Die Perlendynastie (die komplette 7-teilige Serie)

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DIE PERLENDYNASTIE – DIE KOMPLETTE SERIE von FIONA BRAND

HEISSE HERZEN – KALTE RACHE?
Nur wenn sie ihn heiratet, verzichtet der arrogante Constantine auf das Geld, das Siennas verstorbener Vater ihm schuldet. Sienna sagt Ja – voller Angst vor einer Ehe ohne Gefühl. Aber auch voller Hoffnung, dass der Tycoon sie nicht nur aus Berechnung zum Altar führt …

GEHEIME AFFÄRE MIT DEM MILLIARDÄR
Heute wird er sich zu mir bekennen! Seit zwei Jahren hat Carla mit dem Milliardär Lucas Atraeus eine geheime Affäre. Auf der Hochzeit ihrer Schwester wartet sie aufgeregt auf das Eintreffen ihres Lovers. Doch der kommt nicht allein - sondern in Begleitung einer Frau, mit der er sich verloben will!

SO REICH, SO SEXY…
Liebe? Erotische Anziehung? Nein danke. Lilah ermittelt ihren Zukünftigen lieber nach einem Punktesystem. Sie hat auch schon den perfekten Ehemann gefunden – doch leider verliebt sie sich in dessen Bruder! Zane Atraeus ist verwegen, sexy … und als bekannter Casanova völlig indiskutabel.

ZURÜCK IM BETT DES MILLIARDÄRS
Wir verloben uns. Gemma traut ihren Ohren nicht. Hat Gabriel Messena das wirklich zu ihr gesagt? Der arrogante Milliardär, mit dem sie vor sechs Jahren eine einzige heiße Nacht verbracht hat? Aber Irrtum ausgeschlossen: Gabriel braucht wirklich eine Verlobte an seiner Seite, um die Verhältnisse in dem Schmuckimperium zu seinen Gunsten klären. Und wenn sie schon verlobt sind, ist es für ihn nur logisch, dass sie das Bett teilen – für Gemma ein erotischer Tanz auf dem Vulkan! Denn ihre neu erwachende Leidenschaft bringt ihr größtes Geheimnis in Gefahr …

SINNLICH FUNKELND WIE EIN DIAMANT
Der sexy Playboy Nick Messena macht Elena ganz nervös. Dabei weiß sie genau, dass er nur zwei Dinge will: den Diamantring, den er im Besitz ihrer Familie vermutet – und unverbindlichen Sex. Schon einmal hat Nick sie verletzt. Das darf kein zweites Mal passieren! Auch wenn es unwiderstehlich zwischen ihnen knistert …

DIESES FEUER, DAS MAN LIEBE NENNT
Eva schäumt vor Wut, als ihr Kyle Messena diesen frechen Vorschlag macht! Aber leider hat er recht: Ihn zu heiraten bedeutet die Lösung aller Probleme. Nur eins allerdings bleibt: Kyle ist der attraktivste Mann, den sie kennt. Schon einmal ist Eva in seinen Armen schwach geworden – das darf ihr kein zweites Mal passieren! Denn sie weiß, dass Lust bei Kyle nichts mit Liebe zu tun hat. Also kommt in ihren Ehevertrag natürlich eine No-Sex-Klausel. Aber schon in der Hochzeitsnacht beginnt ein gefährliches Spiel mit dem Feuer …

NUR DU WECKST MEIN BEGEHREN
Was zieht ihn an dieser Frau so an? Nach einer gemeinsamen Nacht kann Business-Tycoon Ben Sabin sein Begehren nach der sinnlichen Sophie kaum bezähmen. Doch soll er ihr wirklich trauen? Oder ist sie nur an seinen Millionen interessiert?


  • Erscheinungstag 27.05.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751506984
  • Seitenanzahl 1008
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Fiona Brand

Die Perlendynastie (die komplette 7-teilige Serie)

Fiona Brand

Heiße Herzen - kalte Rache?

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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© 2012 by Fiona Gillibrand
Originaltitel: A Breathless Bride
erschienen bei: Harlequin Books, Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARA
Band 1771 - 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Ute Augstein

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2013 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-95446-556-9

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY, STURM DER LIEBE

 

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1. KAPITEL

Aufmerksam ließ Constantine Atraeus den Blick über die Trauergemeinde schweifen, die sich zu Roberto Ambrosis Beerdigung eingefunden hatte. Dann fand er endlich, wonach er gesucht hatte. Sie.

Mit ihrem langen blonden Haar und dem sinnlichen, weiblichen Körper stach Robertos glutäugige Tochter Sienna unter den anderen Gästen hervor wie ein wunderschöner Paradiesvogel unter Krähen.

Als er ihre Tränen bemerkte, wurde Constantine unwillkürlich von Mitgefühl übermannt, das er jedoch rasch wieder abschüttelte. Genauso wie die Erinnerungen. Auch wenn Sienna unschuldig wie ein Engel aussah, so durfte er doch nie vergessen: Seine ehemalige Verlobte war die neue Chefin ihres Familienunternehmens, das mit dem Perlenhandel reich geworden war, jetzt allerdings vor dem finanziellen Untergang stand. Vor allen Dingen aber war sie eine Ambrosi. Die Mitglieder dieser einst so wohlhabenden Familie zeichneten sich durch zwei Dinge aus: Sie sahen allesamt unverschämt gut aus – und waren völlig auf Profit fixiert.

Sienna war das beste Beispiel dafür: Damals, vor zwei Jahren, hatte sie es einzig und allein auf sein Geld abgesehen.

„Sag bloß nicht, dass du wieder hinter ihr her bist“, bemerkte Constantines Bruder Lucas. Er wirkte müde, wie er da etwas steif aus dem Audi kletterte. Kein Wunder, Constantine hatte ihn nach seinem Langstreckenflug von Rom nach Sydney gerade erst am Flughafen abgeholt.

Da Lucas in Sydney ein zweitägiges Meeting erwartete, trug er Businesskleidung, im Wagen hatte er allerdings sein Jackett und die Krawatte abgelegt. Zane, in schwarzen Jeans und einem gleichfarbigen Hemd, war bereits ausgestiegen und musterte die Beerdigungsgesellschaft durch seine dunkle Sonnenbrille.

Lucas verfügte über eine äußerst maskuline Ausstrahlung, weswegen ihn die Medien gerne als knallharten Geschäftsmann abstempelten. Zane, der sozusagen ihr Halbbruder war, ließ ebenfalls keinen Zweifel daran aufkommen, dass mit ihm nicht zu spaßen war. Als Teenager hatte er sich auf den Straßen von Los Angeles durchgeschlagen, bis ihr Vater ihn dort gefunden hatte. Constantine war davon überzeugt, dass seine Brüder keine Gnade kannten, wenn es darum ging, die Interessen der Familie zu schützen.

Während Constantine sein Jackett überzog, das er auf dem Rücksitz des Wagens abgelegt hatte, beobachtete er, wie Sienna die Beileidsbekundungen der Trauergäste entgegennahm.

Konnte es sein, dass er sich tatsächlich noch zu ihr hingezogen fühlte? Schließlich hätte auch sein Anwalt die Formalitäten mit Sienna regeln können.

Nein, das war es nicht. Bereits vor zwei Jahren hatte Constantine gelernt, Sex und Geschäft strikt voneinander zu trennen. Er war fest entschlossen, dass dieses Mal nach seinen Regeln gespielt werden würde, sollte Sienna Ambrosi nochmals in seinem Bett landen.

„Ich bin bestimmt nicht hier, um Blumen auf Robertos Grab zu legen.“ Constantine warf Lucas einen düsteren Blick zu.

„Oder sie in Ruhe trauern zu lassen“, erwiderte sein Bruder ironisch. „Schon mal was von dem Wort morgen gehört?“ Nachdem Lucas sein Jackett übergezogen hatte, schlug er lautstark die Tür der teuren Limousine zu.

Constantine zuckte zusammen. Lucas war nicht alt genug, um sich an jene Zeiten zu erinnern, als die Atraeus-Familie so arm gewesen war, dass sie sich noch nicht einmal ein Auto leisten konnten. Constantine hingegen erinnerte sich sehr wohl. Zwar hatte sein Vater kurz darauf eine ergiebige Goldmine auf der Mittelmeerinsel Medinos entdeckt, doch Constantine würde nie vergessen, wie es sich anfühlte, nichts zu besitzen. „Für die Ambrosis wird es morgen schon zu spät sein.“ Resigniert betrachtete Constantine die Presseleute, die sich eingefunden hatten und wie die Geier auf ihren großen Moment warteten. „Außerdem habe ich den Eindruck, dass die Neuigkeiten schon nach außen gedrungen sind. Mir ist gleichgültig, ob das Timing schlecht ist. Ich will Antworten.“ Und das Geld zurück, das Roberto Ambrosi ihrem sterbenden Vater aus der Tasche gezogen hatte.

Beerdigung hin oder her – Constantine war fest entschlossen, den Betrug aufzudecken, dem er vor gerade einmal einer Woche auf die Schliche gekommen war. Nachdem er tagelang vergebens versucht hatte, telefonisch mit den Ambrosis Kontakt aufzunehmen, und sogar stundenlang das offenbar verlassene Familienanwesen beobachtet hatte, war seine Geduld erschöpft. Seine anfängliche Absicht, die Sache diskret abzuwickeln, hatte er aufgegeben.

Lucas beeilte sich, mit Constantine Schritt zu halten, der geradewegs auf die im Auflösen begriffene Trauergemeinde zusteuerte. Missmutig bemerkte Constantine, dass Lucas bewundernd zu Carla hinübersah, der jüngeren Schwester von Sienna.

„Meinst du wirklich, dass Sienna etwas mit der Sache zu tun hat?“, fragte sein Bruder.

Das bezweifelte Constantine nicht. Was sonst war von einer Frau zu erwarten, die sich vor zwei Jahren bereit erklärt hatte, ihn zu heiraten, obwohl sie wusste, dass ihr Vater und seiner damit unter der Hand ein Geschäft verknüpft hatten. Ein Geschäft wohlgemerkt, dessen Inhalt sie alle drei Constantine verschwiegen hatten. „Sie weiß bestimmt etwas.“

„Du weißt doch aber auch, wie Roberto gewesen ist …“

„Ja, mehr als willig, einen sterbenden Mann über den Tisch zu ziehen.“

Constantine sah kurz zu den beiden Leibwächtern hin, die ihnen in einem zweiten Wagen gefolgt waren. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er gut auf sie verzichten können, aber als Chef eines milliardenschweren Unternehmens kam es eben vor, dass er sich Feinde machte.

Als sie sich der Grabstätte näherten, fiel Constantine auf, dass keine männlichen Familienmitglieder zu sehen waren. Die ehemals reichen und einflussreichen Ambrosis, für die sein Großvater einst als Gärtner gearbeitet hatte, bestanden heute nur noch aus Robertos Witwe Margaret, den beiden Töchtern Sienna und Carla sowie diversen älteren Tanten und entfernten Cousinen.

In dem Moment, in dem er am Grab ankam, schob sich eine dunkle Wolke vor die Mittagssonne – und Siennas und Constantines Blicke trafen sich. Ganz kurz glaubte Constantine, in ihrem Blick so etwas wie Freude zu erkennen. Es schien beinahe so, als hätte sie vergessen, dass sie sich vor zwei Jahren für das Geld und gegen ihn entschieden hatte.

Die Zeit schien stillzustehen, und Constantine hatte das beunruhigende Gefühl, alles schon einmal erlebt zu haben. Er spürte eine überwältigend starke Verbindung zwischen ihnen, von der er gedacht hatte, sie nie wieder in seinem Leben empfinden zu können.

Etwas Unsichtbares schien seiner Brust einen Schlag zu versetzen, und statt seinen Blick abzuwenden, ließ Constantine sich vom Zauber des Augenblicks gefangen nehmen …

Nur einen Moment später wirbelte eine heftige Windböe ein paar welke Blätter durch die Luft, Sienna steckte sich eine Strähne ihres honigblonden Haares hinters Ohr – und die Magie, die Constantine vor zwei Jahren schon einmal zum Narren gehalten hatte, löste sich in Nichts auf. Ungläubig erkannte er, dass er Sienna beinahe wieder verfallen wäre.

Er unterbrach den Blickkontakt, richtete seine Aufmerksamkeit auf den frischen Grabhügel, der von Blumengestecken bedeckt war, und besann sich auf den Grund seines Kommens.

Roberto Ambrosi war ein Lügner, Dieb und Bauernfänger gewesen, doch eines musste man ihm lassen: Er hatte gewusst, wann es Zeit war zu gehen.

Sienna hingegen blieb keine Möglichkeit zur Flucht.

Siennas Herz schlug schneller, als sie Constantine näher kommen sah. Sie war erschöpft, innerlich hin und her gerissen von der Trauer um ihren Vater und der Erleichterung darüber, sich nie wieder mit seiner Spielsucht auseinandersetzen zu müssen. Aber für eine Sekunde hatte sie die traurigen Umstände fast vergessen.

Sie war eine eifrige Verfechterin des positiven Denkens, doch selbst für ihre Verhältnisse war der Tagtraum, der sie beim Anblick Constantines überfallen hatte, außerordentlich fantasievoll gewesen. Sie musste an eine Vergangenheit denken, als für sie die Liebe an erster Stelle gestanden hatte – und nicht Aktien und Vermögenswerte. Als sie Constantine nun in die Augen sah, kam es ihr ganz kurz so vor, als wären ihre Träume wahr geworden.

Seine ebenmäßigen Gesichtszüge, das kohlrabenschwarze Haar und die breiten Schultern vermochten immer noch, ihren Herzschlag zu beschleunigen.

Doch dann bemerkte sie seinen düsteren Blick, der Zauber war gebrochen, und sie fand sich jäh in der Wirklichkeit wieder.

„Was machst du denn hier?“, fragte sie ihn kurz angebunden. Seit dem beschämenden Zwischenfall vor zwei Jahren war das Verhältnis der Familien Atraeus und Ambrosi äußerst unterkühlt. Sie hätte nie damit gerechnet, Constantine auf der Beerdigung ihres Vaters zu sehen – und war ehrlich gesagt auch nicht gerade erfreut darüber.

Constantine ergriff ihre Hand. Als sie die Wärme seiner Haut spürte, kam es einem Schock gleich. Sie holte tief Luft und atmete seinen ihr immer noch vertrauten, männlichen Duft ein.

Zweifellos war Constantine ein äußerst attraktiver Mann. Einst hatte sie sich so sehr von ihm in den Bann schlagen lassen, dass sie ihre wichtigste Regel verletzt hatte. Sie hatte Gefühlen den Vorzug vor dem Verstand gegeben. Ein böser Fehler.

Constantine hatte ganz einfach in einer völlig anderen Liga gespielt als sie. Er war viel zu wohlhabend und – wie sie leider herausfinden musste – zu versessen darauf, seinen Reichtum um jeden Preis zu vergrößern.

Verbittert dachte sie daran, dass die Regenbogenpresse mit ihrer Einschätzung dieses Mannes recht behalten hatte: Er war skrupellos im Geschäftsleben – und im Bett. Der Chef der Atraeus-Group war ein guter Fang. Allerdings durfte man nicht mit einer Hochzeit rechnen.

Er beugte sich so dicht an sie heran, dass sein glatt rasiertes Kinn beinahe ihre Wange berührt hätte. Einen faszinierenden Augenblick lang gab sie sich der Vorstellung hin, er würde sie küssen. Als sie jedoch seinen Gesichtsausdruck sah, verflüchtigte sich diese Hoffnung wieder.

„Wir müssen reden“, sagte er mit seiner tiefen Stimme. Sein kaum merklicher Akzent verriet, dass seine Wurzeln im Mittelmeerraum lagen, er jedoch in den USA aufgewachsen war. „Fünf Minuten. Auf dem Parkplatz.“

Sienna entzog ihm ihre Hand und trat einen Schritt zurück, sodass die Absätze ihrer hochhackigen Schuhe im feuchten Erdreich einsanken. Erwartete er tatsächlich, dass sie sich jetzt mit ihm traf? Mit dem Mann, der ihr in der einen Woche einen Antrag gemacht und sie in der nächsten fallen gelassen hatte wie eine heiße Kartoffel, weil er geglaubt hatte, dass sie nur auf sein Geld aus gewesen war?

Niemals. Da musste schon die Hölle einfrieren.

„Es gibt nichts, worüber wir sprechen müssten.“

„Fünf Minuten. Sei da.“

Beklommen sah sie ihm hinterher, wie er an den Grabsteinen entlang zurück zu seinem Wagen ging. Nur am Rande bekam sie mit, dass Constantine von seinen Brüdern Lucas und Zane begleitet wurde. Zwei Leibwächter hielten Reporter und Schaulustige auf Abstand, die sich für die Familie Atraeus interessierten.

Die Anwesenheit der beiden Brüder und der Bodyguards machte ihr abermals bewusst, wie groß die Kluft zwischen ihrem und Constantines Leben war.

Ihre Schwester Carla berührte sie sacht am Arm. Nur mühsam gelang es Sienna, die beunruhigenden Gefühle zu verdrängen, die Constantines Gegenwart in ihr wachgerufen hatten. In den vergangenen Tagen war sie völlig vereinnahmt gewesen von dem plötzlichen Tod ihres Vaters und den katastrophalen finanziellen Folgen, die damit verbunden waren. Trotzdem hatte ein Blick in Constantines Augen genügt, um sie vergessen zu lassen, wo sie sich befand.

„Du bist kreideweiß“, bemerkte Carla stirnrunzelnd. „Ist alles in Ordnung mit dir?“

„Es geht mir gut.“ Um Fassung bemüht, suchte Sienna in ihrer Handtasche nach der Puderdose, um ihr Make-up zu überprüfen. Die Tränen, die sie in der Kirche vergossen hatte, und die Hitze hatten dazu beigetragen, dass man nichts mehr von dem leichten Make-up sah, das sie heute Morgen aufgetragen hatte. Außerdem wirkte ihr Haar zerzaust, und ihre Augen hatten rote Ränder. Im Augenblick war sie das exakte Gegenteil der gelassenen und intellektuellen Frau, die sie normalerweise zu sein vorgab.

Carla, der man ihre Herkunft von der Insel Medinos weitaus deutlicher ansah als Sienna, warf ihr glänzendes schwarzes Haar zurück und kniff die faszinierenden, auffallend hellblauen Augen zusammen, als sie nachdenklich den Atraeus-Brüdern hinterherschaute. „Was wollen die hier? Jetzt erzähl mir bitte nicht, dass du dich wieder mit Constantine triffst.“

Mit erzwungener Ruhe steckte Sienna ihre Puderdose wieder in die Handtasche. „Keine Bange. So verrückt bin ich nicht.“

Lediglich verwirrt.

„Und was haben sie dann gewollt?“, fragte Carla wütend.

Im Gegensatz zu ihrer Schwester konnte Sienna sich nicht den Luxus leisten, sich von ihren Gefühlen mitreißen zu lassen. Um das Wohl ihrer Familie und des Unternehmens zu gewährleisten, musste sie sich stets gelassen und unerschütterlich geben – egal, wie besorgt sie in Wirklichkeit war. „Nichts.“

Ein weiterer Windstoß – der dieses Mal mit dicken Regentropfen einherging – ließ sie ihre Benommenheit abschütteln. Sie dachte an Constantines Aufforderung – wohl eher den Befehl –, ihn zu treffen. Und ihr kam plötzlich etwas in den Sinn, das ihr ganz und gar nicht behagte.

Oh, verdammt. Sie musste nachdenken. Und zwar schnell.

Die vergangenen drei Tage hatte sie damit zugebracht, den privaten Schriftverkehr und die Vermögenswerte ihres Vaters durchzuarbeiten. Dabei waren ihr einige geheimnisvolle hohe Beträge aufgefallen, die sie in keinen Zusammenhang mit den Firmengeschäften bringen konnte. Innerhalb von zwei Monaten war eine große Summe Geldes auf das private Konto ihres Vaters eingegangen, die dafür verwandt worden war, seine Spielschulden zu begleichen und die finanziellen Probleme von Ambrosi-Pearls zu beheben. Doch Sienna hatte keine Ahnung, woher das Geld stammte. Zuerst hatte sie geglaubt, dass es sich um Gewinne vom Spieltisch handelte, doch die Beträge waren relativ gleichbleibend gewesen, daher war das unwahrscheinlich. Zwar hatte Roberto Ambrosi in der Vergangenheit schon Geldbeträge gewonnen, doch die waren immer unterschiedlich hoch ausgefallen.

Und jetzt wollte Constantine sie sprechen.

Sienna versuchte, die böse Vermutung, die sich in ihrem Kopf formte, zu verdrängen. Sie musste Carla auf andere Gedanken bringen, die immer noch den Atraeus-Brüdern hinterhersah, als würde sie sie am liebsten in die Luft sprengen. Also schaute Sienna sich suchend nach ihrer Mutter um. „Mom braucht Hilfe.“

Im selben Moment hatte auch Carla Margaret Ambrosi entdeckt, die immer noch geschwächt war von den Beruhigungsmitteln, die ihr der Arzt verschrieben hatte. Ein Reporter redete pausenlos auf sie ein. „Oh, Mist. Ich kümmere mich darum. Wird sowieso Zeit, dass wir hier wegkommen. Wir hätten schon vor zehn Minuten bei Tante Via zum Lunch sein sollen“, sagte Carla.

Seitdem ihr Vater vor vier Tagen zusammengebrochen und an Herzversagen gestorben war, hatten sie alle keine ruhige Minute gehabt. Allerdings ließ sich die Wahrheit nicht länger beschönigen. Ihr Großvater hatte im Zweiten Weltkrieg das Familienunternehmen aus dem Mittelmeerraum von der Insel Medinos nach Sydney verlagert und zu einem florierenden Geschäft ausgebaut. Doch die glorreichen Tage von Ambrosi-Pearls waren längst vorüber und die Schulden ins Unermessliche gestiegen.

Ein Entschluss reifte in Sienna heran. „Sag Via, dass ich es nicht zum Lunch schaffe. Ich komme dann später zu euch nach Hause.“

Nachdem sie Constantine losgeworden war.

Nachdenklich betrachtete Constantine den Himmel durch die Windschutzscheibe des Audi. Er hatte beschlossen, dort auf Sienna zu warten.

Zane saß auf dem Rücksitz und verschränkte die Arme vor der Brust, während er gelassen den Presseleuten zusah, die sich vergebens abmühten, an Constantines Sicherheitsleuten vorbeizukommen. „Ich denke, sie mag dich noch.“

Constantine versuchte, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen. Mit seinen vierundzwanzig Jahren war Zane zwar tatsächlich jünger als er, aber manchmal kam es ihm so vor, als trennten sie weit mehr als sechs Jahre. „Das ist rein geschäftlich.“ Und kein Vergnügen.

„Hast du eigentlich noch eine Gelegenheit gehabt, mit Roberto über den Kredit zu sprechen?“, fragte Lucas, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte.

Die Worte vor seinem Tod hingen unausgesprochen in der Luft.

Constantine zupfte an seiner Krawatte herum. „Was glaubt ihr, weswegen er einen Herzanfall hatte?“

Offenbar hatte es mit Robertos Herz nicht zum Besten gestanden.

Siennas Vater hatte Constantine um ein Gespräch gebeten, als Treffpunkt hatten sie sich auf Constantines Haus geeinigt. Doch Roberto war nicht erschienen, sondern hatte stattdessen eine Runde Blackjack gespielt, wie Constantine nach ein paar Telefonaten herausgefunden hatte. Roberto war offensichtlich sehr bestrebt gewesen, das dringend benötigte Geld am Spieltisch zu gewinnen.

Um unnötiges Aufsehen zu vermeiden, hatte Constantine seinen persönlichen Assistenten Tomas ins Kasino geschickt, um Roberto abzuholen. Tomas war eingetroffen, nachdem der ältere Mann nur kurz zuvor hohe Gewinne erzielt hatte – und sich dann plötzlich unwohl fühlte. Sofort hatte Tomas einen Krankenwagen gerufen, doch es war zu spät gewesen. Nur Minuten darauf hatte Roberto sich an die Brust gegriffen und war wie ein gefällter Baum zu Boden gegangen.

Als Constantine davon erfuhr, hätte er selbst beinahe einen Herzinfarkt erlitten. Auch wenn die Medien ihn als knallharten Geschäftsmann bezeichneten, so hätte er liebend gerne mit Roberto über Möglichkeiten der Rückzahlung gesprochen. Aber es ging nicht nur um ihn, sondern um die ganze Familie, denn Roberto hatte Constantines Vater betrogen.

„Weiß Sienna eigentlich, dass du dich mit ihrem Vater treffen wolltest?“, fragte Lucas.

„Bisher noch nicht.“

„Aber sie wird es erfahren?“

„Ja.“ Constantine entledigte sich seiner Krawatte und öffnete die obersten beiden Knöpfe seines Hemdes.

Er wollte Siennas Aufmerksamkeit erlangen. Deswegen hatte er ja auch beschlossen, sich persönlich um die Angelegenheit zu kümmern. Und nachdem er vielleicht indirekt für den Tod ihres Vaters verantwortlich war, konnte er wohl ziemlich sicher sein, dass er ihre Aufmerksamkeit bekam.

Donnergrollen erklang, und Sienna beeilte sich, zu ihrem Wagen zu gelangen, um den Regenschirm vom Rücksitz zu holen.

Als sie den Parkplatz überquerte, wurde die Tür eines parkenden Lieferwagens aufgeschoben, ein Reporter sprang heraus und baute sich vor ihr auf. Als er die Kamera hob, riss sie instinktiv den Arm hoch, um sich vor dem Blitzlicht zu schützen.

Ein zweiter Journalist gesellte sich dazu, und Sienna machte auf der Stelle kehrt. Mit einem Mal schien ihr der Regen gar nicht mehr so schlimm zu sein. Bei den Männern handelte es sich nicht um die zurückhaltenden und höflichen Presseleute, mit denen sie vor der Beerdigung zu tun gehabt hatte. Diese hier wirkten wie Aasgeier, die zweifellos von Constantines Anwesenheit angelockt worden waren und jetzt hofften, einen alten Skandal wieder zum Leben zu erwecken.

