Die Schwere der Sümpfe

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Welche Gründe hat Jones Larabee, sich in Lousianas Sumpfgebieten zu verstecken? Faith ist der Mann ein Rätsel. Da küsst er sie, als ginge es um sein Leben, und weist sie dann zurück. Als Faith endlich zu ahnen beginnt, was hinter seinem rätselhaften Verhalten stecken könnte, beschließt sie, um seine Liebe zu kämpfen. Doch Larabees Geheimnis ist ein Schock und lässt eine Beziehung in weite Ferne rücken …


  • Erscheinungstag 18.01.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733775902
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Die Abenddämmerung kam zeitig an diesem unseligen Märztag. Faith Kimball lag schon weit hinter dem Zeitplan zurück. Verdrossen schaltete sie die Scheinwerfer ein und hielt angestrengt durch die Windschutzscheibe nach der Abzweigung zum Campingplatz Ausschau.

Wegen irgendeines Anglerwettbewerbs wären sämtliche Motels rings um den Caddo Lake an diesem Wochenende voll. Wenigstens hatte Faith ihre Campingausrüstung mitgebracht, auch wenn sie sich nicht darauf freute, in der Dunkelheit ein Zelt aufzustellen und das Abendessen zu machen.

Der Black Cypress Campingplatz sollte laut Auskunft des Managers in dem letzten Motel, in dem sie es versucht hatte, drei oder vier Meilen weiter an der FM 23 liegen. Aber sie war schon vier Meilen gefahren und hatte nichts gesehen, das … Nein, halt! Was stand da auf dem Schild?

Sie fuhr langsamer an das Schild heran, von dem die Farbe abblätterte. Es hing zu hoch für ihre Scheinwerfer. Ja, das war es!

Ihr Triumph war nur von kurzer Dauer. Ein gewaltiger Lastwagen tauchte mit erschreckender Geschwindigkeit vor ihr auf. Er raste mitten auf der schmalen zweispurigen Straße ohne Scheinwerfer auf sie zu.

Mehrere Gedanken jagten blitzartig durch ihren Kopf. Himmel, sieht mich der Idiot denn nicht? Sie sollte hupen. Sie sollte sich in den Straßengraben retten. Sie unternahm nichts, weil es so aussah, als würde der Truck sie doch verfehlen. Aber dann schwenkte er herum und rammte mit voller Wucht ihren Wagen.

Faith’ Kombi schob sich wie eine Ziehharmonika zusammen, während er herumwirbelte und sich überschlug. Faith prallte mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe. Etwas drückte gegen ihren linken Schenkel. Doch sie spürte keinen Schmerz. Ob sie sterben musste? Der Gedanke erschreckte sie nicht. Sie bedauerte nur, dass sie nicht geheiratet und keine Kinder hatte, dass sie sich nicht von ihrer Mutter verabschiedet hatte und dass ihre Dissertation jetzt unvollendet blieb. Dann fühlte sie gar nichts mehr.

Eine Stimme durchdrang die Dunkelheit, die sie umgab. „Aufwachen, verdammt! Öffnen Sie den Sicherheitsgurt! Lady, ich weiß, dass Sie leben! Wachen Sie auf!“

Sie öffnete die Augen. Jetzt verspürte sie Schmerz und Angst. Ihre Kleider waren blutgetränkt, und ihre Lungen füllten sich mit Rauch. Sie hustete und schmeckte Blut.

Himmel, sie wollte nicht sterben!

„Öffnen Sie den Sicherheitsgurt! Beeilen Sie sich!“, befahl die Stimme erneut.

Obwohl es schrecklich anstrengend war, tat sie, was der Mann verlangte.

„Geben Sie mir die Hand!“ Nachdem er ihre Aufmerksamkeit geweckt hatte, wurde seine Stimme sanfter.

Hitze schlug Faith entgegen, als etwas in der Nähe Feuer fing. Sie schloss die Augen wegen des beißenden Rauchs und streckte die Hand aus.

