Die Saison der Liebe - Umworben von Londons begehrtesten Junggesellen

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LORD MEINER SEHNSUCHT von MARY NICHOLS
Ein Leben an der Seite von Mark Wyndham, davon träumt Jane. Aufopferungsvoll kümmert er sich mit ihr um ihr Herzensprojekt: ein Waisenhaus. Und als Mark ihr bei einem Frühlingspicknick tief in die Augen blickt, begreift Jane, dass auch er sie begehrt. Doch sie darf ihn nicht lieben - er ist der Verlobte ihrer Schwester!

DER UNMÖGLICHE VISCOUNT von MARY NICHOLS
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SINNLICHE NÄCHTE MIT DER COMTESSE von BRONWYN SCOTT
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BALLSAISON IN LONDON von LOUISE ALLEN
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  • Erscheinungstag 08.09.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751520119
  • Seitenanzahl 800
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

IMPRESSUM

Lord meiner Sehnsucht erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

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Postfach 301161, 20304 Hamburg
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Fax: +49(0) 711/72 52-399
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Geschäftsführung: Katja Berger, Jürgen Welte
Leitung: Miran Bilic (v. i. S. d. P.)
Produktion: Jennifer Galka
Grafik: Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

© 2014 by Mary Nichols
Originaltitel: „Scandal At Greystone Manor“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL SAISON
Band 27 - 2015 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Renate Körting

Umschlagsmotive: GettyImages_Kharchenko_irina7, slavazyryanov

Veröffentlicht im ePub Format in 03/2020 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck

ISBN 9783733715984

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Das Dorf Hadlea in der Grafschaft Norfolk, Frühling 1817

S teh doch bitte endlich still, Issie“, sagte Jane. „Wie soll ich denn den Saum abstecken, wenn du ständig von einem Fuß auf den anderen trittst? Und hör bitte auf, dich im Spiegel zu bewundern. Wir wissen doch alle, was für eine schöne Braut du sein wirst.“

Wochenlang hatten sie hin und her überlegt, welchen Stil und Stoff und welche Farbe sie wählen sollten, bevor sie sich endlich für die schwere rote Seide entschieden, und dann wussten sie immer noch nicht, wer das Kleid nähen sollte. „Am besten machst du es“, hatte Isabel zu ihrer Schwester gesagt. „Du nähst ebenso gut wie jede Londoner Modistin, und um vieles besser als die arme Miss Smith.“

Jane lachte. „Na gut, aber Miss Smith soll die einfachen Näharbeiten ausführen. Sie ist auf die Arbeit angewiesen.“ Das ältere Fräulein kam dreimal die Woche aus dem Dorf, um Unterröcke für die Damen des Hauses zu nähen, zerrissene Kleidung zu flicken und die Bett- und Tischwäsche in Ordnung zu halten.

Jane bemühte sich nach Kräften, bei den Hochzeitskosten zu sparen. Ihre Mutter war fest entschlossen, die Hochzeit des Jahres zu feiern, obwohl Sir Edward sie gebeten hatte, nicht zu extravagant zu planen. Jane war wahrscheinlich die Einzige in der Familie, die seine Einwände überhaupt beachtete. Aber Isabels Hochzeit sollte großartig werden, und sie würde ihr Bestes dafür tun. Sie hatte sich mit dem Kleid große Mühe gegeben, bis es perfekt passte. Es hatte eine modisch hohe Taille, die langen Ärmel waren oben locker und am Unterarm anliegend, der Ausschnitt verlief herzförmig und der fließende Rock war bestickt mit rosafarbenen und weißen Rosen. Jetzt musste sie noch den Saum umnähen und die Verzierungen am Ausschnitt und den Ärmeln anbringen – meterweise Bänder und Spitzenborten, dazwischen kleine farbige Perlen. Alles musste von Hand mit winzigen, unauffälligen Stichen angenäht werden – eine ziemlich mühselige Arbeit. Jane gab gern ihre Zeit dafür her und missgönnte ihrer Schwester ihr Glück nicht, obwohl es für sie selbst ein Opfer bedeutete.

Isabel würde Mark Wyndham heiraten, den Sohn und Erben Lord Wyndhams, der mit seinen Eltern weniger als drei Meilen entfernt auf Broadacres lebte. Die Familien waren seit vielen Jahren befreundet und besuchten einander häufig. Seit Jahren war eine Heirat zwischen Mark und Isabel beschlossene Sache, obwohl Mark erst nach seiner Rückkehr vom iberischen Feldzug gegen Napoleon seinen Antrag gemacht hatte. Dort hatte er sich als Berater von Sir Arthur Wellesley ausgezeichnet, dem heutigen Duke of Wellington. Beide Familien waren erfreut über die Verlobung, und der Vater der Mädchen war erleichtert, dass Isabel keine alte Jungfer werden würde … so wie ihre Schwester Jane.

Abgesehen von ihrem Vater, war Jane die Einzige in der Familie, die begriff, dass sie über ihre Verhältnisse lebten. Ihr Einkommen reichte eigentlich nicht aus, um ihren Lebensstil zu finanzieren. Der Besitz war heruntergewirtschaftet – Zäune blieben ungeflickt und Wassergräben ungereinigt, einige der Cottages mussten ausgebessert werden, und auch das große Haus bedurfte dringend einer Renovierung. Greystone Manor war ein wunderschönes altes Gebäude, das schon vielen Stürmen standgehalten hatte – doch drinnen war es schrecklich zugig, und im großen Gesellschaftsraum war es im Winter eisig und auch im Sommer nicht warm. Die Steinfliesen in der riesigen Küche und Milchkammer waren eine Zumutung für die Füße der Dienerschaft. Die Familie benutzte gewöhnlich den kleineren Salon als Wohnzimmer und den Frühstücksraum als Speisezimmer, außer bei gesellschaftlichen Anlässen. Heute arbeiteten die Schwestern in Isabels Zimmer, von dessen Fenster aus man die Auffahrt überblicken konnte. Draußen schien warm und einladend die Frühlingssonne, und machte Hoffnung auf eine gute Ernte, mit der sie die Verluste vom letzten Jahr ausgleichen konnten.

„So, das war’s“, sagte Jane. „Du kannst es jetzt ausziehen, und ich gebe es heute Nachmittag weiter an Miss Smith. Sie soll den Saum nähen, und ich übernehme das Kräuseln der Volants für den Rock.“

Sie half Isabel aus dem Kleid und faltete es ordentlich zusammen für die Näherin.

Isabel umarmte sie. „Du bist so gut, Jane. Ich wäre gern wie du. In allem bist du so klug und geschickt, egal ob beim Nähen oder Kochen oder beim Umgang mit den Dienstboten. Und mit den Dorfkindern kommst du auch gut zurecht. Du solltest heiraten und eigene Kinder haben.“

„Nicht alle Frauen heiraten, Issie.“ Jane wusste wie jeder andere, dass sie mit siebenundzwanzig längst über das Heiratsalter hinaus war. Ihre Rolle im Leben war die einer Helferin ihrer Mutter, sie bereitete die Hochzeitsfeier ihrer Schwester vor, beruhigte Issie, wenn sie sich mal wieder zu sehr aufregte, und bremste die Verschwendungssucht ihres Bruders. Da sie sich auch in dem nahe gelegenen Dorf Hadlea sozial engagierte, hatte sie viel zu tun und wenig Zeit, ihren Status als alte Jungfer zu beklagen.

„Aber bestimmt wünschst du es dir manchmal?“

„Eigentlich nicht. Ich bin zufrieden mit meinem Leben.“

„Hast du nie einen Antrag bekommen?“

Jane lächelte, aber sie antwortete nicht. Vor zehn Jahren hatte es jemanden gegeben, aber daraus war nichts geworden. Ihr Vater war dagegen gewesen, weil der junge Mann weder Titel noch Vermögen hatte, aus keiner angesehenen Familie stammte und zu keinen großen Hoffnungen Anlass gab. Sie würde einen Besseren finden, hatte ihr Vater gesagt. Der war aber nie gekommen, und der einzige Mann, für den sie Gefühle hatte, erwiderte sie nicht. Es war ihr Geheimnis, das sie noch nie jemandem anvertraut hatte. Sie war nicht schön, und im Vergleich zu ihren jüngeren Schwestern war sie nur eine graue Maus: nett, aber unscheinbar.

Wie es ihren Eltern gelungen war, drei so unterschiedliche Mädchen zu produzieren, konnte sie nicht ergründen. Jane und Isabel hatten beide dunkles Haar, aber damit endeten die Gemeinsamkeiten auch schon. Jane war überdurchschnittlich groß, hatte markante Gesichtszüge, kräftige Augenbrauen und ein energisches Kinn. Isabel, die sechs Jahre Jüngere, war die Familienschönheit. Sie war etwas kleiner und üppiger als Jane, ihr Gesicht war runder und sie zeigte offen ihre Gefühle. Bisweilen war sie trotzig, aber ihre Tränen waren immer schnell vergessen, denn meistens war sie fröhlich. Jane war eher besonnen und behielt ihre Gefühle für sich. Sophie hingegen war blond und blauäugig und hatte mit siebzehn ihren „Babyspeck“, wie ihre Mutter es nannte, noch nicht verloren.

„Tue ich das Richtige?“, fragte Isabel plötzlich und legte sich im Unterrock auf das Bett.

„Was meinst du damit?“

„Indem ich Mark heirate.“

„Du zweifelst doch wohl hoffentlich nicht daran, Issie?“

„Es ist ein großer Schritt. Ich frage mich ständig, ob ich ihn glücklich machen werde, und ob ich mit ihm zufrieden leben kann.“

„Aber du kennst ihn doch schon dein ganzes Leben lang. Du weißt, dass er groß ist und gut aussieht, dass er aufmerksam, rücksichtsvoll und großzügig ist und dich gern verwöhnt. Was sonst kannst du dir noch wünschen?“

„Das ist es ja gerade. Vielleicht kenne ich ihn zu gut. Und vielleicht habe ich den Mann nur noch nicht getroffen, in den ich mich leidenschaftlich verlieben könnte.“

„Isabel, jetzt redest du Unsinn. Die große Liebe ist doch nur ein Märchen, ein romantischer Traum. Es ist viel besser, einen zuverlässigen Mann zu heiraten, der immer zu dir halten wird.“ Isabels plötzliche Zweifel bekümmerten Jane. Sie hatte ihre ganze Willenskraft aufbringen müssen, um ihrer Schwester zur Verlobung Glück zu wünschen, aber dann hatte sie sich voll und ganz in die Hochzeitsvorbereitungen gekniet.

„Auf Mark kann ich mich verlassen, das stimmt“, sagte Isabel. „Aber er ist wie ein Bruder für mich.“

„Mark ist alles andere als ein Bruder.“

„Und dafür danke ich Gott! Ein Teddy reicht vollkommen.“ Teddy war ihr Bruder.

Sie lachten beide, und die Spannung löste sich. Jane half ihrer Schwester in das Tageskleid, bürstete ihr die Haare und band sie zurück. Draußen hörten sie jemanden ankommen, und Isabel ging neugierig zum Fenster. „Es ist Teddy“, sagte sie. „Meine Güte, wo hat er nur diesen Mantel her? Er sieht ja wie eine Hummel aus.“

Jane stellte sich zu ihrer Schwester an das Fenster. Ihr Bruder, der altersmäßig zwischen ihr und Isabel war, stieg gerade von dem Einspänner, den er im Fox And Hounds , der Dorfgaststätte, gemietet hatte, wo er vermutlich von der Postkutsche aus London vor einer halben Stunde abgesetzt worden war. Sein Mantel – ein Cutaway mit breiten Revers – war braun-gelb gestreift, die Hose dazu rehbraun, die Weste gelb mit roten Punkten. „Dazu wird Papa sicher etwas zu sagen haben“, meinte sie.

Sie stiegen gerade die Treppe hinab, als ein Diener ihm die Tür öffnete. Teddy schwenkte seinen braunen Biberhaar-Zylinder vor ihnen. „Jane. Isabel. Ich hoffe, es geht euch beiden gut.“

„Sehr gut“, sagte Jane.

„Woher hast du diesen ungewöhnlichen Mantel?“, wollte Isabel wissen.

„Von Gieves, woher sonst? Gefällt er dir?“ Er drehte sich, um ihn vorzuführen. „Wo ist Papa? Ich muss mit ihm sprechen. Wie ist er gelaunt?“

„Oh Teddy. Sage nicht, dass du wieder gekommen bist, um ihn um Geld zu bitten“, klagte Jane. „Du weißt doch, was er beim letzten Mal gesagt hat.“

„Nun, von dem Gehalt bei Halliday’s kann kein Mensch anständig leben.“ Halliday And Son war eine bekannte Anwaltsfirma, die ihre Praxis in Lincoln’s Inn Fields betrieb. Teddy hatte nach dem Universitätsstudium auf Wunsch seines Vaters dort angefangen, da dieser nicht wollte, dass sein Sohn ein Leben in Müßiggang führte. Allerdings befand er sich immer noch ganz unten auf der Rangliste der Firma und konnte keine so hohen Honorare verlangen wie seine Mentoren.

„Dann höre auf meinen Rat, Bruder“, fuhr Jane fort. „Lege diesen Mantel und die Weste ab, bevor du zu ihm gehst. Das wäre sonst ziemlich abträglich für dein Anliegen.“

„Weise gesprochen wie immer, Jane! Ich werde in mein Zimmer gehen und etwas Unauffälliges anziehen.“ Er nahm seinen kleinen Reisekoffer und rannte die Treppe hinauf.

„Er hat sich nicht geändert“, meinte Isabel.

„Nein, leider nicht. Ich fürchte, uns steht heute ein ungemütliches Dinner bevor.“

Jane sollte mit ihrer Prognose recht behalten. Ihr Bruder trug zwar jetzt ein dunkelgraues Jackett zu einer weißen Weste mit ebensolchem Halstuch, aber offensichtlich hatte er trotzdem keinen Erfolg bei seinem Vater gehabt. Teddy war gekränkt, Sir Edward wütend und Lady Cavenhurst beunruhigt. Jane und Isabel bemühten sich, die Stimmung aufzulockern, indem sie über die Hochzeit und Neues aus dem Dorf sprachen, aber es gelang ihnen nicht. Es half auch nicht, dass Sophie wissen wollte, was eigentlich los war, und warum alle so ernste Gesichter machten. „Man könnte glauben, es wäre jemand gestorben“, sagte sie.

„Ja, ich“, sagte Teddy verdrießlich, worauf sein Vater verächtlich schnaubte und seine Mutter verzweifelt seufzte. Aber niemand gab eine Erklärung ab, und sie aßen schweigend weiter ihr Roastbeef. Nur gelegentlich wurde die Stille unterbrochen, wenn jemand höflich um die Sauciere oder den Salzstreuer bat.

Nach dem Essen zogen sich die Damen in den Salon zurück. Ein Hausmädchen brachte den Tee herein. „Ist Papa sehr böse auf Teddy?“, fragte Jane ihre Mutter.

„Er ist eher enttäuscht als wütend“, sagte Ihre Ladyschaft. Sie war eine attraktive Frau mit einer schlanken Figur und einer würdevollen Haltung, der man ihre neunundvierzig Jahre nicht ansah. „Teddy hatte ihm versprochen, nicht mehr so verschwenderisch zu sein, doch das ist ihm wohl nicht gelungen. Aber lasst uns das Thema wechseln. Es wird sich schon eine Lösung finden.“ Ihre Mutter verschloss ihre Augen gern vor allen Problemen, weil sie fest daran glaubte, dass sich immer alles irgendwie zum Besseren wenden würde.

Sie hatten noch nicht lange dort gesessen, als Sir Edward und Teddy sich zu ihnen gesellten. Teddy entschuldigte sich jedoch bald, Jane erhob sich ebenfalls und folgte ihm aus dem Zimmer. „Teddy“, sagte sie und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Steht es sehr schlecht um dich?“

„Könnte nicht schlimmer sein. Und der alte Mann will mir nicht helfen.“

„Oje, was wirst du tun?“ Sie gingen ins Lesezimmer und setzten sich auf das Sofa.

„Ich weiß nicht, was ich tun soll. Du kannst mir wohl nicht zufällig helfen, Schwesterherz, oder?“

„Wie hoch sind deine Schulden?“

„Na ja …“, fuhr er zögernd fort. „Es sind hauptsächlich Spielschulden, und die müssen unbedingt beglichen werden.“

„Wie viel ist es?“

„Fünftausend – so ungefähr.“

„Fünftausend! Oh Teddy, wie konnte es so weit kommen?“

„Du weißt, wie es ist. Du gewinnst etwas, dann verlierst du etwas, und immer denkst du, dass du es wieder hereinholen kannst. Aber ich hatte Pech.“

„Wem schuldest du das Geld?“

„Lord Bolsover besitzt die größten Schuldscheine, ungefähr dreitausend Pfund, und ein paar andere fordern auch ihr Geld ein. Gieves und Hoby und der Weinhändler müssen noch warten.“

„Worauf? Dass du irgendwann eine Gewinnsträhne hast? Ich hätte ja gedacht, dass es wichtig ist, erst den Schneider und den Stiefelmacher zu bezahlen, weil sie davon leben müssen. Spielschulden sind rechtlich nicht einklagbar. Das solltest du doch wohl wissen.“

„Umso wichtiger, sie zuerst zu bezahlen! Spielschulden sind Ehrenschulden.“

„Ehre …! Teddy, wenn du Ehre im Leib hättest, würdest du Papas Rat beherzigen. Er hat immer sein Bestes für dich getan, aber er ist kein reicher Mann.“

„Das hat er mir auch gesagt.“ Teddy seufzte. „Er hat mir vorgeschlagen, eine reiche Frau zu heiraten, vorzugsweise eine Witwe, die alt und wohlhabend genug ist, um meine Verschwendungssucht aufzufangen.“

Jane musste lachen und sah erleichtert, dass die Lippen ihres Bruders ebenfalls zuckten. „Das hat er nur gesagt, weil er wütend auf dich ist.“

„Er meinte es ernst, Jane.“

„Und dir gefällt der Gedanke nicht?“

„Doch, durchaus, aber nur, wenn zu dem Geld auch ein hübsches Gesicht und eine gute Figur hinzukommt. Aber wo soll ich denn so eine Frau finden, die mich auch nimmt? Selbst wenn, dann dauert es seine Zeit, und die habe ich nicht. Hector Bolsover will sein Geld sofort.“

„Oh Teddy, was für ein Schlamassel!“

„Ich weiß. Kannst du mir nicht helfen?“

„Wo soll ich denn so viel Geld hernehmen?“

„Du hast doch noch das Erbe von Tante Matilda, oder?“

„Das ist aber meine Mitgift.“

„Du heiratest doch sowieso nicht, oder?“

Nur ein Bruder konnte so schonungslos sein. Es tat weh, aber sie ließ es sich nicht anmerken. „Möglicherweise nicht, aber ich habe andere Pläne mit meinem Erbe.“

„Wichtigere als die Rettung deines Bruders vor dem Tod im Wasser?“

Sie seufzte schwer. Seit sie im vorigen Jahr die zerlumpten, barfüßigen Kinder auf den Straßen Londons gesehen hatte, träumte sie davon, ein Waisenhaus für die Kinder der im Krieg gefallenen Soldaten zu eröffnen. Einer der kleinen Bettler hatte ihr seine herzzerreißende Geschichte erzählt: Sein Vater war im fernen Portugal in einer Schlacht gefallen, und seine Mutter war seitdem gezwungen, als Dienstmädchen in einem Haushalt zu arbeiten, in dem Kinder nicht willkommen waren. Sie musste bei ihren Dienstherren leben und konnte die beiden kleinen Zimmer nicht mehr behalten, in denen sie vorher gemeinsam gewohnt hatten. Seitdem schlief der Kleine in Hauseingängen oder unter Bäumen im Park. „Es geht schon“, sagte er und streckte bittend seine Hand aus.

Sie hatte sich gefragt, wie viele andere Kinder so leben mussten, ohne ein Zuhause, anständige Kleidung und ausreichend zu essen zu haben. „Die Regierung sollte sich um sie kümmern“, hatte sie zu ihrer Mutter gesagt und dem Kind ein Sixpencestück gegeben. „Schließlich haben ihre Väter für König und Vaterland gekämpft. Und so belohnt man sie. Es ist eine Schande.“

„Ich wüsste nicht, was wir dagegen tun könnten.“

„Zum Beispiel mit Sir Mortimer sprechen, unserem Abgeordneten, und er könnte es auf die Tagesordnung im Parlament setzen. Oder wir könnten Geld sammeln, um den Kindern ein Zuhause zu geben.“

„Das klingt wie ein schwieriges Unterfangen“, hatte ihre Mutter seufzend gesagt.

Und so hatte Jane ihren eigenen Kreuzzug begonnen, aber es gelang ihr nicht, die Regierung zum Handeln zu bewegen. Sie wollte ein Zeichen setzen. Kein großes, denn das konnte sie sich nicht leisten, aber sie wollte zumindest in ihrer Umgebung etwas bewirken. Ihr schwebte eine kleine Internatsschule für ein gutes Dutzend Kriegswaisen vor. Ihre fünftausend Pfund würden für diese Zwecke nicht ausreichen, darum hatte sie bereits Reverend Mr Henry Caulder und seine Frau dazu bewegt, ihr beim Spendensammeln zu helfen. Sie wollte auch ihr eigenes Geld einbringen, doch wenn sie Teddy jetzt ihr Erbteil überließ, wären ihre Pläne am Ende, bevor sie wirklich damit begonnen hatte.

„Könntest du nicht Lord Bolsover um mehr Zeit bitten, bis uns etwas einfällt?“, erkundigte sie sich.

„Du kennst Seine Lordschaft nicht, sonst würdest du das nicht vorschlagen.“

„Wenn er so ein unangenehmer Mensch ist, warum gibst du dich dann mit ihm ab?“

„Er gehört zu meiner Gruppe von Spielern.“

„Teddy, du bist ein Dummkopf – kein Wunder, dass Papa böse auf dich ist.“

„Meinst du, du kannst ihn überreden? Auf dich hört er. Ich würde für immer in deiner Schuld stehen.“

Sie lachte. „Du hast schon genug Schulden, Teddy, aber ich will sehen, was ich bei Papa für dich tun kann. Nur nicht heute Abend. Gib ihm Zeit, sich zu beruhigen. Wie lange bleibst du?“

„Ich kann mein Gesicht nicht in London zeigen, bis ich wenigstens Bolsover bezahlen kann.“

„Und was ist mit deiner Stellung bei Halliday’s ?“

„Welche Stellung?“

Jane war völlig entgeistert, obwohl sie normalerweise nicht leicht zu erschüttern war. „Oh Teddy, willst du damit sagen, dass du entlassen wurdest? Dann wundert es mich nicht, dass Papa wütend ist.“

„Er weiß es noch gar nicht. Habe mich nicht getraut, es ihm zu sagen. Wenn du mir nicht hilfst, muss ich ins Ausland gehen, nach Indien oder so.“

„Das würde Mama das Herz brechen. Und wir würden alle mit dieser Schande leben müssen. Isabel heiratet in einem Monat. Was würde wohl Mark zu dem Skandal genau zum Zeitpunkt seiner Hochzeit sagen? Geh jetzt, Teddy. Mache dich irgendwo nützlich und lass mich überlegen.“

Er stand auf und ging. Leider fiel ihr keine andere Lösung ein, als ihr Erbe aufzugeben. Doch der Gedanke, dass die Waisenkinder wegen der Selbstsucht ihres Bruders weiter leiden mussten, war kaum zu ertragen. Immer war sie nachsichtig gegenüber den Schwächen ihres Bruders gewesen, aber dieses Mal war er wirklich zu weit gegangen. Wenn es nicht um den Kummer ihrer Mutter und die Hochzeit ihrer Schwester ginge, würde sie ihn schmoren lassen.

„Wenn das nicht Drew Ashton ist“, rief Mark aus, als er seinen alten Freund auf dem Piccadilly auf sich zukommen sah. „Wo hast du dich versteckt? Es muss Jahre her sein, seit wir uns zuletzt gesehen haben.“

„Ich war in Indien, bin gerade heimgekehrt.“

„Und du siehst sehr gut aus, muss man sagen.“ Mark musterte den anderen Mann anerkennend von oben bis unten. Er trug einen perfekt geschneiderten Rock von klerikalem Grau, eine bestickte Weste, dazu ein präzise geschlungenes Halstuch mit Diamantnadel, ein Monokel mit Perlmuttgriff an einer Kette um den Hals, und eine goldene Taschenuhr. Die Hose saß faltenlos und die Stadtschuhe waren glänzend poliert.

„Früher warst du nicht so elegant.“

„Es ist mir gut ergangen da drüben. Aber du siehst auch nicht schlecht aus. Was hast du so gemacht? Wie geht es deiner werten Mutter und Lord Wyndham?“

„Beiden geht es gut. Was mich anbetrifft – ich war mit Wellington auf dem Feldzug in Portugal, bin dann später nach der Schlacht bei Waterloo heimgekehrt, war dann in Indien, und werde mich bald verheiraten. Zurzeit bin ich in London, um mit meinen Anwälten ein paar Punkte des Ehevertrags durchzugehen, außerdem möchte ich mir Kleider für die Hochzeit anpassen lassen.“

„Sicher hast du Zeit, um mit mir bei Grillon’s einen Happen zu essen?“

„Ja natürlich. Gerne.“

Sie gingen gemeinsam die Straße hinunter und betraten das Hotel, wo sie gleich einen Tisch zugewiesen bekamen.

„Erzähle mir doch“, sagte Mark, während sie auf das Essen warteten, „was hat dich eigentlich nach Indien verschlagen? Ich erinnere mich, dass du Broadacres ziemlich überstürzt verlassen hast. Es hatte hoffentlich nichts mit Mamas Gastfreundschaft zu tun?“

„Aber nein. Lady Wyndham ist eine ausgezeichnete Gastgeberin, bei der ich mich sehr wohlgefühlt habe. Doch ich musste mich um eine dringende Familienangelegenheit kümmern. Das habe ich dir damals aber erklärt.“

„Das hast du. Ich hatte es nur vergessen. Und was wirst du jetzt tun, da du zurück in England bist?“

„Ich beabsichtige, einen Anteil an einem Klipper zu kaufen und weiter Handel zu treiben. Das hat sich bisher gut bezahlt gemacht.“

„Du möchtest als Händler arbeiten, Drew?“

„Warum denn nicht? Ich trage meine Nase nicht so hoch, dass ich eine gute Gelegenheit in den Wind schlagen würde, ein Vermögen zu verdienen.“ Ein Kellner brachte duftende Schweinekoteletts, dazu eine große Schüssel mit Gemüse. Sie bedienten sich und aßen mit gutem Appetit.

„Also bist du jetzt ein richtiger Nabob?“, erkundigte sich Mark. Sein Freund sah wohlhabend aus und war sehr gut gekleidet.