Wie hatte er es bloß wagen können, zur Beerdigung ihres Vaters zu kommen? Hatte er etwa vor, sie und ihre bedauernswerte Mutter der Presse zum Fraß vorzuwerfen?

Es donnerte wieder, noch lauter als beim ersten Mal, und plötzlich begann es so heftig zu regnen, dass Sienna augenblicklich bis auf die Haut durchnässt war. Sie umklammerte ihre Tasche, während sie um eine Reihe Bäume herumeilte, die den Parkplatz unterteilten. Als sie über die Schulter zurückblickte, bemerkte sie erleichtert, dass der Regen die Presseleute wenigstens fürs Erste entmutigt hatte. Unmittelbar darauf prallte sie gegen eine muskulöse Männerbrust. Constantine.

Die Wärme seiner Haut schien sich durch den feuchten Seidenstoff ihres Kleides zu brennen, als Sienna Halt suchend nach seinen Schultern griff.

Er nickte in Richtung einer großen Eiche. „Dorthin. Auf der anderen Seite des Parkplatzes sind noch mehr Reporter.“

Dann spürte sie seine Hand an ihrem Rücken. Sie erschauerte wohlig, als sie den Druck seiner Handfläche fühlte. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich bei der Vorstellung, dass Constantine ihr gefolgt war, um sie zu beschützen.

Sie wusste seine Bemühungen zu schätzen, aber das hieß noch lange nicht, dass sie seine Hilfe brauchte.

Er führte sie unter das schützende Laubdach einer alten, knorrigen Eiche. Zwar hielten die Blätter den größten Teil des Unwetters ab, doch einige Tropfen drangen trotzdem hindurch und durchnässten Siennas Haare.

Mit einem Taschentuch wischte sie sich die Regentropfen aus dem Gesicht. Wenigstens brauchte sie sich um ihr Make-up nicht zu sorgen, da vermutlich nichts mehr davon übrig war.

Nur wenige Momente später rissen die Wolken etwas auf, und warme Sonnenstrahlen spiegelten sich in den Pfützen auf dem Parkplatz. Ohne etwas dagegen tun zu können, brach Sienna in Tränen aus und suchte hastig nach einem Taschentuch.

„Hier, nimm das.“

Constantine drückte ihr ein großes weißes Stück Leinen in die Hand. Schluchzend griff sie danach und tupfte sich die Augen ab. Ehe sie sich versah, zog Constantine sie an sich, und sie presste ihr Gesicht an seine Brust. Die ganze Zeit über war sie sich seiner warmen Hand auf ihrem feuchten Nacken bewusst. Nachdem sie sich einen Moment lang versteift hatte, gab sie sich schließlich seiner tröstenden Umarmung hin.

Bisher hatte sie stets nur dann geweint, wenn sie allein war – für gewöhnlich nachts in ihrem Zimmer. Sie wollte ihre Mutter nicht aufregen, die immer noch an den Folgen eines Schocks litt. Die meiste Zeit über hatte Sienna sich irgendwie beschäftigt, um ihre Trauer zu verdrängen, aber jetzt wurde sie plötzlich von ihren Gefühlen überwältigt.

Schließlich lockerte Constantine seine Umarmung ein wenig, sodass sie ihre Nase putzen konnte. Doch es war sinnlos, ihre Tränen unterdrücken zu wollen – sie flossen unentwegt weiter. Zumindest musste sie nicht mehr so schrecklich schluchzen. So blieb sie etwas länger als nötig in Constantines Armen und ließ zu, dass er beruhigend ihre Schulter streichelte und sie mit seinem Körper wärmte. Erschöpft vor Trauer nahm Sienna es einfach hin und genoss es, sich an ihn zu lehnen und auf seine Stärke vertrauen zu können.

Endlich hörte es ganz auf zu regnen. Gleich würde sie sich aus der Umarmung befreien, aber sie fühlte sich noch zu müde, um sich überhaupt zu rühren.

„Wir sollten fahren“, sagte Constantine leise an ihrem Ohr. „Hier können wir nicht sprechen.“

Als sie sich bewegte und ihn dabei streifte, bemerkte sie, dass er erregt war – und im gleichen Moment erinnerte sie sich an damals: Es waren sinnliche Erinnerungen, aber es hatte auch entsetzlich erniedrigende Momente gegeben.

Oh nein. Auf gar keinen Fall würde sie wieder etwas für ihn empfinden.

Entschlossen befreite sie sich aus seiner Umarmung und verlor dabei ihre Handtasche. Während sie sich das nasse Haar aus dem Gesicht strich, bückte sie sich, um die Utensilien einzusammeln, die ihr aus der Tasche gefallen waren – Lipgloss, Puderdose, Autoschlüssel.

Ihre Schlüssel! Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, zu fahren. Wenn Constantine ein Gespräch mit ihr wünschte, würde er wohl einen Termin mit ihr vereinbaren müssen. Auf gar keinen Fall würde sie bleiben und darauf warten, von den Medien wieder dermaßen vorgeführt zu werden, wie es vor zwei Jahren der Fall gewesen war.

„Verdammt. Sienna …“

Klang seine Stimme etwa zärtlich? Und war das Mitgefühl in seinem Blick?

Nein, das konnte gar nicht sein.

Als Constantine in die Hocke ging, um ihr beim Einsammeln ihrer Habseligkeiten zu helfen, beeilte sie sich nur noch mehr, die Sachen in ihre Tasche zu stopfen. Es regnete schon wieder, aber das war ihr egal. Sie war ohnehin bis auf die Haut durchnässt. Sie spürte die feuchten Haarsträhnen im Gesicht, ihr Kleid schien an ihrem Körper zu kleben, und ihre Schuhe waren völlig durchgeweicht.

Constantine ging es nicht besser. Seine graue Anzugjacke spannte feucht über seinen Schultern, und sein weißes Hemd war so durchscheinend vor Nässe, dass Sienna die bronzefarbene Haut darunter durchschimmern sah.

Mühsam wandte sie sich von diesem faszinierenden Anblick ab und richtete sich hastig auf, denn ihr war plötzlich eingefallen, dass ihr schwarzes Seidenkleid im durchnässten Zustand zwar keine Haut enthüllte, aber dennoch überaus dünn war. Zu dünn. „Unser Gespräch wird noch warten müssen“, brachte sie heraus. „Wie du sehen kannst, bin ich nass.“

Sie machte kehrt, ohne auf seine Antwort zu warten, und hielt nach einem Weg zu ihrem Wagen Ausschau, der nicht von Reportern belagert war.

Doch Constantine umfasste ihre Taille und zog sie zurück an seinen warmen Körper. „Vier Tage lang hast du meine Anrufe nicht beantwortet“, flüsterte er leise an ihrem Ohr. Ein Schauer durchzuckte sie beim Klang seiner Stimme. „Wenn du denkst, dass ich mich auch nur noch eine weitere Sekunde von dir hinhalten lasse, dann hast du dich geschnitten.“

2. KAPITEL

Sienna kochte vor Zorn, weil Constantine sie einfach festhielt, in einer intimen Geste, als hätte er jedes Recht dazu. Noch wütender war sie allerdings auf sich selbst – auf die verwirrenden Empfindungen, die auf sie einstürzten, als sie seine Hände auf sich spürte. Verärgert sah sie auf seine Finger. „Lass. Mich. Los.“

„Nein“, entgegnete er bestimmt.

Aus den Augenwinkeln nahm Sienna eine Bewegung wahr, und sie hörte, wie eine Autotür zugeschlagen wurde.

Constantine stieß einen leisen Fluch aus. Jetzt, da der Wolkenbruch vorüber war, trauten sich die Presseleute wieder aus ihren Wagen heraus.

„Das hatte ich zwar nicht vor, aber du hast es ja nicht anders gewollt.“ Er drehte sie zu sich herum und senkte den Kopf, als ob er sie küssen wollte.

Sienna riss den Kopf nach oben und traf dabei sein Kinn, was für sie ziemlich schmerzhaft war – und sie nur noch wütender machte. „So wie vor zwei Jahren? Oh, wie cool, Constantine. Du hast mich wie eine Schwerverbrecherin behandelt, weil mir meine Familie etwas bedeutet, und jetzt …“

Ihre Bemerkung schien seinen Ärger zu verstärken, viel mehr, als es die anrückende Presse tat. „So nennst du das also? Ist ja interessant.“

Sein ruhiger Tonfall stand im krassen Gegensatz zu dem zornigen Ausdruck in seinen Augen – und ließ sie die Schuldgefühle noch heftiger empfinden, die sie in den vergangenen zwei Jahren ohnehin gequält hatten. Zwei Jahre, in denen sie sich zweifelnd gefragt hatte, ob die Trennung vielleicht doch ihre Schuld und nicht die von Constantine gewesen war. Vielleicht hatte sie ihn völlig zu Unrecht bezichtigt, kalte Füße wegen der anstehenden Hochzeit bekommen zu haben. Möglicherweise war es wirklich unverzeihlich von ihr gewesen, ihn nicht von vornherein über die finanzielle Situation ihrer Familie informiert zu haben.

„Was habe ich dir eigentlich getan, Constantine?“, fragte sie herausfordernd.

Er lächelte grimmig. „Falls du tatsächlich eine Erklärung erwartest, vergeudest du deine Zeit.“

„Das hätte ich mir ja denken können.“ Sie legte die Hände auf seine Brust und stieß ihn von sich.

„So warte doch“, erwiderte er ärgerlich und fluchte leise in seiner Heimatsprache.

Beim Klang der melodischen medinischen Sprache – ein italienischer Dialekt mit griechischen und arabischen Einflüssen – spürte Sienna, wie ihre Haut vor Erregung zu kribbeln begann.

Verdammt noch mal. Warum gefiel ihr das nur so gut?

Sie ärgerte sich über sich selbst, weil sie sich von seiner atemberaubenden Ausstrahlung so einfach in den Bann ziehen ließ. Mit unverminderter Kraft stemmte sie sich weiter gegen seine muskulöse Brust, um wenigstens diesen kleinen Abstand zwischen ihnen wahren zu können.

Trotzdem war sie wie gefangen von seiner aufregenden Nähe. Inständig hoffte sie, dass die Leute von der Presse ihr kleines Gerangel so auslegen würden, als spende Constantine ihr weiterhin Trost.

„Wer hat die Presse benachrichtigt?“, fragte sie möglichst eisig. „Du?“

Er lachte humorlos auf. „Cara, ich bezahle Leute dafür, um sie mir vom Hals zu halten.“

Vergebens bemühte sie sich, gegen das erwartungsvolle Prickeln anzukämpfen, das sich von ihrem Bauch ausgehend in ihr ausbreitete. „Nenn mich bitte nicht …“

„Wie denn?“, fragte er. „Darling? Babe? Sweetheart?“

Mit seinen langen schlanken Fingern strich er über ihr Kinn. Dann beugte er sich so dicht an sie heran, dass es wieder den Anschein hatte, er wolle sie jeden Moment küssen.

Der Anblick seiner klaren blauen Augen, die winzigen Wassertropfen auf seinen langen dunklen Wimpern sowie der rote Fleck an seinem Kinn, der von ihrem Zusammenstoß eben herrührte, riefen bittersüße Erinnerungen in Sienna wach. Unwillkürlich fühlte sie sich in die Zeit zurückversetzt, als sie sich vor etwas mehr als zwei Jahren zum ersten Mal begegnet waren.

Damals war es dunkel gewesen, und es hatte ebenfalls geregnet. Sie hatte ihren Schirm aufgespannt und deswegen nicht sehr viel vom Weg sehen können, als sie vom Taxi zum Eingang eines Restaurants gehastet war. Prompt waren sie miteinander kollidiert. Damals hatte die Wucht des Aufpralls sie auf den Bürgersteig stürzen lassen. Dabei war ihr kurzes schwarzes Kleid ein Stück eingerissen, und sie hatte den Schirm sowie einen ihrer Schuhe verloren.

Constantine hatte sich mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme bei ihr entschuldigt und sich besorgt nach ihrem Wohlbefinden erkundigt. Wie verzaubert hatte sich Sienna den verlorenen Schuh wieder übergestreift, dabei war sie das Gefühl nicht losgeworden, durch ihren Sturz in ein Märchenland geschleudert worden zu sein. Allerdings hätte ein „Prinz Charming“ in ihrer Vorstellung nicht annähernd so gut ausgesehen wie Constantine. Damals war sie sicher gewesen, dass es ihr das Herz brechen würde, wenn er wieder ginge.

Constantine verstärkte den Griff um ihren Arm, und Sienna kehrte mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. Als sie ihn genauer betrachtete, fiel ihr auf, dass er nicht nur sehr ärgerlich, sondern auch ein wenig verwirrt wirkte.

„Basta“, stieß Constantine hervor und wich ein Stück von ihren verführerischen Lippen zurück. „Du trägst dasselbe Kleid.“

„Nein“, erwiderte Sienna trotzig und gab damit zu, dass auch sie soeben an ihre erste Begegnung gedacht hatte. „Damals hatte ich ein schwarzes Cocktailkleid an.“

„Es fühlt sich aber genauso an.“ Feucht und samtig, so wie ihre Haut.

„Dann nimm doch deine Hände weg, wenn es dir nicht passt.“

Ihre Stimme klang kühl und kontrolliert, doch der heisere Unterton und ihre Unfähigkeit, ihm in die Augen zu schauen, waren ihm Beweis genug dafür, dass es in ihr anders aussah.

Eigentlich sollte er sie gehen lassen, denn sie kam ihm sichtlich mitgenommen vor. Lucas hatte recht gehabt – wenigstens an dem Tag, an dem ihr Vater zu Grabe getragen wurde, hätte er Erbarmen zeigen können. Doch ungeachtet aller Etikette war Constantine fest entschlossen, ihr keine weitere Möglichkeit mehr zu geben, ihm aus dem Weg zu gehen.

Vor zwei Jahren war Sienna Ambrosi gelungen, was noch keiner Frau vor ihr gelungen war: Sie hatte ihn komplett zum Narren gehalten. Eigentlich sollte es ihn anwidern, sie zu berühren. Stattdessen war er gebannt von der Sehnsucht in ihrem Blick und dem Gefühl, ihren weiblichen Körper so dicht an seinem zu spüren. Es wollte herausfinden, wie verwundbar sie ihm gegenüber wirklich war. „Nicht, bevor ich habe, weswegen ich gekommen bin.“

Entsetzt sah sie ihn an, und schlagartig waren seine Zweifel bezüglich ihrer Mitwisserschaft an dem Betrug ihres Vaters wie fortgeblasen. Dann war Sienna wohl tatsächlich in die üblen Machenschaften ihres Vaters verstrickt.

Sie errötete. „Wenn du mit mir sprechen willst, musst du dich ein wenig gedulden. Falls es dir entgangen sein sollte, es regnet, und ich komme gerade von einer Beerdigung.“ Erneut versuchte sie, ihn von sich fortzuschieben.

Instinktiv verstärkte er den Griff um ihre Arme. Die Nähe ihres Körpers traf ihn mit voller Wucht, und lustvolle Hitze breitete sich in ihm aus.

Vor zwei Jahren hatte die Leidenschaft sein Urteilsvermögen getrübt. Er kannte sowohl die Folgen einer überstürzten Ehe, dabei hatte er seine Eltern vor Augen, als auch den zweifelhaften Ruf der Ambrosis. Doch er hatte sein Wissen ignoriert – zu seinem großen Bedauern, wenn er heute darüber nachdachte.

Seine Schwäche für Sienna war genau das – ein Fehler, aber trotz allem wollte er sie immer noch. Doch er wusste auch, dass eine einzige Nacht mit ihr sein Verlangen nicht stillen würde.

Sienna blickte über ihre Schulter. „Dieser ganze Presserummel ist allein deine Schuld. Wenn du nicht hergekommen wärst, dann hätten sie uns in Ruhe gelassen.“

„Beruhige dich.“ Prüfend betrachtete Constantine die Reporter, die sich ihnen näherten. „Wenn du nicht in den Sechsuhr-Nachrichten erscheinen willst, dann bleib bei mir und verhalte dich ruhig. Ich rede mit ihnen.“

Die beiden Männer in dunklen Anzügen, die Constantine vorhin begleitet hatten, tauchten plötzlich wie aus dem Nichts neben ihnen auf. Dann waren die Journalisten auch schon da – ein ganzes Fernsehteam, wie Sienna zu ihrem Entsetzen feststellte, das sie und Constantine augenblicklich mit Fragen bombardierte.

„Ms Ambrosi, stimmt es, dass Ambrosi-Pearls kurz vor dem Bankrott steht?“

„Haben Sie etwas zu der Behauptung zu sagen, dass Ihr Vater angeblich Lorenzo Atraeus um Geld betrogen haben soll?“

Blitzlichter blendeten Sienna, und als sie die Augen wieder öffnete, sah sie eine schlanke rothaarige Frau, die sich unter dem Arm eines Bodyguards durchgewunden hatte und ihr nun ein Mikrofon vors Gesicht hielt. Sienna erkannte in ihr die Journalistin eines bekannten Fernsehsenders. „Ms Ambrosi, können Sie uns sagen, ob bereits Anklage erhoben worden ist?“

„Anklage?“, fragte Sienna völlig entsetzt.

„Wenn Sie keine Verleumdungsklage erhalten wollen“, mischte Constantine sich ruhig ein, „dann schlage ich vor, dass Sie diese Frage wieder zurückziehen. Zu Ihrer Information: Ambrosi-Pearls und die Atraeus-Group verhandeln gerade über einen Geschäftszusammenschluss. Der Tod von Roberto Ambrosi hat die Verhandlungen ein wenig kompliziert, mehr habe ich im Moment nicht dazu zu sagen.“

„Constantine, geht es hier wirklich nur um das Geschäft?“, fragte die hartnäckige rothaarige Reporterin und lächelte charmant. Irgendwie gelang es ihr weiterhin, sich dem Zugriff der Bodyguards zu entziehen. „Wie steht es bei einer Fusion dieser Größenordnung mit einer Hochzeit?“

Sie eilte hinter ihnen her, während Constantine Sienna mit sich zu einem eleganten Audi zog, der gerade wenige Meter entfernt zum Halten gekommen war. „Kein Kommentar.“

Lucas stieg aus der Fahrerseite aus und warf die Schlüssel über die Motorhaube. Geschickt fing Constantine sie auf und öffnete die Beifahrertür. Als Sienna klar wurde, dass er sie zum Einsteigen auffordern wollte, versteifte sie sich. „Ich habe meinen eigenen …“

Constantine beugte sich so dicht an sie heran, dass sie seinen Atem an ihrem Ohr spürte. „Du kannst entweder mit mir kommen oder hierbleiben. Ganz, wie du willst. Aber wenn du bleibst, dann bist du allein mit der Presse.“

Die Vorstellung ließ sie vor Entsetzen erschaudern. „Ich komme mit.“

„Dann brauche ich deine Autoschlüssel. Einer meiner Sicherheitsleute fährt mit deinem Auto hinter uns her. Wenn wir die Presseleute los sind, bekommst du deinen Sportwagen zurück.“

„Woher weißt du, dass ich einen habe?“, fragte sie misstrauisch.

„Glaub mir, nach den letzten Tagen gibt es so gut wie nichts, was ich nicht über dich und deine Familie weiß.“

„Wenn ich an die Antworten denke, die du eben der Presse gegeben hast, dann weißt du sogar noch mehr als ich.“ Sie zog die Schlüssel aus der Tasche und reichte sie ihm. Auch, wenn sie es nur ungern zugab, war Constantines Vorschlag doch vernünftig. Wenn sie später zum Friedhof zurückkehrte, um ihren Sportwagen zu holen, lief sie Gefahr, noch mehr Reportern zu begegnen, und sie war nicht auf ihre Fragen vorbereitet.

Sekunden später saß Sienna in einem luxuriös ausgestatteten Wagen, dessen getönte Scheiben sie vor den neugierigen Blicken der Presseleute schützten.

Sie hatte kaum den Sicherheitsgurt angelegt, als Constantine auch schon losfuhr. Die kühle Luft der Klimaanlage ließ sie frösteln. Aber ihre Nervosität lag eindeutig daran, dass sie auf so dichtem Raum mit Constantine zusammen war. Um sich abzulenken, griff sie in ihre Tasche und zog eine Packung Taschentücher hervor. Sie nahm ein paar heraus und reichte sie Constantine.

Kurz sah er ihr in die Augen. „Grazie.“

Rasch blickte sie wieder weg, und ihr Herz schien mit einem Mal wie verrückt zu schlagen. Hatten sie ihre Feindseligkeiten zumindest für den Augenblick auf Eis gelegt? „Gern geschehen.“

Dann nahm sie selbst ein paar Tücher und trocknete ihr immer noch regennasses Gesicht und ihre Arme. Allerdings konnte sie kaum etwas gegen ihr feuchtes Haar sowie den Umstand tun, dass ihr nasses Kleid auf dem teuren Ledersitz klebte.

Als sie in den Rückspiegel sah, bemerkte sie ihren kleinen Sportwagen, der ihnen folgte. Gleich dahinter fuhr eine dunkle Limousine, in welcher dann wohl der zweite Bodyguard und Constantines Brüder sitzen mussten. „Wie ich sehe, reist du immer noch mit einem SWAT-Team.“

„Das kann recht nützlich sein“, erwiderte Constantine, während er sich auf den Verkehr konzentrierte.

Sie warf ihm einen kühlen Blick zu. Er sollte bloß nicht damit rechnen, dass sie ihm jetzt danken würde! Immerhin war es seiner Anwesenheit zu verdanken, dass die Presseleute auf sie aufmerksam geworden waren. Vor seinem Auftauchen waren die Ambrosis nicht behelligt worden. Aufmerksam studierte sie sein Profil, den Schwung seiner Wimpern, die kleine Narbe auf seinem Wangenknochen. Unwillkommene Erinnerungen stiegen in ihr auf – seine bronzefarbene Haut im Sonnenlicht, wie er, nur mit einem Laken um die Hüften, auf ihrem Bett gelegen hatte. Sein durchtrainierter Körper …

Sienna spürte, wie ihre Wangen warm wurden, und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Straßenverkehr. „Jetzt sind wir ja allein, und du kannst mir verraten, was es mit dem Medienrummel auf sich hat.“ In ihr regte sich der Verdacht, dass es um etwas sehr Ernstes gehen musste. „Was war das für ein Betrug? Und die Gerichtsverhandlung? Was hat es mit dem Firmenzusammenschluss auf sich?“ Und warum hatte sich Constantine so für sie eingesetzt?

Da sie Wirtschaftsrecht studiert hatte, war Sienna als Anwältin für Ambrosi-Pearls tätig. In den vergangenen zwei Jahren hatte ihr Vater mit keinem Wort die Atraeus-Group erwähnt, erst recht nicht den Umstand, mit ihr Geschäfte zu machen. Nachdem Robertos Versuch gescheitert war, bei den Atraeus’ einen Kredit aufzunehmen, war dieses Thema nie wieder zur Sprache gekommen – genauso wenig wie ihre aufgelöste Verlobung mit Constantine.

Eine Ampel zeigte Rot, und Constantine bremste. „Es gibt ein Problem, aber das möchte ich ungern während der Autofahrt besprechen.“

Während sie warteten, wuchs ihre Verärgerung. „Wenn du es schon nicht mit mir besprechen willst“, sie malte Anführungszeichen in die Luft, „dann erklär mir doch bitte wenigstens, warum du mir eben geholfen hast. Ganz im Gegensatz zu damals, obwohl meine Familie dir jetzt ja angeblich etwas Schlimmes angetan hat.“

„Hast du auch an vor zwei Jahren denken müssen?“, fragte er sanft.

Ihre Wut verrauchte. „Ja“, gestand sie.

Die Ampel sprang auf Grün, und Constantine beschleunigte den Wagen. „Ich habe dir geholfen, weil du unter Schock stehst und gerade erst deinen Vater verloren hast.“

Etwas in seiner ruhigen Art ließ sie wachsam werden.

Obwohl Constantine als knallharter Geschäftsmann bekannt war, so war er auch ein echter Philanthrop, der Unsummen an wohltätige Einrichtungen spendete. Sienna oder ihre Familie hatte er allerdings nie finanziell unterstützt.

„Ich glaube dir nicht“, entgegnete Sienna, wieder misstrauisch. „Da steckt doch noch etwas anderes dahinter.“ Im Laufe des kurzen Gespräches, das sie vor zwei Jahren geführt hatten und in dessen Verlauf er ihre Verlobung aufgelöst hatte, hatte Sienna versucht, ihm die finanzielle Situation ihrer Familie zu erklären. Sie hatte darüber reden wollen, wie hoch die Spielschulden ihres Vaters waren. Wollte ihm erklären, dass sie nicht nur ihre Mutter unterstützen, sondern darüber hinaus auch noch dafür sorgen musste, dass Ambrosi-Pearls zahlungsfähig blieb. Das Geschäft, das ihr Vater Lorenzo Atraeus vorgeschlagen hatte, war zu jener Zeit ihre letzte Chance gewesen … Doch sie hatte lediglich ihren Atem vergeudet.

Constantine war damals viel zu beschäftigt damit gewesen, sie zu verlassen.

