Die Quinns: Devin, der Beschützer

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Wildes Verlangen, unbändige Lust: Die Gefühle treffen Elodie völlig unvorbereitet, als sie ihre Jugendliebe Devin wiedersieht. Denn sie ist zurück in der Heimat, um ihr Erbe zu regeln - nicht für hemmungslose Nächte mit einem Mann, von dem sie immer noch Welten trennen! Was nun?


  • Erscheinungstag 31.12.2018
  • Bandnummer 27
  • ISBN / Artikelnummer 9783733759926
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

„Halt dich gerade und sag ‚danke‘, wenn du dein Geschenk bekommst.“

Devin Cassidy sah zu seiner Mutter hinüber, als sie den vereisten Gehweg entlanggingen. Mary Cassidy hatte für die mächtige Winchester-Familie als Haushälterin gearbeitet, solange Dev denken konnte, und sie nahm ihre Position sehr ernst.

Jeden Morgen verließ sie das Haus, noch ehe die Sonne aufging, und kehrte erst eine Stunde, bevor er zu Bett ging, zurück. Meist war sie so erschöpft, dass sie lediglich seine Anwesenheit registrierte, bevor sie sich mit einem kalten Waschlappen auf der Stirn aufs Sofa fallen ließ. Dev machte ihr Abendessen und stellte es auf einen Klapptisch neben dem Sofa, dann schaltete er den Fernseher ein und zog sich in sein winziges Zimmer zurück.

Als er kleiner gewesen war, hatte er sich gefragt, warum er keine normale Familie hatte wie so viele seiner Freunde – einen Vater, eine Mutter und sogar Großeltern. Aber wenn er seine Mutter fragte, schlug ihm erst eisiges Schweigen entgegen. „Ich bin deine Mutter“, sagte sie dann. „Ich sorge für dich. Du brauchst sonst niemanden.“

Er fragte nicht mehr. Er hatte so lange ohne Vater gelebt, und sie kamen zu zweit gut zurecht.

Als sie das Winchester-Haus erreichten, waren seine Füße und Finger taub vor Kälte, und seine Nase lief. Seine Mutter begutachtete ihn, wischte seine Nase ab und glättete sein zerzaustes Haar. „Die Winchesters sind der Meinung, dass man Kinder sehen, aber nicht hören sollte“, erinnerte sie ihn.

„Ich bin kein Kind.“ Himmel, er war beinahe dreizehn, und er hatte jedes Weihnachten bei den Winchesters verbracht. Aber seine Haltung der Feier gegenüber hatte sich verändert.

Früher hatte er nur daran gedacht, dass er ein teures Geschenk erhalten würde. Und nicht zu vergessen das Essen – alle möglichen Süßigkeiten, die er noch nie probiert hatte.

Die Winchesters waren anders … besonders. Jedermann wusste, dass sie reich waren, aber das Geld brachte auch Respekt und Macht. Niemand sprach schlecht von den Winchesters. Jeder in der Stadt war ihnen verpflichtet.

Frederick Winchester gehörte die Stadt – ihm gehörten die riesige Textilfabrik am Fluss, die meisten der Geschäfte in der Innenstadt und viele der kleinen Häuser, die die ruhigen Straßen säumten.

Ohne ihre Arbeit im Winchester-Haus hätte Devs Mutter nichts gehabt. Von dem Lohn bezahlte sie ihre Miete für das kleine Haus direkt an Frederick Winchester, sie durfte auf Kredit im Lebensmittelladen einkaufen, der ebenfalls den Winchesters gehörte, und wenn jemand krank war, ging man ins Winchester-Krankenhaus.

Dev stand hinter seiner Mutter, als sie an die Tür klopfte. Ein paar Augenblicke später öffnete eines der Kinder die Tür. An diesem Abend gab es kein Personal. An einem Abend im Jahr bediente die Familie ihre Angestellten.

„Guten Abend“, sagte das junge Mädchen.

