Die McCaffertys - 3-teilige Serie

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NUR FÜR EINE MONDNACHT
Nur der silbern leuchtende Mond schaut zu, als Nicole und Thorne am Flussufer ihrer zärtlichen Leidenschaft füreinander nachgeben. Siebzehn Jahre haben sie einander nicht gesehen, doch die alte Anziehungskraft zwischen ihnen ist sofort wieder aufgeflammt. Aber in siebzehn Jahren hat sich viel geändert: Thorne McCafferty hat sich in einen eiskalten Geschäftsmann und Millionär verwandelt, für den feste Bindungen ein Fremdwort sind. Nicole dagegen trägt die Verantwortung für zwei süße Töchter - und das schließt eine Affäre aus. Egal was ihr Herz sagt ...

GLAUB AN MEINE LIEBE, KELLY
Keine Frau hat Matt McCafferty jemals viel bedeutet. Jedenfalls bis er sich daran macht, einen mysteriösen Unfall aufzuklären. Denn dabei sieht er sich plötzlich Detective Kelly Dillinger gegenüber, die mit dem Fall betraut ist: Von der aufregend abweisenden Frau fühlt er sich magisch angezogen. Doch sie macht ihm unmissverständlich klar, dass die Polizei sich nicht ins Handwerk pfuschen lässt. Schon gar nicht von einem arroganten Playboy wie ihm! Matt muss Kelly davon überzeugen, dass er sie ernst nimmt: als Frau, als Polizistin - und als die Liebe seines Lebens ...

VERRÄTERISCH KLOPFENDES HERZ
Alles in Montana erinnert Janine wieder an den schönsten - und schwersten - Sommer ihrer Jugend: an die wunderbare Zeit bei der geliebten Großmutter, die stürmische erste Liebe mit dem wilden Slade McCafferty ... und deren jähes Ende, das ihr das Herz brach. Nun steht Janine erneut Slade gegenüber. Ein Blick, eine Berührung von ihm, und sie fühlt sich wieder wie als junges Mädchen. Dabei ist sie doch eine erfolgreiche, selbstbewusste Rechtsanwältin! Eines zumindest weiß sie genau: Verlieben darf sie sich in Slade nie wieder. Eine zweite Enttäuschung könnte sie nicht ertragen ...


  • Erscheinungstag 21.12.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733735289
  • Seitenanzahl 480
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Lisa Jackson

Die McCaffertys - 3-teilige Serie

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IMPRESSUM

BIANCA erscheint 14-täglich im CORA Verlag GmbH & Co. KG,

20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1

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Geschäftsführung:

Thomas Beckmann

Redaktionsleitung:

Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)

Cheflektorat:

Ilse Bröhl

Lektorat/Textredaktion:

Sabine Schlimm

Produktion:

Christel Borges, Bettina Schult

Grafik:

Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,

Marina Grothues (Foto)

Vertrieb:

asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg

Telefon 040/347-27013

Anzeigen:

Miran Bilic

 

Es gilt die aktuelle Anzeigenpreisliste.

© 2000 by Susan Crose

Originaltitel: „The McCaffertys: Thorne“

erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto

in der Reihe: ROMANCE

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: BIANCA

Band 1646 (22/1) 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Übersetzung: Dagmar Heuer

Fotos: Masterfile

Veröffentlicht im ePub Format in 09/2009 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

ISBN: 978-3-942031-04-2

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

BIANCA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Satz und Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

Aus Liebe zur Umwelt: Für CORA-Romanhefte wird ausschließlich 100% umweltfreundliches Papier mit einem hohen Anteil Altpapier verwendet.

Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYLADY, MYSTERY,

TIFFANY LIEBEN & LACHEN, TIFFANY HOT & SEXY

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Lisa Jackson

Nur für eine Mondnacht

PROLOG

Im letzten Sommer

„Offen gesagt, mein Sohn, habe ich eine Bitte an dich“, erklärte John Randall McCafferty von seinem Rollstuhl aus. Er hatte Thorne gebeten, ihn nahe an den Zaun zu schieben, der ein Stück vom Haupthaus der Ranch entfernt lag.

„Ich mag gar nicht fragen, um was es geht“, bemerkte Thorne.

„Es ist ganz einfach. Ich wünsche mir, dass du heiratest. Du bist neununddreißig, Matt ist siebenunddreißig und Slade – nun, er ist noch ein Junge, aber immerhin sechsunddreißig. Niemand von euch ist verheiratet, und ich habe kein einziges Enkelkind – jedenfalls nicht eines, von dem ich wüsste.“ Er runzelte die Stirn. „Selbst eure Schwester ist noch nicht sesshaft geworden.“

„Randi ist erst sechsundzwanzig.“

„Höchste Zeit“, sagte John Randall McCafferty. Er war zwar nur noch ein Schatten seiner selbst, umklammerte aber so fest die Armlehnen seines Rollstuhls, dass seine Knöchel kreideweiß durch die Haut schimmerten. Ein alter Afghanenteppich bedeckte seine Beine, obwohl das Thermometer an der Nordseite der Scheune fast siebenundzwanzig Grad anzeigte. Auf seinem Schoß lag ein Gehstock. John Randall war er verhasst, weil er ihm immer wieder vor Augen führte, wie sehr sich sein Gesundheitszustand verschlechtert hatte.

„Ich meine es ernst, mein Sohn. Ich möchte nicht, dass die McCaffertys mit euch drei Jungs aussterben.“

„Was für eine veraltete Denkweise.“ Thorne würde sich nicht unter Druck setzen lassen. Weder von seinem Vater noch von irgendjemand anders.

„Und wenn schon. Verdammt, Thorne, falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, mir bleibt nicht mehr viel Zeit auf dieser Welt!“ John Randall schob den Stock von seinem Schoß und stieß ihn mit Nachdruck in die Erde. Sein alter Jagdhund Harold, der auf der Veranda lag, gab ein verstimmtes Bellen von sich.

„Ich verstehe dich nicht“, ereiferte er sich. „Das hier könnte alles dir gehören, Junge. Alles.“ Er beschrieb mit seinem Stock einen weiten Bogen, und Thornes Blick folgte der Bewegung.

Auf einer Weide sprangen dünnbeinige Fohlen herum, nahe dem ausgetrockneten Flussbett wanderte eine Herde rotbrauner, schwarzer und brauner Rinder träge umher. Die Farbe der Scheune war abgeblättert, die Fenster der Ställe mussten erneuert werden. Der ganze verdammte Ort sah aus, als wäre er von der gleichen zehrenden Krankheit befallen wie sein Besitzer.

Die Flying-M-Ranch. Thornes Zuhause, so lange er zurückdenken konnte.

Und der ganze Stolz und die größte Freude des alten McCafferty. Inzwischen hatte sein Vorarbeiter die Leitung übernommen, da John Randall zu krank und seine Kinder mit ihrem eigenen Leben zu beschäftigt waren.

Thorne betrachtete das hügelige Land mit gemischten Gefühlen. „Ich heirate nicht, Vater. Jedenfalls nicht so bald.“

„Erzähl mir nicht, dass du dir erst noch einen Namen machen musst. Du hast es schon geschafft, Junge.“ Aus alten, blassblauen Augen sah McCafferty zu seinem Sohn hinauf. Er blinzelte, als ihn die starken Strahlen der Sonne über Montana blendeten. „Wie viel besitzt du jetzt? Fünf Millionen?“

„Ungefähr sieben.“

Sein Vater stöhnte. „Schau mich an. Was hat mir das viele Geld gebracht? Zwei Frauen, die mich bei der Scheidung ausgeblutet haben, und immerzu einen Haufen Sorgen, das alles zu verlieren. Nein, auf Geld kommt es nicht an, Thorne. Es sind die Kinder und das Land. Verdammt noch mal!“

Er biss sich auf die Unterlippe, während er tief in seine Jackentasche griff. „Wo zur Hölle ist dieser … oh, hier haben wir ihn.“ Langsam zog er einen Ring hervor, der im Sonnenlicht blinkte.

Thorne zog sich der Magen zusammen, als er den ersten Hochzeitsring seines Vaters erkannte. Er hatte ihn seit mehr als einem Vierteljahrhundert nicht mehr gesehen.

„Ich möchte dir das hier geben“, sagte der alte Mann und hielt ihm den Goldring mit seiner ungewöhnlichen silbernen Gravur hin. „Deine Mutter hat ihn mir zu unserer Hochzeit geschenkt.“

„Ich weiß.“ Thorne spürte, dass es ein Fehler war, den Ring anzunehmen. Er fühlte sich kalt und hart an in seiner Hand, ein Stück Metall, das keine Wärme und keine Freude ausstrahlte.

„Versprich es mir, mein Junge.“

„Was?“

„Dass du heiratest.“

„Eines Tages“, antwortete Thorne, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Warte nicht zu lange, bitte. Wenn ich diese Erde verlasse, will ich wissen, dass du eine Familie hast.“

„Ich denk darüber nach“, sagte Thorne. Das kleine Schmuckstück aus Gold und Silber in seiner Tasche schien plötzlich tonnenschwer zu sein.

1. KAPITEL

Grand Hope, Montana

Oktober

Dr. Nicole Stevenson fühlte, wie das Adrenalin durch ihren Körper schoss. So wie jedes Mal, wenn ein neues Unfallopfer in der Notaufnahme des St. James Hospitals eingeliefert wurde.

Sie sah den Ernst in Dr. Maureen Oliverios Augen, als ihre Kollegin den Telefonhörer auflegte. „Der Hubschrauber ist da! Auf geht’s, Leute!“ Das hastig zusammengerufene Team von Ärzten und Krankenschwestern reagierte. „Die Sanitäter bringen die Patientin. Sie übernehmen, Dr. Stevenson.“

„Was wissen wir?“, fragte Nicole.

Dr. Oliverio eilte durch die Schwingtür voraus. „Autounfall oben im Glacier Park. Eine Frau, Ende zwanzig, hochschwanger. Brüche, innere Verletzungen, Gehirnerschütterung. Wir kommen wohl um einen Kaiserschnitt nicht herum. Während der Entbindung versuchen wir, so viel wie möglich gleich mit zu machen. Hat jeder verstanden? Bis zum OP ist Dr. Stevenson für die Patientin verantwortlich.“

Die Türen flogen auf, und zwei Sanitäter rollten eine Tragbahre in die Notaufnahme.

„Wie sehen ihre Werte aus?“, erkundigte sich Nicole bei einem der Krankenpfleger. „Was ist mit dem Baby?“

„Blutdruck normal, 110 zu 75. Puls 62, leicht sinkend …“ Während der Sanitäter die Daten im Telegrammstil wiedergab, sah Nicole auf die bewusstlose Patientin hinunter. Ihr Gesicht, früher wohl einmal hübsch, war jetzt blutverschmiert und voller Prellungen. Ihr runder Bauch zeigte, dass sie kurz vor dem Geburtstermin stand. Aus einem Tropf floss Flüssigkeit in ihren Arm, ihr Nacken und ihr Kopf waren abgestützt.

