Die McCloud-Töchter

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

OH, MANDY

Endlich wieder in Jesses Armen liegen, geküsst, geliebt werden! Als Teenager hat Mandy McCloud das von Herzen genossen. Nach Jahren aber muss sie dem reichen Rancher nun gestehen, dass sie ein Kind von ihm hat. Wird er darüber glücklich sein - oder sie nie wiedersehen wollen?

ICH WILL DICH UND DEINE KÜSSE

Der berauschende Kuss, mit dem Nash Samanthas glühende Leidenschaft weckt, lässt sie ihre Zurückhaltung vergessen. Durch ein früheres Albtraum-Erlebnis hat die junge Tierärztin bisher nur Angst vor den Männern und vor Sex gehabt. Aber der breitschultrige Grundstücksmakler Nash ist so einfühlsam, dass sie ihm bedingungslos vertraut. Doch nach der Leidenschaft der Nacht folgt die Realität des Tages: Samantha liebt das Landleben, Nash dagegen lehnt es ab. Deshalb werden sie sich nie wirklich verstehen können, fürchtet Samantha. Oder ist ihre Liebe stark genug, um alle Probleme zu besiegen?

MEIN SÜßER BLONDER ENGEL

Ihre blonden langen Haare wehen im Abendwind - John Lee kann kaum den Blick von der faszinierenden Meredith abwenden. Er möchte sie glücklich machen. Aber das wird schwierig. Meredith hat gerade ihr Kind verloren - nach einer neuen Liebe steht ihr sicher nicht der Sinn …

DU WEIßT DOCH, WAS ICH WILL

Beim Renovieren von Alaynas Waisenhaus packt Jack begeistert mit an. Harte Arbeit kann ihn nicht schrecken, tiefe Gefühle dagegen schon. Nach traurigen Erfahrungen hat er sein Herz fest verschlossen - für immer. Es sei denn, Alayna findet den richtigen Schlüssel …

SAG JA ZUR LIEBE

Heiraten muss ansteckend sein – fürchtet Travis. Oder warum hat er sich bei der Hochzeitsfeier seines Bruders sofort in die bezaubernde Lacey verliebt? Ein bisschen unverbindlicher Sex hier und da war Travis immer genug. Aber Lacey weckt erschreckend tiefe Gefühle in ihm...


  • Erscheinungstag 29.05.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774332
  • Seitenanzahl 648
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Peggy Moreland

Die McCloud-Töchter

IMPRESSUM

Oh, Mandy erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 1998 by Peggy Bozeman Morse
Originaltitel: „The Rancher’s Spittin’ Image“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1105 - 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Gabriele Ramm

Umschlagsmotive: Patrick Lienin; Yuri Arcurs / ThinkstockPhotos

Veröffentlicht im ePub Format in 05/2016 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733774202

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

 

Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.

1. KAPITEL

Die drei Frauen standen Schulter an Schulter und starrten auf das Porträt ihres Vaters, das seit mehr als zwanzig Jahren über dem Kamin im Arbeitszimmer hing. Das Bild zeigte Lucas McCloud lässig auf seinem Hengst Satan sitzend, und es sah aus, als wäre er im Sattel geboren worden.

Vor dem Panorama des blauen Himmels von Texas, den zerklüfteten Bergen und den grünen Weiden, die das Bild der Double-Cross-Heart-Ranch bestimmten, wirkten Pferd und Reiter unbezwingbar. Man konnte die Wildheit des Hengstes geradezu spüren, so gut hatte der Maler sie eingefangen. Die Ohren gespitzt, mit hoch erhobenem Kopf, begegnete das Pferd dem Blick des Betrachters mit einer Arroganz, Muskelkraft und Dominanz, die der des Manns auf seinem Rücken in nichts nachstand.

Und keiner kannte dessen Züge besser als die drei Frauen, die das Porträt betrachteten. Seit elf Jahren versammelten sie sich jedes Jahr an diesem Datum hier zu einer stillen Andacht.

Doch niemand, der sie zusammen sah, hätte vermutet, dass sie Schwestern waren – die drei Töchter von Lucas McCloud, in ihrem Wesen genauso verschieden wie in ihrem Äußeren.

Mandy, die Älteste, stand links von dem Bild und hielt einen Becher mit Kaffee in der Hand. Ihre fast zerbrechlich wirkende Gestalt verbarg eine innere Kraft und einen Willen, der dem des Mannes glich, der sie gezeugt hatte. Volles rotbraunes Haar fiel ihr auf die Schultern, ein Beweis ihrer Weiblichkeit, während Jeanshemd und ausgeblichene Jeans, ihre übliche Kleidung, die weichen Kurven verbargen. Ihr Kinn war beinahe trotzig vorgestreckt, während ein leichtes Zittern ihrer Lippen die Gefühle verriet, die sie beim Betrachten des Bildes ihres Vaters überkamen.

Samantha, die von ihrer Familie nur Sam genannt wurde, weil es ein viel passenderer Name für diesen Wildfang war, stand in der Mitte und hatte die Hände in die Taschen ihrer Jeans gesteckt. Rabenschwarzes Haar, zusammengebunden zu einem Pferdeschwanz, reichte ihr fast bis zur Mitte des Rückens. Obwohl Tränen in ihren Augen brannten, presste sie die Lippen fest aufeinander und schaute regungslos auf den Mann, der ihr Leben bis zu seinem Tod dominiert hatte.

Merideth stand auf der rechten Seite. In ihren langen schlanken Händen hielt sie lässig ein kristallenes Weinglas. Sie überragte die beiden anderen und wurde deshalb häufig für die Älteste gehalten – doch ein Blick auf ihren Schmollmund und den gelangweilten Gesichtsausdruck, und man wusste, dass sie die Jüngste in der Familie war. Ihre Schwestern, die Haushälterin der McClouds und alle anderen, von denen sie umgeben war, hatten Merideth total verzogen, nachdem ihre Mutter bei einem Autounfall viel zu früh ums Leben gekommen war. Lucas war der Einzige gewesen, der hart geblieben war und sich ihren Wünschen und Launen widersetzt hatte. Vor allem hatte er sich geweigert, ihr das zu erlauben, wonach sie sich am meisten gesehnt hatte – die Double-Cross-Heart-Ranch zu verlassen.

Seufzend wandte Merideth sich vom Porträt ab und strich sich eine Locke ihres blonden Haares hinter das Ohr. „Nun, ich bin ehrlich gesagt froh, dass er nicht mehr da ist.“ Entsetzt wirbelte Mandy herum und starrte sie an. „Merideth!“

Merideth zuckte mit den Schultern und sank graziös auf das Ledersofa. Sie verzog ihren Mund zu dem berühmten Schmollen, das ihr laut „Soap Opera Digest“ den Spitznamen „die Frau, die Amerika am liebsten hasst“ eingebracht hatte.

„Na ja, ist doch wahr“, sagte sie grimmig. „Er war gemein, tyrannisch und hat uns unser Leben diktiert, bis zu dem Tag, an dem er gestorben ist.“ Sie begegnete trotzig Mandys entsetztem Blick. „Du solltest das doch wohl am besten wissen.“ Obwohl ihr das Blut in die Wangen schoss, umklammerte Mandy ihren Becher fester und schaffte es, in ruhigem Ton zu antworten. „Er war unser Vater“, entgegnete sie. „Er hat uns geliebt – auf seine Weise. Außerdem war es sein Vermögen, das uns allen ermöglichte, uns unsere Träume zu erfüllen. Wenigstens dafür solltest du dankbar sein.“

Merideth zog eine Augenbraue in die Höhe. „Unsere Träume?“, wiederholte sie und bedachte Mandy mit einem Blick, der Regisseure und Maskenbildner in Angst und Schrecken versetzte.

„Lass das, Merideth“, warnte Sam sie und wandte sich ebenfalls vom Bild ab.

„Oh, du meine Güte!“, rief Merideth verärgert. „Es ist doch wahr, und du weißt es. Du konntest endlich Tierärztin werden, etwas, was Daddy dir nie erlaubt hätte, und ich konnte mir eine Fahrkarte nach New York kaufen und besitze jetzt die Mittel, umso zu leben, wie ich es möchte und dabei das zu tun, was ich schon immer tun wollte, nämlich schauspielern. Aber was hat Mandy bekommen? Hm?“, fragte sie spitz.

„Ich habe die Ranch“, murmelte Mandy und drehte sich weg.

„Wir alle haben die Ranch bekommen“, erinnerte Merideth sie. „Aber du warst die Einzige, die hierbleiben und die Ranch bewirtschaften wollte. Was ich wissen möchte, ist, was Daddys Vermögen dir gebracht hat. Hat es dir ermöglicht, dir deinen Traum zu erfüllen?“

Mandy verspannte sich, weil Merideths Worte alte, nie verheilte Wunden berührten. „Ich habe das Geld. Ich habe nur noch nichts davon ausgegeben … bis jetzt.“

Merideth setzte sich abrupt auf. „Bis jetzt?“, wiederholte sie, bevor sie schnell den Kopf schüttelte und eine Hand hob, um Mandy von einer Antwort abzuhalten. „Nein. Bitte erzähl mir nicht, dass du irgendwelche neuen, exotischen Rinder züchten willst oder noch so eine riesige Scheune bauen willst.“

Mandy wandte sich wieder zu ihren Schwestern. „Nein, ich werde die Circle-Bar-Ranch kaufen.“

Merideth sprang auf, während Sam erschrocken die Augen aufriss. Beide waren mehr als vertraut mit der Circle-Bar-Ranch, die an ihre eigene grenzte und mit dem Streit, der seit vier Generationen zwischen den Ranches herrschte.

Sam fand als Erste die Sprache wieder. „Du willst die Circle-Bar-Ranch kaufen? Aber warum?“, stotterte sie.

„Weil ich gehört habe, dass sie vielleicht zum Verkauf steht“, entgegnete Mandy und hob trotzig ihr Kinn, in der Hoffnung, dass ihre Schwestern es dabei belassen würden. Doch sie hätte es besser wissen müssen. Vor allem Merideth ließ sich mit solch einer vagen Antwort nicht abspeisen.

„Das wäre vielleicht ein Grund, wenn du sie gebrauchen könntest – was du aber nicht tust.“ Merideth kniff misstrauisch die Augen zusammen. „Was ist also der wirkliche Grund? Glaubst du, dass es Jes…“

„Nein!“ Mandy schrie fast, um Merideth davon abzuhalten, den Namen laut auszusprechen. „Ich will sie für Jaime kaufen. Er hat ein Recht auf sein väterliches Erbe.“

Sam, die ruhigste und häufig die weichherzigste der drei Schwestern, kam zu Mandy und legte ihr voller Mitgefühl einen Arm um die Schultern. „Jaime braucht die Circle-Bar-Ranch nicht“, meinte sie tröstend. „Er hat dich und die Double-Cross-Heart-Ranch. Er braucht nichts von den Barristers.“

Obwohl sie Sams Argumente verstand und dankbar für ihre Unterstützung war, befreite Mandy sich aus dem Arm ihrer Schwester und umklammerte ihren Becher noch fester. „Ich glaube trotzdem, dass dieses väterliche Erbe wichtig für ihn ist … oder es zumindest irgendwann sein wird. Ich kann ihm zwar seinen Vater nicht geben, aber so wenigstens eine Verbindung zu seiner Vergangenheit.“

Merideth hob die Arme zur Decke und ließ sie dann frustriert wieder sinken. „Es ist gut, dass Daddy nicht mehr bei uns ist, denn wenn ihm dieser Unsinn zu Ohren käme, würde er dich für den Rest deines Lebens in deinem Zimmer einsperren!“

Mandy schaute ihre Schwester gelassen an. „Aber das ist es ja. Daddy ist nicht mehr da. Er kann mich nicht mehr davon abhalten, das zu tun, was ich möchte.“ Sie stellte den Becher auf den Schreibtisch und setzte sich neben Merideth auf das Sofa. „Seit dem Tod von Wade Barrister gibt es Gerüchte, dass die Circle-Bar-Ranch verkauft werden soll. Wenn jemand sie verdient hat, dann Jaime.“

„Ob das stimmt oder nicht, ist völlig bedeutungslos“, erklärte Merideth. „Du weißt genauso gut wie ich, dass Margo Barrister die Circle-Bar-Ranch niemals an eine McCloud verkaufen würde.“

Mandy lächelte listig. „Sie wird es erst erfahren, wenn es schon zu spät ist.“

Verblüfft starrte Merideth Mandy an. „Und wie willst du die Ranch kaufen, ohne dass Margo es erfährt? Schließlich ist sie Wades Witwe.“

„Ich habe mir das genau überlegt. Morgen werde ich mit meinem Anwalt darüber sprechen. Er soll eine Pseudofirma gründen, die nicht mit mir in Verbindung gebracht werden kann. Diese Firma wird den Besitz kaufen, und dann, wenn Jaime erwachsen ist, werde ich ihm die Ranch überschreiben. Auf diese Weise bekommt er sein väterliches Erbe. Etwas, was ihm niemand nehmen kann.“

Merideth, die stolz darauf war, jede Situation zu ihrem Vorteil zu nutzen, klatschte Mandy Beifall für ihre List und rieb sich voller Schadenfreude die Hände. „Margo wird rasen vor Wut!“

Mandy lachte. „Ja, das wird sie, nicht wahr?“

Merideth lehnte sich schallend lachend zurück und meinte: „Ich hoffe, ich bin dabei, wenn sie es erfährt. Diese eingebildete Ziege. Es geschieht ihr nur recht.“

Sam reagierte nicht so euphorisch auf Mandys Neuigkeiten. Sie setzte sich ebenfalls auf das Sofa und schaute sie besorgt an. „Bist du sicher, dass du weißt, was du tust? Manchmal ist es besser, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Du könntest dir viel Ärger einhandeln, wenn du das durchziehst. Margo wird die Sache nicht auf sich beruhen lassen.“ Mandy griff nach Sams Hand und drückte sie. „Aber wenn sie es erfährt, wird es zu spät sein, um etwas daran zu ändern.“

Merideth setzte sich auf und legte die Hand auf die ihrer Schwestern. „Ich stehe auf jeden Fall hinter dir. Auch wenn ich die Gründe, warum du die Circle-Bar-Ranch kaufen willst, nicht ganz einsehe, denke ich, dass du das Recht hast, mit dem Geld, das Daddy dir hinterlassen hat, das zu tun, was du möchtest. Es kommt mir fast wie ausgleichende Gerechtigkeit vor, findest du nicht auch?“ Sie warf einen Blick auf das Porträt ihres Vaters und lächelte. „Wahrscheinlich dreht er sich gerade im Grabe um.“

Mandy kam aus dem Büro ihres Anwalts. Tief durchatmend blieb sie vor der Tür stehen. Sie hatte es getan. Sie hatte die Sache ins Rollen gebracht. Alle notwendigen Papiere waren unterzeichnet, um die Pseudofirma zu gründen, und sie hatte ihrem Anwalt Generalvollmacht erteilt. Jetzt konnte sie nur noch warten.

Sie biss sich auf die Unterlippe, als ihr die ganze Tragweite ihrer Tat bewusst wurde. Hatte sie wirklich das Richtige getan? Oder handelte sie sich nur viel Ärger ein, so wie Sam es vorausgesagt hatte? Sie unterdrückte den Gedanken und machte einen Schritt in Richtung Fahrstuhl.

Nein, sagte sie sich entschlossen. Jaime verdient die Circle-Bar-Ranch. Ihm war in seinem kurzen Leben schon genug entgangen. Er hatte ein Anrecht auf sein väterliches Erbe, das ihm als uneheliches Kind sonst versagt bleiben würde.

Gedankenversunken schaute Mandy auf, als die Fahrstuhltüren sich öffneten. Sie erstarrte, als sie einen Mann heraustreten sah. Er wandte sich nach links, ohne in ihre Richtung zu schauen – sie stand gut zehn Meter vom Fahrstuhl entfernt –, doch sie erhaschte einen Blick auf sein Gesicht, auf das markante Profil, das von einem schwarzen Stetson beschattet wurde, und auf das kräftige Kinn. Außerdem erkannte sie diesen zielgerichteten Gang, der jeden abschreckte, der die Absicht hatte, diesem Mann entgegenzutreten.

Jesse Barrister!

Oh, nein! Mandy stöhnte leise auf und ballte die Hände zu Fäusten. Was tat er hier? Und warum war er gerade jetzt hier?

Er verlangsamte seinen Schritt und seine Schultern drehten sich leicht, so als wollte er kehrtmachen. Mandy schnappte nach Luft und versteckte sich hastig in einem Gang. Gegen die Wand gedrückt und mit angehaltenem Atem horchte sie. Doch ihr Herzschlag dröhnte ihr in den Ohren und übertönte alle anderen Geräusche. Sie schloss die Augen und hoffte inständig, dass Jesse in die andere Richtung weiterging und sie ungesehen blieb.

Die schweißnassen Hände an die kalte Wand gepresst, stand sie da und wartete. Die Minuten vergingen; Mandy hatte das Gefühl, auf einem Pulverfass zu stehen. Doch sie konnte nicht für immer hier stehen bleiben, also warf sie ängstlich einen Blick den Flur entlang.

Er war leer.

Erleichtert sackte sie wieder gegen die Wand. Dann riss sie sich mit aller Kraft zusammen, huschte um die Ecke, eilte fort von den Fahrstühlen und zur Treppe am Ende des Ganges.

Zehn Stockwerke hinunterzulaufen war harmlos im Vergleich zu ihrer Angst vor Entdeckung.

„Bist du sicher, dass er es war?“

Mandy wirbelte herum und stützte sich mit den Händen auf dem Schreibtisch ab. Ihre grünen Augen funkelten, als sie Merideths zweifelnden Blick sah. „Ja, ich bin sicher! Er stand keine zehn Meter von mir entfernt.“

Sam kam um den Schreibtisch herum und legte einen Arm um Mandys Schultern. „Es ist bestimmt nur ein Zufall, dass er zurückgekommen ist“, murmelte sie beruhigend. „Vielleicht hat es gar nichts mit Jaime zu tun.“

„Es ist mir egal, warum er zurück ist“, flüsterte Mandy zitternd und unverändert aufgeregt. „Ich muss meinen Sohn beschützen.“

Sam und Merideth blickten sich an. Merideth kam heran und schob ihren Arm unter Mandys Ellenbogen. Trotz ihres Egoismus war Merideth eine McCloud, und zusammen würden sie und Sam, so wie in der Vergangenheit auch, ihrer Schwester zur Seite stehen.