„Guten Abend, Miss Elodie“, erwiderte Mary. „Sie sehen bezaubernd aus.“

„Danke, Sie auch.“ Sie trat beiseite und bat die Gäste herein. Elodie wandte sich an Dev und streckte die Hand aus. „Hallo, Devin. Schön, dich zu sehen. Darf ich euch eure Mäntel abnehmen?“

Dev starrte ihre Hand an, dann schüttelte er sie rasch. „Danke“, murmelte er. Er schlüpfte aus seinem Mantel und wartete, als seine Mutter dem Mädchen auch den ihren reichte. Elodie verschwand kurz und kehrte dann ohne die Mäntel zurück.

„Ich bringe euch hinein“, sagte sie und führte die Besucher in Richtung des riesigen Salons rechts der gewundenen Treppe. Dev ließ Elodie nicht aus den Augen. Sie war kein kleines Mädchen mehr, sondern eine selbstbewusste junge Dame, anmutig und schön.

„Mama, Papa, seht, wer hier ist. Mary und ihr Sohn Devin.“

Die ganze Familie begrüßte sie und wünschte Mary frohe Feiertage. Dev tat, was von ihm erwartet wurde, schüttelte Hände und wünschte ebenfalls fröhliche Weihnachten. Als man ihn zu den Tischen führte, auf denen die Speisen angerichtet waren, nahm Dev höflich ein paar Süßigkeiten und setzte sich in eine Ecke neben dem Anrichtezimmer.

Der Höhepunkt der Feier würde das Überreichen der Geschenke sein, der Teil, den Dev am meisten hasste. Frederick Winchester würde jedem der Kinder ein teures Geschenk machen und dann erwarten, dass seine Angestellten den Winchesters ihre tiefste Dankbarkeit entgegenbrachten, weil sie ihnen Arbeit und ein Dach über dem Kopf gaben. Dev fragte sich, wie seine Mutter das Jahr für Jahr schaffte, ohne je ihren Platz in der Welt anzuzweifeln oder wegen ihres mageren Lohns und der langen Arbeitszeiten zu klagen.

Dev fragte sich, wie langer er noch so tun konnte, als sei es für ihn in Ordnung. Letztes Jahr hatte er sich geweigert, sein Päckchen zu öffnen – als er es dann später doch getan hatte, war darin eine neue Playstation gewesen. Er hatte kein Geld, um sich die Spiele zu kaufen, aber daran hatte Frederick Winchester nicht gedacht.

Dev hasste es, vor den Winchesters katzbuckeln zu müssen. Aber seiner Mutter war diese Arbeit wichtig, und Dev hätte alles für sie getan. Eines Tages würde er einen Job haben, in dem er gut verdiente, und dann würde er die Winchesters und ihr Geld hinter sich lassen.

„Psst.“

Dev sah von seinem Teller auf. Die Tür des Anrichtezimmers öffnete sich ein Stück, und er erkannte Elodies Gesicht.

„Was ist?“, fragte er.

„Willst du etwas sehen?“, entgegnete Elodie.

Er sah sich um, aber niemand achtete auf ihn. „Was?“

„Komm, ich zeige es dir.“

Dev setzte seinen Teller auf einem Tisch ab und schlüpfte dann leise ins dunkle Anrichtezimmer. Dort ergriff Elodie seine Hand, und er folgte ihr durch die Küche zur Treppe für die Angestellten.

Die Stufen hinaufzusteigen schien eine Ewigkeit zu dauern; die letzte Treppe war dazu noch besonders eng und gewunden. Schließlich öffnete Elodie eine Tür und schaltete das Licht ein.

„Wo sind wir?“, fragte er.

„In einem geheimen Raum auf dem Dachboden.“

„Und was ist hier oben?“

„Sieh es dir an“, antwortete sie und zog ihn hinein.

Mitten in dem riesigen Zimmer stand ein großer Tisch, aber man konnte nicht erkennen, was sich darauf befand, da alles mit einem großen Tuch bedeckt war. Doch dann riss Elodie es plötzlich beiseite und legte einen Schalter um. Der Tisch wurde hell erleuchtet, und Spielzeugeisenbahnen begannen, auf gewundenen Schienen zu fahren.

Fasziniert trat Dev näher. Es mussten mindestens zehn Züge sein, die durch Tunnel und kleine Städte mit von innen beleuchteten Häusern fuhren.

