ein Paar Khakihosen auf ihn zukommen. Als er hochschaute, sah er den Sheriff. Er hatte die Hände in die Hüften gestützt und schaute amüsiert auf Izzy hinunter.

„Izz! Bist du verletzt?“

„Nein.“

„Okay. Dann steh mal wieder auf.“ Der Gesetzeshüter, ein gutmütig dreinblickender Riese, streckte die Hand aus.

„Warten Sie.“ Nate erhob sich aus der Hocke. Als er aufrecht stand, stellte er fest, dass der Mann etwa so groß war wie er selbst – vielleicht ein paar Zentimeter größer – und wohl auch genauso viel wog. Nate gefiel das amüsierte Lächeln ganz und gar nicht. „Sie sollte erst aufstehen, wenn wir sicher sind, dass sie sich nichts gebrochen hat.“

Einem zufälligen Beobachter mochte das Lächeln des Sheriffs freundlich erscheinen, aber im Blick seiner dunklen Augen, mit denen er Nate musterte, lag etwas Herausforderndes.

„Sheriff Derek Neel.“ Er stellte sich vor, ohne ihm die Hand zu reichen. „Und Sie sind?“

Nate warf Izzy einen Blick zu. Sie hatte die Augen weit aufgerissen. „Ein alter Freund“, antwortete er und spürte eine gewisse Genugtuung, als der Sheriff die Stirn runzelte.

„Muss ein sehr alter Freund sein“, mutmaßte Sheriff Neel. „Ich kenne Izz seit zwölf Jahren. Aber ich kann mich nicht erinnern, Sie schon mal gesehen zu haben.“

Jetzt runzelte auch Nate die Stirn. „Izz“ war wohl nicht lange aus Thunder Ridge fort gewesen. Sie war gegangen, ohne sich mit ihm in Verbindung zu setzen oder eine Adresse zu hinterlassen. Nate war schon nach Chicago gezogen, um aufs College zu gehen, und ganz mit seinem neuen Leben beschäftigt. Henry Bernstein, der Besitzer des Restaurants, war der Einzige, der ihm hätte sagen können, wo Izzy sich aufhielt – aber er hatte behauptet, keine Ahnung zu haben. Also war es Nate unmöglich gewesen, Kontakt zu ihr aufzunehmen.

Wie aus heiterem Himmel stürmten dieselben Gefühle auf ihn ein, die er vor einem halben Leben empfunden hatte – nur kurz, aber sehr intensiv. Die zugeschnürte Kehle, der Kloß im Magen, die Verwirrung, sogar der Wunsch, irgendetwas zu zerdeppern, nachdem er erfahren hatte, dass Izzy weggezogen war. All diese Emotionen waren auf einmal wieder da – ungeachtet der Jahre, die vergangen waren, und der Erfahrungen, die er gemacht hatte.

Izzy schien wie erstarrt zu sein, aber etwas in seinem Blick setzte sie in Bewegung. Sie rappelte sich auf, was durch das unförmige Kostüm nicht gerade leicht war.

Der Sheriff griff nach ihrem linken Ellenbogen, und gleichzeitig schlossen sich Nates Finger um ihren rechten Arm. Ängstlich schaute sie ihn und nicht den anderen Mann an. Ihre weichen, perfekt gerundeten Lippen öffneten sich, und sofort spürte er es wieder – das Begehren, den Wunsch, sie zu besitzen. So etwas hatte er mit keiner anderen Frau erlebt. Nur mit Izzy Lambert.

Sie schien „Danke“ sagen zu wollen, aber aus ihrem Mund kam kein Laut. Stattdessen sah sie ihn nur stumm an. Nur zu gut erinnerte er sich an diesen Blick. So hatte sie ihn immer angeschaut, wenn sie sich nach ihm verzehrt hatte.

Sein Blick fiel auf ihren Körper, obwohl der in diesem lächerlichen Kostüm steckte. Er kannte ihn gut – viel zu gut. Er hatte ihn im Sonnenlicht und im Mondlicht gesehen – und im kalten Neonlicht einer Arztpraxis. Daran erinnerte er sich noch genau.

Sie etwa auch?

Nach all diesen Jahren sollte er eigentlich keine Gefühle mehr für Izzy Lambert haben. Ihre Beziehung war vorbei. Sie hatte als Sommerromanze begonnen und genauso geendet, wie es die meisten vorhergesagt hatten – Nate war in einer anderen Stadt aufs College gegangen, und Izzy …

Er war sich nicht sicher, was genau mit Izzy geschehen war. Er wusste nur, dass ihre Beziehung etwas ganz Besonderes gewesen war, etwas, das viele Paare niemals erlebten. Während eines kurzen Sommers hatten sie erwachsen werden müssen und ihre Unschuld verloren. Vielleicht war das der Grund, warum die Gefühle noch nicht ganz erloschen waren – jedenfalls, was ihn anbetraf. Nie mehr hatte er sein Leben als so intensiv und so leidenschaftlich empfunden wie in jenen Monaten eines längst vergangenen Sommers …

Jetzt fragte Nate sich, ob er vielleicht besser nicht zurückgekommen wäre. Doch unvermittelt, als hätte jemand eine Klimaanlage auf die höchste Stufe gestellt, versiegte die heiße Gefühlswallung.

Izzy hatte der Welt beweisen wollen, zu was sie fähig war – und jetzt stand sie vor ihm als Gurke.

Eine wütende Gurke, die ihrer Kollegin zu Hilfe geeilt war. Plötzlich zuckte es um seine Lippen. Izzy, Izzy … Irgendwie passte die lächerliche Situation zu ihr. Diese Frau war immer schon unvorhersehbar und voller Überraschungen gewesen.

Nate schaute den Sheriff an. Welche Rolle spielte er? War er ein Freund? Ein Geliebter? Vielleicht sogar mehr? Aber wenn sie deine Geliebte ist, möchte ich nicht in deiner Haut stecken, Alter. Denn Izzy sah immer noch ihn an und nicht den Gesetzeshüter.

Nates Beziehung mit Isabelle Lambert mochte seit fünfzehn Jahre zu Ende sein, aber er hatte immer noch das Gefühl, dass es zwischen ihnen knisterte. Und schlagartig wurde ihm klar: Seine Rückkehr nach Thunder Ridge war entweder ein schrecklicher Fehler – oder die beste Entscheidung seines Lebens.

2. KAPITEL

Chaos. In Izzys Kopf herrschte pures Chaos.

Nates Finger umklammerten ihren Oberarm, während er sie zusammen mit Derek auf die Füße stellte. Es hatte vielleicht eine Sekunde oder zehn Minuten gedauert. Aber sie spürte nur Nate … und Angst.

Seine Berührung weckte tausend Erinnerungen in ihr. All die vergangenen Jahre schrumpften auf die Dauer eines Wimpernschlags zusammen. Plötzlich lag sie wieder in seinen Armen, mit dem Rücken an seinen Truck gelehnt. Sie spürte seinen Herzschlag und die Hitze seines Körpers, roch den verführerischen Duft seiner Haut, als er sich ihr entgegendrängte und sein warmer Atem ihr Ohr streifte: „Weißt du, was mit mir passiert, wenn du so nahe bei mir bist?“ Er war der einzige Mann gewesen, der ihr das Gefühl vermittelt hatte, etwas wirklich Besonderes zu sein. Und jetzt, nach mehr als zehn Jahren, in denen ihr Körper sich in einer Art Winterschlaf befunden hatte, erwachten all diese Gefühle zu neuem Leben. Das war gar nicht gut.

Um sich wieder zu sammeln, wandte sie den Blick ab. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Selbst nach all den Jahren, in denen sie nach ihm gesucht hatte, in denen sie befürchtet hatte, ihm irgendwann, irgendwo über den Weg zu laufen, schaffte er es immer noch, sie aus der Fassung zu bringen. Denn er stand tatsächlich wieder vor ihr.