„Er kann Jaime nichts tun, Mandy“, versicherte Merideth mit einer Zuversicht, die Mandy nicht teilen konnte. „Wir werden es nicht zulassen. Außerdem weiß Jesse doch nicht einmal, dass er einen Sohn hat.“

Mandy schaute Merideth mit Tränen in den Augen an. „Aber was ist, wenn er es herausfindet? Was ist, wenn er versucht, mir Jaime wegzunehmen?“

Merideth unterdrückte ein Schaudern und verbot sich, der Angst nachzugeben, die Mandys Fragen in ihr hervorriefen. Von ihrem Vater hatte sie gelernt, dass es ein Zeichen von Schwäche war, wenn man Angst zeigte – und sie, Merideth McCloud, hatte ihre Lektion gut gelernt. Sie legte immer eine unbezwingbare Selbstsicherheit an den Tag, die ihr geholfen hatte, sich gegen andere ehrgeizige Schauspieler durchzusetzen und eine der Hauptrollen in einer Seifenoper zu bekommen.

Mandy hatte die gleiche Lektion gelernt, doch im Moment war sie zu durcheinander, um daran zu denken. Merideth wusste, dass es an ihr war, sie wieder daran zu erinnern. „Also, was willst du tun?“, fragte sie scharf. Sie wusste, dass sie hart klang, aber ihrer Meinung nach erforderte die Situation es. „Willst du ihm Jaime aushändigen, ohne um ihn zu kämpfen?“

Mandy wirbelte entsetzt herum. „Natürlich nicht!“

„Dann hör auf, darüber nachzudenken, was passieren könnte, und konzentrier dich auf die Tatsachen. Jaime ist dein Sohn. Du hast ihn geboren, du hast ihn allein aufgezogen – ohne die Hilfe von Jesse oder sonst jemandem.“

„Aber wenn er vor Gericht geht? Was ist, wenn er das Sorgerecht einklagt?“

„Und welcher Richter würde ihm das Sorgerecht zusprechen?“ Merideth nahm Mandys Hände und drückte sie. „Es ist dein Sohn, Mandy. Jesse hat nichts weiter als seinen Samen gegeben.“

Mandy klammerte sich an den Rettungsring, den Merideth ihr bot. „Ich weiß das. Aber wenn er das mit Jaime herausfindet?“

„Komm mit mir nach New York. Du kannst mit Jaime bei mir bleiben, bis sich der Wirbel gelegt hat und wir wissen, was Jesse vorhat.“

Langsam straffte Mandy die Schultern und entzog Merideth ihre Hände. „Nein. Dann würde ich ja davonlaufen. Und eine McCloud läuft niemals davon!“

Merideth warf den Kopf zurück und lachte. „So ist es richtig! Ich wusste doch, dass du Mumm in den Knochen hast.“

Mandy runzelte die Stirn und betrachtete ihre Schwester misstrauisch. Zu spät erkannte sie, dass Merideth ihr etwas vorgespielt hatte, um sie zur Vernunft zu bringen. „Du bist ein schreckliches Gör, das weißt du, oder?“, grollte Mandy. „Das warst du schon immer.“

Merideth lächelte selbstzufrieden. „Das sagt man mir öfter“, meinte sie stolz. Sie ging zu dem Ledersofa und ließ sich darauffallen. „Keine Angst, ich bleibe noch ein bisschen hier, falls du jemanden brauchst, der dich daran erinnert, dass du eine McCloud bist.“

Mandy zog die Augenbrauen in die Höhe. „Das geht doch nicht. Du musst nach New York zu deinem Job!“

Merideth zuckte lässig mit den Schultern. „Der ist auch noch da, wenn ich zurückkomme“, erwiderte sie, voller Vertrauen in ihre Wichtigkeit für die Serie, in der sie mitwirkte.

„Du brauchst nicht zu bleiben“, warf Sam ein. „Ich bin ja hier, falls Mandy Hilfe braucht.“

Merideth wandte sich zu Sam. Langsam verzogen sich ihre Lippen zu einem Lächeln. „Ich hatte vergessen, dass die frischgebackene und begabte Tierärztin Dr. Samantha McCloud ja ihre Praxis hier auf der Ranch einrichtet. Na, dann werden meine Dienste ja nicht mehr benötigt.“ Sie drehte sich zu Mandy um. „Du wirst bei Sam in guten Händen sein, und ich bin schließlich nur einen Telefonanruf weit weg.“ Gemächlich stand sie auf, hob die Arme über den Kopf und streckte sich mit katzengleicher Anmut, bevor sie ihre beiden Schwestern in die Arme schloss. Dann trat sie einen Schritt zurück und streckte die Hand aus, mit dem Handteller nach oben.

„Einer für alle, und alle für einen!“, rief sie. „Die drei Musketiere!“

Lachend schlugen Sam und Mandy ein. „Für immer!“, antworteten sie.

Jesse bog vom Highway ab und fuhr durch das Eisentor, das den Eingang zur Circle-Bar-Ranch markierte, zum „großen Haus“. So wurde das Heim der Barristers von denen genannt, die auf der Circle-Bar-Ranch lebten und arbeiteten.

Obwohl er geglaubt hatte, gegen die Erinnerungen an die Vergangenheit gefeit zu sein, merkte Jesse, dass sich sein Magen verkrampfte und ihm der Schweiß ausbrach. Fluchend wischte er sich über das Gesicht und starrte durch die Windschutzscheibe auf die Straße vor ihm. Er nahm den Fuß vom Gas und trat auf die Bremse, um den Wagen auf dem Hügel zum Stehen zu bringen.

Von der strahlenden Sommersonne beschienen, wirkte das zweistöckige Herrenhaus genauso deplatziert, wie Jesse sich immer gefühlt hatte, während er auf der Circle-Bar-Ranch gelebt hatte. Dich statt sorgfältig gepflegter Rasenflächen mit Sümpfen und Magnolien und riesigen Eichen voller Moos, die man bei solch einem Haus erwarten würde, umgaben Wiesen mit grasenden Kühen, steinige Hügel und Zedern und Kakteen das Anwesen.

Margo Barrister hatte Wade, ihren Mann, nach ihrer Hochzeit vor mehr als vierzig Jahren zwar nicht davon überzeugen können, nach Atlanta zu ziehen, aber sie hatte ihn schließlich dazu gebracht, das ursprüngliche Haus der Barristers niederzureißen und es mit diesem Monstrum zu ersetzen – ein unübersehbares Zeugnis von Margos Wurzeln im vornehmen Süden.

Bei dem Gedanken an Margo umwölkte sich Jesses Stirn. Mrs Barrister. Sie hatte darauf bestanden, dass er sie so nannte. Nicht Mutter – nie im Leben hätte sie zugegeben, dass er Wades Sohn war. Margo hatte nichts anderes als unpersönliche Förmlichkeit von ihm verlangt.

Hass stieg in ihm auf, als er sich daran erinnerte. Er hatte sie niemals Mrs Barrister genannt. Er hatte sich überhaupt nie an sie gewandt. Das war nicht schwierig gewesen, da sie ihm den Zutritt zu ihrem Haus bei seiner Ankunft auf der Ranch verboten hatte.

Seine Miene wurde noch grimmiger, als Jesse an den Tag damals dachte. Margo hatte geflucht und getobt, als Wade seinen vierzehnjährigen, unehelichen Sohn mitgebracht hatte. Sie hatte ihm nicht erlaubt, ihre Türschwelle zu übertreten, sondern verlangt, dass Wade ihn in die Unterkunft brachte, in der die Rancharbeiter wohnten. Und genau dort hatte er bis zu dem Tag vor fast dreizehn Jahren gelebt, als er die Circle-Bar-Ranch und Texas so überstürzt verlassen hatte.

Ja, damals war es einfach gewesen, Margo aus dem Weg zu gehen.

Aber die Konfrontation, die ihn jetzt unten im Tal erwartete, die konnte er nicht vermeiden.

Jesse schüttelte die unangenehmen Erinnerungen ab, legte den Gang ein und machte sich auf den Weg hinab zum „großen Haus“.

Durch das Fenster ihres Wohnzimmers erhaschte Margo einen Blick auf eine Staubwolke, die über den Hügel wirbelte. Zusammenzuckend stellte sie langsam die Vase auf den Tisch und ging ans Fenster, um zum Hügel zu sehen.

„Verflixt!“, fluchte sie leise. Obwohl sie den schwarzen Transporter, der die Staubwolke verursachte, nicht kannte, ahnte sie, wer darin saß. Jesse. Er war gekommen, um sein Erbe anzutreten.

Ihre Lippen zitterten vor unterdrückter Wut. Er war hier, um die Circle-Bar-Ranch zu übernehmen. Wade hatte ihr zwar das Haus hinterlassen, aber nicht das Land, auf dem es stand. Das hatte er dem Sohn seiner mexikanischen Hure vererbt! Dass Wade es gewagt hatte, sie in aller Öffentlichkeit so zu beleidigen, indem er sein uneheliches Kind anerkannte und ihr das Land, die Dynastie wegnahm, die ihr alle Türen der guten Gesellschaft von Austin öffnete, war ungeheuerlich.

Margo legte eine Hand auf ihr Herz und zwang sich, tief Luft zu holen. Jesse brauchte ihren Widerwillen, ihre Wut … ihre Verzweiflung nicht zu sehen. Sie brauchte ihn, ob sie es zugeben wollte oder nicht. Sie kannte seine Pläne nicht. Noch nicht. Er hatte sich nicht mit ihr in Verbindung gesetzt, seit Wades Anwalt ihn über Wades Tod und das Erbe unterrichtet hatte.

Würde er die Ranch verkaufen? Oder würde er wieder hierher ziehen und sie selbst bewirtschaften, so wie Wade es gehofft hatte? Ihr Magen verkrampfte sich. Allein die Vorstellung, zusehen zu müssen, wie dieser elende Bastard auf ihrem Land herumging, war einfach zu entsetzlich, um darüber nachzudenken. Sie hoffte, dass er plante zu verkaufen. Wenn dem so war, dann würde sie das Land kaufen und die Barrister-Dynastie würde so wie in der Vergangenheit fortbestehen, nur dass dann sie, Margo, an der Spitze stehen würde.

Aber würde er an sie verkaufen? Sie ballte die Hände zu Fäusten, sodass die manikürten Fingernägel sich in das Fleisch der Handflächen gruben, während sie zusah, wie der Wagen vor dem Haus zum Stehen kam.

Augenblicklich zwang sie sich, die Finger wieder zu entspannen. Sie war Jesse Barrister gewachsen. Hatte sie es nicht auch geschafft, Wade jahrelang zu manipulieren?

Als Jesse aus dem Auto stieg, war sie erneut verblüfft über die Ähnlichkeit zwischen ihm und ihrem verstorbenen Mann. Das hat Wade mit Absicht gemacht, dachte Margo bitter. Er hatte sein Land diesem unehelichen Sohn vermacht, um sie ein letztes Mal dafür zu bestrafen, dass sie ihm keinen Erben geschenkt hatte.

Die Türglocke erklang. Margo holte tief Luft, richtete sich auf und strich über ihren Leinenrock, um sich für die bevorstehende Auseinandersetzung zu wappnen. Leise ging sie über den dicken Teppich zur Haustür, zwang sich zu einem Lächeln und öffnete.

„Jesse!“, rief sie aus, als wäre sie erstaunt über seine Ankunft. „Was für eine nette Überraschung! Bitte komm herein“, meinte sie höflich und schwang die Tür weit auf.

Jesse Barrister war kein Dummkopf. Er erkannte einen Wolf im Schafspelz. Seine Miene verzog sich nicht, als er Margo anschaute. „Ich kann die Sache genauso gut hier erledigen“, sagte er knapp.

„Die Sache?“, wiederholte sie, während sie einen Schritt zurücktrat. „Was für eine Sache?“

„Mein Erbe, um genau zu sein.“ Jesse starrte Margo an, die sich krampfhaft bemühte, ihr falsches Lächeln aufrechtzuerhalten.

„Dann hast du also mit Wades Anwalt gesprochen?“

„Ich komme gerade aus seinem Büro. Er hat mir das Testament des alten Herrn gezeigt.“ Selbst jetzt brachte Jesse es nicht über sich, den Namen seines Vaters auszusprechen.

„Ich weiß, dass es schwer für dich ist“, murmelte Margo, „nach all den Jahren zurückzukehren. Ich weiß, wie unglücklich du hier warst. Wenn du willst, kann ich dir das Land abkaufen und dich damit von aller Verantwortung und allen Verpflichtungen befreien, die Wade dir aufgebürdet hat. Auf diese Weise kannst du unbelastet mit deinem Leben fortfahren.“

Jesse betrachtete sie misstrauisch. Er wusste zwar nicht, was Margo vorhatte, aber es war gewiss nichts Gutes. Dafür kannte er sie zu genau. Obwohl er nach dem Anwaltsbesuch vorgehabt hatte, das Land zu verkaufen, zögerte er jetzt.

„Ich weiß nicht“, erwiderte er langsam. Er drehte sich herum und schaute auf das weite Land, das grasende Vieh, die fernen Hügel, die Pferdekoppeln, auf denen er mit den anderen Cowboys hart gearbeitet hatte.

Er hatte jede Minute gehasst, die er hier auf dieser Ranch verbracht hatte, und war nur widerstrebend hergekommen. Er hatte Margo von seinen Plänen unterrichten und dann aus der Stadt verschwinden wollen, um die Vergangenheit und all die unangenehmen Erinnerungen wieder hinter sich lassen zu können.

Aber nun war er sich nicht mehr so sicher.

Langsam wandte er sich wieder zu Margo um. „Ich werde eine Zeit lang hierbleiben. Bis ich entschieden habe, was ich mit der Ranch tun werde.“

Margo hob einladend die Hand. „Dann musst du hier wohnen. Ich werde Maria sagen, sie soll ein Zimmer für dich fertig machen.“

„Das ist nicht nötig. Die Unterkunft der Arbeiter reicht mir völlig.“

„Unsinn“, versicherte Margo hastig. „Hier im Haus hast du es doch viel angenehmer. Außerdem bin ich sicher, dass Wade es so gewollt hätte.“

„Wirklich?“ Jesse verzog verächtlich den Mund. „Irgendwie bezweifle ich das.“

Margo suchte krampfhaft nach einer Antwort. „Nun … wenn du meinst …“ Sie hob die Hand, um ihm den Weg zu weisen. „Das Haus der Rancharbeiter ist …“

Jesse wandte ihr den Rücken zu und unterbrach sie. „Ich kenne den Weg.“

Margo ging zum Fenster und beobachtete mit zusammengekniffenen Lippen, wie Jesse zurück zu seinem Transporter ging. Groß, breitschultrig und mit aufreizend stolzem Gang. Sie erschauderte bei dem Anblick. Abgesehen von der etwas dunkleren Hautfarbe und dem leicht spanischen Akzent hätte er als Wade Barrister in jungen Jahren durchgehen können. Und das allein reichte, um Margo wütend zu machen.

Sie hatte Wade Barrister vor vierzig Jahren geheiratet. Geblendet von seinem guten Aussehen und seinem Reichtum, hatte sie geglaubt, ihn zu lieben. Doch die Ernüchterung war schnell gekommen. Wade war von seiner eigenen Wichtigkeit besessen gewesen und davon, einen Erben zu produzieren, um den Namen Barrister fortzuführen. Als zehn Jahre vergangen waren und es offensichtlich wurde, dass sie unfruchtbar war, hatte er nie wieder mit ihr geschlafen.

Margo war sich sicher, dass Wade schon vor Jahren die Scheidung eingereicht hätte, um mit einer anderen Frau den gewünschten Sohn zu zeugen, wenn er nicht so geizig gewesen wäre. Die Gesetze in Texas verlangten, dass bei einer Scheidung der Besitz gerecht zwischen den Eheleuten geteilt wurde, und Wade hätte niemals wissentlich jemandem etwas gegeben, was er als seins betrachtete. Schon gar nicht die Circle-Bar-Ranch.

Also hatte er sein Vergnügen bei anderen Frauen gesucht, die sie insgeheim alle als seine Huren bezeichnete.

Und es war eine spezielle mexikanische Hure, die ihm schließlich den lang ersehnten Erben geboren hatte.

Bei dem Gedanken an Jesse verzog Margo erneut das Gesicht.

Ihr erstes Treffen war nicht so verlaufen, wie sie es geplant hatte. Sie hatte gehofft, dass Jesse genauso begierig darauf sein würde, die Ranch zu verkaufen, wie sie darauf erpicht war, sie zu kaufen. Sein Zögern bereitete ihr Angst.

Margo ließ die Gardine fallen und wandte sich von Jesses Anblick ab. Nun, versicherte sie sich, ich habe vielleicht eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg.

Jesse stand im Zentrum des kleinen Tals, die Hände in die Hüften gestemmt und kämpfte mit den Erinnerungen, die ihn überfielen. Dunkelheit umgab ihn und schien ihn zu verhöhnen mit Schatten aus der Vergangenheit, die er geglaubt hatte, schon vor Jahren begraben zu haben. Er holte tief Luft, um die unangenehmen Bilder zu verscheuchen, und genoss die Düfte der Nacht. Den süßen Geruch von frisch geschnittenem Heu, den würzigen Duft des Geißblatts und den modrigen Geruch von feuchtem Laub.

Seufzend hob er das Gesicht zum Himmel und schloss die Augen. Doch obwohl er dagegen ankämpfte, waren die Bilder aus der Vergangenheit plötzlich allgegenwärtig …

Eine auf dem Boden ausgebreitete Decke. Mandy, die unter ihm lag, ihr Körper heiß und feucht an seinen gedrückt. Mit einem Ausdruck voller Leidenschaft in den Augen schaute sie zu ihm auf, während ein kleines Lächeln auf ihrem üppigen und sinnlichen Mund erschien … Fast konnte er ihre Hände auf seinem Rücken spüren, als wäre es jetzt, dass sie seine glühende Haut liebevoll streichelte.

Wütend presste er die geballten Fäuste auf seine Augen, doch anstatt dass die Bilder verschwanden, tauchte eine neue Erinnerung auf …

Lucas McCloud, der mit einem Gewehr auf ihn zielte. Der Geruch von Schießpulver, der durch die Nachtluft drang. Sein Körper, der zuckte, von der Wucht der Explosion, die ihn erschütterte … Jesse hob die Hand zu der Schulter, wo die Kugel ihn vor so vielen Jahren getroffen hatte, und der heftige Schmerz, der ihn zu Boden geworfen hatte, war wieder gegenwärtig.

Aber dieser Schmerz war harmlos, verglichen mit dem Schmerz, der durch sein Herz fuhr, als er an die Worte dachte, die Mandy damals gesagt hatte, nachdem ihr Vater ihn niedergeschossen hatte.