„Gut.“ Nicole nickte. „Okay, okay, wir müssen die Mutter stabilisieren.“

„Wurde der Ehemann benachrichtigt? Haben wir eine Einwilligung?“, fragte Dr. Oliverio.

„Keine Ahnung“, erwiderte ein Krankenwärter. „Die Polizei versucht ihre Verwandten ausfindig zu machen. Laut Ausweis ist ihr Name Randi McCafferty.“

Oh, Gott! Nicoles Herz blieb fast stehen. Für den Bruchteil einer Sekunde konnte sie nicht mehr klar denken, gab sich dann aber sofort innerlich einen Ruck. „Bist du sicher?“, fragte sie den Sanitäter.

„Absolut.“

„Randi McCafferty“, wiederholte Dr. Oliverio und holte tief Luft. „Meine Tochter ist mit ihr zur Schule gegangen. Ihr Vater ist tot – John Randall war mal ein wichtiger Mann in dieser Gegend. Ihm gehörte die Flying-M-Ranch ungefähr dreißig Kilometer außerhalb der Stadt. Randi hat drei Halbbrüder.“

Und Thorne ist einer von ihnen, dachte Nicole.

„Weiß man etwas über den Ehemann oder den Freund? Das Kind muss doch einen Vater haben“, beharrte Dr. Oliverio.

„Ich weiß nicht. Hab nie von einem gehört“, antwortete der Sanitäter.

„Der Blutdruck sinkt, Doktor, 100 zu 60“, sagte eine Krankenschwester.

„Du lieber Himmel.“ Nicoles Herz fing heftig an zu klopfen. Komm schon, Randi, drängte sie innerlich. Wo bleibt der gute alte McCafferty-Kampfgeist?

„Der Anästhesist ist unterwegs.“ Dr. Oliverio fing Nicoles Blick auf. „Brummel ist ein guter Mann. Er ist gleich hier.“

„Der Wehenschreiber ist angeschlossen“, meldete eine Krankenschwester, als der Arzt, ein dünner Mann mit einer randlosen Brille, durch die Tür kam.

„Was haben wir hier?“, erkundigte er sich, während sein Blick schnell über die Patientin glitt.

„Eine Bewusstlose nach einem Autounfall, kurz vor der Entbindung. Allergien unbekannt, keine Krankenakte, aber wir überprüfen das“, antwortete Nicole. Kurz zählte sie ihm die Befunde auf.

„Der Blutdruck der Mutter stabilisiert sich“, rief eine Schwester, doch Nicoles Anspannung hielt an.

„Ich bin in einer Minute bereit“, sagte Dr. Brummel hinter seiner Maske. „Auf geht’s.“

„Ein Arzt ist in Bereitschaft, der sich um das Neugeborene kümmern wird“, informierte Nicole den Anästhesisten und überprüfte Randis Werte ein letztes Mal. „Patientin ist stabil.“

Sie sah in die Runde des Teams. „Okay, Kollegen, ich überlasse euch die Patientin.“

Thorne fuhr wie ein Wahnsinniger. Vor weniger als drei Stunden hatte er telefonisch von Slade erfahren, dass Randi einen Autounfall im Glacier Park gehabt hatte.

Thorne hatte sich zu diesem Zeitpunkt in den Büros von McCafferty International in Denver aufgehalten und war sofort losgefahren. Er hatte seine Sekretärin beauftragt, alle weiteren Termine abzusagen, sich aus einem Schrank seinen Seesack geschnappt und war zum Flugfeld gerast. Innerhalb einer Stunde hob er ab und flog den Firmenjet direkt zum privaten Landeplatz der Ranch.

Ohne seine Brüder zu kontaktieren, hatte er sich die Autoschlüssel des kleinen Pick-up gegriffen und sein Gepäck ins Auto geworfen, um direkt zum St. James Hospital in Grand Hope zu fahren, wo seine Schwester um ihr Leben kämpfte. Er drückte das Gaspedal fest durch und nahm eine Kurve mit quietschenden Reifen.

Aufgrund des schlechten Telefonnetzes in dieser Gegend war der Anruf von seinem Bruder Slade plötzlich unterbrochen worden. Daher wusste Thorne nicht genau, was los war. Aber er hatte verstanden, dass Randis Leben am seidenen Faden hing und dass die Aufnahmeärztin Stevenson hieß.

Nächtlich dunkle Felder flogen vorbei. Die Scheibenwischer kämpften gegen den Eisregen an, während Thorne die Zähne zusammenbiss.

Was zum Teufel war passiert? Was hatte Randi in Montana verloren, wo sie doch in Seattle arbeitete? Was hatte sie im Glacier Park gemacht?

Erinnerungsfetzen an das Gespräch mit Slade gingen ihm durch den Kopf. Hatte Slade nicht erwähnt, dass Randi schwanger war? Unmöglich. Er hatte sie vor weniger als sechs Monaten gesehen. Sie war unverheiratet und hatte noch nicht einmal einen festen Freund. Oder vielleicht doch? Was wusste er wirklich über seine Halbschwester?

Nicht besonders viel.

Schuldgefühle plagten ihn. Du hättest dich mehr kümmern sollen. Schließlich bist du der Älteste. Es war nicht ihr Fehler, dass ihre Mutter vor fünfundzwanzig Jahren deinen Vater verführt und John Randalls erste Ehe zerstört hat. Es ist nicht ihre Schuld, dass du immer so verdammt mit deinem eigenen Leben beschäftigt bist.

Dutzende von Fragen schwirrten ihm durch den Kopf, als er in der Ferne die Lichter der Stadt erblickte.

Bald würde er Antworten bekommen.

Falls Randi überleben sollte. Seine Hände umklammerten das Lenkrad.

Thorne McCafferty.

Er war der Letzte, mit dem Nicole etwas zu tun haben wollte. Aber ohne Zweifel würde er bald hier sein. Während sie ihre Operationshandschuhe auszog, gab sie sich den Befehl, sich zusammenzureißen. Er war lediglich ein Angehöriger einer Patientin, mehr nicht.

Als sie nach ihrer Scheidung hierher gezogen war, wusste sie, dass sie Thorne nicht immer und ewig aus dem Weg gehen konnte. Grand Hope war immer noch eine kleine Stadt, und John Randall McCafferty war einer ihrer einflussreichsten Bewohner gewesen. Seine Söhne und seine Tochter waren hier aufgewachsen.

Die Begegnung war also lediglich eine Frage der Zeit gewesen. Aber der Umstand, dass Thornes Schwester jetzt um ihr Leben kämpfte, war alles andere als eine gute Voraussetzung für ein Wiedersehen.

Nicole steckte ihr Stethoskop in die Tasche und schlang die Arme um sich. Sie würde nicht nur Thorne erneut gegenüberstehen, sondern auch mit der Verzweiflung der anderen McCafferty-Brüder konfrontiert sein.

Die Beziehung zu Thorne hatte damals nicht lange gedauert. Intensiv und unvergesslich war sie gewesen, aber glücklicherweise nur kurzlebig. Seine beiden Brüder, die damals sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt waren, würden sich vielleicht gar nicht mehr an sie erinnern.

Glaube das ja nicht. Was Frauen angeht, waren die McCafferty-Männer fast legendär. Sie kannten alle Mädchen der Stadt.

Für Thorne war sie nur eine von vielen Affären gewesen, lediglich eine weitere Trophäe in seiner Sammlung. Ein armes, schüchternes und braves Mädchen, das einen Sommer lang seine Aufmerksamkeit erregt hatte.

Die Geschichte hatte so gut wie nichts mehr mit ihrem jetzigen Leben zu tun, aber die Erinnerung daran quälte sie noch immer.

Nach einem langen Arbeitstag taten Nicoles Füße weh, und ihr Kopf hämmerte. Der Gedanke an eine Dusche war das reinste Paradies – eine Dusche, ein gekühlter Chardonnay und ein knisterndes Kaminfeuer. Die Zwillinge unter einer warmen Decke an sie gekuschelt, während sie den beiden in ihrem Lieblingsschaukelstuhl eine Gutenachtgeschichte vorlas.

Sie musste unwillkürlich lächeln. „Später“, tröstete sie sich. Zunächst standen ernstere Dinge an.

Randi war noch längst nicht über den Berg. Und würde es auch so bald nicht sein. Sie lag im Koma und wurde ständig auf der Intensivstation überwacht.

Die gute Nachricht war, dass das Baby, ein robuster Junge, den Unfall überlebt hatte und per Kaiserschnitt unbeschadet auf die Welt gekommen war. Zumindest sah es im Moment ganz danach aus.

Verschwitzt und mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen zog Nicole sich ihren Kittel an und stieß die Tür zum Wartezimmer auf, wo zwei der McCafferty-Brüder saßen und Magazine durchblätterten. Beide waren groß und schlaksig, gut aussehende Männer mit markanten Zügen und ausdrucksstarken Augen. Die Sorge stand ihnen ins Gesicht geschrieben.

Als sich die Tür öffnete, legten sie die Zeitschriften zurück und sprangen hastig auf.

„Mr. McCafferty?“, fragte sie.

„Ich bin Matt“, sagte der Größere von beiden, als würde er sie nicht erkennen. Was die Situation vielleicht auch ihr erleichtern würde.

Matt war über einsachtzig groß, hatte dunkelbraune Augen und fast schwarze Haare. Er trug Jeans, ein kariertes Westernhemd mit aufgekrempelten Ärmeln und Cowboystiefel, in seinem Mundwinkel klemmte ein zerkautes Holzstäbchen. „Das ist mein Bruder Slade.“

Auch der nur wenige Zentimeter kleinere Bruder gab sich, als würde er sie nicht wiedererkennen. Der jüngste McCafferty-Bruder galt als Teufelsbraten. Eine dünne Narbe schlängelte sich über sein Gesicht mit den scharfen Zügen. Seine blauen, tief liegenden Augen blickten unruhig umher.

Bekleidet mit einem Flanellhemd, ausgewaschenen Jeans und alten Tennisschuhen trat er nervös von einem Bein aufs andere.

„Ich bin Dr. Stevenson und hatte Dienst, als Ihre Schwester eingeliefert wurde.“

„Wie geht es ihr?“, fragte Slade ängstlich. Seine Augen wurden schmaler, und sie hatte den Eindruck, dass eine vage Erinnerung an sie in ihnen aufflackerte.

„Die Operation ist gut verlaufen, aber Ihre Schwester war in ziemlich schlimmer Verfassung, als sie bei uns ankam – bewusstlos und mit einsetzenden Wehen. Dr. Oliverio hat Ihren Neffen zur Welt gebracht. Das Baby scheint gesund zu sein. Eine gründliche Untersuchung durch einen unserer Kinderärzte steht aber noch aus. Randis Aussichten sind gut, vorausgesetzt, es gibt keine unvorhergesehenen Komplikationen. Immerhin hat sie einen schweren Unfall überlebt.“

Während die Brüder ihr angespannt zuhörten, beschrieb Nicole Randi McCaffertys Verletzungen, die Liste war lang und besorgniserregend. Angst spiegelte sich in den Gesichtern der Männer wider.