Ihr Herz begann wild zu klopfen, während sich ein Gedanke in ihrem Kopf formte: Sieh zu, dass er verschwindet!

„Schön, dich wiedergesehen zu haben, Nate. Aber jetzt muss ich wieder an die Arbeit. Das Essen geht aufs Haus.“

Izzy hielt das für eine freundliche Geste, doch Nate sah sie aus zusammengekniffenen Augen an. „Wir haben noch gar nicht gegessen.“

„Oh. Kein Problem. Dann werden wir euch ein Sandwich mitgeben.“

„Ich hätte lieber was anderes.“ Jack, der Blödmann, der Willa angegrapscht hatte, trat einen Schritt vor. „Und zwar eine Entschuldigung, weil meine Stiefel ruiniert sind. Noch besser wäre allerdings ein angemessener Schadenersatz.“

Izzy starrte den Mann an. Sie hatte gesehen, wie er ihre Angestellte befummelt hatte – eine Frau, die so verklemmt und schüchtern war, dass Izzy sich hütete, in ihrer Gegenwart einen schlüpfrigen Witz zu erzählen.

Nates Freund war ein Riese. Persönlich kannte Izzy ihn nicht, aber der Typ Mann war ihr vertraut. Ihre Mutter hatte immer solche Freunde gehabt: groß, arrogant, hohl im Kopf – und felsenfest davon überzeugt, dass andere genauso von ihnen beeindruckt waren wie sie selbst.

„Schadenersatz. Natürlich.“ Sie nickte. „Der Scheck kommt per Post.“

„Na bitte. Geht doch.“

„Das war ein Witz.“ Einen Moment lang vergaß sie, dass sie immer noch in diesem albernen Kostüm steckte, was die Wirkung ihrer Worte nicht gerade unterstrich. „Und außerdem meine ich, dass Sie sich bei Willa entschuldigen sollten.“

„Willa?“ Sofort stand Derek neben ihr. „Was ist denn passiert?“

„Nichts.“ Verlegen drehte Willa den Ring an ihrem Finger. „Es war ein Missverständnis und kommt nicht wieder vor.“

„Was kommt nicht wieder vor?“ Derek ließ nicht locker. Er war bereit für eine Auseinandersetzung, und Izzy merkte sofort, dass sie besser den Mund gehalten hätte. Derek ging nämlich keinem Streit aus dem Weg, und er war noch dickköpfiger als sie selbst.

„Die Dame hat gesagt, dass es ein Missverständnis war“, schaltete Nate sich ein. Unbeeindruckt von der Dienstmarke des Sheriffs, seiner Statur oder seiner grimmigen Miene, schlug Nate einen beschwichtigenden Tonfall an, ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass er keinen Widerspruch duldete. „Lassen wir’s dabei bewenden. Und du, Jack, entschuldigst dich bei Willa.“

Jack stand hinter seinem Freund – in sicherer Entfernung vom Sheriff. „Warum sollte ich mich entschuldigen?“

„Um dein Leben zu retten“, antwortete Nate trocken über seine Schulter hinweg, ohne Derek aus den Augen zu lassen, der ihn wütend anfunkelte.

„Wer sind Sie noch mal?“, wollte er wissen. „Und woher kennen Sie Izzy?“

Ich hätte Klebstoff statt Lippenstift verwenden sollen, sagte Izzy sich mit klopfendem Herzen. Dann wären Nate und sein Freund schon längst auf und davon.

Nates Blick fiel auf Izzy, als er Derek antwortete. „Izzy und ich sind … alte Freunde.“

Bildete sie es sich nur ein, oder hatte er tatsächlich kurz gezögert, ehe er „alte Freunde“ gesagt hatte? Neben Derek standen jetzt auch ihre Kollegen, die bei ihrem Sturz herbeigeeilt waren. Sie wollte keinesfalls deren Neugier wecken.

Daher wandte sie sich an Nate. „Lass gut sein. Ich werde ihm einen Scheck schicken.“

„Nein, das wirst du nicht tun“, konterte Nate barsch. „Er hat sich bei Willa – und bei dir – zu entschuldigen.“ Sein durchdringender Blick ließ sie erschaudern.

„Auf welcher Seite stehst du eigentlich?“, klagte Jack. „Sie hat dich auch nass gemacht.“

Nate beachtete ihn nicht. Stattdessen fixierte er weiter Izzy. „Bleib standhaft. Lass dich nicht von einem Blödmann ins Bockshorn jagen.“

„Hey!“, kam Jacks Protest von hinten.

Noch während sie Nate unverwandt anstarrte, wurde sie plötzlich wütend.

Vor fünfzehn Jahren hätte sie alles dafür gegeben, wenn Nate Thayer zu ihr gehalten hätte. Aber seine Unterstützung kam anderthalb Dekaden zu spät.

Du willst mir Ratschläge erteilen, Nate? Nein, vielen Dank. Nimm jetzt deinen Freund, und hau ab. Mehr verlange ich nicht.“ Sie war nicht mehr das verträumte Mädchen mit romantischen Flausen im Kopf. „Sofort!“ Das letzte Wort zischte sie so leise, dass nur Nate es verstanden hatte.

Beim Anblick seiner verdatterten Miene empfand sie einen leisen Triumph. Er schien etwas erwidern zu wollen, besann sich jedoch eines Besseren und behielt seine Gedanken für sich.

Entschlossen forderte Nate seinen vorlauten Freund auf: „Entschuldige dich, und dann gehen wir.“

„Ich soll mich entschuldigen? Weil ich nett war?“

„Tu es einfach.“ Nate wurde ungeduldig. „Ich bin sicher, der Sheriff würde dir am liebsten einen Tritt in den Hintern versetzen. Und wenn er es nicht tut, mache ich es. Hör auf zu labern, und entschuldige dich!“

„Na schön. Bei wem soll ich mich entschuldigen? Bei der Gurke oder bei der Kellnerin?“

„Bei beiden.“

Errötend wandte Jack sich zuerst an Willa. „Okay. Tut mir leid. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.“ Er hob die Hand, um seinen goldenen Ring zu zeigen. „Ich bin verheiratet.“ Dann sah er Izzy an. „Tut mir leid, dass ich so viel Stress wegen meiner Stiefel mache. Aber sie sind neu und …“

Nate klopfte seinem Freund auf die Schulter. „Ich denke, das reicht.“ Noch einmal schaute er Izzy an. „Schön, dich wiedergesehen zu haben, Isabelle.“

Sie nickte nur kurz. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und sie befürchtete, man könnte es durch ihr Kostüm sehen.

Nate zögerte noch einen Moment, was sie noch nervöser machte. Dann drehte er sich um und steuerte auf die Tür zu.

„Zurück an die Arbeit“, murmelte sie. Leon, der Aushilfskellner, und Oliver, der Koch, verschwanden sofort in der Küche. Willa folgte ihnen.

Ein paar Sekunden lang schaute Derek dem zierlichen Rotschopf hinterher, ehe er Izzy mit zusammengekniffenen Augen fixierte. „Du schuldest mir eine Erklärung. Wer ist dieser Typ? Du siehst nämlich aus, als wärst du einem Geist begegnet.“

„Psst.“ Mit einer Handbewegung gab Izzy ihm zu verstehen, dass er leiser reden sollte. „Ich erzähl’s dir später, versprochen. Aber …“ Sie verstummte.

Gerade als Nate und sein Freund den Ausgang erreichten, öffnete ein Teenager die Tür.

Izzy blieb das Herz stehen. Jetzt wusste sie endlich, was mit dem Begriff „blinde Panik“ gemeint war. Nervös sah sie zu, wie der Junge die Tür aufhielt. Nate hatte ihm wohl gedankt, denn er nickte lächelnd.