Starke Hände packten sie. Faith biss sich auf die Lippen, um nicht vor Schmerz zu schreien, als der Mann sie nach oben oder zur Seite zog – sie hatte jeglichen Orientierungssinn verloren.

„So ist es gut. Sie haben es fast schon geschafft“, sagte er beruhigend, während Glassplitter ihr nacktes Bein kratzten. Sobald er sie aus dem verbeulten Metallhaufen befreit hatte, der einmal ihr Wagen gewesen war, hob ihr Retter sie auf die Arme und rannte los.

Sekunden später hörten sie eine ohrenbetäubende Explosion und stürzten zu Boden. Wieder wurde Faith schwarz vor Augen.

Sie erwachte, als ihr Retter den Mund auf ihre Lippen presste und ihr Luft in die Lungen blies. Sie schob ihn von sich und hustete heftig wegen des Rauchs, den sie eingeatmet hatte.

„Gott sei Dank“, sagte der Fremde. „Entspannen Sie sich. Hilfe ist unterwegs. Ich habe einen Wagen angehalten, und der Fahrer hat von seinem Autotelefon aus angerufen.“ Während er leise und beruhigend auf sie einsprach, tastete er sie mit seinen starken, aber sanften Händen nach Verletzungen ab.

Ihre Augen brannten, doch sie öffnete sie einmal, um den Mann zu betrachten. Er nahm ein Stirnband ab, und sie bekam einen flüchtigen Eindruck von langen dunklen Haaren und tief liegenden Augen, einer geraden Nase und einem kantigen Kinn mit Grübchen.

Er schlang das Stirnband um ihren Schenkel.

„Es tut weh …“, flüsterte sie.

„Ich weiß, dass es wehtut, Schatz.“ Er strich eine Locke ihres blonden Haars aus ihrem Gesicht. „Hören Sie die Sirene? Die Hilfe ist da.“ Damit stand er auf und ging weg.

„Warten Sie! Warten Sie!“, rief sie mit dem letzten Rest an Kraft, der ihr noch verblieben war. „Lassen Sie mich nicht allein! Wer sind Sie?“

Er drehte sich nicht einmal um.

1. KAPITEL

Es war ein warmer sonniger Aprilmorgen, und Jones Larabee hatte kein größeres Problem als die Frage, ob er angeln oder sich einfach bräunen lassen sollte. Doch dann blickte er aus dem Fenster seiner Hütte und erspähte Miss Hildy, die in ihrem Kanu durch den Sumpf auf ihn zuhielt.

Er fragte sich, wieso sie nicht kenterte. Sie war breiter als das Boot, das manchmal alarmierend wackelte. Dennoch schaffte sie es immer mit dem Kanu ans Ufer.

Jones ging ihr entgegen. Auch wenn sie sich in alles einmischte und ihn schlimmer beaufsichtigte als eine Glucke, mochte er Hildy. Sie war eine Nachfahrin der Caddo-Indianer, die sich vor Jahrhunderten in dieser Gegend angesiedelt hatten, und sie war als Medizinfrau bekannt. Manche Leute mochten sie nicht, andere fürchteten sie, aber jedermann zu beiden Seiten der Grenze zwischen Texas und Louisiana respektierte ihre Kenntnisse über Flora und Fauna des Sumpfes.

„Hallo, Jones.“ Sie stemmte sich aus dem Kanu, watete die letzten Meter an Land und machte dabei ihre zerschlissenen und geflickten Tennisschuhe nass.

„Guten Morgen.“ Er griff nach dem Bug des Boots und zog es an das schlammige Ufer. „Was führt Sie her? Heute ist nicht Ihr üblicher Besuchstag.“

„Man braucht doch keinen besonderen Grund, wenn man einen Freund besucht.“ Hildy griff in das Kanu und holte zwei große Plastikeimer heraus, in denen sie eine Auswahl ihrer Gartenschätze verstaut hatte. „Bei dem vielen Regen ist meine erste Ernte völlig außer Kontrolle geraten. Ich muss die Sachen irgendwie loswerden, und ich kann sie nicht alle verkaufen.“