Nicole erklärte die medizinischen Maßnahmen mit möglichst verständlichen Worten. Matts dunkler Teint wurde immer blasser, bis er schließlich zusammenzuckte, aus dem Fenster sah und hektisch auf dem Holzstückchen herumkaute.

Slade fuhr sich mit der Hand über die Bartstoppeln und sah sie an. „Aber sie wird durchkommen. Oder?“

„Ich denke schon, falls es keine Komplikationen gibt. Bei Kopfverletzungen kann man das nicht ausschließen. Aber momentan ist sie stabil.“

Slade runzelte die Stirn. „Sie liegt immer noch im Koma.“

„Ja. Wie Sie wissen, bin ich die Aufnahmeärztin, und andere Kollegen haben inzwischen die Behandlung übernommen. Jeder Einzelne von ihnen wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.“

„Wann?“, fragte Slade.

„Sobald sie können.“ Ihr gelang ein beruhigendes Lächeln. „Mein Dienst ist bald zu Ende. Ich bin aber vorher noch zu Ihnen gekommen, weil ich weiß, dass Sie in Sorge sind.“

„Mehr als nur Sorge“, bemerkte Matt.

Nicole wünschte, dass sie ihnen mehr Vertrauen einflößen könnte, doch das war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. „Um die Wahrheit zu sagen, wird das Leben ihrer Schwester noch eine Weile auf Messers Schneide stehen, aber sie wird rund um die Uhr überwacht.“

„Wann können wir Randi sehen?“, erkundigte sich der ältere Bruder.

„Bald. Sie ist noch nicht wieder aufgewacht. Sobald sie auf der Intensivstation liegt und die Ärzte mit ihrem Zustand zufrieden sind, kann sie täglich für ein paar Minuten Besuch bekommen – nur direkte Familienangehörige und nur einzeln. Wie gesagt, ihr Arzt wird Sie unterrichten.“

Matt nickte und Slade ballte die Faust, doch keiner von beiden hatte Einwände.

„Sie müssen bedenken, dass Randi im Koma liegt. Sie wird nicht auf Sie reagieren, bis sie aufwacht, und ich weiß nicht, wann das sein wird – oh, jetzt geht’s los. Die Ärztin, die Randi operiert hat.“

Sie hatte Dr. Oliverio entdeckt, die ihnen auf dem Flur entgegenkam. Nachdem Nicole die McCafferty-Brüder vorgestellt hatte, entschuldigte sie sich und ging zurück in ihr Büro, einen schmalen Raum mit einem Fenster, der kaum Platz genug bot für ihren Schreibtisch und einen Aktenschrank.

Sie schrieb ihre Berichte immer selbst, und nachdem sie aus ihrem Kittel geschlüpft war, setzte sie sich an den Computer und verbrachte fast eine halbe Stunde mit den Aufzeichnungen über Randi McCafferty.

Danach griff sie zum Telefon. Während sie routinemäßig ihre eigene Nummer wählte, massierte sie sich den Nacken.

„Hallo?“ Jenny Riley antwortete nach dem zweiten Klingeln. Die Studentin aus dem nahe gelegenen College beaufsichtigte ihre Zwillinge.

„Hi. Ich bin’s, Nicole. Ich wollte nur wissen, wie es aussieht. Ich werde hier ungefähr raus sein in …“, sie sah auf die Uhr und seufzte, „… wahrscheinlich einer Stunde. Soll ich irgendwas von unterwegs mitbringen?“

„Vielleicht ein, zwei Sonnenstrahlen für Molly?“, witzelte Jenny. „Seitdem sie aus dem Mittagsschlaf aufgewacht ist, hat sie schlechte Laune.“

„Wirklich?“ Nicole schmunzelte, während sie auf ihrem Stuhl so weit nach hinten kippte, bis er knarrte. Molly, etwas frühreifer als ihre Zwillingsschwester, war bekannt dafür, quengelig aufzuwachen, während Mindy, die Schüchterne der beiden Schwestern, immer lächelte, selbst wenn sie aus dem Schlaf gerissen wurde.

„Hab ich nicht!“, meuterte eine kleine, freche Stimme.

„Hast du doch, aber ich liebe dich trotzdem“, antwortete Jenny mit weicher Stimme und wandte sich dabei vom Hörer ab.

„Hab nicht schlechte Laune!“

Nicole lächelte immer noch in sich hinein. Die Mühen des Tages waren vergessen, wenn sie an ihre Töchter dachte. Zwei vierjährige, dynamische Mädchen, die Nicole auf Trab hielten und der Grund waren, warum sie nach ihrer Scheidung nicht depressiv geworden war.

„Sag ihnen, dass ich später Pizza mitbringe, wenn sie brav sind.“ Sie hörte, wie Jenny die Nachricht weitergab und darauf ein Freudengeschrei ertönte.

„Jetzt sind sie aus dem Häuschen“, versicherte die junge Frau. Nicole verabschiedete sich lachend. Im selben Moment war ein lautes Klopfen zu hören, und die Tür wurde aufgestoßen. Ein hoch gewachsener Mann stand im Eingang. Ihr sank das Herz, als sie Thorne erkannte.

„Nikki?“, sagte er ungläubig.

Nicole stand auf und straffte sich, doch trotzdem überragte er sie deutlich. „Jetzt Dr. Stevenson. Ich bin die Notaufnahmeärztin und habe sie in Empfang genommen.“

Warum nur spürte sie nach dieser langen Zeit immer noch einen Anflug von Enttäuschung darüber, dass er sie in all den Jahren nicht ein einziges Mal besucht hatte? Es war lächerlich. Geradezu naiv. Und es tat hier nichts zur Sache. Nicht, so lange seine Schwester um ihr Leben kämpfte.

„Ich bin allerdings nicht ihre behandelnde Ärztin. Ich habe Randi vor der Operation stabilisiert, und ein anderes Team hat sie dann übernommen. Mit deinen Brüdern habe ich gesprochen, weil ich wusste, dass sie warten und so schnell wie möglich informiert werden wollten.“

„Ich verstehe.“ Thornes attraktives Gesicht war nicht mehr das des unbeschwerten Jungen von damals, dafür hatten die vergangenen Jahre gesorgt. Seine markanten, ernsten Züge passten zu der Strenge seines schwarzen Anzugs, dem weißen Hemd und der Krawatte – er wirkte wie das Idealbild eines Managers, der einem kleinen Imperium vorsteht. „Ich wusste nicht – ich hatte dich hier nicht erwartet.“

Seine dunkelgrauen Augen fixierten sie auf eine intensive Art, die früher oft einschüchternd gewirkt hatte. Doch jetzt las sie in seinem Blick hauptsächlich Erschöpfung und Sorge.

„Hast du deine Brüder auf der Intensivstation getroffen?“, fragte Nicole.

„Ich bin direkt hierhergekommen und habe nach dem zuständigen Arzt gefragt.“ Als er ihren fragenden Blick sah, fügte er hinzu: „Ich wollte wissen, was los ist, bevor ich Randi sehe.“

„Verständlich.“ Sie winkte ihn in ihr Büro und zeigte auf den kleinen Plastikstuhl vor ihrem Schreibtisch. „Nimm Platz. Ich erzähl dir, was ich weiß, und dann kannst du mit den anderen Ärzten sprechen.“

Während sie nach ihrem Arztkittel griff, warf sie ihm einen Blick zu, unter dem gewöhnlich selbst der aufmüpfigste Medizinstudent zusammenschrumpfte. Er sollte verstehen, dass sie nicht mehr länger das arme, kleine Mädchen von damals war.

„Aber eins sollten wir vorher klären. Normalerweise klopfen die Leute an und warten, bis ich ‚Herein‘ sage, bevor sie in mein Büro stürzen.“

„Ich hatte es eilig. Aber … gut. Das nächste Mal denk ich daran.“

Oh, Thorne, es wird kein nächstes Mal geben.

„Sie liegt also auf der Intensivstation?“, fragte er.

„Ja.“ Nicole beschrieb die Einzelheiten von Randis Einlieferung ins St. James Hospital, ihren Zustand und die getroffenen Maßnahmen.

Sobald sie fertig war, stellte Thorne ein paar knappe Fragen, lockerte seine Krawatte und sagte: „Lass uns gehen.“

„Auf die Intensivstation? Wir beide?“

„Ja.“ Er war bereits aufgestanden.

Etwas in Nicole bäumte sich gegen seinen selbstverständlichen Befehl auf, bis sie den Schmerz und so etwas wie Schuldgefühle in seinen Augen entdeckte.

„Ich denke, das kann ich machen“, willigte sie ein. Sie war spät dran, aber Verspätungen dieser Art gehörten zu ihrer Arbeit. Genauso wie der Umgang mit besorgten Verwandten ihrer Patienten.

„Lass mich erst klären, ob sie schon aus dem Aufwachraum raus ist.“ Nicole telefonierte kurz und erfuhr, dass Randi bereits auf die Station gebracht worden war.

„Okay“, sagte sie und legte den Hörer auf. „Matt und Slade haben Randi bereits gesehen, und die diensthabende Krankenschwester ist nicht besonders glücklich darüber, einen dritten Besucher zuzulassen. Aber ich konnte sie überzeugen.“

„Sind meine Brüder noch da?“

„Das kann ich dir nicht sagen. Sie haben der Schwester gesagt, dass sie wiederkommen wollten, sie weiß aber nicht wann.“

Höflich hielt er ihr die Tür auf, und dann eilten sie den Flur entlang. Mit seinen langen Beinen gelang es ihm mühelos, mit ihrem schnellen Tempo Schritt zu halten. So war es auch damals gewesen.

Energisch, einschüchternd und fast zwei Köpfe größer als sie, war Thorne genauso zielstrebig, wie sein Gang es erahnen ließ. Nicole fragte sich, ob er jemals einen leichtfertigen Moment in seinem Leben zugelassen hatte.

Sie betraten den Fahrstuhl, und dann war sie mit Thorne allein. Das erste Mal seit Jahren. Stocksteif stand er neben ihr und ließ sich nicht anmerken, dass ihn die Situation verunsicherte.

Sein Gesicht war wie erstarrt, seine Schultern aufgerichtet und sein Blick fixierte die wechselnden Stockwerkangaben auf dem Display.

Mit einem Ruck kam der Fahrstuhl zum Stehen. Während sie die mit Teppich ausgelegten Flure entlanggingen, brach Thorne schließlich das Schweigen. „Am Telefon sagte Slade irgendetwas … als ob Randi es nicht schaffen würde.“

„Bei schweren Verletzungen kann man diese Möglichkeit nie ganz ausschließen.“

Sie hatten die Tür zur Intensivstation erreicht, und mit der inneren Mahnung, nüchterne Professionalität zu bewahren, hob sie den Kopf und blickte direkt in seine stahlfarbenen Augen. „Aber sie ist jung und stark und bekommt die beste medizinische Versorgung, die wir haben. Es besteht also kein Grund, gleich im Zimmer deiner Schwester irgendwelche Bedenken zu äußern. Sie liegt zwar im Koma, aber wir wissen nicht, was sie hört oder fühlt. Behalte bitte um ihretwillen all deine Sorgen und Zweifel für dich.“

Er schien protestieren zu wollen, und instinktiv ergriff Nicole seine Hand. Seine Haut war unerwartet rau.