Auf der Straße drehte Nate sich noch einmal um. Konnte er durch das Fenster sehen, dass sie ihm immer noch hinterherschaute? Sie hatte das Gefühl, dass er ihr direkt ins Gesicht sah, ehe sein Freund etwas zu ihm sagte und die beiden aus ihrem Blickfeld verschwanden.

„Du siehst aus, als sei dir übel.“ Dereks Stimme dröhnte ihr in den Ohren. „Was, zum Teufel, ist hier eigentlich los?“

„Nicht jetzt!“ Ihr Mund war so trocken, dass sie kaum ein Wort herausbringen konnte. „Ich erzähl’s dir später …“

„Mom!“

Eli, ihr hübscher Sohn, der fast genauso groß war wie sie, die gleiche helle Haut und das gleiche braune Haar hatte, schlenderte auf sie zu. Bei seinem Anblick empfand sie immer ein tiefes Glücksgefühl. Aber heute mischte sich unter ihre Freude auch Besorgnis.

„Hallo, Onkel Derek.“ Elis Worte klangen ein wenig genuschelt, da er als Baby einen Hörschaden erlitten hatte.

„Hallo, Kumpel.“

Mit Händen und Fingern formte er die Frage: Was gibt’s zum Nachtisch?

Izzy antwortete und gestikulierte gleichzeitig. „Ihm Kühlschrank ist Käsekuchen mit Erdbeeren. Bedien dich.“

Elis blaue Augen, die die gleiche Farbe wie die seiner Mutter hatten, strahlten. „Cool.“ Grinsend begrüßte er die Kellnerin und Oliver, den Koch, mit einem „Hojo.“

Sie alle gehörten zu Izzys kleiner Familie, die sie aus ganzem Herzen liebte. Nates Rückkehr konnte alles zerstören, was sie sich aufgebaut hatte.

„Ich habe heute Abend Dienst“, verkündete Derek leise. „Aber morgen sehen wir uns. Und dann erwarte ich eine ausführliche Erklärung.“

Er hatte nie nach Elis Vater gefragt. Es gab zu viele dunkle Punkte in seiner eigenen Vergangenheit, als dass er sich auch noch mit der von Izzy beschäftigen wollte. Aber einmal, in einem schwachen Moment, hatte sie ihm von dem Sommer erzählt, als sie siebzehn gewesen war.

„Morgen?“ Derek war seit Jahren ein guter Freund, aber wäre sie am nächsten Tag bereit, ihm – oder irgendjemandem sonst – die Wahrheit zu beichten? Wohl kaum. Was sie jetzt brauchte, war Zeit – um herauszufinden, wie lange Nate in der Stadt blieb … und wie sie ihren Sohn schützen konnte, denn es ging nicht nur um sie. „Ich weiß nicht, ob ich morgen Zeit habe.“

„Warum nicht?“, wollte Derek wissen. „Freitags machst du den Laden doch immer früh zu.“

„Ja, aber ich … es gibt eine wichtige …“

„Ach, hör auf, Izzy. Du bist eine miserable Lügnerin.“

Das glaubst du. Sie nagte an der Innenseite ihrer Unterlippe.

Derek verschränkte die Arme. „Du machst mich so neugierig, dass ich gerade überlege, ob ich meine Schicht nicht tauschen soll.“

„Nein!“ Eli wollte den Abend mit ihr verbringen. „Morgen“, fügte sie beschwichtigend hinzu.

Eli kam mit einem riesigen Stück Käsetorte aus der Küche. „Das ist klasse“, sagte er und zeigte mit der Gabel auf den Teller. Er setzte ihn ab, um beide Hände frei zu haben und seiner Mutter eine Frage in Gebärdensprache zu stellen. Mom, hast du was dagegen, wenn ich bei Trey übernachte? Sein Dad will uns morgen früh nach Portland fahren.

Eli und sein Freund Trey verbrachten die Ferien im selben Sommercamp. Daher würde Izzy ihren Sohn etwa zwei Wochen lang nicht sehen.

„Ich kann euch doch fahren.“ Froh, nicht länger an Nate denken zu müssen, konzentrierte sie sich auf ihr Vorhaben. „Ich habe mir morgen extra freigenommen.“

Man konnte Eli das schlechte Gewissen förmlich ansehen. Treys Dad war Berater für ein Projekt mitten in Portland. Das möchte er uns gern zeigen.

„Ach so.“ In den vergangenen Jahren hatte Eli die Sommerferien immer in einem Camp für hörgeschädigte Jugendliche verbracht. Dieses Jahr hatte er darauf bestanden, in ein „normales“ Lager zu fahren. Sie wollte Eli, der ihrer Meinung nach das Einzige war, das ihr im Leben rundum gelungen war, diesen Wunsch nicht abschlagen, obwohl es teurer war als das Camp für Behinderte. Also hatte sie ihn angemeldet, damit er mit Trey zusammen sein konnte.

„Mit Trey und Mr. Richards zu fahren ist wahrscheinlich das Praktischste“, meinte sie daher. „Ihr habt bestimmt eine tolle Zeit. Aber ich nehme trotzdem einen freien Vormittag, um dir beim Packen zu helfen.“

Ich habe schon gepackt. Ich könnte bei Trey übernachten, damit wir morgen ganz früh losfahren können. Seine Mom hat mich zum Abendessen eingeladen.

„Ähm … ja dann … okay. Ich weiß sowieso noch nicht, was ich heute Abend machen soll.“ Wahrscheinlich hätte er sich wieder seine Riesen-Burritos gewünscht. Ich hoffe, ihr habt ganz viel Spaß.

Aye, aye, Captain. Wir sehen uns dann in vierzehn Tagen. Er schaute Derek an. Pass gut auf sie auf für mich, Onkel Derek.

Derek seufzte. Mit Händen und Worten antwortete er: „Wird gemacht, Kumpel.“

Eli trat einen Schritt auf seine Mutter zu, breitete die Arme aus und ließ sie wieder sinken. Ich weiß nicht, wie ich eine Gurke umarmen soll.

Ohne ein weiteres Wort streckte sie die Arme aus und drückte ihren Sohn fest an sich. Dabei schärfte sie ihm noch einmal ein, was er alles zu beachten hatte.

Mom, ich passe schon auf, versprochen. Ich bin vorsichtig, achte auf mein Hörgerät, damit ich es nicht verliere, denn es ist sehr teuer, und in zwei Wochen bin ich wieder hier, komplett mit allen Körperteilen. Eli drückte ihr einen Kuss auf die Wange und sagte zärtlich: „Bis bald, Captain.“

Sie würde nicht weinen. Nicht ehe er das Restaurant verlassen hatte.

Nachdem Eli und Derek sich wie zwei Männer umarmt hatten, joggte Eli hinaus auf die Straße. Erst als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, begann Izzy vernehmlich zu schniefen. Schon jetzt fühlte sie sich unendlich allein.

„Ach, nimm’s nicht so schwer, Gürkchen.“ Derek legte den Arm um sie. „Eli hat recht – es ist gar nicht so leicht, eine Gurke zu umarmen. Sie hat nämlich keine Schultern.“ Trotzdem zog er sie näher zu sich. „Wenn ich heute Abend nicht arbeiten müsste, würde ich dir Gesellschaft leisten. Dafür bringe ich morgen eine Pizza mit. Einverstanden?“

Izzy nickte tapfer.