„Wow“, murmelte er.

„Ja, wow“, wiederholte Elodie.

Er sah zu ihr hinüber. „Gehört die dir?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nein, sie gehörte meinem Großvater. Als er noch lebte, hat er uns jedes Weihnachten damit spielen lassen, aber jetzt schließt mein Vater die Tür immer ab. Er hasst die Züge. Er und mein Großvater haben sich nie richtig verstanden. Aber ich vermisse ihn.“

„Wo ist er?“

„Er ist gestorben, als ich sieben war. Er lebte bei meiner Tante in Kalifornien.“

„Tut mir leid“, antwortete Dev, überrascht, dass er Tränen in ihren Augen sah. Er nahm ihre Hand und drückte sie.

„Mir auch. Aber ich bin sicher, Großvater hätte gewollt, dass ich mit den Zügen spiele. Ihm hat es immer Freude bereitet.“

Elodie zeigte Dev die Steuerung und sah zu, wie er die Züge fahren ließ. Sie ging um den Tisch herum und zeigte ihm all ihre liebsten Züge und Gebäude. Er folgte ihr, lauschte ihrer Stimme und war in der Magie des Augenblicks gefangen.

Und dann war es vorbei. Sie sah auf ihre Uhr. „Es ist Zeit für die Geschenke“, sagte sie und lief zur Tür. „Komm, wir müssen zurück.“

Sie eilten die Treppen hinab, durch die Küche und in den Anrichteraum. Elodie spähte in den Salon. „Du gehst vor. Wenn sie dich fragen, wo du warst, sag einfach, dass ich dir gezeigt habe, wo das Bad ist.“

Dev drehte sich zu ihr um und riskierte es. Er beugte sich vor und küsste sie auf die Wange. Er hatte noch nie ein Mädchen geküsst und war überrascht wie einfach – und schön – es war. „Danke“, sagte er. „Es hat Spaß gemacht.“

Elodie lächelte. „Mir auch.“

Als er zurück ins Esszimmer ging, wusste Dev, dass er nie wieder über die Weihnachtsfeiern der Winchesters denken würde wie früher. Er würde sich immer an diesen Abend und den Moment erinnern, als er Elodie Winchester geküsst hatte.

Er beobachtete sie die restliche Feier lang, während sie sich unter die anderen Gäste mischte. Wenn er sie noch einmal hätte küssen können, er hätte es getan. Aber er wusste, wie gefährlich es war, diese unsichtbare Linie zu überschreiten. Sosehr er Elodies Gesellschaft auch genießen mochte, das hier dauerte nur diesen einen Abend.

Es würde hier anfangen und enden.

1. KAPITEL

Dev Cassidy hielt mit dem Streifenwagen vor Zelda’s Café. Die Sonne war vor über einer Stunde aufgegangen, und das verschlafene Städtchen Winchester begann gerade, zum Leben zu erwachen.

Als die Textilfabrik noch in Betrieb gewesen war, hatte der Tag in der Stadt wesentlich früher begonnen. Die Pfeife, die die Frühschicht ankündigte, hatte die Stille des Morgens um genau sechs Uhr durchbrochen. Aber alles hatte sich verändert, seit das Hauptgeschäft der Winchester-Familie zusammengebrochen war. Viele der Einwohner hatten ihre sichere Zukunft verloren. Geschäfte hatten geschlossen, die Leute waren fortgezogen, und binnen drei Jahren war Winchester nicht mehr als eine leere Hülle voller verlassener Gebäude und zerstörter Leben.

Die meisten gaben Frederick Winchester die Schuld, aber Dev wusste, dass mehrere Faktoren eine Rolle gespielt hatten. Die Textilfabrik der Winchesters war eine der letzten in Familienbesitz gewesen. Mit den neuen, modernen Fabriken der Großkonzerne mitzuhalten war unmöglich gewesen. Die Finanzkrise von 2008 war auch nicht gerade hilfreich gewesen.