„Du hast recht, es steckt wirklich etwas anderes dahinter. Und zwar dasselbe, das zur Auflösung unserer Verlobung geführt hat.“

„Mein Vater hatte eine Geschäftsidee, die deinen Vater sehr interessiert hat.“

„Die Wiedereröffnung einer Perlenfarm auf Medinos hat wohl mehr mit Nostalgie als mit Profit zu tun.“

Constantines abfällige Bemerkung verärgerte sie zutiefst. „Ach, ja? Für dich ist der Profit also wichtiger, als die Vergangenheit zu ehren oder etwas Schönes zu schaffen.“

„Die Idee deines Vaters macht keinen Sinn, weder damals noch heute. Wer will schon eine Perlenzucht in einer Küstenregion, die als Urlaubsziel vermarktet werden soll? Für die Atraeus-Group gibt es wesentlich lukrativere Geschäftsoptionen als die Restaurierung einer alten Perlenfarm.“

„Ja, zum Beispiel Goldminen und der Bau von Luxushotels.“

Er sah ihr in die Augen. „Ich erinnere mich nicht daran, dass du jemals Probleme mit dem Geldverdienen gehabt hast. Vor zwei Jahren noch war es dir sogar wesentlich wichtiger als Nostalgie und Gefühl.“

„Ich weigere mich, mich für ein Geschäft zu entschuldigen, das ich nicht in die Wege geleitet habe.“ Doch schuldbewusst dachte sie an die überwältigende Erleichterung, die sie empfunden hatte, als sich ihr eine Antwort auf die finanziellen Probleme ihrer Familie geboten hatte. „Mein einziges Vergehen besteht darin, dass ich dir nicht von dem Geschäft erzählt habe.“

Sie sah aus dem Seitenfenster, während Constantine den Wagen auf den Parkplatz eines Einkaufzentrums lenkte. Es war zu spät dafür zuzugeben, dass sie damals Angst gehabt hatte, von den Spielschulden ihres Vaters zu sprechen – und von dem rettenden Geschäft mit Constantines Vater. Sie hatte Angst gehabt, es würde sich negativ auf ihre Verlobung auswirken.

Doch dann war alles noch viel schlimmer gekommen. Constantine glaubte, dass sie ihn mit Absicht hintergangen hatte und von Anfang an lediglich auf sein Geld aus gewesen war. „Ich habe mich dafür bei dir entschuldigt“, erinnerte sie ihn. „Ich war davon ausgegangen, dass dein Vater es dir erzählen würde.“

Constantine schaltete den Motor ab und löste seinen Sicherheitsgurt, bevor er sich ihr zuwandte. Lässig stützte er sich auf der Lehne des Beifahrersitzes ab. Sienna fühlte sich wie in der Falle. Seine Nähe raubte ihr den Atem. „Und das dachtest du ernsthaft, obwohl du gewusst hast, dass mein Vater in geschäftlichen Dingen nicht sehr mitteilsam war?“

Neben ihrem Wagen parkte die schwarze Limousine ein, die ihnen gefolgt war, und kurz darauf ihr kleiner Sportwagen.

Sienna löste ebenfalls ihren Gurt und griff nach ihrer Tasche. „Ich wusste nicht, dass du so vehement gegen die Wiedereinführung der Perlenzucht auf Medinos bist.“

In Wahrheit hatte sie damals die ganze Zeit befürchtet, Constantine zu verlieren. Die restliche Zeit war sie damit beschäftigt gewesen, mit dem Medienrummel zurechtzukommen, den die Bekanntmachung ihrer Verlobung zur Folge gehabt hatte. Es war kein Vergnügen gewesen, wie auf dem Präsentierteller zu leben.

Constantine schaute sie ernst an. „Und ich wusste nicht, dass dieser Vertrag genau einen Tag nach Bekanntgabe unserer Verlobung unterzeichnet worden ist.“

Allmählich verlor sie die Geduld. „Wie oft soll ich es denn noch sagen? Ich hatte mit dem Geschäft nichts zu schaffen. Denk doch mal darüber nach, Constantine. Wenn ich so sehr auf dein Geld aus gewesen wäre, dann hätte ich doch sicher damit gewartet, bis wir verheiratet gewesen wären.“

Daraufhin schwiegen sie sich an, und die Zeit schien sich zu dehnen. Jetzt bekam sie wirklich keine Luft mehr. Hektisch hantierte sie am Türgriff herum. Doch Constantine beugte sich herüber und zog ihre Tür wieder zu. Sienna blieb keine andere Wahl, als zu bleiben, wo sie war.

Sein Ärger verstärkte sich durch den körperlichen Frust, den er empfand, seitdem er sich von Sienna getrennt hatte.

Er fragte sich nicht länger, wie in aller Welt es dazu gekommen war, dass er vor zwei Jahren sofort von Sienna fasziniert gewesen war. Er hatte sie damals gesehen und unvermittelt eine unbändige Lust empfunden. Vorhin bei der Beerdigung hatte allein der Anblick ihrer blonden Haare ausgereicht, sein Verlangen wieder aufflammen zu lassen. Selbst mit verweinten Augen und klitschnass vom Regen war Sienna eine atemberaubend schöne Frau, deren Zartheit jeden Mann dazu brachte, sie beschützen zu wollen.

Ihre Schönheit und Sinnlichkeit brachten ihn noch um den Verstand. Er war nicht nur verrückt nach ihr, sondern auch hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, sie zu beschützen, und der Begierde, sie in sein Bett zu bekommen und zu lieben, bis sie sich ihm bedingungslos hingab.

Es beunruhigte ihn, dass er lieber Zeit damit verbrachte, mit Sienna zu streiten, als sich mit einer anderen Frau zu treffen – gleichgültig, wie attraktiv oder hingebungsvoll sie auch sein mochte.

„Ich hatte angenommen, dass du nur aus dem Grunde nichts von dem Kredit gesagt hast, weil dein Vater das Geld zu verzweifelt brauchte, um auf meine Einwilligung zu warten“, kam er auf das eigentliche Thema zurück. Kühl sah er sie an.

Als sie erblasste, wusste er, dass er zu weit gegangen war. Unmittelbar darauf überzog Zornesröte ihre Wangen. „Oder vielleicht hast du ja auch geglaubt, dass ich einfach nur Anweisungen befolgt habe.“ Ihre Lippen waren immer noch blass.

Er schluckte. „Nein“, entgegnete er.

Nahezu vier Jahre lang war Sienna die hochgeschätzte Juniorchefin von Roberto Ambrosis Firma gewesen. Geschickt und mit wirtschaftlichem Sachverstand hatte sie das Familienunternehmen geleitet, während ihr Vater die Gewinne in den Kasinos wieder verspielt hatte. Sie hatte wahrscheinlich noch in der Wiege gelegen, als sie das letzte Mal einen Befehl von Roberto ausgeführt hatte. Wenn sie eine Schwäche gehabt hatte, dann die, dass sie dringend Geld benötigte.

Sein Geld.

Und daran hatte sich nichts geändert.

Sie atmete tief ein, und fasziniert sah er, wie ihre Brüste sich hoben und senkten. Er beugte sich ein wenig zu ihr. Sofort spürte er ihren warmen Atem. Ihr verführerischer Duft schien seine Sinne zu umschmeicheln und weckte sinnliche Erinnerungen an ihre gemeinsame Vergangenheit …

Ein leichtes Klopfen an das Fenster der Beifahrertür löste die knisternde Spannung zwischen ihnen unvermittelt auf. Es war einer seiner Bodyguards.

Constantine ließ den Türgriff los und sah scheinbar gelassen zu, wie Sienna aus dem Wagen stieg und ihre Autoschlüssel entgegennahm.

Als er ebenfalls ausgestiegen war, wurde er von der schwülen Nachmittagsluft fast überwältigt. Er gab dem Leibwächter einige Anweisungen. In den vergangenen vier Tagen hatte er kaum eine Minute ohne Eskorte zugebracht, aber für die nächste Stunde benötigte er völlige Privatsphäre.

Er zog das feuchte Jackett aus und warf es achtlos auf den Rücksitz seines Wagens. Stirnrunzelnd nahm er zur Kenntnis, wie Lucas mit Sienna sprach. Offensichtlich drückte sein Bruder Sienna lediglich sein Beileid aus, aber ihr Lächeln beunruhigte ihn.

Zweifellos war Lucas ein echter Atraeus durch und durch, aber nach den knisternden Momenten mit Sienna im Auto wollte Constantine nicht daran erinnert werden, wie erfolgreich sein Bruder bei Frauen war.

Constantine ging auf Sienna zu, die gerade im Begriff war, ihr Mobiltelefon aus der Tasche zu ziehen, um einen Anruf anzunehmen.

„Bist du sicher, dass du weißt, was du tust?“, fragte Lucas ihn unter vier Augen.

„Ja, ganz sicher.“

„Auf dem Friedhof hat es aber gar nicht wie ein geschäftliches Gespräch gewirkt. Eben gerade übrigens auch nicht.“

Constantine bedachte seinen Bruder mit einem eisigen Blick. „Denke einfach immer nur daran, dass Sienna Ambrosi meine Angelegenheit ist.“

„Das war klar und deutlich“, erwiderte Lucas stirnrunzelnd.

Angespannt beobachtete Constantine, wie Lucas in die Limousine einstieg, und hob kurz die Hand, als der Wagen losfuhr. Vielleicht war es überflüssig gewesen, ihm sozusagen einen Schuss vor den Bug zu verpassen, doch das, was er für Sienna empfand, hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Sienna Am­brosi gehört ihm – so lange, bis er sie endlich ein für alle Mal vergessen würde.

Während er darauf wartete, dass Sienna ihren Anruf beendete, dachte er über die vergangene Stunde nach. Vom ersten Moment an, als er Sienna auf der Beerdigung wiedergesehen hatte, hatte er sich von ihr angezogen gefühlt.

Constantine kannte sich mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass er stets erreichte, was er sich vornahm. Wenn es um Geschäfte ging, schreckte er nie davor zurück, harte Entscheidungen zu fällen, solange es dem Wohl seines heiß geliebten Familienunternehmens diente. Das war auch vor zwei Jahren der Fall gewesen, als er beschlossen hatte, jegliche Verbindung zu Sienna und ihrer Familie abzubrechen.

Er setzte sich seine Sonnenbrille auf, verschränkte die Arme vor der Brust und bewunderte den atemberaubenden Anblick von Siennas zartem Teint, ihre dunklen Augen, das blonde Haar und ihre sinnlichen Lippen.

Im Zuge seiner Ermittlungen gegen Ambrosi-Pearls hatten seine Leute ihm einen Untersuchungsbericht vorgelegt, aus dem hervorging, dass Sienna wenigstens drei Mal Kontakt zu Alex Panopoulos, einem wohlhabenden Geschäftsmann, gehabt hatte. Zu gut erinnerte er sich an den Moment blinder Wut, als er sich vorgestellt hatte, dass Panopoulos möglicherweise Siennas Liebhaber sein könnte.

Rasch hatte er versucht, diese Vorstellung zu verdrängen.

Laut dem Privatdetektiv, der den Griechen näher unter die Lupe genommen hatte, war Panopoulos auf „Beutezug“. Doch bisher war ihm keine der beiden Ambrosi-Schwestern ins Netz gegangen.

Sienna entging nicht, wie angespannt Constantine wirkte, als sie ihr Telefonat mit Carla beendet hatte. Ihre Schwester hatte sich Sorgen gemacht, dass sie in die Fänge der Presseleute geraten sein könnte.

„Wo wollen wir reden?“, fragte Constantine. „Bei dir oder bei mir?“

Sienna verstaute das Telefon wieder in ihrer Handtasche. Allein der Gedanke an Constantines Apartment ließ sie schaudern, denn sie verband damit nicht nur Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit. Wesentlich erschreckender war, dass Constantine ihre Beziehung dort beendet hatte.

Allerdings war die Vorstellung, Constantine in ihr geheiligtes Zuhause zu bringen, ebenso unerträglich für sie. „Bei keinem von uns.“

„Ich habe jetzt ein Haus an der Küste“, wandte er ein. „Das Apartment habe ich verkauft.“

„Ich dachte, du lebst gerne in der Stadt.“

„Ich habe meine Meinung geändert.“

So, wie er damals auch seine Meinung über sie geändert hatte – von einem Tag auf den anderen, aber unmissverständlich und ohne einen Blick zurück.

Er öffnete die Tür ihres kleinen Sportwagens. Nervös nahm sie auf der Fahrerseite Platz und versuchte, Constantine nicht zu berühren. „Carla hat Mom zum Lunch bei Tante Via mitgenommen. Die nächsten Stunden sind sie also beschäftigt. Wir können uns im Haus meiner Eltern am Pier Point treffen. Dort lebe ich seit Dads Tod.“

Constantine schloss ihre Fahrertür und beugte sich zu ihr hinab. „Das erklärt also, warum ich dich nicht in deinem Apartment angetroffen habe. Aber nicht, warum du meine Anrufe bei dir im Büro nicht erwidert hast.“

„Wenn es so dringend gewesen ist, hättest du bei meiner Mutter anrufen können.“

„Das habe ich zwei Mal getan“, erwiderte er grimmig. „Und beide Male hatte ich Carla dran.“

Schuldbewusst dachte Sienna daran, wie besorgt Carla schon die ganze Zeit um sie war, seit sich Constantine von ihr getrennt hatte. Constantine hatte keinen Erfolg gehabt, weil ihre Schwester sie beschützte.

„Das tut mir leid“, entgegnete Sienna, doch in ihrer Stimme klang kein Bedauern mit. „Die Presse hat schließlich so sehr genervt, dass wir beschlossen haben, ins Strandhaus umzuziehen.“

Die Nachrichten, die Constantine in ihrem Büro hinterlassen hatte, hatte Sienna geflissentlich ignoriert, weil sie fieberhaft damit beschäftigt gewesen war, die chaotischen Geschäfte ihres Vaters zu ordnen. Die Aussicht, Constantine zurückzurufen, war ihr genauso wenig verlockend erschienen wie die Vorstellung, mit erbosten Kreditgebern zu sprechen, die auf ihr Geld warteten.

„Warum treffen wir uns dann nicht einfach auf neutralem Boden, wenn Pier Point feindliches Gebiet ist?“

Hörte sie da etwa eine leichte Belustigung aus seiner Bemerkung heraus?

Nein, was auch immer Constantine fühlte, es war ganz bestimmt keine Erheiterung. Vielmehr kam er ihr wie ein entschlossener Jäger vor. Das war ihr bereits auf dem Friedhof aufgefallen, und später auf dem Parkplatz hatte sich ihr Eindruck verstärkt.

Die ungute Vorahnung, die sie vorhin beschlichen hatte, überkam sie von Neuem, und sie spürte, wie sich ihr Pulsschlag beschleunigte.

Plötzlich fühlte sie sich so erschöpft von der Anspannung der vergangenen Stunden, dass sie spontan den Motor startete und den Gurt anlegte. „Das Strandhaus liegt so weit abseits, dass die Presseleute uns dort in Ruhe lassen werden. Wenn unser Gespräch die Richtung annimmt, von der ich ausgehe, dann treffen wir uns besser dort.“

„Sei doch so freundlich und verrate mir, was du damit meinst?“

„Um was sollte es in einem Gespräch mit Constantine Atraeus schon gehen?“, entgegnete sie und zwang sich zu einem Lächeln. „Lass mich mal nachdenken … Es gibt zwei Möglichkeiten: Sex oder Geld. Weil es vermutlich nicht um Sex geht, tippe ich auf das Letztere.“

3. KAPITEL

Obwohl es um Geld gehen sollte, war Sienna sich auf dem Weg nach Pier Point plötzlich nicht mehr so sicher, ob nicht auch Sex ein Thema zwischen ihnen werden würde.

Constantine folgte ihr in seinem Audi so dichtauf, dass sie sich ein wenig getrieben vorkam. Als sie vorhin bei ihm im Wagen gesessen hatte, war ihr nicht entgangen, wie sehr er sie begehrte. Er hatte keinen Hehl daraus gemacht, und sie hatte das seltsame Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben.

Den ersten Kuss hatte er ihr damals in seinem Wagen gegeben. Dabei hatte er zuerst sanft ihr Gesicht umfasst und sich dann zu ihr heruntergebeugt. Er war mit seinen Lippen immer näher gekommen … Bis sie schließlich ihre Vorsicht über Bord geworfen und die Arme um seinen Nacken geschlungen hatte. Und dann hatten sie sich geküsst. Ein Kuss, den sie niemals vergessen würde. Selbst damals, als sie ihn erst wenige Stunden gekannt hatte, war sie wie berauscht von seiner Ausstrahlung gewesen. Sie war nicht imstande gewesen, ihm zu widerstehen, und das hatte er sehr wohl gewusst.

Sie versuchte, die lebhafte Erinnerung zu verdrängen, setzte den Blinker und bog in die Einfahrt ihrer Mutter ein. Innerlich schalt sie sich dafür, dass sie sich von ihren nostalgischen Träumereien ablenken ließ. Sie war gerade erst mit Constantine aneinandergeraten – am Grab ihres Vaters! Und auch wenn Constantine sie jetzt – wieder – begehrte, sollte sie dem nicht zu viel Bedeutung beimessen. Er war eben ein Mann. In den vergangenen zwei Jahren hatte er sich mit mehreren reichen und schönen Damen getroffen, jede einzelne von ihnen eine mögliche zukünftige Mrs Constantine Atraeus.

Unmittelbar nach Sienna fuhr Constantine in die Einfahrt und folgte ihr durch die kurvige Auffahrt, wobei sich ihr Eindruck verstärkte, von ihm gejagt zu werden. Per Fernsteuerung schloss sie die Tore der Zufahrt und parkte den Wagen. Dann stieg sie aus und überquerte langsam den gepflasterten Hof, der zu dem alten Haus auf dem Kliff führte.

Constantine kam auf sie zu. Er hatte sich die Hemdsärmel hochgerollt, sodass seine muskulösen, sonnengebräunten Unterarme zu sehen waren. Als sie die Eingangstür aufschloss und spürte, wie er ihr in den sonnendurchfluteten Flur folgte, bemerkte sie verärgert, dass ihr Herz vor Aufregung schneller schlug als sonst.

Höflich ließ er ihr den Vortritt, doch sie fühlte sich eher wie ein Beutetier, das von einer großen Raubkatze belauert wurde.

„Was ist mit der Einrichtung passiert?“, fragte er, und beim unvermittelten Klang seiner dunklen Stimme schien sich ihr Herzschlag weiter zu beschleunigen. Geschäft hin oder her – plötzlich war ihr die Vorstellung beinahe unerträglich, allein mit ihm in dem nahezu leeren Haus zu sein.

Flüchtig blickte sie auf die leeren Wände, die einst zahlreiche kostbare Bilder geziert hatten. „Alles verkauft.“ Sie lächelte gequält. „Es ist alles unter den Hammer gekommen, zusammen mit dem gesamten Schmuck meiner Mutter sowie dem von Carla und mir. Auch die Perlen sind fort. Ist das nicht Ironie des Schicksals? Wir besitzen einen Perlenhandel, aber wir können uns unsere eigenen Perlen nicht mehr leisten.“

Sie stieß die verzierte Doppeltür auf, die ins Arbeitszimmer ihres Vaters führte, und trat einen Schritt zur Seite, um Constantine vorbeizulassen. In dem Raum befanden sich lediglich ein Schreibtisch und einige Stühle.

Er ließ den Blick über die Reihen leerer Mahagoniregale schweifen, die einst eine wertvolle Büchersammlung beherbergt hatten. Sie spürte genau, dass er jetzt erst erkannte, was für ein Scherbenhaufen das Leben der Ambrosis geworden war. Sie hatten alles zum Wohle der Firma verkauft, und weder ihr noch Carla oder ihrer Mutter war irgendetwas geblieben.

„Was hat er eigentlich nicht verkauft, um seine Spielschulden zu bezahlen?“, fragte Constantine und sah zu den ebenfalls leeren Wänden und hoch zur Stelle an der Decke, wo einst ein Kronleuchter gehangen hatte.

„Uns gehören immer noch das Haus und das Geschäft. Das ist nicht viel, aber ein Anfang. Wir beschäftigen über einhundert Angestellte, und einige von ihnen arbeiten schon seit Jahrzehnten für uns. Es ist uns also nicht schwergefallen, unseren Besitz zu verkaufen, wenn wir dadurch diesen Menschen ihren Arbeitsplatz erhalten können.“

Sie erwartete nicht, dass Constantine das verstehen würde, da allgemein bekannt war, was für knallharte Geschäftspraktiken er anwandte. „Warte hier“, fügte sie steif hinzu. „Ich hole Handtücher.“

Froh darüber, ihm entkommen zu können, ging sie nach oben in ihr Zimmer. Rasch entledigte sie sich ihrer durchnässten Schuhe. Bei einem flüchtigen Blick in den Spiegel über ihrer Kommode stellte sie beschämt fest, dass ihre Augen glänzten und ihre Wangen leicht gerötet waren. Zusammen mit dem nassen Kleid und ihrem feuchten Haar machte sie einen geradezu sinnlichen Eindruck.

Im Bad frottierte sie ihr Haar, kämmte es und beschloss, das Kleid anzubehalten, das in der Zwischenzeit nahezu getrocknet war. Auf keinen Fall wollte sie den Anschein erwecken, Constantine beeindrucken zu wollen. Es sollte ihr egal sein, ob er sie attraktiv fand oder nicht. Je schneller dieses Gespräch vorüber war, desto besser.

Nachdem sie ein frisches Handtuch aus dem Regal gezogen hatte, ging sie wieder nach unten. Als sie das Arbeitszimmer betrat, wandte Constantine sich zu ihr um und sah ihr kurz in die Augen. Bis dahin hatte er offensichtlich den atemberaubenden Ausblick auf den Pazifischen Ozean genossen.

Siennas Atem beschleunigte sich, und als sie ihm das Handtuch reichte, achtete sie sorgfältig darauf, dass ihre Finger sich nicht berührten. „Wir besitzen nicht mehr viel außer diesem Haus. Und das auch nur, weil Mom ihr Haus in der Stadt verkauft hat. Allerdings ist dieses völlig mit Schulden belastet.“

Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie auch das Strandhaus verlieren würden.

Constantine trocknete sich nur flüchtig das Haar, bevor er das Handtuch über eine Stuhllehne legte. „Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm aussieht.“

Er hatte nur von den enormen Spielschulden ihres Vaters gewusst. „Woher denn auch? Schließlich hat Ambrosi-Pearls weder mit Medinos noch mit der Atraeus-Group etwas zu schaffen.“

Sein Gesichtsausdruck änderte sich kaum merklich, und er schien sie nicht länger zu bedauern. Gut, dachte sie erleichtert. Vielleicht befreite sie ein nüchternes Geschäftsgespräch von dieser lästigen sexuellen Erregung, die sich einfach nicht abschütteln ließ, seitdem sie Constantine wieder begegnet war.

Sie forderte ihn auf, sich zu setzen, und ging hinter den ehemaligen Schreibtisch ihres Vaters, um ihre neue Rolle als Firmenchefin von Ambrosi-Pearls zu betonen. „Nicht viele Leute wissen, wie es finanziell um Ambrosi bestellt ist, und ich würde es sehr begrüßen, wenn es dabei bliebe. Es fällt mir auch so schon schwer genug, unsere Geschäftskunden davon zu überzeugen, dass wir über ausreichend Mittel verfügen.“

Constantine übersah geflissentlich den angebotenen Stuhl und blieb mit verschränkten Armen vor dem Tisch stehen. In Bezug auf die dominierende Körpersprache befanden sie sich jetzt in einer Pattsituation.

Nur mühsam gelang es Sienna, den Blick von seinem feuchten Hemd abzuwenden und seiner überwältigenden maskulinen Aura zu widerstehen, die Constantine Atraeus wie ein Schild zu umgeben schien.

„Es ist bestimmt nicht einfach gewesen, ein Geschäft zu führen, dessen Chef ein Spieler gewesen ist.“

Diese Bemerkung genügte, um Sienna fast die Beherrschung verlieren zu lassen. Endlich kam er auf das Thema zu sprechen, über das er vor zwei Jahren nicht reden wollte. „Ich schätze, du kannst das nicht verstehen“, sagte sie, äußerlich kühl bleibend. „Oder hat dein Vater etwa gespielt?“

„Auf vernünftige Weise, ja“, erwiderte Constantine stirnrunzelnd.

„Natürlich.“ Schließlich war Lorenzo Atraeus ein vorbildlicher Geschäftsmann gewesen. „Dein Vater hat an der Börse spekuliert, immer mit abschätzbarem Risiko und besten Hintergrundinformationen. Wir sprechen hier aber von meinem Vater, der nicht nur ein schlechter Geschäftsmann war, sondern auch noch das Geld am Blackjack-Tisch verloren hat.“ Ihr Herz schlug so laut, dass sie befürchtete, Constantine könnte es hören. „Du hast also gar keine Ahnung, was es bedeutet, ständig alles zu verlieren, weil ein Familienmitglied sich nicht unter Kontrolle hat.“

„Meine Familie hat gewisse Erfahrungen mit Verlust“, entgegnete Constantine ernst, und sie erinnerte sich daran, dass die Atraeus’ jahrelang auf Medinos in Armut gelebt und Ziegen gezüchtet hatten. Constantines Großvater war ein Angestellter ihres Großvaters gewesen, bis die Ambrosis ihre Perlenzucht während eines Bombenangriffs im Zweiten Weltkrieg verloren hatten. Doch das alles gehörte längst der Vergangenheit an.

Angespannt beugte sie sich vor. „Du kannst mir glauben, dass es mir nicht leichtgefallen ist, die Firma zu leiten, während mein Vater alles verspielt hat.“

Constantine legte die Hände flach auf den Tisch und beugte sich ebenfalls vor, sodass sich ihre Gesichter gefährlich nahe kamen. „Wenn es so furchtbar war, warum bist du dann nicht rechtzeitig ausgestiegen?“

Mit einem Mal schien die Vergangenheit zu neuem Leben zu erwachen, und Sienna verspürte eine seltsame Freude an diesem Streit. Vielleicht lag es an dem Stress der vergangenen Tage oder daran, dass sie es einfach leid war, ständig die Wahrheit zu verbergen. „Ach, ja? Sollte ich etwa meine Familie und all die Arbeiter von Ambrosi im Stich lassen? Das ist für mich nie infrage gekommen, und ich hoffe, dass es auch dabei bleibt.“ Sie atmete tief durch. „Das wiederum führt uns zu dem Gespräch, das du so dringend mit mir führen wolltest. Wie viel schulden wir euch?“

„Hast du gewusst, dass dein Dad vor zwei Monaten nach Medinos geflogen ist?“

„Nein“, entgegnete sie mit unbewegtem Gesicht.