„Das könnte man so sagen. Ich bin losgezogen mit der Absicht, ein Vermögen zu verdienen, und damit hatte ich Erfolg. Ich bin nicht mehr der arme Verwandte, der bemitleidet wird, weil keine junge Frau von Stand ihn nehmen würde.“

„So war es doch bestimmt nicht, Drew.“

„Oh doch, glaube mir. Die junge Lady, die ich gern geheiratet hätte, rümpfte nur die Nase über mich. Ich war ihr nicht gut genug.“

Mark hörte leisen Groll in der Stimme seines alten Freundes. „Andere Mütter haben auch schöne Töchter.“

„In der Tat. Allerdings habe ich, im Gegensatz zu dir, nicht vor, mich so schnell an die Kette legen zu lassen.“

„Ich habe es auch nicht eilig. Meine Zukünftige und ich kennen uns seit unserer Kindheit.“

„Erzähle mir von ihr. Ist sie schön? Hat sie ein angenehmes Temperament?“

„Ja zu beiden Fragen. Du kennst sie, Drew. Es ist Isabel Cavenhurst.“

„Cavenhurst!“

„Ja. Du klingst überrascht.“

„Oh nein“, sagte Andrew schnell. „Ich erinnere mich an den Namen. Leben die Cavenhursts nicht in der Nähe von Broadacres ?“

„Ja. Auf der anderen Seite des Dorfes, in Greystone Manor . Als du bei uns zu Besuch warst, waren wir mehrmals dort, erinnerst du dich?“

„Ja, jetzt da du es sagst. Es waren drei junge Damen, von denen die jüngste ein Kind war und die mittlere noch die Schulbank drückte. Die Älteste war siebzehn oder achtzehn. Sie hieß Jane, an die anderen Namen erinnere ich mich nicht mehr.“

„Isabel ist die zweitälteste Tochter und mit Abstand die schönste, Sophie ist jung und entwickelt sich noch. Was Jane betrifft, hat sie viele bewunderungswürdige Eigenschaften, aber betörende Schönheit gehört nicht unbedingt dazu.“

„Also hattest du die volle Auswahl und hast die Mittlere gewählt und nicht die Älteste. Ist das nicht etwas ungewöhnlich?“

„Wir leben nicht mehr im Mittelalter. Meinen Eltern läge es fern, mir vorzuschreiben, wen ich zu heiraten habe. Aber Jane hätte meine Aufmerksamkeiten gar nicht gewollt. Ich glaube, sie hat irgendwann eine Enttäuschung erlebt. Zwar kenne ich die Details nicht, aber sie hat sich eines Tages schlagartig aus der Gesellschaft zurückgezogen, und dann habe ich Isabel häufiger gesehen. Später bin ich nach Portugal gegangen und war sechs Jahre fort. Erst nach meiner Rückkehr habe ich mich mit Isabel verlobt.“

„Wann ist die Hochzeit?“

„Nächsten Monat. Am fünfzehnten.“

„Dann wünsche ich dir viel Glück.“

„Danke. Du musst auch kommen.“

„Ach, ich weiß nicht recht …“

„Außerdem könntest du dann etwas für mich tun.“

„Ja, was denn?“

„Jonathan Smythe sollte mein Trauzeuge sein, aber wegen eines Todesfalls in seiner Verwandtschaft hat er mich im Stich gelassen. Ich brauche jemanden, der mich zum Altar führt, sonst stehe ich ohne Trauzeugen da.“

„Nun, ich fühle mich zwar geschmeichelt, Mark, aber wieso ausgerechnet ich?“

„Weil ich sicher bin, dass du der Richtige bist als einer meiner ältesten Freunde. Wir kennen uns immerhin seit unserer Schulzeit! Sag mir, dass du es tun wirst, Drew.“

„Ich denke darüber nach.“

„Aber bitte nicht zu lange, denn ich fahre übermorgen zurück nach Norfolk, und vorher muss ich die Kleider für die Hochzeit bestellen. Hilfst du mir dabei? Wenn du Lust hast, kannst du mir auch gern dabei helfen, die Geschenke für meine Zukünftige und ihre Brautjungfern auszusuchen. Ich brauche einen Berater.“

Andrew lachte. „Eigentlich wollte ich heute nichts als ein gutes Dinner und vielleicht Karten spielen … und plötzlich soll ich mich mit diesen lästigen Dingen beschäftigen?“

„Wenn du mitkommst, spiele ich anschließend mit dir Karten. Wir könnten zu White’s gehen. Bist du dort Mitglied?“

„Nein, ich bin noch nicht sehr lange zurück. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass man mich ohne Sponsor akzeptiert.“

„Keine Sache, ich führe dich ein. Also, Hand darauf?“ Er legte sein Besteck zur Seite und streckte die rechte Hand aus.

Andrew drückte sie. „Nun gut. Morgen gehen wir einkaufen. Ich verspreche aber nicht, dass ich zu der Feier kommen werde.“

Mark lächelte zufrieden. Zweifellos würde es ihm gelingen, seinen Freund nach Broadacres zu holen, und dann wollte er auch herausfinden, warum er damals so plötzlich verschwunden war. Die Geschichte von der dringenden Familienangelegenheit glaubte er nicht, denn Andrew war nach dem Tod seiner Eltern von einer alten unverheirateten Großtante, seiner einzigen Verwandten, zu Pflegeeltern gegeben worden, bis er in die Schule kam. Drew hatte ihm von körperlichen und seelischen Misshandlungen erzählt. Es hatte Mark immer leidgetan, wenn alle Jungen in den Ferien nach Hause fuhren, und Andrew zurückbleiben musste. Er hatte ihn nach Broadacres eingeladen, aber ein Besuch war dem Jungen verboten worden. Erst als sie die Universität verlassen hatten, konnte er Andrew dazu bewegen, ihn zu besuchen.

Wenn es damals wirklich einen Notfall in seiner Familie gegeben hatte … Warum war Andrew dann plötzlich nach Indien gereist?

Nach dem Essen trennten sie sich mit dem Versprechen, sich sehr bald wieder zu treffen. Mark nahm eine Droschke, um zu Halliday And Son zu fahren, wo er den Sohn, Mr Cecil Halliday, wegen des Ehevertrags sprechen wollte. Mark wollte sicherstellen, dass Isabel genug Nadelgeld haben würde, um sich jederzeit Kleider und andere schöne Dinge kaufen zu können, ohne ihn darum bitten zu müssen. Er war, sich bewusst, dass Sir Edward in finanziellen Schwierigkeiten war und hatte daher auf die ihm zustehende Mitgift verzichtet. Als er in dem Anwaltsbüro eintraf, wunderte er sich, dass Teddy nicht im Vorzimmer saß.

„Wo ist Mr Cavenhurst?“, erkundigte er sich bei Cecil Halliday, nachdem sie sich in dessen Büro begrüßt hatten.

„Er arbeitet nicht mehr bei uns.“

„Das ist mir neu. Wohin ist er gegangen?“

Der Mann zuckte die Achseln. „Das weiß ich nicht. In seine Unterkunft? Oder vielleicht zurück nach Norfolk?“

„Was ist passiert?“

„Dazu darf ich Ihnen keine Auskunft erteilen, Sir.“

„Ich verstehe Ihre Zurückhaltung, aber es handelt sich um meinen zukünftigen Schwager. Ich nehme an, dass Sie auf seine Dienste verzichtet haben?“

„Das dürfen Sie annehmen“, sagte der Mann vorsichtig. „Mehr kann ich Ihnen aber nicht dazu sagen.“

„Selbstverständlich. Ich werde Sie nicht durch weitere Fragen in Verlegenheit bringen. Können wir jetzt zum Geschäftlichen übergehen?“

Nachdem er eine Stunde lang die Details des Ehevertrags geklärt hatte, machte sich Mark auf den Weg zu Teddys möbliertem Zimmer. Der junge Mann sei verschwunden, ohne die Miete zu bezahlen, teilte ihm die Pensionswirtin in betrübtem Ton mit. Mark beglich die Rechnung und kehrte zum Hotel zurück.

Er kannte Teddy schon sein ganzes Leben lang, sie hatten als Kinder zusammen gespielt und waren in dieselbe Schule gegangen. Teddy war vier Jahre jünger, darum hatten sie während der Schulzeit und dem anschließenden Studium wenig Kontakt gehabt. Dann war Mark der Armee beigetreten und nach Portugal gegangen, während Teddy den Posten bei Halliday And Son angetreten hatte. Erst in der letzten Zeit waren sie sich wegen den Hochzeitsvorbereitungen etwas häufiger begegnet.

Mark bemühte sich wirklich, Isabels Bruder zu mögen. Leider war Teddy dreist und unsensibel – der lang ersehnte einzige Sohn, der ein großes Erbe antreten würde. Besonders seine Mama hatte ihn zu sehr verwöhnt. Was hatte er bloß angestellt, um gekündigt zu werden? Was es auch war, Sir Edward würde sicher nicht erfreut darüber sein …

Später am Abend erhielt Mark Informationen, die ein deutlicheres Bild ergaben. Er traf sich mit Drew bei White’s und spielte mit zwei anderen Gentlemen eine Partie Whist. Einer der beiden war Toby Moore, ein ihm flüchtig bekannter Army Captain, der andere war Lord Bolsover. Mit diesen beiden Herren hätte er sonst wohl eher nicht gespielt, aber alle anderen Gentlemen waren schon mitten im Spiel, als er höflich gefragt wurde, ob er wohl „Vierter Mann“ sein wollte.

„Sie sind mit einem der Cavenhurst-Mädchen verlobt, nicht wahr?“, erkundigte sich Bolsover. Er war ein bis zwei Jahre älter als Mark und sehr extravagant gekleidet. Das dunkle Haar trug er kurz und in Löckchen über Stirn und Ohren gekämmt. Erstaunlicherweise war seine Hautfarbe ziemlich dunkel, obwohl er sicherlich viele Stunden an den Spieltischen verbrachte.

„Ja“, antwortete Mark. „Ich habe die Ehre, mit Miss Isabel Cavenhurst verlobt zu sein.“

„Die Hochzeit ist schon bald, nicht wahr?“

„In einem knappen Monat. Warum fragen Sie?“

„Neugier, mein Bester. Ich kenne Cavenhurst ziemlich gut.“

„Sir Edward?“

„Nein, nie gesehen. Ich meinte den Sohn. Wir haben ein paarmal zusammen gespielt. Leider ist er kein guter Verlierer. Vermutlich ist er nach Hause gerannt, um sich Geld zu besorgen. Hoffe, er schafft es bald, denn ich warte nicht gern.“

Das glaubte Mark sofort und fragte sich, wohin die Unterhaltung noch führen würde. „Zweifellos ist er wegen der Hochzeit nach Hause gefahren.“

„Jetzt schon? Das glaube ich nicht. Hoffentlich springt sein Vater ein, denn ich habe alle seine Schuldscheine aufgekauft. Teddy Cavenhurst hat offenbar nie etwas bar bezahlt.“

Mark erschrak, aber er zeigte es nicht, sondern lachte. „Sir Edward hat immer für seinen Sohn geradegestanden, keine Angst.“

„Ich habe aber erfahren, dass das Anwesen in keinem guten Zustand ist und Sir Edward nur mit Mühe über die Runden kommt“, sagte Bolsover nonchalant und öffnete das neue Päckchen Karten, das vor ihn auf den Tisch gelegt worden war.

„Wo haben Sie das gehört? Davon ist mir nichts bekannt.“

Seine Lordschaft lachte. „Befürchten Sie, dass die Mitgift der Lady in Gefahr ist?“

„Nein. Natürlich nicht. Ich weiß nicht, wo Ihre Informationen herkommen, aber Sie sollten demjenigen sagen, dass er sich irrt. Wollen wir jetzt spielen?“

„Sicher.“ Seine Lordschaft mischte die Karten und legte den Packen auf den Tisch. „Heben Sie ab, Mr Ashton, damit wir wissen, was Trumpf ist?“

„Ein zufriedenstellender Abend“, sagte Drew, als sie von White’s zur Jermyn Street liefen, wo er wohnte.

„Du musst ein geübter Spieler sein“, sagte Mark. „Neben dir hat Hector Bolsover keine gute Figur gemacht. Das wird ihm sicher nicht gefallen.“

„Was weißt du von dem Mann?“

„Nicht viel. Ich glaube, er ist unverheiratet und verbringt die meiste Zeit in Clubs und Spielhöllen. Man sagt, dass er nicht immer fair spielt, aber noch nie hat ihm jemand etwas nachweisen können. Wenn er Teddys Schuldscheine hat, könnte das für die Cavenhursts übel ausgehen.“

„Also hast du darüber nachgedacht?“

„Es bereitet mir Unbehagen.“

„Wegen der Mitgift?“

„Großer Gott, nein! Das ist meine geringste Sorge.“

„Sind wir immer noch verabredet, um die Hochzeitsgeschenke zu besorgen?“

„Natürlich.“ Sie blieben vor Drews Wohnhaus stehen. „Und kommst du danach mit nach Broadacres ?“

„Habe ich das gesagt?“

„Nein, aber ich würde dir Isabel gern schon vor der Hochzeit vorstellen. Wir laden die Cavenhursts zum Supper ein.“

Drew lachte. „Wie könnte ich so ein Angebot ablehnen?“

Mark lachte und verabschiedete sich von seinem Freund. Zufrieden machte er sich auf den Weg zur South Audley Street, wo sich das Stadthaus der Wyndhams befand.

2. KAPITEL

P apa, hast du einen Moment Zeit für mich?“ Wie beinahe jeden Morgen saß Janes Vater in seinem Arbeitszimmer. Der Schreibtisch vor ihm war übersät mit Papieren.

„Ach, du bist es, Jane. Komm herein und setze dich. Ich dachte, es sei mein nichtsnutziger Sohn.“

Jane setzte sich auf den Stuhl, wo normalerweise der Gutsverwalter saß. „Es tut mir sehr leid, Papa. Er ist der Grund, warum ich hier bin.“

„Also hat er seine Schwester vorgeschickt, um ein gutes Wort für ihn einzulegen?“

„Er glaubt, dass du nicht ganz verstanden hast, wie tief er in Schwierigkeiten steckt.“

Sir Edward konnte darüber nur lachen. „Ich verstehe das alles nur zu gut, Jane. Er ist es, der nicht versteht, dass ich unmöglich auf seine ungeheuerlichen Forderungen eingehen kann, ohne den Rest der Familie an den Bettelstab zu bringen.“

Jane schnappte nach Luft. „Ist es wirklich so schlimm?“

„Noch schlimmer. Meine Investitionen sind fehlgeschlagen, letztes Jahr hatten wir eine Missernte, bei den Pächtern stehen Reparaturen an, und jetzt kommt auch noch Isabels Hochzeit auf uns zu. Wir müssen drastische Sparmaßnahmen ergreifen. Es tut mir leid, aber Teddy wird selbst eine Lösung finden müssen. Beim letzten Mal habe ich ihn gewarnt, dass ich ihm nicht mehr helfen kann, jetzt muss er lernen, dass ich es ernst meine.“

„Aber was soll er tun, Papa? Er ist noch jung und leicht zu beeinflussen. Natürlich will er es seinen Freunden gleichtun.“

„Dann sollte er seine Freunde sorgfältiger auswählen.“

„Papa …“ Sie stand auf und ging zur Tür, dann drehte sie sich noch einmal um. „Isabels Hochzeit ist aber nicht gefährdet, oder?“

„Nein. Ich denke, das schaffen wir noch.“

Sie verließ ihren Vater, ging jedoch nicht sofort zu ihrem Bruder, denn sie brauchte etwas Zeit, um über die Situation nachzudenken. Eins war klar: Sie würde ihr Erbteil opfern müssen, und je eher sie sich damit abfand, desto besser. Sie ging in ihr Zimmer, legte ein leichtes Schultertuch um und machte sich auf den Weg ins Dorf.

Hätte sie nicht den Kopf voll mit ihren Problemen gehabt, wäre der kurze Frühlingsspaziergang sehr angenehm gewesen. Die Sonne schien, die Vögel sangen, und die Hecken standen in voller Blüte. Das kleine Dorf Hadlea lag im Norden der Moorlandschaft von Norfolk. Es hatte nur eine Kirche, ein Pfarrhaus, eine Windmühle, zwei Gasthäuser und eine Anzahl kleinerer Häuser um den dreieckigen Dorfanger herum.

Jane ging zum Pfarrhaus, wo sie herzlich von der rundlichen Mrs Caulder begrüßt wurde. „Kommen Sie herein, Jane, ich lasse Tee und Kekse in den Salon bringen. Es wird auch Zeit, dass Henry aus seinem Studierzimmer kommt. Da sitzt er schon den ganzen Vormittag und schreibt seine Predigt für morgen.“

Mrs Caulder wuselte umher, gab Anweisungen und rief ihren Gatten, während Jane sich auf einem Stuhl niederließ und überlegte, wie sie erklären sollte, dass sie die versprochenen fünftausend Pfund doch nicht zur Verfügung stellen konnte. Die Wahrheit durfte aber nicht bekannt werden.

„Wie geht es Ihnen, meine Liebe?“, fragte Mrs Caulder. „Sind Sie zu Fuß gekommen?“

„Ja. Es ist so wunderschönes Wetter.“

„Auf jeden Fall. Ah, hier ist Henry ja schon.“

Der Pfarrer war mittelgroß und trug seine langen grauen Haare mit einem schwarzen Band zurückgebunden. Er strahlte Jane erfreut an. „Was für eine Freude, Sie zu sehen, meine liebe Miss Cavenhurst. Es geht Ihnen hoffentlich gut?“

„Sehr gut, danke. Aber leider habe ich schlechte Nachrichten.“

„Doch hoffentlich nicht wegen der Hochzeit?“, rief seine Frau erschrocken und reichte Jane eine Tasse Tee.

„Oh nein, nichts dergleichen. Es ist nur … ich kann dem Waisenprojekt leider die versprochenen fünftausend Pfund nicht geben.“ Sie zögerte und nahm dann Zuflucht bei einer Unwahrheit. „Ich habe herausgefunden, dass ich an das Geld nicht herankomme, bis ich entweder heirate oder in drei Jahren dreißig werde. Ich zermartere mir das Hirn, um einen Weg zu finden, ohne das Geld weiterzumachen.“

„Mein liebes Mädchen, schauen Sie nicht so niedergeschlagen drein, es ist ja nicht das Ende der Welt“, sagte der Pfarrer und setzte sich neben seine Frau, um auch eine Tasse Tee entgegenzunehmen. „Wir werden schon irgendwie ohne Ihr Geld zurechtkommen. Wir müssen eben einen anderen Förderer finden, vielleicht auch mehrere. Ich habe mich nie so ganz wohlgefühlt dabei, dass Sie uns alles geben wollten.“

„Das beruhigt mich ein wenig“, sagte Jane.

„Es gibt Waisenhäuser im ganzen Land, von denen einige besser geleitet werden als andere. Wir werden dort nachfragen, wie sie das machen und außerdem eine Liste möglicher Geldgeber erstellen. Bestimmt können Sie einige Leute zum Spenden bewegen. Es ist für einen guten Zweck, und Sie sind ziemlich überzeugend.“

Jane lachte und ihre Stimmung besserte sich.

Sie lächelte immer noch, als sie auf dem Heimweg über den Dorfanger ging. Gedankenversunken hielt sie den Kopf gesenkt und sah die beiden Männer erst, als sie direkt vor ihr standen.

„Jane, das trifft sich gut“, sprach Mark sie an.

Erschrocken schaute sie auf, und plötzlich fühlte sie sich um zehn Jahre zurückversetzt. Sie erkannte den Mann neben Mark sofort. Die Zeit war gut mit ihm umgegangen. Er sah groß und kräftig aus und war perfekt gekleidet in einen braunen Mantel und beigefarbene Wildlederhosen, die in glänzenden Reitstiefeln steckten. Eine goldene Uhrkette hing über der hellen Brokatweste, und ein großer Diamant funkelte an seinem Halstuch. All das fiel ihr auf, bevor sie aufschaute und ihm ins Gesicht sah. Es war sonnengebräunt, mit kleinen Lachfältchen in den Augenwinkeln.

„Du kennst doch noch Miss Cavenhurst, nicht wahr?“, fragte Mark. „Dies ist Jane, die Schwester meiner Verlobten.“

„Selbstverständlich erinnere ich mich“, sagte Drew und nahm den Hut ab. „Wie geht es Ihnen, Miss Cavenhurst?“

„Sehr gut, danke. Und selbst?“ Sie hatte sich oft gefragt, wie es sein würde, ihm wieder zu begegnen, und ob die frühere Anziehung noch da sein würde. Er war ein äußerst attraktiver Mann, der heute sehr viel selbstsicherer wirkte als damals, als sie ihn abgewiesen hatte.

„Ich bin bei guter Gesundheit, Miss Cavenhurst, und es freut mich, unsere Bekanntschaft zu erneuern. Es ist lange her.“

„Zehn Jahre“, sagte sie leise.

„Ja, und die ganze Zeit hatte ich nur das eine Ziel, eines Tages als vermögender Mann zurückzukehren.“

„Und – haben Sie es geschafft?“

„Ich denke schon.“

„Er ist jetzt ein Nabob“, sagte Mark lachend. „Aber unter der Oberfläche ist er immer noch derselbe Drew Ashton, den ich früher kannte. Er ist zu Besuch auf Broadacres und wird mein Trauzeuge sein.“

„Ich dachte, du hättest schon jemanden für diese Aufgabe“, sagte Jane und schaute ihn an. Er war nicht ganz so groß wie Drew und etwas schmaler, und er wirkte sehr städtisch neben seinem Freund.

„Das ist richtig, aber er kann leider nicht kommen. Als ich Drew zufällig in London begegnete, bat ich ihn einzuspringen.“

Sie wandte sich wieder an Drew. „Also sind Sie hier, um zu sehen, wie es uns allen in Hadlea geht, Mr Ashton. Wir sind eine ruhige Gemeinde, hier ändert sich nicht viel.“

„Außer, dass wir alle älter und weiser werden“, meinte er.

„Jane, ich muss unter vier Augen mit dir sprechen“, sagte Mark. „Vielleicht entschuldigt Drew uns für einen Moment?“

„Selbstverständlich“, sagte Drew. „Ich werde in der Zeit das Dorf erkunden.“ Er verbeugte sich vor Jane. „Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag, Miss Cavenhurst. Ich freue mich darauf, meine Bekanntschaft mit der übrigen Familie zu erneuern, während ich hier bin.“

Höflich neigte sie den Kopf. „Ihnen ebenfalls einen angenehmen Tag, Mr Ashton.“

Sie sah ihm nach, als er sich von ihnen entfernte, dann wandte sie sich an Mark. „Er sieht verändert aus, aber eigentlich ist er wie früher.“

„Nur viel reicher“, sagte Mark lachend.

„Worüber wolltest du mit mir reden?“ Sie mochte nicht über Andrew Ashton sprechen. Sein plötzliches Auftauchen war etwas, womit sie erst fertigwerden musste. Würde er mit ihr über die Vergangenheit sprechen, oder war die Sache für ihn abgeschlossen? Sie wollte eigentlich nicht gern daran erinnert werden.

Mark schien plötzlich unsicher zu sein. „Jane, ich habe Lord Bolsover getroffen, als ich in London war. Drew und ich haben eine Partie Whist mit ihm und einem seiner Freunde gespielt.“

„Du willst mir sagen, dass Teddy ihm Geld schuldet, nicht wahr?

„Du weißt davon?“

„Zu mir kommt mein Bruder immer zuerst, wenn er in Schwierigkeiten ist.“

„Ich glaube, dass er Lord Bolsover eine beträchtliche Summe schuldet, und ich wüsste gern, wie viel es ist.“

„Mark, ich weiß, du meinst es gut, aber es würde Teddy nicht gefallen, wenn ich es jemandem verrate, nicht einmal dir. Wieso willst du das überhaupt wissen?“

„Lord Bolsover verbreitet überall das Gerücht, dass Teddy seine Schulden nicht bezahlt, und er will sein Geld auf Biegen oder Brechen. Er hat sogar angedeutet, dass er euch das Haus wegnehmen würde.“

Sie rang nach Luft. „So viel Geld ist es nun auch nicht, Mark. Das kann er nicht tun, oder?“

„Nicht, solange dein Papa am Leben ist, aber wenn Teddy erbt, sieht es anders aus. Isabel lebt dann bei mir, aber ich sorge mich um dich, deine Mutter und Sophie. Kann Sir Edward die Schulden begleichen?“

Sie zögerte. Schon einmal hatte sie heute die Unwahrheit gesagt, und gerade Mark wollte sie nicht anlügen.

„Komm schon, Jane. Ich gehöre doch bald zur Familie und möchte gern helfen, wenn ich kann. Ich werde niemandem weitersagen, was du mir erzählst.“

„Es geht nicht darum, ob Papa es kann oder nicht. Er weigert sich einfach.“

„Oje. Ist ihm denn klar, wie tief sein Sohn in der Patsche sitzt?“

„Ich weiß nicht, ob Teddy ihm alles gesagt hat. Wenn es wirklich so schlimm ist, wird Papa Schwierigkeiten haben. Ich werde versuchen, Teddy mit meinem eigenen Geld auszuhelfen, vielleicht beruhigt das Seine Lordschaft eine Zeit lang.“

„Jane, das kannst du nicht tun. Es ist doch deine Mitgift.“

Sie lächelte ihn ironisch an. „Es ist unwahrscheinlich, dass ich noch heirate, Mark, das wissen wir doch alle.“

„Unsinn. Du wärst eine perfekte Ehefrau, ich weiß doch, wie sehr du Kinder liebst.“ Er lachte. „Wenn ich nicht bereits vergeben wäre, würde ich dir selbst einen Antrag machen.“

Nun konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Und das, obwohl sie normalerweise immer so ruhig und vernünftig war. Fürsorglich legte Mark seinen Arm um sie, zog sie an sich und drückte ihren Kopf an seine Schulter. „Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen, Jane. Bitte, verzeihe mir.“

Wütend auf sich selbst, zog sie sich zurück. „Oh, das ist es nicht …“, sie schluckte. „Es war nur der Gedanke, dass wir wegen Teddys Schulden so tief sinken könnten.“ Sie trocknete ihre Augen und schluckte.

„Ich bringe dich heim.“

„Nein danke, nicht nötig. Es geht mir gut. Gehe zurück zu Mr Ashton. Er wartet schon auf dich.“ Sie wies mit dem Kopf zu Drew, der auf der anderen Seite des Angers stand, und machte sich auf den Heimweg.

Jane war so ein selbstloser Mensch, sinnierte Mark und ging zu Drew hinüber. Immer dachte sie zuerst an andere, und ihre eigensüchtige Familie betrachtete das als selbstverständlich. Ihr Bruder war ein gewissenloser Taugenichts. Wenn er in Schwierigkeiten war, rannte er sofort zu seiner Schwester. Mark konnte die Schulden eventuell übernehmen, aber er war ziemlich sicher, dass Sir Edward es aus Stolz ablehnen würde, seine Hilfe zu akzeptieren. Teddy hingegen würde erfreut das Geld nehmen und dann so weitermachen wie vorher. Es war sinnlos, ihm etwas zu geben.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, dass du deine zukünftige Schwägerin ein bisschen zu gern hast“, sagte Drew, als sie gemeinsam nach Broadacres zurückgingen.