„Wir tun alles, was wir können, Thorne“, sagte sie, halb in der Erwartung, dass er seine Rechte wegziehen würde. „Deine Schwester kämpft um ihr Leben. Ich weiß, dass du nur das Beste für sie willst. Deshalb möchte ich, dass du dich zuversichtlich verhältst, wenn du bei ihr bist. Okay?“

Er nickte kurz, doch sein Mund verspannte sich ein wenig. Er war noch nie bereit gewesen, Befehle oder Ratschläge anzunehmen – von niemandem.

„Noch Fragen?“

„Nur eine“, sagte er langsam.

„Und die wäre?“

„Meine Schwester bedeutet mir viel. Sehr viel. Das weißt du. Deshalb möchte ich sicher sein, dass sie die beste medizinische Versorgung bekommt, koste es, was es wolle. Das heißt, das beste Krankenhaus, die beste Betreuung und vor allen Dingen die besten Ärzte.“

Nicole entzog ihm ihre Hand und spürte ein Gefühl der Enttäuschung in sich aufsteigen. Es war nicht das erste Mal, dass ihre Fähigkeiten infrage gestellt wurden, und es würde sicher auch nicht das letzte Mal sein, aber aus irgendeinem Grund hatte sie gehofft, dass Thorne McCafferty ihr und ihrer Arbeit vertrauen würde.

„Das wünscht sich jeder für seine Angehörigen, Thorne.“

„Mit dem Unterschied, dass ich es mir leisten kann“, erwiderte er.

Verblendeter, reicher Mistkerl.

„Ich bin eine verdammt gute Ärztin, Thorne. Genau wie alle anderen hier. Diese Klinik wurde mehrfach ausgezeichnet. Sie ist klein, aber versammelt die Besten ihres Fachs. Ärzte aus Städten wie Atlanta, Seattle, New York und L. A. sind hier gelandet, weil sie den Konkurrenzkampf satthatten …“

Sie ließ ihre Worte wirken und wünschte, sie hätte lieber den Mund gehalten. Sollte Thorne doch denken, was er wollte.

„Lass uns reingehen. Und denk daran, positiv zu bleiben. Und wenn ich sage, dass die Zeit um ist, versuche nicht zu streiten. Geh einfach. Du kannst sie morgen wiedersehen.“

Sie wartete, doch er protestierte nicht, sondern presste lediglich seine Kiefer so fest aufeinander, dass die Muskeln hervortraten. „Verstanden?“, fragte sie.

„Verstanden.“

„Dann werden wir keine Probleme miteinander haben“, sagte sie, ohne auch nur eine Sekunde lang daran zu glauben. Manche Dinge änderten sich eben nie. Und sie und Thorne McCafferty waren wie Öl und Wasser – sie würden niemals miteinander harmonieren.

Sie drückte auf einen Knopf und blickte durch das Fenster, sodass eine Schwester sie sehen konnte. Als sich die elektronische Tür mit einem Summen öffnete, spürte sie Thornes Blick auf ihrem Nacken. Geräuschlos folgte er ihr nach drinnen. Sie fragte sich, wie lange er wohl die Vorschriften der Klinik und der Ärzte einhalten würde.

2. KAPITEL

Oh, Gott, das kann unmöglich Randi sein. Thorne sah auf die kleine, reglose Gestalt auf dem Bett. Ihr Körper war mit Monitoren und Apparaten verbunden. Von ihrem Kopf sah man kaum etwas außer dem Verband, und ein Bein in Gips hing erhöht an einer Schlaufe.

Ihr Anblick schnürte ihm die Kehle zu. Sie lag in einer Stoffkabine, die zur Schwesternstation hin geöffnet war. Während er am Fußende des Bettes stand und hilflos die Fäuste ballte, entbrannte eine stille, erdrückende Wut in seiner Seele. Wie hatte das geschehen können?

Beunruhigt sah er auf diese Fremde, die seine Stiefschwester war. Ein Dutzend Erinnerungen schossen durch seinen Kopf. Nach Randis Geburt war er zwar zunächst neidisch und böse auf sie gewesen, hatte es jedoch nie fertiggebracht, sie nicht zu mögen.

Randi war immer so vertrauensvoll und lebendig gewesen. Ihre Augen strahlten vor Übermut, und ihr Lachen war ansteckend. Ein Mädchen, das sein Herz auf der Zunge trug. Arglos und in dem Glauben, dass sie zweifellos das Recht hatte, die kleine Prinzessin ihres Vaters zu sein, hatte sich Randi Penelope McCafferty ihren Weg durchs Leben gebahnt und dabei die Herzen fast aller erobert – auch die ihrer ablehnenden, missgünstigen Stiefbrüder.

Schon während der Schwangerschaft ihrer Stiefmutter hatten sie sich geschworen, das Baby zu verschmähen, denn in ihren jungen Augen war dieses Kind der Grund, warum sich ihre Eltern hatten scheiden lassen.

„Du kannst mit ihr sprechen“, sagte eine weiche Stimme. Er sah auf und erblickte Nicole, die ihn mitfühlend ansah. Ihre warmen, braunen Augen, umgeben von dichten Wimpern, schienen direkt in seine Seele zu blicken. Genauso wie damals, als er zweiundzwanzig war und sie gerade mal siebzehn.

„Niemand weiß, ob sie dich hört oder nicht, aber es kann bestimmt nicht schaden.“ Ihre Lippen formten sich zu einem zärtlichen, ermutigenden Lächeln, und obwohl er sich dumm vorkam, nickte er. Nicht nur die Tatsache, dass sie sich zu einer reifen Frau entwickelt hatte, überraschte ihn, sondern ebenso sehr, dass sie eine Ärztin war.

Eine Ärztin, die mit der gleichen Vehemenz sowohl Befehle erteilen als auch einfühlsam flüstern konnte. Dies war Nikki Sanders, das Mädchen, das beinahe sein Herz erobert und ihn fast dazu gebracht hätte, in Grand Hope zu bleiben und sein Leben auf der Ranch zu bestreiten. Es war schwierig gewesen, sie zu verlassen. Doch er hatte es getan. Er hatte es tun müssen.

In der Annahme, dass er in diesem Moment ungestört sein wollte, wandte Nicole sich wieder ihren Unterlagen zu.

Thorne riss seinen Blick von der zarten Linie ihres Nackens los, wobei er nicht umhin konnte, die goldene Haarsträhne zu bemerken, die sich aus ihrem aufgesteckten Haar gelöst hatte. Vielleicht war Nikki am Ende doch nicht so unnahbar und zugeknöpft.

Thorne umfasste das kühle Metall des Krankenhausbettes. Er räusperte sich. „Randi?“, flüsterte er und fühlte sich wie ein vollkommener Trottel. „Hallo, Kleine, kannst du mich hören? Ich bin’s, Thorne.“ Er schluckte fest und sah auf ihren bewegungslosen Körper.

Erinnerungen blitzten in kaleidoskopartigen Bildern in seinem Kopf auf. Er war es gewesen, der sie als Fünfjährige gefunden hatte, nachdem sie bei ihren ersten Fahrversuchen mit dem Fahrrad hingefallen war. Er war damals zu einem Kurzbesuch vom College nach Hause gekommen und hatte sie am Wegesrande entdeckt. Ihre Knie waren zerkratzt, die Wangen dreckig und voller Tränen. Ihr Stolz hatte furchtbar gelitten, weil sie etwas so Einfaches nicht konnte. Nachdem er sie ins Haus getragen und ihre aufgerissenen Knie von den kleinen Kieselsteinchen befreit hatte, reparierte er das verbogene Rad und unterstützte sie bei jedem erneuten Versuch, die Kunst des Radfahrens in den Griff zu bekommen.

Als Randi neun oder zehn Jahre alt war, hatte Thorne ihr beigebracht, einen Baseball wie ein Junge zu werfen. Stundenlang hatte sie den verfluchten alten Ball immer wieder gegen die Scheunenwand geworfen, bis die Farbe abblätterte.

Jahre später fand er bei einem Wochenendbesuch seinen Wildfang von Stiefschwester in einem langen, rosafarbenen Kleid vor, in Erwartung ihrer Begleitung zum Highschool-Abschlussball. Ihr dichtes, mahagonifarbenes Haar war zu einer Hochfrisur zusammengesteckt. Ihre Anmut hatte ihn fast erschreckt. Um ihren Hals trug sie eine Goldkette mit dem Medaillon, das John Randall ihrer Mutter zur Hochzeit geschenkt hatte.

Nicole kam zum Bett zurück. Vorsichtig leuchtete sie mit einer Stiftlampe in Randis Augen und ergriff ihr Handgelenk, um den Puls zu fühlen. Kleine Sorgenfalten zeigten sich zwischen ihren geschwungenen Augenbrauen. Sie biss sich auf die Unterlippe, als wäre sie tief in Gedanken versunken. Es war eine unbewusste und zugleich sinnliche Geste. Angewidert von seinen aufkeimenden Gedanken, sah Thorne schnell weg.

Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie Nikki Notizen auf Randis Krankenkarte machte und zwischendurch zur Schwesternstation blickte.

Randi zeigte weiterhin keinerlei Reaktion, und plötzlich brannten Thornes Augen auf die gleiche Weise wie damals, als er vom Tod seines Vaters erfahren hatte. Er strich sanft über die Hand seiner Schwester und begegnete Nicoles Blick, der stumm darauf hinwies, dass es Zeit war zu gehen. Er schob die Hände in die Manteltaschen, während er den Raum durchquerte und durch die Tür ging, die sich automatisch für ihn öffnete.

„Sag mir die Wahrheit“, bat er Nicole, die ihm gefolgt war und nun neben ihm den hell erleuchteten Flur entlanglief. Durch große Fenster sah er, dass es draußen in Strömen regnete. „Wie sind ihre Chancen?“

„Sie ist jung und stark.“

Als sie den Fahrstuhl erreichten, berührte Thorne Nicole leicht am Ellenbogen. „Ich will wissen, ob meine Schwester durchkommt.“

Röte stieg ihr ins Gesicht. „Ich bin keine Hellseherin, weißt du, Thorne.“

„Aber sie wird überleben?“, fragte er, um Bestätigung ringend. Er, der sich immer unter Kontrolle hatte, hing jetzt von den Worten einer kleinen Frau ab, die er einst fast geliebt hatte.

Sie sah fast so aus, als wollte sie gleich auf ihn losgehen, atmete dann aber tief durch. „Ich glaube schon. Falls es keine unvorhersehbaren Zwischenfälle gibt. Wir tun alles, was wir können.“

Offenbar bemerkte sie die Besorgnis in seinen Augen, denn ihr Gesichtsausdruck wurde ein wenig weicher, und er bemerkte ihre angespannten Züge und die Intelligenz in ihren wunderschönen, bernsteinfarbenen Augen.