Dennoch hatte die ganze Sache einen bitteren Nachgeschmack für die Einwohner von Winchester. Ein paar Wochen, nachdem die Fabrik geschlossen worden war, hatte die Familie alles zusammengepackt und die Stadt verlassen. Dann war die Wahrheit ans Licht gekommen: Die Winchesters waren pleite, die Fabrik mit Hypotheken belastet, und man hatte nichts mehr tun können, außer zu schließen und das Unternehmen aufzulösen. Renten waren verschwunden, und die Hoffnungen und Träume von einer strahlenden Zukunft waren zerstört worden.

Vielleicht wäre es nicht so schlimm gewesen, wenn Frederick Winchester anders mit der Situation umgegangen wäre. Er hatte kein Interesse daran gehabt, seine Firma zu retten, und alles unter Wert verkauft. Innerhalb von einer Woche hatten sich die Winchesters mit den letzten Pennys des Familienvermögens aus dem Staub gemacht. Alles, was blieb, war das Herrenhaus auf dem Hügel, das die sterbende Stadt überblickte.

Als Dev aus dem Wagen stieg, sah er zum frisch gestrichenen Schild über der Tür des Cafés hinauf. Angespornt von dem Versuch des Stadtrats, das Geschäftsviertel wiederzubeleben, hatte Zelda’s Café letzten Monat eröffnet. Joan Fitzgerald, die Besitzerin, war Geschäftsführerin der Fabrik gewesen. Nun buk sie ihre preisgekrönten Zimtschnecken und servierte ausgefallene Kaffeegetränke mit italienischen Namen.

Die Glocke an der Tür läutete, als er in das kühle Innere trat. Klimatisierte Räume waren immer eine angenehme Abwechslung zum heißen, feuchten Wetter, das typisch für den Juli in dieser Ecke von North Carolina war.

Als Dev sich an die Theke setzte, erschien Joanie bereits mit einer Tasse und der Kaffeekanne.

„Das Übliche bitte.“

„Grannys Müsli mit Joghurt und Himbeeren. Ich habe sie gestern frisch gepflückt.“

Es war noch nicht viel los, und Joanie setzte sich ihm gegenüber, nachdem sie sein Frühstück serviert hatte. „Dieser Einbruch bei Fellers Tankstelle – rede mal mit Jimmy Joe Babcock darüber. Seine Bruder war gestern hier und hat erwähnt, dass Jimmy ihm neue Reifen zum Geburtstag geschenkt hat.“

Zelda’s war der Ort, wenn man den Klatsch der Stadt hören wollte, jetzt, da die Fabrik geschlossen war. Wenn in Winchester etwas Interessantes vor sich ging, hörte Joanie davon und informierte Dev. Wie einige andere Geschäftsleute der Stadt hatte auch sie begriffen, dass Dev etwas gegen die Kleinkriminalität tun musste, damit die Stadt wieder aufblühen konnte.

„Ja, ich habe ein Auge auf ihn. Der Junge braucht einen Job. Er ist gerade mal sechzehn und steckt schon in Schwierigkeiten. Hast du nichts für ihn hier im Café?“

Joanie schüttelte den Kopf. „Ich habe dank dir schon mehr als genug Tellerwäscher und Aushilfen. Aber wenn er Fenster putzen kann, dann habe ich Arbeit für ihn.“

Dev sah zu den riesigen Glasfenstern, die auf die Straße hinausgingen. „Dabei könnte ich dir wahrscheinlich helfen.“

Er unterhielt sich noch mit einigen der Gäste, dann holte er sich einen Kaffee zum Mitnehmen und winkte Joanie zum Abschied zu. „Ich schicke jemanden wegen der Fenster vorbei“, rief er, als er zur Tür hinausging.

Dev betrachtete die Straße. Die meisten der Gebäude standen leer, aber hier und da hatten Geschäftsleute einen Weg gefunden, etwas Neues zu schaffen. Winchester war immer von der Fabrik abhängig gewesen, und nun brauchte die Stadt etwas Neues. Aber was?

Plötzlich bemerkte Dev einen weißen Sedan, den er nicht kannte. Er beobachtete ihn, als er langsam vorbeifuhr. Ein Mietwagen. Als er die Fahrerin erkannte, stockte ihm der Atem. Elodie Winchester?