„Dann weißt du auch nicht, dass er immer noch vorhatte, den Perlenhandel dort wiederzubeleben?“

„Völlig unmöglich.“ Trotzdem verspürte sie plötzlich ein flaues Gefühl in der Magengegend. „Wir hatten ja gerade einmal ausreichend Kapital, um unsere Geschäfte in Sydney aufrechtzuerhalten. Wir wären gar nicht in der Lage gewesen, zu expandieren.“

Etwas in Constantines Blick verriet ihr, dass er zu einer Entscheidung gekommen sein musste – worüber auch immer. Denn er schob ihr ein Dokument zu, das er während ihrer Abwesenheit vorhin auf den Tisch gelegt haben musste. Sorgfältig las Sienna, was darauf geschrieben stand. Plötzlich fühlte sie sich ganz schwach auf den Beinen. Sie verspürte den Drang, sich zu setzen, was sie dann auch tat, um ungläubig den Text erneut zu überfliegen.

Hier handelte es sich nicht nur um einen Kredit, sondern um gleich mehrere Anleihen, die Roberto Ambrosi laut Unterlagen in den Neuaufbau der Perlenzucht auf Medinos stecken wollte. Sienna hatte so etwas befürchtet – die Beträge deckten sich mit den Geldeingängen, die sie in den Unterlagen ihres Vaters gefunden hatte. Sie hatte jedoch die ganze Zeit gehofft, dass es eine andere Erklärung gäbe, das wurde ihr nun bewusst.

Sie hob den Kopf und stellte fest, dass Constantine sie aufmerksam beobachtete. „Warum hat Lorenzo meinem Vater überhaupt etwas geliehen? Er hat doch von seiner Spielsucht gewusst.“

„Mein Vater ist zu diesem Zeitpunkt bereits schwer krank und nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen. Als er vor einem Monat starb, wussten wir, dass Geld fehlte. Doch die Dokumente mit den Darlehen an deinen Vater sind erst vor fünf Tagen aufgetaucht.“

„Warum hast du ihn denn nicht aufgehalten?“, fragte sie erbost.

„Glaub mir, wenn ich da gewesen wäre, hätte ich das sicherlich getan. Aber ich war nicht da. Ich war zu der Zeit im Ausland.“ Ungeduldig rieb sich Constantine den Nacken. „Ich sehe, dass du langsam verstehst. Dein Vater hat sowohl die Ausgaben von Ambrosi-Pearls als auch seine Spielsucht mit dem Geld der Atraeus-Group finanziert. Dafür hat er einem sterbenden Mann etwas von einem Geschäft in dessen geliebter Heimat erzählt und ihn dazu gebracht, das Geld an unseren Anwälten vorbeizuschmuggeln. Dabei bezweifle ich, dass dein Vater dieses Geschäft jemals ernsthaft aufziehen wollte.“

Mit anderen Worten: Ihr Vater hatte Constantines Vater betrogen.

Jetzt begannen die Fragen der Reporter allmählich einen Sinn zu ergeben. „Das hast du der Presse erzählt?“

„Du solltest mich eigentlich besser kennen.“

Seltsamerweise verspürte sie Erleichterung, als sie das hörte. Es machte sie glücklich, dass nicht Constantine derjenige war, der die Medien informiert hatte. Vermutlich war es einer der Angestellten gewesen, der den Mund nicht hatte halten können.

Während Sienna auf die vorliegenden Zahlen starrte, verflüchtigte sich ihre Erleichterung allerdings schnell wieder. Schließlich sah sie auf und durch das Fenster auf den scheinbar unendlichen Ozean hinaus, während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Es musste doch einen Weg aus dieser verfahrenen Lage geben! Schon oft hatte sie die Firma aus anscheinend hoffnungslosen Situationen gerettet. Sie benötigte lediglich etwas Zeit zum Nachdenken. Jetzt wurde ihr klar, weswegen Constantine sie auf der Beerdigung angesprochen und sie beim Lesen des Dokuments so aufmerksam beobachtet hatte.

Sie sah ihn an. „Du hast geglaubt, dass ich davon wusste.“

Sein Gesichtsausdruck gab nichts preis.

Doch ihre Welt schien zusammenzubrechen, und Sienna sprang so schnell auf, dass sie dabei versehentlich die Papiere vom Tisch fegte, doch das kümmerte sie nicht.

Als Lorenzo Atraeus gestorben war, hatte er sein riesiges Vermögen – bestehend aus einer Goldmine sowie einer Luxushotelkette – seinen drei Söhnen Constantine, Lucas und Zane vermacht.

Sienna begriff, dass Ambrosi-Pearls nun dem größten Anteilseigner der Atraeus-Group unterstand – mit anderen Worten: Constantine.

„Ah, jetzt verstehst du es wohl langsam“, sagte er. „Wenn du mir das Geld nicht zurückgeben kannst, gehört mir Ambrosi-Pearls mit allem Drum und Dran.“

4. KAPITEL

Das Vibrieren eines Mobiltelefons unterbrach ihr spannungsgeladenes Schweigen. Erleichtert nahm Constantine den Anruf entgegen. Auf diese Weise konnte er ein wenig Abstand zu der Situation gewinnen, die ihm zu entgleiten drohte.

Er hatte Sienna vorhin geradezu bedroht, etwas, was er normalerweise nie tat – noch nicht einmal, wenn er es mit aalglatten Geschäftspartnern zu tun hatte. Sein Verhalten war unentschuldbar, zumal er sich nun sicher war, dass Sienna nichts von den Taten ihres Vaters gewusst hatte. Der Anstand hätte es erfordert, sich zurückzuziehen und vorzuschlagen, das Meeting zu einem anderen Zeitpunkt fortzusetzen. Damit hätte er verhindert, sich Siennas Zuneigung ein für alle Mal zu verscherzen.

Leider hatte ihre kämpferische Haltung eine gegenteilige Wirkung auf ihn gehabt. Als er ihre geröteten Wangen und das kriegerische Feuer in ihrem Blick gesehen hatte, fühlte er sich in jene Zeit zurückversetzt, als sie eng umschlungen leidenschaftliche Nächte miteinander verbracht hatten. Es fiel ihm äußerst schwer, taktisch vorzugehen, wenn er dabei den unbändigen Wunsch verspürte, sie zu küssen.

Zudem fiel ihm auf, dass sie ihm früher nie so offen und freimütig vorgekommen war. Selbst im Bett hatte er stets das Gefühl gehabt, dass sie sich zurückhielt. Es schien einen Teil von ihr zu geben, der unerreichbar für ihn blieb. Insgeheim hatte er immer befürchtet, dass Ambrosi-Pearls ihr mehr als alles andere im Leben bedeutete – sogar mehr als er.

Zu allem Überfluss hatte er auch noch die alten Zeiten erwähnt, in denen seine Familie arm wie die Kirchenmäuse gewesen war. Da er eigentlich vorgehabt hatte, Sienna zurück in sein Bett zu bekommen, war es wohl kein sehr cleverer Schachzug gewesen, sie daran zu erinnern, dass er der Enkel eines Gärtners war.

Das Handy am Ohr hielt er den Blick aus dem Fenster gerichtet, während er mit seinem persönlichen Assistenten telefonierte. Tomas hatte schon mehrmals versucht, ihn während der vergangenen Stunde zu erreichen. Zwar war Constantine bewusst gewesen, dass er einige Anrufe verpasst hatte, doch zum ersten Mal in seinem Leben war ihm etwas anderes wichtiger gewesen als das Geschäft.

Auch das war völlig untypisch für ihn.

Als Constantine das Gespräch beendet hatte, beobachtete er Sienna dabei, wie sie die Papiere ein weiteres Mal las, die sie vom Boden aufgehoben und fein säuberlich vor sich auf den Schreibtisch gelegt hatte. Selbst in ihrem zerknitterten Kleid und ohne Make-up strahlte sie die Eleganz und Würde einer Dame aus.

Draußen auf dem Hof wurde eine Wagentür zugeschlagen. Kurz darauf erklang das Klackern hochhackiger Schuhe, bevor die Eingangstür geöffnet wurde.

Constantine bemerkte den Ausdruck blanker Verzweiflung in Siennas Blick, und die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Er hatte das Unrecht, das man seinem Vater angetan hatte, wieder zurechtrücken wollen. Aber Sienna war ebenso fest entschlossen, ihre Familie und ganz besonders ihre Mutter zu schützen. Vor ihm, wie er ernüchtert feststellte. „Mach dir keine Sorgen“, sagte er. „Ich werde es ihr nicht erzählen.“

Voller Erleichterung sah Sienna Constantine an, dann betrat Margaret Ambrosi, gefolgt von ihrer Tochter Carla, den Raum.

„Was geht hier vor?“, fragte ihre Mutter in jenem unterkühlten Tonfall, der vermutlich von dreißig Jahren Ehe mit einem Mann herrührte, der ihr nur selten Anlass zur Freude gegeben hatte. „Und versucht bloß keine Ausreden, denn ich weiß, dass etwas nicht stimmt.“

„Mrs Ambrosi“, sagte Constantine sanfter, als Sienna ihn je mit ihr hatte sprechen hören. „Mein Beileid. Sienna und ich haben gerade über die Einzelheiten eines Geschäftes gesprochen, das Ihr Ehemann vor einigen Monaten in die Wege geleitet hat.“

Carla wirkte sichtlich angespannt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dad irgendeine Transaktion durchgeführt haben soll, ohne …“

Doch Margaret Ambrosi bedeutete ihr mit einem Handzeichen, zu schweigen. „Deswegen ist Roberto also nach Europa gereist. Ich hätte es mir denken können. Er ist nach Medinos geflogen.“

„Ganz recht“, bestätigte Constantine ruhig. Sienna hätte ihn trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten in diesem Augenblick dafür umarmen können.

Einer der Gründe, warum sie sich vor zwei Jahren so sehr in Constantine verliebt hatte, war die leidenschaftliche Art, mit der er seine Familie liebte und bereit war, sie zu beschützen. Das hatte sie besonders anziehend gefunden, da sie selbst seit Jahren mit einem Vater zu tun hatte, der stets seine eigenen Interessen über die der anderen Familienmitglieder gestellt hatte.

Als sie damals von dem heimlichen Deal zwischen ihrem Vater und Roberto Atraeus erfahren hatte, hatte sie zu viel Angst gehabt, um darüber zu sprechen. Und es war tatsächlich eingetroffen, was sie am meisten befürchtet hatte: Sobald Constantine von dem fragwürdigen Geschäft ihrer Väter Wind bekam, hatte er Sienna unverzüglich verlassen.

Überrascht stellte sie fest, dass diese Erinnerung auch nach zwei Jahren noch die Macht besaß, ihr Schmerz zuzufügen.

Constantine sah auf seine Uhr. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, aber ich habe noch eine andere Verabredung. Ich möchte jedoch nochmals mein Bedauern über Ihren Verlust zum Ausdruck bringen.“

Er sah Sienna kurz in die Augen, und sie las in seinem Blick, dass das Gespräch zwischen ihnen ein anderes Mal fortgesetzt werden würde.

„Ich bringe dich raus.“ Nachdem sie die Dokumente in einer Schublade verstaut hatte, folgte sie Constantine in den leeren Flur. Sie wollte ihn möglichst schnell aus dem Haus haben, damit ihre Mutter nicht doch noch etwas mitbekam.

Das helle Sonnenlicht blendete sie draußen auf der Treppe, und Constantine legte seine Hand um ihren Ellenbogen.

Es war lediglich eine Geste der Höflichkeit, doch sie genügte, um Sienna erneut seine Nähe bewusst werden zu lassen. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Rasch ging sie voran, um sich seiner Berührung zu entziehen. Ihre Haut kribbelte bereits erwartungsvoll. Mehr und mehr wurde ihr klar, dass Constantine keineswegs unglücklich darüber war, auf einmal so viel Macht über Ambrosi-Pearls zu haben. Sie ahnte, dass sich hinter seinem Geschäftsgebaren durchaus persönliche Beweggründe verbargen.

Mit einem flauen Gefühl im Magen dachte sie an die spannungsgeladenen Momente in seinem Wagen. Noch vor zwei Stunden hatte sie nicht einen Gedanken an Constantine Atraeus verschwendet, da sie ihn und alles, was nicht mit ihrem Unternehmen oder der Beerdigung ihres Vaters im Zusammenhang stand, komplett ausgeblendet hatte. Doch jetzt war sie kaum noch in der Lage, an etwas anderes als an ihn zu denken. „Danke, dass du meiner Mom nichts von dem Kredit gesagt hast.“

„Wenn ich angenommen hätte, dass deine Mutter damit zu tun hat, hätte ich es getan.“

„Das bedeutet also, du denkst, ich hätte damit zu tun?“, fragte sie streitlustig. Mit einem Mal kam er ihr gar nicht mehr so wahnsinnig anziehend vor.

Constantine drückte auf den Autoschlüssel, und die Türverriegelung des Audis öffnete sich mit einem satten Klang, dem man förmlich anhörte, wie teuer der Wagen gewesen sein musste. „Warum auch nicht? Immerhin leitest du praktisch seit achtzehn Monaten Ambrosi-Pearls und bezahlst Robertos Schulden.“

Aus ihrem Wagen holte sie die Fernsteuerung für die Tore an der Einfahrt hervor. Je eher Constantine abfuhr, umso besser. „Ja, indem ich Vermögenswerte der Familie verkaufe, damit wir uns nicht noch mehr verschulden.“

„Wir haben eine Menge zu besprechen“, entgegnete er. „Da ich jetzt aber keine Zeit habe, muss unser Gespräch bis heute Abend warten. Ich schicke dir gegen acht Uhr einen Wagen. Wir können dann beim Dinner weiterreden.“

Ihre Anspannung wuchs. Ein gemeinsames Dinner klang eigentlich gar nicht so sehr nach Geschäft, aber das ergab keinen Sinn. In den vergangenen zwei Jahren hatte er nicht einmal einen Versuch unternommen, mit ihr in Verbindung zu treten. In den ersten Monaten nach ihrer Trennung hatte sie sehnsüchtig darauf gehofft, dass er anrufen oder einfach vor ihrer Tür stehen und sich bei ihr entschuldigen würde, um ihnen beiden noch einmal eine Chance zu geben. Doch das hatte er nicht getan. Eigentlich war das im Nachhinein sogar besser für sie gewesen, denn so hatte sie über ihn hinwegkommen können. Falls er jetzt dachte, dass sie sich Hals über Kopf auf eine Affäre mit ihm einlassen würde, dann hatte er sich geirrt. „Falls es dir nicht aufgefallen sein sollte, ich habe heute meinen Vater beerdigt. Wir werden reden. Aber erst in ein paar Tagen.“

Das würde ihr etwas Zeit verschaffen, ihren Steuerberater zu konsultieren und sich weitere Informationen zu beschaffen. Zwar bestand nur eine geringe Aussicht darauf, dass sie in der Kürze der Zeit das benötigte Geld auftreiben könnte, aber sie wollte es wenigstens versuchen. Außerdem würde es ihr die Gelegenheit bieten, sich von der überwältigenden Wirkung zu erholen, die Constantine auf sie hatte.

Sie konnte ihn nicht mehr leiden, beschloss sie, geschweige denn lieben. Sie wollte nichts mehr mit ihm zu tun haben. Das alles gehörte der Vergangenheit an.

Constantine öffnete die Fahrertür. „Vor ein paar Tagen hätte ich etwas arrangieren können, aber du hast ja beschlossen, mich warten zu lassen. Ich fliege schon morgen um Mitternacht wieder aus Sydney ab zu einem Termin. Wenn du heute keine Zeit hast, dann komm zu der Cocktailparty morgen Abend. Es ist eine Art ‚Meet and Greet‘ für die Geschäftspartner der Atraeus-Group.“

„Nein.“ Das war wirklich das Letzte, was sie wollte: an einem Empfang teilnehmen, der in seinem Haus stattfand. „Wir müssen einen neuen Termin finden. Auf jeden Fall ziehe ich ein Gespräch zu normalen Geschäftszeiten vor.“

Vor allem in einem neutralen Geschäftsumfeld, in dem seine Anziehungskraft ihr nicht gefährlich werden konnte.

Siennas nüchterner Tonfall überraschte und ärgerte Constantine. Das verlief alles völlig anders, als er geplant hatte. Falls sie sich weigerte, mit ihm zu sprechen, würde er einen Vertreter zur Testamentseröffnung schicken, der die Unterlagen über den Kredit vorlegte. Doch das wollte Constantine nur äußerst ungern tun, da es Siennas Mutter schwer treffen würde.

„Dir bleibt keine Wahl, Sienna“, entgegnete er, setzte sich in den Wagen und startete den Motor, der mit leisem Schnurren zum Leben erwachte. „Wir sehen uns morgen Abend.“

Am nächsten Morgen kam Constantine zehn Minuten zu spät im Büro der Atraeus-Group in Sydney an. Zum letzten Mal war ihm das vor zwei Jahren passiert.

Lucas und Zane waren bereits da und wirkten frisch und munter. Sie hatten ihren Morgensport offensichtlich schon hinter sich. Constantine zog es vor, einsam am Strand entlang zu joggen oder zu schwimmen, anstatt sich einem strengen Fitnessprogramm zu unterwerfen. Nachdem er in der vergangenen Nacht kaum ein Auge zugetan hatte, hatte er heute Morgen beschlossen, auf seine gewohnte Joggingrunde zu verzichten.

Er steuerte auf seinen Schreibtisch und den Becher Coffee-to-go zu, der dort stand, als ihm auffiel, dass seine Brüder ihn anstarrten, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen. „Was?“, fragte er ungehalten.

Rasch senkte Zane den Kopf und gab vor, in einem Wirtschaftsmagazin zu lesen, was sehr ungewöhnlich war. Normalerweise interessierte er sich nur für schnelle Boote, noch schnellere Autos sowie moderne Kunst, die Constantine längst aufgegeben hatte, verstehen zu wollen. Lucas summte leise eine Melodie vor sich hin, die Constantine entfernt bekannt vorkam.

Er trank einen Schluck lauwarmen Kaffee, als Lucas einen Teil der Tageszeitung auf seinen Tisch legte. „Da du jetzt Koffein zu dir genommen hast, solltest du dir das mal anschauen.“

Obwohl er geglaubt hatte, darauf vorbereitet zu sein, raubte ihm der Anblick des Fotos beinahe den Atem. Das Bild war auf Roberto Ambrosis Beerdigung aufgenommen worden. Constantine musste daran denken, wie er Sienna festgehalten hatte, damit sie nicht direkt vor die Linsen der Fotografen lief, aber auf dem Bild wirkte er weniger beschützend. Stattdessen blickten er und Sienna einander in die Augen, und es sah so aus, als wäre er im Begriff, sie jeden Moment zu küssen. So hatte er sich auch gefühlt, wenn er ehrlich war.

Er überflog den kurzen Artikel, der zumindest nicht behauptete, Constantine wäre für Roberto Ambrosis Herzanfall verantwortlich gewesen. Dagegen hieß es dort, dass man wohl demnächst mit einer Hochzeit zu rechnen habe. Plötzlich fiel Constantine auch ein, was für eine Melodie sein Bruder eben gesummt hatte. Es hatte sich um den Hochzeitsmarsch gehandelt.

Er fluchte leise.

„Falls du von den Verhandlungen zurücktreten willst“, sagte Zane und stand auf, „dann können Lucas und ich unseren Aufenthalt in Neuseeland verlängern. Noch besser wäre es, wenn wir Vitalis die Sache mit dem Kredit überlassen würden.“

„Nein“, entgegnete Constantine scharf, obwohl er wusste, dass seine Brüder nur das Beste für ihn wollten.

„Ganz wie du meinst“, erwiderte Zane achselzuckend. „Aber wenn du in Sydney bleibst, ist das ein gefundenes Fressen für die Presse.“

„Ich komme damit klar“, erwiderte Constantine. „Ich fliege ja sowieso morgen Nacht.“

Lucas’ Mobiltelefon begann zu vibrieren. „Je früher, desto besser. Diesen Rummel kannst du nicht gebrauchen.“

Während Lucas telefonierte, ging Constantine zum Fenster und trank seinen Kaffee. Von hier aus konnte er eine Ecke des Ambrosi-Geschäftsgebäudes sehen. Er konnte nicht aufhören, daran zu denken, wie Sienna gestern versucht hatte, ihre Mutter zu beschützen. Falls sie die Zeitung gelesen haben sollte, würde sie heute eine noch schlechtere Meinung von ihm haben, obwohl er alles getan hatte, die genauen Umstände von Robertos Tod zu vertuschen. Dass er in einem Kasino gestorben war, hatte niemanden zu interessieren und würde weder der trauernden Familie noch Ambrosi-Pearls helfen. Allerdings sah es nicht danach aus, dass Sienna ihm zutraute, ehrenwert zu handeln.

Lucas beendete sein Telefonat. „Das war einer unserer Sicherheitsleute. Es sieht ganz so aus, als hätte ein Presseteam das Strandhaus der Ambrosis bei Pier Point aufgespürt.“

„Sie müssen mir gestern gefolgt sein“, sagte Constantine beklommen und warf den leeren Pappbecher in den Mülleimer.

Wenn er sich nicht beeilte, dann würde Sienna schon morgen auf den Titelseiten der Boulevardpresse zu sehen sein. Und sie würde ganz sicher nicht daran zweifeln, dass es seine Schuld war.

„Willst du, dass wir dich begleiten?“, fragte Lucas besorgt.

Constantine nahm sich kaum die Zeit, die beiden anzusehen, während er schon im Begriff war, das Büro zu verlassen. „Fliegt ihr nach Neuseeland. Wie ich schon sagte, ich komme hier klar.“

5. KAPITEL

Verärgert beobachtete Sienna den Reporter, der den schmalen Fußweg herabstieg, welcher vom Strandhaus in die kleine Bucht hinunterführte. Es bedeutete, dass die Presse das Versteck ihrer Familie ausfindig gemacht hatte. Sie hatte auch schon eine Ahnung, wie es dazu gekommen war.

Um die Bucht zu verlassen, musste sie entweder schwimmen oder an dem Reporter vorbeilaufen. Das wiederum würde bedeuten, dass er seelenruhig fotografieren konnte, wie sie im Bikini vor ihm die Flucht ergriff. Letzteres erschien ihr weitaus unerfreulicher als eine kleine Schwimmeinlage, also eilte sie ins Wasser und zog sich kurze Zeit später auf den Ponton hoch, der vor der Bucht verankert war.

Während sie sich das feuchte Haar aus dem Gesicht strich, sah sie den Reporter, der wie bestellt und nicht abgeholt am Ufer stehen geblieben war. Da seine Fotoausrüstung offensichtlich nicht über einen Zoom verfügte, blieb Sienna einfach sitzen und wartete darauf, dass der Mann den Rückzug antrat. Falls es nötig werden sollte, würde sie bis ans andere Ende der Bucht schwimmen, den Felshang hinaufsteigen und so zurück zum Haus gelangen.

Die Minuten verstrichen, und Sienna warf einen Blick auf ihre wasserfeste Armbanduhr. Falls der Reporter am Strand auf sie warten wollte, würde sie schwimmen müssen, denn sie erwartete in einer guten Stunde einen Anruf auf dem Festnetz.

Sie legte sich auf den Rücken, um noch weniger Angriffsfläche für irgendwelche Fotos zu bieten, und versuchte, sich zu entspannen. Die ganze Nacht hatte sie wach gelegen. Gestern Nachmittag hatte sie herausgefunden, dass Constantine in der Stadt gewesen war, als ihr Vater gestorben war.

Sie war wütend auf Constantine. Anscheinend war es aussichtslos, ihn davon abzuhalten, Ambrosi-Pearls zu übernehmen. Zwar hätte sie ihm gerne an allem die Schuld gegeben, doch sie wusste, dass es nicht gerecht wäre. Ihr Vater hatte in den vergangenen Jahren bereits mehrere kleinere Herzinfarkte gehabt und sich kürzlich sogar für eine Bypassoperation angemeldet, weil es mit seiner Gesundheit rapide bergab gegangen war. Der Arzt hatte ihm dringend geraten, sich von Kasinos und den damit verbundenen Aufregungen fernzuhalten.

Mit den Händen schirmte sie ihre Augen vor der Sonne ab und unterdrückte ein Gähnen. Nur ganz kurz dösen, dachte sie, doch als sie die Augen wieder aufschlug, wurde ihr klar, dass wesentlich mehr Zeit vergangen sein musste.

Aufmerksam suchte sie den Strand nach dem Reporter ab – doch es war niemand zu sehen. Stattdessen fiel ihr auf, dass ein Geräusch sie aus dem Schlaf gerissen hatte. Etwas anderes als das leise Plätschern der Wellen. Es war ein Schwimmer, groß und muskulös, der das Wasser förmlich zu durchschneiden schien, als er auf den Ponton zukraulte.

Es war nicht der lästige Reporter. Diesen geschmeidigen Kraulstil kannte sie nur zu gut. Es war Constantine.

Rasch glitt Sienna ins Wasser, um Abstand zum Ponton zu gewinnen. Wenn sie einen Halbkreis schwamm, würde sie Cons­tantine ausweichen und hoffentlich vor ihm den Strand erreichen können. Mit etwas Glück würde er sich weiterhin auf die Schwimm­insel konzentrieren und nicht rechtzeitig mitbekommen, dass sie gar nicht mehr da war.

Möglicherweise war diese überstürzte Flucht etwas übertrieben, aber der Gedanke, Constantine nur mit einem knappen rosafarbenen Bikini bekleidet gegenüberzutreten, erfüllte Sienna mit Panik. Wenn sie schon mit einem nassen und größtenteils nackten Constantine sprechen musste, wollte wenigstens sie Kleidung tragen. Doch als sie einen Blick zurückwarf, bemerkte sie, dass Constantine bereits dicht hinter ihr war.

Sienna war keine schlechte Schwimmerin, aber Constantine konnte sie leicht überrunden. Damals, als sie noch ein Paar gewesen waren, hatte er sie mit seiner Leidenschaft für den Schwimmsport angesteckt und sie dazu überredet, einen Tauchkurs zu absolvieren. Nachdem sie ihren Schein gemacht hatte, waren sie mehrere Male gemeinsam unter Wasser unterwegs gewesen. Sie wusste also aus erster Hand, wie kraftvoll Constantine sich im Wasser bewegte.