„Es tut mir leid. Ich möchte dir nicht ausweichen.“ Sie streifte eine widerspenstige Haarlocke hinters Ohr. „Ich wünschte, ich könnte dir versichern, dass Randi wieder gesund wird, dass sie in ein paar Wochen wieder herumlaufen, lachen und zurück zu ihrer Arbeit gehen kann. Dass sie in der Lage sein wird, sich um ihr Baby zu kümmern und dass alles wieder okay sein wird.“

Sie sah auf ihre Unterlagen, als sie fortfuhr: „Aber das kann ich nicht. Sie hatte einen schweren Unfall. Innere Organe sind verletzt, Knochen gebrochen, und sie hat eine schwere Gehirnerschütterung erlitten. Ich will dir nichts vormachen. Sollte sie überleben, besteht die Gefahr eines bleibenden Gehirnschadens. Wir wissen es einfach noch nicht.“

Ihm blieb fast das Herz stehen. Er hatte um das Leben seiner Schwester gebangt, aber nicht einen Moment lang daran gedacht, dass sie vielleicht einen geistigen Schaden davontragen könnte. Sie war immer so smart gewesen, mit einem messerscharfen Verstand gesegnet, wie sein Vater häufig geprahlt hatte.

„Sollte sich nicht ein Spezialist um sie kümmern?“

„Es gibt bereits mehrere, die das tun. Dr. Nimmo ist einer der besten Neurochirurgen im ganzen Nordwesten. Er hat sie bereits untersucht und wird sich bei dir melden, ganz sicher. Gibt es sonst noch irgendetwas?“

„Ich möchte lediglich über ihren Zustand auf dem Laufenden gehalten werden.“

Er holte seine Brieftasche hervor und zog eine Visitenkarte aus dem weichen Leder. „Das ist meine Geschäftsnummer und dies …“, er fand einen Stift in der Brusttasche seines Jacketts und schrieb eine andere Nummer auf die Rückseite seiner Karte, „… ist die Nummer der Ranch. Ich werde dort wohnen.“ Er gab ihr die Karte und beobachtete, wie sich eine ihrer fein geschwungenen Augenbrauen ein wenig hob.

„Du erwartest, dass ich dich anrufen soll?“

„Dafür wäre ich dir … dankbar“, sagte er und berührte ihre Schulter.

Sie sah auf seine Hand hinunter und auf ihrer Stirn bildeten sich ein paar kleine Falten.

„Tu tätest mir einen persönlichen Gefallen“, ergänzte er.

Ihre Lippen pressten sich zu einem Strich zusammen. „Weil wir uns einmal nahe gewesen sind?“, fragte sie, während ihre goldfarbenen Augen aufblitzten und sie ihre Schulter wegzog.

Er ließ seine Hand fallen. „Weil du Anteil nimmst. Ich kenne die anderen Ärzte nicht, sie sind sicher gut. Aber dir kann ich vertrauen.“

„Du kennst mich doch überhaupt nicht.“

„Früher schon.“

Sie schluckte fest. „Das spielt jetzt keine Rolle“, sagte sie. „Nun gut … ich halte dich auf dem Laufenden.“

„Danke.“ Er schenkte ihr ein Lächeln, woraufhin sie mit den Augen rollte.
 „Versuch bloß nicht Süßholz zu raspeln oder mich für dumm zu verkaufen, Thorne, okay? Ich bin offen zu dir, aber versuch nicht mit meinem Mitgefühl zu spielen. Zu deiner Information: Ich tue das hier nicht um der alten Zeiten willen, okay? Bitte entschuldige mich jetzt.“

Sie wollte sich gerade umdrehen, als er ihren Ellenbogen ergriff.

„Danke, Nikki“, sagte er und bemerkte verwundert, dass sie errötete.

„Kein Problem. Das ist mein Job“, erwiderte sie und sah auf seine Hand hinunter, bevor sie sich abwandte und durch eine Tür verschwand, die nur für das Personal bestimmt war. Thorne sah, wie sich die Schwingtüren hinter ihr schlossen, und es fiel ihm schwer, das Schild über der Tür zu respektieren und ihr nicht zu folgen.

Alles war gesagt worden – das Gespräch war beendet, doch als er seine Brieftasche wieder einsteckte, überkam ihn das verrückte Bedürfnis sie einzuholen – seiner Vergangenheit hinterherzulaufen.

„Dummkopf“, murmelte er in sich hinein und spürte einen pochenden Schmerz am Hinterkopf. Nicole Stevenson war eine Ärztin dieser Klinik, die seine Telefonnummer hatte, um ihn über den Zustand seiner Schwester zu informieren. Mehr gab es zu diesem Thema nicht zu sagen. Das hatte sie deutlich zum Ausdruck gebracht.

Ja, sie war eine Frau, eine hübsche und intelligente Frau, eine dem Anschein nach engagierte Frau, eine Frau, mit der er vor langer Zeit geschlafen hatte.

Vielleicht ist sie verheiratet, du Idiot. Sie heißt jetzt Stevenson, denk daran!

Er hatte jedoch keinen Ring an ihrem Finger entdeckt. Komisch, dass er überhaupt darauf geachtet hatte. Diesem Gedanken wollte er lieber nicht nachgehen. Dennoch empfand er eine gewisse Befriedigung darüber, dass sie nicht die Ehefrau eines anderen war. Trotzdem war sie tabu. Punkt.

Er betrat den Fahrstuhl, drückte auf den Knopf, der die Geburtsstation anzeigte und versuchte alle Gedanken an Nikki Sanders – Dr. Nicole Stevenson – beiseitezuschieben.

Doch das gelang ihm nicht. Genauso wenig, wie es ihm damals geglückt war, nachdem er sie ohne eine Erklärung verlassen hatte. Aber wie hätte er ihr auch vermitteln können, dass ihre Nähe und jede körperliche Berührung, ja, seine Liebe zu ihr es ihm so viel schwerer gemacht hätte, von Grand Hope wegzugehen? Schließlich musste er sich und seinem Vater beweisen, dass er es auch allein zu etwas bringen konnte.

„Verdammt“, fluchte er. Er war töricht gewesen, die einzige Frau, der es beinahe gelungen wäre, seine Seele zu berühren, einfach fallen zu lassen. Erst Jahre später war ihm das klar geworden. Aber Thorne gehörte nicht zu denen, die zurückschauten und sich infrage stellten. Er hatte sich gesagt, dass es eines Tages eine andere Frau geben würde – wenn er bereit dafür wäre.

Aber die hatte er natürlich nie gefunden.

Zum ersten Mal in seinem Leben fragte er sich: Was wäre, wenn? Wenn er bei ihr geblieben wäre, sie geheiratet und eine Familie gegründet hätte.

Nicole atmete tief aus, während sie durch die Gänge des St. James Hospitals lief. Sie war immer noch unruhig und aufgewühlt. Obwohl sie es gewohnt war, mit besorgten und manchmal auch trauernden Verwandten umzugehen, war sie über ihre heftige Reaktion auf Thorne McCafferty überrascht.

„Er ist nur ein Mann wie jeder andere“, murrte sie und ging die Treppe hinauf. „Das ist alles.“

Doch sie hatte täglich mit vielen Männern zu tun, und keiner hatte jemals auch nur annähernd eine solche Reaktion in ihr ausgelöst.

Im Büro angekommen, ließ sie sie sich auf ihren Schreibtischstuhl fallen und starrte auf den Monitor des Computers. Thorne ging ihr nicht aus dem Kopf.

Sie erinnerte sich, wie verliebt sie damals in ihn gewesen war. Oh, sie hatte ihn angebetet. Er war älter, erfahrener und wohlhabend gewesen und gehörte zu den McCafferty-Brüdern, von denen jeder Einzelne ein Schlitzohr war. Gut aussehend, arrogant und frech, hatte er mit Leichtigkeit ihr Herz erobert. Als einzige Tochter einer armen und fleißigen Frau, die Perfektion erwartete, war Nicole mit siebzehn bereit gewesen, sich diesen Ansprüchen zu widersetzen. Und dann begegnete sie Thorne.

Dummerweise hatte sie sich Hals über Kopf in diesen verwegenen Studenten verliebt und seinetwegen beinahe all ihre Träume und Hoffnungen über den Haufen geworfen.

Sie pustete sich den Pony aus den Augen und schüttelte den Kopf, um diese alten, schmerzhaften und beschämenden Erinnerungen zu vertreiben. Sie war so jung gewesen. Ein unbekümmertes Mädchen im zweiten Jahr ihres Studiums, gefangen in romantischen Fantasien über einen Mann, der alles andere als geeignet für eine feste Beziehung war.

„Lass die Vergangenheit ruhen“, befahl sie sich und bewegte die Maus ihres Computers. Und doch musste sie an das Liebesspiel unter dem Sternenhimmel von Montana denken. An seinen jungen, schweißglänzenden Körper, der sich so fest und muskulös angefühlt hatte. In seinen Augen spiegelte sich das silberne Mondlicht und sein Haar war zersaust von ihren Berührungen.

Und jetzt war er offensichtlich ein erfolgreicher Unternehmer.

Wie Paul. Sie sah zu ihrer Hand hinunter und war erleichtert, dass die Rille, die ihr Hochzeitsring einst in ihren Finger geschnitten hatte, nun nach zwei Jahren verschwunden war. Paul Stevenson war die Karriereleiter so schnell emporgeklettert, dass er dabei seine Frau und die kleinen Töchter aus den Augen verloren hatte.

Sie bezweifelte, dass es bei Thorne anders gewesen wäre.

Als sie vor einem Jahr nach Grand Hope zurückgekehrt war, wusste sie, dass seine Familie noch in der Gegend lebte. Gerüchten zufolge, die wie Endlosschleifen in Grand Hope die Runde machten, hatte Thorne sein Jurastudium abgeschlossen und sich einer Firma in Missoula angeschlossen. Dann war er nach Kalifornien gegangen und schließlich als Manager eines internationalen Unternehmens in Denver gelandet.

Er war nie verheiratet gewesen und hatte, soweit man wusste, keine Kinder. Aber an seiner Seite waren immer wieder attraktive, wohlhabende und karrierebewusste Frauen zu sehen. Die einander rasch ablösten.

Ja. Zwischen Thorne und Paul gab es viele Parallelen.

Ausgenommen die Tatsache, dass du dich noch zu ihm hingezogen fühlst, oder?

Hör auf!“, schalt sie sich und zwang sich zur Besinnung. Diese Unsicherheit sah ihr gar nicht ähnlich. Sie galt als unbeirrbar, was ihre Kinder oder ihre Arbeit anbelangte, und sie empfand ihre momentane Verwirrung mehr als beunruhigend. Sie durfte und würde auch nicht erneut dem tückischen Charme von Thorne McCafferty erliegen.