Jones nahm ihr die schweren Eimer ab. „Ich habe noch nicht alles aufgegessen, was Sie mir letzte Woche gegeben haben.“

„Dann essen Sie nicht genug Grünzeug“, tadelte sie. „Was ist mit dem Tee? Sie trinken doch meinen Spezialtee?“

„Ja, ja. Der ist fast weg.“

„Dann ist es gut, dass ich heute gekommen bin“, erklärte sie, während sie zu Jones’ roh gezimmerter Holzhütte gingen, die unter riesenhaft aufragenden Zypressen, Tannen und Eichen stand. „Ich habe Ihnen einen großen Behälter mitgebracht.“

Als Jones vor Monaten hierherkam, hatte Hildy ihn wie ein Vogelhund auf Wachteljagd aufgespürt. Angeblich wollte sie nur ihren nächsten Nachbarn unter die Lupe nehmen, aber Jones bezweifelte das. Er wusste nicht, wo sie wohnte – irgendwo tief im Sumpf, wo man sich verirren und tagelang herumwandern konnte, aber in seiner Nähe war das bestimmt nicht. Sie war einfach neugierig.

Seit ihrem ersten Besuch kam sie einmal pro Woche zu seiner Insel gepaddelt, ob er sie nun eingeladen hatte oder nicht. Und jetzt betrachtete er sie als Freundin.

Als seine einzige Freundin. Die anderen Ortsansässigen hielten sich ängstlich von seiner Insel fern, was ihm nur recht war.

Der Stuhl in seiner Küche knarrte, als Hildy sich darauf fallen ließ. „Eigentlich bin ich aus einem anderen Grund hier.“ Sie beobachtete Jones, während er an der Spüle das mitgebrachte Gemüse wusch. „Ein Mädchen sucht nach Ihnen.“

Er verkrampfte sich. „Wer?“ Wer sonst sollte es sein außer Mary-Lynn?

Er hatte Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, damit ihn niemand, der ihn von früher kannte, hier aufstöbern konnte. Er hatte keinen Führerschein beantragt und sich nicht einmal ein Postfach genommen. Er hatte kein Telefon. Er hatte seinen Wagen zurückgelassen, damit man das Kennzeichen nicht verfolgen konnte. Sein Boot, das er zusammen mit der Hütte gemietet hatte, war nicht auf seinen Namen eingetragen. Wie hatte ihn jemand finden können?

„Hübsches kleines Ding“, sagte Hildy. „Lauter blonde Locken.“

Jones entspannte sich. Dann war es also nicht Mary-Lynn, die so schwarze Haare hatte wie Hildy.

„Ich habe sie bei Pete gesehen“, fuhr Hildy fort. „Sie hat Ihr altes grünes Stirnband. Das Ding ist nur noch ein Fetzen, aber sie zeigt es jedem in dem Laden und sucht den Besitzer.“

Er gestattete sich ein Lächeln. „Dann weiß ich, wer sie ist.“ Die Blonde musste das Opfer dieses Unfalls mit Fahrerflucht sein, die Frau, die er vor ein paar Wochen aus dem brennenden Wagen gezogen hatte. Er war im Wald unterwegs gewesen, als er ein paar Meter neben sich auf der Straße den Knall hörte. Auch wenn er sich nicht gern in anderer Leute Probleme verwickeln ließ, hatte er helfen müssen, weil es um Leben und Tod ging.

Er hatte der Frau hastig Erste Hilfe geleistet, damit sie durchhielt, bis die Sanitäter kamen. Und dann hatte er sich aus dem Staub gemacht. Er brauchte nicht die ewige Dankbarkeit einer Fremden, der er das Leben gerettet hatte.

„Sie haben ihr doch nichts gesagt, oder?“, fragte er Hildy.

„Nein. Ich weiß, dass Sie Ihre Ruhe haben wollen.“

Sie platzte vor Neugierde, aber er erzählte ihr nichts. Er fühlte sich nicht als Held, und er wollte nicht, dass ihn jemand für einen hielt.