Mit einem Teller voller Lachs ging Willa an ihnen vorbei. Derek sah ihr hinterher. „Frag sie doch endlich, ob sie mit dir ausgehen will“, flüsterte Izzy. „Jedes Mal, wenn du hier bist, starrst du dir die Augen aus dem Kopf.“

„Sie starrt aber nicht zurück.“

Izzy schüttelte den Kopf, erleichtert, dass sie sich eine Weile um die Sorgen anderer Leute kümmern konnte. „Sheriff Neel, wollen Sie mir allen Ernstes erzählen, dass ein großer starker Mann wie Sie Angst vor so einer kleinen zarten Frau hat, die noch nie ein unfreundliches Wort geäußert hat, seitdem sie hier arbeitet?“

Derek murmelte etwas Unverständliches.

„Wann hattest du das letzte Mal ein Date?“, wollte sie wissen. „Du kannst doch nicht rund um die Uhr Sheriff sein. Manchmal musst du auch in Zivil rumlaufen – und dafür brauchst du einen Grund.“

„Das sagt die Richtige!“, grollte Derek. „Wie sieht’s denn derzeit mit deinen Verabredungen aus, Gurke?“

„Toll, danke der Nachfrage“, log sie.

Sie schwiegen eine Weile. Als die Stille unangenehm wurde, ergriff Derek das Wort. „Also, wenn du morgen noch irgendwas brauchst, ruf mich an. Ich kann’s dann mitbringen.“

Izzy wusste zwar nicht, was das sein sollte, aber sie nickte. „Gut. Und jetzt muss ich wirklich wieder an die Arbeit.“

„Ich auch.“ Mit einem letzten, ganz und gar nicht unauffälligen Blick zu Willa hinüber ging er zu dem Garderobenständer neben der Tür, an den er beim Eintreten seinen Hut gehängt hatte.

Izzy seufzte. Nun gut, sie waren beide nicht besonders talentiert oder erfolgreich, was Dates anbetraf. Aber beide hatte auch viel zu tun, und mit Arbeit konnte man sich schließlich wunderbar ablenken.

Und jetzt wurde es höchste Zeit, aus diesem blöden Kostüm zu steigen!

„Wir schaffen das schon.“ Izzy ächzte und bemühte sich, auf der ansteigenden Straße nicht langsamer zu werden. Dafür musste sie kräftig in die Pedale treten. Latke, ihre geliebte Shar-Pei-Hündin, folgte ihr mühelos. „Kunststück, du hast ja auch vier Beine“, knurrte Izzy und wischte sich die Schweißtropfen aus den Augen.

Eigentlich liebte sie das Radfahren, weil sie dabei ihren Gedanken freien Lauf lassen konnte. Im Moment kreisten diese allerdings nur um ein Thema: Nate Thayers Rückkehr. Sosehr sie sich auch das Hirn zermarterte: Sie konnte sich nicht vorstellen, was passieren würde, wenn ihr Sohn erfuhr, dass sein Vater in Thunder Ridge war – und umgekehrt.

Eli hatte oft nach seinem Vater gefragt – vor allem seitdem er in die Pubertät gekommen war. Ihre Antworten waren nicht zufriedenstellend gewesen, aber wenigstens hatten sie Elis Neugier für einige Zeit befriedigt.

„Latke, ich brauche eine Pause.“ Stöhnend sprang sie vom Sattel. Die Unterarme auf den Lenker gestützt, atmete sie tief ein und aus.

„Einen Schluck Wasser gefällig?“

Izzy zuckte zusammen und schaute hoch. Nate stand vor ihr und schwenke eine Flasche mit eiskaltem Wasser vor ihrer Nase.

„Bist du unter die Radfahrer gegangen?“, fragte er grinsend.

Im Stillen verfluchte Izzy sich. Sie hatte extra eine Strecke gewählt, die aus der Stadt herausführte. „Was machst du denn hier?“ Unwirsch sah sie ihn an.

„Hm, ich glaube, an unseren Begrüßungsformeln müssen wir noch arbeiten“, erwiderte er. „Da ist Luft nach oben. Du willst doch nicht, dass ich mich hier nicht zu Hause fühle.“

„Zu Hause?“ Entgeistert schüttelte sie den Kopf. „Du willst hierbleiben?“

„Schön, dass du dich so sehr darüber freust.“ Ungerührt schraubte Nate die Flasche auf und reichte sie ihr. „Trink. Eh du einen Hitzschlag kriegst.“

„Den krieg ich schon nicht.“

Um seine Mundwinkel zuckte es. „Trink trotzdem.“

Izzy nahm ihm die Flasche aus der Hand und achtete darauf, ihn nicht zu berühren. Vor fünfzehn Jahren wäre sie über eine unerwartete Begegnung mit Nate hocherfreut gewesen. Jetzt war sie nur extrem nervös – und stinkwütend.

Sie beugte sich zu ihrer Hündin hinunter. „Hier, Schatz. Trink.“ Schlürfend versuchte das Tier, so viel Wasser wie möglich aus der Flaschenöffnung zu erhaschen.

Damals, in jenem Sommer, als sie und Nate ein Paar waren, hatte sie nie Streit mit ihm angefangen. Sie war so dankbar gewesen, dass der Highschoolschwarm ausgerechnet sie zu seiner Freundin gewählt hatte – ein Mädchen mit einer peinlichen Familie und keiner Aussicht auf eine ordentliche Zukunft. Doch nun, als ihr Hund mit dem Trinken fertig war, richtete sie sich auf und sah ihn herausfordernd an. „Latke bedankt sich.“

„Gern geschehen“, sagte er zu ihrer Hündin.

Er trug dieselben Sachen, die er bei seinem Besuch im Restaurant angehabt hatte: Jeans und ein meerblaues T-Shirt mit V-Ausschnitt, das die gleiche Farbe wie seine Augen hatte (ja, es war ihr sofort aufgefallen!). Sein Haar war immer noch dicht und glänzend. Jetzt zuckte er mit den Schultern. „Ich habe leider nur eine Flasche dabei. Komm mit in mein Zimmer. In der Minibar ist noch mehr.“

Izzy sah über seine Schultern hinweg die Straße entlang. Weiter oben entdeckte sie durch die Äste der Bäume das Dach vom Eagle’s Crest Inn. „Hast du mich von deinem Zimmer aus gesehen?“

„Ja. Es geht zur Straße hinaus. Als ich dich hier hochstrampeln sah, habe ich mir gedacht, dass du eine Erfrischung gebrauchen könntest. Offenbar möchte das Schicksal, dass sich unsere Wege noch einmal kreuzen. Du hast doch bestimmt ein bisschen Zeit für einen alten Freund?“

Da war sie wieder, diese samtige Stimme, bei deren Klang sie immer ganz schwach geworden war.

„Leider nein“, antwortete sie knapp. „Ich muss zurück ins Restaurant.“ Sie verstaute die leere Flasche in der Satteltasche ihres Fahrrads und schwang sich auf den Sattel. „Los, altes Mädchen“, forderte sie ihre Hündin auf, die es sich auf der Straße gemütlich gemacht hatte. Doch das Tier rührte sich nicht vom Fleck.

„Ich glaube, sie braucht einen Mittagsschlaf.“

„Nein. Ihr geht’s gut. Sie liebt diese Spaziergänge. Komm, Latke.“ Izzy setzte den rechten Fuß aufs Pedal, fest entschlossen, ihre Hündin an der Leine hochzuziehen und am Lenker festzubinden. Doch das war leichter gesagt als getan.

Nate umklammerte ihren Lenker.

„He, was soll …“

Er beugte sich zu ihr und schaute sie ernst an. „Wenn ich es nicht besser wüsste, Isabelle, würde ich sagen, du versuchst mir aus dem Weg zu gehen. Warum?“

„Das versuche ich überhaupt nicht. Ich habe nur viel zu tun. Bestimmt werden wir noch einen Termin finden, ehe du wieder fährst. Wann ist das noch mal genau?“

„Ich habe nichts dergleichen gesagt.“

„Wie auch immer – wir werden uns bestimmt noch mal begegnen. Und jetzt, da ich weiß, wo du wohnst …“ Sie versuchte, sich von ihm zu lösen, aber er hielt ihren Lenker weiter fest umklammert.