Zweifelsohne musste sie sich, aus welchem Grund auch immer, später erneut mit ihm beschäftigen, und bei dem Gedanken daran hüpfte und sank ihr Herz gleichermaßen. „Großartig“, sagte sie sich und öffnete ihre Haarspange. „Einfach … großartig.“

Zwanzig Minuten später litt Thorne immer noch unter der Abfuhr, die er sich von der stämmigen, eigensinnigen Krankenschwester geholt hatte. Sie hatte ihm zwar erlaubt, einen Blick auf Randis Baby zu werfen, ihn dann aber aus der Kinder-Intensivstation hinauskomplimentiert. Er hatte durch ein dickes Glas in einen luftigen Raum gespäht, in dem zwei Säuglinge in Plastikkörbchen schliefen.

Randis Sohn lag unter Lampen, ein rotblonder Haarschopf ragte nach oben heraus, während seine winzigen Lippen sich bei jedem Atemzug leicht bewegten. Der Anblick rührte Thorne, das Baby war so klein und rätselhaft, so unschuldig und nichtsahnend ob all der Verwirrungen, die es verursachte.

Als er die Station verlassen hatte, fragte er sich, wer wohl der Erzeuger dieses Kindes war? Sollte man ihn nicht verständigen? War Randi in ihn verliebt? Oder … hatte sie aus einem bestimmten Grund ihren Brüdern gegenüber verschwiegen, dass sie eine Beziehung hatte und schwanger war?

Doch das sollte für Thorne keine Rolle spielen. Er würde etwas über den Kindsvater herausfinden, koste es, was es wolle. Er konnte nicht nutzlos herumsitzen und warten, bis Randi wieder bei Bewusstsein war. Nein, es gab sehr viel zu tun. Er vergrub seine Hände in den Manteltaschen und nahm die Treppe zum ersten Stock hinauf.

„Denk nach!“, befahl er sich. In seinem Kopf entstand ein Plan. Zunächst musste er sicher sein, dass Randi und ihr Kind auf dem Weg der Besserung waren. Dann würde er einen Privatdetektiv engagieren, der Randis Leben unter die Lupe nehmen sollte. Es behagte ihm zwar nicht, in Randis Privatsphäre herumzuschnüffeln, doch er hatte keine andere Wahl.

In Gedanken versunken, stieß er mit der Schulter eine Tür auf, die zum Parkplatz führte. Draußen tobte der Wind. Eiskalte Regentropfen fielen vom bleischweren Himmel. Er zog den Mantelkragen hoch und stemmte sich gegen den Sturm. Den Pfützen ausweichend, ging er mit großen Schritten zu dem Pick-up.

Dann sah er sie.

Sie rannte zu ihrem Auto, die Aktentasche schützend über den Kopf haltend. Dr. Nicole Stevenson lief zu einem weißen Geländewagen, der in der Nähe geparkt war.

Regen tropfte ihm die Nase und den Nacken hinunter, während er sie beobachtete. Ihr Haar war nicht mehr hochgebunden, sondern wurde vom Wind zerzaust. Den steifen, weißen Arztkittel hatte sie durch eine lange Lederjacke ersetzt, die eng mit einem Gürtel in der Taille zusammengehalten wurde.

Ohne nachzudenken rannte er über den mit Pfützen übersäten Platz. „Nikki!“

„Oh, Thorne.“

Ein paar Regentropfen hatten sich in ihren geschwungenen Wimpern gefangen, während ihre blonden Haare ihr ums Gesicht wirbelten. Sie war noch viel schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Regentropfen liefen ihre ausgeprägten Wangenknochen hinunter auf ihre Lippen.

Für den Bruchteil einer Sekunde dachte er daran, sie zu küssen.

Sie steckte den Schlüssel in die Tür des Geländewagens. „Was schleichst du hier draußen herum?“

„Vielleicht hab ich auf dich gewartet“, fing er automatisch an – und merkte erst im nächsten Moment, dass er mit ihr flirtete. Was zum Himmel war in ihn gefahren?

„Hast du keine bessere Erklärung?“, erwiderte sie mit einem sarkastischen Zug um die Mundwinkel.

„Okay, wie wär’s damit? Ich hab mich gerade oben auf der Kinderstation mit Schwester Rachel angelegt und wurde an den Ohren hinausgezogen.“

„Ist es tatsächlich jemandem gelungen, Thorne McCafferty einzuschüchtern?“ Ungläubig zog sie eine Augenbraue hoch. Als hätte sie sich mit ihrer neckischen Art zu weit vorgewagt, erlosch ihr Lächeln, und sie riss die Wagentür auf. „Gut … wolltest du etwas Bestimmtes?“

„Ich hab keine Privatnummer von dir.“

„Die hab ich dir auch nicht gegeben.“

„Wegen deines Mannes?“

„Wie bitte?“ Sie schüttelte den Kopf. „Es gibt keinen Ehemann mehr.“

Sie stand wartend in der offenen Tür. Ihre Haare erschienen im Regen dunkler. Sein Herz klopfte wie wild. Sie war Single.

„Du kannst hier in der Klinik anrufen“, sagte sie. „Sollte ein Notfall eintreten, werde ich sofort benachrichtigt.“

„Ich hätte ein besseres Gefühl, wenn ich …“

„Sieh mal, Thorne“, sagte sie eindringlich. „Ich verstehe, dass du es gewohnt bist, Verantwortung zu übernehmen und die Dinge so zu arrangieren, wie es dir gefällt. Doch hier geht das nicht, okay? Und jetzt entschuldige mich bitte.“

Ihre Augen strahlten nicht die geringste Wärme aus, obgleich, und nichts anderes glaubte er zu sehen, ihre vom Regen feuchten Lippen darum flehten, geküsst zu werden. Und, verdammt noch mal, er reagierte. Mit dem Wissen, dass sie ihn wahrscheinlich gleich ohrfeigen würde, ergriff er sie und zog ihren Körper so nah zu sich heran, dass seine Lippen fast die ihren berührten.

„Okay, Nikki“, sagte er und fühlte ihren angespannten Körper. „Ich entschuldige dich.“

Dann presste er seinen Mund auf den ihren und spürte einen Augenblick der Hingabe, als sich ihre Lippen öffneten und ihr Atem sich mit seinem vermischte. Der Duft ihres Parfüms erregte ihn, und Erinnerungen an endlose Liebesspiele machten ihn fast wahnsinnig. Oh Gott, wie sie damals auf ihn reagiert hatte! Er war verloren in Gefühlen, die er eine so lange Zeit weggesperrt hatte und die jetzt mit aller Macht zurückkehrten. Begierde verdrängte jeden Gedanken. Stöhnend küsste er Nicole heftiger und leidenschaftlicher, während er sie fest umschlungen hielt.

Nicole erstarrte. Sie riss ihren Kopf weg, als ob sie sich verbrannt hätte. „Tu das nicht“, warnte sie mit rauer Stimme. Ihre Lippen zitterten, sie schluckte und lehnte sich zurück, um ihn anzusehen. „Mach das nie wieder. Das …“ Sie erhob eine Hand, um sie sogleich wieder fallenzulassen, „ … das war fehl am Platz und … völlig … völlig unpassend.“

„Völlig“, stimmte er zu, ohne sie freizugeben.

„Ich meine es ernst, Thorne.“

„Warum? Hast du Angst vor mir?“

„Nein. Aber das, was wir miteinander hatten, ist vorbei.“

Zweifelnd zog er eine Braue hoch, während Regentropfen an seinem Gesicht hinunterrannen.

„Vorbei!“ Ihre Augen verengten sich, und sie befreite sich aus seiner Umklammerung. „Ich weiß nicht, was du in den letzten siebzehn Jahren erlebt hast, aber ich glaube, ein bisschen Nachhilfe in Sachen Feingefühl könnte dir nicht schaden.“

„Meinst du? Vielleicht hilfst du mir dabei.“

Sie lachte freudlos auf. „Das könnte ich. Aber darauf kannst du lange warten!“ Sie stieg ins Auto und wollte gerade die Tür zuziehen, als sie ihn sagen hörte: „Okay, vielleicht hab ich mich schlecht benommen.“

„Gut. Also wird es nicht wieder vorkommen.“ Sie steckte den Schlüssel in die Zündung und murmelte etwas von aufgeblasenen, dickköpfigen Männern. Dabei warf sie ihm einen Blick zu, der ihn bis ins Mark treffen sollte. Der Motor des Geländewagens stotterte und starb dann ab.

„Bitte tu mir das nicht an“, flüsterte sie, und ihm war nicht klar, ob sie ihn oder den Wagen meinte. Sie drehte den Schlüssel noch einmal herum. Doch der Motor grummelte nur. „Verflucht.“

„Wenn ich dich mitnehmen soll …“

„Er wird schon anspringen. Er hat seine Launen.“

„Wie seine Besitzerin.“

„Wenn du meinst.“ Sie nahm einen tiefen Atemzug, legte den Sitzgurt an und fasste nach dem Türgriff. „Gute Nacht, Thorne.“ Dann riss sie die Tür zu und erweckte im dritten Anlauf den Motor zum Leben. Sie drückte auf das Gaspedal, sodass die Maschine aufheulte, und während sie die Scheibe herunterkurbelte, sagte sie: „Ich gebe dir Bescheid, wenn sich der Zustand deiner Schwester verändert.“

Dann fuhr sie davon, und während Thorne den Rücklichtern nachschaute, gab er sich innerlich einen Tritt.

Es war dumm von ihm gewesen, sie anzufassen.

Aber er würde es, wenn sich auch nur die geringste Gelegenheit bot, sofort wieder tun.

3. KAPITEL

„Gott, hilf mir“, flüsterte Nicole und versuchte zu verstehen, warum um alles in der Welt Thorne sie so innig umarmt hatte. Und wichtiger noch, warum hatte sie ihn nicht sofort daran gehindert? Weil du es genauso wolltest wie er, du Dummkopf.

Was bildete er sich ein, sich so einzumischen, ihre Integrität und die des Krankenhauses infrage zu stellen … und dann die Unverfrorenheit zu besitzen, sie anzufassen, als sei sie ein willenloses, naives Dummchen!

Genau wie das Mädchen von damals, wie es ihm in Erinnerung war.

Sie errötete und ihre Finger umkrampften das Lenkrad. Jahrelang hatte sie daran gearbeitet, ihre Schüchternheit zu überwinden. Und sie würde nicht zulassen, dass Thorne McCafferty ihre schwer errungene Selbstsicherheit infrage stellt. Niemals. Egal wie.

Sie bog in eine Seitenstraße ein, parkte den Wagen vor den Neonlichtern von Montana Joe’s Pizzeria und rannte in das Restaurant. Während Nicole in der Schlange vor der Bestelltheke stand, schnappte sie Gesprächsfetzen der anderen Gäste auf. Der Name McCafferty fiel dabei öfter, als es ihr lieb war.

„Schrecklicher Unfall … Halbschwester … schwanger, aber der Vater oder Ehemann wird nicht erwähnt … in der Familie gab es schon immer böses Blut … wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus …“ Obwohl Grand Hope in den letzten Jahren deutlich gewachsen und für Montana eine durchaus große Stadt geworden war, schlug hier doch noch das Herz einer Kleinstadt, wo jeder jeden kannte.