Er versprach, seinen Tee zu trinken und sein Gemüse zu essen, und scheuchte Hildy wieder weg. Sie musste ihren Stand an der Straße öffnen, der ihre einzige Einkommensquelle darstellte. Von ihm nahm sie kein Geld für das Gemüse an, das sie ihm gebracht hatte.

Als sie fort war, dachte er wieder an die Frau mit dem Engelsgesicht zurück, die dem Tod so nahe gewesen war. Er freute sich, dass sie sich erholt hatte. Aber er hoffte, dass sie ihn nicht fand.

Faith studierte die Karte, die der Verwalter des Campingplatzes für sie gezeichnet hatte, und betrachtete die Landschaft vor sich. Nicht zum ersten Mal suchte sie jemanden, der in einer so abgelegenen Gegend wohnte, dass sie sich nach markanten Punkten in der Landschaft richten musste, anstatt nach Straßennamen und Hausnummern. Allerdings versuchte sie es zum ersten Mal in einem Sumpf mit einem leckenden Boot und einem streikenden Außenbordmotor.

Vor ihr ragte eine gewaltige Zypresse auf, die in der Mitte wie von der Axt eines Riesen gespalten war. Das war einer der markanten Punkte. „Vom Blitz getroffen“, hatte Hoady gesagt. Mit einem unguten Gefühl bog Faith von der deutlich markierten „Seestraße“ in einen viel schmaleren Kanal ein. Sie drosselte die Geschwindigkeit wegen der Baumstämme und der anderen Gefahren, die unmittelbar unter der Wasseroberfläche lauerten.

Zum Glück war es nicht so schwer, dem Kanal zu folgen. Ein deutlicher Weg wand sich durch die Wasserlilien, als wäre ein anderes Boot vor Kurzem hier durchgefahren. Faith lehnte sich zurück und versuchte, sich zu entspannen.

Während der Monate, in denen sie an ihrer Dissertation arbeitete, hatte sie den Sumpf mit seinen seltsamen Lebewesen, den erdverbundenen Gerüchen und den hier lebenden Menschen lieben gelernt. Besonders die Menschen. Sie waren eine ganz eigene Rasse für sich. Und wenn die Gerüchte stimmten, war Jones Larabee ein herausragendes Exemplar. Sie konnte es nicht erwarten, mit ihm zusammenzutreffen.

Der Manager des Campingplatzes, Hoady Fromme, hatte versucht, sie von dem Besuch bei Larabee abzuhalten. Der Mann wäre unheimlich, ein Einzelgänger, noch dazu ein gefährlicher. Doch Faith hatte Hoady nur halb geglaubt. Leute vom Land neigten zu Übertreibungen, wenn sie mit ihr zusammentrafen und feststellten, dass sie von jedem ihrer Worte begeistert war. Und ein Mann, der sein Leben riskierte, um das ihre zu retten, konnte nicht ganz schlecht sein.

Zumindest wollte sie Mr Larabee das neue Stirnband geben, das sie ihm gekauft hatte, und sich für die Lebensrettung bedanken. Im besten Fall brachte sie ihn dazu, vor ihrer Videokamera zu sprechen. Ein Interview mit dem örtlichen Einsiedler wäre ein hübscher Zusatz zu ihrer Dissertation gewesen. Vielleicht stellte er eine der letzten Bastionen lokaler Folklore und Aberglaubens dar, die von der näher rückenden Zivilisation verdrängt wurden.

Faith entdeckte den nächsten markanten Punkt, ein weitläufiges „Feld“ Wasserlilien zu ihrer Linken. Im Sommer brachten diese gewaltigen Lilien beeindruckende weiße Blumen hervor, die so groß wie Teller waren. Hier bog sie in einen noch schmäleren Kanal und drosselte den Motor so weit, dass sie kaum noch von der Stelle kam. Sie musste sich unter den Fächern des Spanischen Mooses ducken, die von den niedrigen Zweigen hingen.

Sie war noch nie in einem so undurchdringlichen Teil des Sumpfes gewesen. Die Dunkelheit bedrückte sie, und die Geräusche der Tiere am Ufer wirkten nicht mehr freundlich. Sie verspürte den überwältigenden Drang, zurück in den Sonnenschein zu fliehen, doch wenn sie nicht rückwärtsfahrend fliehen wollte, musste sie eine breitere Stelle zum Wenden finden.