Endlich erreichte sie den Sandstrand und spürte nach ein paar weiteren kräftigen Schwimmzügen den Boden unter den Füßen, bevor Constantine sie unvermittelt in seine Arme zog.

Verzweifelt bemühte sie sich darum, sich aus seinem Griff zu befreien und nicht zu viel Gefallen daran zu finden, dass er sie hochgehoben hatte und in seinen Armen trug. Er presste sie völlig ungerührt an seine muskulöse nackte Brust.

Sie wich seinem interessierten Blick aus und schlug leicht gegen seine Schulter. „Okay, braver Junge. Jetzt kannst du mich wieder absetzen.“

Natürlich hörte er nicht auf sie, und sie wollte sich schon beschweren, da entdeckte sie Batterien und etwas, das wie die Speicherkarte einer Kamera aussah. Beides lag auf ihrem Handtuch, das sie am Strand zurückgelassen hatte. Außerdem gab es interessante Spuren im Sand, die auf eine Rauferei hindeuteten. „Was hast du mit dem Reporter angestellt?“

„Falls du nach einem hastig geschaufelten Grab Ausschau hältst, muss ich dich enttäuschen. Obwohl die Versuchung groß war“, sagte Constantine und ließ sie endlich herunter. „Honey, ich bin wirklich nicht dabei gewesen, als dein Vater den Herzinfarkt erlitten hat“, sagte er dann leise. „Ich hatte keine Ahnung von seinen Herzproblemen. Er ist im Kasino gewesen, anstatt zu einem Meeting zu mir zu kommen, um das er mich gebeten hatte. Mein Assistent Tomas ist hingefahren, um ihn von dort abzuholen, bevor die Presse von der Sache Wind bekam, doch leider hat es eine undichte Stelle gegeben. Vermutlich dieselbe, die den Medien von den Krediten erzählt hat.“

Er hatte also versucht, sie zu beschützen, dachte Sienna völlig verwundert. Sie war so überrascht, dass sie nur am Rande wahrnahm, dass er sie „Honey“ genannt hatte. Plötzlich fühlte sie sich wie benommen. Atme, dachte sie. Vermutlich war es nicht die schlaueste Idee gewesen, sich nach einer nahezu schlaflosen Nacht beim Schwimmen zu verausgaben.

Als ihr die Knie weich wurden und die Welt vor ihren Augen immer undeutlicher aussah, ahnte sie, dass sie wohl zum ersten Mal in ihrem Leben ohnmächtig werden würde.

„Nein!“, rief sie und streckte instinktiv Halt suchend die Hände aus. Unmittelbar darauf spürte sie, wie Constantine ihre Taille umfasste und sie festhielt. Mit dem Kopf schlug sie dabei unter sein Kinn, aber als sie seine Bartstoppeln an ihrer Stirn fühlte, war der Schmerz vergessen. Sie atmete tief ein und bemerkte seinen warmen männlichen Duft, vermischt mit der salzigen Seeluft.

Beinahe so, als wäre in ihr ein Schalter umgelegt worden, wurde sie von Erinnerungen überflutet – einige heiß und sinnlich, andere wiederum so schmerzvoll, dass sich Ärger in ihr regte. Sie versteifte sich kurz, bevor sie erneut das Gefühl hatte, dass ihr die Beine weggezogen wurden.

Constantine fluchte leise und stützte sie am Rücken ab. Als sie wieder zu sich kam, saß sie an ihn gelehnt im Sand, und er hatte einen Arm um sie geschlungen.

„Es geht mir wieder gut“, erklärte sie ihm und hob blinzelnd den Kopf. Sofort ließ er sie los und stützte seine Ellenbogen lässig auf seinen Knien ab. Sie rückte ein wenig von ihm weg. Sein Anblick kam ihr völlig unwirklich vor, und ihr fiel auf, wie anders sich Constantine am Strand verhielt. Es war beinahe so, als würde er hier zusammen mit seiner Kleidung auch sein kühles Geschäftsgebaren ablegen.

Der Vibrationsalarm eines Mobiltelefons riss sie aus ihren Gedanken, und als sie sich umsah, entdeckte sie Constantines Sachen – seinen teuren Anzug sowie ein elegantes Hemd samt Krawatte und Designerschuhen, die er achtlos in den Sand geworfen hatte. Als sie verstohlen zu ihm hinübersah, bemerkte sie, dass er gar keine Badehose, sondern lediglich dunkelgraue Boxershorts trug, welche seine trainierten Oberschenkelmuskeln vorzüglich zur Geltung brachten.

Und er machte keine Anstalten, nach dem Telefon zu greifen.

„Willst du denn nicht rangehen?“

Er wirkte überraschenderweise völlig entspannt. „Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil ich am Strand grundsätzlich keine Anrufe entgegennehme“, erklärte er lächelnd.

Unwillkürlich lächelte sie zurück. Zumindest in dieser Beziehung waren sie sich ähnlich gewesen. Auch sie entfloh regelmäßig in die Freiheit von Sonne, Strand und Meer und genoss das entspannende Gefühl, sich im Wasser zu bewegen.

Seit ihrer Trennung hatte sie diese Dinge nicht mit Constantine in Verbindung gebracht, doch plötzlich empfand sie tiefes Bedauern über all das, was sie verloren hatten. Es hatte so viele wunderbare Augenblicke mit ihm gegeben, aber der schreckliche Moment der Trennung hatte alles überschattet.

Sie ließ Sand zwischen ihren Fingern hindurchrieseln. „Dann solltest du wohl öfter an den Strand gehen.“

Als er sie daraufhin ansah, wurde sie aus seinem Blick nicht schlau. Zum ersten Mal seit zwei Jahren ahnte sie, dass ihm der Abschied von ihr damals vielleicht doch nicht so leichtgefallen war, wie er vorgegeben hatte. Auch er hatte etwas verloren.

Endlich verstummte der Vibrationsalarm.

„Warum hast du meinem Vater überhaupt helfen wollen?“ Sienna sah Constantine in die Augen. Sie musste unbedingt wissen, ob er ihr jetzt die Wahrheit über das sagte, was geschehen war.

„Ich bin kein Monster und lasse durchaus mit mir reden.“

„Du wolltest also dein Geld kassieren.“ Ihr Tonfall klang vorwurfsvoll, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.

„Das stimmt nicht.“ Sein Blick war entnervend direkt. „Dein Vater hat mich um ein Treffen gebeten. Ich bin nicht da gewesen, um zu kassieren. Er wollte noch einen Kredit.“

Ein paar Minuten vor acht Uhr schlüpfte Sienna in ein knöchellanges, mitternachtsblaues Seidenkleid und versuchte, die erwartungsvolle Anspannung zu ignorieren, die sie seit ihrem Treffen am Strand mit Constantine fühlte. Mehrmals musste sie sich daran erinnern, dass Constantine sie dazu gezwungen hatte, zu kommen. Es war kein Date.

Ihr Haar hatte sie zu einem klassischen Knoten am Hinterkopf zusammengesteckt. Die Ambrosi-Perlen, die sie trug, waren ihr einziges Zugeständnis an Luxus – das blumenförmige Arrangement stammte aus ihrer eigenen Kollektion, die sie entworfen hatte, um europäische Kunden anzusprechen. Die zarten Ohrstecker in Blütenform und die dazu passende breite Halskette wirkten modern und gleichermaßen kostbar. Wenn sie schon auf Constantines Anordnung hin an seiner Party teilnehmen musste, konnte sie ebenso gut ein wenig die Werbetrommel für ihre Firma rühren. Auf der halb privaten, halb geschäftlichen Feier könnte sie sicherlich einige Kontakte knüpfen, die Ambrosi-Pearls dringend benötigte.

Kurz vor acht Uhr traf der Wagen ein, und Sienna ging nach unten, gefolgt von Carla, die ihr während des Ankleidens Gesellschaft geleistet und mit ihr über den Kredit gesprochen hatte. Siennas Schwester war nicht nur die Public-Relations-Expertin für Ambrosi-Pearls, sondern mit ihrem attraktiven Aussehen und ihrer fotogenen Art auch das Gesicht auf allen Werbeanzeigen des Unternehmens.

Carla blieb neben ihr, als Sienna den Inhalt ihrer Tasche überprüfte. „Ich warte auf dich. Falls du Hilfe brauchst, ruf mich an oder schick mir eine SMS, dann komme ich und hole dich ab.“

Sienna bemühte sich um einen entschlossenen Gesichtsausdruck. „Danke, aber das wird nicht nötig sein. Glaub mir, es ist alles rein geschäftlich.“

Innerlich wappnete sie sich gegen das nächste Wortgefecht mit Constantine, als sie auf den Hof hinaustrat. Augenblicklich öffnete ein dunkelhaariger, schlanker Mann die Tür der schnittigen Limousine. Es war Tomas, der persönliche Assistent Constantines.

Etwas enttäuscht stieg Sienna in den Wagen. Nach dem Vorfall am Strand hatte sie gedacht, dass Constantine daran anknüpfen wollte, wo sie aufgehört hatten. Offensichtlich hatte sie sich geirrt.

Zwanzig Minuten später lenkte Tomas den Wagen durch ein Tor in die bewachte Einfahrt zu einem beeindruckenden Herrenhaus im Kolonialstil. Sienna nahm den Anblick der zahlreichen Luxuslimousinen auf der bekiesten Zufahrt in sich auf und bewunderte den prächtigen tropischen Garten. Nachdem sie die Treppen zur Eingangstür hinaufgegangen war und einen kurzen Security-Check hinter sich gebracht hatte, führte man sie in einen großen Raum, der vom sanften Schein eines Kronleuchters erhellt wurde.

Sie entdeckte Constantine sofort, der einen edlen schwarzen Anzug trug. Entschlossen ging sie auf ihn zu, während sie gleichzeitig die reichen und einflussreichen Gäste musterte. Plötzlich versperrte ihr Alex Panopoulos den Weg. Er war einer von Ambrosis’ bedeutendsten Geschäftskunden, der bereits mehrere Male versucht hatte, sowohl sie als auch Carla zu einem Date zu bewegen.

Da Panopoulos in dem Ruf stand, ein liebenswerter Gauner und Playboy zu sein, war es den Schwestern nicht schwergefallen, seinen Avancen zu widerstehen. Er hatte die Körbe stets gutmütig eingesteckt, doch das Problem bestand in seiner Hartnäckigkeit.

„Sienna.“ Panopoulos nahm ihre Hände. „Das mit Ihrem Vater tut mir so leid. Ich bin bis heute Nachmittag außer Landes gewesen, sonst wäre ich zur Beerdigung gekommen. Haben Sie meine Blumen erhalten?“

Das kostspielige Orchideen-Arrangement hatte Carla einer älteren Nachbarin geschenkt. „Ja, vielen Dank.“

Sie bewegte ihre Finger und fragte sich, ob er ihre Hände wohl irgendwann wieder loslassen würde. Dabei sah sie sich weiter aufmerksam unter den Gästen um. Wenn sie doch den Vertreter ihres europäischen Handelspartners de Vries entdecken könnte. Harold Northcliffe stand jedoch in dem Ruf, nur selten an gesellschaftlichen Ereignissen teilzunehmen.

Panopoulos ignorierte ihr offensichtliches Desinteresse an einem Gespräch. „Und wie steht es mit den Geschäften?“

Nur mühsam vermochte Sienna, ihren geschäftsmäßigen Tonfall beizubehalten. „Alles bestens, danke.“

Panopoulos lächelte. „Ich bin sehr froh, dass wir uns heute Abend hier begegnen, denn ich wollte Sie fragen, ob wir uns nächste Woche zum Dinner treffen können.“

Sienna versteifte sich. „Falls Sie sich darüber Sorgen machen, was die Zeitungen schreiben, kann ich Sie beruhigen“, erwiderte sie. „Ambrosi-Pearls wird auch in Zukunft alle Aufträge zu Ihrer Zufriedenheit ausführen.“

„Das habe ich nicht bezweifelt“, sagte er und verstärkte den Griff um ihre Hand. Plötzlich wurde Sienna klar, dass er vorhatte, ihre Finger an seine Lippen zu führen. „Eigentlich wollte ich auch eher über unsere Zukunft sprechen.“

„Panopoulos.“

Er ließ ihre Hand los, als hätte er sich daran verbrannt. „Atraeus.“

Constantine sah Sienna kurz in die Augen, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf den anderen Mann richtete. „Wie ich gehört habe, leisten Sie uns auf Medinos bei der Eröffnung unseres neuesten Resorts Gesellschaft.“

„Es ist eine unschätzbare Gelegenheit“, entgegnete Panopoulos vorsichtig.

„Sie haben also vor, Geschäftsflächen in unserem Resort zu erwerben?“

„Ja, ich habe mit Lucas vor einigen Minuten einen vorläufigen Gesprächstermin vereinbart.“

„Dann freue ich mich schon darauf, Sie nächste Woche auf Medinos wiederzusehen. Wenn Sie uns jetzt jedoch entschuldigen würden? Ms Ambrosi und ich müssen etwas Geschäftliches besprechen.“

„Natürlich“, sagte Panopoulos leicht säuerlich.

Sienna spürte Constantines Hand auf ihrem Rücken, während er sie an Panopoulos vorbeiführte. Sie konnte seine Wärme durch ihr Kleid hindurch auf ihrer Haut fühlen. Vor Erregung stockte ihr der Atem.

Sie verließen den gut besuchten Empfangsraum und traten in einen Innenhof, an dessen Wänden exotische Pflanzen emporrankten. Ein Springbrunnen und der süße Duft der Gardenien verliehen dem ruhigen Ort ein tropisches Ambiente.

Sienna ärgerte sich inzwischen über die besitzergreifende Art, mit der Constantine sie von Panopoulos fortdelegiert hatte. Unwillig entzog sie sich seinem Zugriff, bevor sie hinter einem Gartenstuhl Deckung suchte, um Abstand zu gewinnen. „Das hättest du nicht tun sollen. Alex ist ein sehr guter Geschäftspartner von Ambrosi-Pearls …“

„Was hat er denn gewollt?“, fragte Constantine grimmig.

Verwirrt stellte Sienna fest, dass sie sich entgegen jeder Vernunft immer noch von ihm angezogen fühlte, obwohl sie geglaubt hatte, schon längst darüber hinweg zu sein. „Das geht dich nichts an.“

„Falls er über Ambrosi-Pearls sprechen wollte, geht es mich sehr wohl etwas an.“ Offenbar genoss er seine Machtposition.

„Es war etwas Persönliches. Er wollte mich zum Dinner einladen.“

„Du hast abgelehnt.“

Sie ärgerte sich über seine selbstverständliche Annahme. „Eigentlich nicht.“ Das war noch nicht einmal gelogen, da Constantines Auftauchen sie vor einer Antwort bewahrt hatte.

„Du weißt doch bestimmt, dass er in Wahrheit hinter Ambrosi-Pearls her ist?“, fragte Constantine verärgert.

„Selbstverständlich“, erwiderte sie kühl. „Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest …“

„Noch nicht“, sagte er leise, und unwillkürlich kam sie seiner Aufforderung nach, während ihr das verräterische Funkeln in seinen Augen auffiel. Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass Constantine nicht nur verärgert, sondern fuchsteufelswild war.

Lediglich einmal hatte sie ihn bisher wütend erlebt, und das war an dem Tag gewesen, an dem er sich von ihr getrennt hatte. Jetzt stand er offenbar kurz davor, seine Beherrschung zu verlieren.

Das war etwas Neues für Sienna. Zum ersten Mal erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf den wahren Constantine, der ansonsten so beherrscht wirkte, dass man meinen konnte, anstelle eines Herzens hätte er einen Taschenrechner in der Brust.

Donnergrollen erklang, und die Luft war drückend heiß. In der Ferne erhellten Blitze den Nachthimmel.

„Hat er dir etwa einen Antrag gemacht?“

Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte man meinen können, dass Constantine eifersüchtig wäre, dachte sie erstaunt. „Bisher noch nicht.“

„Und wenn er es tut?“

„Dann …“ Sie suchte nach den richtigen Worten, um ihre Verletzlichkeit zu überspielen. „Ich würde darüber nachdenken. Ich muss an meine Familie denken, und eine Ehe würde für das Geschäft sehr vorteilhaft sein. Eigentlich wäre ein reicher Ehemann genau das Richtige in meiner Situation.“

„Er wird sein Angebot sicher noch einmal überdenken, wenn er erst weiß, wie hoch Ambrosi-Pearls verschuldet ist.“

Siennas Herzschlag schien sich zu beschleunigen, als Constantine den Gartenstuhl beiseiteschob und ihr so nahe kam, dass sie seinen Atem in ihrem Haar spüren konnte. Als sie bemerkte, dass er ihre Lippen betrachtete, erkannte sie, dass er im Begriff war, sie zu küssen.

6. KAPITEL

Sienna trat einen Schritt zurück. Schon wieder ein Fehler. Sie hatte zugelassen, dass Constantine sie in die Enge trieb – im wortwörtlichen Sinne. Noch ein Schritt zurück, und sie würde gegen die Wand stoßen. „Deine Bemerkung war ziemlich beleidigend.“

„Das wäre sie nur, wenn du mit Panopoulos geschlafen hättest. Wovon ich nicht ausgehe.“

„Wie willst du das wissen?“, erwiderte sie trotzig.

„Ich bin seit vier Tagen in der Stadt und habe einige Erkundigungen eingezogen.“

Mit den Mitteln, die Constantine zur Verfügung standen, hatte er bestimmt herausgefunden, wie traurig es um ihr Privatleben bestellt war, dachte Sienna entmutigt. Sie traf sich so gut wie nie mit einem Mann, weil sie einfach keine Zeit dafür hatte, denn sie war viel zu sehr damit beschäftigt, Perlen zu verkaufen. „Du hast kein Recht dazu, mir hinterherzuspionieren.“

„Es zählt auch nicht unbedingt zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Aber wir müssen uns wohl oder übel damit abfinden, dass in Zukunft alles, was mit dir und Ambrosi-Pearls zusammenhängt, auch für mich von Interesse ist. Hast du eigentlich schon mit Brian über das Darlehen gesprochen?“, wechselte er plötzlich das Thema.

Sienna blinzelte verwirrt. Brian Chin war ihr Buchhalter. „Ich habe ihm heute Nachmittag die Unterlagen gefaxt. Er war nicht besonders glücklich.“

Das war eine maßlose Untertreibung. Brian, der bereits seit zehn Jahren für Ambrosi arbeitete, hatte völlig entsetzt reagiert.

„Brian hat deinen Vater aber auch nicht von seiner Spielsucht abhalten können, oder?“

„Wer hätte das schon?“, fragte sie genervt.

„Warum hast du es dann versucht?“

„Jemand musste es ja tun. Weder Mom noch Carla haben Sinn fürs Geschäft. Wenn ich nicht eingesprungen wäre, dann hätten wir schon längst alles verloren.“

„Ich hätte helfen können.“

„Warum hast du es dann nicht getan?“, fragte sie. Stattdessen hatte er ihre Verlobung gelöst – wegen Geld.

„Nicht unter den Bedingungen“, entgegnete er stirnrunzelnd.

„Wenn du so viele Nachforschungen angestellt hast, dann weißt du ja, wie wichtig Ambrosi-Pearls für mich ist.“

„Ja, das weiß ich. Warum meinst du, habe ich dich damals verlassen?“

Geschockt erkannte sie, wie sie vor zwei Jahren auf ihn gewirkt haben musste – ehrgeizig und besessen vom Geschäft. Allmählich begann sie zu verstehen, weswegen Constantine die Verlobung beendet hatte. Als erfolgsorientierter und selbstbewusster Geschäftsmann war er es auch privat nicht gewohnt, die zweite Geige zu spielen. Auf gar keinen Fall hatte er hinter der Spielleidenschaft ihres Vaters oder dem Perlenhandel zurückstehen wollen.

„Endlich scheinst du zu begreifen.“

Plötzlich kam er ihr sehr nah. Zu nah. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück und stieß mit dem Rücken gegen das Mauerwerk, das unheimlich kühl zu sein schien verglichen mit der Hitze, die Constantines Körper ausstrahlte. Wieder erhellten Blitze den Himmel. Ein Donnerschlag ließ sie zusammenzucken.

Sie wusste, dass sie sich besser von ihm fernhalten sollte. Wenn sie jetzt floh, könnte sie sich ein Taxi rufen und in spätestens fünf Minuten auf dem Heimweg sein. Wenn Constantine mit ihr sprechen wollte, dann besser übers Telefon und in Anwesenheit von Rechtsanwälten.

Er stützte sich mit einer Hand neben ihr an der Wand ab und schnitt ihr so den Fluchtweg ab. „Warum hast du mir nicht erzählt, was vor zwei Jahren los war?“

„Um zu riskieren, dass du dich von mir trennst? Genauso, wie du es auch getan hast, als du von dem geplanten Geschäft erfahren hast?“

„Wie ich schon sagte: Ich hätte geholfen.“

Einen Augenblick lang konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Jetzt erst wurde ihr bewusst, wie böse sie auf Constantine gewesen war, weil er sie verlassen und nicht einmal den Versuch unternommen hatte, sie anzuhören und ihre Situation zu verstehen. „Ach, ich hätte dir alles erklärt, und dann wärst du danach gegangen? Nein, danke.“

„Du hättest einen professionellen Berater für deinen Vater und euer Geschäft in Anspruch nehmen sollen.“

„Das hätten wir uns nicht leisten können. Davon abgesehen hätte mein Vater sich geweigert, Hilfe anzunehmen.“

Constantine schaute sie ernst an. Er hob die Hand, dann berührte er ihr Gesicht. Sanft fuhr er mit dem Daumen die Linie von ihrem Ohr hinunter bis zu ihrem Mund nach … Siennas Pulsschlag schien sich zu beschleunigen angesichts der Intimität dieser so vertraulichen Berührung.

Trotzdem fühlte sie sich in die Enge getrieben. Und gleichzeitig überwältigt. Sie war wütend, ängstlich – und voller Erwartung. Seit dem spannungsgeladenen Moment im Wagen hatte sie darauf gewartet, dass Constantine einen weiteren Versuch unternehmen würde, sich ihr zu nähern – das erkannte sie jetzt.

„Warum bist du nur so eigensinnig?“, stieß er leise hervor.

„Ich schätze, das haben Australier so an sich.“

Seine Umarmung war nicht so fest, dass sie nicht hätte fliehen können – wenn sie gewollt hätte … Doch sie sah dieses Funkeln in seinen Augen und war wie gebannt von ihm, während er leicht unter ihr Kinn fasste, sodass sie zu ihm aufschauen musste. Er wollte sie küssen … Und sie begriff noch etwas anderes: Sie fühlte sich immer noch magisch von Constantine angezogen, aber es war gut zu wissen, dass auch er sie ganz offensichtlich begehrte.

Plötzlich schien es keine Luft zum Atmen mehr zu geben. Sie spürte Constantines Lippen auf ihren und schreckte in einem letzten Versuch zurück, die Hitze in den Griff zu bekommen, die von ihr Besitz ergriffen hatte. Sie wagte nicht, sich auszumalen, was erst mit ihr geschehen würde, wenn sie ihn wiederküsste.

In den vergangenen zwei Jahren hatte sie hart dafür gearbeitet, all diese Gefühle zu vergessen. „Das ist nicht fair“, stieß sie hervor.

„Das soll es auch nicht sein.“ Er schenkte ihr ein kurzes Lächeln, bevor er ihre Taille umfasste.

Jetzt war die letzte Gelegenheit, einen Rückzieher zu machen und darauf zu bestehen, ihre Beziehung auf einer rein geschäftlichen Ebene zu belassen. Doch stattdessen wollte Sienna ihn nur noch mehr. Sie wusste, dass sie sich nun vorsehen musste, um sich nicht wieder in ihn zu verlieben. Doch wie verzaubert stellte sie sich auf die Zehenspitzen, umfasste zärtlich sein Gesicht und erwiderte seinen Kuss.

Eine Hitzewelle erfasste sie, und sie spürte seine Finger in ihrem Haar, als er die Nadeln herauszog, sodass ihr die Locken offen über die Schultern fielen.

Er ließ seine Hände über ihre Schultern gleiten, zu ihren Brüsten. Er berührte sie … Und die Zeit schien sich zu dehnen, während sie so verharrten … Bis eine männliche Stimme erklang und Sienna von dem Zauber erlöste. Ein kühler Lufthauch strich über ihre überhitzte Haut.

Constantine widerstand der Versuchung, seinen persönlichen Assistenten, der unvermittelt im Türdurchgang zum Innenhof erschienen war, einfach wegzuschicken. Da Tomas von ihm strikte Anweisung erhalten hatte, ihn auf keinen Fall zu stören, musste es sich um eine sehr dringende Angelegenheit handeln, wenn er sich nun darüber hinwegsetzte.

Er schob sich vor Sienna, um sie vor Tomas und den neugierigen Blicken der Gäste abzuschirmen, die durch die Glasschiebetüren ihr kleines Privattreffen verfolgen konnten, bevor er das Handy entgegennahm, das Tomas ihm reichte.

Die Abkommen, die sein Vater und Roberto Ambrosi noch miteinander ausgehandelt hatten, führten nun offenbar zu einem unvorhergesehenen Problem. Lorenzo hatte Wasserrechte fortgegeben, die Constantine jetzt dringend benötigte. Ohne die Wasserrechte würde er den Jachthafen nicht bauen können, ein Projekt, in das er bereits mehrere Millionen investiert hatte.

Nachdem er das Gespräch beendet hatte, reichte er Tomas das Telefon und bedeutete ihm, dass er gehen könne. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Sienna zu. Wie erwartet hatte sie die Störung genutzt, um sich zu sammeln, von ihm abzurücken und ihr Haar wieder zu einem eleganten Knoten zusammenzustecken. Außerdem hatte sie ihre Handtasche unter den Arm geklemmt, die vorhin heruntergefallen war, und trug erneut ihren gewohnten selbstbewussten Gesichtsausdruck zur Schau.

Als ein gewaltiger Blitz den Himmel erhellte, zuckte Sienna noch nicht einmal zusammen, sondern blickte unverwandt durch die Terrassentür in den Raum voller für sie zweifellos lukrativer Geschäftskontakte.