Bevor sie am Ende der Straße hinter der Kurve verschwinden konnte, merkte er sich noch das Nummernschild. Er stieg wieder in den Streifenwagen und nahm das Funkgerät zur Hand. „Sally, hier Dev. Du musst ein Kennzeichen für mich überprüfen. Es ist ein Mietwagen, vermutlich aus Asheville.“ Er lehnte sich zurück und wartete auf Sallys Antwort.

Es ergab keinen Sinn. Die Winchester-Familie war vor sechs Jahren fortgegangen. Und nach dem Chaos, das sie hinterlassen hatte, erwarteten die meisten Leute nicht, je wieder einen von ihnen zu sehen – nicht, dass sie es gewollt hätten.

Himmel, vielleicht bildete er sich das alles auch nur ein. Würde er Elodie überhaupt wiedererkennen? Sie hatten nur einen einzigen Sommer miteinander verbracht. Er war damals siebzehn, sie sechzehn, und sie waren bis über beide Ohren ineinander verliebt gewesen.

Ihre Familie hätte es nie gebilligt, also hatten sie sich heimlich getroffen. Natürlich hatte man sie erwischt, aber keiner von ihnen hatte vorausgesehen, was für Auswirkungen das haben würde.

Ohne Vorwarnung hatten man Elodies Sachen gepackt und sie fortgeschickt. Sie ging nicht länger auf die Privatschule in Asheville. Sie konnte sich nicht mehr abends hinausschleichen, um Dev zu treffen. Es war vorbei.

Es hatte nach Elodie viele Frauen gegeben. Die meisten von ihnen hatte er vergessen, aber Elodie Winchester war ihm im Gedächtnis geblieben. Vielleicht, weil sie es nie richtig beendet hatten. Sie hatte nie angerufen oder geschrieben. Wenn sie an Weihnachten nach Hause kam, war sie unsichtbar geblieben.

Dev hatte nicht versucht, Kontakt zu ihr aufzunehmen. Frederick Winchester hatte sehr deutlich gemacht, dass Mary Cassidy ihren Job und ihr Heim verlieren würde, wenn Dev seine Tochter nicht in Ruhe ließ. Also hatte er sie gehen lassen. Zumindest sagte er sich das.

„Zentrale an Wagen Zero-One.“

„Hier Dev. Was hast du für mich, Sally?“

„Du hattest recht, es ist ein Mietwagen von einem Autoverleiher in Asheville.“

„Wer hat ihn gemietet?“

„Elodie Winchester.“

„Danke, Sally. Behalt das für dich, ja?“

„Klar, Boss. Was, glaubst du, will sie in der Stadt?“

„Keine Ahnung.“

„Wird es Ärger geben?“

„Die Leute haben nicht vergessen, was die Winchesters der Stadt angetan haben. Aber Elodie hatte nichts damit zu tun. Man sollte ihr nicht die Schuld geben.“

„Sie ist eine Winchester“, sagte Sally. „Das macht sie zur Zielscheibe.“

„Ja“, murmelte er. „Ich statte ihr nachher einen Besuch ab und sehe nach, ob alles in Ordnung ist. Ruf mich an, wenn du etwas hörst. In der Zwischenzeit fahre ich zur Highschool. Ich muss mich mit Jimmy Joe Babcock unterhalten.“

„Verstanden.“

Dev startete den Polizeiwagen und fuhr in Richtung Highschool, doch er war mit seinen Gedanken immer noch bei der Begegnung mit Elodie – er hatte sie wirklich wiedergesehen.

Er hatte sich immer gefragt, was für eine Art Frau sie geworden war. Als Teenager war sie süß und albern gewesen, viel zu naiv und willens, bedingungslos zu lieben. Sie hatte ihn dazu gebracht, zu glauben, dass er etwas aus seinem Leben machen konnte. Sie hatte immer das Beste in den Menschen gesehen und sich sogar dann noch geweigert, das Schlimmste zu glauben, wenn ihr die Wahrheit ins Gesicht schlug.