„Unsinn. Ich habe sie wohl etwas verunsichert.“

„So sah es für mich aber nicht aus.“

„Der Schein kann trügen, und außerdem geht es dich nichts an, Drew.“

„Stimmt, aber die beiden alten Schachteln dort drüben am Gartentor auch nicht. Sie werden sich aber sicher nicht so zurückhalten wie ich.“

Mark schaute hinüber und sah Mrs Stangate und Mrs Finch, die schlimmsten Klatschbasen des Dorfes. „Oh nein! Sie werden natürlich falsche Schlüsse ziehen.“ Er zögerte. „Es stört mich sehr, dass jeder in ihrer Familie sich auf Jane verlässt und erwartet, dass sie alle Probleme löst.“

„Ist es denn so?“

„Ja. Sie will ihr eigenes Geld verwenden, um Teddys Schulden zu bezahlen.“

„Weiß sie, wie viel es ist?“

„Das glaube ich nicht. Außerdem wird ihr Geld vermutlich nicht ausreichen.“

„Sag mal“, meinte Drew nachdenklich. „Warum hast du eigentlich Isabel ihrer Schwester vorgezogen, obwohl du offensichtlich eine so hohe Meinung von Jane hast?“

Mark zögerte. „Hochachtung ist keine Liebe. Jane hat sehr viele Vorzüge, aber ich habe nie auf diese Weise an sie gedacht. Jeder hier hat akzeptiert, dass sie nie heiraten wird, und alle finden es normal, sie nur als Isabels unverheiratete Schwester zu betrachten.“

„Und Isabel?“

„Isabel ist schön und lebhaft, und sie liebt mich. Was kann sich ein Mann sonst noch wünschen?“

„Ja, was eigentlich“, murmelte Drew.

„Warst du schon einmal verliebt?“

„Oft. Ich bin immer verliebt, solange es dauert, aber es hält nie an.“

„Dann warst du noch nie richtig verliebt. Wahre Liebe dauert ein Leben lang.“

„Wirklich?“

„Ja. Bist du enttäuscht worden?“

„Das sagte ich gerade. Oft.“

„Ich habe keine Mätressen gemeint, und das weißt du. Ich meinte eine anständige junge Frau.“ Er unterbrach sich, weil ihm einfiel, was Drew gesagt hatte. „Ach ja, die junge Lady, die dich abgewiesen hat. Sie hat dir wehgetan, nicht wahr?“

„Damals.“

„Also bist du zurückgekommen, um es noch einmal bei ihr zu versuchen?“

„Nein. Es ist lange her, wir haben uns beide verändert.“

„Wer ist es?“

„Das verrate ich dir vielleicht später einmal. Können wir jetzt bitte das Thema wechseln?“

Mark lachte. „Nun gut, behalte deine Geheimnisse für dich. Möchtest du vielleicht heute Nachmittag ausreiten? Ich suche dir ein gutes Tier aus.“

„Eine ausgezeichnete Idee.“

Sie gingen durch das schmiedeeiserne Tor von Broadacres und dann über den Kiesweg zum Haus. Es war ein stattliches Gebäude, das vom Reichtum der Wyndhams zeugte, die es vor langer Zeit erbaut hatten. Es sah wie ein Schloss aus, hatte einen Turm an jeder der vier Ecken und eine Freitreppe, die zu der gewaltigen Eichentür führte. Das Dach war mit Zinnen versehen, die hohen Fenster reflektierten die Sonne und glänzten wie unzählige Spiegel. Mark liebte es. Er würde es einmal erben, und hierher würde er seine Braut bringen. Es gab ausreichend Platz für zwei Familien, darum brauchte er für Isabel und sich kein neues Heim zu suchen.

„Wie gefällt dir Broadacres ?“, fragte er seinen Freund. „Ist es noch so, wie du es in Erinnerung hattest?“

„Ja. Sogar noch schöner. Lord Wyndham muss einen guten Verwalter haben.“

„Den besten, aber mein Vater greift auch gern selbst mit ein, und mich hat er schon immer an seinen Entscheidungen beteiligt. Wenn die Zeit der Übernahme kommt – die hoffentlich noch in weiter Ferne liegt – wird es kaum eine Veränderung geben.“

„Du hast dein Leben genau geplant, Mark. Bringt dich eigentlich nie etwas vom Wege ab?“

„Ab und an, aber ich versuche es nicht zuzulassen. Zu viel Aufregung schadet der Gesundheit.“

Drew lachte. „Darin sind wir sehr verschieden. Ich mag ein bisschen Nervenkitzel, und wenn ich etwas Ungewöhnliches tue, fühle ich mich erst richtig lebendig.“

„War es in Indien nicht sehr spannend?“

„Es gab gute Momente.“

„Erzähle mir davon. Ich habe Isabel eine weite Hochzeitsreise versprochen, und Indien klingt vielversprechend.“

„Ja, es ist ein ganz besonderes Land. Enormer Reichtum und bittere Armut liegen direkt nebeneinander, und es gibt immer wieder Kämpfe zwischen den Eingeborenen und der East India Company. Es ist sehr schön dort, wenn man die Hitze verträgt, doch in den Sommermonaten zieht man sich am besten in die Berge zurück. Wenn du wirklich vorhast, dorthin zu fahren, dann warte noch, bis ich mein Schiff gekauft habe, dann kannst du die Überfahrt darauf machen. Es wäre mein Hochzeitsgeschenk an euch beide.“

„Das ist sehr großzügig, danke.“

„Keine Ursache. Du und deine Familie wart immer großzügig zu mir. Das habe ich nicht vergessen.“

„Wir müssen eine Braut für dich finden.“

„Wenn ich eine möchte, suche ich sie mir lieber selbst“, meinte Drew. „Ich verabscheue es, wenn man mich verkuppeln will. Entschuldige, mein Freund.“

Mark lachte, und sie stiegen die Treppe hinauf und betraten das kühle Innere des Hauses.

Jane musste nachdenken. In den letzten Tagen war der gleichmäßige Verlauf ihres Lebens völlig durcheinandergewirbelt worden. Zuerst war da Teddy mit seinen Problemen, die allein schon schlimm genug waren, dann folgte die Eröffnung ihres Vaters, dass ihre finanzielle Situation prekär war, und jetzt tauchte plötzlich Andrew wie ein Geist aus ihrer Vergangenheit auf. War sie nach all der Zeit so gleichgültig ihm gegenüber, wie sie immer gehofft hatte? Auf jeden Fall hatte diese unvermutete Begegnung ihr zunächst den Atem verschlagen.

Sie machte einen kleinen Umweg nach Hause, damit sie Zeit hatte, zu sich zu kommen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Der Pfad führte durch den alten Wald, der das Haus vor dem kalten Nordwind schützte.

Im Walde war es ganz still, doch wenn sie genau hinhörte, gab es viele Geräusche: lautes Vogelgezwitscher und das Gurren von Tauben, kleine Tiere raschelten in den letzten trockenen Blättern, und der Wind seufzte in den Baumwipfeln. Aus der Ferne hörte sie Hundegebell, ihre eigenen Schritte waren dagegen auf dem weichen Boden kaum vernehmbar. Es gab so viel zu sehen: frische Knospen an den Kastanienbäumen, neue Farnsprosse, die sich gerade entrollten, und die nickenden Blüten der Glockenblumen. Vereinzelte braune Blätter hingen an den kahlen Ästen einer Eiche, die noch nicht ausgetrieben hatte. Ein Schmetterling hatte sich aus seiner Puppe befreit und trocknete die Flügel an einem kleinen, sonnenbeschienenen Plätzchen zwischen den Zweigen. Der Frühling war die Zeit des Neubeginns und der Hoffnung. Wohin würde ihr Leben sie wohl führen? Würde sie so weiterleben wie in den vergangenen zehn Jahren, oder würde sie eine neue Richtung einschlagen?

Sie trat wieder hinaus auf die Landstraße, überquerte den Weg und ging durch ein Tor, das zur Rückseite des Gebäudes führte. Einen Augenblick blieb sie stehen, um ihr Haus zu betrachten. Es war alt, wenn auch nicht so alt wie Broadacres . Erbaut kurz vor dem Bürgerkrieg zwischen König und Parlament, war es von den Parlamentariern beschlagnahmt und dem Vorfahren ihres Vaters für seine Verdienste übereignet worden. Als in der darauf folgenden Restorationszeit die Monarchie zurückkehrte, hatte er seinen Besitz behalten dürfen. Das alles hatte sich vor langer Zeit zugetragen, und Sir Edward erwähnte es nicht oft. Jane vermutete, dass er vielleicht ein wenig enttäuscht war, weil seine Vorfahren nicht geadelt worden waren, denn das hätte ihn über das gewöhnliche Volk erhoben. Umso höhere Erwartungen hatte er für seine Töchter – das war einer der Gründe, warum er so sehr gegen die Verbindung zwischen Jane und Andrew Ashton gewesen war. Jane, die ihren Vater vergötterte und stets folgsam war, hatte auf seinen Wunsch hin ihren Verehrer abgewiesen.

Sie betrauerte dessen Fortgehen ein Jahr lang, dann riss sie sich zusammen und fügte sich in die Rolle der unverheirateten Tochter. Alle Hoffnungen lagen nun bei Isabel. Jahrelang war über eine Heirat zwischen Mark und Isabel gesprochen worden, aber erst nach seiner Heimkehr aus dem Krieg hatte er förmlich um ihre Hand angehalten. Seither konzentrierten sich alle auf diese Hochzeit. Doch nun schien dieses wichtige Ereignis von finanziellen Problemen überschattet zu werden. Ihr Vater hatte sie gebeten, über Einsparungen nachzudenken, doch bisher hatte sie damit noch nicht begonnen. Heute Nachmittag würde sie eine Liste aufstellen.

Rasch ging sie ins Haus und in ihr Zimmer, wo sie das Schultertuch und die Haube ablegte. Dann eilte sie hinunter zu dem kleinen Salon, wo sie ihre Mutter und Isabel, über die Gästeliste für die Hochzeit gebeugt vorfand. Die meisten Freunde und Nachbarn wussten bereits Bescheid, aber es gab noch andere, die nach Lady Cavenhursts Meinung eingeladen werden mussten, obwohl sie der Familie nicht sehr nahestanden. Damit war Sir Edward nicht einverstanden.

„Papa sagt, wir sollen nicht so viele einladen“, beklagte sich Isabel, als Jane sich zu ihnen setzte. „Er sagt, es ufert sonst alles aus, und wir sollen die Anzahl auf fünfzig begrenzen. Ich hatte geplant, mindestens hundertfünfzig Gäste einzuladen.“

„Kennen wir überhaupt so viele Leute?“, fragte Jane freundlich.

„Natürlich. Papa hat keine Ahnung.“

„Zweifellos hat er seine Gründe. Zeig mir die Liste.“

Isabel reichte sie ihr, und Jane überflog die Namen. „Aber hier steht jeder drauf, mit dem du jemals ein paar Worte gewechselt hast, Issie. Wäre es nicht netter, wenn wir nur Verwandte und Freunde einladen würden, die sich wirklich für dich freuen?“

„Vielleicht gehen wir die Liste noch einmal durch“, sagte ihre Mutter. „Aber wir sollten die Anzahl wirklich nicht auf fünfzig beschränken – das sähe knauserig aus.“

Offensichtlich hatte ihre Mutter entweder keine Ahnung, oder sie verschloss ihre Augen vor ihren finanziellen Problemen.

„Einer wird nicht kommen. Ich habe Mark im Dorf getroffen, und er hat mir gesagt, dass er einen neuen Trauzeugen hat, weil Jonathan Smythe nach Schottland zum Sterbebett seines Onkels gerufen wurde. Das wird er euch sicher erzählen, wenn ihr ihn seht.“

„Also morgen Abend“, sagte Lady Cavenhurst. „Wir sind alle zum Supper nach Broadacres eingeladen. Hat Mark gesagt, wer sein neuer Trauzeuge sein wird?“

„Ja. Mr Andrew Ashton. Er war gerade bei Mark, als ich ihn traf.“

„Ashton!“, rief ihre Mutter. „Warum um Himmels willen hat er ausgerechnet ihn gewählt?“

„Er ist ein alter Freund von Mark, also warum nicht?“

„Andrew Ashton“, sagte Isabel leise. „War er nicht vor etlichen Jahren schon einmal auf Broadacres ?“

„Ich glaube schon“, sagte Jane. „Er hat sich aber sehr verändert, weil er gerade aus Indien zurückgekehrt ist, wo er ein Vermögen gemacht hat.“

„Indien! Mark sagte, wir könnten vielleicht dorthin auf Hochzeitsreise gehen. Ich werde Mr Ashton darüber ausfragen. Mama, was sollen wir zu der Party anziehen? Ist es ein formeller Anlass?“

„Nein, Liebes. Lady Wyndham hat ‚informell‘ in die Einladung geschrieben, und es gibt Musik und Kartenspiele.“

„Dann müssen wir Teddy vom Spieltisch fernhalten“, sagte Jane, und darin waren sich alle einig.

Im Inneren sah Broadacres genau so imposant aus wie von außen. Von der prächtigen Eingangshalle führte eine breite Treppe mit schmiedeeisernem Geländer nach oben. Auf einer Seite befand sich eine Gemäldegalerie, deren hohe Fenster auf die breite Einfahrt hinausgingen. Ein exotisch gemusterter Teppich bedeckte die Steinfliesen in der Mitte, daneben standen in gleichmäßigen Abständen Stühle und Sofas. Von der Galerie aus erreichte man mehrere schön möblierte Empfangsräume, eine Bibliothek, einen Speiseraum für Dinnerpartys und am hinteren Ende einen großen Ballsaal, der sich über das Erdgeschoss des ganzen Seitenflügels erstreckte. Im Obergeschoss befanden sich die großen, geschmackvoll eingerichteten Gästezimmer.

„Das hier wird bald dein Zuhause sein“, flüsterte Jane ihrer Schwester zu, als man sie durch die Galerie und dann einen Korridor entlang zum Salon der Familie führte. Vor ihnen gingen Sir Edward und Lady Cavenhurst mit dem ungewöhnlich kleinlauten Teddy. „Irgendwann wirst du dann die Hausherrin hier sein.“

„Oh, sage das nicht, es jagt mir ein bisschen Angst ein. Ich wünschte, wir könnten unser eigenes Heim haben, ein kleineres und nicht so prachtvolles, aber Mark will nichts davon hören. Er sagt, hier sei so viel Platz, dass wir nie seinen Eltern begegnen werden, wenn wir es nicht wünschen.“

„Ich bin sicher, dass du hier mit der Zeit sehr gut zurechtkommen wirst.“

Der Diener öffnete die Tür zum Salon und kündigte sie beim Eintreten einzeln an. Als Lady Wyndham vortrat, um Sir Edward und seine Gemahlin zu begrüßen, schaute Jane sich um. Auch dies war ein prächtig ausgestattetes Zimmer, aber viel gemütlicher – als wohnten wirklich Menschen hier. Die öffentlichen Räume an der Vorderseite des Gebäudes wirkten dagegen kalt und unpersönlich.

Die Stimme Lady Wyndhams holte sie zurück aus ihren Gedanken. Drew wurde gerade ihren Eltern vorgestellt. „Ich glaube, wir sind uns bereits begegnet, Sir“, sagte Sir Edward.“

„Das ist richtig, Sir“, warf Mark ein. „Mr Ashton war schon einmal hier, nachdem wir Cambridge verlassen hatten. Das ist jetzt … wie lange her, Drew?“

„Ich glaube, es werden insgesamt zehn Jahre sein“, erwiderte Drew. „Es verwundert mich, dass Sir Edward mich nicht vergessen hat. Ich war damals noch ein Grünschnabel mit leeren Taschen.“

„Jetzt ist er ein Nabob“, sagte Mark lachend. „Steinreich und garantiert kein Grünschnabel mehr.“

„Das ist offensichtlich“, sagte Sir Edward. Jane wusste, dass er sich erinnerte und sich fragte, ob Drew wohl hier war, um seinen Antrag zu erneuern. Das hatte sie sich selbst auch schon gefragt, aber den Gedanken dann abgetan. Nach all der Zeit war es Schnee von gestern.

Lady Wyndham wandte sich an Jane. „Soll ich Sie unserem Gast vorstellen, Jane?“

„Danke, ich erinnere mich sehr gut an ihn. Aber Isabel und Sophie wahrscheinlich nicht.“

„Das stimmt“, sagte Sophie. „Ich habe auch bisher noch nie einen Nabob getroffen. Was tut eigentlich ein Nabob?“ Die letzte Frage war an Drew gerichtet, der sich gerade vor ihr verneigte.

„Ich treibe Handel in Indien, Miss Sophie“, sagte er. „Indische Artefakte, Gewürze und Juwelen lasse ich auf schnellen Schiffen hierher transportieren, um sie dann mit Waren aus englischer Produktion nach Indien zurückzusenden – Möbel, Ziergegenstände und Kleidung zum Beispiel. Damit verdiene ich mein Geld.“

„Und Sie haben einen guten Profit erzielt?“ Diese Frage kam von Isabel, die neben ihrer Schwester stand und Drew fasziniert ansah.

Er verneigte sich vor ihr. „Einen ziemlich guten, Miss Isabel. Sehen Sie, ich weiß noch, wer Sie sind, obwohl Sie damals noch nicht das Schulzimmer verlassen hatten.“

„Setzen wir uns doch, bis das Supper serviert wird“, meinte Lady Wyndham und bot ihren Gästen Plätze auf den Stühlen und Sofas an.

Sie verteilten sich auf den verschiedenen Sitzgelegenheiten im Raum, und es gelang Isabel, sich neben Drew zu setzen. „Bitte erzählen Sie mir von Indien“, sagte sie. „Mark hat mir versprochen, nach der Hochzeit mit mir dorthin zu fahren, und ich möchte gern so viel wie möglich darüber erfahren, bevor wir abreisen. Sagen Sie, ist es notwendig, die Landessprache zu sprechen und diese … wie heißen doch gleich die Kleider der Inderinnen … zu tragen?“

„Saris, Miss Isabel. Sie anzulegen ist zwar kompliziert, dafür halten sie auch bei hohen Temperaturen kühl, und sie sind oft aus erstklassigen Stoffen gefertigt. Ich habe Europäerinnen kennengelernt, die sie gern tragen, wenn ihnen die Hitze zu viel wird.“

„Oh, ich würde nur zu gern einen anprobieren.“

„Sie sähen sicher entzückend damit aus“, meinte er.

„Und die Sprache? Ist sie schwer zu erlernen?“

„Es gibt verschiedene Sprachen, aber Sie müssen keine davon kennen. Die indischen Dienstboten verständigen sich mit einer Art Kauderwelsch, und Sie haben außer mit ihnen nur mit den Verkäufern auf den Basaren zu tun. Und Sie werden nicht zum Basar gehen ohne Begleitung von jemandem, der die Umgangsformen und die Sprache beherrscht.“

Jane hörte mit wachsendem Unbehagen dieser Unterhaltung zu. Es war nicht besonders höflich von ihrer Schwester, den Gentleman so mit Beschlag zu belegen, und es ging auf Kosten von Mark, der sie vom Fenster aus beobachtete. Sie stellte sich neben ihn, und gab vor, die Terrasse und die Gartenanlagen betrachten zu wollen.

„Sie meint es nicht so, Mark“, flüsterte sie. „Sie ist nur interessiert, weil du sagtest, du würdest mit ihr nach Indien fahren.“

„Ich weiß.“

Ein Diener trat ein und verkündete, dass das Supper nun serviert würde. Alle begaben sich in den Speiseraum. Sie schwiegen, während sie am Tisch bedient wurden, dann kam die Konversation aufs Neue in Gang. Lord Wyndham begann eine Unterhaltung mit Sir Edward über die erschreckende Wirtschaftslage im Land. Das letzte Jahr war verheerend gewesen, weil der Sommer zu kalt und nass war, die Ernten miserabel ausfielen, und die Arbeiter und die vom Krieg heimgekehrten Soldaten keine Arbeit fanden. Unter den Arbeitslosen waren Unruhen ausgebrochen, und am Jahresende hatte es eine Massenkundgebung auf den Spa Fields gegeben, mit Henry Hunt als Hauptredner. Dieser hatte ein Talent dafür, die Massen aufzuwiegeln. Die Veranstaltung war aus dem Ruder gelaufen und musste durch Militäreinsatz aufgelöst werden. Überall im Lande wurden revolutionäre Komplotte aufgedeckt, und die Regierung verhaftete etliche Aufrührer.

„Glücklicherweise sind wir hier in Hadlea einigermaßen verschont geblieben“, sagte Lord Wyndham. „Ich konnte alle Arbeiter behalten und sogar einige zusätzlich einstellen. Zweifellos ist es Ihnen ähnlich ergangen, Cavenhurst?“

„Durchaus“, antwortete Sir Edward, aber er ging nicht weiter darauf ein. Jane wusste, dass er schon seit längerer Zeit niemanden mehr eingestellt hatte.

„Es gibt auch gute Nachrichten“, warf Lady Wyndham ein. „Prinzessin Charlotte erwartet wieder ein Kind, und es sieht so aus, als würde sie es dieses Mal austragen.“

„Das hoffen wir alle“, sagte Lord Wyndham. „Ein Thronerbe würde die Menschen von ihrer Abneigung gegenüber dem Prinzregenten ablenken.“ Im Januar hatte es ein Attentat auf das Leben des Prinzregenten gegeben, aber er war unverletzt geblieben.

„Ich sorge mich sehr um die Kriegswaisen“, sagte Jane. „Sie leben auf der Straße und kennen nichts anderes als zu betteln und zu stehlen. Man muss ihnen ein Heim und eine Ausbildung geben, damit sie eine bessere Arbeit finden, wenn sie alt genug sind.“

„Ja, das ist sicher richtig“, meinte ihre Mutter. „Aber ich weiß nicht ob Lord und Lady Wyndham sich für dein Projekt interessieren.“

„Selbstverständlich“, sagte Lord Wyndham. „Ich für mein Teil habe großes Interesse daran und würde gern mehr darüber erfahren.“ Er war ein leutseliger, großer und breiter Mann mit rundem roten Gesicht, der oft lächelte.

Jane erläuterte ausführlich ihre Pläne, und Seine Lordschaft und die übrigen Gäste hörten aufmerksam zu. „Ich möchte zunächst die ortsansässigen Kinder aufnehmen“, erklärte sie. „Aber selbst ein kleines Heim kostet Geld, wenn es ordentlich geleitet wird. Wir müssen Geldgeber finden.“

„Jane!“ Ihre Mutter war schockiert darüber, dass Jane beim Essen über finanzielle Dinge sprach.

Lord Wyndham lachte: „Ihre Tochter steht wirklich überzeugend hinter diesem Projekt. Das gefällt mir. Sie können mich für eine Spende eintragen, Miss Cavenhurst.“

„Ich danke Ihnen, Mylord.“

„Ich trage auch dazu bei“, sagte Drew. „Was ist mit dir, Mark?“

„Miss Cavendish hat mir schon früher von ihren Plänen erzählt“, sagte Mark. „Ich habe ihr meine Unterstützung bereits zugesichert.“

„Sie sind alle sehr großzügig mit ihrem Geld“, murmelte Teddy Jane zu.

„Ja. Ist das nicht wundervoll?“, flüsterte sie zurück. „Besser, als es zu verspielen.“

Beleidigt drehte er sich um und konzentrierte sich auf sein Essen.

„Lasst uns von angenehmeren Dingen sprechen“, sagte Lady Wyndham. „Wie schreiten die Hochzeitsvorbereitungen voran, Grace?“

Lady Cavenhurst ging nur zu gern auf diese Frage ein, und das Essen endete in entspannter Atmosphäre. Anschließend ging man in den Salon, wo die Mädchen abwechselnd Klavier spielten und sangen, während ein Kartentisch aufgebaut wurde für diejenigen, die spielen wollten. Die Gesellschaft endete spät, und Sir Edwards Kutsche holte die Gäste an der Tür ab.

3. KAPITEL

M r Ashton ist ein faszinierender Mann, findest du nicht auch?“, sagte Isabel am Tag nach der Supper-party. „Er ist schon überall gewesen und erzählt so interessante Dinge.“

Die Mädchen saßen mit ihrer Mutter im kleinen Salon. Jane nähte winzige Perlen auf den Rock des Hochzeitskleides, während Lady Cavenhurst und Isabel die Einladungskarten schrieben.

„Das mag sein“, meinte Jane, „aber es hat mir nicht gefallen, dass du ihn so mit Beschlag belegt hast. Den armen Mark hast du regelrecht ignoriert.“

„Oh, das hat Mark nicht gestört. Er weiß doch, wie gern ich reisen möchte.“ Sie nahm eine Einladung in die Hand. „Jetzt habe ich einen Klecks auf diese Karte gemacht. Bitte gib mir eine andere, Mama.“

„Wie viele Leute habt ihr von der Liste gestrichen?“, erkundigte sich Jane.

„Ungefähr ein Viertel. Mehr ging nicht, ohne jemanden zu brüskieren. Wir wollen ja auch nicht, dass Papa wie ein Pfennigfuchser aussieht, oder?“

„Fünfzig Gäste zu bewirten, ist nicht kleinlich, Issie. Papa macht sich Sorgen wegen der Kosten. Denke daran, was er vorhin sagte.“

An diesem Morgen war Sir Edward von einem Rundgang auf dem Anwesen zurückgekommen und hatte seine Frau und Töchter im Frühstückszimmer angetroffen, wo sie die Hochzeitsfeier besprachen. Er hatte die Gelegenheit ergriffen, ihnen einen Vortrag über die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen zu halten. Diese Vokabel war Lady Cavenhurst und Isabel allerdings völlig fremd. Jane hatte ihre Sparliste hervorgeholt, auf der ganz oben der Vorschlag stand, weniger für Kleider, Hauben und Schuhe auszugeben. Sofort kamen laute Proteste von Isabel und Sophie. Janes zweiter Vorschlag bezog sich auf die Verschwendung bei Lebensmitteln. Die Köchin sollte instruiert werden, nur noch Obst und Gemüse aus dem eigenen Küchengarten zu verwenden, und außerdem nicht für mehr Personen zu kochen als am Essen teilnahmen.

„Unglücklicherweise wird das alles bei Weitem nicht ausreichen“, fuhr Sir Edward fort. „Ich fürchte, wir werden viel tiefer gehende Ausgabenkürzungen vornehmen müssen.“

Jane nahm sich wieder ihre Liste vor. „Wir könnten auch beim Personal einsparen. Wir brauchen nicht unbedingt drei Kammerzofen, und wenn wir selbst im Garten mithelfen, genügt ein Gärtner. Wir könnten auch ohne Kutsche auskommen, wenn wir müssten.“

„Ohne Kutsche?“, protestierte ihre Mutter. „Wie sollen wir denn dann irgendwo hinfahren? Sag mir das.“

„Wir können das Pony und den kleinen Wagen behalten“, antwortete Jane. „Ein Pony ist billiger zu versorgen als vier Pferde, und außerdem brauchen wir dann nur noch einen Stallknecht. Daniel kommt auch allein zurecht. Wenn wir eine größere Strecke fahren müssen, können wir die Postkutsche nehmen.“

„Die Postkutsche!“ Ihre Mutter war empört. „Unmöglich. Wir würden wie arme Leute dastehen.“

„Das wohl noch nicht“, sagte Sir Edward mit gequältem Lächeln. „Aber wir müssen unbedingt sparen, und je länger wir es hinausschieben, desto schwieriger wird es.“

„Was ist mit meiner Hochzeit?“, jammerte Isabel.