Einige Schaulustige gesellten sich zu ihnen auf den Hof, um das Naturschauspiel am Himmel zu beobachten. Sienna wollte gerade die Gelegenheit ergreifen, zu gehen, als Constantine sich ihr in den Weg stellte. „Unser Gespräch ist noch nicht beendet. Wir können in meinem Arbeitszimmer weiterreden.“

Sienna schien mit sich zu ringen, bevor sie schließlich nickte und auf die Verandatreppen zusteuerte. „Schlechte Nachrichten?“

Constantines kühles Verhalten stand im krassen Gegensatz zu seinem gefühlvollen Kuss von eben.

„Nichts, womit ich nicht fertig werde“, sagte er, und seine Stimme klang gleichgültig.

Demnach war es in dem Anruf um schlechte Neuigkeiten gegangen, aber das kam Sienna nur entgegen. Zu gerne wäre sie zu dem gewohnten feindseligen Verhalten zurückgekehrt, um zu vergessen, dass Constantine es offensichtlich darauf anlegte, sie wieder in sein Bett zu bekommen.

Ihr wurde siedend heiß, als sie an die Leidenschaft dachte, die sie vorhin für ihn empfunden hatte. Nie hätte sie seinen Kuss erwidern dürfen. Es war leichtsinnig von ihr gewesen, es zu tun. Sie hatte sich ihm förmlich an den Hals geworfen und ihm für einen kleinen Moment gestattet, Macht über sie auszuüben – obwohl sie sich geschworen hatte, dass das nie wieder vorkommen würde.

Wie um Sienna diese Gefahr nochmals zu verdeutlichen, ertönte da ein so heftiger Donnerschlag, dass sie das Gleichgewicht verlor und mit einem ihrer Absätze zwischen den Holzplanken des Verandabodens stecken blieb. Im selben Moment erloschen alle Lichter, und sie standen plötzlich in undurchdringlicher Dunkelheit da.

Constantine schlang die Arme um ihre Taille, und sie fand sich an seinen männlichen, muskulösen Körper gepresst wieder. Erneut wurde sie von Verlangen durchzuckt, als sie den Grad seiner Erregung an ihrem Bauch spürte. Instinktiv schob sie sich von ihm weg, um sich zu bücken und ihren Fuß aus dem stecken gebliebenen Schuh zu befreien. Als sie sich wieder aufrichtete, stieß sie heftig mit dem Kopf gegen Constantines Kinn, so wie schon am Tag zuvor.

Constantine stolperte rückwärts, sie hörte ihn noch erschrocken keuchen – und dann einen dumpfen Aufprall, doch sie konnte ihn nicht sehen. Hilflos starrte sie in die Dunkelheit. Da zuckte ein weiterer Blitz auf. Constantine war verschwunden.

Sienna sah, dass die Veranda an dieser Stelle kein Geländer besaß. Sie warf einen schnellen Blick nach unten, erkannte während des kurzen Aufflackerns des Blitzes Buschwerk und Gras, dann war es wieder vollkommen dunkel. Panikerfüllt warf Sienna ihren Schuh mitsamt ihrer Handtasche zur Seite. Blind tastete sie sich auf den Rand der Veranda zu, raffte ihr Kleid und stieg die wenigen Stufen hinunter, um sich auf der Suche nach Constantine einen Weg durch den dunklen Garten zu bahnen. Erneut zuckte ein Blitz auf, und sie entdeckte Constantine, der sich vor ihr aufsetzte und sie verwirrt anschaute.

„Wo bin ich?“

„Im Garten.“

„Das habe ich mir schon gedacht.“

Sie umschlang seine Taille und half ihm beim Aufstehen. Ihr Kleid verfing sich dabei in den Dornen irgendeiner tropischen Pflanze, und Sienna spürte etwas Weiches unter ihren nackten Füßen. Ganz offensichtlich keine Pflanze.

Eng umschlungen suchten sie sich einen Weg durch die Büsche zurück zu den Stufen, die zur Veranda heraufführten. Vorsichtig half Sienna Constantine hoch.

Allerdings beschlich sie sehr schnell der Verdacht, dass Constantine ihre Hilfe gar nicht nötig hatte, da er sich scheinbar mühelos bewegte. Zögernd tastete Sienna sich in der Dunkelheit voran, bis sie eine Türklinke unter ihren Fingerspitzen spürte.

Ein weiterer Schritt, und sie waren im Haus. Sie spürte weichen Teppich unter ihren Füßen. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss und dämpfte das Donnergrollen. Es roch nach Leder und Blumen – gar nicht so, wie sie sich ein Arbeitszimmer vorstellte. „Wo sind wir?“, fragte sie.

„In meiner Privatsuite. Das Arbeitszimmer befindet sich am anderen Ende des Flures.“

Noch immer war es stockdunkel. Constantine lehnte sich gegen die Tür, und Sienna streckte die Hand nach ihm aus. Sie berührte seine kräftigen Bauchmuskeln, und er zog sie fest in seine Arme, sodass sie die verführerische Wärme spürte, die von seiner Brust ausging. Wohlig erschauernd wurde ihr bewusst, dass Constantine keine Anstalten machte, sich vom Fleck zu bewegen.

Nur mühsam gelang es ihr, sich von seinem Zauber zu befreien. Sie trat einen Schritt zurück. Mittlerweile war sie völlig sicher, dass Constantine nichts fehlte. Sie spähte in die undurchdringliche Dunkelheit. „Hast du irgendwo eine Taschenlampe oder Kerzen?“, fragte sie heiser.

„Im Schlafzimmer ist eine Taschenlampe.“

Auf den Trick würde sie nicht hereinfallen. „Dann bleibst du besser hier, während ich Hilfe hole.“

Sobald sie einen von Constantines Leuten gefunden hatte, würde sie sich ein Taxi rufen. Es bestand kein Anlass, noch einmal zu Constantine zurückzukehren, um nach ihm zu sehen.

Doch er umfasste ihre Finger und hielt sie fest. „Ich brauche keine Hilfe.“

Ein Blitz leuchtete auf, und Sienna erkannte, dass Constantines Kinn sich bereits leicht verfärbt hatte, dort, wo sie ihn mit dem Kopf getroffen hatte. Erschreckt holte sie Luft. „Ich habe dich verletzt.“

„Was du nicht sagst“, entgegnete er leise und zog sie nah an sich heran.

Kurz darauf spürte sie seine Lippen auf ihren. Sie waren warm und unglaublich weich. Plötzlich dachte sie nicht mehr daran, die Flucht zu ergreifen. Stattdessen stellte sie sich auf die Zehenspitzen, presste sich an ihn und erwiderte seinen Kuss mit großer Hingabe. Dabei verflüchtigten sich ihre Befürchtungen endgültig, dass Constantine bei dem Sturz zu Schaden gekommen sein könnte, denn sie fühlte unmissverständlich, wie sehr er sie wollte.

Eine ganze Weile später, als sie sich kurz voneinander lösen konnten, hob er sie auf seine Arme und trug sie durch den Flur in ein Zimmer. Ungeachtet der auch dort herrschenden Dunkelheit setzte er sie auf einem Sofa ab. Sofort begann Sienna, sein Hemd aufzuknöpfen. Ich will ihn viel zu sehr, dachte sie, während sie spürte, wie er zunächst den Reißverschluss ihres Kleides und anschließend den Clip ihres BHs öffnete. Nach dem nächsten stürmischen Kuss zog Constantine ihr die beiden Kleidungsstücke aus, und im Schein eines weiteren Blitzes sah Sienna, wie er sich seiner Krawatte entledigte und aus Jackett und Hemd schlüpfte. Er beugte sich über sie …

Sienna konnte seinen Gesichtsausdruck in der Dunkelheit nicht erkennen, aber das Gefühl seiner heißen nackten Haut an ihren Brüsten ließ sie erbeben, bevor seine Lippen ihre fanden und sie in einem süßen, tiefen Kuss versanken. Sienna fühlte sich an die langen Nachmittage mit ihm in ihrem Apartment erinnert – und an die noch längeren Nächte in seinem Bett.

Er hakte einen Finger unter ihren Slip, und sie hob die Hüfte an, sodass sie einen Atemzug später völlig nackt war – abgesehen von dem Perlenschmuck, den sie trug. Nur einen winzigen Moment lang schoss ihr durch den Kopf, dass sie kurz davorstand, einen großen Fehler zu begehen. Doch dann beschloss sie, dass sie es sich nach zwei Jahren voller Sorgen und Arbeit wenigstens einmal leisten konnte, das zu tun, was sie wollte. Sie wollte der überwältigenden Leidenschaft nachgeben, von der sie nach dem Ende ihrer Verlobung mit Constantine gedacht hatte, dass sie sie nie wieder mit einem Mann empfinden würde.

Als sie den Stoff seiner Hose zwischen ihren Schenkeln spürte, fiel ihr auf, dass Constantine noch immer nicht nackt war. Doch dann löste er sich kurz von ihr, sie hörte ein Rascheln – und im nächsten Moment war er wieder da, seine nackte Haut an ihrer, und er küsste und berührte sie. Sie fühlte seine Hitze und seine Stärke, als sie sich endlich vereinten.

Bis zu diesem Moment hatte sie nicht gewusst, wie sehr er ihr gefehlt hatte. Wie sehr ihr das hier gefehlt hatte. Sie hatte sich nach ihm und seinen Berührungen gesehnt, danach, wie er sich anfühlte. Sie hatte sich nach der Nähe und Intensität verzehrt, mit der sie sich einander hingegeben hatten.

„Ich habe es gewusst“, raunte Constantine. „Du bist mit keinem anderen Mann zusammen gewesen.“

Es irritierte sie einen kurzen Moment, wie zufrieden er klang, doch dann spürte sie seine heißen Lippen auf ihrer Brust, und sie wurde von einer Welle purer Lust mitgerissen, die jeden anderen Gedanken auslöschte. Sie konnte sich nur noch an ihm festhalten und sich mit ihm den sinnlichen Bewegungen ihres Liebesspiels hingeben.

Er zog scharf die Luft ein, und auch Sienna merkte, dass sich in ihr eine Anspannung aufgebaut hatte, die ihren Körper ganz und gar erfasste …

Vage registrierte sie, dass er sich ein Kondom übergezogen haben musste. Sie hatte es kaum bemerkt, dabei konzentrierte sie sich doch auf nichts anderes als auf ihn, auf seinen Körper.

Eigentlich hätte sie ihm dankbar dafür sein müssen, dass er an etwas gedacht hatte, was für sie beide wichtig war. Doch auf der anderen Seite empfand sie die Vorstellung, dass er stets Kondome bei sich trug, als deprimierend. Ein Mann hatte für gewöhnlich keine bei sich, es sei denn, er erwartete oder plante, Sex zu haben.

Aber alle klaren Gedanken wurden einen Augenblick später von seinen sinnlichen Bewegungen verdrängt. Seine Leidenschaft raubte ihr schier den Atem, während sie ihm entgegenkam, sich fester an ihn klammerte. Mit jedem Stoß trieb er sie weiter dem Gipfel entgegen. Sie umschlang seinen Nacken und barg das Gesicht an seiner Schulter. Die Anspannung nahm immer weiter zu, eine süße Qual – bis Sienna von der höchsten Welle ihres Höhepunkts förmlich überwältigt wurde. Wie berauscht nahm sie wahr, dass Constantine ihr nur Sekunden darauf folgte, in einem Moment von intensiver, unbeschreiblich köstlicher Nähe.

Mit einem Mal wurde es hell, der Strom war wieder da. Als Sienna in Constantines Augen sah, wurde ihr klar, dass er keineswegs spontan mit ihr geschlafen hatte. In seinem Blick erkannte sie tiefe Zufriedenheit. Wie auch immer die Umstände sich gestaltet haben mochten, die zum Sex geführt hatten, es war offensichtlich, dass Constantine es von Anfang an geplant hatte.

Ihre Erregung und das süße Glücksgefühl nach dem Höhepunkt waren mit einem Schlag verschwunden. Plötzlich wollte sie nur noch weg. Sie versuchte, sich von seinem Gewicht zu befreien und sich gleichzeitig wieder in den Griff zu bekommen. Sie wollte es nicht, aber es verletzte sie, dass Constantine im Gegensatz zu ihr genau gewusst zu haben schien, was er tat. Er war also keinem Zauber des Augenblicks verfallen, sondern …

Sie stieß gegen seine Schulter, und unvermittelt gab er sie frei, sodass sie aufstehen konnte.

Als sie verlegen ihr Kleid vom Boden aufhob, kam sie sich sehr verletzlich vor. Rasch streifte sie es über und sah sich nach ihren übrigen Sachen um. Ihr BH hing über der Sofalehne, ihr Slip lag auf einem exquisiten Beistelltisch.

Während Constantine sich ebenfalls erhoben hatte und nun seine Hose anzog, wandte sie beschämt den Blick von seinen gebräunten Schultern und den schlanken Hüften ab, bevor sie nach ihrem Slip griff und ins Bad flüchtete.

Entsetzt über ihren Kontrollverlust starrte sie sich in dem großen Spiegel über dem marmornen Waschtisch an. Ihr Haar war zerzaust, ihre Haut gerötet, ihre Lippen geschwollen. Zwar hatte Constantine alles von Anfang an geplant, doch sie hatte sich ihm förmlich an den Hals geworfen! Nur zu bereitwillig hatte er ihre Schwäche zu seinem Vorteil ausgenutzt.

Nachdem sie sich ein wenig frisch gemacht und mit den Fingern ihre Frisur geordnet hatte, kehrte sie ins Wohnzimmer zurück. Zwar trug sie wieder ihr Kleid, doch Schuhe und Handtasche lagen immer noch draußen auf der Veranda.

Constantine ging auf und ab und telefonierte. Sein Gesichtsausdruck war ernst, während er sprach. Er hatte ein frisches Hemd angezogen, doch es bisher noch nicht zugeknöpft. Mühsam wandte sie den Blick von seiner verführerischen Brust und seinen Bauchmuskeln ab. Seine sexy Gelassenheit betonte nur die Intimität des Moments, den sie soeben geteilt hatten.

„Probleme?“, fragte sie, nachdem er das Telefonat beendet hatte. Sie wollte so schnell wie möglich aufbrechen, darum machte sie einen großen Bogen um ihn, als sie zur Tür ging.

„Schwierigkeiten mit dem neuen Resort“, sagte er und fügte nach einer Pause hinzu. „Du könntest mich doch begleiten.“

Einen Moment lang war sie trotz aller Enttäuschung versucht, auf das verlockende Angebot einzugehen. „Nach Medinos?“

Er sah auf die Uhr. „Ich fliege in drei Stunden. Komm doch einfach mit. Es wäre wirklich sinnvoll“, setzte er hinzu. „Wir haben immer noch keine Gelegenheit gehabt, über unser … Geschäft zu sprechen. Wir können da weitermachen, wo wir aufgehört haben.“

In seinem Bett.

Sienna unterdrückte den brennenden Wunsch, Ja zu sagen – und sich damit noch tiefer in etwas zu verstricken, für das es keine Hoffnung gab. Es wäre mehr als vernünftig, abzulehnen und ihre Beziehung von nun an auf rein geschäftlicher Ebene fortzusetzen.

Instinktiv griff sie nach der Perlenkette um ihren Hals. Sie musste nachdenken … Es ging nicht länger nur um sie.

Die Eröffnung eines Resorts der Atraeus-Group war ein großes Medienereignis, an dem nicht nur zahlreiche Presseleute, sondern auch hochkarätige Geschäftskunden teilnehmen würden. Alle Repräsentanten der Luxusladenketten würden dort versammelt sein – also auch der Vertreter von de Vries.

Sie sollte vergessen, was eben zwischen ihnen auf dem Sofa vorgefallen war, denn die Reise nach Medinos bedeutete eine lukrative Gelegenheit, die sie sich eigentlich nicht entgehen lassen konnte.

Nie wieder würde sich ihr eine bessere Möglichkeit bieten, Werbung für Ambrosi-Pearls zu machen und die Verträge abzuschließen, die das Unternehmen so dringend benötigte. Selbst wenn de Vries sich nur auf einen Jahresvertrag einlassen würde, könnte sie Constantine ausbezahlen. Dann wären sie quitt, und Ambrosi-Pearls würde frei sein. „Einverstanden“, sagte sie fest.

Constantine gelang es, seine Überraschung gekonnt zu verbergen. „Tomas fährt dich nach Hause, damit du deine Sachen packen kannst.“

Sie dachte nach. Es würde einige Zeit dauern, sich auf das wichtige Treffen bei der Eröffnung des Resorts vorzubereiten. Schließlich wollte sie einen professionellen Eindruck machen. „Ich kann heute noch nicht nach Medinos mitkommen. Ich brauche noch zwei Tage.“

„Dann lass mich wissen, wann du fliegen willst, damit der Firmenjet für dich bereitsteht“, erwiderte Constantine.

„Nein“, entgegnete sie trotzig. „Ich zahle selbst für meinen Flug.“

„Den kannst du dir im Augenblick doch gar nicht leisten“, erwiderte er.

„Ich habe ein wenig eigenes Geld“, widersprach sie.

„Dann lass mich wenigstens deine Heimfahrt organisieren.“ Rasch wählte er Tomas’ Nummer, ehe sie widersprechen konnte.

Sie ging auf die Veranda, um ihre Schuhe und die Tasche zu holen. Der Absatz des einen Stilettos steckte immer noch zwischen den Holzbohlen fest. Constantine hatte inzwischen sein Gespräch beendet und war ihr nach draußen gefolgt. Er bückte sich und zog den Schuh heraus.

Wortlos nahm sie ihm den Stiletto aus der Hand und schlüpfte hinein, wobei sie scheinbar beiläufig sein Spiegelbild in der Fensterscheibe betrachtete, als sie sich Halt suchend am Rahmen festhielt.

Kurz darauf kam Tomas zu ihnen, und mit einem letzten – und wie sie hoffte professionellen – Lächeln wich sie Constantines Blick aus, bevor sie seinem Assistenten folgte.

7. KAPITEL

Zwei Tage später stieg Sienna aus dem Flieger und wurde von der sengenden Hitze auf Medinos begrüßt. Ihr hellblaues Baumwollkleid klebte bereits an ihrer Haut, als sie durch den Ankunftsterminal ging. Enttäuscht musste sie feststellen, dass wieder Tomas und nicht Constantine auf sie wartete. Während des Fluges hatte sie vor Erwartung auf ein Wiedersehen kaum schlafen können – wobei sie nicht genau wusste, ob sie es herbeisehnte oder sich fürchten sollte.

Auf der Fahrt in einer eleganten Limousine betrachtete Sienna neugierig die Villen aus Kalkstein, die Olivenfelder und die Aussicht auf das scheinbar endlose Meer. Dabei dachte sie an den Abend vor zwei Tagen zurück, an dem sie von Constantines Empfang zurückgekehrt war.

Wie versprochen hatte Carla auf sie gewartet und war entsetzt gewesen, als sie von Siennas Plan gehört hatte, nach Medinos zu fliegen.

„Bitte sag, dass du nicht mit ihm gehst“, hatte ihre Schwester sie gebeten.

„Mach dir keine Sorgen“, hatte Sienna betont gelassen erwidert. „Ich fliege getrennt von ihm. Es ist rein geschäftlich.“

Was für eine Untertreibung – immerhin hatte nichts von dem, was sie an jenem Abend getan hatten, auch nur im Entferntesten mit dem Geschäft zu tun gehabt. Während sie sich einen Kräutertee kochte, hatte sie einen Blick auf ihr Spiegelbild im Küchenfenster erhascht. Das Haar zerzaust, der Lippenstift abgeküsst, dazu die erlesenen Perlen – sie wirkte eher wie eine Kurtisane als die Chefin eines großen Unternehmens.

Ich habe zugelassen, dass er mich liebt, dachte sie schuldbewusst und erinnerte sich an das Gefühl von Constantines Lippen auf ihren, während sein harter Körper sie in das Ledersofa gepresst hatte.

„Ich habe es doch gewusst“, sagte Carla und verschränkte die Arme, während sie ihrer Schwester von der Küchentür aus zusah. „Er will dich wiederhaben.“

„Nein“, erwiderte Sienna.

„Und warum will er dann, dass du nach Medinos fliegst?“

„Bestimmt nicht, weil er auf eine Beziehung aus ist.“ Sienna goss heißes Wasser auf den Kamillentee. Was auf dem Sofa geschehen war, hatte nichts mit einer Beziehung zu tun gehabt. Es war wilder, leidenschaftlicher Sex gewesen. Mehr nicht. Geplanter Sex. Constantine hatte keinen Hehl aus seinem Verlangen gemacht, und sie war nicht in der Lage gewesen, ihm zu widerstehen.

Sie reichte Carla eine Tasse Tee. „Ich reise nach Medinos, weil der Repräsentant von de Vries auch bei der Eröffnung des Atraeus Resorts sein wird. Mit etwas Glück kann ich Constantine so lange hinhalten, bis ich den Vertrag mit de Vries in trockenen Tüchern habe.“

„Halleluja“, murmelte Carla erleichtert. „Ein Licht am Ende des Tunnels. Endlich. Ich wünschte nur, du müsstest dafür nicht nach Medinos. Ich traue den Männern der Familie Atraeus nicht – und ganz besonders nicht Constantine. Versprich mir, dass du auf keinen Fall wieder etwas mit ihm anfängst. Das ist es nicht wert.“

„Keine Sorge“, hatte Sienna daraufhin versichert und einen Schluck Tee getrunken. „Es bleibt rein geschäftlich.“

Sie kehrte wieder in die Gegenwart zurück und betrachtete das Meer und ein Fischerboot, das an einem langen Steg anlegte. Sie fuhren durch den Außenbezirk einer Stadt, und die Straßen und Cafés waren gleichermaßen gut besucht von Einheimischen und Touristen.

Tomas deutete auf das Castello der Familie Atraeus, eine Festung, die auf dem höchsten Punkt der Landspitze errichtet worden war und somit über Medinos und der Bucht thronte. Das Castello bestand aus demselben weißen Stein wie die übrigen Bauwerke der Insel. Sienna hatte gelesen, dass es einst einer adeligen Familie gehört hatte, die längst ausgestorben war. Während des Krieges war das Anwesen fast gänzlich zerstört worden, aber Lorenzo Atraeus hatte es schließlich gekauft und gemäß den alten Vorgaben detailgetreu wieder aufbauen lassen.

Nur wenige Minuten später bogen sie auf den großen Parkplatz vor dem neuesten Resort der Atraeus-Group ein. Die Sieben-Sterne-Anlage war erst vor Kurzem fertiggestellt worden.

Als Sienna ausgestiegen war, fiel ihr sofort die Insel auf, die vor der Küste von Medinos lag. „Ist das Ambrus?“, fragte sie. Auf dem kleinen Eiland musste sich die berühmte Goldmine der Familie Atraeus befinden.

„Ja“, erwiderte Tomas und wartete auf den Hotelpagen, der das Gepäck abholen sollte.

Ehrfürchtig betrat Sienna das ganz in Gold- und Cremetönen gehaltene Foyer des Hotels, das mit geschmackvollen Fresken und Mosaiken verziert war. Ihr Herz schien einen kleinen Sprung zu machen, als sie einen wohlbekannten schwarzen Haarschopf entdeckte. Constantine war leger in schwarzer Hose, T-Shirt und einem lässigen Jackett gekleidet. In der luxuriösen Umgebung wirkte er sogar noch männlicher und exotischer, als sie ihn in Erinnerung hatte. Als sich ihre Blicke trafen, erkannte Sienna, dass er nicht zufällig hier war.

Da sie nicht damit gerechnet hatte, Constantine im Eingangsbereich zu begegnen, beschäftigte Sienna sich verlegen mit dem Check-in und dem Entgegennehmen ihrer Schlüssel. Nachdem Constantine mit Tomas gesprochen und den Pagen angewiesen hatte, das Gepäck auf ihr Zimmer zu bringen, führte er Sienna in ihre luxuriöse Suite im Erdgeschoss, durch deren große Glastüren man einen wundervollen Blick auf Ambrus hatte. Constantine öffnete die Terrassentür, und Sienna trat hinaus. Die Sonne schien so hell, dass sie ihre Augen mit den Händen abschirmte, während sie den Ausblick auf die zerklüftete Hügellandschaft und das klare Meer genoss. Irgendwie hatte sie erwartet, eine Verbindung zu Medinos zu spüren. Seit Jahren schon hatte allein die Erwähnung der Insel genügt, um sie zu faszinieren, obwohl die Villa und der Perlenhandel, die hier einst ihrer Familie gehört hatten, längst der Vergangenheit angehörten.

Als Constantine sich neben sie stellte, nahm sie seinen männlichen Duft wahr. „Ambrus sieht so verlassen aus“, sagte sie.

Er blickte ihr in die Augen, und sofort fühlte sie sich an den Abend in seinem Haus zurückversetzt, als es hell wurde und sie den triumphierenden Ausdruck in seinem Blick bemerkt hatte.

Er deutete auf die Insel. „Die Mine ist auf der Ostseite. Für die Nordseite gibt es Pläne, ein Resort und einen Jachthafen anzulegen. Die alte Perlenfarm meiner Familie befindet sich auf der nordwestlichen Seite.“

Es fiel ihr schwer, sich auf etwas anderes als Constantines übermächtige Anwesenheit zu konzentrieren. Dankbar nahm sie das leise Klopfen an ihre Zimmertür zum Anlass, der erotischen Anspannung zu entfliehen, die zwischen ihnen die Luft zu elektrisieren schien. Sie durchquerte das elegante Wohnzimmer, um dem Hotelpagen die Tür zu öffnen, der ihr Gepäck brachte. Erleichtert stellte sie fest, dass sich auch der Probenkoffer darunter befand, und sie gab dem jungen Mann ein Trinkgeld. Die Zukunft von Ambrosi-Pearls hing von dem Inhalt dieses Koffers ab.

Schuldbewusst nahm sie zur Kenntnis, dass Constantine hinter sie getreten war und ebenfalls auf den Koffer sah. Doch konnte er unmöglich wissen, was sich darin befand.