„Wirst du dich bei mir melden?“ Seine Stimme klang ruhig, aber bestimmt. „Soll ich auf einen Anruf warten? Wie beim letzten Mal?“

„Beim letzten Mal?“ Seine Frage traf sie wie ein Fausthieb in den Magen. „Was meinst du damit?“

„Als ich nach Chicago gegangen bin, haben wir ausgemacht, dass wir jede Woche telefonieren. Aber plötzlich warst du verschwunden – ohne Vorwarnung, ohne eine Adresse zu hinterlassen.“

Izzy wurde zornig. „Ohne Vorwarnung? Ja, du hast recht. Ich hätte dir alles über meine Pläne erzählen sollen. Zehn Minuten pro Woche waren allerdings nicht viel. Ich hätte schneller reden müssen.“

„Ich kann dir nicht folgen.“

„Wirklich nicht? Jeden Sonntag von fünf bis zehn nach fünf“, erinnerte sie ihn. „Nate Thayers obligatorischer Anruf bei dem Mädchen aus Oregon, dem er ein Kind angedreht hat. Sehr anständig, diese Telefonate, aber du musst zugeben, dass sie einem nicht viel Zeit ließen für intensivere Gespräche.“

Wie vom Donner gerührt stand Nate da, und Izzy nutzte den Moment, um seine Hände vom Lenker zu lösen. Doch er wich keinen Zentimeter zur Seite. „Das glaubst du also? Dass ich nur meine Verpflichtungen erfüllt habe?“

„Genau das hast du doch getan, Nate.“ Jetzt kochte sie vor Wut. „Das ist eine alte Geschichte, wir sollten sie nicht mehr aufwärmen. Als ich schwanger war, hast du Angst gehabt, dein Studium nicht durchziehen zu können. Deshalb haben deine Eltern und du eine richtig tolle Lösung vorgeschlagen: Das Baby wird zur Adoption freigegeben, und du rufst einmal pro Woche bei dem schwangeren Mädchen an, um dich zu vergewissern, dass sie keine Dummheiten macht. Vollkommen logisch. Ehrlich gesagt, wenn ich ein Stipendium für eine große Uni gehabt hätte und Eltern, die schon den Bilderrahmen fürs Abschlusszeugnis in der Schublade verwahren, hätte ich wahrscheinlich genauso gehandelt.“

„Du hast selbst gesagt, dass eine Adoption die beste Lösung ist.“

„Ich war siebzehn, schwanger und am Ende. Da lässt du dich nicht auf lange Diskussionen ein.“

Nate zog die Augenbrauen zusammen. „Willst du damit sagen, dass du das Baby nicht zur Adoption freigeben wolltest?“

Ihre Gedanken kreisten immer schneller, so als wäre in ihrem Kopf etwas außer Kontrolle geraten.

„Du warst mit mir einer Meinung, dass wir beide zu jung waren, um gute Eltern zu sein“, erinnerte er sie. „Aber ich möchte darüber nicht auf der Straße mit dir diskutieren. Warum kommst du nicht mit mir …“

„Ich möchte überhaupt nicht darüber diskutieren“, schnitt sie ihm das Wort ab. „Ich muss los.“ Doch Nate wich keinen Schritt zur Seite.

Izzys Augen begannen verräterisch zu brennen. Heul jetzt bloß nicht los. Nicht nach all den Jahren, befahl sie sich. Plötzlich erinnerte sie sich an den einen Moment, als Nate nicht logisch und vernünftig gewesen war und nicht andauernd wiederholt hatte, dass sie zu jung und finanziell nicht in der Lage wären, ein Kind großzuziehen. In diesem Moment, kurz bevor er aufs College gegangen war, hatte er genau wie jetzt die Augenbrauen zusammengezogen und nicht an die Probleme gedacht, als er fragte: „Was glaubst du – ist es ein Junge oder ein Mädchen?“

In diesem Moment waren sie sich vorgekommen wie Eltern und nicht wie zwei Kinder, die einen gewaltigen Fehler gemacht hatten.

Sie schluckte hart.

„Weißt du, woran ich mich erinnere, Nate? An das, was deine Mutter und dein Vater gesagt haben – dass bei unserer Beziehung der gesunde Menschenverstand ausgesetzt hat. Und dass wir verrückt wären, unsere Zukunft einfach wegzuwerfen.“ Sie hatten natürlich die Zukunft ihres Sohnes gemeint. Es gab damals nicht viele Leute, die auch nur einen Cent auf Izzys Zukunft verwettet hätten. „Wir sollten uns gegenseitig keine Vorwürfe machen. Es wäre vielleicht anders gelaufen, wenn wir uns geliebt hätten, nicht wahr? Aber wir waren ja noch Kinder.“ Ihr trauriges Lächeln versetzte ihm einen Stich ins Herz. „Du kannst von Glück sagen, dass du Eltern hattest, die sich um dich gekümmert haben.“

„Izzy …“

„Ich muss jetzt wirklich gehen.“

Mit dem Absatz ihres rechten Schuhs trat sie gegen den Ständer, kletterte auf den Sattel und fuhr los. Latke setzte sich auf und rannte hinter ihr her. Stumm schaute Nate ihr nach.

Tränen strömten ihr übers Gesicht, während sie die abschüssige Straße hinunterrollte. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte sie keinem etwas über ihr Privatleben anvertraut, und auch als Teenager war sie sehr zurückhaltend gewesen. Das hatte dazu geführt, dass sie kaum Freunde hatte und schließlich zur Einzelgängerin wurde. Auch Nate Thayer hatte sie nicht viel von sich preisgegeben. Aber sie hatte sich Hals über Kopf in den Schwarm aller Schulmädchen verliebt – und war prompt schwanger geworden.

Das war allerdings nicht ihr größter Fehler gewesen. Ihr größter Fehler war, zu glauben, dass Nate sie ebenfalls liebte, dass er seine Meinung über das Kind ändern würde und dass sie bis zu ihrem Lebensende zusammenblieben. Außerdem hatte sie geglaubt, dass alle Träume wahr würden, wenn man nur stark genug liebte. Und das war der zweite große Fehler gewesen.

3. KAPITEL

Eli war sieben gewesen, als Izzy mit ihm in das Cottage gezogen war, in dem sie immer noch lebte. Damals war es kaum mehr als ein baufälliger Schuppen gewesen, aber mehr hatte sie sich nicht leisten können. Selbst für den Erwerb der Hütte hatte sie Henry um ein Darlehen bitten müssen, das sie bis auf den letzten Cent zurückgezahlt hatte. Und aus dem Haus hatte sie nach und nach ein gemütliches Heim gemacht. Sie hatte die Wände gestrichen, die Fußböden renoviert und das Dach reparieren lassen. Im Garten wuchsen Obst und Gemüse und Blumen, die von Frühjahr bis Herbst für ein prächtiges Farbenmeer sorgten.

Jedes Mal, wenn sie nach Hause kam, ging ihr das Herz auf, und sie atmete tief durch.