„Wir verschieben erst einmal die Entscheidung über Sparmaßnahmen auf die Zeit nach der Feier“, sagte Ihre Ladyschaft mit fester Stimme

Sir Edward gab auf und ging. Teddys Probleme waren nicht zur Sprache gekommen.

Jane legte das Kleid zur Seite. „Lasst mich einen Blick auf die Gästeliste werfen.“

„Nein“, sagte Isabel. „Du willst nur ganz viele wegstreichen. Aber du wirst mir nicht meine Hochzeit verderben, Jane.“

„Wird es wirklich die Feier verderben, wenn du nur fünfzig Gäste hast?“

„Aber natürlich. Ich will, dass jeder sieht, wie ich in meinem schönen Hochzeitskleid den begehrtesten Mann weit und breit heirate.“

„Die Hochzeitsfeier ist nicht das Wichtigste bei einer Ehe, Issie.“

„Für wie dumm hältst du mich? Und was weißt du schon darüber?“

„Hört auf, euch zu streiten, Mädchen“, fuhr ihre Mutter dazwischen. „Es ist ungehörig, und ich verstehe auch nicht, wieso eine Handvoll Gäste mehr dich so in Aufruhr bringt, Jane. Es sieht dir gar nicht ähnlich.“

Ein Kammermädchen kam herein und kündigte die Ankunft von Mr Wyndham und Mr Ashton an. Das beendete die Diskussion und versetzte Isabel in Panik. „Mark darf mein Kleid nicht sehen, Jane, das bringt Unglück. Schnell, räume es weg.“ Sie sprang hastig von ihrem Stuhl auf und warf dabei das Tintenfass um, dessen Inhalt auslief und auf den Stuhl tropfte, auf den Jane das Kleid gelegt hatte. Isabel stieß einen spitzen Schrei aus, und die beiden Gentlemen eilten herein.

„Was ist passiert?“, wollte Mark erschrocken wissen. „Bist du verletzt, Isabel?“

„Geh weg, geh weg“, schrie sie mit Tränen in den Augen.

„Aber Liebste, was ist denn los?“

„Es gab ein kleines Missgeschick mit dem Hochzeitskleid“, erklärte Jane. Sie versuchte die Ruhe zu bewahren, aber der wunderschöne Stoff war ruiniert, und all die vielen Arbeitsstunden waren umsonst gewesen. Fast hätte sie selbst geweint. „Würdet ihr uns bitte noch ein paar Minuten allein lassen?“

„Natürlich. Wir kommen später wieder.“

„Das wäre das Beste“, sagte Lady Cavenhurst und legte ihrer jüngeren Tochter tröstend den Arm um die Schultern.

Mit einer kleinen Verbeugung verließen die beiden Herren das Zimmer, und Jane sah sie sich den Schaden näher an. „Wenn wir schnell sind, lässt es sich vielleicht auswaschen“, meinte sie.

„Nein, es ist ruiniert“, rief Isabel weinend. „Ein gewaschenes Kleid wäre ein schlechtes Omen!“

„Sei nicht so melodramatisch“, sagte Jane tadelnd. „Ich hoffe, dass noch genügend Stoff vorhanden ist, dann ersetze ich die verdorbene Stoffbahn.“

„Siehst du“, sagte Ihre Ladyschaft. „Geh dir das Gesicht waschen, während Jane überlegt, was zu retten ist.“

„Jane ist auch schuld daran“, sagte Isabel schmollend. „Sie hätte nicht so nah bei dem Tisch sitzen dürfen, an dem ich schreibe.“

Das war ein äußerst ungerechter Vorwurf, aber es hatte keinen Zweck, jetzt mit Isabel zu streiten.

„Was ist nur mit euch Mädchen los?“, sagte ihre Mutter. „Seit ihr klein wart, habt ihr nicht so viel gestritten wie heute. Diese Hochzeit bringt uns alle durcheinander.“

Das Zimmermädchen kam mit einer Schüssel und Bürsten herein, um den Tisch und den Teppich zu reinigen. Lady Cavenhurst verließ mit Isabel das Zimmer, während Jane das Kleid nahm und damit in das Nähzimmer ging, um nachzusehen, wie viel Stoff noch übrig war.

Es gab noch mehrere kleinere Stoffreste, aber keiner war groß genug für eine ganze Rockbahn. Doch sie war zuversichtlich, dass es ihr durch Aufsetzen von Bändern und Schleifen gelingen würde, das Kleid zu retten. Mehr Sorgen machte ihr die Einstellung ihrer Schwester. Isabel war anscheinend nicht in der Lage, sich ihr Leben als Ehefrau realistisch vorzustellen. „Aber was weiß ich schon?“, sagte Jane laut zu sich selbst, während sie begann, die Nähte aufzutrennen. „Ich bin nur eine alte Jungfer, die nie erfahren wird, wie es ist, verheiratet zu sein.“

Nach einer halben Stunde kam ihre Mutter zu ihr. „Ich habe Isabel einen Kräutertee gegeben, und jetzt schläft sie. Sie hat sich beruhigt, weil sie sich darauf verlässt, dass du ihr Kleid retten wirst.“

„Ich glaube, dass ich es schaffen werde, aber irgendwo muss ich ein Stück einsetzen. Ich werde versuchen, es mit Bändern und Schleifen zu kaschieren, aber vorher muss ich den ganzen Rock auftrennen.“

„Es war sehr ungezogen von ihr, dich für den Schaden verantwortlich zu machen, und sie wird sich bei dir entschuldigen.“

„Nicht so wichtig.“

„Jane … bist du eigentlich unglücklich?“

„Wie kommst du darauf, Mama?“

„Ich dachte, dass das Wiedersehen mit Mr Ashton dich bedrückt haben könnte.“

Jane lachte. „Nach zehn Jahren, Mama? Sicherlich nicht.“

„Hast du noch Gefühle für ihn?“

„Nein, Mama.“ Nicht Andrew Ashton besaß ihr Herz, sondern jemand anders, der viel näher wohnte.

„Du siehst immer nur das Gute in jedem Menschen, Jane. Aber wenn nicht Mr Ashton der Grund ist, warum bist du dann so besorgt?“

„Wegen Isabel. Sie scheint überhaupt noch nicht an die Zeit nach der Hochzeit zu denken. Ich fürchte, sie hat irreale Erwartungen an ihre Ehe.“

„Mark ist ein sehr guter und verlässlicher Mann, und er wird alles tun, um sie glücklich zu machen. Du darfst ihr ihren großen Tag nicht missgönnen, nur weil du …“

„Weil ich selbst nie einen haben werde? Wolltest du das sagen, Mama? Das darfst du nicht denken, denn das tue ich nicht. Ich bin zufrieden mit meinem Leben, so wie es ist.“

„Aber jede junge Dame träumt doch von ihrer Hochzeit.“

„Nicht jede, Mama.“ Mit ihrer festen Stimme versuchte sie nicht nur ihre Mutter zu überzeugen, sondern auch sich selbst.

„Du bist eine gute Tochter und eine gute Schwester, Jane. Sogar Teddy hat mir erzählt, dass du ihm aus der Patsche helfen wirst, weil euer Vater es trotz meiner Bitten nicht tun will.“

„Ich habe nicht versprochen, dass ich es tun werde – ich sagte, ich würde darüber nachdenken.“

„Komm mit mir nach unten zum Essen. Zweifellos werden die Gentlemen heute Nachmittag wiederkommen.“

Nach dem Essen ging Jane wieder hinauf in den kleinen Salon, um dort weiter an dem Kleid zu arbeiten, während ihre Mutter die Einladungen fertigstellte. Mark und Drew traten schon wenig später ins Zimmer.

„Verzeihen Sie mir, dass ich schon wieder hier bin“, sagte Mark und verneigte sich vor Ihrer Ladyschaft. „Aber ich mache mir Sorgen wegen Isabel. Sie war so außer sich, dass ich um ihre Gesundheit fürchtete.“

„Es war nur der Schreck über den Tintenfleck auf ihrem schönen Hochzeitskleid“, sagte Lady Cavenhurst. Sie bot den beiden jungen Herren einen Sitzplatz an und bat die Zofe, Erfrischungen zu bringen. „Sie hat sich wieder beruhigt, weil sie weiß, dass Jane es wieder richten wird.“

„Ich arbeite daran“, sagte Jane.

„Liebe Jane“, sagte Mark. „Immer so verlässlich und ruhig, auch in schwierigen Situationen. Wir stehen in deiner Schuld.“

Jane fühlte, dass sie rot wurde. „Ich tue nur, was jede Schwester tun würde.“

„Das sehe ich anders.“ Alle schienen der Meinung zu sein, dass Jane sich besonders selbstlos verhalten hatte, indem sie Isabels Kleid rettete, obwohl ihre Schwester sie ungerechterweise dafür verantwortlich gemacht hatte. Isabel hatte so laut geschimpft, dass die beiden Herren beim Fortgehen alles genau hatten verstehen können. Entzückend, ja das war Isabel, entzückend und schön – aber sie hatte auch ein heftiges Temperament und nahm wenig Rücksicht auf die Gefühle anderer.

„Wie ist das Ganze eigentlich passiert?“ Zum ersten Mal sprach Drew.

„Isabel ist überzeugt, dass es Unglück bringt, wenn der Bräutigam das Hochzeitskleid sieht, bevor die Braut zu ihm an den Altar tritt. Sie hat sich so beeilt, es vor Ihrem Eintreten wegzuräumen, dass sie das Tintenfass umgekippt hat.“

„Ich hatte mir schon so etwas gedacht“, sagte er. „Ich bin froh, dass das Kleid nicht endgültig verdorben ist, dennoch habe ich etwas für Ihre Schwester mitgebracht, das sie für ihren Verlust ein wenig entschädigen soll.“ Er nahm ein in braunes Papier gewickeltes Päckchen, das er auf den Knien gehalten hatte, und reichte es Lady Cavenhurst. „Würden Sie Isabel bitte erlauben, das hier von mir anzunehmen? Es ist nichts Besonderes, ein Stück Seidenstoff für einen Sari. Ich glaube, es würde auch für ein Kleid ausreichen. Betrachten Sie es als Hochzeitsgeschenk.“

„Wie außerordentlich freundlich von Ihnen.“ Ihre Ladyschaft wickelte das Päckchen aus. Es enthielt Seidenstoff in leuchtendem Rosa, der dem des Hochzeitskleides sehr ähnlich war. Es waren sicherlich mehrere Meter, aber der Stoff war so fein, dass er in ein kleines Päckchen passte.

„Er ist wunderschön“, sagte Jane und strich über den Stoff. „Isabel wird begeistert sein.“

„Ich habe ihn aus Indien mitgebracht“, sagte Drew. „Und ich habe noch andere Stoffe. Als ich wusste, dass ich hierherkommen würde, habe ich sie als Geschenk für die Damen des Hauses eingepackt.“

„Wie aufmerksam von Ihnen“, murmelte Lady Cavenhurst. „Wenn Mark nichts dagegen hat, soll sie ihn bekommen.“

In diesem Moment betrat Isabel den Salon. Beide Herren standen auf, und Mark ergriff ihre Hände. „Geht es dir besser, meine Liebe?“

„Ja, alles ist wieder gut, Mark. Ich habe mich nur aufgeregt, weil ich dachte, mein Hochzeitskleid sei ruiniert.“ Sie wandte sich mit einem strahlenden Lächeln an Drew. „Guten Tag, Mr Ashton. Es tut mir leid, Sie vorhin nicht richtig begrüßt zu haben.“

Er verneigte sich vor ihr. „Das ist verständlich, Miss Isabel. Die meisten Gentlemen verstehen nicht, wie wichtig ein Kleid für eine Dame ist.“

Sie kicherte und blinzelte ihm verschwörerisch zu: „Aber Sie wissen es, nicht wahr?“

Jane war schockiert. Ihre Schwester versuchte offenbar, mit Drew zu flirten.

Die anderen schienen es nicht zu bemerken. Alle nahmen Platz. Da erst bemerkte Isabel den Seidenstoff auf dem Schoß ihrer Mutter. „Was hast du denn da, Mama?“

„Es ist ein Sari, mein Kind. Ein Hochzeitsgeschenk für dich von Mr Ashton.“

„Ein Sari! Oh Mama, darf ich ihn annehmen?“

„Da Mark einverstanden ist, habe ich nichts dagegen.“

Isabel war wieder aufgesprungen und ließ die schimmernde Seide wie einen Wasserfall über ihren Arm fließen. „Er ist wunderschön“, sagte sie mit glänzenden Augen. „Ich danke Ihnen Mr Ashton. Sie sind so aufmerksam.“

„Ich dachte, man könnte den Stoff für ein neues Hochzeitskleid verwenden, falls das andere verdorben ist.“

„Das ist es nicht, aber ich möchte gern auch den Sari behalten.“

Isabel verschwand mit dem Sari, und die anderen tranken weiter ihren Tee. Jane war ziemlich empört über das Benehmen ihrer Schwester. Und was hatte sich Mr Ashton bei diesem Geschenk eigentlich gedacht? Wollte er wirklich nur über das Missgeschick mit dem Kleid hinweghelfen, oder steckte mehr dahinter? Offensichtlich fand er ihre Schwester attraktiv. War Isabel sich dessen bewusst? Und Mark? Aber er würde nie schlecht von Isabel denken. Oder sah sie mehr, als wirklich da war?

„Das Wetter soll in den nächsten Tagen gut werden“, sagte Mark in die Stille hinein. „Ich habe Drew versprochen, ihm mehr von der Umgebung zu zeigen, und wir planen für morgen einen Ausflug nach Cromer. Ich frage mich, ob Miss Cavenhurst und Isabel vielleicht gern mitkommen würden, wenn Sie nichts dagegen haben, Mylady?“

„Warum denn nicht?“, sagte ihre Mutter. „Was meinst du, Jane? Glaubst du, es würde Isabel gefallen?“

„Ganz sicher“, antwortete Jane. Sie selbst hatte eigentlich nicht viel Lust darauf, aber wenn ihre Schwester mitwollte, würde sie auch gehen müssen, weil ihre Mutter sonst nicht zustimmen würde.

„Also abgemacht“, sagte Mark und erhob sich. „Wir fahren morgen um zehn Uhr mit dem Wagen vor.“

Wyndhams Kutschwagen war sehr bequem und geräumig und bot viel Platz für vier Personen. Von Hadlea nach Cromer waren es nicht mehr als zwanzig Meilen, die sie in knapp zwei Stunden zurücklegten.

Sie hielten an einer Gaststätte im unteren Bereich des Dorfes bei der Kirche. Der Kutscher Jeremy und die Pferde konnten sich hier ausruhen, während die jungen Leute einen Strandspaziergang machten. In dem Wagen war es behaglich gewesen, aber als sie draußen waren, wehte ein kühler Wind vom Meer. „Wie gut, dass wir an warme Tücher gedacht haben“, sagte Jane. Die beiden Schwestern trugen Musselinkleider und gefütterte Umhänge. Janes Umhang war in zwei Grüntönen gestreift, Isabels war weiß. Ihre Strohhauben hatten sie mit Schleifen unter dem Kinn befestigt.

„Würdest du lieber im Wagen bleiben?“, fragte Mark. „Oder in ein Hotel gehen?“

„Auf keinen Fall“, antwortete sie. „Ich habe mich auf die Seeluft gefreut. Was ist mit dir, Issie?“

„Ich ebenso. Mir ist überhaupt nicht kalt, und ich würde gern nach unten zum Strand gehen.“

„Also los“, sagte Mark und bot ihr seinen Arm.

Jane ging neben Drew, aber sie nahm nicht seinen Arm. Sie gingen eine schmale Straße hinunter, an deren Ende sie den Strand und das Meer sehen konnten. „Es sieht kalt aus“, sagte Jane.

„Das ist es hier fast immer“, meinte Mark und drehte sich leise lachend zu ihr um. „Aber heute ist es wenigstens ruhig. Möchtet ihr ins Wasser gehen? Baden im Meerwasser soll gut sein für die Gesundheit.“

„Nein, lieber nicht“, sagte sie. „Ich sehe lieber anderen zu.“

„Ihnen muss es nach der Hitze in Indien hier sehr kalt vorkommen, Mr Ashton“, sagte Isabel.

„Oh, ich bin abgehärtet, Miss Isabel. Vielleicht versuche ich es einmal mit dem Wasser. Was sagst du, Mark?“

„Ich glaube, ich bleibe bei den Damen“, sagte Mark. „Aber du kannst gern gehen, wenn du Lust hast.“

Allein wollte Drew dann doch nicht baden, also machten sich alle vier auf den Weg nach unten. Der Strand war nicht voll, und sie spazierten bis zum Rand des Wassers. Jane ging auf dem festen nassen Sand etwas schneller, und Mark tat es ihr gleich. Hinter ihnen schlenderten die beiden anderen etwas langsamer. Drew hatte Spaß daran, flache, runde Steine so über die Wasseroberfläche zu werfen, dass sie zwei- bis dreimal hüpften, bevor sie im Wasser verschwanden.

Isabel klatschte in die Hände. „Oh, wie begabt Sie sind, Mr Ashton. Zeigen Sie mir, wie das geht.“

Er hob einen weiteren Stein auf und legte ihn ihr in die Hand. Sie versuchte einen Wurf, aber es gelang ihr nicht. Drew nahm ihre Hand und legte ihre Finger um einen Stein. Mark und Jane, die ein Stück vorausgegangen waren, drehten sich um. Sie sahen wie Drew die Arme um Isabel legte, als er ihr erklärte, wie sie zielen sollte, und beide lachten fröhlich.

„Oje“, sagte Jane. „Isabel weiß wirklich nicht, was sich gehört. Wie gut, dass niemand hier ist, der uns kennt.“

„Es ist nicht ihre Schuld“, sagte Mark. „Manchmal vergisst Drew, dass er nicht mehr in Indien ist, wo man sich solche Freiheiten erlauben kann.“

Jane war nicht sicher, ob das stimmte, aber es passte zu Mark, dass er keine Fehler an seiner Liebsten sehen wollte. Sie eilte zurück zu ihrer Schwester, Mark gleich dahinter.

„Drew hat mir gezeigt, wie man einen Stein hüpfen lassen kann“, rief Isabel ihnen entgegen. „Kommt her und versucht es auch mal.“

Jane wollte ihre Schwester nicht vor den anderen zurechtweisen, aber als sie weiter den Strand entlanggingen und außer Hörweite der Gentlemen waren, versuchte sie mit ihr zu reden. „Ich möchte wirklich nicht schelten, Issie, aber du hättest Mr Ashton nicht gestatten dürfen, seinen Arm um dich zu legen. Und du hast ihn beim Vornamen genannt. Das geht nicht.“

„Oh, du bist eine Nörglerin, Jane. Es war doch alles völlig harmlos, und Mark benutzt ständig Mr Ashtons Vornamen. Er ist mir nur so herausgerutscht.“

„Sicher hast du dir nichts dabei gedacht, aber bitte, sei etwas vorsichtiger.“

„Du hast gut reden. Du bist im Dorf gesehen worden, wie Mark seinen Arm um dich gelegt hat. Sophie hat es von ihrer Freundin Maud Finch, und die hat euch mit eigenen Augen gesehen.“

Jane konnte sich noch vage daran erinnern, dass Mrs Finch bei Mrs Stangate stand, als sie Mark und Drew auf dem Dorfanger traf. „Ich bin gestolpert, und er hat mich festgehalten“, sagte sie. „Mrs Finch macht doch immer aus jeder Mücke einen Elefanten, und Sophie hätte es nicht weitererzählen sollen.“

„Jetzt hast du mir den Spaß verdorben mit deinem Genörgel“, sagte Isabel schmollend.

Doch kurze Zeit später rannte sie wieder mit hochgeschürzten Röcken über den Strand und lachte, als das Wasser über ihre Ziegenlederschuhe lief. Die würden dann zu Hause in den Müll wandern. Jane fühlte sich nicht wohl, weil Isabel sie als Spielverderberin hingestellt hatte, obwohl sie es nicht so gemeint hatte. Doch sie machte sich mehr Gedanken wegen Mark. Er hatte nichts gesagt und Isabel sogar noch in Schutz genommen. Und wenn das Geschwätz von Mrs Finch an seine Ohren drang, würde es doppelt peinlich für ihn sein.

Ein Stück weiter unten am Strand entluden ein paar Fischerboote ihren Fang, und Mark kaufte zwei Portionen Krabben, die die Mädchen zu Hause der Köchin geben konnten. Dann kehrten sie um und nahmen Erfrischungen im Red Lion ein. Anschließend machten sie noch einen Spaziergang auf den Klippen, wo sie Drews Fernrohr benutzten, um den Strand und den Horizont abzusuchen.

„Wie nah alles aussieht“, sagte Jane. „Ich kann sogar die Seeleute auf dem Schiff dort drüben erkennen. Es heißt Morning Star.“

„Auf dem bin ich von Indien hierhergekommen“, sagte Drew. „Es ist ein ordentliches Schiff, gut geführt und schnell. So eines plane ich zu erwerben.“

„Und dann reisen Mark und ich nach Indien“, sagte Isabel. „Noch drei Wochen. Ich kann es kaum erwarten. Werden Sie auch darauf zurücksegeln, Mr Ashton?“

„Das hängt von dem ab, was sich mir bietet. Schon möglich.“

„Ich glaube, wir sollten zurück zur Kutsche gehen“, sagte Jane. „Mama wird sich fragen, wo wir bleiben.“

Am nächsten Morgen fand sich Mark sehr früh bei ihnen ein, und seine Miene war so ernst, dass Jane sofort ahnte, etwas musste passiert sein. Sir Edward war gerade im Stall und sah nach einem lahmen Pferd, aber die Damen saßen noch am Frühstückstisch.

Mark verneigte sich vor allen. „Es tut mir leid, Sie so früh zu stören“, sagte er. „Aber ich bringe leider schlechte Neuigkeiten, und ich wollte nicht, dass Sie es von jemand anderem erfahren.“ Er zögerte, dann fuhr er fort. „Letzte Nacht ist mein Vater im Schlaf von uns gegangen.“

Lady Cavenhurst sprach zuerst. „Oh, wie entsetzlich. Seine Lordschaft schien so gesund zu sein, als wir neulich bei Ihnen gespeist haben.“

„Sein Leibdiener fand ihn heute Morgen und verständigte mich sofort. Ich ließ Dr. Trench holen, obwohl mir klar war, dass man nichts mehr tun konnte. Sein Herz habe einfach aufgehört zu schlagen, meinte der Arzt. Wie Sie sich denken können, ist meine Mutter untröstlich.“

„Arme Lady Wyndham“, sagte Jane. „Können wir irgendetwas für sie tun?“

„Ich glaube nicht. Später freut sie sich vielleicht über einen Besuch.“ Er wandte sich an Isabel, die ihn ansah, als wäre er ein Geist. „Isabel, es tut mir so leid, aber die Hochzeit muss verschoben werden, solange ich in Trauer bin.“

„Verschoben“, sprach sie ihm nach, dann brach sie in Tränen aus.

Jane eilte zu ihr, um sie zu trösten. „Issie, du musst jetzt stark sein für Mark. Er wird in den nächsten Wochen sehr viel um die Ohren haben.“

„Das ist richtig. Und leider muss ich jetzt gehen. Ich werde Ihnen später die Einzelheiten zu der Beerdigung mitteilen. Isabel, begleitest du mich zur Tür? Natürlich nur, wenn Ihre Ladyschaft einverstanden ist.“

„Selbstverständlich. Geh nur, Isabel. Und bitte sprechen Sie Ihrer Mutter mein Beileid aus, Mylord.“

Er lächelte gequält. „Ich werde mich wohl daran gewöhnen müssen, aber bitte bestehen Sie nicht auf dieser Förmlichkeit, Mylady. Ich war immer Mark für Sie und möchte es auch bleiben.“ Er streckte die Hand nach Isabel aus. „Komm, meine Liebe, ich muss mit dir sprechen.“

Isabel nahm seine Hand und verließ mit ihm den Raum. Jane und ihre Mutter blieben zurück und sahen sich unschlüssig an.

„Das ist ja wirklich eine furchtbare Nachricht“, sagte Lady Cavenhurst. „Ich fühle mit der armen Lady Wyndham. Sie waren so ein glückliches Ehepaar, das aus Liebe geheiratet hat. Wie lange wird die Trauerzeit wohl dauern?“

„Ein Jahr ist üblich, Mama.“

„Wir müssen Isabel dabei helfen, es durchzustehen. Und ich mache mich am besten gleich daran, die Hochzeitseinladungen abzusagen. Außerdem muss ich der Köchin mitteilen, dass die Bestellungen für das Bankett widerrufen werden müssen.“ Sie lächelte plötzlich. „Wenigstens bleiben deinem Vater die hohen Ausgaben vorläufig erspart.“

Jane verstand, dass man auch an die praktischen Dinge denken musste, aber im Moment fühlte sie nur mit Mark und seiner Mutter. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie schwer es sein musste, einen über alles geliebten Menschen so plötzlich zu verlieren.

4. KAPITEL

M ark kehrte heim nach Broadacres . Seine Traurigkeit und der Gedanke an die neue Verantwortung lasteten schwer auf ihm. Zu Isabel hatte er gesagt, die Trauerzeit werde schnell vorübergehen, und dann würde sie ihre Traumhochzeit noch bekommen. „Es kann allerdings sein, dass wir nicht die geplante, weite Hochzeitsreise machen können. Es wird sehr viel auf dem Anwesen zu tun sein. Aber vielleicht können wir etwas später fahren, wenn ich mich in meine neuen Aufgaben eingearbeitet habe.“

„Mama hat dich ‚Mylord‘ genannt. Da habe ich erst begriffen, was geschehen ist, und wie dein Leben sich verändern wird. Du wirst vielleicht ein ganz anderer Mensch sein.“

„Unsinn. Ich ändere mich doch nicht, nur weil ich einen Titel und Land geerbt habe. Und du wirst Lady Wyndham sein, wenn wir heiraten.“

„Und dann bin ich die Herrin von Broadacres ?“

„Natürlich.“

„Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich habe Angst, dass ich der Aufgabe nicht gewachsen bin.“

„Oh doch, du liebes Gänschen“, hatte er gesagt und ihr einen Kuss auf die Stirn gedrückt. „Das wirst du, und du hast die ganze Trauerzeit, um dich an den Gedanken zu gewöhnen. Jetzt muss ich leider gehen. Wir sehen uns, wenn du dann bei meiner Mutter vorsprichst.“

Lady Wyndham hatte einen Beruhigungstee getrunken und ruhte in ihrem Zimmer, als Mark ankam. Er wollte sie nicht stören, sondern sprach zunächst mit dem Verwalter über das Gut. Dann machte er sich daran, Briefe an alle zu verfassen, die vom Hinscheiden seines Vaters erfahren mussten. Es war eine traurige Aufgabe, die er mehrmals unterbrechen musste, weil seine Emotionen ihn überwältigten. Sein Vater war immer sehr gut zu ihm gewesen und hatte in seiner Jugend viel Zeit mit ihm verbracht, war mit ihm jagen, angeln und reiten gegangen. Er hatte für eine gute Erziehung gesorgt und ihm ein Gefühl dafür vermittelt, was richtig und anständig war. Durch sein Vorbild hatte er ihm gezeigt, dass man sich um andere kümmern musste. „Ob hochgestellt oder niedrig, wir sind alle gleich“, hatte er einmal gesagt. „Jeden soll man respektvoll behandeln, ob es der ärmste Arbeiter ist oder der König von England.“ Er war ein hochangesehener Mann gewesen, der nicht nur von seiner Familie, sondern auch von allen Angestellten und den Dorfbewohnern vermisst werden würde.