Stattdessen händigte er ihr zwei cremefarbene Umschläge aus. Im ersten befand sich die Einladung für die Eröffnungsfeier des Resorts, die an diesem Abend stattfinden sollte. Die zweite Karte lud sie zu einem Mittagessen am kommenden Tag ein, das zu Ehren der neuesten Goldkollektion aus dem Hause Atraeus stattfand. „Heute bleibt uns nicht viel Zeit, um über den Kredit zu sprechen. Das wird wohl bis heute Abend warten müssen.“

„Danke“, sagte sie, während sie die Karten in ihrer Handtasche verstaute. Nachdem Constantine gegangen war, schloss sie die Tür hinter ihm und lehnte sich mit klopfendem Herzen gegen das kühle Holz.

In Sydney hatte sie gedacht, mit Constantine zurechtkommen zu können. Doch er war nicht länger der Mann, den sie vor zwei Jahren gekannt hatte. Zum einen hatte er sie neulich Abend scheinbar mühelos verführt, indem er seine Machtposition ausgenutzt hatte. Es spielte dabei eigentlich keine Rolle, dass Sienna nur zu bereitwillig mitgemacht hatte. Vielmehr beunruhigte sie die Tatsache, dass dieser neue Constantine härter, manipulativer und wesentlich dominanter auftrat, als sie erwartet hatte.

Und sie war sich beinahe sicher, dass er wusste, was sie auf Medinos vorhatte.

8. KAPITEL

Es fiel Constantine nicht schwer zu erkennen, wo Sienna sich ihren Weg durch den belebten Empfangsraum bahnte, denn alle Gäste sahen ihr hinterher.

Er beendete das Gespräch, das er gerade geführt hatte, und stellte sein Glas ab, während er sie mit kaum unterdrückter Begierde betrachtete.

Das Haar hatte sie zu einem Knoten zusammengefasst, und ihre schlichte Frisur betonte das sexy Neckholderkleid, das anscheinend einzig und allein aus dem Grunde designt war, um Männern den Atem zu rauben. Das glatte, champagnerfarbene Material passte farblich so gut zu Siennas Teint, dass man auf den ersten Blick glauben könnte, sie sei nackt.

Er ließ seinen Blick weiter über ihren Körper gleiten. Siennas Kleid war knöchellang geschnitten und entsprach somit einerseits genau dem Dresscode, den Constantine vorgegeben hatte. Auf der anderen Seite war es aber auch genau das Gegenteil davon.

Lucas, der neben ihm stand, stieß einen leisen Pfiff aus.

„Es wäre gesünder für dich, wenn du aufhören würdest, sie so unverschämt anzustarren“, warnte Constantine seinen Bruder.

Als er noch mit Sienna zusammen gewesen war, waren sie abends für gewöhnlich nicht ausgegangen, um den Medienrummel zu vermeiden. Stattdessen hatte er sie von der Arbeit abgeholt und war mit ihr in sein Apartment in Sydney gefahren, oder er war ihr zu ihrem Zuhause gefolgt. Damals hatte sie elegante Businesskleidung getragen, von der er kaum Notiz genommen hatte.

Zane, der ebenfalls bei ihnen stand und in den vergangenen zwanzig Minuten schweigend an seinem Bier genippt hatte, meldete sich zu Wort. „Es wäre aber einen Versuch wert. Sie scheint ohne Begleitung hier zu sein. Allerdings wirkt sie nicht besonders glücklich.“

Ja, dachte Constantine säuerlich. Streu ruhig Salz in die Wunde. Wenigstens trug sie nicht diesen verdammten Probenkoffer bei sich.

„Das hast du doch gar nicht nötig“, sagte Lucas geradeheraus.

Constantine verzog keine Miene. Zwar hatte er mit seinen Brüdern nicht darüber gesprochen, was in Sydney vorgefallen war. Aber Lucas war nicht entgangen, wie interessiert er an der Chefin von Ambrosi-Pearls war – einem Unternehmen, das im Grunde genommen der Atraeus-Group gehörte, wenn Sienna nicht bald einen Scheck über eine sehr hohe Summe hervorzauberte. Doch zumindest ihm ging es in dieser Angelegenheit gar nicht mehr um das Geld.

Er beobachtete Sienna, die mit einem japanischen Pärchen sprach und dabei dieselbe Lebhaftigkeit an den Tag legte, die ihm schon damals an ihr aufgefallen war.

Sienna war nur aus einem einzigen Grund auf Medinos – wenn man einmal davon absah, dass er wieder mit ihr schlafen wollte. Er musste herausfinden, wie weit sie gehen würde, um ihre Schulden zu begleichen. Zwar behagte ihm der Gedanke keineswegs, dass sie möglicherweise mit ihm ins Bett gehen würde, wenn sie sich davon einen Vorteil versprach. Doch nach dem Debakel von vor zwei Jahren und angesichts der Tatsache, dass sie sich ihm neulich Abend so bereitwillig hingegeben hatte, war Vorsicht angeraten.

„Die Sache mit den Wasserrechten hat alles ein wenig kompliziert“, erklärte er seinem Bruder.

Doch Lucas schüttelte den Kopf. „Die einzige Komplikation, die ich sehe, steht zehn Meter entfernt.“

Aufmerksam beobachtete Constantine, wie ein Mann sich Sienna näherte. Verärgert erkannte er Panopoulos.

In diesem Moment vibrierte sein Mobiltelefon. Er entnahm der Nummer, dass es sich um die Sicherheitsfirma aus Sydney handelte, die er damit beauftragt hatte, die Ambrosis zu überprüfen. Als er den Hörer ans Ohr hob, wandte Sienna ihm gerade den Rücken zu. Wenn er gedacht hatte, dass die Vorderseite ihres Kleides gewagt war, dann fiel ihm für die Rückseite erst gar keine Beschreibung ein. Sie war so gut wie nicht vorhanden. Constantine schluckte hart.

Sienna entkam Alex Panopoulos unter dem Vorwand, ihre Garderobe überprüfen zu wollen. In einem Alkoven, der mit Statuen und üppigen Topfpalmen verziert war, faltete sie die zarte Gaze ihres Schals zusammen und verstaute ihn in ihrem Abendtäschchen. Im Grunde wollte sie lediglich die Gelegenheit nutzen, einen ungestörten Blick auf die Gäste werfen zu können. An diesem Morgen war sie mit Northcliffe, dem Repräsentanten von de Vries, verabredet gewesen, aber er war nicht zu dem Treffen erschienen. Jetzt hoffte sie, ihn hier ausfindig zu machen.

Als sie Constantine sah, der einen eleganten Abendanzug trug und gerade telefonierte, schien ihr Herz einen Moment stillzustehen. Sie mischte sich wieder unter die übrigen Gäste und fragte sich, weswegen sie jedes Mal so heftig reagierte, wenn sie an den Sex mit ihm zurückdachte. Obwohl sie es nur äußerst ungern zugab, war Constantine ihre schwache Stelle, und es bedeutete ein großes Risiko für sie, wenn sie ihn gefühlsmäßig zu dicht an sich heranließ.

Neben einer Vitrine machte sie Halt und betrachtete beeindruckt die erlesene Auslage voller prachtvoller Schmuckstücke aus Turmalin und Gold, die eine Auswahl der morgigen Produktpräsentation der Atraeus-Group darstellte. Ihr Interesse hatte stets der geschäftlichen Seite des Familienbetriebs gegolten. Ihr Vater hatte scherzhaft behauptet, dass in ihr eine Krämerseele wohnte, und tatsächlich freute sie sich über kaum etwas mehr als über ein gutes Geschäft.

Plötzlich spürte sie ein ahnungsvolles Kribbeln in ihrem Nacken, das kurz darauf von dem Anblick breiter Schultern bestätigt wurde. Constantine hatte sie also entdeckt und war zu ihr gekommen.

„Sienna, es freut mich, dich hier zu sehen.“

Doch als sie sich umdrehte, erkannte sie seinen jüngeren Bruder Lucas. Mit seinem herben kantigen Aussehen, das von zwei Saisons als professioneller Rugbyspieler in Australien herrührte, verkörperte er das atemberaubend aufregende Image des Bad Boys. Er war zweifellos heiß.

„Du kennst mich doch, Lucas.“ Sie sah zu der Stelle, an der Constantine eben noch gewesen war. „Gold, Juwelen, Kunstobjekte: Da konnte ich einfach nicht widerstehen.“

„Eigentlich siehst du selbst aus wie ein Kunstwerk.“

Sienna zuckte scheinbar unbeeindruckt die Achseln. Sie wusste, dass ihr Kleid wesentlich freizügiger und sinnlicher war als die Kleidung, die sie gewöhnlich zu geschäftlichen Anlässen trug – doch das hatte seinen Grund. Das Kleid hatte in ihrer letzten Werbekampagne Verwendung gefunden, und Harold Northcliffe, der mittlerweile die Hochglanzpressemappe erhalten haben musste, die sie in sein Büro geschickt hatte, würde es wiedererkennen. Der Schmuck, den sie trug, war eigens für de Vries und die besonderen Erfordernisse des europäischen Marktes entworfen worden. „Falls du dich bei mir beliebt machen willst, Lucas, ist das vergebene Liebesmüh. Das Kleid gehört Carla.“

„Eigentlich hatte ich eher den Schmuck gemeint“, entgegnete er amüsiert. „Er ähnelt sehr einem traditionellen medinischen Brautschmuck. Ich bin sicher, dass er Constantine auch gefällt.“ Lucas schaute über ihre Schulter. „Wenn man vom Teufel spricht“, murmelte er.

Ein erwartungsvoller Schauer erfasste Sienna, als sie sich vorstellte, dass Constantine hinter ihr stand, und ihre Erregung war für einen Moment so stark, dass sie kaum atmen konnte. Obwohl sie glaubte, auf die Begegnung vorbereitet zu sein, wirkte sein Anblick überwältigender, als sie gedacht hatte. In seinem schwarzen Abendanzug wirkte Constantine noch größer und attraktiver – und im ersten Moment ein wenig distanziert. Dieser Eindruck verflüchtigte sich jedoch, als sie die Lust in seinem Blick erkannte.

„Wir müssen sprechen“, sagte er, und beim Klang seiner Stimme begann ihre Haut, zu kribbeln.

Mühsam widerstand sie der Versuchung, die Arme vor der Brust zu verschränken, da ihr das Kleid mit einem Mal viel zu dünn und freizügig vorkam. Nicht unbedingt einer ihrer besten Einfälle. „Aus dem Grund bin ich hier.“

Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah er sie an. „Draußen. Jetzt.“

„Wohl kaum“, widersprach sie, verärgert über seinen Befehls­ton. Das letzte Mal, als man so mit ihr gesprochen hatte, war sie fünf Jahre alt gewesen.

Er umfasste ihren Arm, und die Wärme seiner Hand brannte förmlich auf ihrer nackten Haut. Für jeden Außenstehenden musste es so aussehen, als würden sie ein vertrauliches Gespräch führen, doch Constantines Griff war unbarmherzig fest. Als er ihren Widerstand bemerkte, beugte er sich so dicht an sie heran, dass sie seinen warmen Atem an ihrem Hals spürte. Ein fast schmerzhaftes Verlangen durchzuckte sie, und sie verharrte wie erstarrt. Sie konnte sich nicht mehr bewegen – und was noch viel schlimmer war: Sie wollte es auch nicht.

„Wir gehen jetzt. Wenn du dich weigerst, dann trage ich dich raus.“

„Das wagst du nicht.“

„Willst du es darauf ankommen lassen?“

Hilfe suchend sah sie sich nach Lucas um, aber der hatte offensichtlich das Weite gesucht. „Das ist Erpressung.“

Er lachte. Plötzlich konnte sie wieder einen klaren Gedanken fassen und war nicht länger seiner wilden, männlichen Ausstrahlung ausgeliefert. Der Bann war gebrochen. „Ich rufe die Polizei.“

„Vor oder nach unserem Geschäftstreffen morgen?“

Hilflos presste sie die Lippen aufeinander angesichts der offen demonstrierten Macht, die er auf sie und ihr Unternehmen ausüben konnte. „Das ist Erpressung“, wiederholte sie.

Doch unbeirrt schob er sie vor sich her und aus dem Raum heraus. „Nein, Honey, das ist Geschäft.“

9. KAPITEL

„Ich gehe keinen Schritt weiter“, erklärte Sienna, als sie eine menschenleere Galerie erreicht hatten. Auf der einen Seite erstreckten sich große Bogenfenster, auf der anderen konnte man dezent angestrahlte Kunstwerke bewundern. „Wenn wir uns noch weiter vom Festsaal entfernen, hört niemand meine Schreie, falls du mir was antun willst.“

„Beruhige dich. Ich will dir nichts tun.“

Obwohl sie sich zur Wehr setzte, hob Constantine sie in seine Arme. Vergeblich versuchte sie, sich zu befreien. „Und das soll ich dir glauben?“

Ein paar Schritte weiter blieb er stehen und setzte sie vor einem großen Ölgemälde ab. Er stöhnte leise auf, als sie ihm dabei versehentlich mit dem Ellenbogen in den Magen stieß.

Sie wollte sich gerade selbst dazu beglückwünschen, ihn wenigstens ansatzweise aus der Fassung gebracht zu haben, als sie seine warmen Finger an ihrem Dekolleté spürte. Er berührte den tränenförmigen Saphiranhänger ihrer Kette. „Ein Teil der neuen Kollektion?“

Ihre Wangen brannten, teils aus Wut, teils vor prickelnder Lust, der sie scheinbar völlig ausgeliefert war. „Woher weißt du davon?“

„Ich bin immer noch in deinem Postverteiler und bekomme eure PR-Pamphlete.“

„Ich muss dringend mit meiner Assistentin sprechen.“

„Weißt du eigentlich, was für ein Aufsehen du erregt hast, als du mit medinischem Brautschmuck in den Ballsaal gekommen bist?“, fragte Constantine. „Hast du das geplant, oder war es ein Zufall?“

Sienna folgte seinem Blick und betrachtete das Gemälde, vor dem sie standen. Es war zweifellos ein Hochzeitsbild. „Ich hatte keine Ahnung, dass es sich um Brautschmuck handelt. Wir haben ihn nach alten Vorlagen meines Großvaters angefertigt.“

„Oder hast du der Presse damit einen Hinweis geben wollen?“, fragte Constantine ernst. „Das ist kein Spiel, Sienna.“

„Ich spiele nicht“, entgegnete sie wütend. Sie versuchte nur, ihre Familie zu retten. „Und ich versuche auch nicht, die Presse anzulocken.“

Constantine verschränkte die Arme. „Dann beweise es.“

Die Versuchung war groß, ihm den Rücken zuzudrehen, einfach ihre Sachen zu packen und morgen früh mit dem ersten Flug nach Hause zurückzukehren. Doch solange die Sache mit dem Darlehen noch nicht geklärt war, waren ihr die Hände gebunden. „In Ordnung. Komm mit in mein Zimmer, und ich zeige es dir.“

Nachdem sie ihre Zimmertür aufgeschlossen hatte, trat sie ein und betätigte den Lichtschalter. Ein gedämpfter goldener Schimmer erhellte die luxuriöse Suite. Sienna setzte ihre Tasche auf einem Beistelltisch ab und ging zum Wandsafe, um den Zahlencode einzugeben. Dann zog sie die Probentasche heraus, die auf dem Laptop lag, legte den Computer vor sich auf den Tisch und verstaute die Probentasche schnell wieder im Safe, den sie hastig verschloss.

Sie fuhr den Computer hoch, suchte die Bilder mit den Design­vorschlägen ihres Großvaters, nahm ihren Schmuck ab und legte ihn zum Beweis neben den Rechner. „Die Schmuckstücke, die ich heute Abend trage, sind lediglich Prototypen und werden noch nicht produziert …“

„Bis du einen Käufer gefunden hast.“

„… bis man uns Interesse signalisiert“, beendete Sienna ihren Satz geduldig.

„Man sagt auch Kundenauftrag dazu.“

„Wie auch immer“, entgegnete sie. „Wir haben uns nicht sklavisch an die Vorlagen meines Großvaters gehalten, sondern die Modelle frei gestaltet. Wir hatten wirklich keine Ahnung, dass es sich um Brautschmuck handelt.“

Daraufhin schwieg Constantine. Im blassgoldenen Lichtschein, der sein Profil, seine ausgeprägten Wangenknochen und die dunklen Haare betonte, wirkte er so, wie Sienna sich stets einen medinischen Krieger vorgestellt hatte. „Sieht so aus, als müsste ich mich bei dir entschuldigen“, sagte er schließlich.

„Keineswegs.“ Sie fuhr den Laptop herunter, um ihn danach wieder im Wandtresor unter den Probenkoffer zu stellen.

„Du gestattest doch“, sagte Constantine und griff nach dem Koffer, damit sie zunächst den Rechner hineinstellen konnte.

Mit klopfendem Herzen nahm sie ihm den Probenkoffer so schnell wie möglich wieder ab und verschloss ihn schleunigst im Tresor. Constantine durfte auf keinen Fall herausfinden, dass sie hier war, um mit de Vries einen Vertrag abzuschließen. Mit etwas Glück hatte er vielleicht den schlichten Werbeaufdruck von Ambrosi-Pearls an der Seite des Koffers nicht bemerkt.

Als sie ein leises Klimpern hörte, wandte sie sich um und sah, dass Constantine die Halskette vom Tisch genommen hatte. Die erlesene Kombination aus Perlen und Saphiren wirkte in seinen kräftigen, gebräunten Händen noch filigraner als sonst. Vorsichtig berührte er eine Perle, und Sienna erschauerte, als hätte er ihre Haut gestreichelt.

Er sah ihr in die Augen. „Für wen hast du die Perlen also getragen, wenn nicht für mich?“

„Ich weiß nicht, was du damit meinst.“ Um über ihre Anspannung hinwegzutäuschen, ging Sienna zu der kleinen Hausbar und füllte gekühltes Wasser in zwei Gläser. Eines davon reichte sie Constantine, wobei sie es tunlichst vermied, seine Finger zu berühren.

Anschließend stellte sie ihr Glas auf den Tisch und begann, die Musterschmuckstücke einzusammeln, um sie zunächst in der obersten Schublade der Kommode in ihrem Schlafzimmer aufzubewahren. Sie würde den Schmuck erst zurück in den Probenkoffer legen, wenn Constantine das Zimmer verlassen hatte.

Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, ging Constantine auf und ab. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte man meinen können, er wäre nervös.

„Hast du schon gegessen?“, fragte er, nachdem er auf die Uhr gesehen hatte.

Der unvermittelte Themenwechsel traf sie völlig unvorbereitet. „Nicht mehr seit dem Flug.“

„Dann bestelle ich uns ein Dinner aufs Zimmer.“ Er griff nach dem Telefon auf dem antiken Sekretär.

„Nein, ich bin nicht hungrig“, entgegnete sie hastig, denn die Vorstellung, noch mehr Zeit mit Constantine allein zu verbringen, beschleunigte ihren Pulsschlag.

„Du musst aber etwas essen, und ich bin schuld, dass du das Abendessen verpasst hast. Wenn du nicht hier speisen willst, gehen wir einfach an einen belebteren Ort.“

Sienna dachte nach. Erschrocken stellte sie fest, dass sie darüber nachdachte, mit ihm zu schlafen. Noch vor wenigen Tagen wäre sie niemals bereit gewesen, sich wieder auf eine sexuelle Beziehung mit ihm einzulassen. Und jetzt fühlte sie sich unerklärlicherweise nicht nur zu Constantine hingezogen – sie sehnte sich sogar nach ihm.

Sex durfte auf keinen Fall ein Thema werden. Schließlich war sie aus rein geschäftlichen Gründen hier. Sich selbst und dem Wohl ihrer Familie zuliebe musste sie alles andere vergessen.

Verlegen und mehr um sich abzulenken, überprüfte sie noch einmal die Zahlenkombination am Safe. „Klar muss ich was essen, aber nicht hier.“

Wenn sie auswärts aßen, würde es ihr leichter fallen, nicht über das Geschäft zu sprechen. Sie musste Constantine nur noch bis morgen früh hinhalten. Denn dann würde sie endlich wissen, ob de Vries bei ihr bestellte oder nicht.

„Ist mir recht.“

Constantines sanfter Tonfall überraschte sie. Für einen Moment glaubte sie, Erleichterung in seinem Blick zu erkennen – was allerdings keinen Sinn ergab.

Verwirrt ging sie ins Schlafzimmer und griff nach einem Seidenschal, um ihre nackten Schultern zu bedecken. Als sie ins Wohnzimmer zurückkehrte, sah sie, wie Constantine gerade den Telefonhörer auflegte.

„Ich habe einen Tisch in einem kleinen Restaurant am Wasser reserviert.“

„Klingt toll.“ Sie versuchte, höchst professionell zu lächeln. Zu dieser Jahreszeit würde jedes Restaurant an der Küste mit Touristen völlig überlaufen sein. Sie würden von Glück reden können, wenn sie einen klaren Gedanken fassen konnten – vom Reden einmal ganz zu schweigen. Und ein geschäftliches Gespräch käme so überhaupt nicht infrage.

Sie nahm ihre Tasche und die Schlüssel und trat vor Constantine durch die Tür auf den Flur hinaus. In dem kunstfertig verzierten Spiegel betrachtete sie ihre Spiegelbilder. Constantine, groß und breitschultrig, sah in seinem eleganten Abendanzug sehr attraktiv aus. Sie hingegen wirkte sinnlich, der weiche Seidenstoff ihres Kleides umschmeichelte bei jeder Bewegung ihre Kurven.

Als sie die Tür schloss, überkam sie wieder der überwältigend starke Eindruck, dies alles schon einmal erlebt zu haben. Auch damals hatten sie wie ein Paar ausgesehen. Wie Liebende.

Voller Panik wurde ihr mit einem Mal bewusst, dass sie streng genommen auch jetzt ein Liebespaar waren. Sie würde lediglich Constantine nachgeben müssen, und schon würde sie sich in seinem Bett wiederfinden. Wieder einmal.

Das Restaurant war zwar klein und überaus gut besucht, aber Siennas Erleichterung schwand, als die beiden Bodyguards, die ihnen seit dem Verlassen des Hotels gefolgt waren, plötzlich nicht mehr zu sehen waren. Der Eigentümer des Lokals führte Constantine und sie auf einen abgeschiedenen Innenhof, wo ein einziger Tisch gerade für sie eingedeckt wurde.

Innerhalb weniger Sekunden waren sie allein.

Sienna machte sich auf das Gespräch gefasst, das nun folgen und das Ende von Ambrosi-Pearls bedeuten würde. Doch nachdem Constantine ihr einen Stuhl zurechtgerückt und sich dann selbst gesetzt hatte, schien er zusehends zu entspannen und das Essen zu genießen. Sie lauschte überrascht den gutmütigen Neckereien, die er mit dem Eigentümer des Restaurants austauschte, welcher sie höchstpersönlich bediente. Dabei verlor sich ihre Anspannung immer mehr, spätestens als Constantine hingebungsvoll mit einem Kind zu plaudern begann, das schüchtern aus der Küche gekommen war und zu ihnen herübergesehen hatte.

Eine Stunde später, gesättigt von cremigem Schafskäse, Feigen und einer reichlichen Auswahl köstlicher Meeresfrüchte, musste Sienna sogar das Dessert ablehnen. Nach einem kleinen Spaziergang wurde sie allerdings in dem Moment wachsam, als sie im Garten des Resorts ankamen – wo sie wiederum ganz allein waren. Aufmerksam betrachtete Sienna den Pool sowie den Garten, der von einer Mauer umgeben war. „Wo sind wir hier?“

„In meinem Privatquartier. Ich wollte dir noch einen Schlummertrunk anbieten.“

Enttäuschung stieg in ihr auf. „Du kannst du mir glauben, dass Sex im Augenblick das Letzte ist …“

„Was wäre, wenn ich Ambrosi-Pearls den Kredit erlassen würde?“

Seine Worte fühlten sich für Sienna wie ein Schlag ins Gesicht an – als wäre sie um zwei Jahre zurückversetzt worden, als Constantine ihr in ihrem Apartment vorgeworfen hatte, ihn nur heiraten zu wollen, um Ambrosi-Pearls finanziell unterstützen zu können.

Sie hatte Monate gebraucht, um schließlich zu erkennen, dass es sein Problem war, wenn er sie nicht kannte und nicht wusste, wer und was ihr wirklich wichtig war.

Es fiel ihr schwer, sich einzugestehen, dass sie so naiv gewesen war zu glauben, er würde sie lieben, nachdem sie sechs Wochen lang Liebe gemacht hatten.

Nein, nicht Liebe gemacht, korrigierte sie sich im Stillen. Sie hatten Sex gehabt. Sie hatten genau dasselbe gemacht wie vor drei Nächten auf seinem Sofa in Sydney.

Constantine verharrte bewegungslos und beobachtete sie, die Arme vor der Brust verschränkt. Er wirkte völlig kühl und kontrolliert. Ihr wurde bewusst, dass er versuchte, sie zu manipulieren.

Er war auf eine Abfuhr von ihr aus und provozierte sie, um eine zu bekommen.

„Ich habe gehört“, entgegnete sie ruhig, „dass es dir nicht allzu schwerfällt, Frauen von deinen männlichen Qualitäten zu überzeugen.“

„Dann sagst du also Nein?“

„Darauf kannst du Gift nehmen.“

„Wäre deine Antwort anders ausgefallen, wenn ich dir stattdessen einen Heiratsantrag gemacht hätte?“

Diese Frage schmerzte sogar noch mehr. Sie sah sich im Garten auf der Suche nach dem kürzesten Weg zurück ins Hotel um. „Diese Unterhaltung ergibt keinen Sinn, da du ja keinen Antrag gemacht hast. Doch falls es dich interessieren sollte …“ Sie ging auf eine Ausbuchtung in der Mauer zu, hinter der sie eine Tür vermutete. „Falls ich jemals heiraten sollte, dann müssen sich die Umstände und mein Ehemann meinen Bedürfnissen anpassen.“

„Damit meinst du Ambrosi-Pearls?“

Ihre Haut begann zu kribbeln, als sie bemerkte, dass Constantine dicht hinter ihr war, und erneut wurde sie das Gefühl nicht los, dass er auf sie Jagd machte. „Wohl kaum, seitdem du dir solche Mühe gibst, mich von dieser Last zu befreien.“

Ratlos blieb sie vor der Tür stehen und suchte nach einer Möglichkeit, sie zu öffnen. Doch wie es die Probleme in ihrem Leben so an sich hatten, gab es auch für dieses keine einfache Lösung.