Nein, Jesse, ich kann nicht mit dir kommen …

Jesse hob die Fäuste zum Himmel und schüttelte sie. „Fahr zur Hölle, Mandy!“, brüllte er. „Wie konntest du deinen Vater mir vorziehen!“

2. KAPITEL

Jesse brachte sein Pferd neben Petes zum Halten und holte eine Schachtel Zigaretten aus seiner Hemdtasche. Er schüttelte eine heraus und bot sie Pete, dem Vorarbeiter der Circle-Bar-Ranch, an.

Pete betrachtete ihn skeptisch. „Ich drehe sie mir lieber selbst“, brummte er, nahm sich dann aber doch eine. Allerdings kniff er den Filter ab, bevor er sich die Zigarette zwischen die Lippen steckte.

Jesse unterdrückte ein Lächeln, während er in seiner Jeans nach dem Feuerzeug suchte. Er hatte Pete Dugan schon immer gemocht. In gewisser Weise war Pete eher ein Vater für ihn, als Wade Barrister es je gewesen war. Es war Pete, der ihn aufgelesen hatte, nachdem er bei seinem ersten Versuch, ein Wildpferd zuzureiten, abgeworfen worden war. Es war Pete, der seinen Kopf in eine Pferdetränke gesteckt hatte, als er als Teenager zum ersten Mal betrunken nach Hause gekommen war. Und Pete war es auch, der ihn in jener Nacht im Stall gefunden hatte, als Lucas McCloud ihm eine Kugel durch die Schulter geschossen hatte.

Obwohl Pete fluchend versucht hatte, ihn davon zu überzeugen, einen Arzt aufzusuchen, hatte er die Wunde gesäubert und so gut er konnte verbunden, bevor er, Jesse, noch in der Dunkelheit davongefahren war.

Jesse verscheuchte die ungewollten Erinnerungen und zündete seine Zigarette an, bevor er das Feuerzeug an Pete weitergab.

„Sieht so aus, als hättet ihr ein paar gute Kälber dieses Jahr“, meinte Jesse und deutete zu den Tieren, die auf der Weide unter ihnen grasten.

„Kann mich nicht beschweren.“

Jesse nickte, als er den Stolz aus dieser schlichten Antwort heraushörte. „Wer hat denn jetzt hier das Sagen, seit der alte Herr nicht mehr da ist?“

Pete schnaubte. „Was glaubst du wohl?“

„Und du gehorchst?“, wollte Jesse erstaunt wissen.

„Ich hör zu, sag brav Ja und Amen und mach dann, was ich will.“

Jesse lachte und beugte sich hinüber, um Pete auf den Rücken zu klopfen. „Deine Art hat mir schon immer gefallen.“

„Hab mir noch nie was von einem Frauenzimmer sagen lassen. Schon gar nicht von einer, die einen Bullen nicht von einem Ochsen unterscheiden kann.“ Pete drehte den Kopf, um Jesse anschauen zu können. „Willst du hier jetzt die Zügel übernehmen?“

Jesse zuckte mit den Schultern und drückte die heruntergebrannte Zigarette zwischen zwei Fingern aus, bevor er sie auf den Boden warf. „Vermutlich. Jedenfalls so lange, bis ich entschieden habe, was ich mit der Ranch machen werde.“

„Soll das heißen, du hast vor, sie zu verkaufen?“

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Jesse unbestimmt. „Ich habe jetzt meine eigene Ranch in Oklahoma. Es wäre ein bisschen schwierig, beide zu bewirtschaften.“

Pete schüttelte den Kopf und schaute wieder auf die Weide. „Kann mir gar nicht vorstellen, dass die Circle-Bar-Ranch jemand anderem als einem Barrister gehört. Sie besitzen dieses Land, solange ich denken kann.“

Sie schwiegen einen Moment. Dann erzählte Jesse: „Die alte Dame hat angeboten, mir das Land abzukaufen.“ Obwohl Pete den Blick nicht von dem grasenden Vieh wandte, bemerkte Jesse, dass er sich anspannte, als Pete von Margos Angebot hörte. „Sie sagt, sie wolle mich von aller Verantwortung und allen Verpflichtungen, die Wade mir aufgebürdet habe, befreien. Sehr großzügig von ihr, findest du nicht?“ Pete antwortete nicht, sondern starrte weiterhin mit grimmigem Gesicht geradeaus.

„Hältst du sie nicht für großzügig?“, hakte Jesse nach. Langsam drehte Pete sich zu ihm herum. „Margo Barrister hat in ihrem ganzen Leben noch niemandem außer sich selbst etwas Gutes getan, was soll also deine dumme Frage?“ Jesse schmunzelte und schnalzte dann kurz, bevor er sein Pferd den schmalen Pfad entlangtrieb, der hinunter zur Weide führte. „Ich wollte nur sichergehen, dass sie über die Jahre nicht weich geworden ist“, rief er über die Schulter zurück.

„Margo Barrister?“, knurrte Pete verächtlich und folgte Jesse. „Eher friert die Hölle zu, als dass diese Frau auch nur ein bisschen weich wird.“

Pete und Jesse waren auf dem Weg zurück, als Pete plötzlich sein Pferd zügelte und eine Hand hob, um auch Jesse zum Anhalten zu bewegen.

„Schau mal dort drüben“, murmelte Pete und nickte zu dem See, der sich Richtung Westen erstreckte.

Jesse konnte nichts Besonderes erkennen. „Was denn?“

„Am Ufer, unter der Trauerweide.“

In dem Moment sah Jesse etwas Rotes durch die Luft fliegen und mit einem leisen Platsch ins Wasser fallen. „Glaubst du, da hat sich ein Unbefugter auf unser Land geschlichen?“, fragte er.

„Scheint so.“

„Dann wollen wir ihn mal daran erinnern, dass er auf Privatbesitz herumstreunt.“

„Diese verdammten Jungs“, fluchte Pete verärgert und ritt weiter. „Ich hab ihnen schon hundertmal gesagt, sie sollen von unserem Land wegbleiben. Und dabei hab ich das Loch im Zaun erst letzte Woche eigenhändig geflickt.“

Schmunzelnd folgte Jesse ihm und hatte bereits Mitleid mit dem armen Kerl, der an Petes bevorzugter Stelle angelte. Wenn Pete ihn durch die Mangel gedreht hatte, würde er nichts mehr zu lachen haben.

„Hey! Du da!“, rief Pete und hielt sein Pferd kurz vor der Trauerweide an.

Ein Junge, Jesse schätzte ihn auf ungefähr zwölf, wirbelte überrascht herum. Sofort fing er an, seine Angelsachen zusammenzusuchen, um sich davonzumachen. Aber noch ehe der Junge drei Schritte machen konnte, war Jesse aus dem Sattel geglitten und hatte ihn am Kragen gepackt.

„Halt, stopp“, warnte er den Jungen, als der sich zu winden begann, um sich loszumachen. Als seine Warnung nicht beachtet wurde, packte er den Jungen um die Taille und zog ihn kräftig an sich. „Verdammt, ich sagte Halt!“

Der Junge hörte auf zu zappeln, doch Jesse spürte die Spannung in seinem Körper. Er wollte ihm nicht noch mehr Angst einjagen, als sie es ohnehin schon getan hatten, also sagte er ruhig: „Pass auf, ich werde dir nicht wehtun. Ich will nur mit dir reden, okay?“ Als der Junge langsam nickte, lockerte er seinen Griff und drehte den Jungen herum, sodass er ihm ins Gesicht schauen konnte.

Der Junge hob trotzig den Kopf und hielt seinem Blick stand. Jesse konnte nicht umhin, seinen Mumm zu bewundern. Der Junge erinnerte ihn ein wenig an ihn selbst im gleichen Alter. Und er wusste, dass er dem Jungen einen gehörigen Schrecken einjagen musste, damit der nicht glaubte, die Circle-Bar-Ranch würde jedem einfach so offen stehen.

„Weißt du, dass du dich auf Privatbesitz befindest?“, fragte Jesse streng.

„Ich hab nichts Falsches getan“, erwiderte der Junge störrisch. „Ich hab nur ein bisschen geangelt und sogar alles wieder reingeworfen, wenn ich etwas gefangen hatte.“

„Darum geht es nicht. Du bist unbefugt auf das Land der Barristers eingedrungen, und hier sind ungebetene Gäste nicht willkommen.“

Der Junge streckte herausfordernd sein Kinn vor, sodass die kleine Kerbe darin deutlicher sichtbar wurde. „Die Barristers machen mir keine Angst“, meinte er verächtlich.

Jesse musste sich sehr beherrschen, um nicht laut zu lachen. „Tun sie nicht? So, so.“

„Nein. Außerdem gibt es keine Barristers mehr, außer Mrs Barrister, und die ist nichts weiter als eine alte Zieg…“ Er verschluckte den Rest des Wortes, und Jesse überlegte, ob der Junge das aus Angst davor getan hatte, dass seine Mutter Wind von seinem … Abstecher bekam. „Nichts weiter als eine alte Frau“, sagte er stattdessen.

Jesse unterdrückte ein Grinsen. „Ist sie das?“

„Ja, Sir, das ist eine Tatsache.“

„Nun gut, aber was ist, wenn ich dir sage, dass ich ein Barrister bin?“

Der Junge riss erstaunt die Augen auf, bevor er sie misstrauisch zusammenkniff. „Es gibt keine Barristers mehr. Wade war der letzte, und der ist vor mehr als einem Monat gestorben.“

„Das stimmt schon … jedenfalls dass Wade tot ist.“ Jesse musterte den Jungen einen Moment lang. „Wenn ich dich loslasse, versprichst du dann, nicht wegzulaufen?“

Der Junge nickte, während er anscheinend noch immer überlegte, ob sein Gegenüber wohl wirklich ein Barrister war. Er ließ ihn los, und als der Junge nicht ausriss, seufzte er erleichtert auf.

„Ich bin Jesse Barrister, und wer bist du?“

„Jaime. Jaime McCloud“, fügte der Junge hinzu und richtete sich stolz auf.

Jesse schnappte nach Luft. Ein McCloud? War er Sams oder Merideths Sohn? War er womöglich … Er schaute den Jungen noch einmal genauer an … die kleine Kerbe im Kinn, der dunkle Hautton, die Haartolle über der Stirn. Nein, sagte er sich. Das kann nicht sein. Die Augenfarbe ist falsch … Nein, sie ist genau richtig, stellte er fest, während ihm fast das Herz stehen blieb.

Die Augen des Jungen funkelten in dem gleichen einzigartigen Grün wie Mandys.

Jesse hob abrupt den Kopf, um Pete anzuschauen, der noch immer im Sattel saß. Aber Petes Gesichtsausdruck war unergründlich. Der alte Vorarbeiter sah nicht danach aus, als würde er ihm seine stumme Frage beantworten.

„Was werden Sie mit mir machen?“, fragte Jaime und brachte damit Jesse dazu, ihm wieder ins Gesicht zu blicken.

Jesse kam sich vor, als ob er in einen Spiegel schauen würde – oder besser gesagt, auf ein Foto von sich im gleichen Alter.

„Ich …“ Jesse musste sich räuspern, bevor er antworten konnte. „Ich werde dich nach Hause zu deinen Eltern bringen.“

Der Junge ließ die Schultern hängen.

„Stellt das ein Problem dar?“

„Nein, Sir. Nur dass ich diesmal wohl eine Tracht Prügel bekommen werde“, murmelte der Junge.

„Und wer wird dich schlagen?“, wollte Jesse wissen. Sollte Lucas McCloud Hand an den Jungen legen, würde er ihn persönlich dafür büßen lassen.

„Meine Mom. Sie wird mir bestimmt das Fell über die Ohren ziehen.“

„Macht sie das häufiger?“

„Nein, Sir. Aber ich bin ja auch noch nie auf dem Land der Barristers geschnappt worden.“

Jesse runzelte die Stirn. Anscheinend hatten sich einige Dinge im Lauf der Jahre nicht im Geringsten geändert. Der Streit zwischen den Barristers und den McClouds dauerte unvermindert an.

Mandy warf die letzte Gabel Heu in die Krippe und schloss dann die Gattertür hinter sich. Wütend ging sie hinaus aus dem Stall. Sobald sie ihn gefunden hatte, würde sie ein ernstes Wörtchen mit ihrem Sohn reden. Das war schon das dritte Mal in dieser Woche, dass er seinen Pflichten nicht nachgekommen war.

Sie beschattete ihre Augen gegen das gleißende Sonnenlicht und blickte sich um, in der Hoffnung ein Zeichen von Jaime zu entdecken. Leider sah sie nur Gabe, ihren Vorarbeiter, der gerade von der Pferdekoppel kam.

„Hey, Gabe!“, rief sie und ging zu ihm. „Hast du Jaime gesehen?“

„Nein, Ma’am. Jedenfalls nicht kürzlich“, fügte er vage hinzu.

Mandy verschränkte die Arme vor der Brust und schaute ihn grimmig an. Sie war es gewohnt, dass er und die anderen Cowboys, die auf der Double-Cross-Heart-Ranch arbeiteten, die Eskapaden ihres Sohnes zu vertuschen suchten. „Okay, wann hast du ihn zuletzt gesehen?“

Gabe nahm seinen abgewetzten Cowboyhut ab und kratzte sich am Kopf. „Na ja, ich glaube, das war heute Morgen“, erwiderte er.

„Und wo war er?“

„Im Stall. Hat sich ein Pferd gesattelt.“

„Und wohin wollte er?“

Gabe kratzte sich noch einmal. „Weiß nicht genau, aber er hatte eine Angel dabei.“

Mandy ließ die Arme sinken und verdrehte die Augen. „Ich schwöre, ich werde diesen Jungen noch ans Haus fesseln, wenn er nicht aufhört, sich einfach so davonzumachen, ohne erst seine Pflichten zu erledigen.“

„Aber, Miss Mandy“, begann Gabe.

„Hör auf“, schimpfte sie. „Du weißt genauso gut wie ich, dass die Pflichten Vorrang haben, und es wird höchste Zeit, dass Jaime sich verantwortungsbewusster verhält. Er ist schließlich schon zwölf, und ihr müsst aufhören, ihn zu decken.“

„Der Junge ist nur abenteuerlustig. Er hat ein Recht darauf, ab und zu ein wenig umherzuschweifen. Er ist ein guter Junge.“

Wenn die Nichterfüllung seiner Pflichten der einzige Grund für ihren Ärger gewesen wäre, hätte Mandy Gabe wahrscheinlich zugestimmt, denn Jaime war wirklich ein ordentlicher Junge. Aber ihrem Ärger lag eine schreckliche Angst zugrunde. Sie wollte ihren Sohn so nah wie möglich am Haus behalten, um ihn vor möglichem Schaden zu bewahren, bis sie sicher wusste, dass Jesse Barrister die Stadt wieder verlassen hatte.

Sie hakte Gabe unter und ging mit ihm in Richtung Scheune. „Du hast ja recht. Es ist nur so, dass …“

In diesem Moment hörte Mandy das Geräusch von Pferdehufen. Als sie über die Schulter zurückschaute, sah sie, dass sich zwei Reiter näherten. Jaimes Fuchsstute erkannte sie sofort, und Erleichterung überkam sie. Sie kniff die Augen zusammen, um herauszufinden, wer der andere Reiter war.

„Oh, nein!“, stieß sie hervor und vergrub die Finger in Gabes Arm. „Es ist Jesse!“

„Keine Sorge, Miss Mandy“, versicherte Gabe ihr hastig. „Ich kümmere mich darum.“

„Nein“, murmelte sie und ließ seinen Arm los. „Das muss ich allein durchstehen.“

Obwohl sie sehen konnte, dass Gabe damit nicht einverstanden war, gab er seufzend nach. „Ich bin in der Scheune“, sagte er im Weitergehen. „Wenn du mich brauchst, musst du nur rufen.“

„Danke, Gabe“, flüsterte Mandy, bevor sie wieder zu ihrem Sohn schaute. Angespannt beobachtete sie ihn, um zu sehen, ob er in Ordnung war. Doch seine geröteten Wangen und die niedergeschlagenen Augen verrieten nichts anderes als Schuldbewusstsein.

Dagegen sagte ihr ein Blick auf Jesses Gesicht, dass er ihr Geheimnis erraten hatte. Anklagend und wütend betrachtete er sie unter dem Rand seines schwarzen Stetsons. Hastig wandte sie den Blick ab und schaute wieder zu ihrem Sohn, als die beiden Reiter vor ihr zum Stehen kamen.

„Gibt es ein Problem?“, fragte sie.

Jaime behielt den Kopf gesenkt und antwortete nicht.

„Ich habe den Jungen auf dem Land der Barristers erwischt“, entgegnete Jesse knapp.

Mandy war sekundenlang sprachlos. „Jaime McCloud! Was, in Teufels Namen, hast du auf der Circle-Bar-Ranch zu suchen?“

Jaime zog den Kopf ein. „Ich hab mir nichts Böses dabei gedacht“, erwiderte er kläglich. „Ich hab nur ein bisschen geangelt.“

„Anscheinend hast du gar nicht nachgedacht. Auf jeden Fall hast du die Regeln nicht eingehalten. Weder die der Barristers noch meine.“ Mandy presste die Lippen zusammen, damit sie nicht zitterten, weil sie die Auswirkungen des Ungehorsams ihres Sohnes bereits zu fürchten begann. „Bring dein Pferd in den Stall und bitte Gabe, es für dich zu versorgen. Und dann möchte ich, dass du ins Haus gehst und dort auf mich wartest.“

„Ja“, murmelte Jaime niedergeschlagen und ritt in Richtung Stall.

Mandy schaute ihm nach und spürte dabei Jesses Blick im Rücken. Sie schluckte und wandte sich um.

Es fiel ihr schwer, Jesse anzuschauen, denn er hatte sich während der vergangenen Jahre kaum verändert. Sein gut aussehendes Gesicht war wie ein Spiegelbild ihres Sohnes als junger Mann. All die Erinnerungen und die widersprüchlichen Gefühle, die er in ihr hinterlassen hatte, kamen an die Oberfläche und wühlten sie auf.

„Ich entschuldige mich für das Verhalten meines Sohnes und versichere dir, dass das nicht noch einmal vorkommt.“

„Er ist mein Sohn, oder?“

Die eiskalten Worte sandten einen Schauer über Mandys Rücken. Obwohl sie diese Konfrontation befürchtet hatte, auch wenn sie alles getan hatte, um ihr aus dem Weg zu gehen, war sie nicht auf den Hass vorbereitet, den sie in Jesses Augen erblickte. In diesem Moment ahnte sie, dass sie Jaime verlieren könnte. Aber Jesse zu belügen würde auch nichts nützen.