Drew kam herein, als Mark gerade den letzten Brief beendete. „Ich will euch nicht zur Last fallen“, meinte er. „Heute Abend nehme ich die Postkutsche nach London.“

„Ich werde dich vermissen, Drew.“

„Ich dich auch. Aber ich komme zur Beerdigung, wenn es dir recht ist.“

„Natürlich. Kommenden Donnerstag hier in Hadlea.“

„Bitte vermittle meine Dankbarkeit an Lady Wyndham für ihre Großzügigkeit und Gastfreundschaft. Ich habe ihr eine Karte geschrieben, die ihre Zofe ihr geben wird, wenn es ihr etwas besser geht.“

„Das ist sehr aufmerksam von dir.“

„Und bitte drücke Miss Isabel meine guten Wünsche und mein Beileid aus. Es wird bestimmt schwer für sie sein, dass die Hochzeit verschoben werden muss. Wie hat sie die Nachricht aufgenommen?“

„Sie ist sehr traurig, aber gefasst. Sie hat die Unterstützung ihrer Mutter und Schwestern, wofür ich dankbar bin, weil ich ihr momentan nicht so viel Aufmerksamkeit schenken kann, wie ich möchte.“

„Das wird jeder verstehen. Wenn du mich entschuldigst, werde ich jetzt meine Sachen packen.“

Drew ging, und Mark nahm seine Schreibarbeit wieder auf.

Eine Stunde später empfing er Lady Cavenhurst und ihre drei Töchter. Alle vier knicksten vor ihm und nannten ihn „Mylord“. Da er sich dabei sehr unwohl fühlte, bat er sie, ihn nicht anders zu behandeln als früher.

„Wie geht es Ihrer teuren Mutter?“, fragte Lady Cavenhurst. „Ich möchte sie nicht in ihrem Kummer stören, wenn sie lieber allein sein will.“

Noch während dieser Worte betrat Lady Wyndham den Raum. Sie war ganz in Schwarz gekleidet, aber ihre Haltung war aufrecht und ihre Augen trocken. „Grace, ich danke Ihnen für Ihr Kommen“, sagte sie.

Lady Cavenhurst eilte auf sie zu und ergriff ihre Hände. „Helen, es tut mir so unendlich leid. Wenn wir etwas für Sie tun können, brauchen Sie nur zu fragen.“

„Momentan fällt mir nichts ein. Wollen Sie sich nicht setzen?“

Zuerst wussten sie nicht, was sie sagen sollten. „Jeder, der ihn kannte, wird Lord Wyndham sehr vermissen“, unterbrach Jane das Schweigen. „Er war ein guter, großzügiger, freundlicher Mann, der immer ein offenes Ohr für jeden hatte.“

„Ja, nicht wahr?“ Plötzlich breitete sich ein Lächeln auf Lady Wyndhams traurigem Gesicht aus. „Ich erinnere mich, dass er Jeremy als kleinen Jungen auf den Straßen von London aufgelesen und hierher mitgebracht hat. Er war schmutzig und voller Läuse, aber er ließ ihn baden, gab ihm neue Kleider und zu essen, und seitdem ist er bei uns.“

„Meinen Sie Jeremy, den Kutscher?“, erkundigte sich Isabel.

„Ja. Er ist zu einem prächtigen Burschen herangewachsen, der alles für meinen Gatten und Mark getan hätte.“

„Haben Sie schon die Beerdigung geregelt?“, fragte Lady Cavenhurst.

„Ja. Kommenden Donnerstag in St. Peter’s in Hadlea. Der Bischof von Norwich und Reverend Caulder werden die Zeremonie abhalten. Anschließend wird es hier Erfrischungen geben, und dann soll das Testament verlesen werden.“

„Ich werde bis zum Ende meines Lebens trauern“, sagte Lady Wyndham. „Aber Mark und Isabel sollen nicht so lange auf ihre Hochzeit warten müssen. Ich will noch Enkel hier spielen sehen, bevor ich diese Welt verlasse. Ich glaube, sechs Monate offizielle Trauerzeit sollten genügen.“

„Ich danke Ihnen“, sagte Isabel. „Sie sind sehr freundlich.“

„Ohne Zweifel haben Sie noch viel zu tun“, sagte Lady Cavenhurst und erhob sich. „Wir werden uns jetzt verabschieden. Bitte zögern Sie nicht, es uns zu sagen, wenn wir etwas für Sie tun können.“

Auf dem Weg nach draußen begegneten sie Drew auf dem Kiesweg vor dem Haus. Er verneigte sich vor ihnen. „Verehrte Damen, ich bedaure, aber ich muss leider fort. Die Postkutsche fährt in zwanzig Minuten ab.“

„Fahren Sie jetzt schon zurück?“, fragte Isabel, offenbar mit leichtem Unmut in der Stimme.

„Ja, Miss Isabel. Ich möchte der trauernden Familie nicht zur Last fallen, aber für die Beerdigung komme ich wieder. Lord Wyndham war sehr gut zu mir, als ich damals nicht wusste, wie es mit mir weitergehen sollte.“ Er verbeugte sich noch einmal, kletterte in das Gig und fuhr los.

Der Ponywagen, mit dem sie nach Broadacres gekommen waren, stand vor der Tür, und sie stiegen ein. „Es war sehr rücksichtsvoll von Lady Wyndham, an dich zu denken, Issie“, sagte Jane unterwegs. „Sechs Monate Wartezeit sind nicht zu lang, und die Zeit wird schnell vorbei sein.“

„Ich ahnte schon, dass der Tintenfleck ein schlechtes Omen war. Und auch, dass Mark das Kleid zu früh gesehen hat“, jammerte Isabel.

„Das ist doch nur dummer Aberglaube“, meinte ihre Mutter. „Denke nicht mehr daran.“

„Es gibt noch mehr solche Sprüche“, warf Sophie ein. „Man sagt, eine verschobene Hochzeit findet erst am St. Nimmerleinstag statt.“

„Sophie, sag doch nicht so etwas!“, sagte Lady Cavenhurst tadelnd, als Isabel in Tränen ausbrach. „Du hast deine Schwester damit grundlos aufgeregt.“

„Tut mir leid“, flüsterte Sophie leise.

Aber nichts konnte Isabel trösten, und sie weinte, bis sie zu Hause ankamen.

„Issie, wische dir die Tränen ab“, sagte Jane sanft, obwohl sie allmählich die Geduld mit ihrer Schwester verlor. „Wenn Lady Wyndham und Mark tapfer sind, dann solltest du es auch können. Sie haben mehr verloren als du.“

„Du hast gut reden, Jane“, murrte ihre Schwester. „Dir ist nicht deine Hochzeit vor der Nase weggenommen worden.“

„Isabel, dir ist doch gar nichts weggenommen worden“, sagte ihre Mutter. „Die Hochzeit wurde lediglich um sechs Monate verschoben. Ich kann nur hoffen, dass du bis dahin gelernt hast, dich etwas würdevoller zu benehmen. Denke an die Position, die du als Marks Gattin einnehmen wirst. Du wirst Lady Wyndham und die Herrin von Broadacres sein. Jeder erwartet von dir ein vorbildliches Verhalten. Mark will gewiss keine Ehefrau, die bei der kleinsten Enttäuschung in Tränen ausbricht.“

Isabel antwortete nicht. Jane fuhr den Wagen vor die Stallungen, sie stiegen aus und überließen es Daniel, das Pony auszuspannen. In der Halle trafen sie Teddy.

„Wo bist du gewesen, Teddy?“, fragte seine Mutter. „Wir kommen gerade von unserem Kondolenzbesuch auf Broadacres . Du hättest eigentlich dabei sein müssen.“

„Ich war geschäftlich in Norwich. Ich fahre später allein dorthin.“

Er sagte nicht, um welche Art von Geschäft es sich handelte, aber Jane hatte wenig Hoffnung, dass er nach einem Ausweg aus seinem Dilemma gesucht hatte. Leise seufzend ging sie hinauf in ihr Zimmer. Sie musste dem Bankangestellten schreiben, dass er ihre Ersparnisse auszahlen sollte. Und danach? Würde Teddy sein Leben ändern?

Fast die gesamte männliche Dorfbevölkerung nahm an dem Begräbnis teil, von nah und fern kamen Verwandte und Freunde der Familie Wyndham, einschließlich Drew. Obwohl es nicht üblich war, dass Frauen bei Beerdigungen dabei waren, bestand Lady Wyndham darauf, an der Beisetzung ihres Gatten teilzunehmen. Sie vergoss keine Tränen, sondern stand schwarz gekleidet, aufrecht und würdevoll am Grabe ihres Mannes. Auch während des Gottesdienstes und des anschließenden Trauermahles in der langen Galerie von Broadacres bewahrte sie ihre Haltung. Auf einem Stuhl sitzend, nahm sie Beileidsbekundungen entgegen und hörte sich die Geschichten der Trauergäste über ihren Mann an. Mark als Gastgeber ging zwischen den Gästen umher, aber Jane erkannte die Anspannung in seinem Blick. Es war sicher nicht einfach für ihn, so schnell und unerwartet sein schweres Erbe antreten zu müssen.

Nach und nach verließen die Trauergäste das Haus, nur die Familie und die Dienerschaft blieben für die Verlesung des Testamentes zurück. Mark hielt Jane und Isabel auf, als sie mit ihrer Familie ebenfalls gehen wollten. Er nickte Sir Edward zu. „Ich sorge dafür, dass die beiden anschließend sicher nach Hause kommen.“ Die Mädchen setzten sich zu Mark und Lady Wyndham, und ihre Familie fuhr zurück nach Greystone Manor .

Der Anwalt räusperte sich und begann. Je nach ihrem Status erhielten alle Dienstboten eine Zuwendung, Neffen und Nichten kleinere Summen, seine Witwe einen großzügigen Unterhalt, und Jane dreitausend Pfund für ihr geplantes Waisenhaus. Sie schnappte nach Luft bei der Höhe der Summe. Als Seine Lordschaft ihr eine Spende versprach, hätte sie nie davon geträumt, dass es so viel sein würde – und dass er es sogleich in sein Testament aufgenommen hatte.

Der Anwalt kam zum Schluss. „Schließlich hinterlasse ich meinem geliebten Sohn Mark Broadacres mitsamt allen Ländereien und Besitztümern, das Londoner Haus in der South Audley Street, die Kapitalanlagen in Übersee und alles, was übrig bleibt nach dem Ausgleich aller Verbindlichkeiten.“ Er schaute in die Runde, aber da niemand einen Kommentar abgab, sammelte er seine Papiere ein und verabschiedete sich.

Einige Verwandte, die aus größerer Entfernung gekommen waren und in Broadacres übernachteten, begaben sich auf ihre Zimmer. Die in der Nähe Wohnenden verabschiedeten sich von Lady Wyndham und Mark, und nur noch Jane und Isabel blieben zurück.

„Drew, wärest du wohl so freundlich, die Damen nach Hause zu begleiten?“, bat Mark. „Ich muss bei meiner Mutter und den Gästen bleiben.“

„Danke, sehr gerne, Sir“, sagte Isabel, bevor Jane ablehnen konnte. „Ich würde mich in Ihrer Begleitung viel sicherer fühlen.“

Jane warf ihr einen erstaunten Blick zu, aber sie behielt ihren Kommentar für sich. Sie nahmen Drew in die Mitte und machten sich auf den Weg. „Heute war ein trauriger Tag. Wir alle haben Lord Wyndham sehr gern gehabt. Ihre Ladyschaft hat aber alles sehr gut bewältigt, finden Sie nicht, Mr Ashton?“, sagte Jane.

„Oh ja. Sie war äußerlich unbewegt, aber sie hat bestimmt sehr gelitten. Sie und ihr Gatte waren einander sehr zugetan. Ein beneidenswert harmonisches Ehepaar.“

„Ja. Wie schade, dass nicht jede Ehe so ist“, sagte Jane. „Aber vermutlich hängt es davon ab, ob man seinen Seelenverwandten findet, mit dem man den Rest seines Lebens verbringen möchte. So viele Eheleute heiraten aus Vernunft, und jeder lebt dann sein eigenes Leben.“

„Unglücklicherweise ist es tatsächlich viel zu oft so“, sagte er.

„Sind Sie verheiratet gewesen?“, erkundigte sich Isabel.

„Nein.“ Er lachte. „Ich habe meine Seelenverwandte nie gefunden. Einmal dachte ich, es sei so, aber es sollte wohl nicht sein.“

„Warum nicht?“

Jane hielt die Luft an. Er sah sie lächelnd an. „Wir waren beide jung und unerfahren, und ich wusste noch nicht, wie es mit mir weitergehen würde.“ Er lachte auf. „Seitdem war ich zu beschäftigt damit, mein Vermögen zu verdienen, und hatte keine Zeit mehr für Heiratspläne.“

„Würden Sie denn wieder zu ihr zurückgehen, wenn Sie könnten?“

„Isabel“, sagte Jane missbilligend. „Du solltest Mr Ashton nicht so aushorchen.“

„Oh, es macht mir nichts aus“, sagte er. „Um Ihre Frage zu beantworten, Miss Isabel, ich war mir anfangs nicht sicher. Ich dachte, wenn wir uns wiedersehen würden und sie sähe, wie vermögend ich geworden bin, dann würden sie und ihr Papa vielleicht ihre Meinung ändern, und ich könnte sie für mich gewinnen. Aber ich habe mich eines Besseren besonnen.“

„Warum? Ist sie nicht mehr so schön wie früher?“

„Oh, eher noch schöner. Das ist es nicht …“

„Issie, ist dir eigentlich aufgefallen, wie mitgenommen Mark heute aussah?“ Jane unterbrach die Unterhaltung, weil das Thema unerträglich für sie wurde. „Es ist ja kein Wunder, er wird für die kommenden Wochen seine ganze Kraft …“

„Es wird vielleicht gar keine Hochzeit geben“, wurde sie von Isabel unterbrochen.

„Isabel, was redest du denn da?“, rief Jane. „Hast du etwa deine Meinung geändert und willst Mark nicht mehr heiraten?“

„Ich weiß nicht. Ich bin so durcheinander. Heute habe ich beobachtet, wie vorbildlich Lady Wyndham sich verhalten hat. Man wird von mir erwarten, so zu sein wie sie, diesen großen Haushalt zu führen und immer gelassen zu bleiben in jeder Krisensituation. Ich glaube nicht, dass ich das kann.“

„Es war ein anstrengender Tag“, sagte Jane. Sie fand, Drew hätte das alles besser nicht hören sollen. „Wenn du eine Nacht darüber geschlafen hast, wirst du sicher anders denken.“

„Es ist nicht erst seit heute. Schon lange mache ich mir Sorgen deswegen.“

„Oh Issie, langsam verliere ich die Geduld mit dir. Und alles nur, weil Tinte auf dein Kleid getropft ist … und wegen Sophies unbedachter Äußerung.“

„Was hat sie denn gesagt?“, fragte Drew.

Gar nichts“, antwortete Jane. „Nur dummer Aberglaube. Wer weiß, wo sie das her hatte.“

„Wenn eine Hochzeit aufgeschoben wird, findet sie nie mehr statt“, sagte Isabel.

Sie waren nebeneinander hergegangen, aber jetzt wandte sich Drew zu Isabel. „Ich neige dazu, Miss Jane recht zu geben. Es ist wirklich töricht.“

„Oh, es wäre mir egal, wenn ich nicht schon vorher meine Zweifel gehabt hätte.“

„Jetzt ist ein besonders ungünstiger Zeitpunkt für so etwas, Issie“, sagte Jane tadelnd. „Denke an Mark und was er durchmacht.“

„Er kennt meine Bedenken.“

„Und was sagt er dazu?“

„Dass ich die Trauerzeit nutzen soll, um mich an den Gedanken zu gewöhnen.“

„Also bitte.“

„Jane, versuche bitte nicht, meine zweite Mutter zu sein. Immer sagst du mir, was ich tun und lassen soll, und ich bin es leid. Du hast keine Ahnung, was ich fühle. Ich glaube, du hast gar kein Herz.“

Jane war betroffen, aber sie wollte es nicht zeigen, schon gar nicht vor Drew. „Issie, als du Marks Antrag angenommen hast, wusstest du doch, dass du eines Tages Lady Wyndham sein würdest. Das ist doch nichts Neues für dich.“

„Ich dachte, das geschähe erst in vielen Jahren, wenn wir älter sind.“

„Aber wenn du Mark wirklich liebst, ist das alles nebensächlich. Lass uns über etwas anderes sprechen. Ich bin sicher, Mr Ashton möchte nichts davon hören.“

Schweigend gingen sie weiter. Jane war erschüttert über das, was Isabel gesagt hatte. Wusste Mark wirklich, was Isabel empfand? Das musste seinen Schmerz über den Verlust seines Vaters noch vertieft haben. Seine Auserkorene wollte nicht die Art von Ehefrau werden, die ein Mann in seiner Position brauchte. Glaubte er tatsächlich, dass sich Isabel daran gewöhnen würde? Das Traurige für sie war, dass sie als unverheiratete Schwester über solche privaten Dinge nicht mit ihm sprechen durfte. Und was konnte sie schon sagen? Nichts. Nie durften ihre eigenen Gefühle ans Licht kommen. Die bewahrte sie im tiefsten Inneren ihres Herzens, das sie laut Isabel gar nicht hatte.

Von der Seite warf sie Drew einen Blick zu. Hoffentlich sprach er mit niemandem über das, was er gehört hatte. Er spürte ihren Blick und sagte leise zu ihr: „Ihr Geheimnis ist sicher bei mir.“

Verwirrt schaute sie zur Seite. Welches Geheimnis?

Sie erreichten das Eingangstor. Drew lehnte höflich Isabels Einladung ab, noch kurz mit ins Haus zu kommen, verbeugte sich und ging. Jane und Isabel gingen hinein zu ihren Eltern und Geschwistern. Über die Unterhaltung auf der Straße verloren sie kein Wort.

Jane hatte genug Geld für ihr Kinderheim in Aussicht, darum hatte sie sich bereit erklärt, das Geld ihrer Tante ihrem Bruder zu geben.

„Ich tue es für Papa, nicht für dich“, sagte sie ihm ein paar Tage später, als sie Teddy am späten Vormittag nach Hause kommen sah. Er sah so derangiert aus, als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. „Ich habe die Bank angewiesen, es auf dein Konto einzuzahlen, aber es ist das letzte Mal. Bitte gehe klug damit um – und keine Kartenspiele mehr!“

„Danke, Schwesterherz.“ Er grinste. „Vermutlich habe ich deine Strafpredigt verdient, aber weißt du, dass du immer mehr wie Papa klingst?“

„Weil wir uns beide Sorgen um dich machen, Teddy. Offenbar hast du keinerlei Verantwortungsgefühl.“

Er seufzte theatralisch. „Ich weiß, dass du mich absolut schrecklich findest. Wie viel ist es denn?“

„Fünftausend Pfund, und um jeden Penny davon tut es mir leid, sei dir dessen bewusst. Wenn es wenigstens keine Spielschulden wären …“

„Ich bezahle damit meine Überfahrt nach Indien und lebe davon, bis ich mein Vermögen gemacht habe.“

„Indien? Wovon sprichst du? Davon war nie die Rede!“

„Vielleicht auch die Westindischen Inseln. Ich habe mich noch nicht entschieden.“

„Teddy, von dem Geld sollst du Lord Bolsover auszahlen und deine restlichen Schulden begleichen. Ich gebe es dir nicht, damit du verreisen kannst.“

„Dummerweise bleibt mir keine Wahl. Fünftausend reichen nicht aus, um mich von allen Schulden zu befreien. Hector Bolsover hat aus irgendeinem Grund meine sämtlichen Schuldscheine aufgekauft, nicht nur die der Spielschulden. Ich weiß nicht, was er damit bezweckt, aber er hat mich in der Hand. Es bleibt mir nichts anderes übrig als auszuwandern.“

Sie war empört. „Teddy, hast du etwa wieder gespielt?“

„Ich habe nur versucht, meine Verluste wettzumachen. Ich wollte nicht, dass du für mich geradestehen musst.“

„Und jetzt steckst du noch tiefer drin als vorher.“ Sie war entsetzt.

„Tut mir leid, Jane.“

„Wissen Mama und Papa, was du vorhast?“

„Ich sage es ihnen noch.“

„Und wann fährst du los?“

„Mit der Postkutsche heute Abend. Wünsche mir Glück, Jane.“

„Glück! Ich würde dir lieber ein paar hinters Ohr geben. Du hast Schande über unsere Familie gebracht. Ich hoffe nur, dass das Leben in der Fremde eine Sinnesänderung bei dir bewirkt.“

„Oh Jane, hör auf mit deiner Predigt. Du wirst mich lange nicht sehen – lass uns nicht im Streit auseinandergehen.“

Er strahlte sie mit seinem entwaffnenden Lächeln an, und gegen ihren Willen umarmte sie ihn zum Abschied.

Ihre Familie begann zu zerfallen, dachte sie, als er forteilte. Ihr Bruder war ein Taugenichts, und ihre Schwester Isabel zweifelte an der Heirat. Ihr Vater grübelte Tag und Nacht über seine finanzielle Situation nach, und ihre Mutter sah weg und wollte nichts wissen. Bis jetzt war mit Sophie noch alles in Ordnung bis auf ihre unhöfliche Neigung, unbedacht alles auszusprechen, was ihr in den Kopf kam. Doch Janes eigene Gedanken und Gefühle waren auch völlig durcheinander. Sie musste schnell etwas Nützliches finden, um sich damit zu beschäftigen.

Sie beschloss, sich möglichst bald nach den passenden Räumlichkeiten für ihr Kinderheim umzuschauen. Außerdem brauchte sie eine regelmäßige Einnahmequelle, damit sie den Unterhalt für das Heim bezahlen konnte. Irgendwie musste sie noch mehr Geld auftreiben. Am besten versuchte sie es in London.

Jane suchte den Pfarrer auf, und er versprach, sich umzuhören wegen der Räumlichkeiten. Doch ermahnte er sie, nicht ohne männliche Begleitung nach London zu reisen. „Aber Sie könnten vielleicht ein paar Briefe an einflussreiche Leute schreiben.“

„Bettelbriefe?“, fragte sie erschrocken.

„Nun ja, aber für den guten Zweck. Wir könnten der Organisation ja auch einen offiziell klingenden Namen geben, damit es nicht so wirkt, als würden Sie für sich um Almosen bitten.“ Am Ende entschieden sie sich für „Hadlea Children’s Home“, und sie wollte einen kleinen Teil des Geldes dafür ausgeben, passendes Briefpapier drucken zu lassen.

Auf dem Weg nach Hause dachte sie über Formulierungen für ihren Brief nach, als plötzlich Mark neben ihr ging. „Jane. Ich wollte gerade zu dir kommen.“

Schon lange hatte sie gelernt, ganz ruhig zu bleiben, wenn sie ihn traf. Sie drehte sich zu ihm um und lächelte. Er war ganz in Schwarz gekleidet, und sein Gesicht sah etwas verhärmt aus. Sie würde ihn so gern trösten, denn Isabel schien dazu nicht in der Lage zu sein, aber das war leider unmöglich.

„Mylord“, sagte sie.

„Meine Güte, Jane, bitte höre auf mit dem ‚Mylord‘-Unsinn, wenn du nicht willst, dass ich sehr böse auf dich werde. Worüber hast du so intensiv nachgedacht, dass du mich nicht hast kommen hören?“

Sie erzählte ihm von ihren Plänen für das Hadlea Children’s Home . „Dank dir und deinem Vater haben wir genug Geld, um ein passendes Gebäude kaufen zu können, aber wir suchen noch ein paar reiche Gönner, damit wir den zukünftigen Unterhalt sicherstellen können. Leider kann Papa mich derzeit nicht nach London begleiten, darum muss ich Briefe schreiben.“

„Ich werde dir helfen, wo ich nur kann.“

„Aber du hast so viel zu tun. Du musst die Erbschaft regeln und dich in deine neue Rolle finden.“

„So schwierig ist das nicht, Jane. Mein Vater hat mich auf diese Aufgabe vorbereitet, und meine Arbeiter sind gute Männer, die wissen, was zu tun ist. Für mich ist es am schwersten, dass mein Vater nicht mehr da ist, um mich zu beraten. Mutter kümmert sich um das Haus und die Dienerschaft, aber sie hat noch nie Interesse an der Verwaltung gezeigt. Das muss ich jetzt allein bewältigen.“

Sie fühlte, dass ihr Gesicht rot wurde. „Du sagtest, du seiest auf dem Weg zu uns.“

„Ja. Ich muss geschäftlich nach London und wollte nachfragen, ob ich für Sir Edward oder Lady Cavenhurst Besorgungen erledigen könnte, wenn ich einmal dort bin.“

„Das ist sehr freundlich von dir.“ Sie machte eine Pause und überlegte. „Du könntest etwas für mich tun.“

„Sehr gern. Was ist es?“

„Nimm mich mit nach London. Sicher wird Papa mir die Fahrt erlauben, wenn du mich begleitest. Ich könnte bei Lady Cartrose übernachten. Sie ist die Witwe meines Onkels und wohnt in der Mount Street. Du müsstest mich nur zu ihr bringen.“

„Ich weiß nicht recht …“

„Bitte, Mark. Ich kann mich in der der Stadt sehr viel besser um mein Projekt kümmern. Dort kann ich Bekannte treffen, das Briefpapier drucken lassen, solche Dinge. Tante Emmeline ist in der Gesellschaft angesehen und könnte mich vielleicht auch wichtigen Leuten vorstellen. Ich glaube, dass ich persönlich viel mehr erreichen kann als durch Briefe.“

„Ich würde dich gern begleiten, aber es wäre nicht schicklich.“

„Und warum nicht? Du bist immerhin mein zukünftiger Schwager.“

„Ich weiß nicht, Jane“, sagte er mit einem leichten Lächeln. „Wir wollen lieber Sir Edward fragen.“

Sir Edward hatte auch Bedenken. „Meine Tochter hält sich für erwachsen und unabhängig, und das ist in gewissem Maße auch richtig. Aber wir können uns nicht über die Konventionen hinwegsetzen. Schlimm genug, dass Teddy … Nein, wir reden jetzt nicht über ihn.“ Teddy hatte sich tränenreich von seiner Mutter verabschiedet, aber von seinem Vater war er im Unfrieden geschieden. Sir Edward war sehr zornig auf ihn und lehnte jede weitere Verantwortung ab.

„Es wäre aber in Ordnung, wenn auch Isabel mitfahren würde“, meinte Lady Cavenhurst. „Dann wäre Jane gewissermaßen die Anstandsdame.“

„Das würde mir gefallen“, sagte Jane mit glänzenden Augen.