Heute jedoch war alles ganz anders. Vom Weinen brannten ihr die Augen, das Herz war ihr schwer, und in ihrem Magen hatte sie einen Kloß, als sie ihr Fahrrad neben dem Eingangstor abstellte. Sie ließ Latke von der Leine, füllte eine Schale mit frischem Wasser, goss sich einen Eistee ein und ließ sich erschöpft auf ihren Sitzsack fallen. Ihre Hände zitterten immer noch, und die Erinnerungen ließen sie nicht los. Einige von ihnen waren durchaus angenehm, und sie hing ihnen mit einem bittersüßen Gefühl nach. Andere waren weniger schön, und eine war so schrecklich, dass es ihr immer noch den Atem nahm, wenn sie daran dachte. Es war die Erinnerung an den Tag, als sie akzeptieren musste, dass ihr Freund sie niemals so sehr lieben würde wie sie ihn. Und als ihr klar wurde, dass sie lieber allein bleiben wollte, als sich auf eine andere Beziehung einzulassen, von der sie von vornherein wusste, dass sie sie niemals glücklich machen würde …

Fünfzehn Jahre zuvor …

Nate fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Dann ließ er den Kopf hängen, stützte die Ellenbogen auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen. „Verdammt.“

Izzy zuckte zusammen. Galt der Fluch etwa ihr? Der Neuigkeit, die sie ihm gerade verkündet hatte? Wahrscheinlich meinte er beides. Was ihr den größten Schmerz bereitete, war die Tatsache, dass der Sommer, der der schönste ihres Lebens werden sollte, nun drohte, zum Albtraum zu mutieren. „Es tut mir leid.“

Was für eine dumme Reaktion! Warum hatte sie sich überhaupt entschuldigt? Für was? Schließlich war es nicht allein ihre Schuld …

Vor einer Woche war sie sich mit siebzehn so reif und erwachsen vorgekommen. Doch nun, als sie neben Nate auf der Bank im Washington Park von Portland saß, fühlte sie sich wie ein kleines Mädchen, das sich vor dem Unbekannten fürchtete.

„Und du bist dir hundertprozentig sicher?“, wollte Nate wissen. Seine Stimme, die für sie immer so beruhigend und freundlich geklungen hatte, war auf einmal ganz rau und abweisend.

Izzy nickte. Sie war sich hundertprozentig sicher – nach vier positiven Schwangerschaftstests, die sie sich im Drugstore besorgt hatte. „Ich bin schwanger“, bestätigte sie. Wenn sie es laut aussprach, klang es sehr seltsam.

„Wie denn?“ Nate hob den Kopf und betrachtete den Abendhimmel, anstatt sie anzuschauen.

Wie denn? Das war doch wohl klar! Seit Mai hatten sie regelmäßig Sex. Seit vier Monaten wartete er praktisch jeden Abend auf sie, bis sie ihre Arbeit im Restaurant beendet hatte, und dann fuhren sie in seinem alten Toyota weg.

„Ich meine, wir haben doch Kondome benutzt.“ Nate kam immer noch nicht klar mit der Neuigkeit. „Jedes Mal.“

Das waren nicht gerade Worte des Trostes und der Solidarität, auf die sie gehofft hatte.

Mach dir nichts draus, Izzy. Er ist schockiert.

Nate, ein Jahr älter als sie und gerade mit der Highschool fertig geworden, hatte große Pläne für sein Leben – genau wie sie. Teenagereltern zu werden gehörte nicht dazu.

„Nicht jedes Mal“, widersprach sie.

„Was?“

„Kondome. Wir haben sie nicht immer benutzt. Nicht am vierten Juli.“

„Am vierten …? Doch, wir …“ Er unterbrach sich und stieß einen Fluch aus.

Am Unabhängigkeitstag hatten sie sich in seinem Truck geliebt. Sie waren zu dem Urlaubscamp gefahren, in dem er während der Sommerferien arbeitete, und hatten an einem kleinen See geparkt. Die Lichter aus der Ferne hatten sein schönes und ernstes Gesicht beschienen, und sie hatte ihm über die Wange gestreichelt. „Mit dir fühle ich mich an jedem Ort der Erde wohl.“

Seine Worte hatten ihren Körper in Flammen gesetzt.

„Bist du sicher, dass es von mir ist?“

Seine Frage war wie ein Dolchstoß mitten ins Herz. Entgeistert schaute sie ihn an. In seinen Augen lag ein Ausdruck von brutaler Ehrlichkeit, sodass ihr fast der Atem stockte. Er hoffte, dass ein anderer Junge der Vater des Babys war.

Plötzlich wurde der Duft von verblühenden Rosen unerträglich intensiv. Izzy rannte hinter die Büsche und übergab sich.

Während ihr Magen sich entleerte, erinnerte sie sich an die Bemerkung ihrer Mutter. „Du bist mit diesem scharfen Typen zusammen? Wenn du clever bist, lässt du dir ein Kind von ihm andrehen. Und überredest ihn anschließend dazu, dass er sich um dich kümmert.“ Dabei hatte Felicia ihre Dose Bier in die Höhe gehoben, um ihre Worte zu bekräftigen. „Das wird zwar nicht von Dauer sein, aber es ist besser als nichts.“

Auf dem Weg nach draußen – ja, sie wollte sich mit Nate treffen – hatte Izzy sich noch einmal zu der Frau umgedreht, die sie großgezogen hatte, und ihr einen wütenden Blick zugeworfen. „Das würde ich niemals tun. Ich bin nicht so wie du.“

Felicia war in schallendes Gelächter ausgebrochen. Fast wäre ihr dabei die Zigarette aus dem Mund gefallen. „Ach Schätzchen, du bist genau wie ich. Der einzige Unterschied besteht darin, dass du es für cooler hältst, dich umsonst herzugeben.“ Izzy knallte die Tür ins Schloss, aber Felicias letzten Satz bekam sie doch noch mit: „Verlass dich drauf – du wirst genauso enden wie ich.“

Izzy hatte gar nicht gemerkt, dass Nate ihr nachgelaufen war, ihr die Haare aus dem Gesicht gestrichen und sie bei der Schulter gepackt hatte, während sie vornübergebeugt auf dem Boden kniete.

„Ich will deine Hilfe nicht.“ Sie schüttelte seine Hand ab, und Nate wich überrascht zurück.

Natürlich war er überrascht. Bis zu diesem Moment war sie immer nett und kompromissbereit gewesen. Sie war so glücklich und dankbar gewesen, mit ihm zusammen zu sein.

„Hey!“ Er griff nach ihrem Arm, als sie versuchte, allein hochzukommen. „Entspann dich. Sonst musst du noch mal kotzen. Entspann dich einfach.“

„Entspannen?“ Meinte er das ernst? „Gute Idee. Vielleicht melde ich mich für einen Yogakurs für Schwangere an. Der wird bestimmt fürs letzte Schuljahr angeboten.“

Mit beiden Händen rieb Nate sich übers Gesicht. „Okay, es war idiotisch von mir, dich das zu fragen. Tut mir leid. Ich … ich weiß nicht, was ich machen soll. Bisher hat mir noch keine gesagt, dass sie schwanger ist.“

„Da sind wir ja schon zu zweit. Ich hab’s nämlich auch noch nie gesagt.“

Trotz ihres Widerstands legte er den Arm um ihre Hüfte und führte sie zurück zur Bank. Mit einer Serviette, die er aus dem Picknickkorb holte, wischte er ihr über die Stirn. Seine Berührung und seine Hilfe waren für sie eine süße Qual. Ihr ganzes Leben lang hatte sie sich auf sich selbst verlassen müssen und nicht mehr daran geglaubt, jemanden zu finden, an dessen Schulter sie sich lehnen konnte – bis sie Nate kennenlernte. Jetzt ließ er sich auf die Bank fallen, ohne sie, Izzy, zu berühren, und es fiel ihr schwer, nicht näher an ihn heranzurücken.

Er legte den Kopf in den Nacken und schaute in den Himmel, als ob er dort eine Antwort zu finden hoffte. „In zwei Wochen soll ich mit dem College anfangen“, sagte er.

„Ich weiß.“ Er hatte es ihr gleich zu Beginn ihrer Freundschaft erzählt, doch irgendwann hatte sie zu hoffen begonnen, dass er … Ach, egal.