„Jaime ist ein McCloud“, erklärte sie fest. „Ich habe ihn auf die Welt gebracht und ohne die Hilfe von dir oder sonst jemandem großgezogen.“

Das beantwortete immerhin eine der Fragen, die Jesse auf dem Ritt zur Double-Cross-Heart-Ranch geplagt hatten. Mandy hatte nie geheiratet.

„Was nicht meine Schuld ist“, entgegnete Jesse. Er schwang sich aus dem Sattel und baute sich wütend vor Mandy auf. „Warum hast du mir nie gesagt, dass ich einen Sohn habe?“

„Es dir sagen?“, wiederholte Mandy ungläubig und trat einen Schritt zurück. „Du warst nicht hier, wie du dich vielleicht erinnerst. Du bist verschwunden, ohne jemandem mitzuteilen, wohin du gehen würdest.“

Zu wissen, dass sie recht hatte, machte Jesse noch wütender. „Jetzt bin ich aber hier“, stellte er klar. „Und ich habe die Absicht, den Jungen als meinen Sohn anzuerkennen.“ Als er sich in Richtung Scheune wandte, griff Mandy nach seinem Arm. „Jesse, warte!“

Er fuhr herum und starrte böse auf ihre Finger.

Mandy ließ hastig die Hand sinken. „Bitte“, flehte sie ihn an. „Tu es nicht.“

„Warum?“, entgegnete Jesse scharf. „Schämst du dich dafür, dass der Vater deines Sohnes halb Mexikaner ist?“ Mandy stiegen Tränen in die Augen. „Nein, das ist es nicht. Er ist nur noch zu jung und würde es nicht verstehen.“

„Was würde er nicht verstehen? Dass ich sein Vater bin oder dass seine Mutter es jahrelang vor ihm geheim gehalten hat?“ Jesse kam bedrohlich nah. „Was davon ist es, Mandy? Oder hat der Junge nie nach seinem Vater gefragt?“

Mandy schloss die Augen und presste ihre zitternden Finger gegen die Schläfen. „Natürlich hat er Fragen gestellt“, murmelte sie. „Ich habe ihm von seinem mexikanischen Erbe erzählt, aber behauptet, dass sein Vater gestorben sei, bevor er auf die Welt kam.“

„Ich wäre jetzt auch tot, wenn Lucas besser gezielt hätte.“ Mandy erblasste, als sie an jene schreckliche Nacht dachte. „Aber ich bin nicht gestorben, Mandy. Und jetzt bin ich wieder hier, und ich werde meinen Sohn anerkennen, ob es dir gefällt oder nicht.“ Jesse ging zu seinem Pferd und schwang sich in den Sattel. „Ich gebe dir vierundzwanzig Stunden Zeit. Du kannst dir den Ort aussuchen, aber wir werden es dem Jungen sagen. Wenn du dich entschieden hast, kannst du mich in der Unterkunft der Arbeiter auf der Circle-Bar-Ranch erreichen.“

Nach diesem Ultimatum wendete Jesse sein Pferd und galoppierte davon.

„Wusstest du, dass er mein Sohn ist?“

Pete hängte das Zaumzeug über einen Haken und schaute Jesse seufzend an. „Ich hab es mir gedacht, war mir aber nie ganz sicher. Die McClouds sind ziemlich verschwiegen, wenn es um ihre persönlichen Angelegenheiten geht.“

„Also weiß niemand davon?“

Pete zuckte mit den Schultern, bevor er seinen Sattel vom Rücken des Pferdes hievte. „Kurz nachdem du abgehauen bist, hat Lucas dafür gesorgt, dass Mandy zu einem seiner Cousins an die Ostküste verschwand. Sie war über ein Jahr lang weg, und als sie zurückkam, hatte sie ein Baby dabei. Es hieß, sie habe während ihrer Abwesenheit eine Affäre gehabt, doch der Typ sei gestorben, ehe er dem Kind seinen Namen geben konnte.“

„Und die Leute haben die Geschichte geglaubt?“

„Warum nicht? Niemand außer mir hat gewusst, dass ihr zwei euch hinter Lucas’ Rücken getroffen habt.“

Bei der Erwähnung von Lucas runzelte Jesse die Stirn. „Ich habe ihn nicht gesehen, als ich drüben war, obwohl ich die ganze Zeit gefürchtet habe, gleich einen Gewehrlauf im Rücken zu spüren.“

Pete schaute überrascht auf. „Redest du von Lucas?“

„Ja“, brummte Jesse.

„Ist ein bisschen schwierig vom Grab aus.“

Jesse fuhr herum und starrte Pete an. „Soll das heißen, dass Lucas tot ist?“

„Schon seit elf Jahren. Kurz nachdem das Mädchen mit ihrem Baby zurück auf die Ranch kam, hatte er einen Herzinfarkt.“

Sprachlos schüttelte Jesse den Kopf. „Wenn Lucas nicht mehr da ist, wer leitet denn dann die Ranch?“

„Mandy. Mit Gabes Hilfe natürlich.“

Jesse ließ sich auf einen Ballen Heu fallen, weil seine Beine unter ihm nachgaben. Lucas war seit elf Jahren tot! Stöhnend vergrub Jesse den Kopf in den Händen. Wenn er damals doch nur geblieben wäre, statt spurlos zu verschwinden! Ohne ihren Vater, der sich zwischen sie gestellt hatte, hätten er und Mandy vielleicht wieder zusammenfinden können.

Nein, Jesse, ich kann nicht mit dir kommen …

Mandys Worte in jener schrecklichen Nacht kamen ihm in den Sinn und versetzten ihm einen Stich. Es war Mandy gewesen, die das Ende ihrer Beziehung besiegelt hatte, nicht Lucas, ihr Vater.

Mühsam kam Jesse wieder auf die Füße. „Ich gehe ins Haus“, meinte er zu Pete. „Kommst du mit?“

Pete starrte traurig auf Jesses Rücken. „Ja, gleich. Sobald ich hier fertig bin.“

„Vielleicht sollten wir Merideth anrufen“, meinte Sam ruhig.

Mandy, die am Fenster gestanden und in die Dunkelheit gestarrt hatte, wirbelte herum. „Und was, bitte schön, sollte Merideth tun?“

„Dir ein Versteck bieten. Du hättest schon letzte Woche mit ihr nach New York fahren sollen, so wie sie es dir vorgeschlagen hat. Aber es ist ja noch nicht zu spät. Du könntest mit Jaime ins nächste Flugzeug steigen und für eine Weile bei ihr bleiben.“

„Damit würde ich das Unausweichliche nur hinausschieben.“

„Also willst du Jaime die Wahrheit sagen?“

Mandy hob ergeben die Hände. „Was soll ich sonst tun? Du weißt genauso gut wie ich, dass Jesse ein Recht auf seinen Sohn hat. Wenn ich weglaufe, wird ihn das nicht daran hindern, sich dieses Recht zu nehmen.“

Sam stieß einen Seufzer aus. „Wie willst du das Jaime alles erklären?“

Mandy wandte sich wieder zum Fenster. „Ich weiß es nicht“, sagte sie müde. „Ich weiß es wirklich nicht.“

Nachdem Sam ins Bett gegangen war, suchte Mandy im Telefonbuch unter Circle-Bar-Ranch, bis sie die Telefonnummer der Unterkunft der Arbeiter fand. Mit zitternden Fingern tippte sie die Nummer ein.

Jesse antwortete nach dem dritten Klingeln.

Beim Klang seiner verschlafenen Stimme verlor Mandy fast den Mut. Als er zum zweiten Mal „Hallo“, sagte, brachte sie ein leises „Jesse?“ heraus.

„Ja?“

Nervös wickelte sie sich die Telefonschnur um die Finger. „Ich würde gern mit dir reden, wenn es geht.“

„Nur zu“, brummte er. „Ich höre.“

Mandy schüttelte frustriert den Kopf. „Nein, ich meine persönlich. Können wir uns irgendwo treffen?“

Es entstand eine lange Pause, während der Mandy angespannt den Atem anhielt.

„Wo?“, fragte Jesse schließlich.

Erleichtert überlegte Mandy, wo sie sich treffen konnten. Irgendwo auf neutralem Boden, wo sie weder gesehen noch belauscht werden konnten. Doch bevor ihr ein geeigneter Platz einfiel, machte Jesse einen Vorschlag.

„Im Tal“, sagte er knapp. „Ich treffe dich dort um Mitternacht.“

Die Verbindung wurde unterbrochen, bevor Mandy ablehnen konnte.

3. KAPITEL

Mandy hatte gehofft, vor Jesse anzukommen, um noch ein wenig Zeit zu haben, sich dem Ort zu stellen, der einst ihr geheimer Treffpunkt gewesen war. Aber Jesse war schon dort, lässig an einen entwurzelten Baum gelehnt, lag er da, die Hände hinter dem Kopf verschränkt und den Hut tief ins Gesicht gezogen, so als würde er schlafen.

Obwohl dieser Mann das Schicksal ihres Sohnes in den Händen hielt, spürte Mandy, dass bei seinem Anblick ihr Herz aufgeregt zu klopfen begann. Er war ihre erste große Liebe gewesen – und ihre bisher einzige. Auch wenn sie es während der vergangenen Jahre verzweifelt versucht hatte, es war ihr nicht gelungen, ihn zu vergessen.

„Jesse?“, flüsterte sie, um ihn nicht zu erschrecken.

„Ja?“

Mandy rang die Hände, bis sie bemerkte, was sie da tat. Hastig löste sie sie voneinander. „Ich bin hier.“

Jesse zog eine Hand unter dem Kopf hervor, schob den Hut aus dem Gesicht und wandte sich zu ihr um. „Das sehe ich.“ Er richtete sich auf. „Und? Sind wieder irgendwelche Gewehre auf mich gerichtet?“

Sie riss überrascht die Augen auf. „Natürlich nicht!“

„Ich wollte nur sichergehen.“ Er kam auf die Füße und reckte sich. „Wo ist Jaime?“

„Zu Hause. Im Bett. Ich wollte allein mit dir reden.“

Er stemmte die Hände in die Hüften. „Dann fang an.“ Mandy schaute sich unruhig um, so als fürchtete sie, dass ein Geist aus der Vergangenheit auftauchen würde und nach ihr schnappen könnte.

„Macht es dich nervös, hier mit mir allein zu sein?“, fragte Jesse.

„Nein“, log sie. „Obwohl ich mich gewundert habe, warum du dir ausgerechnet diesen Ort für unser Treffen ausgesucht hast.“

Jesse schob seinen schwarzen Stetson noch weiter aus der Stirn. Mondlicht erhellte sein Gesicht, auf dem ein spöttisches Lächeln erschien. „Aber hier hat doch alles begonnen, Mandy. Hier wurde Jaime gezeugt. Ich finde, dies ist der ideale Platz, um über seine Zukunft zu reden.“

Er nickte zur Mitte des kleinen Tals, und Mandy schaute hinter sich. Im Mondlicht wirkte das grüne Gras, das dort wuchs, wie eine silberne Fläche.

„Genau dort ist es geschehen“, murmelte Jesse in einem Ton, der wie ein Streicheln klang. „Ich hatte eine Decke ausgebreitet und wartete auf dich, während du in der Dunkelheit aus dem Haus deines Vaters geschlichen bist, um deinen mexikanischen Liebhaber zu treffen.“

Tränen traten Mandy in die Augen, und sie ballte die Hände zu Fäusten, um zu verhindern, dass sie anfing zu weinen. Bitte, Jesse, flehte sie innerlich, bitte hör auf.

Aber Jesse war noch nicht fertig. Mandy hatte ihn tief verletzt, als sie sich für ihren Vater und nicht für ihn entschieden hatte, und er wollte, dass sie den gleichen Schmerz empfand, den er damals empfunden hatte. Er trat vor sie, wickelte sich eine Locke, die ihr ins Gesicht gefallen war, um den Finger und hob sie hoch. Und dann glitt er mit den Lippen über ihren Hals.

Ein Schauer fuhr Mandy den Rücken entlang, aber sie presste die Augen zusammen und versuchte, gar nichts zu fühlen. Das lange unterdrückte Verlangen durchströmte dennoch ihren ganzen Körper.

Mit beiden Händen packte Jesse sie um die Schultern und drückte sie leicht, während sein heißer Atem über ihre Haut glitt. „Jedes Mal kamst du dort zwischen den Bäumen herausgelaufen, total atemlos, mit glänzenden Augen und bist mir um den Hals gefallen. Erinnerst du dich daran, Mandy? Erinnerst du dich an die Liebesschwüre, die du mir zugeflüstert hast? Erinnerst du dich an all die Versprechen, die du mir gegeben hast?“

„Ja“, flüsterte sie. Die Erinnerungen hatten ihr viele Jahre lang den Schlaf geraubt. „Ja, ich erinnere mich.“

„Es waren alles Lügen, nicht wahr, Mandy?“, sagte er leise und grub seine Finger fast schmerzhaft in ihre Schultern. „Nichts als Lügen. So wie die Lügen, die du meinem Sohn erzählt hast.“

Mandy befreite sich aus seinem Griff. Sie wollte nichts mehr davon hören. „Was willst du von mir?“, rief sie.

„Meinen Sohn.“

„Du kannst ihn nicht bekommen.“

„Ich will ihn dir ja nicht wegnehmen – wenn es nicht sein muss. Ich möchte ja nur teilhaben an seinem Leben, und das kann ich mit deiner Hilfe erreichen, aber auch ohne sie.“

Diese eindeutige Drohung ernüchterte Mandy und erinnerte sie daran, wie wichtig es war, Jesse davon zu überzeugen, diese Frage in ihrem Sinn zu lösen. „Ich weiß“, sagte sie, bemüht um einen ruhigen Tonfall. „Und ich habe auch darüber nachgedacht, dass wir Jaime sagen müssen, dass du sein Vater bist. Du hast recht“, erklärte sie hastig, bevor er sie unterbrechen konnte. „Du hast ein Anrecht darauf, an seinem Leben teilzunehmen.“

„Wo liegt denn dann das Problem?“

Mandy senkte den Kopf, weil es ihr schwerfiel, Jesses durchdringendem Blick zu begegnen. „Es ist nur so … ich weiß nicht, wie Jaime diese Neuigkeit aufnehmen wird.“ Sie hob den Kopf und schaute Jesse flehentlich an. „Kannst du dir denn nicht vorstellen, was für ein Schock das für ihn sein wird?“

„Nicht schlimmer als der Schock, den es mir versetzt hat, dass ich einen Sohn habe.“

„Ja.“ Mandy begriff erst jetzt, was für ein Schlag das für Jesse gewesen sein musste. „Aber Jaime glaubt, sein Vater sei tot. Stell dir vor, wie schwierig es für ihn sein wird, wenn du ihm plötzlich mitteilst, du wärst sein Vater. Hast du daran gedacht, welche Auswirkungen das auf einen Jungen seines Alters haben kann?“

„Ich habe dem Jungen diese Lügen nicht erzählt. Das warst du.“

Mandy hob herausfordernd das Kinn. „Ja, aber was hatte ich denn für eine Wahl, als er anfing, Fragen zu stellen? Du warst nicht hier, und ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wo du stecken könntest. Da lag es näher zu behaupten, sein Vater sei gestorben, als zu versuchen, seine Abwesenheit zu erklären. “

„Dann sagst du ihm jetzt einfach die Wahrheit und gibst zu, dass du ihn die ganze Zeit über angelogen hast.“

Mandys Augen schossen Blitze. „Oh, ich merke schon, was du vorhast! Du versuchst, mir den schwarzen Peter in die Schuhe zu schieben, während du voller Unschuld als der Gute dastehen willst.“ Sie drehte sich um, verschränkte die Arme vor der Brust und entfernte sich ein paar Schritte, bevor sie Jesse über die Schulter anschaute. „Anscheinend hast du das aber nicht zu Ende gedacht. Denn sonst wüsstest du, wie falsch du damit liegst.“

„Dann klär mich auf“, meinte Jesse sarkastisch.

„Jaime wird wissen wollen, warum du nicht hier warst, als er geboren wurde. Er wird es dir übel nehmen, dass du während seiner Kindheit nicht da warst. Vielleicht wird er dich dafür sogar hassen. Hast du das auch bedacht, Jesse?“

Die Tatsache, dass er nicht antwortete, sprach Bände. „Dachte ich es mir doch“, meinte Mandy ebenso sarkastisch wie er eben.

Jesse presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. „Ich werde nicht einfach wieder verschwinden, falls du das gehofft haben solltest. Er ist auch mein Sohn, Mandy. Ich habe ein Recht darauf, an seinem Leben teilzunehmen.“

„Das will ich dir ja auch gar nicht verwehren“, erwiderte sie. „Ich versuche nur, einen Weg zu finden, der Jaime nicht wehtut.“

„Was schlägst du also vor?“

„Er muss dich erst einmal kennenlernen. Muss eine Beziehung zu dir aufbauen. Dann werden wir es ihm erzählen.“ Jesse hob frustriert die Hände. „Und wie, zum Teufel, soll ich eine Beziehung zu einem Jungen aufbauen, der zwanzig Jahre jünger ist als ich? Außerdem bin ich ein Barrister, und er ist ein McCloud. Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass sich unsere Wege kreuzen.“

„Ich habe darüber nachgedacht und glaube, dass ich eine Lösung gefunden habe.“

Jesse betrachtete sie misstrauisch. „Welche?“

„Wir haben einen Hengst, den niemand auf der Ranch reiten kann. Ich werde Jaime sagen, dass ich dich engagiert hätte, um ihn zuzureiten. Das wird deine Anwesenheit auf der Double-Cross-Heart-Ranch erklären und dir die Möglichkeit geben, Zeit mit Jaime zu verbringen.“

Jesse schaute sie ungläubig an. „Und du meinst, Jaime wird dir glauben, dass du einen Barrister angeheuert hast, um ein Pferd für dich zuzureiten?“

Mandy hob ihr Kinn. „Er wird mir glauben. Der Rest ist deine Sache.“

Jesse ließ sich auf den Baumstumpf fallen und vergrub den Kopf in den Händen, während Mandy atemlos auf seine Antwort wartete.

Schließlich hob er den Kopf. „Wann fange ich an?“

Jesse brauchte eine Weile, bevor er Mandys Plan in die Tat umsetzte. Und es war nicht der wilde Hengst, der ihn zögern ließ. Der Gedanke, die Freundschaft eines Zwölfjährigen zu gewinnen, machte ihm Angst – vor allem, weil dieser zwölfjährige Junge sein Sohn war. Er hatte kaum Erfahrung mit Kindern und keine Ahnung davon, wie man ihre Freundschaft gewann. Aber mir bleibt gar keine andere Wahl, sagte er sich immer wieder.