Die Idee, sich möglichst schnell zurückzuziehen, gefiel Faith immer besser, bis sich der Kanal unerwartet zu sonnenbeschienenem, offenem Wasser weitete. Und aus der Mitte dieser Wasserfläche ragte ein winziges Stück Land, auf dem eines der hübschesten Häuser stand, das sie je gesehen hatte.

Das auf hohen Stelzen ruhende Blockhaus mit Steildach besaß eine einladende, ringsum führende Veranda. Faith konnte sich gut vorstellen, mit einem Glas kalter Limonade auf dieser Veranda zu sitzen und den Sonnenuntergang zu betrachten. Über dem ordentlich gepflegten Garten ragten Zedern auf. Üppig wachsende Geranien in Rosa und Weiß waren um die Treppe gruppiert, die zur Haustür führte. Zwei Spechte flogen immer wieder ein Futterhäuschen an, das an einem der Bäume hing.

Dieser märchenhafte Anblick hatte nichts mit der verwitterten und heruntergekommenen Einsiedlerhütte zu tun, mit der sie gerechnet hatte. Wenn Jones Larabee hier nicht hauste, konnten ihr die Bewohner vielleicht den Weg zu ihm zeigen.

Faith steuerte ihr Boot ans Ufer und kletterte heraus. Nachdem sie es an einem Baumstumpf festgemacht hatte, stieg sie die Stufen zur Haustür hinauf, hob die Faust und wollte kräftig klopfen.

Sie kam nicht dazu. Die Tür schwang auf, und ein Mann rannte sie beinahe um. Verdutzt wich er ein paar Schritte zurück. In der einen Hand trug er eine Angelrute, in der anderen einen Kasten mit verschiedenen Angelutensilien, und am Leib hatte er nichts weiter als eine knappe abgeschnittene Jeans.

„Wer sind Sie?“ Er ließ den Behälter hart fallen. „Was machen Sie hier?“

Diese Stimme! Faith konnte sich gar nicht irren. Das war die Stimme des Mannes, der ihr befohlen hatte, ihren Sicherheitsgurt zu öffnen. Auch wenn sie sich kaum an sein Gesicht erinnern konnte, seine Stimme würde sie nie vergessen.

Am deutlichsten erinnerte sie sich an seine Sanftheit. Jetzt klang er jedoch alles andere als sanft.

Sie war daran gewöhnt, bei den Leuten in der Gegend auf hartnäckigen Widerstand zu treffen, wenn diese merkten, dass sie es mit jemandem von auswärts zu tun hatten. Sie schenkte ihm ihr gewinnendstes Lächeln. „Ich bin Faith Kimball, Mr Larabee. Und ich bin gekommen, um Ihnen das hier zu geben.“ Sie hielt ihm ein brandneues hellgrünes Stirnband hin. „Das ist als Ersatz gedacht für das Tuch, mit dem Sie mein Bein bandagiert haben. Der Sanitäter musste es abschneiden – das Band, nicht mein Bein“, fügte sie mit einem nervösen Lachen hinzu.

Der Mann starrte sie mit unverhohlener Feindseligkeit an. „Lady haben Sie den Verstand verloren?“

Zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie sich vielleicht geirrt hatte. „Sie sind doch Jones Larabee, oder?“

„Nein.“

Die Antwort erfolgte schnell und abwehrend und war offensichtlich eine Lüge. Faith betrachtete sein Gesicht und registrierte verschiedene Einzelheiten, die mit ihren flüchtigen Erinnerungen übereinstimmten: das dunkelbraune Haar, das ihm fast bis auf die Schultern reichte, die haselnussbraunen, tief liegenden Augen, die lange gerade Nase und das kantige Kinn mit der kleinen Kerbe.

Und er besaß einen sagenhaften Oberkörper. Das hatte sie natürlich nicht bemerkt, als sie zu sterben glaubte, aber sie bemerkte es dafür jetzt.