„Interessant“, sagte er leise. „Ich wusste ja gar nicht, dass du die Firma als Last betrachtest und dich so sehr nach Freiheit sehnst.“

„Freiheit hätte schon etwas für sich.“ Die Vorstellung, endlich frei von Schulden zu sein, erschien ihr zusehends reizvoller, selbst wenn damit der Untergang der Firma verbunden sein sollte. Doch sofort wurde sie von Gewissensbissen gequält, weil sie einen so illoyalen Gedanken überhaupt in Erwägung gezogen hatte, und wütend rüttelte sie an der Tür. Sie war es leid, immer nur das Opfer zu sein – und ganz besonders das von verschrobenen Gartenarchitekten. „Wie geht diese verdammte Tür denn jetzt auf?“

Constantine beugte sich vor und bewegte einen kleinen Riegel, den sie im Dunkeln nicht gesehen hatte. Als sein Arm sie dabei streifte, war sie sich seiner Gegenwart erneut mit aller Macht bewusst. Ihre Verärgerung wuchs angesichts ihrer Schwäche für Constantine – und der Tatsache, dass es ihm gelungen war, die Tür zu öffnen. Sie war sich sicher, dass er seinen Spaß an der ganzen Sache hatte. Und das machte sie nur noch wütender.

Noch zwei Schritte, und diese Unterhaltung wäre für heute Abend beendet. „Um noch einmal auf die hypothetische Ehe zu sprechen zu kommen.“ Absichtlich berührte sie beim Weitergehen den Aufschlag von Constantines Jackett. Diese Geste war vertraulich und provozierend – und darüber hinaus gefährlich, denn sie bemerkte, wie unverhohlene Begierde in seinem Blick aufflammte. „Wie ich schon gesagt habe: Wenn mein Zukünftiger ein dickes Bankkonto und ein Gespür für finanzielle Dinge hat, dann hätte ich nichts dagegen einzuwenden.“

Constantine bemühte sich, seine Wut im Zaum zu halten, als Sienna den Pfad zurückging, der zum Rezeptionsbereich des Resorts führte. Als sie ein paar Steintreppen hinaufstieg, bewunderte er das champagnerfarbene Kleid und ihre hochhackigen Pumps. Für den Bruchteil einer Sekunde erlaubte das Licht der Gartenlaternen einen Blick durch den durchscheinenden Stoff des Kleides, sodass ihre langen, schlanken Beine darunter zu sehen waren und man den Eindruck hatte, sie wäre völlig unbekleidet.

Die Vorstellung von Sienna, mit nichts als dem medinischen Brautschmuck auf der Haut, war überaus aufregend. Der Bodyguard, den Constantine damit beauftragt hatte, Sienna im diskreten Abstand zu folgen, damit sie nicht von Paparazzi belästigt wurde, ging an ihm vorbei, und Constantine versuchte, sich wieder auf Wichtigeres zu konzentrieren.

Denn nicht nur aufdringliche Presseleute bereiteten ihm Kopfzerbrechen. Auch Alex Panopoulos – denn er war auf der Jagd. Zwar betrachtete Constantine den Griechen nicht als ernsthafte Bedrohung, doch er wollte auf jeden Fall darüber informiert sein, wenn der andere Mann Anstalten machte, sich Sienna zu nähern.

Nachdem der Bodyguard und Sienna seiner Sicht entschwunden waren, schloss Constantine die Gartentür und verriegelte sie wieder.

Er hatte gegen seinen Instinkt gehandelt, als er sie gehen ließ, obwohl er sie begehrte. Doch dafür wäre auch später noch Zeit, denn er ahnte, dass die Leidenschaft mit ihm durchgehen würde, wenn er sie erst einmal berührte.

Er wollte ihr nicht wehtun, doch sie hatte ihn mit dem Schmuck und dem Kleid herausgefordert. Er musste unbedingt ihre Reaktion auf seinen Antrag sehen, und sie hatte sich so verhalten, wie er es gehofft hatte. Obwohl es ihre Firma dank seiner ausgezeichneten Kontakte vermutlich retten würde, hatte sie sich geweigert, aus diesem Grund mit ihm zu schlafen.

Allerdings hatte er nicht mit seiner eigenen Reaktion gerechnet.

Noch vor wenigen Tagen war er sich sicher gewesen, dass Sienna damals und heute in die dunklen Machenschaften ihres Vaters verstrickt gewesen war. Doch in dem Moment, in dem sie den Kopf gehoben und ihm bei der Beerdigung in die Augen geblickt hatte, war es ihm vorgekommen, als seien sie immer noch ein Liebespaar. Er hatte sie begehrt, gleichgültig, ob sie schuldig war oder nicht.

Nachdem er alle Dokumente über die Finanzen von Ambrosi-Pearls studiert hatte, wusste er, dass es keine Verbindung zwischen Sienna und dem Geld gab, das ihr Vater von seinem Vater erschwindelt hatte.

Vor zwei Jahren hatte er sich verzettelt. Er hatte nicht vor, denselben Fehler ein zweites Mal zu begehen.

Er wollte Sienna. Doch soweit es ihn betraf, gab es nur zwei Optionen: Entweder blieb es rein geschäftlich – oder es gab für sie beide nur das Bett.

10. KAPITEL

Als die Morgendämmerung sich farbenprächtig am Himmel abzuzeichnen begann, stand Sienna am Rand der tropischen Pool-Landschaft und streifte ihre Sandalen ab.

Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung wahr, als sie ihre Badeutensilien auf einer der Entspannungsliegen ablegte. Der Bodyguard, der ihr bereits gestern Abend gefolgt war, hatte sich unter einer Palme aufgebaut. Verärgert, doch fest entschlossen, ihn auch weiterhin mit Missachtung zu strafen, ging Sienna ins Wasser, um einige Minuten kraftvoll zu schwimmen, bevor sie sich träge auf dem Rücken treiben ließ. Dabei genoss sie die Stille des frühen Morgens, nachdem sie die Nacht über kein Auge zugetan hatte.

Constantine hatte angeboten, ihr die Schulden von Ambrosi-Pearls zu erlassen, wenn sie mit ihm ins Bett ging.

Wütend drehte sie sich um, holte tief Luft und schwamm unter Wasser durch den Pool. Irgendwie musste sie ihre Verärgerung abreagieren. Als sie am anderen Ende wieder auftauchte, schmerzten ihre Lungen.

Sie hatte angenommen, dass er sie nicht noch schlimmer beleidigen konnte, als er es vor zwei Jahren getan hatte. Es machte sie wahnsinnig wütend, dass er seine Meinung über sie in der Zwischenzeit immer noch nicht geändert hatte. Wenn es ihr um Geld gehen würde, wäre es ein Leichtes für sie gewesen, sich einen betuchten Ehemann zu angeln. Sie hatte es jedoch nicht getan. In den vergangenen Jahren hatte sie sich sogar nur selten mit Männern verabredet.

Ganz anders Constantine. Sie musste wieder daran denken, wie er versucht hatte, sie zu manipulieren. Aus irgendeinem Grund wollte er sie aus dem Gleichgewicht bringen. Da ihm Ambrosi-Pearls schon beinahe gehörte, war seine Motivation sicherlich nicht geschäftlich. Er hatte das Unternehmen so gut wie in der Tasche, wenn nicht ein Wunder geschah und de Vries den Auftrag unterschrieb.

Auf Rache schien Constantine jedenfalls nicht aus zu sein, sonst wäre es ihm ein Leichtes gewesen, die skandalösen Geschäfte ihres Vaters der Presse offenzulegen, und dann wäre der Ruf der Ambrosis ruiniert.

Stirnrunzelnd dachte Sienna an Constantines unmoralisches Angebot, während sie eine weitere Bahn schwamm, bevor sie aus dem Pool stieg und sich die feuchten Haare aus dem Gesicht strich. Zu ihrer Bestürzung musste sie feststellen, dass Alex Panopoulos es sich zwischenzeitlich im Liegestuhl neben ihrem bequem gemacht hatte. Sobald er sie sah, sprang er auf. Er hielt ihr Handtuch in den Händen. „Schwimmen Sie immer alleine?“, fragte er.

Sienna lächelte gelassen. „Ich schwimme, um in Form zu bleiben, nicht, weil ich Gesellschaft wünsche.“

Wie vorauszusehen war, ließ er das Handtuch nur äußerst ungern los, obwohl Sienna daran zog. „Mr Panopoulos, entweder geben Sie mir jetzt mein Handtuch, oder ich gehe eben so in meine Suite zurück.“ Sie zog ein weiteres Mal daran, und achselzuckend ließ er los.

„Ich hatte gehofft, Sie würden meine Einladung zum Lunch annehmen“, gestand er.

„Tut mir leid, aber ich bin bereits verabredet“, erwiderte sie und bemerkte Constantine, der näher kam und so aussah, als wäre er joggen gewesen. Sienna wurde klar, dass der Bodyguard seinem Boss mitgeteilt haben musste, dass sie Gesellschaft am Pool bekommen hatte.

Kurz angebunden nickte Constantine Panopoulos zu, bevor er ihr in die Augen schaute. „Können wir jetzt gehen?“

Als Constantine begann, ihre Badesachen einzusammeln, erblasste Panopoulos.

„Wo bist du denn gewesen?“, fragte Sienna, schlüpfte in ihren Sarong und griff nach ihrem feuchten Handtuch.

Constantine fasste sie sacht am Ellenbogen, als sie vom Pool fortgingen. Sienna brachte es fertig, sich seinem Zugriff zu entziehen, ohne dass es aussah, als sei ihr seine Berührung unangenehm. Instinktiv rieb sie sich die Arme. Ihre Haut prickelte vor Erregung – was sie Constantine aber nicht zeigen wollte. „Vielen Dank, dass du mich gerettet hast, aber so weit brauchst du nicht zu gehen. Ich komme schon zurecht.“

„Was hat Panopoulos gewollt?“, fragte er finster.

„Das geht dich nichts an.“

„Wenn er unangenehm wird, kümmere ich mich darum.“

„Genauso wie um den Reporter am Strand?“

„Nein“, erwiderte er leicht amüsiert.

Sienna versuchte, die unerwünschten Gefühle zu ignorieren, die sich ihrer bemächtigt hatten. Sie empfand tiefe Zufriedenheit darüber, dass ihr Mann sich eingemischt und sie für sich beansprucht hatte.

Moment mal … ihr Mann? Ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Eigentlich sollte Constantines Verhalten sie aufregen und wütend machen, stattdessen hatte sie den Eindruck, dass ihr Widerstand förmlich dahinschmolz.

Sie blieb stehen. „Warum lässt du mich eigentlich beschatten?“

„Nicht beschatten. Beschützen.“

„Ich komme mit Panopoulos schon klar.“

„So wie eben?“, fragte er verärgert.

Als Stimmen erklangen, wurde Sienna plötzlich bewusst, dass ihr Sarong durchnässt war – und wahrscheinlich auch durchscheinend.

Sie trat einen Schritt zur Seite, um zwei Kinder und ihre Eltern vorbeizulassen. Dabei fasste sie den Entschluss, die Zügel wieder fester zu fassen. Sie hielt die Hand auf. „Meine Sandalen und die Zimmerschlüssel bitte.“

Fast schon enttäuscht musste sie feststellen, dass Constantine ihrer Aufforderung ohne Umschweife folgte. Während Sienna in ihre Sandalen schlüpfte, wünschte sie sich, sie hätte ihre Sonnenbrille mitgebracht. Dann hätte sie leichter Abstand zu ihm halten können. Als sie weitergingen, war sie darum bemüht, Constantine nicht zu nahe zu kommen – und nicht aus ihren feuchten Schuhen zu rutschen.

„Pass auf, es ist ziemlich glitschig hier“, sagte Constantine.

„Alles bestens“, erwiderte sie und machte demonstrativ einen Schritt zur Seite – nur, um prompt auszurutschen.

Rasch griff er nach ihrem Arm und hielt sie fest. „Warum kannst du eigentlich nie auf mich hören?“

Sie befreite sich aus seinem Griff und steuerte auf die Tür ihrer Suite zu. „Ich höre dann zu, wenn du etwas Interessantes zu sagen hast.“

„Dann wird wohl eher die Hölle zufrieren“, entgegnete er ironisch.

„Weißt du was, Constantine?“, fragte sie, während sie ihre Karte durch den Scanner zog. „Vielleicht solltest du aufhören, dir meinetwegen Sorgen zu machen, und dich lieber um deinen eigenen Kram kümmern.“

„Warum glaubst du eigentlich, dass ich nicht bekomme, was ich will?“, fragte er daraufhin leise. Er klang dabei so sexy, dass Sienna unvermittelt in ihrer Bewegung innehielt. Sie sollte jetzt rasch in ihr Zimmer gehen, sich freundlich und bestimmt verabschieden und die Tür schließen – doch sein Blick hatte sie in den Bann geschlagen. Sie wusste genau, woran es lag. Schließlich hatte sie genügend Zeit gehabt, um zu analysieren, weshalb sie sich damals so schnell in Constantine verliebt hatte. Es hing mit seiner starken männlichen Ausstrahlung zusammen. Immer, wenn er die Kontrolle übernahm, ließ sie sich das unerklärlicherweise gefallen. Als er soeben Panopoulos wie eine lästige Fliege verscheucht hatte, war sie ganz gegen ihren Willen beeindruckt gewesen.

„Ich wollte mich vorhin eigentlich bei dir dafür entschuldigen, dass ich dich gestern Abend in eine so peinliche Lage gebracht habe“, sagte Constantine da zu ihrer Überraschung. „Aber ich musste es einfach wissen. Außerdem schulde ich dir eine Entschuldigung für das, was vor zwei Jahren geschehen ist.“

Verwirrt sah Sienna ihn an. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass Constantine sich für die Auflösung ihrer Verlobung entschuldigen würde. „Weshalb hast du deine Meinung geändert?“

„Ich habe ein paar Recherchen angestellt …“

„Mit anderen Worten: Du hast mir hinterhergeschnüffelt.“ Ihre Überraschung schlug in Ärger um.

„Nenn es, wie du willst“, entgegnete er unbeirrt. „Du bist immer rechtschaffen gewesen, und nichts deutet darauf hin, dass du mit Robertos krummen Geschäften zu tun gehabt hast.“

„Hast du mich etwa auch vor zwei Jahren ausspionieren lassen, bevor du dich entschlossen hast, dich mit mir zu treffen?“, fragte Sienna aufgebracht.

„So beruhige dich doch.“

Als ob sie das tun würde. Sie war so wütend, dass ihre Finger zitterten, als sie begann, den Zahlencode einzutippen. Doch bevor sie die Sequenz eingegeben hatte, griff Constantine nach der Karte und steckte sie in seine Hosentasche.

„Oh, wieder einmal eine heldenhafte Tat“, kommentierte Sienna sarkastisch.

„Was meinst du damit?“

Sie zählte an den Fingern ab. „Du hast mir am Grab meines Vaters gedroht. Du hast mich gegen meinen Willen in deinem Wagen festgehalten. Du hast mich gezwungen, dich am Abend nach der Beerdigung zu treffen …“

„Ich habe dich nicht gegen deinen Willen festgehalten. Und hättest du vorher meine Anrufe nicht tagelang ignoriert, dann hätten wir uns in einem geschäftlicheren Ambiente als auf einem Supermarktparkplatz besprechen können.“

„Warum hätte ich dich treffen sollen nach all dem, was damals geschehen ist?“

„Dafür will ich mich ja entschuldigen.“

„Du kommst zwei Jahre zu spät! Und das ist die schlechteste Entschuldigung, die ich je gehört habe.“

„Trotzdem hörst du dir jetzt den Rest auch noch an“, erwiderte er. „Ich habe die Zahlungen zurückverfolgen lassen, und der Kredit ist ausschließlich auf das Privatkonto deines Vaters eingezahlt worden, nicht auf ein Geschäftskonto von Ambrosi-Pearls. Allerdings war das immer noch kein Beweis dafür, dass du nicht beteiligt gewesen bist.“

„Und deswegen hast du mich auf die Probe gestellt?“ Okay, das war zu erwarten gewesen. Trotzdem konnte sie ihm nicht verzeihen, dass er sie für eine Goldgräberin gehalten hatte.

Sie erwiderte seinen Blick … Was sich als Fehler herausstellte, denn Constantines Augen hatten schon immer einen sinnlichen Zauber auf sie ausgeübt, eine Kraft, die sie schwach werden ließ. „Entschuldigung angenommen, aber ich würde es trotzdem vorziehen, wenn wir uns aufs Geschäftliche beschränken. Wann wollen wir uns heute treffen?“

„Ich habe den ganzen Vormittag über Meetings, deswegen habe ich nach dem Lunch Zeit für dich frei gehalten.“

„Gut, denn heute Abend fliege ich bereits wieder ab.“ Und vorher hätte sie Zeit, sich mit Northcliffe zu treffen und dabei hoffentlich den großen Deal mit de Vries abzuschließen.

„Ich glaube nicht, dass du vor zwei Jahren auf das Geld aus gewesen bist“, sagte Constantine unvermittelt. „Aber ich konnte nicht akzeptieren, dass du mehr Loyalität für deinen Vater und eure Firma als für mich empfunden hast.“

„Ich hatte Angst, dass du unsere Verlobung auflöst, wenn du herausfindest, dass ich damals von dem Geschäft unserer Väter wusste. Was dann ja auch passiert ist. Ich schätze, der Mangel an Vertrauen hat sich für uns beide nicht ausgezahlt.“

Er strich sanft durch ihr feuchtes Haar. „Vor zwei Jahren“, gestand er heiser, „habe ich nicht richtig nachgedacht.“

Ein lustvoller Schauer erfasste sie, als sie seiner Berührung auf ihrer Haut nachspürte. „Sagst du etwa, dass du dich geirrt hast?“

„Ich sage, dass ich dich niemals hätte gehen lassen dürfen.“

Das war zwar nicht exakt das Eingeständnis, das sie sich gewünscht hätte. Als er seine Finger jedoch ihren Nacken hinuntergleiten ließ und sie in seine Arme zog, wurde sie von einem so starken Verlangen gepackt, dass es jeden anderen Gedanken unwichtig werden ließ.

11. KAPITEL

Constantine hielt ihren Blick fest und beugte sich langsam vor. Sienna hätte ausreichend Zeit gehabt, dem Kuss auszuweichen. Doch sie erkannte, wie sehr sie sich gewünscht hatte, dass er sie küsste – und dann spürte sie auch schon seine Lippen auf ihren.

Sie legte die Hände auf seine Brust und schwelgte in seinem Duft, der aufregende Erinnerungen in ihr wachrief. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie sich sein muskulöser Körper an ihrem angefühlt hatte, wie sie seine Hände auf ihren Hüften gespürt hatte … Sie dachte an die pure Lust, die Constantines Berührungen in ihr hervorriefen – diese atemberaubende Vertrautheit, die sie beim Sex empfand …

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und erwiderte seinen Kuss voller Leidenschaft. Unwillkürlich stöhnte sie leise auf. Constantine trat noch dichter an sie heran, sodass sie mit dem Rücken gegen die Tür stieß. Sein Griff war so sacht, sie hätte sich jederzeit von ihm losmachen können – eine Hand lag in ihrem Nacken, die andere leicht an ihrem Po. Doch sie verspürte nicht das geringste Bedürfnis, sich von ihm zu entfernen.

Eine leise innere Stimme erhob Einwände dagegen, dass sie sich derart widerstandslos einem Mann hingab, den sie zwei Jahre lang aus einer Vielzahl von triftigen Gründen gemieden hatte. Es war gegen jede Vernunft und darüber hinaus auch noch erniedrigend, dass sie jetzt seiner körperlichen Anziehungskraft erlag. Doch der draufgängerische Teil von ihr scherte sich nicht um Vernunft.

Sie schlang ihre Arme um Constantines Nacken, schmiegte sich eng an ihn und spürte dabei deutlich seine Erregung. Eine unbändige Hitze flammte in ihr auf, begleitet von einem unbeschreiblichen Hochgefühl. Zwei Jahre, und nichts hatte sich verändert.

Warum nur begehrte sie ihn immer noch so vollständig und mit ganzem Herzen? Warum hatte sie im Gegenzug so wenig für den netten Kerl empfunden, den sie nach Constantine ein paar Mal getroffen hatte? Genauso war es mit ein paar anderen attraktiven Geschäftsleuten aus Sydneys Innenstadt gelaufen …

Sie hätte längst ein vergnügliches und behagliches Leben mit jemandem führen können, der sie aufrichtig liebte. Ein Zuhause, Babys …

Constantines Lippen berührten ihren Hals, und sie spürte die leichten Bartstoppeln an seinem Kinn. Ein sehnsuchtsvolles Ziehen durchfuhr sie, und hemmungslos suchte sie mit ihren Lippen seinen Mund.

Es war nicht mehr zu ignorieren: Sie reagierte auf keinen anderen Mann so, wie es bei Constantine der Fall war. Zwar war die Vorstellung etwas deprimierend, dass sie sich möglicherweise zu ihm hingezogen fühlte, weil er so schwierig war. Doch vielleicht brauchte sie nach so vielen Jahren nicht nur beruflich, sondern auch in der Liebe eine Herausforderung, um sich lebendig zu fühlen.

Lust war nun einmal Lust – aber sie hatte sich immer von ihrem Kopf leiten lassen, obwohl sie eine junge Frau mit einem gesunden Sexualtrieb war. Allerdings war sie auch sehr wählerisch und legte stets Wert darauf, dass alles perfekt arrangiert war: die Blumen und ihre Dessous beispielsweise … Sie würde sonst unentwegt daran denken, wenn etwas nicht hundertprozentig ihren Vorstellungen entsprach – und mochte es noch so unbedeutend sein.

Dasselbe galt für die Männer in ihrem Leben. Sie mussten attraktiv sein, sich gut anfühlen und den richtigen Duft haben – sonst war sie nicht interessiert. Obwohl Constantine im Grunde genommen eine Nummer zu groß und viel zu gefährlich für sie war, schien er auf der anderen Seite in jeder wichtigen Beziehung genau richtig zu sein. Niemand hatte ihm bisher das Wasser reichen können.

Er streichelte ihre Taille. Durch den hauchdünnen Stoff ihres Sarongs fühlte es sich an, als würde er ihre nackte Haut berühren. Sie spürte, wie er seine Finger höher gleiten ließ, wie er ihre Brüste zuerst ganz leicht, dann fester umfasste. Mit den Daumen strich er über ihre Brustwarzen … und es kam ihr so vor, als könne sie vor Lust nicht mehr klar denken. Seine Daumen beschrieben langsame, kreisende Bewegungen, und das beinahe schmerzhafte Ziehen zwischen ihren Schenkeln schien immer drängender zu werden – bis es Sienna plötzlich gelang, ihren Kopf wieder einzuschalten.

Oh, nein. Auf gar keinen Fall.

Sie befreite sich aus seiner Umarmung, so heftig, dass sie dabei mit dem Kopf gegen die Tür stieß. „Ich kann das nicht tun, nicht schon wieder“, keuchte sie. „Ich brauche meinen Schlüssel.“

Wortlos reichte er ihr die Karte. Hastig öffnete sie die Tür und hob das Handtuch auf, das im Eifer des Gefechts zu Boden gefallen war. „Dieser Kuss war ein Fehler. Ich bin geschäftlich hier und kann nicht zulassen, dass irgendwas schiefgeht.“

„Mach dir keine Sorgen um Ambrosi-Pearls“, sagte Constantine mit leicht heiserer Stimme.

Sienna bemühte sich, ihm nicht in die Augen zu schauen. Stattdessen richtete sie den Blick auf seine Brust. Sein dünnes T-Shirt lag so eng an seinem Brustkorb an, dass sich seine Muskeln deutlich von dem Stoff abhoben. Plötzlich musste Sienna daran denken, wie er eben ihre Brust berührt hatte … Schnell schaute sie weg, trotzdem schienen ihre Nerven vor Anspannung zu vibrieren. „Was willst du damit sagen?“

Er neigte den Kopf, um sie ein weiteres Mal zu küssen, und völlig willenlos ließ sie es geschehen.

„Ganz einfach. Ich will dich zurück.“

Mit wild klopfendem Herzen schloss Sienna die Tür hinter sich. Nach einem leichten Frühstück auf ihrem Zimmer hatte sie immer noch weiche Knie, als sie ins Bad ihrer Suite ging und lange duschte. Danach trocknete sie sich das Haar und trug ein sorgfältiges Make-up auf. Prüfend betrachtete sie sich im Spiegel. Eine coole, gelassen und mondän wirkende Frau schaute ihr entgegen – genau das Gegenteil von dem, wie sie sich fühlte.

Constantine wollte sie zurück.

Allerdings ergab es keinen Sinn, dass er behauptet hatte, Ambrosi-Pearls würde nichts geschehen. Sonst trennte er stets Geschäft und Vergnügen.

Sie holte noch den Probenkoffer aus dem Safe, dann ging sie zu Northcliffes Suite. Doch bereits ein paar Minuten später, sie hatten erst wenige Worte gewechselt, bemerkte sie, wie North­cliffe verstohlen auf die Uhr sah. Ihr wurde klar, dass das Gespräch nicht so lief, wie sie erhofft hatte.

Autor

Fiona Brand
<p>Fiona Brand ist eine Autorin aus Neuseeland. Derzeit lebt Sie an der wunderschönen „Bay of Islands“, einem subtropischen Paradies zum Angeln und Tauchen. Dort genießt Sie die traumhafte Natur zusammen mit ihren beiden Söhnen, zwei Wellensittichen und einem Goldfisch. Sie liebt Bücher seit sie alt genug ist Seiten umzublättern Mit...
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