Alles in allem vergingen drei Tage, bevor er den Mut aufbrachte, zur Double-Cross-Heart-Ranch zu fahren. Es war um die Mittagszeit, als er seinen Transporter auf das Land der McClouds lenkte und vor der Pferdekoppel anhielt. Noch immer nervös, aber bestrebt, die Sache ins Rollen zu bringen, stieß Jesse die Wagentür auf.

Noch bevor seine Stiefel den Boden berührten, war er umringt von den Cowboys der Double-Cross-Heart-Ranch. Ihr Misstrauen war deutlich spürbar, und ihre Entschlossenheit, sowohl Mandy als auch die Double-Cross-Heart-Ranch zu schützen, zeigte sich in den hastig gegriffenen Waffen, die sie in den Händen hielten – eine Schaufel, eine Forke, ein Tau.

Herausfordernd trat Jesse ihnen gegenüber.

„Was willst du hier?“, wollte der alte Gabe grimmig wissen.

Bevor Jesse antworten konnte, durchbrach Mandy den Kreis von Männern.

„Hallo, Jesse“, begrüßte sie ihn und ließ ihre Leute damit wissen, dass er ein willkommener Gast war. „Ich hoffe, du bist bereit, um mit dem Hengst zu arbeiten.“

„Ja, das bin ich“, entgegnete er, ohne den Blick von den Männern zu nehmen, die ihn noch immer misstrauisch betrachteten.

„Gut. Er ist im Stall. Komm mit, dann zeig ich ihn dir.“

Jesse schnappte sich seinen Hut vom Beifahrersitz und setzte ihn auf. Nachdem er die Wagentür hinter sich zugeschlagen hatte, stand er da und wartete, bis die Cowboys widerwillig zur Seite traten, um ihn durchzulassen. Als er Mandy dann folgte, spürte er ihre bohrenden Blicke im Rücken.

Im Stall entspannte er sich ein wenig. „Offenbar hast du deinen Männern nicht gesagt, dass ich komme.“

Mandy blieb stehen und drehte sich zu ihm herum. „Ich war mir ja selbst nicht einmal sicher, ob du überhaupt kommst.“

Jesse gefiel die Gleichmütigkeit, mit der sie ihn anschaute, gar nicht. Mit ihrer Jeans, dem weichen Baumwollhemd und dem Pferdeschwanz sah sie aus wie siebzehn und ähnelte sehr dem unschuldigen Mädchen, in das er sich damals verliebt hatte. Er war versucht, ihr das Band aus den Haaren zu ziehen, mit beiden Händen in diese langen, rotbraunen Locken zu greifen und Mandy zu küssen, bis sie ihren Gleichmut verlor und dahinschmolz.

Stattdessen verzog er verächtlich den Mund und schaute weg. „Als wenn ich eine Wahl gehabt hätte.“ Er hob ein Stück Seil vom Boden auf und zog es durch seine Hände. „Wo ist Jaime?“

„Irgendwo hier“, meinte sie vage. „Er wird schon auftauchen.“

„Und in der Zwischenzeit?“

Mandy deutete ans andere Ende des langen Ganges. „Kannst du den Hengst zureiten.“

Jesse ging mit ihr zu der Box, in der ein schwarzer Hengst stand. Seine Ohren waren gespitzt, und er rollte mit seinen dunklen, gefährlich blickenden Augen, als Mandy und er näher kamen. „Wie heißt er?“

„Judas“, antwortete Mandy, und ihre Stimme klang stolz.

„Judas?“, wiederholte Jesse verwirrt. „Ist das nicht ein etwas merkwürdiger Name für einen Hengst?“

Lächelnd schaute Mandy zu dem Hengst. „Sein Name passt ausgezeichnet zu ihm.“ Noch immer lächelnd drehte sie sich zu Jesse herum, doch er bemerkte, dass das Lächeln nicht bis zu ihren Augen drang. „Und ich kann dir nur empfehlen, seinen Namen ernst zu nehmen“, warnte sie ihn. „Bessere Männer als du haben bereits gelernt, dass es klüger ist, ihm nicht den Rücken zuzuwenden.“

Jesse saß auf dem Zaun der Pferdekoppel, ein Lasso auf den Knien. Der schwarze Hengst lief schnaubend und wiehernd zwischen den Zäunen hin und her. Jesse wusste, dass er mit diesem Pferd so einiges zu tun haben würde. Bisher hatte er es nicht geschafft, sich ihm auch nur bis auf zehn Schritte zu nähern.

„Hey! Was machen Sie hier?“

Jesse schaute hinter sich und sah Jaime aufgebracht heranlaufen. Er musste grinsen. „Deine Mom hat mich angeheuert, damit ich diesen Hengst für sie zureite.“

Jaime blieb abrupt stehen. „Ehrlich?“, rief er überrascht und grinste dann ebenfalls, woraus Jesse erkannte, dass Mandy recht gehabt hatte, als sie annahm, dass Jaime seine Anwesenheit auf der Double-Cross-Heart-Ranch nicht infrage stellen würde. „Hey, das ist ja cool!“, stellte Jaime fest und kletterte auf den Zaun, um sich neben Jesse zu setzen. „Haben Sie ihn schon geritten?“, wollte er aufgeregt wissen.

Jesse lachte. „Nein. Ich nehme ihn erst einmal in Augenschein.“

Jaime legte den Kopf zur Seite. „Was heißt das?“

Jesse deutete auf den Hengst. „Ich beobachte ihn, um zu sehen, wie er sich aufführt. Bevor man ein Pferd besteigt, sollte man wissen, wie es reagiert.“

Jaime nickte verständnisvoll. „Gabe meint, das wäre ein Witwenmacher und dass Mom ihn lieber erschießen lassen sollte, bevor er noch jemanden umbringt.“

Jesse starrte Jaime überrascht an. „Ach, ja? Wirklich? Und was hat deine Mutter daraufhin gesagt?“

Jaime grinste verlegen. „Ich weiß nicht. Sie hat mich beim Lauschen erwischt, und ich musste verschwinden, damit ich nicht noch mehr hören konnte.“

Lachend streckte Jesse die Hand aus und fuhr Jaime durchs Haar. „Es ist nicht besonders höflich, einer Unterhaltung zuzuhören, die nicht für deine Ohren bestimmt ist.“

Jaime schaute auf seine Stiefel und trat mit dem Absatz gegen den Zaun. „Ja, das hat Mom auch gesagt.“

„Deine Mutter hat recht. Sie haben meistens recht, weißt du.“

Jaime verdrehte die Augen. „Ja, aber sie können auch ganz schön nerven“, murmelte er.

Jesse hatte das Gefühl, dass er Mandy und Mütter im Allgemeinen verteidigen müsste, überlegte es sich dann aber. Schließlich war er hier, um Jaimes Vertrauen zu gewinnen und nicht um Mandys Partei zu ergreifen. „Sie hält dich ganz schön kurz, stimmt’s?“

Jaime seufzte. „Das kann man wohl behaupten. Vor allem in letzter Zeit.“

Jesse überlegte, ob das wohl etwas mit ihm zu tun haben könnte. Glaubte Mandy etwa, er würde den Jungen entführen oder so etwas? Er schüttelte den Kopf. Er wollte Mandy nichts wegnehmen, und bestimmt nicht die Liebe ihres Sohnes. Er wollte einfach nur seinen Sohn kennenlernen und ihm sagen, dass er sein Vater sei.

In der Hoffnung, jetzt noch etwas mehr Zeit mit ihm zu verbringen, zog Jesse ein Tuch aus der Tasche und wischte sich über den Nacken. „Ganz schön heiß heute.“

Jaime blinzelte in die Sonne. „Ja, das stimmt. Ich wünschte, ich könnte jetzt unten am Bach ein wenig angeln.“

Jesse nickte zustimmend. „Ein paar nette kleine Fische am Angelhaken wären nicht schlecht.“

Jaime betrachtete ihn erstaunt. „Gehen Sie auch gern angeln?“

„Na klar. Du bist nicht der einzige Junge, der im Nachbarteich … wildert. Als Teenager bin ich immer auf die Double-Cross-Heart-Ranch geschlichen und habe in dem alten Teich geangelt, der auf diesem flachen Stück Land liegt. Weißt du, welchen ich meine?“

„Ja! Da gibt es ein paar entwurzelte Bäume unter denen sich die Fische immer verstecken. Wollen wir dorthin angeln gehen?“, fragte Jaime und fiel fast vom Zaun in seinem Eifer, diese Einladung auszusprechen.

Obwohl es genau das war, worauf Jesse aus gewesen war, erwiderte er unsicher: „Ich weiß nicht. Was glaubst du, wird deine Mutter dazu sagen, dass du dich mitten am Tag davonmachst?“

„Ich wette, dass sie nichts dagegen hat, wenn Sie mitgehen!“ Jaime kletterte schon vom Zaun. „Kommen Sie, wir fragen sie.“

Jesse versuchte seine Freude darüber, den Nachmittag womöglich mit seinem Sohn zu verbringen, zu verbergen und folgte ihm zum Haus. Aber an der Hintertür zögerte er, weil er sich nicht sicher war, ob Mandys Einladung sich auch auf das Haus erstreckte.

„Kommen Sie!“, ermunterte Jaime ihn. „Mom arbeitet wahrscheinlich in ihrem Büro.“

Jesse zog den Hut vom Kopf und folgte Jaime durch die Küche und einen langen Flur entlang. Vor der offenen Tür zum Büro blieb er stehen und spürte, dass sich ihm die Nackenhaare sträubten.

Jaime bezeichnete dies zwar als das Büro seiner Mutter, aber überall waren noch Zeichen von Lucas McCloud zu erkennen. Hinter dem schweren Schreibtisch saß nun Mandy und schaute Jesse misstrauisch an.

Bevor sie ihn angreifen konnte, erklärte er: „Jaime hat mich eingeladen, mit ihm angeln zu gehen, aber ich habe ihm gesagt, dass wir erst dich fragen müssen.“

Langsam erhob Mandy sich aus dem Lederstuhl und umklammerte den Stift in ihrer Hand wie eine Waffe, mit der sie sich verteidigen wollte. „Ich verstehe.“ Sie schaute zu ihrem Sohn. „Hast du deine Pflichten erledigt?“

„Ja, Ma’am“, sagte er stolz.

„Was ist mit dem Mülleimer in der Küche? Ist der leer?“ Jaime ließ die Schultern hängen. „Nein. Den hab ich vergessen.“

„Du sollst alle deine Aufgaben erledigen, bevor du spielen kannst.“

„Oh, Mom“, jammerte er. „Kann das nicht bis nachher warten?“

„Du kennst die Regeln“, erinnerte sie ihn streng.

Jaime schaute zu Jesse. Anscheinend wusste der Junge, dass es sinnlos war, mit seiner Mutter zu streiten. „Warten Sie einen Moment? Ich bin sofort wieder da.“ Er rannte davon und ließ Jesse mit dem Hut in der Hand vor dem Schreibtisch stehen.

„Gilt das auch für mich?“

Mandy sah Jesse fragend an. „Was?“

„Muss ich auch erst meine Aufgabe erledigen?“

Mandy runzelte die Stirn, sank wieder auf den Stuhl und beugte sich über ihre Arbeit. „Meine Regeln gelten nur für meinen Sohn.“

Jesse kam einen Schritt näher und spähte in das Haushaltsbuch, das auf dem Schreibtisch lag. „So weit ich gehört habe, gelten diese Regeln auch für die Männer, die auf der Double-Cross-Heart-Ranch arbeiten.“

Mandy fuhr mit ihren Eintragungen fort und meinte, ohne aufzuschauen: „Ja, obwohl ich vermute, dass ein paar von ihnen nur sehr ungern Befehle von einer Frau entgegennehmen.“

Dass seine Gegenwart sie nervös machte, war offensichtlich und verleitete Jesse dazu, Mandy noch ein wenig mehr zu reizen. Er setzte sich auf die Schreibtischkante. „Woran arbeitest du?“

„Nicht, dass es dich etwas angeht“, entgegnete sie, „aber ich notiere die Geburten der neuen Fohlen.“

Grinsend beugte Jesse sich weiter vor und musste fast lachen, als er bemerkte, dass Mandy den Stift krampfhaft umklammerte. „Sieht so aus, als wenn deine Stuten dieses Jahr eine Menge Fohlen geworfen hätten“, meinte er träge. „Du musst ja einen ausgezeichneten Zuchthengst haben.“

Seine Betonung der Worte „du“ und „Zuchthengst“ trieb ihr die Röte in die Wangen.

„Wir haben zwei“, erwiderte sie knapp.

„Ist Judas einer von ihnen?“

„Ja. Er hat einen ausgezeichneten Stammbaum. Er ist ein Sohn von Satan.“

Jesse erinnerte sich noch gut an Satan – den schwarzen Hengst, den nur Lucas McCloud geritten hatte. „Jaime sagt, dass Judas ein Witwenmacher sei. Hast du deshalb mich engagiert, um ihn zuzureiten? Hoffst du, mich auf diese Weise loszuwerden, damit ich dir nicht deinen Sohn wegnehmen kann?“

Erbost sprang Mandy auf und warf ihren Stift auf den Schreibtisch. „Natürlich nicht! Ich würde niemals jemanden ein Pferd zureiten lassen, wenn ich nicht genau wüsste, dass er sehr gut fähig ist, diese Aufgabe zu meistern.“

Jesse stand ebenfalls auf und kam um den Schreibtisch herum zu ihr. „Du hältst mich also für … sehr fähig?“ Mit einem Finger berührte er ihren Hals, wo ihr Puls heftig pochte. Als sie zusammenzuckte, lächelte er zufrieden. Auch wenn sie versuchte, sich gelassen zu geben, merkte er genau, dass er sie aus dem Gleichgewicht brachte.

Wütend stieß Mandy seine Hand zur Seite. „Wenn ich nicht genau wüsste, dass du mit Judas fertigwirst, hätte ich nicht vorgeschlagen, dass du ihn zureitest.“

Jesse ließ den Blick herausfordernd über ihren Hals und die geröteten Wangen gleiten, bevor er ihr in die Augen schaute. Überrascht stellte er fest, dass Verlangen ihnen einen tiefen Glanz verlieh – und in diesem Moment wusste er, wie er Mandy dafür bestrafen konnte, was sie ihm angetan hatte.

„Das ist ja nett zu wissen“, sagte er langsam. Er kam noch einen Schritt näher, bis ihre Körper sich berührten. „Aber ich kann nicht nur wilde Pferde bändigen“, murmelte er viel sagend. „Ich kann …“

„Ich bin fertig!“

Die Mitteilung kam aus dem Flur und ließ Jesse gerade noch genügend Zeit, um von Mandy wegzutreten und so zu tun, als würde er ein Bild an der Wand bewundern, bevor Jaime zur Tür hereingestürmt kam. Er drehte sich um und lächelte den Jungen an. „Ich auch, mein Sohn.“

Er schlang einen Arm um Jaimes Schulter und zwinkerte Mandy vieldeutig zu, sodass sie noch tiefer errötete. „Bis später.“

Mit einem Kloß im Hals sah Mandy ihnen nach, als sie lachend und redend wie zwei alte Freunde ihr Büro verließen. Zitternd sank sie dann auf ihren Stuhl und presste die Hände auf die glühenden Wangen. Wie kann er mir das nur antun? überlegte sie. Und warum tut er mir das an?

Er versuchte ganz eindeutig, sie herauszufordern, als wollte er irgendeine Reaktion aus ihr herauslocken. Genauso hatte er sich auch vor ein paar Tagen im Tal verhalten, als sie sich nachts getroffen hatten. Aber warum? Seine Gefühle für sie hatte er ihr doch ziemlich klargemacht. Er hasste sie – oder zumindest nahm er ihr übel, dass sie ihm Jaime vorenthalten hatte.

Die Tatsache, dass sie jedes Mal auf seine Berührung reagiert hatte, machte sie wütend und beschämte sie. Sie hob den Kopf und presste ihre zitternden Finger an die Lippen, während sie auf die Tür schaute, hinter der Jesse verschwunden war.

Wie sehr hatte sie seine Berührungen vermisst!

4. KAPITEL

Mandy hörte Jaime und Jesse heimkehren, noch bevor sie sie sah. Auf die gleiche Weise, wie sie das Haus verlassen hatten, kamen sie wieder, lachend und scherzend wie zwei alte Freunde. Sie wusste, sie sollte eigentlich dankbar dafür sein, dass ihr Sohn Jesse so schnell akzeptiert hatte – schließlich war das der Grund für Jesses Anwesenheit auf der Ranch. Trotzdem verspürte sie einen Stich. Zwölf Jahre lang war sie der einzige Elternteil für Jaime gewesen, die wichtigste Bezugsperson in seinem Leben – und jetzt fühlte sie diese Beziehung durch Jesse bedroht.

Sie versuchte, gegen die Eifersucht anzukämpfen, und ging zur Hintertür und hinaus in den Hof. „Hallo!“, rief sie lächelnd. „Da sind ja die fleißigen Angler. Habt ihr etwas gefangen?“

Grinsend hielt Jaime ihr eine Reihe Fische unter die Nase.

„Oho!“, meinte sie voller Anerkennung. „Das sieht ja so aus, als wäre es genug fürs Abendessen.“

„Das haben mein Amigo und ich auch gedacht“, sagte Jaime und reichte ihr die Fische.

Mandy zog die Augenbrauen hoch. „Dein Amigo?“

Jaime grinste. „Das ist Spanisch und bedeutet Freund. Jesse hat mir ein paar spanische Worte beigebracht, während wir geangelt haben. Und er hat mir erlaubt, ihn zu duzen.“

„So, so“, murmelte Mandy und schaute zu Jesse, der sie warnend ansah.

„Jesse isst mit uns, okay?“

Mandy schaute hastig wieder zu ihrem Sohn. Obwohl sie liebend gern Nein gesagt hätte, konnte sie Jaimes hoffnungsvollen Blick nicht ignorieren – und auch nicht Jesses herausfordernden Blick. Also lächelte sie honigsüß und reichte die Fische an Jesse weiter. „Sicher, warum nicht? Er kann den Fisch säubern, während du duschen gehst.“

„Ich soll jetzt duschen? Aber …“

„Kein Aber, junger Mann. Du riechst, als hättest du dich in den Fischködern gewälzt.“

Der unnachgiebige Ausdruck auf dem Gesicht seiner Mutter ließ Jaime erkennen, dass er diesen Kampf nur verlieren konnte. Also verzog er sich schmollend ins Haus, und Mandy und Jesse waren allein.

Mandy, die Jesse schnell entkommen wollte, wies zu einem gemauerten Tisch. „Du kannst den Fisch dort ausnehmen. Messer und Schüsseln sind unter dem Tisch, und du kannst den Schlauch nehmen, der beim Küchenfenster hängt, um Wasser zu bekommen.“ Sie wollte sich gerade abwenden, als Jesses Stimme sie aufhielt.