Bloß keine Panik. Das nützt überhaupt nichts.

„Ich muss es meinen Eltern sagen.“ Es klang, als müsste er ihnen erzählen, dass er bald sterben würde.

„Vielleicht unterstützen sie uns.“

Nates Lachen verriet ihr, dass ihre Hoffnung vergeblich war. „Izzy, mein Vater arbeitet zwölf Stunden lang auf einem Bauernhof und am Wochenende als Handwerker, um mir das Studium finanzieren zu können. Meine Mutter hat Hotelzimmer geputzt, damit ich Sportkurse besuchen konnte. Sie hat gehofft, dass ich damit leichter ein Stipendium kriege. Glaubst du, die fallen mir vor Freude um den Hals, wenn sie das hören?“

„Schrei mich nicht an. Ich bin nicht von allein schwanger geworden.“

„Das weiß ich.“ Erregt sprang er auf. „Ich will damit nur sagen, dass das alles ändert. Nicht nur für uns. Auch für andere Menschen.“

„Ich kann mir einen Vollzeitjob besorgen.“ Sie klang verzweifelt. „Ich kann arbeiten, während du aufs College gehst …“

„Du kannst nicht drei Leute ernähren.“

„Du hast doch gesagt, dass du neben dem Studium arbeiten willst.“

Er nickte. „Ich brauche das Geld für Bücher und Kurse.“ Ratlos fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. „Wenn ich Glück habe, bleibt gerade noch was zum Leben übrig.“

„Ich kann für mich selber sorgen. Das mache ich schließlich schon lange. Ich erwarte nicht von dir, dass …“

„Izzy! Wer soll denn auf das Baby aufpassen, wenn du arbeitest und ich studiere? Ich gehe nach Chicago! Wir wären zweitausend Meilen weit entfernt von allen, die wir kennen. Nein!“, sagte er entschieden, als sie etwas erwidern wollte.

Izzys Herz wurde schwer wie Blei. Die abendliche Skyline von Portland verschwamm vor ihren Augen. Keine Tränen! Jetzt bloß keine Tränen!

Sie lebten nicht in dieser pulsierenden Metropole, sondern in einer Kleinstadt, die dreieinhalb Stunden entfernt war. Sie waren nach Portland gefahren, um ein Gefühl für das Leben zu bekommen, das sie irgendwann führen würden.

Er wollte Wolkenkratzer bauen.

Und sie wollte die Erste in ihrer Familie sein, die einen Highschoolabschluss machte und aufs College ging.

Plötzlich hatte Izzy das Gefühl, dass sämtliche Kräfte sie verließen und sie von der Bank rutschen könnte. Sie straffte das Rückgrat und saß kerzengrade neben ihm – ohne dass ihre Körper sich berührten. Die Abendluft war schwül und drückend und unangenehm.

Nate war der Erste, der das Schweigen nicht länger ertrug. „Wir kriegen das schon irgendwie hin. Ich werde mit meinen Eltern reden. Es muss eine Lösung geben … wir schaffen das.“ Nates große Hand mit den schönen langen Fingern umklammerte ihre Hände, die sie im Schoß vergraben hatte. Izzy wagte einen Blick aus den Augenwinkeln, doch er starrte zu Boden.

Die Wärme, die sie immer spürte, wenn er sie berührte, blieb dieses Mal aus.

Nicht ein einziges Mal in den vier Monaten hatte Nate zu ihr gesagt: Ich liebe dich. Sie hatte sich eingeredet, die Worte nicht hören zu müssen, um zu glauben, dass er es tat.

Wie dumm von mir! Wie konnte ein Mädchen wie sie wissen, was Liebe ist?

Jetzt, ohne die rosarote Brille, wurde die Wahrheit schmerzhaft deutlich. Obwohl sie nur wenige Zentimeter von Nate trennten, obwohl er ihr versichert hatte, dass sie gemeinsam eine Lösung finden würden, hatte sie das Gefühl, dass sein Herz zu Stein erstarrt war.

„Schön, dass du uns mal wieder besuchen kommst.“ Herzlich umarmte Izzy ihren Chef Henry. „Wie war dein Urlaub?“

„Fantastisch.“

„Das sieht man. Du siehst blendend aus.“

Henry hielt sie auf Armeslänge entfernt und musterte sie prüfend. „Im Gegensatz zu dir, wenn ich so uncharmant sein darf. Was bringt dich um deinen Schlaf?“

„Wie kommst du darauf, dass ich nicht geschlafen habe?“

„Deine Augen verraten es mir. Lässt das Geschäft dich nicht zur Ruhe kommen, Izzy?“

Sie winkte ab. „Wenn’s nur das Geschäft wäre.“ In ihrem Leben gab es bloß einen Menschen, dem sie alles anvertraute, und das war der schlanke, grauhaarige Mann, der sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch in ihrem kleinen Büro setzte, während Izzy sich in den Sessel auf der anderen Seite fallen ließ. „Nate Thayer“, erklärte sie. „Er ist in Thunder Ridge. Gestern war er hier im Lokal. Er hat Eli gesehen.“

Was Henry besonders auszeichnete, war seine Gelassenheit. Und seine Erfahrung. Seine klugen Ratschläge schätzte Izzy über alles. „Weiß er Bescheid?“

„Nein. Er hat Eli nicht erkannt. Eli weiß natürlich auch nichts. Er hat Nate die Tür geöffnet. Sie haben sich angelächelt.“

„Aber du hast mit Nate gesprochen?“

„Ja. Ich hatte dieses alberne Gurkenkostüm an und bin hingefallen – ach, egal.“ Sie drückte die Finger an die Schläfen. „Es war jedenfalls eine ziemlich blöde Situation.“

Henry faltete die Hände und legte sie in den Schoß. „Ich habe damit gerechnet, dass er eines Tages zurückkommen würde.“

„Er hat sich eben Zeit gelassen. Ich beklage mich auch nicht darüber. Aber ich wünschte, er wäre nicht zurückgekommen. Ich wünschte, ich hätte mir erst wieder Gedanken um Nate Thayer machen müssen, wenn Eli erwachsen ist.“

„Ist er gekommen, um irgendetwas zu erfahren?“

„Keine Ahnung. Bis jetzt hat er noch keine Fragen gestellt. Aber es geht ihn auch gar nichts an.“ Verwundert sah Henry sie an. „Gar nichts“, wiederholte sie, ehe Henry etwas erwidern konnte – zum Beispiel, dass auch Väter Rechte hatten – selbst die, die sich um ihre Kinder zunächst nicht kümmern wollten.

„Nate und seine Eltern wollten, dass ich unser Baby zur Adoption freigebe. Er wollte warten, bis Eli achtzehn ist, ehe er ihn zum ersten Mal sehen würde. Also kann er ruhig noch ein bisschen warten.“

„Du hast Angst.“ Henry nickte. „Das ist verständlich. Aber du redest so, weil du dich vor der Wahrheit fürchtest.“

„Das kannst du laut sagen.“ Izzy stand auf. Das winzige Büro bot nicht viel Platz, um hin und her zu tigern. Daher lief sie nur im Kreis. „Du weißt doch noch, wie Eli vor ein paar Jahren drauf war. Sein Selbstwertgefühl war am Boden. Er hasste alles an sich – inklusive der Tatsache, dass er einen Vater hatte, der nichts von ihm wissen wollte.“ So direkt hatte sie ihm das natürlich nicht erzählt – aber was hätte sie sagen können, außer dass er in Tunesien lebte oder schon tot sei? Eli wusste nur, dass Izzy und er als Teenager zusammen gewesen waren, dass er in so jungen Jahren noch nicht bereit war, Vater zu werden, und mittlerweile weit weggezogen war. Eli hatte nie nach seinem Namen gefragt – aus Selbstschutz vielleicht oder weil er so wenig Persönliches wie möglich wissen wollte. Einmal hatte er von seinem Vater als „dem Typen mit dem Y-Chromosom“ gesprochen. Danach hatte er ihn nie wieder erwähnt.