Dev war das genaue Gegenteil gewesen. Mit siebzehn hatte er mit sich und der Welt gehadert. Er hatte selbst miterlebt, wie die Stadt und die Winchesters einen Menschen zermürben konnten. Er hatte nur einen Plan gehabt, und zwar so schnell wie möglich zu verschwinden. Und er hatte genau das getan und die Stadt einen Tag, nachdem er die Highschool abgeschlossen hatte, verlassen.

Er hatte sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten und innerhalb von fünf Jahren einen Abschluss in Strafrecht gemacht. Er hatte auf die Polizeischule in Atlanta gehen wollen, doch dann hatte seine Mutter angerufen. Die Winchesters waren pleite, sie selbst würde ihre Stelle und ihr Heim verlieren und wusste nicht, was sie tun sollte.

Dev war noch im selben Monat nach Winchester zurückgekehrt und hatte das Glück gehabt, bei der Polizei eine Stelle als Streifenpolizist zu bekommen. Als sich die wirtschaftliche Situation der Stadt in den nächsten fünf Jahren verschlechterte, zogen viele seiner Kollegen wegen besserer Jobs fort. Vor zwei Jahren war er dann der dienstälteste Beamte auf dem Revier gewesen und hatte die Stelle als Polizeichef angenommen.

Dev mochte seinen Job. Er wusste, dass das, was er tat, wichtig war. Wenn es eine Chance gab, die Stadt wieder nach oben zu bringen, dann war es der Kampf gegen die Kriminalität. Ein einziges Meth-Labor, eine Bande, die Autos stahl, ja sogar ein cleverer Einbrecher konnte alles zunichte machen. Wenn die Stadt erst einmal einen schlechten Ruf hatte, würde niemand mehr dort leben oder sie besuchen wollen – und sie würde sich niemals erholen.

Er richtete seine Aufmerksamkeit auf eine Gruppe Raucher, die sich in der Ecke des Schulparkplatzes zusammendrängte. Dev hielt vor ihnen an. „Wollt ihr Jungs tatsächlich den Rest eures Lebens damit verbringen, Zigaretten zu kaufen? Wenn ihr jetzt mit dem Rauchen anfangt, ist es später schwierig, damit aufzuhören. Und es ist ein teures Hobby.“ Er wandte sich an einen der Jungen. „Und woher hast du das Geld zum Rauchen, Babcock? Nachdem du so viel Geld für die Reifen für deinen Bruder ausgegeben hast, hätte ich gedacht, du bist ziemlich pleite.“

Dev stieg aus dem Auto und trat vor Jimmy Joe Babcock. „Der Rest von euch kann gehen und Hausaufgaben machen. Ich muss mit Jimmy reden.“ Die Jungen tauschten Blicke, und die Gruppe löste sich langsam auf.

Als die anderen außer Hörweite waren, lehnte sich Dev an den Streifenwagen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich weiß, dass du die Reifen bei Feller gestohlen hast. Was ich nicht weiß, ist, was du jetzt deswegen unternehmen willst.“

Jimmy blickte zu Boden. „Was soll ich denn machen? Ich kann sie nicht zurückgeben. Mein Bruder hat sie schon auf sein Auto aufgezogen.“

„Ich bin sicher, wenn du sie bezahlst, können wir uns etwas überlegen.“

„Ich habe kein Geld“, erwiderte Jimmy Joe.

„Jetzt nicht. Aber wenn du einen Job findest, wirst du welches haben.“

„Es gibt keine Jobs“, antwortete der Junge. „Mein Dad sucht seit zwei Jahren.“

„Willst du es wirklich in Ordnung bringen?“, wollte Dev wissen.

Jimmy Joe nickte.

„Nach der Schule gehst du in den Eisenwarenladen. Ich hinterlege eine Liste mit Materialien, die du abholst. Du kannst alles auf meine Rechnung setzen lassen. Dann bringst du die Sachen zu Zelda’s. Wir treffen uns dort.“

„Was werden wir machen?“

„Wir werden dich zu einem aufrechten Bürger von Winchester machen“, erklärte Dev. „Und bis du die Reifen abbezahlt hast, will ich nicht mehr sehen, dass du Geld für Zigaretten ausgibst.“

„Ja, Sir.“

„Und jetzt zurück in die Schule mit dir.“

Dev sah dem Jungen hinterher.