„Ja, ich glaube, das ginge.“ Sir Edward wandte sich an seine Frau. „Glaubst du, dass deine Schwägerin sie bei sich aufnehmen wird?“

„Ganz sicher. Sie fragt mich ständig, wann wir sie endlich einmal besuchen kommen. Ich schreibe ihr sofort.“

„Mylady, Sie könnten mir auch einen Gefallen tun. Würden Sie wohl meiner Mutter Gesellschaft leisten, solange ich fort bin? Sie ist noch sehr traurig, und ich lasse sie nicht gern allein.“

„Aber selbstverständlich. Wann fahren Sie los?“

„Eigentlich wollte ich morgen aufbrechen, aber ich verschiebe es um einen Tag, damit die Damen Zeit zum Packen haben. Ich möchte gern zeitig auf dem Weg sein, darum werde ich mit der Kutsche um halb neun Uhr vorfahren, wenn es nicht zu früh ist.“

„Wir werden bereit sein“, sagte Jane.

Sie schafften die Strecke nach London in zwei Tagen, mit einer Übernachtung auf halbem Wege. Isabel schaute meistens aus dem Fenster und kommentierte fröhlich alles, was sie sah, während Jane und Mark über das Kinderheim diskutierten.

„Es gibt in London mehrere Waisenhäuser“, sagte er. „Ein paar gute, aber auch einige sehr schlechte. Du solltest dir mehrere ansehen und herausfinden, wie sie geleitet werden, und wie sie sich finanzieren. Das hilft dir vielleicht, Fehler zu vermeiden, und du kommst auf neue Ideen. Wenn ich meine Geschäfte erledigt habe, werde ich dich gern begleiten. Vielleicht schon morgen Nachmittag.“

„Ja, das würde mir gut passen, danke“, sagte Jane. „Dann kann ich vormittags noch ein paar Fragen vorbereiten.“

„Wie langweilig“, sagte Isabel.

„Du musst nicht mitkommen, liebste Issie. Tante Emmeline findet für dich bestimmt eine angenehmere Beschäftigung.“

„Aber du nimmst mir Mark weg.“

„Ich mache es wieder gut, Isabel“, sagte er. „Gönne deiner Schwester ihr Kinderheim. Du hast eine Hochzeit, auf die du dich freuen kannst.“ Er lächelte. „Zwei Wochen der sechs Monate sind ja schon vorbei. Ein Vorschlag – möchtest du vielleicht in Bullock’s Museum gehen? Ich glaube, dort wird zurzeit Napoleons Kutsche ausgestellt. Wir können alle zusammen dorthin gehen.“

Dieser Vorschlag hatte Isabel besänftigt, und als der Wagen vor Lady Cartroses Haus vorfuhr, war sie wieder gut gelaunt. Jeremy brachte die Kutsche nach Wyndham House, und Mark betrat mit den beiden ihm anvertrauten Damen und ihren Zofen das Stadthaus. Ihre Ladyschaft hatte den Brief ihrer Schwester erhalten und erwartete sie bereits. Seit Jane sie zum letzten Mal gesehen hatte, war sie kugelrund geworden. Sie trug ein dunkelviolettes Kleid und eine weiße Haube auf ihren rot gefärbten Haaren.

„Lasst euch anschauen“, sagte sie, als sie im Salon waren. „Ihr seid beide richtig erwachsen geworden – und so elegant. Ich wusste gar nicht, dass ich so hübsche Nichten habe. Bitte, stellt mir euren Begleiter vor.“

„Tante Emmeline, dies ist Lord Wyndham“, sagte Jane.

„Stimmt es, dass ihr verlobt seid?“ Sie wandte ihr rundes Gesicht lächelnd zu Mark.

Jane sagte betroffen: „Oh nein, Tante. Lord Wyndham ist mit Isabel verlobt, nicht mit mir.“

„Oje, wie dumm von mir. Ich muss den Brief deiner Mutter missverstanden haben. Mylord, bitte verzeihen Sie mir.“

Mark verneigte sich vor ihr. „Keine Ursache, Mylady.“

„Setzen wir uns doch.“ Sie zeigte auf zwei Sofas und einige Stühle. „Und jetzt machen wir es uns bei einer Tasse Tee gemütlich und ihr erzählt mir alles über euch.“ Sie ließ sich auf einem der Sofas nieder, eine Zofe kam mit dem Tee herein, eine andere brachte zwei Platten voller Kuchen und Gebäck.

Schnell fiel ihnen auf, dass Ihre Ladyschaft sehr schlecht hörte. Damit sie sie verstand, mussten sie alles mit lauter Stimme sagen und vieles wiederholen.

Als ihre Tante alles Wissenswerte über das Leben ihrer Nichten erfahren hatte, nutzte Mark die Gelegenheit, um sich zu verabschieden. „Morgen Vormittag bin ich in geschäftlichen Angelegenheiten unterwegs“, teilte er Ihrer Ladyschaft mit. „Aber mit Ihrer Erlaubnis möchte ich Jane gern morgen Nachmittag abholen und mit ihr ein paar Waisenhäuser ansehen.“

„Dann sollten Sie unbedingt das ‚Coram Foundling Hospital‘ besichtigen“, sagte sie. „Es ist für das Publikum geöffnet und hat schon beträchtliche Spendensummen mit Kunstwerken und musikalischen Abenden erzielt.“

„Ja, sehr gerne, davon habe ich schon gehört“, sagte Jane.

„In der Zwischenzeit lade ich für übermorgen so viele wohlhabende Bekannte wie möglich zu einem Abend mit Musik, Kartenspiel und kaltem Buffet ein. Ich werde dich allen vorstellen, Jane, dann kannst du mit ihnen über dein Kinderheim sprechen. Es wird aber nicht einfach werden, sie zu einer Spende zu überreden. Jedermann beklagt sich heutzutage über die schweren Zeiten. Der Krieg hat alle viel Geld an Steuern gekostet.“

„Umso mehr Grund für sie, auch an die armen Waisenkinder zu denken“, sagte Jane. „Wenn die Zeiten hart sind für die Reichen, sind sie noch viel härter für die Armen.“

„Du bist sehr überzeugend – du schaffst es bestimmt“, sagte Mark. „Bis morgen dann.“ Er verneigte sich vor den Damen und ging.

Coram Foundling Hospital, vor über siebzig Jahren von dem Philanthropen Thomas Coram gegründet, war weitaus größer, als Jane es sich vorgestellt hatte. Einige Waisen lebten dort, aber die meisten waren Kinder unverheirateter Frauen. Alle sahen gut gekleidet und wohlgenährt aus und schienen einigermaßen zufrieden zu sein. Doch Jane war nicht der Meinung, dass es richtig war, die Kinder ihren leiblichen Müttern wegzunehmen. Man sagte ihr, das geschehe, damit die Mütter ihre Sünde bereuen und ein neues Leben beginnen konnten.

„Sie sollten lieber die Kinder ermutigen, ihre Mütter kennenzulernen und mit ihnen zu reden“, sagte sie in der Kutsche zu Mark, als sie auf dem Rückweg zur Mount Street waren. „Familienbande sind sehr wichtig.“

Er hatte sie die ganze Zeit unterstützt, auch als sie mit dem Leiter der Einrichtung sprach, und er hatte gute Fragen gestellt, an die sie selbst vielleicht gar nicht gedacht hätte. Die Zeit allein mit ihm bedeutete ihr sehr viel. So viel, dass sie Schwierigkeiten hatte, sich auf den Zweck ihres Besuches zu konzentrieren. Jedes Mal, wenn sie mit dem Arm seinen Ärmel streifte, oder wenn er seine Hand unter ihren Ellenbogen legte, um ihr eine Stufe hinaufzuhelfen, wurde ihr ganzer Körper von Wärme überflutet. Sie musste sich sehr auf das Gespräch konzentrieren und vergessen, dass sie mit ihm allein in der Kutsche saß.

„Ich glaube, du hast recht“, sagte er. „Die Verwandten des armen Drew wollten auch nichts mit ihm zu tun haben, als er seine Eltern verlor. Sie schickten ihn auf eine gute Schule und dachten, damit wären sie ihren Teil der Verantwortung los. Unter anderem deswegen habe ich mich mit ihm angefreundet und ihn nach Broadacres eingeladen.“

„Ja. Das hat er mir früher einmal erzählt.“

„Ja. Er hat auch gesagt, dass er dir bei deinem Projekt helfen möchte. Du solltest mit ihm darüber sprechen.“

„Falls ich ihn wiedersehe.“ Sie zögerte. „Mark, vertraust du ihm eigentlich?“

„Natürlich. Warum fragst du?“

„Kein besonderer Grund.“ Sie wechselte das Thema. „Das ‚Coram‘ hat mich auf neue Ideen gebracht, wie man zu Geld kommen kann außer durch Briefeschreiben. Wir könnten Musikabende mit talentierten Musikern geben, für die das wohlhabende Publikum großzügig bezahlen würde. Oder man könnte einen Jahrmarkt im Dorf veranstalten und um Spenden für die Stände und um Preise für ein paar Wettbewerbe bitten. Man könnte auch ein geringes Eintrittsgeld verlangen.“

„Ein Jahrmarkt würde aber nicht die Wohlhabenden anlocken. So etwas bedeutet viel Arbeit für wenig Geld.“

„Ich weiß, aber damit würde man den Bewohnern von Hadlea die Möglichkeit geben, sich zu beteiligen. Das Heim soll ein Teil der Gemeinde werden. Außerdem kann jede Kleinigkeit hilfreich sein. Am letzten Samstag im August haben wir die beste Chance auf gutes Wetter und bis dahin bleibt genug Zeit, alles vorzubereiten.“

„Dann veranstalten wir es auf dem Ten Acre Field am Rande unseres Anwesens.“

„Aber Mark, wäre das vernünftig? Du hast gerade deinen Vater verloren. Was wird deine Mutter dazu sagen?“

„Ich rede mit ihr, aber sie wird sicher sagen, dass mein Vater es auch so gewollt hätte. Dein Projekt lag ihm am Herzen, so wie jetzt mir.“

„Was würde ich ohne dich nur tun?“

„Ganz bestimmt würdest du alles bewundernswert allein regeln.“ Er lächelte sie an, und ihr Herz begann zu flattern.

Als sie in der Mount Street ankamen, stürmte Isabel auf sie zu und plapperte begeistert drauflos, dass sie mit Lady Cartrose im offenen Wagen durch den Hyde Park spazieren gefahren sei. Dabei hatten sie immer wieder angehalten, sodass sie einige der zahlreichen Bekannten Ihrer Ladyschaft kennenlernen konnte. „Das war sicherlich interessanter, als ein Waisenhaus zu besichtigen“, sagte sie. „Und ratet mal, wen wir getroffen haben? Keinen Geringeren als Mr Ashton. Als er hörte, dass du in der Stadt bist, Mark, sagte er gleich, dass er dich treffen wolle. Und Tante Emmeline hat ihn für morgen eingeladen. Es war die Rede von einem gemeinsamen Ausflug.“ Sie strahlte über das ganze Gesicht, und Jane beschlich eine dunkle Vorahnung.

5. KAPITEL

A m nächsten Morgen trafen Mark und Drew gleichzeitig in der Mount Street ein, um die Details des Ausflugs zu besprechen. Sie wollten am Nachmittag das Bullock’s Museum besichtigen und am Abend zu einem Konzert im Chinesischen Pavillon in den Vauxhall Gardens gehen. Isabel war begeistert von dem Plan. Sobald die beiden gegangen waren, überlegte sie schon, was für ein Kleid sie anziehen sollte.

„Mein grün-rosa gestreiftes Seidenkleid“, sagte sie. „Mit einer rosa Schute und passenden Handschuhen.“

„Issie, denke daran, dass Mark in Trauer ist. Als seine Verlobte solltest du ebenfalls gedeckte Farben tragen.“

„Soll ich etwa Trauerkleidung anziehen? Wir sind noch nicht verheiratet.“

„Zumindest etwas Schlichtes … aus Respekt für Marks Gefühle.“

„Immer denkst du nur an Marks Gefühle, Jane. Ich frage mich allmählich, ob du wohl selbst ein bisschen in ihn verliebt bist.“

„Unsinn.“ Janes Ton war ziemlich scharf, aber sie wandte sich ab, damit ihre Schwester ihr betroffenes Gesicht nicht sehen konnte. „Tante, was sagst du dazu?“

„Es gibt sehr schöne Schattierungen von Violett und Taubengrau.“

„Mein einziges graues Kleid ist das alte Reisekleid, das ich auf dem Weg hierher anhatte. Soll ich das etwa noch einmal anziehen?“

„Es würde passen“, sagte Jane.

„Würde es nicht. Wie soll ich gut aussehen in so etwas Langweiligem? Ich würde den Gentlemen bestimmt nicht gefallen.“

„Gentlemen? Was denn für Gentlemen?“

„Mark und Mr Ashton natürlich.“

Sie blieb dabei, und als die Gentlemen ankamen, wurden sie von Isabel in Grün und Pink begrüßt. Jane dagegen trug ein einfaches violettes Kleid mit weißer Spitze. Beide hatten Sonnenschirme dabei, denn es war ein warmer Tag.

Bullock’s Museum befand sich im nicht allzu weit entfernten Ägyptischen Haus in Piccadilly, darum beschlossen sie, dorthin zu laufen. In dem Museum waren seltsame, teilweise bizarre Dinge ausgestellt – Skelette und Tierknochen, Waffen und Rüstungen, Uniformen mit Einschusslöchern und seltene Pflanzen. Sie spazierten zwischen den Exponaten umher, dann besichtigten sie die prachtvolle Reisekutsche, die Napoleon auf seinen Feldzügen benutzt hatte. Er hatte sie nach seiner Niederlage bei Waterloo zurückgelassen. Die Kutsche war für das Museum angekauft worden, und nun kamen die Menschen in Scharen, um sie zu besichtigen.

„Fuhr der Duke of Wellington auch in so einem Wagen?“, fragte Jane.

„Er hatte eine Kutsche, aber er ist lieber geritten.“

„Einen meiner Briefe will ich an ihn richten. Man sagt von ihm, dass er viel Sympathie für die Nöte seiner Männer und deren Familien hatte.“

„Nun, ich finde, du vergeudest deine Zeit“, meinte ihre Schwester. „Was kann eine einzelne Frau bewirken?“

„Wenn alle so dächten, würde sich nie etwas ändern“, sagte Mark.

„Mir tun die Kinder ja auch leid, wirklich“, sagte Isabel. „Aber dieser Plan kostet Tausende von Pfund. Du bist wie besessen davon, Jane, und ich habe keine Lust mehr, ständig davon zu hören. Wenn du mit Mark weiter darüber reden willst, finden Mr Ashton und ich bestimmt ein besseres Gesprächsthema.“ Sie nahm Drews Arm. „Kommen Sie, Mr Ashton, zeigen Sie mir die Tiere.“

Drew sah fragend zu Mark herüber, der mit einem leichten Nicken antwortete, und Drew ließ sich von Isabel wegführen.

„Mark, sollen wir ihr nachgehen?“, fragte Jane konsterniert.

„Sie langweilt sich, Jane.“

„Das ist keine Entschuldigung. Ich bin entsetzt über dieses Benehmen und kann mich nur an ihrer Stelle entschuldigen.“

„Teure Jane, du musst dich für niemanden entschuldigen. Du kannst nichts für das Temperament deiner Schwester.“

„Nein, aber ich bin besorgt darüber, dass sie deinen Gefühlen nicht die angemessene Aufmerksamkeit schenkt.“

„Woher weißt du denn, was für Gefühle ich habe, Jane?“, erkundigte er sich lächelnd. „Kannst du meine Gedanken lesen?“

„Natürlich nicht.“ Sie fühlte Röte in ihrem Gesicht aufsteigen und wollte das Gespräch beenden. „Dennoch denke ich, dass wir ihnen aus Gründen der Schicklichkeit nachgehen sollten.“

Plötzlich lachte er, zum ersten Mal seit dem Tod seines Vaters. „An wessen Ruf denkst du dabei, Jane? Ihren oder unseren?“

„Dann sollten wir um unser aller willen zu ihnen gehen und nicht mehr über das Waisenhaus sprechen.“

Die präparierten Tiere befanden sich in einem separaten Teil des Museums. Man ging hinein durch einen engen Korridor, und wenn man hinaustrat, stand man in einem tropischen Regenwald, in dem die Tiere wie lebensecht in der üppigen Vegetation platziert waren. Drew und Isabel waren aber nicht dort und auch in keinem anderen Teil des Gebäudes. Beunruhigt gingen Jane und Mark nach draußen, und endlich sahen sie sie vor dem Gebäude auf dem Fußweg stehen. Isabel klammerte sich mit beiden Händen an Drews Arm und hatte den Kopf an seine Schulter gelegt.

„Da seid ihr ja“, sagte Drew. „Miss Isabel fühlte sich unwohl und bat mich, sie an die frische Luft zu bringen. Ich wagte nicht, sie hier allein zu lassen, um euch zu holen.“

„Oje“, sagte Jane, zog sanft ihre Schwester von Drew fort und legte ihr den Arm um die Schultern. „Geht es dir besser?“

„Ja, ein wenig.“

„Meinst du, dass du den Rückweg zur Mount Street zu Fuß schaffst, oder sollen wir fahren?“ Isabel entschied sich für Fahren.

Sie nahmen eine Droschke zurück zur Mount Street, und auf der kurzen Fahrt erholte sich Isabel schnell. Jane fragte sich, ob es ihr wirklich übel gewesen war, oder ob sie Drew nur etwas vorgespielt hatte.

„Issie“, sagte sie, sobald sie allein waren. „Du hättest Mr Ashton nicht bitten dürfen, dich von uns wegzubringen. Es war sehr unangenehm für Mark, und mir treibt der Gedanke an so ein unpassendes Benehmen die Schamröte ins Gesicht. Und dann bist du wirklich zu weit gegangen, als du dich auf diese Weise an Mr Ashtons Arm gehängt hast. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was Mark gedacht haben muss.“

„Ich bin fast ohnmächtig geworden, außerdem ist es mir egal, was Mark denkt. Und ich will nicht, dass du mich deswegen tadelst.“

„Issie!“

„Ich wünschte, ich hätte Mark nie versprochen, ihn zu heiraten.“ Damit rauschte sie aus dem Zimmer, und Jane blieb aufgewühlt zurück. Es war immer schwer zu sagen, ob Isabel alles so meinte, wie sie es sagte, oder ob es ein Wutanfall war, der ihr hinterher leidtun würde.

Beim Essen mit ihrer Tante um fünf Uhr war Isabel ungewöhnlich still, aber sie wollte nichts davon hören, den Ausflug zu den Vauxhall Gardens zu verschieben.

„Es geht mir wieder sehr gut“, sagte sie. „Wir sind nur ein paar Tage in der Stadt und wer weiß, ob wir jemals wiederkommen können, wenn Papa so fest entschlossen ist zu sparen. Darum will ich die Zeit voll auskosten.“

Nur schweren Herzens bereitete Jane sich auf den Abend vor. Wieder würden sie von Mark und Mr Aston begleitet werden. Sie wünschte, Drew würde dahin zurückgehen, woher er gekommen war.

Pünktlich um acht Uhr fuhren Drew und Mark in der Stadtkutsche der Wyndhams vor, und bald waren alle vier auf dem Weg nach Chelsea.

Die Gärten waren ein beliebter Ausflugsort für ein gemischtes Publikum, wo jeder hinging, der den Eintrittspreis von zwei Shilling Sixpence bezahlen konnte. Dort war ein chinesischer Pavillon, ein Zierteich und schöne Spazierwege. Mark und Drew nahmen die Damen zwischen sich und gingen mit ihnen zum Pavillon, um dort der Kapelle zuzuhören, die bis zum Einbruch der Dunkelheit spielte. Laternen wurden zwischen den Bäumen aufgehängt und erleuchteten die unmittelbare Umgebung des Pavillons, aber die Wege unter den Bäumen lagen im Dunkeln und waren deshalb ein beliebter Treffpunkt für Liebespaare.

Am Ende des Konzerts strömten alle Besucher hinaus, und plötzlich wurde Jane in der Menge von ihren Begleitern getrennt. Sie wanderte suchend ein paar Minuten umher, bis sie endlich Mark traf. „Wo sind Mr Ashton und Isabel?“, fragte sie. „Ich suche schon seit einer Ewigkeit nach euch.“

„Ich weiß es nicht. Ich dachte, sie wären bei dir.“

„Nein. Ich habe sie in der Menschenmenge aus den Augen verloren. Wo können sie nur sein?“

„Es ist wohl am besten, wenn wir zuerst zum Wagenhalteplatz gehen und nachschauen, ob sie dort sind.“

Doch Jeremy hatte Mr Ashton und Isabel auch nicht gesehen. Daher gingen sie wieder zurück zu den Gärten und suchten systematisch alle Pfade ab. Es war inzwischen ganz dunkel geworden, und fast alle anderen Besucher hatten den Park verlassen. Sie nahmen eine Laterne mit, um den Weg zu beleuchten. „Die beiden müssen sich verlaufen haben“, sagte Jane. „Obwohl ich es nicht ganz verstehe. Sie hätten doch nur den anderen Leuten zum Ausgang nachgehen müssen.“

Sie suchten alle Wege ab und störten mit dem Licht ihrer Laterne das eine oder andere Liebespaar, aber von Drew und Isabel fanden sie keine Spur. Darum gingen sie zurück zum Pavillon, wo sie endlich Drew antrafen. Er war allein.

„Wo ist Issie?“, fragte Jane besorgt.

„Ich habe sie zur Kutsche gebracht, dort wartet sie auf euch.“

„Vor einer halben Stunde war sie aber noch nicht dort.“

„Nein. Sie wurde ohnmächtig und sank mitten in der Menschenmenge zu Boden. Ich hob sie auf und trug sie zurück zum Pavillon, damit sie sich erholen konnte. Dann begleitete ich sie zur Kutsche und machte mich auf die Suche nach euch.“

„Wir müssen schleunigst nach Hause fahren“, meinte Mark. „Das ist schon das zweite Mal heute, dass Isabel sich unwohl fühlt. Hoffentlich ist es nichts Ernstes.“

Sie eilten zur Kutsche zurück, wo Isabel auf sie wartete. Jane ging zu ihr. „Issie, was ist los?“

„Die Menschen haben so geschoben und gedrückt, ich konnte mich nicht mehr bewegen, und ihr wart plötzlich alle weg. Ich wurde ohnmächtig und wäre zertrampelt worden, wenn Drew mich nicht gesehen und gerettet hätte.“

„Dann stehen wir in seiner Schuld“, sagte Mark und setzte sich auf den Sitz ihr gegenüber. Drew und Jane stiegen ebenfalls ein, und Jeremy brachte sie auf dem schnellsten Weg zur Mount Street. Die Gentlemen fuhren weiter, nachdem sie die Damen sicher in die Obhut ihrer Tante übergeben hatten. Diese wollte gleich den Arzt rufen, aber davon wollte Isabel nichts hören. „Mir geht es wieder gut“, sagte sie. „Es lag nur an der Hitze und den vielen Menschen, mehr war es nicht. Ich gehe jetzt schlafen. Morgen wollen wir im Hyde Park ausreiten, das möchte ich auf keinen Fall verpassen.“

Jane ging auch zu Bett, aber sie konnte nicht schlafen. Ihre Schwester erfreute sich eigentlich immer einer ausgezeichneten Gesundheit und war noch nie in ihrem Leben ohnmächtig gewesen. Was war nur los mit ihr? Versuchte sie etwa, sich Andrew Ashton an den Hals zu werfen? Bereute sie es wirklich, mit Mark verlobt zu sein? Es würde einen Riesenskandal verursachen, wenn sie jetzt einen Rückzieher machte, und Mark würde es bestimmt das Herz brechen. Das hatte er nicht verdient.

Den nächsten Vormittag verbrachte Mark bei seinem Anwalt, Jane schrieb mehrere Briefe, Isabel ging mit ihrer Tante Kleider kaufen und kehrte erst spät zurück. Jane zog in ihrem Zimmer ihre zweckmäßige, dunkelgrüne Reitkleidung an, da hörte sie bereits die Gentlemen ankommen. Sie setzte sich einen grünen Hut auf, befestigte ihn mit einer Hutnadel an ihrem dunklen Haar und ging rasch nach unten, um die Herren zu begrüßen.

Als Isabel endlich die Treppe herabstieg, warteten alle anderen schon in der Halle. Sie trug ein neues, auffälliges Reitkleid aus malvenfarbigem Samt, das einen militärischen Schnitt hatte und verziert war mit Goldlitze und passenden Epauletten. Auf ihrem Kopf thronte ein hoher Kastorhut mit malvenfarbigen Federn an der Krempe, und die Füße steckten in Stiefelchen aus Ziegenleder.

„Hier bin ich, meine Herren“, sagte Isabel fröhlich. „Wie sehe ich aus?“ Und sie drehte sich, um ihr Kleid vorzuführen.

„Wunderhübsch wie immer“, sagte Mark.

„Großartig“, fügte Drew hinzu.

Dann konnten sie endlich aufbrechen. Die Straße zum Hyde Park war sehr belebt, darum waren sie gezwungen, im Schritttempo hintereinander her zu reiten. Jane hatte sich eigentlich etwas anderes unter einem Ausritt vorgestellt.

Sie waren etwa eine halbe Stunde unterwegs, als ihnen ein Reiter entgegenkam und bei ihnen anhielt. „Wyndham, guten Tag“, sagte er. Er war groß, elegant gekleidet, hatte dunkles, gelocktes Haar und tiefschwarze Augen, mit denen er Isabel einen anerkennenden Blick zuwarf. Dann erst wandte er sich zu Jane und Drew. „Ashton, so treffen wir uns wieder.“

„So ist es“, sagte Drew.

„Wyndham, wollen Sie mich nicht mit den Damen bekannt machen?“, fragte der Reiter.

Mark zögerte, doch dann wandte er sich zu Isabel. „Isabel, darf ich dir Lord Bolsover vorstellen. Mylord, Miss Isabel Cavenhurst, meine zukünftige Gemahlin.“

Bolsover schwenkte seinen Hut vor ihr. „Meinen Glückwunsch, Miss Cavenhurst. Mein Freund Mark ist ein glücklicher Mann.“

Isabel antwortete mit einem Lächeln und nickte ihm zu. „Mylord.“

Mark wandte sich zu Jane. „Und dies ist Miss Jane Cavenhurst.“

Seine Lordschaft verbeugte sich noch einmal, aber Jane konnte sich nicht zu einem Lächeln durchringen. Wortlos neigte sie kurz den Kopf.

„Vermutlich die Töchter von Sir Edward“, sagte er. „Und Teddys Schwestern. Ich bin wirklich froh, Sie kennenzulernen.“

Isabel wusste nichts von der Verbindung zwischen ihrem Bruder und Lord Bolsover und sagte freundlich: „Oh, sind Sie ein Freund von Teddy?“

„Ich kenne ihn gut“, sagte er. „Aber ich vermisse ihn seit einiger Zeit. Hoffentlich ist er nicht krank.“

„Oh nein, er ist nach Indien gereist, um dort sein Glück zu machen.“

Bolsover lachte laut auf. „Dort hat er sich also versteckt. Macht aber nichts, viele Wege führen ans Ziel.“

„Isabel, wir sollten Lord Bolsover nicht länger aufhalten“, warf Jane schnell dazwischen. „Und wir müssen weiter.“ Sie nahm die Zügel auf, um weiterzureiten.