„Danke.“

Aufgrund seines Tonfalls und des Blicks, den er ihr zuwarf, wusste sie, dass Jesse ihr für weit mehr dankte als für den Hinweis darauf, wo er alles finden konnte. Er bedankte sich dafür, dass sie ihm erlaubte, mehr Zeit mit Jaime zu verbringen.

„Ich versuche nur, fair zu sein“, antwortete Mandy leise und ging dann schnell in die Küche, bevor er noch mehr sagen konnte.

Vom Küchenfenster aus hatte Mandy einen guten Blick auf Jesse. Wobei sie sich versicherte, dass sie ihn gar nicht beobachtete. Er war nur einfach jedes Mal in ihrem Blickfeld, wenn sie von den Kartoffeln, die sie pellte, hochschaute.

Aufgrund der Hitze hatte er sein Hemd ausgezogen und bei jedem Messerschnitt, den er machte, um die Fische auszunehmen, streckten und dehnten sich die Muskeln auf seinem Rücken, während ihm der Schweiß bis hinunter zum Bündchen seiner Jeans lief. Seine Schultern waren genauso breit, wie sie sie erinnerte, seine Taille und seine Hüften genauso schmal und fest.

Mandy ließ die Hände sinken. Sein Körper war ihr einmal ebenso vertraut gewesen wie ihr eigener. Sie hatte jede Narbe und deren Ursache gekannt, jede empfindliche Stelle, und sie hatte gewusst, ob ihre Berührung ein ausgelassenes Lachen oder ein erregtes Stöhnen hervorrufen würde. Sie hatte ihn an den intimsten Stellen berührt, und zwar ohne Scham oder Angst. Sie hatte ihn geliebt, und er hatte sie geliebt – auf die gleiche allumfassende Weise.

Während sie ihn gedankenverloren beobachtete, stellte Jesse die Schüssel mit den filetierten Fischen beiseite und griff noch einmal nach dem Schlauch. Er senkte den Kopf und hielt ihn unter den Wasserstrahl. Anschließend klemmte er sich den Schlauch zwischen die Knie und ließ das Wasser in seine Hände laufen, damit er sich das Gesicht waschen konnte.

Spontan legte Mandy ihr Messer weg, holte ein Handtuch aus dem Schrank und ging nach draußen. „Ich denke, dass du das hier brauchen könntest.“

Jesse schaute auf und blinzelte das Wasser aus seinen Augen. Überrascht stellte er fest, dass Mandy vor ihm stand und ihm ein Handtuch reichte. Und erneut erkannte er den Glanz von Verlangen in ihren Augen.

„Danke.“ Er fuhr sich mit dem Handtuch über das Gesicht. Als er es wieder wegzog, sah er, dass Mandy auf seine Brust schaute. Sie hob die Hand und legte zitternd einen Finger an die Narbe, die die Kugel ihres Vaters verursacht hatte. Als sie den Blick wieder hob, bemerkte er, dass ihre Augen feucht waren.

„Es tut mir so leid“, flüsterte sie rau.

Der Ausdruck in Mandys Augen veranlasste Jesse, spontan nach ihrer Hand zu greifen. Er drückte ihre Fingerspitzen auf die Narbe. „Du hast nicht abgedrückt“, erinnerte er sie, „sondern dein Vater.“

„Ja, aber …“

Ohne ihre Hand loszulassen, kam er näher. „Ich habe dich nie dafür verantwortlich gemacht, dass dein Vater auf mich geschossen hat.“

„Aber du hast mir niemals vergeben, stimmt’s? Dafür, dass ich mich weigerte …“

„Hallo! Wo seid ihr?“

Jesse ließ Mandys Hand fallen, als er Jaime hörte, und griff nach der Schüssel mit dem Fisch. „Hier draußen!“, rief er. „Bist du hungrig?“

Die Tür wurde aufgestoßen, und Jaime kam herausgerannt. Sein nasses Haar glänzte im Abendlicht genauso schwarz wie das von Jesse. „Darauf kannst du wetten! Ist alles fertig?“

Jesse saß auf der Veranda vor der Unterkunft der Arbeiter und hatte die Stiefel auf das Geländer gelegt. Dunkelheit umgab ihn, nur das Surren der Mücken drang an sein Ohr.

Gereizt scheuchte er sie mit der Hand weg, während er sich innerlich einen Dummkopf nannte.

Er hätte ihre Hand wegschlagen sollen, als Mandy es gewagt hatte, ihn zu berühren. Aber nein, er musste es ja unbedingt zulassen! Er war so dumm gewesen, auf ihre tränennassen Augen hereinzufallen.

Er wusste sehr gut, wenn Jaime nicht aufgetaucht wäre, hätte er Mandy in die Arme gezogen, die verräterischen Tränen weggeküsst und seine Hände über ihre verführerischen Kurven gleiten lassen.

Dabei wollte er sie auf diese Weise gar nicht berühren. Er hatte schon vor langer Zeit gelernt, Mandy nicht zu trauen. Sie machte Versprechungen, die sie nicht einhielt, und er hatte nicht vor, noch einmal in diese Falle zu tappen.

Jetzt hatte er einen Sohn. Und dieser Sohn war alles, was er von Mandy McCloud wollte.

Margo trat in den Stall und blinzelte, bis ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. In der Mitte des Stalls stand Pete und sattelte sein Pferd.

„Wo ist er?“, fragte Margo ungeduldig.

Pete wandte den Kopf. „Wenn Sie Jesse meinen, der ist nicht hier.“

„Das sehe ich. Wo ist er?“

Pete drehte sich wieder zu seinem Pferd und zog die Steigbügel fest. „Wohin er geht und was er tut, ist seine Sache, nicht meine.“

Margo verschränkte die Arme vor der Brust und starrte auf Petes Rücken. „Ich hätte mir denken können, dass Sie mir nicht sagen, wo er sich herumtreibt.“

„Warum fragen Sie dann erst?“, brummte Pete.

Wütend schnappte Margo nach Luft, weil Pete so offensichtlich ihre Stellung als Herrin der Circle-Bar-Ranch missachtete. Solange Wade noch am Leben war, hätte er sich niemals getraut, so mit ihr zu reden. Aber anscheinend hatte er das Gefühl, dass er ihr nicht länger den nötigen Respekt zu zeigen brauchte, seit Jesse gekommen war, um seine Erbschaft anzutreten.

„Sie haben schon immer versucht, ihn in Schutz zu nehmen“, meinte sie bitter. „Selbst damals, als er noch ein Kind war.“

„Irgendjemand musste sich ja um den Jungen kümmern“, entgegnete Pete. „Weder Sie noch Wade wollten diesen Job übernehmen.“

„Es war nicht meine Aufgabe, mich um ihn zu kümmern. Er war Wades Bastard, nicht meiner!“

Bei dem Wort „Bastard“ drehte Pete sich langsam herum. „Sie sollten Ihre Worte vorsichtiger wählen, Margo“, warnte er sie. „Der Bastard, wie Sie ihn eben nannten, ist jetzt der Besitzer dieser Ranch.“

Margo wirbelte wütend herum. „Nicht, wenn ich es vermeiden kann.“

Und wenn sie herausfinden wollte, wo Jesse seine Zeit verbrachte … nun, da hatte sie auch noch andere Quellen.

Jesse stand in der Mitte der Pferdekoppel auf der Double-Cross-Heart-Ranch und richtete seinen Blick aufmerksam auf den nervös tänzelnden Hengst. Seit vier Tagen arbeitete er nun schon mit Judas und war nicht näher dran, ihm einen Sattel aufzulegen, als am ersten Tag.

„Ruhig, Junge“, murmelte er beschwichtigend. „Ganz ruhig.“

Als Antwort stellte der Hengst sich auf die Hinterbeine.

„Ist ja gut. Du bist der King. Niemand streitet das ab.“ Jesse machte einen Schritt auf ihn zu und streckte die Hand aus. „Aber selbst der King kann gezähmt werden“, murmelte er. „Und, mein Lieber, genau das werde ich tun. Also kannst du ebenso gut gleich aufgeben, damit wir beide hier aus der Hitze verschwinden können.“

Der Hengst schien das nicht so zu sehen, denn er hob den Kopf und wieherte laut, bevor er den Kopf wieder senkte und direkt auf ihn zukam.

Jesse schaffte es gerade noch rechtzeitig bis zum Zaun, schwang sich hinüber und landete etwas unsanft auf dem Po.

„Netter Abgang.“

Jesse öffnete ein Auge und sah Gabe über sich stehen. Stöhnend schloss er das Auge wieder und versuchte – ohne sich zu bewegen – festzustellen, ob er sich etwas gebrochen hatte.

„Alles in Ordnung?“, fragte Gabe leicht besorgt.

„Ja, ich glaube schon.“ Jesse stützte sich auf und betrachtete den schwarzen Teufel auf der anderen Seite des Zauns. „Wenn es nach ihm ginge, würde ich jetzt nicht wieder aufstehen können.“

„Judas ist durch und durch gemein“, erklärte Gabe. „Ich habe Mandy gesagt, sie solle die Sache mit dem Zureiten einfach vergessen und ihn stattdessen zu den Stuten lassen, damit er das tun kann, wozu er geboren wurde. Aber sie will unbedingt ein Reitpferd aus ihm machen.“

„Willst du damit andeuten, dass Mandy vorhat, dieses Pferd selbst zu reiten?“

Gabe schüttelte den Kopf, so als könnte er es selbst nicht glauben. „Das hat sie jedenfalls gesagt.“

Jesse kam auf die Füße und setzte sich seinen Hut wieder auf, nachdem er ihn kräftig abgeklopft hatte. „Na, das werden wir ja sehen“, brummte er ärgerlich.

Als er Sekunden später an der Hintertür war, klopfte er gar nicht erst, sondern stürmte geradewegs durch die Küche, dann den Flur entlang und in Mandys Büro. Erst vor ihrem Schreibtisch blieb er stehen. Er stützte beide Hände auf und beugte sich vor, bis sein Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt war.

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du vorhast, diesen schwarzen Teufel zu reiten?“

Mandy sprang auf, um möglichst viel Abstand zwischen sich und Jesse zu schaffen. „Ich vermute, dass du von Judas sprichst.“

„Verdammt! Von wem sollte ich wohl sonst reden? Du hast auf dem Rücken dieses Hengstes nichts zu suchen. Er ist verrückt, ein Killer, und selbst wenn es mir gelingen sollte, ihn zuzureiten, werde ich es niemals schaffen, sein Wesen zu ändern, und das weißt du auch ganz genau.“

„Ich habe dir nicht gesagt, dass du sein Wesen ändern sollst“, erwiderte sie. „Das möchte ich gar nicht, selbst wenn du es könntest.“

Jesse kam um den Schreibtisch herum. „Also gibst du zu, dass er ein Killer ist.“ Anklagend richtete er einen Finger auf sie.

Mandy stieß seine Hand zur Seite. „Ich gebe gar nichts zu. Ich habe nur festgestellt, dass Judas ausgesprochen temperamentvoll ist.“

„Ein Killer ist er. Und ich will verdammt sein, wenn ich zusehe, wie du auf seinen Rücken kletterst.“

„Was gibt dir das Recht, mir zu sagen, was ich tun oder lassen soll?“

„Du bist die Mutter meines Sohnes, das gibt mir das Recht. Jaime braucht dich. Er braucht seine Mutter, und du hast kein Recht, dein Leben und Jaimes Glück aufs Spiel zu setzen, nur um etwas zu beweisen.“

Mandys grüne Augen blitzten gefährlich auf. „Ich will gar nichts beweisen.“

„Ach, nein?“, gab Jesse scharf zurück. „Versuchst du nicht, dir und jedem, der für dich arbeitet, zu beweisen, dass du genauso willensstark bist, wie dein Vater es war, indem du den Sohn des Hengstes reitest, den er bezwungen und geritten hat?“

Mandys Wangen röteten sich, weil Jesses Vorwurf der Wahrheit gefährlich nah kam. „Das ist lächerlich“, murmelte sie und wollte an ihm vorbei.

Doch Jesse packte sie am Arm und wirbelte sie herum. „Wirklich?“

Mandy versuchte nicht, sich zu befreien, sondern bemühte sich um eine gelassene Haltung, als sie erwiderte: „Sei vorsichtig, Jesse. Sonst fange ich noch an zu glauben, dass du um mich besorgt bist.“

Die ganze Wut, die ganze Frustration, die sich seit Jahren in Jesse angestaut hatten, veranlassten ihn, Mandy an sich zu reißen. Als ihr Körper gegen seinen prallte, fiel sein Hut zu Boden, doch Jesse kümmerte sich nicht darum.

Die Angst in ihren Augen und dass Mandy sich versteifte, brachten ihn nur noch mehr auf. Mit einem wilden Knurren presste er seinen Mund auf ihren und bestrafte sie mit einem rauen Kuss, während er die Arme um sie schlang, um sie am Davonlaufen zu hindern. Er spürte ihre Fingernägel, die sich in seinen Rücken gruben, doch er ignorierte Mandys Bemühen, sich zu befreien, denn er wollte sie für all das büßen lassen, was sie ihm angetan hatte.

Sekunden später erkannte er seinen Fehler. Statt die Rache zu genießen, merkte er, dass er sich auf das Gefühl von Mandys Brüsten an seinem Oberkörper konzentrierte. Auf ihre weichen Lippen und ihren Geschmack, von dem er geglaubt hatte, ihn längst vergessen zu haben.

Langsam wurde sein Kuss sanfter, und er strich mit der Zunge über ihre Lippen, bis sie schließlich nachgab und sie stöhnend für ihn öffnete. Er drückte Mandy noch fester an sich und erkundete das Innere ihres Mundes. Ihre Zungen begannen einen sinnlichen Tanz.

Mandy hatte das Gefühl, die Hitze, die ihren Körper durchströmte, würde sie versengen. Ich will das nicht, sagte sie sich, doch im selben Augenblick hob sie die Hände, fuhr mit den Fingern durch Jesses dichtes Haar und zog ihn noch näher an sich heran. Sie wollte dieses heiße Verlangen nach ihm nicht noch einmal spüren. Aber es war da und breitete sich in ihrem ganzen Körper aus, bis es sie zu überwältigen drohte.

Jesse schien ihre Schwäche zu spüren, denn er glitt mit den Händen ihren Rücken hinunter bis zu ihrem Po und drückte sie hart an seine Hüften. Ein Stöhnen drang aus seiner Kehle.

Jesse! Oh, Jesse! rief Mandy innerlich. Ich habe das so sehr vermisst.

Und sie umfasste hingerissen seinen Kopf und streichelte sein Gesicht, glücklich über die Vertrautheit mit jeder Linie, bevor sie nun mit den Händen über seine Brust fuhr.

Doch plötzlich, genauso unvermittelt, wie er sie an sich gerissen hatte, ließ er sie wieder los, und ihre Hände hingen in der Luft.

Keuchend öffnete Mandy die Augen und sah, dass Jesse ihr den Rücken zuwandte. Er hatte den Kopf gesenkt und atmete tief durch.

Verletzt von seiner Abkehr, flüsterte sie unsicher: „Tu das nie wieder.“

Jesse bückte sich, um seinen Hut aufzuheben. „Keine Angst“, sagte er und ging zur Tür. „Ich habe nicht die Absicht.“

„Hey! Pass doch auf!“

Die Warnung verhallte unbeachtet, weil Jesse nichts sah und hörte, während er – noch immer zornentbrannt – den Weg entlangstürmte, sodass er mit voller Wucht gegen die Frau prallte, die die Warnung ausgestoßen hatte.

Überrascht ächzte er auf und griff instinktiv nach der Frau. Er erwischte sie bei der Taille und zog sie mit sich, als er taumelte. Im nächsten Augenblick knallte er mit dem Rücken auf den harten Boden und eine schwarze Tasche wurde gegen seinen Kopf geschleudert.

„Lass mich gefälligst los!“

Jesse tat es sofort und riss die Augen auf. Vor sich sah er zwei wütend funkelnde braune Augen.

„Sam?“, fragte er unsicher, als er in das Gesicht von Mandys jüngerer Schwester schaute.

Sie drückte sich von seiner Brust ab und bemühte sich, auf die Füße zu kommen. Ihre Wangen waren gerötet. „Nun, immerhin bist du nicht völlig blind“, erklärte sie, während sie sich den Staub von der Jeans klopfte. „Du hast mich ja wenigstens wiedererkannt.“

Jesse stützte sich auf und zuckte zusammen. Als er sich hingesetzt hatte, untersuchte er die Verletzung am Ellenbogen. „Tut mir leid“, murmelte er, während er die Stelle betupfte, an der das Blut bereits durch den Stoff sickerte. „Ich habe nicht aufgepasst, wohin ich ging.“

„Ach, ja?“ Ungeduldig bückte Sam sich, um ihre Tasche aufzuheben. „Darauf wäre ich gar nicht gekommen.“ Als sie sich wieder aufrichtete, bemerkte sie Jesses vorsichtige Bewegungen. „Bist du verletzt?“

„Nur ein kleiner Kratzer“, antwortete er, obwohl er seinen Arm fest an den Körper drückte, während er die andere Hand benutzte, um aufzustehen.

Sam griff nach seinem Handgelenk und schob das zerrissene Hemd beiseite, damit sie die Wunde besser sehen konnte. „Komm mit in die Scheune. Ich mache dir einen Verband. “

Es war ein ehrlich gemeintes Angebot, auch wenn es grimmig vorgetragen wurde, aber Jesse wollte schnell von der Ranch verschwinden, um eine möglichst große Distanz zwischen sich und Mandy zu schaffen. „Das ist nicht nötig, ich kann …“

„Nun sei nicht so kindisch“, fuhr Sam ihn ungeduldig an, bevor sie herumwirbelte und ihm keine andere Wahl ließ, als ihr zu folgen.

In dem abgetrennten Raum, in dem die tierärztlichen Materialien gelagert wurden, warf Sam ihre Tasche auf den Tisch und rollte die Ärmel hoch. „Du solltest deinen Arm aus dem Hemd ziehen“, schlug sie vor, ohne Jesse anzusehen. Dann ging sie zum Waschbecken und wartete, bis er so weit war. „Halt den Arm hier drunter, damit ich die Wunde säubern kann.“

Widerstrebend gehorchte Jesse, und Sam berührte vorsichtig die Verletzung. „Nicht allzu tief“, murmelte sie. „Ein wenig Salbe und ein kleiner Verband dürften reichen.“

„Ist das eine medizinische Diagnose oder nur eine Vermutung?“

„Eine medizinische Diagnose. Ich bin Tierärztin“, fügte Sam hinzu, als sie die Sachen heraussuchte, die sie brauchte. „Und falls du dir Sorgen machen solltest, Menschen sind in vielerlei Hinsicht den Tieren sehr ähnlich.“

Da er sich damit abgefunden hatte, die Double-Cross-Heart-Ranch doch nicht so schnell verlassen zu können, lehnte Jesse sich gegen die Arbeitsplatte. „Tierärztin also.“ Dieser Beruf schien ihm für den Wildfang, an den er sich erinnerte, ideal zu passen. Er drehte seinen Arm, sodass Sam besser herankam.