Er würde die Probleme von Winchester eines nach dem anderen angehen. Mehr konnte er nicht tun. Aber wenn Jimmy tatsächlich bei Zelda’s auftauchte, konnte er den Tag als erfolgreich verbuchen.

Dev stieg in den Streifenwagen ein. Nun musste er sich um ein anderes Problem kümmern. Um eines, das eher persönlicher als beruflicher Natur war.

Elodie Winchester ging die Stufen zur Veranda des Hauses hinauf, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte.

Es war aus dem für die Gegend typischen roten Backstein im Queen-Anne-Stil gebaut. Eine breite Veranda umgab das gesamte Erdgeschoss. Das Ziegeldach wurde von schlichten Holzpfeilern gestützt. Das Haus war von ihrem Urgroßvater um die Jahrhundertwende errichtet worden, nur zehn Jahre, nachdem er seine Textilfabrik eröffnet hatte.

Aber nun es seit sechs Jahren leer, und sie konnte sehen, wie viel Arbeit es machen würde, ihm wieder zu seiner alten Pracht zu verhelfen.

Elodie hatte nie darüber nachgedacht, was es kostete, ein solches Haus zu unterhalten. Für sie war es immer ein Märchenschloss gewesen. Nun war es ihr Haus, die einzige Entschädigung, die sie bekommen hatte, nachdem ihr Vater ihren Treuhandfonds geplündert hatte, um dem Bankrott zu entgehen.

All ihren Geschwistern war das Gleiche passiert, aber die meisten von ihnen hatten bereits jahrelang Geld aus den Fonds genutzt. Sie war diejenige, die am meisten verloren hatte, also hatte sie das Einzige bekommen, was noch nicht verkauft worden war – oder verkauft werden konnte.

Das Haus war seit Jahren auf dem Markt, aber sein Zustand und die schlechte Wirtschaftslage und Stimmung der Stadt hatten alle potentiellen Käufer vertrieben. Niemand in Winchester konnte es sich leisten, es zu kaufen, geschweige denn, es zu bewohnen. Und niemand von außerhalb der Stadt wollte hier leben.

Elodie zog die Schlüssel aus der Tasche, schloss auf und ließ die Vordertür weit aufschwingen, bevor sie über die Schwelle trat. Sie war überrascht, dass es nicht muffig roch. Obwohl es heiß und stickig war, hing der Duft von Zitronenöl und Bohnerwachs in der Luft.

Als sie durch die beinahe leeren Zimmer schlenderte und den Finger über Stuhllehnen und Kaminsimse gleiten ließ, fand sie kaum eine Spur von Staub. Das Geräusch von fließendem Wasser ließ sie aufschrecken. Sie folgte ihm in den hinteren Teil des Hauses, wo sich die Küche befand. Eine schlanke Frau in einer vertrauten Uniform stand über die Spüle gebeugt.

„Mary?“, fragte Elodie. „Mary Cassidy?“

Die Frau drehte sich um. „Miss Elodie. Als ich gehört habe, dass Sie in der Stadt sind, bin ich sofort hergekommen. Es ist ein bisschen staubig, aber ich bringe es in kürzester Zeit wieder zum Glänzen.“

„Mary, ich verstehe nicht ganz. Haben Sie all die Zeit hier saubergemacht?“

„Ich konnte das Haus doch nicht verkommen lassen“, erklärte Mary. „Ich komme einmal die Woche und tue, was ich kann. Ich muss sagen, ohne die Möbel ist es einfacher.“

Autor

Kate Hoffmann
Seit Kate Hoffmann im Jahr 1979 ihre erste historische Romance von Kathleen Woodiwiss las – und zwar in einer langen Nacht von der ersten bis zur letzten Seite – ist sie diesem Genre verfallen. Am nächsten Morgen ging sie zu ihrer Buchhandlung, kaufte ein Dutzend Liebesromane von verschiedenen Autorinnen und...
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