„Wir sehen uns sicher nicht zum letzten Mal“, sagte er und berührte seine Hutkrempe. „Ich habe geschäftlich mit Sir Edward zu tun.“

„Ich finde, das hörte sich nicht gut an“, sagte Jane zu Mark, als sie weiterritten. „Fast wie eine Drohung.“

„Keine Sorge, er kann nichts tun, solange Teddy außer Landes ist.“

„Er könnte Papa erpressen.“

„Ich bezweifle, dass er mitten in der Saison London verlassen würde, um nach Norfolk zu fahren. Er hat jetzt die besten Chancen, die jungen, unerfahrenen Männer auszunehmen, die sich in der Stadt amüsieren wollen. Das will er sich bestimmt nicht entgehen lassen.“

„Bist du wirklich mit ihm befreundet?“

„Ganz sicher nicht. Ich verabscheue den Mann.“

„Warum?“, fragte Isabel, die nur den letzten Satz gehört hatte. „Ich fand ihn ganz charmant.“

„Er ist derjenige, dem Teddy viel Geld schuldet“, sagte Jane. „Er ist es, der unseren Bruder dazu getrieben hat, das Land zu verlassen.“

„Das war Teddys eigene Schuld, wenn du mich fragst. Er hätte ja nicht zu spielen brauchen.“

„Das stimmt natürlich, aber ich fürchte, Lord Bolsover ist noch nicht fertig mit uns.“

„Was kann er denn tun?“

„Nichts“, warf Mark ein. „Wir sollten ihn vergessen und den Rest unseres Rittes genießen.“

„Oh ja“, sagte Isabel und trieb ihr Pferd zum Galopp an. „Wer zuerst bei dem Baum dort drüben ist.“

Sie konnten nichts anderes tun, als ihr zu folgen. Drew war der Erste. Jane war zwar eine geübte Reiterin, aber auf dem gemieteten Pferd konnte sie mit den Männern nicht Schritt halten. Von Weitem sah sie, dass ihre Schwester unter dem Baum ankam, der das Ziel war, doch dann blieb Isabel an einem tief hängenden Ast hängen und wurde zu Boden geschleudert.

Drew sprang vom Pferd und kniete sich neben sie. Er hielt ihren Kopf in seinen Armen, als Mark und Jane ankamen und abstiegen. Jane fiel neben ihnen auf die Knie.

Isabel war bewusstlos, ihr Gesicht kreidebleich. „Ich fürchte, sie ist schwer verletzt“, sagte Drew mit leicht zitternder Stimme. „Wir müssen sie so schnell wie möglich in die Mount Street zurückbringen und einen Arzt holen.“

Sein Gesichtsausdruck beunruhigte Jane … denn er blickte Isabel nicht so an, wie ein Gentleman eine verletzte Dame ansieht. Er liebte Isabel! Das war offensichtlich. Jane schaute zu Mark, aber er ließ sich nicht anmerken, ob er es auch gesehen hatte. Stattdessen stieg er auf sein Pferd, um Hilfe zu holen.

„Issie, wach auf“, sagte Jane mit Tränen in den Augen. „Bitte, Issie, wach auf.“

Isabels Augenlider flatterten, dann riss sie die Augen auf. „Wo bin ich?“

„Sie sind vom Pferd gefallen“, sagte Drew.

Isabel wandte den Kopf zu ihm. „Oh, Sie sind es.“ Sie schloss die Augen wieder und seufzte leise.

„Wach auf, Issie“, flehte Jane. „Sag uns, ob du verletzt bist. Hast du Schmerzen?“

„Mein Kopf tut weh.“

„Das wundert mich nicht“, sagte Drew. „Sie haben sich den Kopf gestoßen, und an der Stelle bildet sich schon eine Beule, aber ich glaube nicht, dass irgendwelche Knochen gebrochen sind. Wir müssen Sie nach Hause bringen und einen Arzt holen. Mark ist unterwegs und besorgt einen Wagen.“

Sie versuchte sich aufzusetzen, aber er zog sie sanft zurück. „Sie müssen still liegen bleiben, sonst werden die Kopfschmerzen noch schlimmer.“

Während sich Jane noch Gedanken darüber machte, dass Andrew Ashton ihre Schwester so zärtlich in seinen Armen wiegte, fuhr schon eine Droschke neben ihnen vor, und Mark sprang heraus. Drew hob Isabel hoch und trug sie zum Wagen. Sachte legte er sie auf die Bank, Jane kletterte hinein und setzte sich daneben.

„Wir kommen mit den Pferden nach“, sagte Mark zu Jane. „Nicht aussteigen, bis wir da sind und euch helfen können. Wir sind direkt hinter euch.“

„Gleich sind wir zu Hause, Issie“, sagte Jane. Sie hielt den Kopf ihrer Schwester auf dem Schoß und sah zu, wie die Beule an Issies Schläfe immer größer wurde und eine bläuliche Färbung annahm. Die Ohnmachtsanfälle im Museum und im Park waren zwar verdächtig gewesen, aber das hier war echt. Isabel wäre sicherlich nicht absichtlich vom Pferd gefallen. Oh, du dumme, dumme Issie, dachte sie und betete, dass ihre wunderschöne Schwester keinen bleibenden Schaden davontrug.

Als sie vor dem Haus in der Mount Street vorfuhren, sprang Mark vom Pferd und rannte zum Wagen, um Isabel herauszuhelfen. Sie war noch zu unsicher auf den Beinen, um zu gehen, darum trug er sie ins Haus hinein, Jane und Drew eilten hinterher. Der Diener, der ihnen geöffnet hatte, holte gleich Lady Cartrose. „Sie muss sofort ins Bett“, sagte diese, dann schickte sie einen Diener los, um den Arzt zu holen.

Mark trug Isabel hinauf zu ihrem Schlafzimmer. Bessie und Jane entkleideten die Verletzte, während Lady Cartrose und die beiden Männer im Salon warteten. Keiner der beiden wollte gehen, bevor man wusste, wie es um sie stand.

„Was ist eigentlich passiert?“, fragte Lady Cartrose. „Wie kam es, dass Isabel von ihrem Pferd fiel? Ihr wolltet doch nur einen kleinen Ausritt im Park machen.“

„So war es geplant“, sagte Mark. „Aber Isabels Pferd ging durch. Drew und ich ritten sofort hinterher, doch bevor wir bei ihr waren, blieb sie an einem tiefen Ast hängen und wurde zu Boden geschleudert. Es ging so schnell, dass niemand es hätte verhindern können.“

„Sie verlor das Bewusstsein“, fügte Drew hinzu.

„Warum ging das Pferd durch?“

„Ich weiß es nicht“, klagte Mark. „Wir hätten besser achtgeben müssen!“

Inzwischen war der Doktor angekommen, und Lady Cartrose führte ihn gleich zum Krankenzimmer. Die beiden Männer saßen sich schweigend gegenüber. Dann sagte Mark mit gepresster Stimme: „Jemand sollte nach den Pferden sehen. Wir können sie nicht auf der Straße stehen lassen.“

„Das mache ich.“ Drew sprang auf und verließ den Salon, Mark blieb seinen eigenen Gedanken überlassen. Es tat ihm sehr leid, dass Isabel sich verletzt hatte, aber wenn sie das Pferd nicht so leichtsinnig angetrieben hätte, wäre der Unfall nicht passiert. Warum tat sie so etwas?

Lady Cartrose betrat den Raum. „Sie ist außer Gefahr. Der Doktor hat ihr etwas gegen die Kopfschmerzen verschrieben und angeordnet, dass sie sich noch mindestens eine Woche lang schonen soll. Aber er glaubt nicht, dass sie bleibende Schäden davontragen wird.“

„Gott sei Dank“, sagte Mark.

„Jane ist bei ihr. Sie gibt sich die Schuld.“

„Wofür denn?“

„Ich weiß nicht, irgendwas wegen Isabels Überschwang, dass sie sie hätte zurückhalten sollen.“

„Überschwang …“, sagte er versonnen. „Nennt man das so? Ich würde es Disziplinlosigkeit nennen. Isabel ist einfach losgaloppiert, und die Stute hat vor irgendetwas gescheut. Es hatte nichts mit Jane zu tun.“

„Sie mögen Jane sehr gern, nicht wahr?“

„Das ist richtig. Ich bewundere sie für ihre Bemühungen, die Familie zusammenzuhalten, und für ihre Opferbereitschaft, die von allen so selbstverständlich hingenommen wird. Erst Teddy, jetzt Isabel.“

„Sie vertreten Janes Sache gut, Lord Wyndham.“

„Es gibt sonst niemanden, der es tut.“

Er war kein Mensch, der seine eigenen Gefühle gern analysierte, aber in den letzten Tagen, die er so häufig in Janes Gesellschaft verbracht hatte, war ihm der Unterschied zwischen den Schwestern immer stärker aufgefallen. Drew kam zurück, bevor er weiter darüber nachdenken konnte.

„Wie geht es ihr?“, fragte er, nachdem er sich vor Lady Cartrose verneigt hatte.

„Sie ist wach und darf schon sitzen. Wenn sie eine Woche das Bett hütet, wird sie sich schnell erholen.“

„Gottlob ist es nichts Schlimmeres.“

„Hast du dich um die Pferde gekümmert?“, fragte Mark.

„Lord Bolsover tauchte vor dem Haus auf und bot mir seine Hilfe an. Er hatte beobachtet, was passiert war, und kam hierher, um sich nach der Verletzten zu erkundigen.“

„Was will der Mann?“

„Keine Ahnung, aber ich war dankbar für seine Hilfe. Vier Pferde auf einer belebten Straße zu führen, ist nicht ganz einfach. Jeder von uns ist auf einem geritten und hat eins am Zügel gehalten.“ Er wandte sich an Lady Cartrose. „Wann werden wir Miss Isabel besuchen können?“

„Morgen kann Mark sie vielleicht sehen, wenn sie sich gut genug fühlt.“ Offenbar fand sie es unpassend, dass Drew die junge Lady besuchen wollte, solange sie noch im Bett liegen musste.

„Dann verabschieden wir uns jetzt“, sagte Mark und erhob sich. Die beiden Herren verneigten sich und gingen.

„Ursprünglich wollte ich drei bis vier Tage in der Stadt bleiben“, sagte Mark, als sie zu Fuß zur South Audley Street gingen. „Ich muss aber jetzt nach Hadlea fahren und Sir James über alles informieren. Zweifellos wird Jane bei ihrer Schwester bleiben wollen. Ich komme zurück und hole sie ab, wenn Isabel wieder gesund genug für die Reise ist.“

Sie verabschiedeten sich an der nächsten Ecke und verabredeten sich für später zum Essen bei White’s. Mark ging zu den Stallungen und ordnete an, seinen Wagen am nächsten Morgen für die Rückfahrt nach Norfolk bereitzuhalten. Dann ging er ins Haus, um Papierkram zu erledigen. Doch er konnte sich nicht darauf konzentrieren, lief im Zimmer auf und ab und dachte über Jane und Isabel nach. Die jüngere Schwester war hübsch, charmant und in manchen Dingen durchaus sensibel – aber in anderen total egoistisch. Das war ihm erst in den letzten Tagen richtig aufgefallen.

Und Jane war durchaus nicht so unscheinbar, wie jeder sagte. Ihre Schönheit kam von innen heraus, lag in ihrem Mitgefühl und ihrer Selbstlosigkeit, zeigte sich in allem, was sie tat. Warum war ihm das früher nicht aufgefallen? Vielleicht, weil jedermann sie übersah und so behandelte, als sei sie völlig unwichtig, so unauffällig wie ein Möbelstück. Dabei besaß sie genügend Selbstbewusstsein, war eigenständiger als die meisten und konnte ihre Meinung vertreten, wenn es um wichtige Themen ging, besonders um die Waisenkinder. Nicht jede Frau musste quirlig und kokett sein, das konnte nach einiger Zeit sogar zu anstrengend werden. Da – schon wieder verglich er die beiden. Hieß das etwa, dass er die falsche Wahl getroffen hatte? Bei diesem Gedankengang hielt er inne, weil er befürchtete, es könnte ihn in die falsche Richtung führen.

Auf dem Weg zu White’s sprach Mark in der Mount Street vor, um sich nach der Kranken zu erkundigen. Die Tante teilte ihm mit, dass Isabel ruhig im Bett lag. „Jane ist bei ihr“, sagte die alte Lady. „Von der Medizin des Doktors ist sie schläfrig, und man kann nichts für sie tun, als neben ihr zu sitzen. Was ihr Vater von meiner Aufsicht über seine Töchter halten wird, wage ich gar nicht zu denken. Aber ich habe meiner Schwägerin geschrieben, dass Isabel hier die bestmögliche medizinische Behandlung bekommt.“

„Morgen fahre ich zurück nach Hadlea“, sagte Mark. „Ich muss in Greystone Manor vorsprechen, um Sir Edward und Lady Cavenhurst über das Vorgefallene zu informieren und sie zu beruhigen. Vermutlich wird Jane bei ihrer Schwester bleiben? Ich werde zurückkehren, wenn Isabel gesund genug für die Rückreise ist.“

„Ich danke Ihnen, Mylord. Was hätten wir nur ohne Sie getan!“

„Ich habe gar nichts getan. Bitte überbringen Sie beiden Damen meine guten Wünsche und sagen Sie Isabel, ich wünsche ihr eine schnelle Genesung.“ Er nahm seinen Hut, verneigte sich und ging zu seiner Verabredung mit Drew.

Mark saß bei White’s und wartete auf seinen Freund. Er hatte sich auf ein ruhiges Abendessen gefreut, aber das unerwartete Erscheinen von Lord Bolsover machte ihm einen Strich durch die Rechnung. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte Bolsover und setzte sich, ohne die Antwort abzuwarten. „Ich wüsste gern, wie es Miss Cavenhurst geht.“

„Sie erholt sich im Hause ihrer Tante.“

„Freut mich zu hören. Ich fürchtete schon, sie hätte sich ernsthaft verletzt. Ziemlich eigensinniges Mädchen, finde ich. Hat ihr denn niemand gesagt, dass der hintere Bereich des Parks zu uneben ist, als dass eine Lady im Damensattel darauf galoppieren könnte? Sehr ungehörig, aber auch sehr mutig.“ Plötzlich lächelte er, aber es war das Lächeln eines Tigers. „Zweifellos dachte Andrew Ashton das auch, denn ich konnte sehen, wie beflissen er sich um sie kümmerte. Ich half ihm, die Mietpferde zurückzubringen, wissen Sie.“

„Ich habe davon gehört. Wir stehen in Ihrer Schuld, Mylord.“

„Man muss ihn im Auge behalten, Ihren Freund.“

„Was meinen Sie damit?“

„Nun, Sie sind in Gefahr, Ihre Braut zu verlieren, wenn ich mich nicht sehr irre.“

Mark war wütend, aber mühsam beherrschte er sich. „Sir, Sie sind anmaßend.“

„Ich stelle nur eine Tatsache fest. Mir scheint, dass kein Cavenhurst vertrauenswürdig ist.“

„Warum sind Sie so an meiner Verlobten interessiert, Bolsover?“

„Ich bin an der ganzen Familie interessiert. Teddy Cavenhurst hat mich um eine beträchtliche Geldsumme gebracht, und das kann ich nicht tatenlos hinnehmen.“

„Was können Sie dagegen tun? Weder ist Sir Edward für Teddys Spielschulden verantwortlich, noch eine der beiden Cavenhurst-Töchter.“

„Nicht juristisch vielleicht, aber sicherlich würde Sir Edward gern den Skandal vermeiden, den sein nichtsnutziger Sohn verursacht hat, indem er vor seinen Schulden davonläuft.“

„Ich glaube, Sir Edward hält die Arbeit in Indien für geeignet, ihn in die richtige Bahn zu lenken.“

„Nur weil er nicht die Mittel hat, die Verbindlichkeiten seines Sohnes zu bezahlen, wie ich gehört habe. Leider wusste ich das noch nicht, als ich die Schuldscheine aufkaufte.“

„Ich weiß nicht, wo Sie das herhaben, aber es handelt sich um eine falsche Information.“

„Das glaube ich nicht. Nun, ich werde mir eine neue Strategie überlegen … Ah, hier kommt Ihr Freund, Mr Ashton. Machen Sie aus dem, was ich gesagt habe, was Sie wollen, aber seien Sie versichert, dass ich so oder so meine Vergeltung bekommen werde.“ Er erhob sich und verabschiedete sich mit einem Kopfnicken, bevor er ging.

„Was wollte er?“, fragte Drew und setzte sich.

„Er hat sich nach der Kranken erkundigt. Wahrscheinlich schert es ihn keinen Deut, wie es Isabel geht. Er wollte Informationen über Teddy.“

„Das kann man ihm nicht einmal verübeln. Er hat ein hübsches Sümmchen verloren.“

„Warum hat er dann noch mehr ausgegeben, indem er die restlichen Schuldscheine auch noch aufgekauft hat? Ich glaube, er ist hinter Sir Edward her und versucht es über seinen Sohn oder die Töchter.“

„Ich wüsste nicht, warum.“

„Ich auch nicht, aber er sprach von Vergeltung. Das wundert mich, denn ich weiß nicht, was irgendjemand in dieser Familie ihm angetan haben sollte. Es geht ihm vielleicht um mehr als nur Geld.“

„Soll ich mich mal umhören, während du in Hadlea bist?“, fragte Drew.

„Ja, gern. Bolsover tritt so auf, als sei er unermesslich reich, obwohl das Gut in Northamptonshire, das er von seinem Vater geerbt hat, nicht genug abwerfen dürfte, um diesen Lebensstil zu finanzieren.“

Während des Essens sprachen sie darüber, wie man die nötigen Informationen beschaffen und nutzen könnte. Bolsovers Andeutung bezüglich Isabel und Drew erwähnte Mark nicht. Andrew Ashton war ein ehrenwerter Mann und ein sehr alter Freund. Er würde ihn nicht betrügen. Dennoch dachte er darüber nach, dass Isabel sich immer seltsamer verhielt, seit sie Drew kannte.

6. KAPITEL

M ark kam vor seiner Abreise noch einmal vorbei, um sich nach Isabel zu erkundigen. Er wurde in das Krankenzimmer vorgelassen, wo Jane bei ihrer Schwester saß und ihr vorlas. Um den beiden ein wenig Privatsphäre zu geben, trat sie ans Fenster und schaute hinaus. Sie hörte Marks Frage nach Isabels Befinden und eine leise Antwort, aber dann blieb es still zwischen den beiden – so lange, dass Jane sich nach einiger Zeit umschaute. Mark saß auf dem Stuhl, Isabel lag halb aufgerichtet im Bett und hatte die Decke bis unter das Kinn gezogen. Sie schauten sich nicht an und hatten einander offenbar nichts zu sagen.

„Ich fahre gleich los nach Hadlea“, sagte er schließlich. „Kann ich deinen Eltern etwas ausrichten?“

„Sage ihnen, es gehe mir gut und es sei nichts weiter passiert. Sie sollen sich keine Sorgen machen, denn Jane kümmert sich um mich.“

Er drehte sich zu Jane um. „Du siehst müde aus, Jane. Wie fühlst du dich?“

„Es geht mir gut“, sagte sie. „Mache dir keine Sorgen um mich. Du kannst Mama und Papa sagen, dass ich hierbleibe, bis es Issie gut genug für die Heimreise geht.“

„Ich komme wieder zurück und hole euch ab.“ Er stand auf und küsste Isabels Hand. „Dann breche ich jetzt auf. Tut nichts Übereiltes, während ich fort bin.“

Isabel lachte. „Was soll ich hier im Bett schon tun?“

Er verbeugte sich vor Jane und ging. Kaum, dass er fort war, kam Drew, aber Lady Cartrose ließ ihn aus Gründen der Schicklichkeit nicht in das Krankenzimmer. Sie empfing ihn im Salon und informierte ihn über die Fortschritte der Patientin, und damit musste er sich begnügen.

Von Tag zu Tag ging es Isabel besser, aber sie blieb still und in sich gekehrt. Drew erkundigte sich regelmäßig nach ihrem Befinden, doch er bekam sie nicht zu Gesicht. Er zeigte sich sehr besorgt um die Patientin – mehr als es in Janes Augen gerechtfertigt schien. Jane hätte sich vielleicht nicht so viele Gedanken gemacht, wenn sie nicht seinen Gesichtsausdruck gesehen hätte, als er Isabel nach dem Sturz in den Armen hielt. Sie überlegte, ob sie ihn darauf ansprechen sollte, aber dann entschied sie sich dagegen. Wenn sie erst wieder in Hadlea waren, würde sich alles von selbst in Wohlgefallen auflösen.

Wenn sie nicht bei ihrer Schwester war, schrieb Jane Briefe und lud Gäste zu Tante Emmelines Soiree ein. Ihre Tante hatte eigentlich alles absagen wollen, aber Isabel hatte anscheinend ein schlechtes Gewissen und bestand darauf, dass die Einladung eine Woche später stattfinden solle, wenn sie sich wieder erholt hatte und teilnehmen konnte. Am sechsten Tag kleidete sich Isabel mit Bessies Hilfe an und ging zum ersten Mal wieder hinunter. Dort war sie, als Drew zu seinem täglichen Besuch eintraf.

„Es freut mich, Sie so erholt anzutreffen“, sagte er nach einer kurzen Verbeugung vor Lady Cartrose und Jane. „Ich fürchtete, Sie könnten sich eine ernsthafte Verletzung zugezogen haben.“

Isabel lachte. „Nur eine dicke Beule am Kopf, das war alles, und die ist fast verschwunden.“

„Da bin ich sehr erleichtert.“

„Kommen Sie morgen zu Tante Emmelines Soiree? Es wird eine prunkvolle Veranstaltung.“

„So ist es aber nicht geplant, Issie. Es geht darum, Spenden für mein Waisenhaus zu sammeln“, sagte Jane.

„Das weiß ich, aber es sind so viele reiche Leute eingeladen, dass es bestimmt sehr glanzvoll wird.“

„Was auch immer – ich werde kommen“, sagte Drew.

Als er fort war, zog sich Isabel in ihr Zimmer zurück, um zu ruhen. Darum machte Jane einen Spaziergang im Garten, wo sie unter den Bäumen leise die Worte probte, die sie an die Gäste richten wollte, um sie davon zu überzeugen, dass die Kriegswaisen ihre Unterstützung brauchten.

Dort fand Mark sie bei seiner Rückkehr aus Hadlea vor. „Jane, wie geht es dir?“ Er ergriff ihre beiden Hände und schaute sie aufmerksam an. „Du siehst blass aus. Hast du nicht genug Schlaf bekommen?“

„Es geht mir ausgezeichnet, danke.“ Seine Berührung rief einen Schauer in ihrem Innersten hervor. Ihre Liebe zu ihm würde nie vergehen, aber sie durfte niemals darüber sprechen. Jede noch so kurze Berührung und jedes private Gespräch mit ihm war wie ein Schatz, den sie tief in sich hütete.

„Vermutlich ist Isabel wieder ganz gesund“, sagte er betont gleichmütig. „Bessie hat mir gerade mitgeteilt, dass sie mit Lady Cartrose und Drew ausgegangen ist.“

„Ausgegangen? Ich dachte, sie sei in ihrem Zimmer, um zu ruhen, bevor sie sich für das Dinner umkleidet. Ich wusste gar nicht, dass Mr Ashton gekommen ist. Hoffentlich ist es nicht zu anstrengend für sie.“

„Deine Tante und Drew werden schon aufpassen, dass sie nicht zu müde wird.“

„Wartest du hier auf sie?“

„Selbstverständlich.“

„Konntest du meine Eltern sehen?“

„Ja. Sie machten sich Sorgen um Isabel, aber ich konnte sie beruhigen. Sie sind froh, euch beide bald wieder daheim zu haben.“

„Ich freue mich auch wieder auf zu Hause. Aber morgen Abend findet die Soiree statt, darum muss ich noch bleiben.“

„Also hast du deinen Plan nicht aufgegeben.“

„Richtig. Isabel wollte auch nicht, dass die Einladung ihretwegen ausfällt, darum haben wir allen Geladenen mitgeteilt, dass es eine Woche später stattfindet. Ich überlege mir gerade, was ich den Leuten sagen werde, um sie zum Spenden zu überreden.“ Sie setzten sich auf eine Bank in einem kleinen Pavillon. „Den Kostenaufwand habe ich auch inzwischen berechnet: für den Ankauf des Gebäudes, die Möblierung und das Personal, aber auch für laufende Ausgaben wie Nahrungsmittel, Kleidung und Heizung.“

„Soll ich mir die Zahlen einmal ansehen?“

„Würdest du das tun? Es wäre mir eine große Hilfe, aber hast du denn Zeit dafür?“

„Für dich habe ich immer Zeit, Jane.“

Sie errötete. „Sollen wir ins Haus gehen? Alle meine Notizen sind drinnen.“

Gemeinsam gingen sie in den Frühstücksraum, wo Jane ihre Papiere auf dem Tisch ausgebreitet hatte.

Bald waren sie ganz vertieft in die Berechnungen, als plötzlich Lady Cartrose und Isabel in Begleitung von Drew hereintraten.

„Mark“, sagte Isabel, als er sich zur Begrüßung erhob. „Ich habe dich noch nicht erwartet.“

„Ich bin gekommen, um morgen Abend an der Soiree teilzunehmen und euch anschließend heimzubringen. Eure Eltern erwarten euch sehnsüchtig.“

Lady Cartrose läutete nach der Zofe, damit sie Erfrischungen brachte, dann setzten sich alle. „Ich brauchte rosa Bänder für das Kleid, das ich morgen anziehen will“, erzählte Isabel. „Und Drew hat uns Eis bei Gunter’s gekauft. Dann haben wir sogar den Regenten vorbeifahren sehen. Er hat uns huldvoll zugelächelt und zugewunken. Aber andere Leute auf der Straße haben ihn ausgebuht. Er ist unwahrscheinlich dick.“

„Er soll unglaubliche Mengen essen“, ergänzte Ihre Ladyschaft, und dann zeigte sie ihre eigenen Fähigkeiten auf diesem Gebiet, als eine Zofe Tee und Kuchen hereinbrachte.

„Und das, obwohl viele seiner Untertanen verhungern“, fügte Jane hinzu. Sie nahm nur eine Tasse Tee, aber keinen Kuchen. „Kein Wunder, dass er verhöhnt wird.“

„Es kursieren Gerüchte, dass er sich von seiner Gattin scheiden lassen will“, sagte Lady Cartrose. „Aber er braucht einen Erben. Wenn es Princess Charlotte gelingt, dieses Kind auszutragen, hat er vielleicht bald einen.“

„Ich überlege gerade, ob ich vielleicht auch einen Brief an ihn schreiben soll, in dem ich ihm die verzweifelte Situation der Kriegswaisen darlege“, sagte Jane.

„Ich glaube nicht, dass so ein Brief weiter kommen würde als bis zum zweiten oder dritten Sekretär“, sagte Mark lächelnd. „Es wäre besser, an nicht ganz so hochgestellte Persönlichkeiten zu appellieren.“

Nach dem Tee verabschiedeten sich die Gentlemen und gingen zu Fuß zur South Audley Street. „Ich habe gehört, dass du inzwischen ein häufiger Besucher in der Mount Street bist“, sagte Mark.