Nicole gab ihre Bestellung auf, nahm bald darauf ihre Pizzen entgegen und weigerte sich, über irgendein Mitglied der McCafferty Familie nachzudenken – speziell über Thorne. Er war tabu. Punkt.

Der Grund, warum sie seinen Kuss erwidert hatte, war einfach. Sie hatte seit über zwei Jahren keinen Mann mehr geküsst, und es lag mehr als fünf Jahre zurück, dass sie auch nur einen Funken Leidenschaft verspürt hatte.

Als sie wieder in ihrem Geländewagen saß, verweigerte der Motor erneut seinen Dienst. „Komm schon, komm schon“, murmelte sie. Sie versuchte es immer wieder, trat verzweifelt auf das Gaspedal und tadelte sich dafür, dass sie den Wagen nicht zur regulären Inspektion in die Werkstatt gebracht hatte.

„Du schaffst es“, murmelte sie, und beim vierten Versuch sprang die Maschine schließlich an. „Morgen“, versprach sie und klopfte versöhnlich auf das Armaturenbrett, „bring ich dich hin. Versprochen.“

Nicole fuhr durch einige Seitenstraßen zu ihrem kleinen Haus am Stadtrand. Der durchdringende Duft von geschmolzenem Käse und scharfer Sauce erfüllte das Innere des Wagens und betörte ihre Sinne. Unwillkürlich musste sie an Thorne denken und spürte immer noch seinen Mund auf ihren Lippen.

Mit seiner Arroganz, seinem Konkurrenzdenken und seiner Herrschsucht verkörperte er alles, was sie an einem Mann verabscheute.

Doch hinter der Maske von Stolz und Führungsmentalität hatte sie einen vielschichtigeren Menschen erblickt, sanft und hilflos in der Kommunikation mit seiner bewusstlosen Schwester.

Er hatte versucht mit Randi Kontakt aufzunehmen, wobei sein Nacken voller Verlegenheit errötet war. Seine stahlgrauen Augen hatten puren Schmerz ausgedrückt angesichts des Zustands seiner Schwester – als wollte er sich selbst die Schuld für ihren Unfall geben.

„Deute nur nicht zu viel in ihn hinein“, ermahnte sie sich, als sie das Steuer herumdrehte und den Wagen in der Auffahrt ihres Hauses abbremste, um direkt vor der Garagentür zum Stehen zu kommen.

Die Aktentasche und Pizzaschachteln jonglierend, stürmte sie der hinteren Verandatür entgegen. Nachdem es ihr gelungen war, sie aufzuschließen, drückte sie sie mit einem Hüftschwung auf. Patches, ihre schwarz-weiße Katze, schlüpfte durch den Türspalt hinein, und Nicole wäre beinahe über das Tier gestolpert. Trappelnde Schritte donnerten durch das Haus.

„Mom! Mom! Mommy!“, schrien die heranbrausenden Zwillinge und rutschten über den gelben Linoleumboden. Molly und Mindy trugen identische weiß und rosa karierte Schlafanzüge mit passenden Hausschuhen. Ihre feuchten Haare ringelten sich in dunkelbraunen Locken um engelhafte Gesichter und strahlend braune Augen.

Nicole stellte die Pizzaschachteln auf den Küchentresen, ging in die Knie und öffnete weit ihre Arme. Die vierjährigen Racker warfen sie fast um. „Habt ihr mich vermisst?“, fragte sie.

„Ja“, antwortete Mindy mit einem schüchternen Lächeln und nickte.

„Hast du Pizza mitgebracht?“, fragte Molly.

„Natürlich. Unmengen sogar.“ Sie küsste jeden der beiden feuchten Köpfe. Dann schlüpfte sie aus ihrem Mantel und hängte ihn in einen Wandschrank nahe der Essecke.

Jenny Riley, das Kindermädchen der Zwillinge, tauchte unter dem Torbogen auf, der die Küche vom Essbereich trennte. Groß und gertenschlank, mit langen schwarzen Haaren und einem Ring in der Nase.

„Wie waren sie heute?“, fragte Nicole.

„Unartig wie immer“, erwiderte Jenny mit ironischem Unterton, während ihre grünen Augen zwinkerten.

„Waren wir nicht!“, protestierte Molly und stemmte ihre kleine Faust in die Hüfte. „Wir war lieb.“

„Waren“, korrigierte Nicole. „Ihr wart lieb.“

„Ja“, sagte Mindy und nickte einverständlich mit ihrer altklugen Schwester. „Sehr lieb.“

Jenny lachte und bückte sich, um die losen Schnürsenkel ihrer knöchelhohen Tennisschuhe festzubinden. „Okay, ich hab gelogen“, gab sie zu. „Ihr wart lieb. Beide. Sehr lieb.“

„Möchtest du ein Stück Pizza?“, bot Nicole an. Mit den Fingern und mithilfe eines Pfannenwenders beförderte sie die heiß dampfenden Pizzastücke auf Pappteller. Die Mädchen kletterten auf ihre Stühle. Nicole leckte sich den geschmolzenen Käse von den Fingern und sah Jenny fragend an.

„Nein, danke. Mama wartet mit dem Dinner und …“, Jenny zwinkerte etwas gekünstelt, „… danach hab ich eine Verabredung.“

„Oh“, erwiderte Nicole. „Kenne ich ihn?“

„Nein. Es sei denn, du kennst dich mit zweiundzwanzigjährigen Cowboys aus.“

„Nur in der Notaufnahme. Ich musste sie das eine oder andere Mal behandeln.“

„Diesen nicht“, erwiderte Jenny mit einem breiten Lächeln und leichter Röte im Gesicht. „Er heißt Adam und arbeitet für die McCafferty-Familie. Und … ich erzähl dir später mehr.“

Nicoles gute Stimmung verschwand, als sie den Namen McCafferty hörte. Wie es schien, konnte sie dieser Familie heute nicht entkommen.

„Ich gehe dann“, sagte Jenny und schlüpfte zur Tür hinaus, während Nicole versuchte, einen Streit der Zwillinge zu schlichten. „Molly, du darfst deiner Schwester keine Salami von der Pizza klauen.“

Sie nahm einige Scheiben von ihrem eigenen Stück und legte sie auf Mindys Teller. „Da, jetzt ist alles wieder gut.“

Doch Mindy hörte nicht auf zu schluchzen und zeigte verachtend mit dem Finger auf ihre Zwillingsschwester. „Du böse!“

Molly schüttelte den Kopf. „Bin ich nicht.“

Nicole warf ihrer Tochter einen Blick zu, der sie zum Schweigen aufforderte. Dann nahm sie Mindy hoch und flüsterte ihr tröstende Worte ins Ohr, während sie mit ihr zum Flur ging. „Komm schon, mein großes Mädchen. Jetzt putzen wir dir die Zähne und bringen dich ins Bett.“

„Will nicht …“, jammerte Mindy, während Molly laut gackerte. Als sie merkte, dass sie allein war, rutschte sie schnell von ihrem Stuhl, und auf kleinen Füßen trabte sie der Mutter und Mindy hinterher. Im Badezimmer war der ganze Streit vergessen, Tränen wurden weggewischt und Zähne geputzt.

Die nächsten zwanzig Minuten verbrachte Nicole mit den Mädchen zusammengekuschelt unter einer Decke in dem alten Schaukelstuhl ihrer Großmutter. Sie las ihnen Geschichten vor, die die beiden schon ein Dutzend Mal gehört hatten. Mindys Augen fielen sofort zu, während Molly, die ewige Kämpferin, sich abmühte wach zu bleiben. Wenige Minuten später schlief auch sie ein.

Zum ersten Mal an diesem Tag empfand Nicole Frieden. Sie sah auf das Kaminfeuer, das Jenny angezündet hatte. Nur verlöschende Glut und glimmende Kohlen waren noch zurückgeblieben und warfen rotgoldene Schatten in das kleine Wohnzimmer.

Vor sich hin summend schaukelte Nicole im Stuhl, bis sie selbst fast einnickte.

Doch sie gab sich einen Ruck, stand auf und trug die Zwillinge in ihr Zimmer, um sie in ihre kleinen Betten zu legen. Mindy gähnte und rollte sich auf die Seite. Ihr Daumen verschwand automatisch im Mund. Molly blinzelte. „Ich hab dich lieb, Mom“, flüsterte sie und schlief wieder ein.

„Ich dich auch, Liebes.“ Sie gab jeder Tochter einen Kuss und atmete dabei den Duft ihres Shampoos ein. Dann schlich sie sich zur Tür.

Molly seufzte laut, während Mindys kleiner Mund schmatzende Geräusche von sich gab.

Die Arme über der Brust verschränkt lehnte sich Nicole gegen den Türpfosten und dachte einen Moment lang an Randis Baby, das auf der Entbindungsstation lag, dessen Vater noch nicht gefunden wurde und dessen Mutter im Koma lag. Was würde wohl aus diesem kleinen Jungen werden?

Ihm war bewusst, dass er einen Fehler von entscheidender Bedeutung machte, doch er konnte nicht anders. Während Thorne durch die Straßen fuhr und im Stillen staunte, wie groß diese Stadt geworden war, hatte er sich entschlossen, Nikki noch einmal zu sehen, bevor er zurück zur Ranch fuhr.

Auch wenn sie ihn wahrscheinlich rauswerfen würde, was er ihr noch nicht einmal verübeln könnte, nachdem er sie derartig bedrängt hatte.

Nachdem sie den Parkplatz verlassen hatte, war er ins Krankenhaus zurückgegangen, hatte in der Cafeteria eine Tasse bitteren Kaffee getrunken und gleich darauf damit begonnen, alle Ärzte ausfindig zu machen, die irgendetwas über Randi und das Baby wussten. Die meisten konnte er aber nicht erreichen und so hinterließ er ihnen lediglich Nachrichten.

Mit einem Anruf auf der Ranch kündigte er Slade an, dass er bald kommen würde, kaufte dann in der Eingangshalle des Krankenhauses eine einzelne weiße Rose und rannte mit hochgezogenen Schultern hinaus in den Regen zu seinem Wagen.

„Das ist Wahnsinn“, murmelte er, als er über eine Brücke fuhr und sich ihrem Stadtteil näherte. Nicoles Adresse hatte er in einem von einer Krankenschwester erbetenen Telefonbuch gefunden. Gewappnet für einen kühlen Empfang, parkte er den Wagen vor dem kleinen Haus.

Den Kiefer fest angespannt, eilte er den Steinweg hoch und drückte, ohne zu zögern, auf die Klingel. Während er hörte, dass sich Schritte näherten, dachte er, dass er schon heiklere Situationen als diese gemeistert hatte. Das Licht auf der Veranda sprang an, und er sah ihre Augen durch eines der drei schmalen Fenster in der Tür spähen.