„Ja, mir gefällt’s.“ Sie drückte Salbe auf ihren Finger und zögerte dann, als traute sie sich nicht, Jesse zu berühren. „Ich beiße nicht“, neckte er sie.

Sam blickte hoch. Doch sie ging auf seine Neckerei nicht ein, sondern stellte ihm eine Frage. „Warum hattest du es so eilig?“

Jesse runzelte die Stirn, als er unwillkürlich an sein Zusammentreffen mit Mandy dachte. „Ich wollte nur schnell nach Hause“, meinte er vage.

Sam unterbrach ihre Tätigkeit einen Moment, um ihn anzuschauen. Doch sofort blickte sie wieder weg. „Hast du Jaime irgendwo gesehen?“

„Nein. Ich glaube, er ist mit einem Freund unterwegs.“ Sam nickte. „Ach ja, das wird Davie sein. Die beiden sind fast unzertrennlich und verbringen jeden Freitag zusammen.“

Dass Sam mehr über die Aktivitäten seines Sohnes wusste als er, versetzte Jesse einen Stich. „Ich vermute, dass du den Jungen ziemlich gut kennst, richtig?“

Sam sah ihn an. „Ich weiß, dass er dein Sohn ist, und ich weiß auch, warum du hier bist.“

„Und was hältst du davon? Davon dass ich ihm sagen möchte, dass er mein Sohn ist?“

Sam senkte den Blick und kümmerte sich weiter um die Wunde. „Was ich denke, ist nicht wichtig.“

„Aber du hast doch eine Meinung, oder?“

Sam wickelte vorsichtig einen Verband um den Ellenbogen. „Ich möchte nicht, dass einer von ihnen Schaden nimmt. Weder Jaime noch Mandy.“

„Denkst du wirklich, dass das meine Absicht ist? Dass ich ihnen wehtun würde?“

„Manchmal verletzen wir Menschen, ohne es zu wollen“, erwiderte sie.

Jesse fragte sich, ob Sam wohl aus eigener Erfahrung sprach. Mandy war nicht die einzige Tochter, die Lucas herumkommandiert hatte. Mandy hatte ihm damals erzählt, dass ihr Vater auch ihre Schwestern bevormundete. Aber etwas in Sams Stimme ließ ihn überlegen, ob sie vielleicht jemanden anderen als ihren Vater meinte. Er schob den Gedanken beiseite. Sam hatte ein Recht auf ihre kleinen Geheimnisse.

„Hat euer Vater es Mandy sehr schwer gemacht, als er herausfand, dass sie schwanger war?“

Obwohl Sam lediglich mit den Schultern zuckte, während sie ihre Sachen wieder in die Tasche räumte, nahm Jesse ihre Anspannung sehr wohl wahr. „Man kann sagen, dass der Gedanke, einen Enkel zu haben, in dessen Adern Barrister-Blut fließt, ihm nicht gerade gefiel.“

„Musste der Junge darunter leiden?“

„Nein“, erwiderte sie, ohne zu zögern. „Jaime war noch ein Baby, als Dad starb, und noch zu jung, um seine Abneigung zu merken.“

„Und was war mit Mandy?“

Sam schaute Jesse zurückhaltend an, ohne etwas preiszugeben. „Diese Frage musst du Mandy stellen. Es steht mir nicht an, etwas darüber zu sagen.“

Diese Frage musst du Mandy stellen. Es steht mir nicht an, etwas darüber zu sagen …

Während des ganzen Weges zurück zur Circle-Bar-Ranch dachte Jesse über Sams merkwürdige Bemerkung nach. Offensichtlich hatte Lucas McCloud es Mandy ziemlich schwer gemacht, sonst hätte Sam die Frage direkt beantwortet. Und obwohl er sich immer wieder sagte, dass es ihm egal sein könne, verspürte er ein tiefes Schuldbewusstsein, wenn er daran dachte, dass er Mandys Leiden mit verursacht hatte.

Dieses Schuldbewusstsein wiederum erinnerte ihn an das letzte Zusammentreffen mit ihr vor gut einer Stunde.

Während er mit zitternder Hand über seinen Mund fuhr, dachte er an den Kuss und wie gern er mehr daraus hätte werden lassen. Bei dieser Vorstellung trat er das Gaspedal weiter durch, als könnte er damit der Versuchung entkommen.

Mandy bedeutet nur Ärger, versicherte er sich. Nicht nur, dass sie bei ihrem Vater geblieben war, statt mit ihm zu gehen, sie hatte ihm auch noch seinen Sohn vorenthalten – und das würde er ihr nie verzeihen.

Aber wenn er gedacht hatte, seinen Problemen zu entkommen, indem er die Double-Cross-Heart-Ranch verließ, dann hatte er sich gründlich getäuscht. Als er seinen Wagen vor der Scheune auf der Circle-Bar-Ranch parkte, sah er Margo und Pete in eine hitzige Diskussion vertieft.

Seufzend öffnete er die Wagentür und vernahm Margos schrille Stimme.

„Gibt es hier ein Problem?“, fragte Jesse, der ahnte, dass er wohl die unangenehme Aufgabe des Schiedsrichters übernehmen musste.

Margo wirbelte wütend zu ihm herum. „Ich möchte, dass dieser Mann sofort gefeuert wird!“

Jesse warf einen Blick zu Pete, der vor Wut gerötete Wangen hatte, bevor er sich wieder an Margo wandte. „Darf ich auch wissen, warum?“

„Er weigert sich, meine Befehle auszuführen! Ich habe ihm schon vor zwei Wochen gesagt, dass er diese Kühe auf der West-Weide verkaufen soll. Und jetzt stelle ich fest, dass er meine Anweisungen einfach ignoriert hat. Er ist nichts weiter als ein alter, sturer Dummkopf, der darauf besteht, die Dinge auf seine Weise zu machen.“

Jesse schaute zu Pete. „Was hast du dazu zu sagen?“

Der empörte Laut, den Margo ausstieß, verriet Jesse, dass er sie beleidigt hatte, indem er Pete um seine Meinung bat, statt ihn auf der Stelle zu feuern.

Pete warf Margo einen letzten wütenden Blick zu, bevor er seine Aufmerksamkeit auf Jesse richtete. „Sie meint diese Färsen, die ich dir letzte Woche gezeigt habe. Wade und ich haben sie extra ausgesucht, um die Herde zu ergänzen, und ich werde sie nicht verkaufen, denn wir brauchen sie für die Zucht. Sonst müsste ich losgehen und neue Kühe kaufen, und das halte ich für Quatsch, wenn du mich fragst.“

„Und wer hat Sie gefragt?“, fuhr Margo dazwischen.

„Ich“, entgegnete Jesse und schaute sie an. „Und da ich derjenige bin, der hier das Sagen hat, stimme ich Petes Entscheidung zu. Die Färsen bleiben hier.“

Margo wich das Blut aus dem Gesicht, und ihre Lippen begannen vor Wut zu zittern. Wortlos drehte sie sich um und stolzierte davon.

„Tut mir leid für dich, dass du unsere kleine Auseinandersetzung mitbekommen hast“, murmelte Pete. „Denn dafür wird sie dich zahlen lassen.“

Jesse schaute Pete erstaunt an. „Inwiefern?“

Pete nahm seinen Hut ab und wischte sich mit dem Arm über die Stirn. „Ich weiß nicht. Aber sie wird sich schon was ausdenken. Das macht sie immer.“

Jesse schlug ihm auf die Schulter. „Zerbrich dir nicht deinen kahlen Kopf über Margo“, neckte er ihn und versuchte, die Situation zu entspannen, obwohl er annahm, dass Pete recht hatte. „Ich werde mit dem Ärger schon fertig, den sie mir machen will.“

Pete setzte seufzend seinen Hut wieder auf. „Das hoffe ich, mein Sohn.“

5. KAPITEL

Jesse erwog, Mandy und die Double-Cross-Heart-Ranch zu meiden und sich stattdessen um die Probleme auf der Circle-Bar-Ranch zu kümmern. Aber am Montagmorgen schob er diesen Gedanken wieder beiseite. Er wollte den Beginn seiner Beziehung zu Jaime nicht gefährden. Die Circle-Bar-Ranch bedeutete ihm nichts, während sein Sohn ihm alles bedeutete, wie er langsam erkannte.

Als er erneut auf der Double-Cross-Heart-Ranch ankam, sah er Jaime auf dem Zaun der Pferdekoppel sitzen.

„Hallo, Jesse!“, rief Jaime und sprang herunter.

„Hallo“, erwiderte Jesse und beugte sich in den Wagen, um ein Lasso herauszuholen. „Was machst du gerade?“

„Ehrlich gesagt, habe ich auf dich gewartet.“

„Tatsächlich?“, fragte Jesse freudig überrascht.

„Ja. Mom hat mich gebeten, dir auszurichten, dass du heute nicht mit Judas arbeiten kannst.“

Diese Mitteilung dämpfte Jesses Freude ein wenig. „Aha. Und warum nicht?“

„Er ist zum Decken. Mr Phillips aus San Antonio hat ihn gestern mitgenommen. In ein paar Tagen wird er ihn wohl wieder zurückbringen.“

Jesse runzelte die Stirn. Warum hatte Mandy ihn nicht angerufen und ihm den Weg erspart? Doch dann fiel ihm ein, dass sie wahrscheinlich genauso wenig Wert darauf legte, mit ihm zu sprechen wie er mit ihr. Nicht nachdem, was neulich zwischen ihnen geschehen war.

Er zog das Lasso durch die Hände und stellte auf einmal fest, dass er keine Entschuldigung hatte, Zeit mit seinem Sohn zu verbringen, wenn Judas nicht hier war.

„Kannst du damit umgehen?“, fragte Jaime und wies auf das Lasso.

„Ein wenig. Warum?“

„Na ja, jetzt wo Judas nicht da ist, dachte ich …“ Jaime senkte den Kopf und bohrte mit der Spitze seines Stiefels im Boden.

„Was dachtest du?“, hakte Jesse nach.

„Ich … ich dachte, ob du vielleicht Zeit hast, mir beizubringen, das Lasso richtig zu werfen.“

Jesse hätte Jaime fast jeden Wunsch erfüllt. So sehr hatte er den Jungen inzwischen in sein Herz geschlossen. „Ich denke, das lässt sich einrichten.“ Er schlang einen Arm um Jaimes Schultern und ging mit ihm zur Scheune. „Glaubst du, wir können einen Ballen Heu auftreiben, mit dem wir üben können?“

Jaime strahlte ihn an. „Klar doch!“

Zusammen schleppten sie einen Ballen aus der Scheune hinaus auf den Hof. Aus seinem Wagen holte Jesse einen Plastikstierkopf und band ihn an einem Ende des Heuballens fest. Anschließend rollte er das Lasso auf und demonstrierte Jaime, wie man es halten und lösen musste. Dann trat er zurück, um Jaime die Chance zu geben, ein Gespür für das Lasso zu bekommen.

Als Jaime das Seil über seinen Kopf schwang und es ihm sofort an die Stirn schlug, unterdrückte Jesse ein Grinsen.

„Ein bisschen höher“, meinte er. „Außerdem musst du es von dir weiter weg halten, bevor du es drehst und hochziehst. “

Jaime biss sich auf die Unterlippe, versuchte es erneut und schaffte es diesmal, ohne seinen Kopf zu treffen. Er drehte sich um und grinste. „Meinst du so?“

Jesse lachte und klopfte ihm auf den Rücken. „Genau so. Bist du bereit, den Stier einzufangen?“, fragte er und deutete auf den Heuballen.

Jaime schluckte nervös. „Ja, ich denke schon.“ Er nahm das Seil wieder richtig in die Hände, schwang es über seinen Kopf, so wie Jesse es ihm gesagt hatte, und ließ es dann durch die Luft sausen. Das Lasso flog davon und landete mehr als zwei Meter vor dem Heuballen. Das Ende des Seils schlug zwei Meter dahinter auf.

Jesse warf den Kopf zurück und lachte. „Ich glaube, ich habe vergessen zu erwähnen, dass du das Ende des Lassos festhalten musst.“

Jaime drehte sich herum und grinste verlegen. „Scheint mir auch so.“

Jesse rollte das Seil geschickt wieder auf und gab es Jaime. „Willst du es noch einmal versuchen?“

„Ja, sicher.“

Jesse machte einen Schritt zurück, während Jaime das Lasso richtig in die Hand nahm.

„Hast du Kinder?“

Die Frage kam aus heiterem Himmel und nahm Jesse den Atem. Unbewusst griff er nach der Schachtel Zigaretten in seiner Brusttasche und schüttelte mit zitternden Fingern eine heraus.

„Warum fragst du?“, wollte er wissen, während er sein Feuerzeug suchte.

„Nur so.“ Jaime wandte sich um, als er das Schnappen des Feuerzeugs hörte. Er grinste. „Mom meint, diese Dinger hemmen das Wachstum.“

Als er bemerkte, was er getan hatte, riss Jesse sich die Zigarette aus dem Mund, warf sie zu Boden und trat sie aus. „Sie hat recht“, murmelte er. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er ein gutes Vorbild für seinen Sohn abgeben musste. „Es ist eine schlechte Angewohnheit.“

Jaime konzentrierte sich wieder auf das Lasso. „Ja, das sagt Mom auch.“ Er hob das Seil und drehte es einige Male über seinem Kopf. „Allerdings behauptet sie das von allem, was Spaß macht.“ Er ließ das Lasso fliegen und traf den Stierkopf, bevor das Seil zu Boden fiel. Frustriert ließ er die Schultern hängen.

„Das war doch schon ganz nah am Ziel“, sagte Jesse aufmunternd.

Mandy schaute aus ihrem Bürofenster und stöhnte. Wollte Jesse denn überhaupt nicht mehr verschwinden? Nach einem Blick auf ihre Armbanduhr wusste sie, dass sie es nicht länger vor sich herschieben konnte, hinauszugehen.

In einem letzten Versuch, Jesse nicht gegenübertreten zu müssen, blieb sie an der Hintertür stehen und rief: „Jaime!“

Sie wartete vergeblich auf seine Antwort und schalt sich dann ob ihrer eigenen Feigheit. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihren Sohn persönlich hereinzuholen.

Mandy straffte die Schultern und ging hinüber zur Scheune, wo sie ihren Sohn und Jesse den ganzen Nachmittag beim Lassowerfen gesehen hatte. Sie wusste, eigentlich sollte sie froh darüber sein, dass Jesse so geduldig mit Jaime übte, aber sie konnte es nicht. Da Judas weg war, hatte sie gehofft, ein paar Tage Zeit zu haben, bevor sie Jesse wiedersehen würde. Ihre letzte Begegnung hatte sie allzu sehr aus dem Gleichgewicht gebracht.

„Jaime!“, rief sie noch einmal, als sie nahe genug war, um gehört zu werden.

Er wandte den Kopf zu ihr herum. „Hier, Mom! Komm und sieh mal, wie ich den Stier mit dem Lasso fangen kann.“

Mandy hätte es lieber gesehen, wenn er zu ihr gekommen wäre. Aber sie wollte ihm nicht das Vergnügen nehmen, ihr zu zeigen, was er gelernt hatte. Seufzend ging sie weiter.

„Schau mal, Mom.“ Gekonnt wirbelte Jaime das Lasso und ließ es direkt über dem Stierkopf niedersausen.

„Klasse gemacht, mein Sohn“, sagte sie und klatschte. „Doch jetzt wird es Zeit, dass du hereinkommst.“

„Aber, Mom …“, begann er.

„Kein Aber, Jaime. Ich gehe heute Abend aus, und Sam hat versprochen, auf dich aufzupassen. Leider ist sie noch unterwegs, also muss ich dich zu ihr bringen. Du kannst bei ihr bleiben, bis sie mit der Arbeit fertig ist.“

Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre Jaime froh gewesen, seine Tante Sam bei einer Visite begleiten zu dürfen, aber im Moment fand er Lassowerfen mit Jesse viel interessanter. „Ach, Mom, kann ich nicht allein bleiben? Ich brauche keinen Babysitter.“

„Nein, denn dann würde ich mir nur Sorgen machen.“ Sie bedeutete ihm ungeduldig, ihr zu folgen. „Nun komm schon. Ich bin sowieso schon spät dran.“

„Ich könnte bei dem Jungen bleiben“, bot Jesse an.

Mandy hatte versucht, seine Anwesenheit zu ignorieren, doch jetzt war sie praktisch gezwungen, auf ihn zu reagieren. „Danke, aber du brauchst nicht noch mehr Zeit mit Jaime zu verschwenden. Er hat dich heute genug mit Beschlag belegt.“

Jesse kam heran und stellte sich zwischen Jaime und sie, sodass sie ihn anschauen musste. Die Tatsache, dass allein sein Anblick ihren Pulsschlag verdoppelte, zeigte ihr, dass es richtig war, ihm aus dem Weg zu gehen.

„Es ist meine Zeit, und ich verbringe sie gern mit Jaime“, murmelte er. Ohne auf den trotzigen Ausdruck in Mandys Gesicht zu achten, drehte Jesse sich zu Jaime herum. „Wie ist es mit dir, mein Junge? Willst du mich noch ein wenig länger ertragen, bis deine Tante Sam wiederkommt?“

Jaimes Strahlen war eine eindeutige Antwort. „Cool! Dann kann ich noch ein bisschen länger Lassowerfen üben.“

Um ihren Sohn nicht neugierig darauf zu machen, warum sie ihn mit Jesse nicht allein lassen wollte, versuchte Mandy, ihre Niederlage so gelassen wie möglich hinzunehmen. „Danke. Sam wird wohl nicht mehr lange weg sein. Das Abendessen ist im Herd. Es ist reichlich für euch beide da.“ Sie trat um Jesse herum und ging zu Jaime, um ihm über das Haar zu streichen.

Sofort duckte er sich, um ihrer mütterlichen Geste zu entgehen. „Oh, Mom“, beschwerte er sich und ging schnell zum Heuballen, um das Lasso aufzuheben.

Mandy ließ die Hand sinken, ein bisschen traurig, weil ihr Sohn jetzt schon zu groß für solche Liebesbeweise war. „Und tu, was Jesse sagt“, rief sie ihm hinterher.