„Er ist jetzt auf dem richtigen Weg“, fuhr Izzy empathisch fort. „Er ist ein guter Schüler, hat Verantwortungsbewusstsein und ist kreativ. Er ist glücklich. Ich will, dass er sich weiterhin gut fühlt. Ich werde Nate nicht erlauben, einfach so hier aufzukreuzen und das Leben meines Sohnes durcheinanderzuwirbeln.“

Henrys braune Augen hinter seiner Brille musterten sie aufmerksam. „Stimmt, Eli ist auf dem richtigen Weg. Aber die Umstände haben sich geändert. Er war auch wütend, weil er taub war in einer Welt voller Wörter und Geräusche. Seitdem er das Cochlea-Implantat hat, ist alles viel besser geworden.“

„Ja. Seit er hören kann, grübelt er nicht ständig darüber nach, was ihm fehlt. Er redet gar nicht mehr davon, dass er keinen Vater hat. Es macht ihn nicht länger unglücklich. Er hat dich, Sam und Derek. Und er weiß, dass ihr ihn liebt.“

„Und daran wird sich auch nichts ändern. Aber das bedeutet nicht, dass er aufhört, sich Fragen zu stellen, mein Schatz.“

„Natürlich nicht. Das meine ich auch nicht. Ich habe sein Bedürfnis nach einem Vater nie unterschätzt. Das weißt du doch. Aber inzwischen konzentriert er sich auf das, was er hat, und nicht auf das, was ihm fehlt.“

Henry nahm seine Brille ab und begann, die Gläser mit dem Saum seines Hemds zu putzen.

„Nate und seine Eltern glauben bis heute, dass ich ihn zur Adoption freigegeben habe“, fuhr sie leise fort. „Nate hat sich nie mehr nach ihm erkundigt. Wahrscheinlich ist er aus einem ganz anderen Grund zurückgekommen. Falls er die Wahrheit herausfindet und immer noch keine Lust hat, Eli kennenzulernen und sein Vater zu sein …“ Sie verstummte. Die Aussicht war zu schrecklich, um laut darüber zu reden.

„Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als du mir erzählt hast, du wolltest weg aus Thunder Ridge und dein Kind woanders bekommen“, sagte Henry. „Ich wollte dich nicht gehen lassen. Der Gedanke, dass du irgendwo in einer Stadt ganz allein auf dich gestellt bist …“ Er schüttelte den Kopf. „Du warst doch noch so jung.“

„Na ja, allein war ich nicht. Ich hatte doch Joanne.“

Joanne war eine Freundin von Henry und seiner verstorbenen Frau, die in Portland wohnte. Nachdem Henry ihr Izzys Fall geschildert hatte, war sie sofort bereit, den Teenager bei sich aufzunehmen und sich um Izzy und ihr Baby zu kümmern. Und während Joanne auf den Säugling aufpasste, konnte Izzy in Portland die Schule beenden. Erst drei Jahre später war sie mit Eli nach Thunder Ridge zurückgekehrt.

„Ich bin Joanne noch immer dankbar“, fuhr Izzy fort.

„Sie dir auch“, entgegnete Henry. Als er die Stirn runzelte, fragte Izzy sich, was wohl als Nächstes kommen würde. „Nate hat aber angerufen, nachdem du nach Portland gezogen bist“, erinnerte er sie. „Er klang besorgt. Er wollte dich unbedingt sprechen. Ich habe mich oft gefragt, was wohl passiert wäre, wenn du ihm erzählt hättest, dass du dich anders entschlossen hast.“

„Nichts.“ Izzys Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. „Jedenfalls nichts Gutes. Er hatte seine Entscheidung schon getroffen. Wenn du ihm erzählt hättest, dass ich das Baby behalte, hätte er wahrscheinlich seine Eltern gebeten, noch einmal mit mir zu reden, um mich davon abzubringen. Aber ich hatte auch so schon genug Stress.“ Sie überlegte kurz. „Nein, es war gut, seine Eltern in dem Glauben zu lassen, ich würde genau das tun, was sie mir geraten haben. Sonst hätte es bloß noch mehr Aufregung und Ärger gegeben.“

Einen Moment lang schien es, als wollte Henry mit ihr darüber diskutieren, aber dann überlegte er es sich anders. Denn auch er wusste genau, dass Nates Eltern viel zu viel für ihren Sohn geopfert hatten, um auch nur einen Zentimeter von ihrem Ziel abzuweichen. Und ihr Ziel war es, dem Jungen eine goldene Zukunft zu bieten.

„Eli ist jetzt zwei Wochen im Sommercamp“, erklärte Izzy. „Ich weiß nicht, wie lange Nate hier bleiben will, aber er hat kein Recht, etwas über Eli zu erfahren und ihn möglicherweise ins Unglück zu stürzen.“ Mit jedem ihrer Worte fühlte sie sich ein bisschen stärker. „Bis jetzt sind wir doch ganz gut damit gefahren, keine Fragen zu stellen und keine Antworten zu geben. Eli hat mich. Er hat dich, Sam und Derek und alle Kollegen im Lokal. Wenn er achtzehn ist, kann er seinen Vater immer noch suchen – wenn er denn will. Das ist sein gutes Recht. Bis dahin muss ich ihn schützen.“ Das war all die Jahre ihr wichtigstes Anliegen gewesen. „Die Thayers waren immer perfektionistisch – sie wollten einen Sohn mit Hochschulabschluss, einem ordentlichen Gehalt und einer vollkommenen Familie. Eli und ich würden da niemals reinpassen.“

Henry schüttelte den Kopf. „Du redest davon, was seine Eltern wollten. Aber was hat Nate gewollt, Liebes?“

„Nate wollte das Leben, das er geplant hatte, bevor wir uns kennengelernt haben.“ Sie zuckte mit den Schultern. Der Schmerz, den sie damals darüber empfunden hatte, war längst Vergangenheit. „Wir waren einfach zu jung. Irgendwo hatten die Thayers ja auch recht. In Gedanken war Nate schon auf dem College; er wollte nur eine unverbindliche Sommerromanze. Und ich war ein verzweifelter Teenager auf der Suche nach Liebe.“

„Du urteilst zu hart über dich.“

„Vielleicht.“

Sie setzte sich wieder hinter den Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Eigentlich konnte sie doch ganz zufrieden mit ihrem Leben sein. Sie hatte einen guten Job, nette Kollegen und vor allem einen fantastischen Sohn. Kein Grund zum Jammern also und höchste Zeit, sich auf ihren Job zu konzentrieren.

„Ich möchte dir ein paar Werbeideen zeigen.“

Kurz darauf unterhielten sie sich über neue Strategien, wie The Pickle Jar noch bekannter gemacht werden konnte – nicht nur bei den Bewohnern von Thunder Ridge, sondern auch bei Touristen, die sich nur kurz in der Stadt aufhielten. Während sie Henry für ihre Ideen begeisterte, dachte sie nicht mehr an Nate Thayer.

Jedenfalls fürs Erste.

Autor

Wendy Warren
Wendy lebt mit ihrem Ehemann in der Nähe der Pazifikküste. Ihr Haus liegt nordwestlich des schönen Willamette-Flusses inmitten einer Idylle aus gigantischen Ulmen, alten Buchläden mit einladenden Sesseln und einem großartigen Theater. Ursprünglich gehörte das Haus einer Frau namens Cinderella, die einen wunderbaren Garten mit Tausenden Blumen hinterließ. Wendy und...
Mehr erfahren