„Ich habe mich in deiner Abwesenheit nach der Kranken erkundigt und nachgefragt, ob ich zu Diensten sein könne. Das war doch in Ordnung?“

„Natürlich. Es ist mir nur aufgefallen, dass Isabel dich beim Vornamen nennt.“

„Mir ist es egal, wenn es dir nichts ausmacht.“

„Nein, wir sind doch alle befreundet. Kommst du morgen Abend zu der Soiree?“

„Das habe ich vor. Ich glaube, Miss Cavenhurst wird alle Hilfe brauchen, die sie kriegen kann. Hoffentlich wird sie nicht enttäuscht. Es gibt Gerüchte …“

„Welcher Art?“, fragte Mark in scharfem Ton.

„Dass Miss Cavenhurst die Spenden nicht nur für die Waisenkinder verwenden will, sondern auch, um die finanziellen Schwierigkeiten ihres Vaters zu beheben.“

„Grundgütiger Himmel! Wer verbreitet denn so etwas? Nein. Lass mich raten. Hector Bolsover.“

„Du hast recht. Er sagt, dass man in finanziellen Dingen keinem Cavenhurst vertrauen darf.“

„Ich hatte also recht. Es geht nicht nur um Teddy und seine Schulden. Hast du irgendetwas über die Hintergründe herausfinden können?“

„Leider nicht, aber ich glaube, Toby Moore weiß etwas, darum bemühe ich mich um ihn. Ich werde heute Abend mit ihm Karten spielen, dann kann ich versuchen, ihn auszuhorchen. Kommst du auch?“

„Nein, ich möchte noch Janes Zahlen überprüfen und meine Vorschläge bis morgen fertig haben.“ Er klopfte vielsagend auf die Aktentasche unter seinem Arm

An der nächsten Straßenecke trennten sich ihre Wege. Mark ging nachdenklich weiter zur South Audley Street. Er fragte sich, ob womöglich doch etwas dran war an dem, was Bolsover so aufdringlich über Drew und Isabel angedeutet hatte. Erstaunlicherweise war er nicht wütend oder eifersüchtig. Und überhaupt deutete er vielleicht mehr in die ganze Sache hinein, als eigentlich da war.

Am folgenden Abend standen Wein und verschiedene kleine Speisen bereit im Esszimmer, und der Salon war fast nahezu leer geräumt worden, um vielen Gästen Platz zu bieten. Jane wusste, dass die Soiree für sie eine große Herausforderung sein würde. Ihr einfach geschnittenes Kleid aus meergrüner Seide war verziert mit dunkelgrünen Samtbändern, und mehrere grüne Bänder waren in ihr Haar geflochten. Dazu trug sie die Perlen, die ihr Vater ihr zum einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte.

Ihr Kopf brummte, weil sie ständig im Geiste die Ansprache durchging, die sie halten würde. Danach wollte sie umhergehen und einzeln mit den Gästen sprechen. Mark kam etwas früher, weil er mit ihr zusammen einen letzten Blick auf ihre Zahlen und Notizen werfen wollte.

Um acht Uhr trafen die ersten Freunde von Lady Cartrose ein. Sie wurden mit Erfrischungen versorgt und standen dann essend, trinkend und plaudernd beieinander. Es folgten immer mehr, und gegen neun Uhr war das Zimmer voll.

„Lasst uns beginnen“, sagte Mark und wandte sich von dem Anblick seiner in einen Sari gekleideten Verlobten ab, die gerade mit seinem Freund flirtete. Er bat um allgemeine Aufmerksamkeit und sprach ein wenig über den Grund, aus dem sie hier und heute versammelt waren. Dann stellte er Jane vor. Er half ihr, sich auf einen Schemel zu stellen, sodass sie von überall zu sehen und zu hören war.

Sie war nervös, aber da sie so leidenschaftlich an ihrem Thema interessiert war, vergaß sie bald alles andere und hielt ihre vorbereitete Ansprache. Zuerst blieben die Zuhörer still, doch allmählich wurde das Raunen im Raum immer vernehmlicher und sie musste sich damit auseinandersetzen. „Sie haben Fragen?“, fragte sie. „Ich werde sie gern später beantworten.“

„Nein. Antworten Sie jetzt gleich“, forderte ein Gentleman. „Wie können wir sicher sein, dass unser Spendengeld für den Zweck verwendet wird, den Sie uns hier darlegen? Ich habe gehört, dass Ihr Vater am Rande des Ruins steht, und dass unser Geld seine Schulden ausgleichen soll.“

„Das ist eine ungeheuerliche Unterstellung!“, erwiderte Jane empört. „Wenn ich ein Mann wäre, würde ich Sie dafür zum Duell fordern. Aber selbst wenn es so wäre, hätte es keinen Einfluss auf das Hadlea Home, denn dessen Finanzen sind strikt von den unseren getrennt.“

„Das behaupten Sie.“

„Toby Moore.“ Drew ließ Isabel bei ihrer Tante stehen und trat zu Mark. „Er ist bestimmt von Bolsover geschickt worden, um diese Versammlung zu stören. Werfen wir ihn hinaus.“

Gemeinsam näherten sie sich dem impertinenten Fragesteller. Als er sie kommen sah, wich der Mann zurück und entfloh durch die hintere Tür. Doch der Schaden war angerichtet. Jane konnte ihre Ansprache nicht beenden wegen der vielen Zwischenrufe. Eine Frage nach der anderen wurde auf sie abgefeuert, aber nicht über das Kinderheim, sondern über ihren Vater und ihren Bruder. Sie parierte, so gut sie konnte, aber am Ende musste Mark sie retten, indem er ihr von dem Schemel herunterhalf und sich selbst daraufstellte.

„Wenn Sie Miss Cavenhurst nicht zuhören wollen, dann vielleicht mir“, rief er mit erhobener Stimme über den Tumult hinweg. „Die meisten von Ihnen werden mich kennen, aber für alle übrigen: Ich bin Lord Wyndham von Broadacres in der Nähe des Dorfes Hadlea. Meine Familie wohnt dort seit Hunderten von Jahren und ist sehr angesehen in ganz Norfolk sowie in London. Mein verstorbener Vater und ich haben beide für das Hadlea Children’s Home gespendet, und ich verbürge mich persönlich für die Integrität von Miss Cavenhurst.“

„Sie sind befangen, da Sie mit ihrer Schwester verlobt sind“, kommentierte jemand.

„Das ist richtig, aber umso mehr Grund habe ich, dass mein guter Name nicht verunglimpft wird. Ich werde einen Bevollmächtigten als Treuhänder einsetzen, um die Verwendung der Gelder zu beaufsichtigen. Dieses Heim ist sehr wichtig für die bedürftigen Kinder, und ich finde es schamlos, so einen guten Zweck durch Andeutungen und Verleumdungen in den Schmutz zu ziehen. Wenn Sie eine Spende geben wollen, wird Miss Cavenhurst sie von Ihnen entgegennehmen. Wenn nicht, dann wünsche ich Ihnen gute Nacht.“

Er blieb stehen und sah zu, wie mehrere Leute sich davonstahlen, aber andere kamen auf Jane zu und fragten sie nach ihren Plänen.

Erst als alle fort waren, konnte sie wieder frei atmen und sich bei Mark bedanken. Einige Unterschriften hatte sie trotz allem erhalten, und auch ein paar Schmuckstücke waren gespendet worden, denen sie ihre eigenen Perlen hinzufügte.

„Du warst großartig“, sagte sie. „Ohne dich hätte ich es nicht geschafft.“

„Es war mir eine Ehre und ein Vergnügen.“

„Was meinte der Mann damit, dass mein Vater bankrott sei? Wer hat solche Gerüchte in die Welt gesetzt?“

„Höchstwahrscheinlich Lord Bolsover. Jane, hat jemand aus deiner Familie schon einmal mit ihm zu tun gehabt?“

„Außer Teddy?“

„Ja. Vielleicht vor längerer Zeit. Irgendetwas, das seinen Groll erklären würde.“

„Teddy schuldet ihm Geld und ist ihm durch die Finger geschlüpft. Reicht das nicht?“

„Ich bin nicht sicher, dass es nur etwas mit Teddy zu tun hat. Ich glaube, ihn in die Finger zu bekommen, war nur Mittel zum Zweck.“

„Zu welchem Zweck?“

„Ich weiß es nicht, aber ich werde mich bemühen, es herauszufinden.“

„Mir fällt nichts ein. Sicher irrst du dich.“

„Möglich.“ Er machte eine Pause. „Du siehst müde aus, Jane. Das war alles zu viel für dich, nachdem du dich tagelang um Isabel gekümmert hast.“

„Ein bisschen müde bin ich wirklich, aber eine ruhige Nacht wird genügen.“ Sie schaute die Unterschriften an, das Geld und den Schmuck. „Könntest du das alles in deine Obhut nehmen? Ich möchte mich nicht erneut Verdächtigungen aussetzen.“

„Selbstverständlich. Wenn du einverstanden bist, komme ich morgen früh zu dir, dann fahren wir zu Halliday und eröffnen einen Trustfonds, in dessen Namen wir dann ein Bankkonto einrichten. Dann kann jeder sich davon überzeugen, dass alles regulär abläuft.“

„Ja, bitte.“ Sie steckte alles in eine Leinentasche und reichte sie ihm. „Ich habe gewusst, dass so etwas wie der Trustfonds auf mich zukommen würde, aber ich hielt es nicht für so dringend. Dieser Abend hat mir gezeigt, wie naiv ich war. Ohne dich wäre alles schiefgegangen.“

„Gern geschehen.“ Er berührte lächelnd ihre Hand. „Und jetzt ins Bett, Jane. Ich verabschiede mich noch von Isabel und Ihrer Ladyschaft, dann gehe ich auch.“

Als er fort war, sagte sie ihrer Tante und Schwester gute Nacht und ging gleich schlafen. Es war ein ereignisreicher und nicht immer angenehmer Tag gewesen, aber sie hatte ihr großes Projekt begonnen. Ohne Marks Hilfe wäre ihr das allerdings nicht gelungen. Und die Gerüchte, die Bolsover ausstreute, waren beunruhigend. Wenn bekannt würde, dass die Cavenhursts sparen mussten, würde ihnen das sehr schaden.

Mark hatte versprochen, den Grund für Bolsovers Feindseligkeit herauszufinden, und sie konnte sich auf ihn verlassen. Aber war es nicht unfair, dass sie sich ständig auf ihn stützte? Sie wollte doch selbstständig sein … also sollte sie eigentlich Lord Bolsover persönlich zur Rede stellen!

Am nächsten Morgen wachte Jane sehr früh auf und dachte als Erstes an ihr schwieriges Problem. Aber auch als Mark sie abholte, wusste sie noch nicht, wie sie vorgehen sollte.

Sie fand nicht, dass sie bei Mark eine Anstandsdame brauchte, doch ihre Tante bestand darauf, dass Bessie mitkam. Deshalb war es ziemlich eng in dem Wagen, sein Oberschenkel war dicht an ihren gepresst, und sie spürte seine Wärme durch ihr Kleid hindurch. Nun konnte sie an nichts anderes mehr denken und stotterte fast, als er sie ansprach. Als sie ankamen, sprang er hinunter und half ihr aus dem Wagen. Sie riss sich zusammen und betrat vor ihm das Gebäude. Ein Angestellter führte sie in das Büro des jüngeren Mr Halliday, wo Mark freundlich begrüßt wurde.

„Ich habe Miss Cavenhurst mitgebracht, weil sie einen Auftrag für Sie hat, Cecil.“

Jane knickste und schüttelte die Hand des Anwalts, bevor sie sich setzte.

„Die Angelegenheiten der Familie Cavenhurst werden normalerweise von meinem Vater betreut“, sagte der Anwalt, bevor er und Mark sich ebenfalls setzten. „Geht es um Mr Cavenhurst?“

„Es geht weder um Teddy noch um meinen Vater. Lord Wyndham wird Ihnen die Sachlage erklären.“

Als Mark alles darlegte, verschwand die reservierte Haltung des Anwalts. Er bekundete gleich sein Interesse an Janes Projekt und war bereit, den Trustfonds einzurichten.

„Wen hatten sie sich als Trustee gedacht?“

„Miss Cavenhurst natürlich“, sagte Mark.

„Es ist ungewöhnlich, dass eine unverheiratete Lady so eine Aufgabe übernimmt.“

„Ja, aber es ist ihr Projekt, sie ist die Gallionsfigur, also sollten wir es zulassen“, sagte Mark. „Aber es muss noch weitere Treuhänder geben, die nicht der Familie angehören. Wären Sie dazu bereit, Cecil? Vielleicht könnten wir noch unseren Bankberater fragen.“

Sie erörterten weitere Details, aber eine Stunde später war alles geklärt und sie verließen die Kanzlei. Die Tasche mit Geld und Schmuck ließen sie bei Mr Halliday zurück. Die Juwelen sollten versteigert werden, und der Erlös würde dem Fond hinzugefügt. Mark begleitete Jane zum Wagen, dort sagte er zu ihr: „Ich habe noch etwas mit Mr Halliday allein zu besprechen, aber es dauert nicht lange. Würdest du bitte kurz im Wagen warten?“ Er ging wieder hinein, und Jane blieb mit Bessie im Wagen.

Es war eine belebte Straße, wo es viel zu sehen gab und nicht langweilig wurde. Interessiert beobachtete Jane einen Kampf zwischen einem Terrier und einer fauchenden Katze und bemerkte deshalb den Mann nicht gleich, der auf den Wagen zukam und bei ihr stehen blieb.

„So treffen wir uns wieder, teure Miss Cavenhurst.“

Sie schaute sich um und erkannte Lord Bolsover, der seinen Hut vor ihr zog. „Mylord.“

„Ganz allein? Ohne einen edlen Ritter?“

„Lord Wyndham ist noch einmal kurz zurückgegangen. Aber ich bin froh, dass wir uns begegnen, weil ich mit Ihnen über die Verleumdung sprechen möchte, dass mein Vater bankrott sein soll.“

„Verleumdung? Aber, aber, wie unfreundlich.“

„Ich glaube, dass Sie sie in die Welt gesetzt haben, um mich in Verruf zu bringen, damit ich kein Geld für meine Waisen sammeln kann.“

„Und wieso sollte ich das getan haben, Miss Cavenhurst? Ich habe nicht weniger Mitleid mit den Nöten der armen Kinder als jeder andere. Allerdings bezweifle ich, dass Sie etwas dagegen unternehmen können.“

„Und warum nicht? Wenn die Kinder nicht zu Dieben und Bettlern heranwachsen sollen, muss jemand etwas tun.“

„Der Grund ist doch offensichtlich, Miss Cavenhurst. Als Frau legt man Ihnen in der Männerwelt an jeder Ecke Steine in den Weg. Frauen sind nicht dafür geschaffen, einen Kampf mit Argumenten auszufechten. Ihre Gefühle bringen sie dazu, die falschen Entscheidungen zu treffen. Wie wahr meine Worte sind werden Sie bald genug herausfinden.“

„Mylord, das klingt wie eine Drohung. Ich frage mich, warum Sie so eine Abneigung gegen mich haben. Wir haben uns doch erst vor Kurzem kennengelernt, und bis vor ein paar Wochen hatte ich von Ihnen noch nie etwas gehört.“

„Tatsächlich nicht? Das wundert mich.“

„Wenn mein törichter Bruder nicht mit Ihnen Karten gespielt hätte, wüsste ich heute noch nicht, was für ein Mensch Sie sind.“

„Ich wage zu bezweifeln, dass Sie es jetzt wissen. Alles hat zwei Seiten, und Sie kennen nur eine.“ Lord Bolsover grinste unverschämt.

„Das mag sein, aber wenn Sie Wahrheit und Gerechtigkeit in Ehren halten, dann lassen Sie verlauten, dass Sie sich geirrt haben, und mein Vater nicht bankrott ist. Erklären Sie, keinen Grund zu der Annahme zu haben, dass ich die Angelegenheiten des Hadlea Children’s Home nicht ehrlich durchführen werde.“

„Sie vermuten also, dass ich es war, der die Gerüchte ausgestreut hat. Dafür haben Sie keinen Beweis.“ Plötzlich lächelte er. „Aber wenn das Gerücht der Wahrheit entspricht, wäre ich ein Dummkopf, dem zu widersprechen.“

„Natürlich ist es nicht wahr!“

„Fragen Sie Ihren Vater, wenn Sie heimkommen, Miss Cavenhurst. Oder fragen Sie Mr Halliday Senior, der Ihr Familienanwalt ist, wie ich annehme.“

„Das werde ich nicht tun.“

„Wissen Sie was“, sagte er und lächelte immer noch, „Sie sind richtig schön, wenn Sie wütend sind und ihre Augen so zornig funkeln. Ich empfinde eine erstaunliche Sympathie für Sie, obwohl ich mir so eine Schwäche eigentlich nicht erlauben kann.“ Er verbeugte sich vor ihr, setzte den Hut wieder auf und schlenderte davon.

Wütend sah sie ihm nach und konnte kaum die Tränen zurückhalten, als Mark zurückkam. „Hoffentlich hat es nicht zu lange gedauert“, sagte er und stieg in den Wagen. „Sollen wir bei Gunter’s ein Eis essen? Es ist ein warmer Tag und … Jane, warum weinst du?“

„Ich hatte eine Auseinandersetzung mit Lord Bolsover. Er ist ein abscheulicher Mann und will nicht zugeben, dass er die Gerüchte über meinen Vater verbreitet hat. Und er meint, dass aus meinem Projekt nichts werden kann, weil ich eine Frau bin.“

„Oh Jane, warum hast du überhaupt mit ihm gesprochen? Du hättest ihn nicht beachten sollen.“

„Ich wollte ihn bitten, den Gerüchten ein Ende zu setzen.“

„Männer wie Bolsover darf man nicht bitten, Jane. Das sehen sie als Schwäche an. Jetzt gehen wir erst einmal Eis essen und vergessen Bolsover.“

Aber das fiel ihr schwer, denn die Worte dieses Mannes hatten sich ihr unauslöschlich eingebrannt. Sie wollte nach Hause fahren, nach Greystone Manor . Schweigend grübelte sie während der Fahrt vor sich hin, bis sie bei Gunter’s ankamen. Mark half ihr aus der Kutsche und sie nahmen an einem der kleinen Tische Platz. Kaum, dass sie sich gesetzt hatten, nahm ein Kellner ihre Bestellung auf. Beinahe ebenso schnell brachte er ihnen die kalte Köstlichkeit.

Das Eis schmeckte wunderbar erfrischend an diesem heißen Tag, aber Jane war rastlos. „Meine Schwester und Tante Emmeline werden sich schon wundern, was mit uns passiert ist“, sagte Jane.

Doch offenbar hatten sich die beiden Damen nichts Derartiges gefragt, denn als Mark und Jane zum Stadthaus zurückkehrten, war niemand zu Hause. Die Damen seien mit der Kutsche weggefahren, teilte ihnen ein Diener mit. „Mr Ashton sprach vor, und sie sind mit ihm fortgegangen.“

„Dann werde ich nicht bleiben“, sagte Mark. Er zog Janes Perlen aus der Tasche und legte sie in ihre Hand. „Das gehört dir, glaube ich.“

„Woher hast du die Kette? Ich habe sie bei dem anderen Schmuck gelassen, damit sie versteigert wird.“

„Das weiß ich. Aber ich dachte, es könnte deinen Vater kränken, wenn du sie weggibst. Gib gut acht darauf, Jane. Deine Opferbereitschaft ehrt dich, aber der Trust kommt auch ohne die Perlen aus.“

„Danke“, sagte sie nur, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. Es war eine spontane Geste der Dankbarkeit, nicht mehr …

„Morgen komme ich um neun Uhr mit der Reisekutsche hierher, wenn es euch recht ist, Jane, und wenn du meinst, dass Isabel die lange Fahrt aushält. Wir könnten aber auch später abreisen und langsamer fahren. Eine zweite Zwischenübernachtung würde mich nicht stören.“

„Ich werde sie natürlich fragen, aber ich glaube, dass Isabel kräftig genug ist und wir die Reise nicht verlängern müssen. Wir werden bereit sein.“

Er verabschiedete sich und sie ging hinauf, um Bessie beim Packen zu helfen. Jane hatte nicht sehr viele Kleider mitgebracht, die schnell in dem großen Schrankkoffer verstaut waren, den sie mit Isabel teilte. „Ich packe Miss Isabels Sachen heute Nachmittag“, sagte Bessie. „Ich weiß allerdings nicht, wie wir alles in den Koffer bekommen sollen, denn sie hat sehr viele neue Kleider gekauft.“

„Lady Cartrose wird ihr sicher einen Koffer leihen.“

Kurze Zeit später kehrten Lady Cartrose, Isabel und Drew zurück. Drew kam nicht mit ins Haus, weil er vor ihrer Abreise noch mit Mark sprechen wollte. Er verbeugte sich vor der Dame des Hauses, dann vor Jane und zuletzt vor Isabel, die sehr traurig dreinschaute. „Leben Sie wohl, Miss Isabel“, sagte er. „Eine gute und sichere Fahrt und meine Glückwünsche zu Ihrer bevorstehenden Hochzeit.“ Dann war er fort.

„Das klang merkwürdig“, meinte Jane. „Es hörte sich so an, als würde er nicht bei der Hochzeit dabei sein.“

„Das wird er auch nicht.“ Isabel weinte jetzt ganz offen. „Er geht fort, und ich werde ihn nie wiedersehen. Er sagt, es sei am besten so.“

Jane neigte zu derselben Meinung, aber angesichts von Isabels Kummer sprach sie es nicht aus. Ihre Befürchtungen waren also berechtigt. Isabel glaubte, in Andrew Ashton verliebt zu sein. Jane wusste nicht, wie tief diese Gefühle gingen, und wie lange sie anhalten würden, aber es war das Beste, so bald wie möglich abzureisen. „Mark kommt uns morgen um neun Uhr abholen“, sagte sie und wandte sich den praktischen Dingen zu. „Ich habe bereits gepackt, und Bessie wird deine Sachen heute Nachmittag packen. Tante, könntest du Isabel einen großen Koffer leihen? Sie hat so viele neue Sachen gekauft, dass sie nicht in den mitgebrachten Koffer passen.“

„Ich glaube, ich habe noch einen auf dem Dachboden“, sagte ihre Tante und ging einem Diener Bescheid sagen, damit er ihn holte.

„Ich will nicht nach Hause“, sagte Isabel schluchzend.

„Warum denn nicht?“

„Weil jeder über die Hochzeit sprechen wird, und das kann ich nicht ertragen.“

„Warum nicht? Es ist noch keinen Monat her, da hast du selbst von nichts anderem geredet.“

„Ja, und ich weiß noch, dass du zu mir gesagt hast, die Feier sei nicht das Wichtigste für eine Ehe. Du hattest recht, das sehe ich jetzt ein. Ich wollte unbedingt eine Braut sein, und Mark sieht so gut aus und ist reich. Aber ich hätte nicht in die Heirat einwilligen sollen.“

„Ich meinte doch nur, dass das Fest lediglich der Anfang ist und für eine gute Ehe eine geringe Rolle spielt.“

„Ich weiß, was du meintest, aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, mit Mark bis ans Ende unserer Tage zusammenzuleben. Ich kann Mark nicht heiraten. Ich liebe ihn nicht.“

Diese Worte ihrer Schwester taten Jane unsäglich weh. Isabel konnte sich ein Leben mit Mark nicht vorstellen, während sie ein Leben ohne ihn unerträglich fand. „Issie“, sagte sie gedehnt. „Gibt es einen anderen Mann?“

Isabel schaute sie mit einem leidvollen Blick an. „Du hast es gemerkt?“

„Ist es Mr Ashton?“

„Ja, ich habe mich in ihn verliebt und denke ständig an ihn. Das Herz geht mir auf, wenn er hereinkommt, und wenn er geht, bin ich traurig. Wenn er nur meine Hand berührt, stehe ich in Flammen, und ich will ihn umarmen und festhalten, ihn nie wieder loslassen.“

Jane waren diese Gefühle nur allzu vertraut, und sie fühlte mit ihrer Schwester, aber es würde einen schrecklichen Skandal verursachen, wenn sie die Verlobung lösen sollte. „Teilt Mr Ashton denn deine Gefühle, Issie? Hat er davon gesprochen?“

„Nicht direkt, aber ich weiß, dass er mich liebt. Wie er mich ansieht, wie er mit mir spricht … Aber er hat mir gesagt, dass die Freundschaft mit Mark ihm sehr viel bedeutet und er ihn nicht hintergehen will. Darum geht er fort. Wenn ich Mark heiraten muss, wird es drei sehr unglückliche Menschen geben, denn ich könnte ihn niemals glücklich machen.“

Jane wusste, dass es vier sein würden, aber das war ihr Geheimnis. „Was soll ich sagen, Issie? Vielleicht kannst du Mr Ashton vergessen, wenn wir wieder zu Hause und in unserer gewohnten Umgebung sind, und dich daran erinnern, warum du ursprünglich Marks Antrag angenommen hast.“

„Du verstehst mich nicht.“

„Oh doch, glaube mir, das tue ich.“ Sie stand auf. „Geh zu Bessie und hilf ihr beim Packen, dann essen wir bald zu Abend und gehen schlafen. Morgen müssen wir früh aufstehen.“

Lady Cartrose kam zurück und sagte: „Ich habe einen großen Koffer in Isabels Zimmer bringen lassen. Bessie packt, aber Isabel sitzt weinend auf dem Bett.“

„Sie will nicht nach Hause.“

„Ich weiß. Ich bin taub, Jane, aber nicht blind. Jeder mit Augen im Kopf kann sehen, was mit ihr los ist.“

„Es ist sehr bedauerlich, besonders für Mark.“

„Er trägt es aber offensichtlich mit Fassung.“ Sie zögerte. „Ich glaube, man darf sie nicht zu der Heirat zwingen, Jane. Es würde in einer Katastrophe enden.“

„Von mir hängt es nicht ab, Tante. Ich hoffe, wenn wir erst daheim sind und unsere Eltern die Sache in die Hand nehmen, wird Issie einsehen, dass es nur eine Schwärmerei war, die sie irgendwann überwindet.“

„Wie kannst du so etwas sagen, Jane, wenn du doch selbst ähnliche Gefühle hast.“

Jane erschrak. „Meine eigenen Gefühle tun nichts zur Sache, Tante Emmeline.“

„Das sollten sie aber. Du quälst dich noch mehr, wenn du sie ignorierst.“

Jane antwortete nicht. Sie war in der letzten Zeit häufig mit Mark zusammen gewesen, und ihre Gefühle für ihn waren dadurch noch stärker geworden. War das so offensichtlich?

Mark beaufsichtigte gerade die Vorbereitungen zu seiner Abreise, als Drew ihn aufsuchte.

„Wie ist es heute Morgen bei den Anwälten gelaufen?“, fragte er.

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Mary Nichols
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Stephanie Laurens wurde in Ceylon (dem heutigen Sri Lanka) geboren. Sie begann mit dem Schreiben, um ihrem wissenschaftlichen Alltag zu entfliehen. Bis heute hat sie mehr als 50 Romane verfasst und gehört zu den erfolgreichsten Autorinnen historischer Liebesgeschichten. Die preisgekrönte New-York-Times-Bestsellerautorin lebt mit ihrem Mann und zwei Töchtern in Melbourne.
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<p>Louise Allen lebt mit ihrem Mann – für sie das perfekte Vorbild für einen romantischen Helden – in einem Cottage im englischen Norfolk. Sie hat Geografie und Archäologie studiert, was ihr beim Schreiben ihrer historischen Liebesromane durchaus nützlich ist.</p>
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