„Ja, Ma’am“, murmelte er brummig.

„Und vergiss nicht zu duschen, bevor du ins Bett gehst.“

„Ja, ja.“

Widerstrebend drehte Mandy sich zu Jesse um. Er hatte seinen Hut weit zurückgeschoben und die Hände in die Hüften gestemmt. Seine Lippen waren zusammengepresst, und obwohl sie sich vorhin gesträubt hatte, ihm überhaupt gegenüberzutreten, wünschte sie jetzt, sie könnte einen Finger oder noch besser ihren Mund auf diese Lippen drücken, um Jesses Ärger zu vertreiben.

Sofort senkte sie den Blick und konzentrierte sich stattdessen auf einen unsichtbaren Fleck auf ihrem Rock. „Falls Sam doch später kommen sollte, Jaimes Bettzeit ist zehn Uhr.“

„Ja, Ma’am.“

Als sie den Sarkasmus in seiner Stimme hörte, hob Mandy den Kopf. „Es sollte nicht so klingen, als würde ich dir Befehle erteilen“, sagte sie verteidigend. „Ich wollte dich nur mit seinen Gewohnheiten vertraut machen.“

„Es ist eine verdammte Schande, dass mir die Bettgehzeit meines Sohnes überhaupt gesagt werden muss.“

Entsetzt sah Mandy zu ihrem Sohn, weil sie befürchtete, dass er Jesses Bemerkung gehört haben könnte. Doch Jaime übte immer noch fleißig Lassowerfen und schenkte ihrer Unterhaltung glücklicherweise keine Beachtung.

Sie blickte wieder zu Jesse und sagte leise, aber nachdrücklich: „Wehe, du nutzt meine Abwesenheit aus und erzählst ihm, dass du sein Vater bist. Wenn du das tust, dann schwöre ich dir, dass ich alles daransetzen werde, dass du ihn nie wieder siehst.“

Jesse starrte sie ohne mit der Wimper zu zucken an. „Willst du mir drohen, Mandy?“

„Nein“, erwiderte sie knapp. „Es ist nur eine Warnung, die du lieber befolgen solltest.“

Jesse verzog den Mund zu einem verächtlichen Lächeln. „Warnung zur Kenntnis genommen.“

Als Mandy um ihn herumgehen wollte, machte er einen Schritt zur Seite und blockierte ihr den Weg. Langsam ließ er den Blick über ihren weiten Rock, die luftige Seidenbluse und die Westernstiefel gleiten.

„Schick, schick“, murmelte er. Er hakte einen Finger in den V-Ausschnitt ihrer Bluse und zog Mandy näher.

Sie versteifte sich, und ihre Augen funkelten wütend.

„Viel Spaß wünsch ich dir“, flüsterte er rau. „Und mach dir keine Sorgen“, fügte er hinzu, während er ihr sanft über den Hals strich. „Jaime und ich kommen gut miteinander aus.“

Mandy riss sich von ihm los und ging mit glühenden Wangen zum Haus. Hinter sich hörte sie Jesse leise lachen.

Jaime übte noch immer Lassowerfen, als das Geräusch eines Autos Jesse veranlasste, über die Schulter zu schauen. Ein kleiner Sportwagen raste die Auffahrt hinauf.

Jesse gab das Lasso, das er gerade aufgehoben hatte, an Jaime weiter. „Hier, versuch es noch einmal“, murmelte er.

Er sah zu, als der Wagen mit quietschenden Reifen vor dem Haus hielt. Auf der Fahrerseite wurde die Tür geöffnet, und ein Baum von einem Mann zwängte sich heraus.

„Du meine Güte!“, raunte Jesse. Er erkannte sofort, dass der kräftige Nacken, die breiten Schultern und die muskulösen Arme und Beine zu John Lee Carter gehörten. „Was macht der denn hier?“

Jaime ließ das Lasso sinken und schaute sich um. „Oh, das ist nur John Lee Carter. Er und Mom sind heute verabredet.“

In diesem Moment kam Mandy aus dem Haus gelaufen und stellte sich auf die Zehenspitzen, um John Lee auf die Wange zu küssen. Lachend hakte sie sich bei ihm unter, ging mit ihm zum Wagen und ließ sich von ihm hineinhelfen.

Jesse war nicht auf den Eifersuchtsanfall gefasst, der ihn mit voller Wucht traf, als er Mandy mit einem anderen Mann sah. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten.

„Er war früher Profi-Footballspieler“, meinte Jaime, der neben ihn trat. „Aber dann hat er Probleme mit seinem Knie bekommen und musste aufhören.“

Jesse hatte darüber gelesen. Aber in keiner Zeitung hatte gestanden, dass John Lee wieder nach Hause gezogen war und schon gar nicht, dass er und Mandy ein Paar waren. Fotomodelle und Schauspielerinnen waren im Zusammenhang mit John Lee häufig erwähnt worden, auch eine Affäre mit einer Prinzessin. Doch niemals hatte etwas über Mandy und den Exfootball-Star in den einschlägigen Blättern gestanden.

Jaime schaute verstohlen zu Jesse und dachte an die Idee, die ihm schon seit Tagen im Kopf herumschwirrte. „Mom sieht richtig gut aus, oder?“

Jesse verzog das Gesicht und verbot sich zu antworten. Der Rock und die süße Bluse, die er vorhin noch bewundert hatte, verloren plötzlich ihren Reiz, als er erkannte, dass sie sie für John Lee trug.

John Lee Carter ist viel zu erfahren für Mandy, sagte er sich. Eine Beziehung mit solch einem Frauenhelden konnte nur damit enden, dass Mandy verletzt wurde. Doch er würde nicht zulassen, dass irgendjemand Mandy wehtat. Sie hatte schon genug unter ihrem Vater gelitten.

Jesse hatte bereits einen Schritt in Richtung Haus gemacht, um John Lee hinauszuwerfen, als er erkannte, was er da tat.

Fluchend schnappte er Jaime das Lasso aus der Hand, wirbelte es über dem Kopf und warf es. Es landete genau über dem Stierkopf, und Jesse zog es mit einem so wütenden, heftigen Ruck zusammen, dass der Heuballen umkippte.

„Wow!“, rief Jaime. „Kannst du mir das auch beibringen?“

Jesse marschierte vor dem Fenster auf und ab und blieb nur gelegentlich stehen, um wütend nach draußen auf die dunkle Auffahrt zu schauen. Als sich dort nichts rührte, nahm er fluchend seine Wanderung wieder auf.

Kurz nachdem Jaime ins Bett gegangen war, hatte Sam angerufen, um Jesse zu sagen, dass sie die Nacht bei einem kranken Pferd verbringen müsse. Sie hatte gefragt, ob es ihm etwas ausmachen würde, bei Jaime zu bleiben, bis Mandy zurückkam. Natürlich hatte es ihm nichts ausgemacht, aber es störte ihn gewaltig, dass es jetzt fast ein Uhr war und Mandy noch immer nicht in Sicht war.

„Wo, zum Teufel, steckt sie nur?“, brummte er, als er die Vorhänge erneut zurückzog, um nach draußen zu spähen. Aber das Einzige, was er sah, waren die Bilder in seinem Kopf, die ihn seit einer Stunde verfolgten: John Lee und Mandy, wie sie sich nackt und voller Leidenschaft auf dem riesigen, maßgefertigten Bett von John Lee tummelten.

Während er blicklos hinausstarrte, bemerkte er auf einmal zwei kleine helle Punkte, die langsam größer wurden, bis Jesse den Sportwagen erkannte, der kurz darauf auf der Auffahrt hielt.

Aufgebracht ließ Jesse die Gardine fallen. „Wird ja auch Zeit, dass sie nach Hause kommt“, murmelte er, schnappte sich seinen Hut und setzte ihn auf.

Mandy kam lächelnd, mit geröteten Wangen und zerzausten Haaren ins Haus. Ihr Lächeln schwand ein wenig, als sie Jesses anklagendem Blick begegnete. „Oh“, meinte sie erschrocken. „Ich dachte, Sam wäre inzwischen hier.“

„Sie hat angerufen. Sie muss über Nacht bei einem kranken Pferd bleiben. Sie hat mich gebeten, hierzubleiben, bis zu zurück bist.“

Mandy warf ihre Handtasche auf den Tisch in der Eingangshalle. „Ich bin zurück, du kannst also gehen.“

Obwohl es genau das war, was Jesse vorgehabt hatte, veranlasste ihre lässige Verabschiedung ihn, sich vor Mandy aufzubauen und die Hände in die Hüften zu stemmen. „Was, zum Teufel, denkst du dir dabei, die ganze Nacht mit solchen Typen wie John Lee Carter herumzuhängen?“

Dass Jesse Rechenschaft von ihr darüber verlangte, wie lange und mit wem sie unterwegs war, machte Mandy wütend. „John Lee ist ein Freund von mir, und er war auch mal deiner – oder hast du das vergessen?“

„Ich habe überhaupt nichts vergessen, schon gar nicht John Lees wildes Benehmen.“

„Was willst du damit andeuten?“

„Schau dich doch an!“, entgegnete Jesse und zeigte empört auf sie. „Du siehst aus, als wärst du direkt aus seinem Bett gekommen, verflixt noch mal!“

Mandys Wangen röteten sich vor Zorn. Ihr zerzaustes Aussehen lag daran, dass John Lee das Verdeck seines Wagens heruntergelassen hatte. Aber Mandy war nicht gewillt, Jesse dies zu erklären. John Lee war ein Freund von ihr, ein sehr guter Freund, aber mehr nicht. Doch auch das würde sie Jesse nicht erklären.

Mühsam bemühte sie sich darum, die Fassung zu bewahren. „Was ich tue und mit wem ich es tue, geht dich gar nichts an.“

„Oh, doch!“, murmelte Jesse, während er sich den Hut vom Kopf riss und ihn durch den Raum warf. Mit zwei langen Schritten war er bei Mandy und hatte sie in die Arme gezogen, um sie eines Besseren zu belehren. Er presste den Mund auf ihren und unterdrückte damit ihren Protestschrei.

Mandy stemmte die Hände gegen seine Brust, weil sie ihn wegschieben wollte. Doch stattdessen krallte sie nun die Finger in sein Hemd und hielt sich an ihm fest.

Hart und fordernd drang Jesse mit der Zunge in Mandys Mund vor – und verspürte eine Hitze, die nichts mehr mit Wut, dafür umso mehr mit Leidenschaft zu tun hatte.

„Sag mir, dass er dir nichts bedeutet“, verlangte er, während er mit den Lippen über ihren Hals glitt. „Sag mir, dass er dich nicht so berührt hat.“ Während er die Hände um ihre Taille legte und Mandy ganz nah an sich zog, hinterließ sein Mund eine heiße Spur auf ihrer Haut. Er wärmte ihre in Seide gehüllten Brüste mit seinem Atem und schloss nun die Lippen um eine der aufgerichteten Knospen.

„Nein, das hat er nicht“, flüsterte Mandy und griff in sein Haar. Ihr blieb vor Erregung gar nichts anderes übrig, als Jesse die Wahrheit zu sagen. „Es hat nie jemand anderen gegeben als dich.“

Angefeuert von ihrem Geständnis, schob Jesse ihren Ausschnitt auseinander und umkreiste spielerisch die Brustspitze mit der Zunge, bevor er daran zu knabbern begann.

Mandy hielt erschauernd seinen Kopf fest. „Jesse. Oh, Jesse!“, rief sie hilflos.

Er tastete nach den Knöpfen ihrer Bluse. Um sie zu öffnen, war er zu ungeduldig. Er riss daran, der Knöpfe sprangen ab und kullerten zu Boden, während die Bluse auseinanderfiel und Mandys Brüste entblößte. Hastig schob Jesse ihr die Bluse von den Schultern. Der Stoff glitt die Arme hinunter bis zu den Handgelenken, sodass Mandy praktisch gefesselt war.

Sie schauten sich in die Augen, und Mandy schnappte nach Luft, als sie die wilde Leidenschaft in Jesses Blick erkannte, bevor er mit den Lippen erneut ihre Brüste zu liebkosen begann. Verlangen durchströmte ihren ganzen Körper, und sie warf den Kopf zurück und drängte sich noch dichter an Jesse. Da ihre Hände jedoch gefangen waren, konnte sie ihr dringendes Bedürfnis, ihn ebenfalls zu berühren, nicht befriedigen.

„Jesse, bitte“, flehte sie.

„Bitte, was?“, wollte er wissen.

„Bitte, lass mich dich auch berühren.“

Er hob den Kopf und starrte sie mit seinen braunen Augen an, zog dann die Bluse von ihren Handgelenken und warf sie beiseite.

Doch bevor Mandy ihn anfassen konnte, hatte Jesse sie hochgehoben.

„Wo ist dein Zimmer?“, fragte er.

„Nein, nicht dort. Jaime könnte …“

„Wo dann?“

„Die Scheune“, sagte Mandy leise. „Dort sind wir ungestört.“

Mandy drückte ihr Gesicht an Jesses Hals, und ihr heißer Atem war wie Feuer auf seiner Haut.

Vor dem Scheunentor blieb Jesse stehen und zögerte.

„Dort hinein“, flüsterte Mandy und wies auf eine kleine Nebentür.

Mit dem Stiefel stieß Jesse die Tür auf, ging hinein und schloss sie wieder mit dem Fuß. Der Mond warf einen schwachen Lichtstrahl durch ein hoch gelegenes Fenster und erhellte ein schmales Bett. Jesse marschierte dorthin und ließ Mandy langsam daraufgleiten.

Er machte einen Schritt zurück und starrte auf ihr gerötetes Gesicht, ihre vollen leicht geöffneten Lippen, ihre prallen Brüste, die sich unter seinem Blick immer schneller hoben und senkten.

„Wen siehst du, Mandy?“, flüsterte er rau. „Wen willst du?“

Mandy keuchte auf. „Dich, Jesse. Nur dich.“

Zufrieden mit ihrer Antwort, beugte Jesse sich herab und zog ihr die Stiefel aus. Hastig griff er nach dem Gummiband ihres Rocks und streifte ihn ihr zusammen mit der Strumpfhose und dem Slip aus. Er warf alles achtlos auf den Boden, bevor er wieder nach Mandys Fuß griff und ihn mit seiner starken Hand umschloss.

Mit dem Daumen zog er langsam kleine Kreise über den Spann, bis Mandys Atem nur noch stoßweise kam. Jesse, der am Fußende des Bettes stand, ließ sich auf ein Knie nieder und presste statt des Daumens nun seine Lippen auf die empfindliche Haut.

Glühende Hitze durchströmte Mandys Bein und sammelte sich in ihrem Schoß. Sie hob die Arme über den Kopf und klammerte sich an die Eisenstäbe am Kopfende des Bettes. Die Augen geschlossen, genoss sie die wunderbaren Empfindungen, die inzwischen ihren ganzen Körper ergriffen hatten.

Als sie das Gefühl hatte, es nicht länger aushalten zu können, bewegte Jesse seinen Mund langsam aufwärts. Ganz sacht küsste er ihren Knöchel, strich dann mit der Zunge an ihrer festen Wade entlang und immer höher und über die Innenseite ihrer Oberschenkel, während er gleichzeitig mit den Händen ihre glühende Haut streichelte.

Es war eine Qual – die wunderbarste Qual, die Mandy je erlebt hatte.

Schließlich hob Jesse den Kopf und begegnete Mandys sehnsüchtigem Blick. Vorsichtig umschloss er ihren Venushügel und massierte ihn sanft, und Mandy drückte sich bebend an seine Hand.

„Jesse“, flüsterte sie heiser. „Bitte.“

Er stand auf, zog sich Stiefel und Socken aus und griff nach dem obersten Hemdknopf.

Mandy kam hoch und streckte die Hand aus. „Nein, lass mich das machen.“

Er ließ die Arme sinken, und mit zitternden Fingern öffnete Mandy einen Knopf nach dem anderen. Jede Berührung ihrer Fingerspitzen elektrisierte ihn noch mehr, brachte seinen Puls noch mehr zum Rasen, bis Jesse fast verrückt vor Verlangen seinen Gürtel aufhakte, die Jeans öffnete und sie hastig zusammen mit dem Slip auszog.

Mandy hatte sich aufs Bett zurückfallen lassen, und Jesse beugte sich nun über sie, stützte sich rechts und links von ihr ab und schaute ihr in die Augen.

„Du gehörst mir, Mandy“, sagte er eindringlich und eroberte ihren Mund, als wollte er es ihr beweisen. Leidenschaftlich küsste er sie, bevor er sich auf sie sinken ließ. Mit einer schnellen Bewegung drehte er sich herum und nahm sie mit sich, sodass sie nun auf ihm lag.

Zärtlich glitt er mit den Händen an ihrem Rücken hinab, umschloss ihren Po und drang langsam in sie ein.

Mandy lehnte sich zurück, stützte sich auf seiner Brust ab und nahm ihn noch tiefer in sich auf.

„Du gehörst mir“, wiederholte Jesse keuchend. „Für immer.“

„Ja.“ Mandy schnappte nach Luft, als die erste Welle höchster Lust sie überrollte. „Jaaa!“, rief sie ekstatisch, und gemeinsam erklommen sie den Gipfel.

6. KAPITEL

Mandy wachte langsam auf und lächelte, als ihr einfiel, wo sie war. Sie rollte sich auf den Rücken und strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht.

„Jesse?“

Als er nicht antwortete, stützte sie sich auf einen Ellenbogen und schaute sich in dem halb dunklen Raum um. Plötzlich verspürte sie einen Stich. Jesse war weg. Er war gegangen, ohne sich von ihr zu verabschieden.

Gekränkt von seiner Abweisung, stieg sie aus dem schmalen Bett, hob ihren Rock auf und schlüpfte hinein. Als ihr einfiel, dass ihre Bluse im Hausflur lag, sank sie wieder auf das Bett und ließ den Tränen freien Lauf.

„Oh, Jesse“, schluchzte sie und vergrub das Gesicht in den Händen. „Wie konntest du mir das antun?“

Aber tief in ihrem Innern wusste sie, dass es ihre eigene Schuld war. Er hatte sich nur genommen, was sie ihm angeboten hatte. Aber hatte er es aus dem gleichen Grund getan wie sie? Aus Liebe?

Autor

Peggy Moreland
Peggy Moreland hat die Stephen F. Austin State Universität in Nacogdoches, Texas, mit einem BBA (Bachelor of Business Administration) abgeschlossen. Sie veröffentlichte 1989 ihren ersten Roman bei Silhouette Books. Sie war Gewinnerin des „National Readers‘ Choice Award“, war für den „Romantic Times Reviewers Choice Award“ nominiert und zweimal Finalistin beim...
Mehr erfahren