Ein paar Schlösser klickten, und die Tür öffnete sich. In einen flauschigen, weißen Morgenrock gewickelt stand sie vor ihm. „Kann ich etwas für dich tun?“, fragte sie ohne ein Lächeln. Ihr Blick wanderte von seinem Gesicht zu der Blume in seiner Hand.

Fast hätte er laut aufgelacht. „Weißt du, gerade schien es mir noch eine gute Idee … jetzt fühl ich mich wie ein Trottel.“

„Warum?“ Wieder hob sich ihre Augenbraue.

„Weil ich dachte, ich müsste mich bei dir entschuldigen für mein Verhalten.“

„Auf dem Parkplatz?“

„Und in der Klinik.“

„Du warst mitgenommen. Mach dir darüber keine Gedanken.“

„Ich war nicht einfach mitgenommen. Ich war außer mir, und ich möchte mich wieder mit dir versöhnen.“

Sie hob ihr Kinn ein wenig. „Mit mir versöhnen? Damit?“, fragte sie und zeigte mit dem Finger auf die einzelne weiße Knospe.

„Ein kleiner Anfang.“ Er reichte ihr die Rose und glaubte, hinter ihrer strengen Fassade eine tiefere Regung zu erkennen. Sie nahm die Blume, roch an ihr und seufzte.

„Danke. Das ist schon mehr als genug …“

„Nein, ich glaube, ich schulde dir eine Erklärung.“

Sie spannte sich erneut an. „Es war nur ein Kuss. Ich werde es überleben.“

„Ich meine über die Vergangenheit.“

„Nein!“, erwiderte sie nachdrücklich. „Lass uns das einfach vergessen, okay? Es war ein langer Tag. Für uns beide. Danke für die Blume und die Entschuldigung. Das ist … das ist sehr nett von dir, aber ich glaube, es wäre das Beste – für alle, eingeschlossen deine Schwester und ihr Baby – wenn wir so tun, als sei nie etwas zwischen uns gewesen.“

„Kannst du das?“

„Ja … Natürlich.“

Er konnte nicht umhin, seine Mundwinkel zu verziehen. „Lügnerin“, sagte er, und Nicole trat einen kleinen Schritt zurück. Was bildete er sich ein, einfach vorbeizukommen und … Was? Sich zu entschuldigen? Ist das etwa ein Verbrechen? Warum bittest du ihn nicht herein und bietest ihm einen Kaffee oder Drink an?

„Nein!“

„Du bist keine Lügnerin?“

„Normalerweise nicht“, erklärte sie und fing sich wieder ein bisschen. Sie bemerkte, dass sich ihr Bademantel vorne ein wenig geöffnet hatte, und es kostete sie all ihre Willenskraft, ihn nicht wie eine prüde alte Jungfer schnell wieder zu schließen. „Du scheinst die schlechtesten Seiten in mir hervorzurufen.“

„Dito.“ Er beugte sich nach vorne, als wollte er sie wieder küssen. Doch statt ihre Lippen zu suchen streifte sein Mund ihre Wange mit dem Hauch einer Berührung. „Gute Nacht, Frau Doktor“, flüsterte er und eilte die Verandatreppe hinunter.

Nachdenklich drehte sie den Stiel der Rose zwischen den Fingern, während sie zusah, wie er seinen Truck in der Auffahrt wendete und in der Nacht verschwand.

Sie ging ins Haus zurück und verschloss die Tür. Nicole wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte, doch sie spürte, dass es nichts Gutes verhieß.

Sie konnte und würde sich nicht noch einmal auf Thorne einlassen. Auf gar keinen Fall. Und seine Blume sollte sie am besten sofort in den Müll werfen. Doch sie zögerte. Wie kindisch das Ganze war. Thorne hatte nur versucht etwas wiedergutzumachen. Weiter nichts. Schließlich stellte sie die Rose in eine schmale Vase.

Thorne parkte den Wagen vor dem ehemaligen Maschinenschuppen und richtete den Blick auf die Anhöhe mit seinem ehemaligen Zuhause. Warmes Licht fiel aus den hohen Fenstern. Was einst ein sicherer Hafen gewesen war, war ihm später zum Gefängnis geworden, zu dem er eigentlich nie wieder zurückkehren wollte.

Er nahm seine Aktentasche sowie die kleine Reisetasche und wunderte sich, was in ihn gefahren war. Warum hatte er bei Nikki angehalten? Es war nicht nur um eine simple Entschuldigung gegangen, und dieser Gedanke irritierte ihn. Es war, als ob das Wiedersehen mit ihr tief in seinem Innersten etwas entfacht hatte, von dem er glaubte, dass es vor Jahren erloschen war.

Während er mit eingezogenem Kopf durch den Regen lief, erinnerte er sich an seine allererste Begegnung mit Nicole, bei einer städtischen Feier zum Unabhängigkeitstag. Im darauf folgenden Herbst wollte er mit dem Jurastudium beginnen und war überhaupt in jeder Hinsicht darauf bedacht, sein Leben voranzutreiben. Gleichzeitig und skrupellos lief er jedem Mädchen hinterher. Nicole war erst siebzehn gewesen, schüchtern und mit den unglaublichsten Augen. Von einem Hügel aus hatten sie gemeinsam die ganze Stadt überblickt, in Erwartung der Dunkelheit und des bevorstehenden Feuerwerks.

Diese Nacht mit ihr schien Lichtjahre her und vermischte sich mit anderen Erinnerungen, die an diesem besonderen Ort herumspukten. Während er die Stufen hinaufging, dachte er daran, wie er als Achtjähriger beinahe in dem Badeteich ertrunken war, als er mit seinen Brüdern Fasanen jagte und so getan hatte, als ob das eiskalte Schweigen zwischen seinen Eltern nicht existierte. Doch die deutlichste Erinnerung war die an Nikki.

„Vergiss es!“, ermahnte er sich, als er die feinmaschige Gittertür aufriss und vom Geruch seiner Kindheit empfangen wurde. Kaminruß, frischer Zitronenwachs auf den Böden und das Aroma von gebratenem Speck. Er ließ seine Taschen neben der Eingangstür fallen und wischte sich den Regen aus dem Gesicht.

„Thorne?“ Matts Stimme tönte laut durch das hundert Jahre alte Haus. Stiefelschritte auf der Treppe kündigten seinen Bruder an. „Ich hab mich schon gefragt, wann du hier auftauchen würdest.“ Wie immer in Jeans und Flanellhemd, klopfte Matt seinem Bruder auf die Schulter. „Wie geht es dir, alter Junge?“

„Wie immer.“

„Fies und gemein und auf dem Weg zur nächsten Million?“, erkundigte sich Matt wie üblich. Aber dieses Mal traf seine Frage einen Nerv und verursachte eine Pause.

„Ich kann es nur hoffen“, antwortete Thorne gegen seine Überzeugung und knöpfte seinen Mantel auf. Er war übersättigt von seinem Leben. Gelangweilt. Er wollte mehr, wusste aber nicht, was.

„Wie geht es Randi?“, fragte Matt, und sein Gesicht bekam einen besorgten Ausdruck.

„Unverändert.“

„Es braucht eben einfach seine Zeit.“ Matt deutete mit dem Kinn in Richtung Wohnzimmer, aus dem ein Lichtschein in den Flur drang. „Komm rein. Ich spendier einen Drink. Du siehst aus, als könntest du einen gebrauchen.“

Thorne nickte. „Wo ist Slade?“

„Er füttert das Vieh.“ Matt setzte sein unwiderstehliches Lächeln auf, mit dem er schon mehr Frauen betört hatte, als Thorne überhaupt zählen wollte.

Der große, dunkle und gut aussehende Mann war der mittlere der drei McCafferty-Brüder. Seine braunen Augen waren fast schwarz und seine Haut durch die vielen Stunden im Freien tief gebräunt. Der Dreitagebart war genauso dunkel wie einst der ihres Vaters.

Kräftig und zäh wie Leder konnte Matt McCafferty ebenso ein Hufeisen schmieden wie einem Mustang ein Brandzeichen geben oder ein bockiges Kalb einfangen. Ein rauer, wilder und verdammt starrköpfiger Cowboy.

Matt gehörte hierher.

Thorne nicht.

Nicht, seitdem seine Eltern sich hatten scheiden lassen.

„Sieh mal einer an.“ Matt gab ein scharfes Pfeifen von sich, als er den Wollstoff von Thornes Mantel befühlte. „Seit wann bekennst du dich zur Mode?“

Thorne schnaubte verächtlich. „Glaub das ja nicht. Aber ich war gerade im Büro, als Slade mich anrief, und hatte keine Zeit mehr, mich umzuziehen.“ Er hängte seinen Mantel an einen alten Messinghaken neben der Tür, zwischen die Daunen- und Schaffelljacken seiner Brüder, dann lockerte er den Knoten seiner Seidenkrawatte. „Erzähl mir, was los ist.“

Gemeinsam betraten sie den Wohnraum mit den abgenutzten Ledersofas und dem verstaubten Klavier. Zwei Schaukelstühle standen vor der rußgeschwärzten Mauer des Kamins, über dem das alte Gewehr ihres Großvaters hing, aufgestützt auf das Geweih eines vor langer Zeit erlegten Elchs.

„Es gibt nicht viel zu sagen.“

Matt öffnete den Getränkeschrank, der sich in einer Bücherwand mit dicken Ledereinbänden verbarg. Bücher, die schon lange niemand mehr angefasst hatte. „Was darf’s sein?“

„Scotch.“

Matt suchte und zog schließlich eine verstaubte Flasche aus dem Schrank hervor. „Sieht aus, als hättest du Glück.“ Nachdem er zwei Gläser gefunden und mit seinem Hemd notdürftig abgewischt hatte, füllte er sie großzügig.

„Auf Randi“, sagte Thorne und stieß mit seinem Bruder an.

Er schüttete seinen Drink hinunter und entspannte sich sofort, als der Alkohol seine Kehle hinunterlief und eine Feuerspur bis zu seinem Magen hinterließ.

„Okay, dann schieß los“, sagte er, während Matt das bereits im Kamin aufgestapelte, zundertrockene Holz anzündete.

„Soweit die Polizei weiß, ist Randi oben im Glacier Park mit ihrem Wagen verunglückt. Niemand kennt die genauen Umstände, die Beamten untersuchen das noch. Jedenfalls war sie allein im Auto und ist entweder auf eisglatter Fläche ins Rutschen gekommen oder irgendeiner Sache ausgewichen – einem verdammten Reh oder so, keine Ahnung. Jedenfalls hat sie die Kontrolle verloren und der Wagen ist eine Böschung hinuntergerollt, und …“, er betrachtete sein Glas, „… sie und das Baby können von Glück sagen, dass sie noch am Leben sind.“

Thorne presste die Kiefer zusammen. „Wer hat sie gefunden?“

Autor

Lisa Jackson
Ihre Schwester animierte Lisa Jackson zum Schreiben. Mittlerweile zählt sie zu den amerikanischen Top-Autorinnen, ihre Romane erobern regelmäßig die Bestsellerlisten. Die Schriftstellerin hat zwei erwachsene Söhne und lebt im Bundesstaat Oregon.
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