„Dann sind Sie also nicht der Mann, der mich aus meinem Wagen gezogen hat, nachdem ich auf der FM 23 von einem Truck gerammt wurde?“, fragte sie vorsichtig. „Ich hätte schwören können, dass Sie dieser Mann sind.“

Er musterte sie eindringlich vom Scheitel bis zur Sohle. Bestimmt bemerkte er die Narbe an ihrem Bein. „Sie irren sich“, erklärte er kühl. „Bitte gehen Sie jetzt.“

Sie schlug Hoadys Warnung in den Wind und holte das zerrissene Originalstirnband aus der Tasche. „Erkennen Sie das nicht?“

„Lady, wenn Sie nicht sofort von meinem Grund und Boden verschwinden …“

„Ach, ich verstehe. Sie haben Angst, dass ich Sie verklagen will. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Der Arzt, der mich zusammengeflickt hat, meinte, Sie hätten mir zweifellos mit der Aderpresse und der Mund-zu-Mund-Beatmung das Leben gerettet.“

Endlich zeigte er eine andere Reaktion als Ärger. Seine Miene wurde nachdenklich, es schien fast so, als erinnerte er sich an jene spannungsgeladenen Momente. Er befeuchtete seine Unterlippe mit der Zungenspitze. Trotzdem gab er nicht zu, dass er ihr Retter war.

Entmutigt entschied sie sich für einen Rückzug mit Anstand. Der Mann hatte ein Anrecht darauf, in Ruhe gelassen zu werden. Sie drückte ihm das neue Stirnband in die Hand. „Nehmen Sie das. Das Grün betont die Farbe Ihrer Augen.“ Bevor er widersprechen konnte, wandte sie sich ab und ging die Stufen hinunter. Während sie zu ihrem Boot zurückkehrte, fühlte sie seinen Blick in ihrem Nacken brennen.

Seltsamer Mann, dachte sie, schob das Boot ins Wasser und kletterte hinein. Ihre überentwickelte Neugierde warf die Frage auf, warum er der menschlichen Gesellschaft den Rücken gekehrt hatte und allein im Sumpf lebte. Aber vielleicht erwartete sie zu viel. Vielleicht kannte er gar nichts anderes.

Sie zog an der Starterleine. Der Motor grollte matt, ohne anzuspringen. Sie zog ein zweites Mal kräftiger. Das Ergebnis war entmutigend.

Entschlossen kniete sie sich auf die Sitzbank im Heck des Bootes, packte den Starter mit beiden Händen und riss mit aller Kraft daran. Das Seil riss, und Faith fiel über die Bootswand und landete im schlammigen Wasser.

Es wäre nicht so schlimm gewesen, hätte sie kein Publikum gehabt. Aber da saß sie im Schlamm, und Jones Larabee stand in seiner vollen Größe von über eins achtzig am Fuß der Stufen und betrachtete sie amüsiert.

„Probleme?“, fragte er unschuldig.

Beinahe hätte sie ihrem Zorn nachgegeben, doch bevor sie ihm eine wohlverdiente unhöfliche Antwort gab, griff ihr Verstand ein. Vielleicht bot ihr das Schicksal eine zweite Chance bei dem launenhaften Mr Larabee.

„Der Motor läuft nicht.“ Sie stand auf und versuchte, den Schlamm mit den Überresten seines alten Stirnbandes von ihrer Shorts und ihren Beinen zu wischen. „Ich werde zurückpaddeln müssen. Es sei denn … Kennen Sie jemanden, der das in Ordnung bringt?“

Er schüttelte den Kopf, kam jedoch näher. „Ich kann nur Treibstoff nachfüllen. Mehr verstehe ich nicht von Bootsmotoren.“

Seltsam. Ein Mann, der hier aufgewachsen war, wusste doch sicher alles über Boote.

„Woher haben Sie denn diese Schrottmühle?“, fragte er.

„Die habe ich auf dem Black Cypress Campingplatz gemietet.“

Er nickte wissend. „Hoady. Das erklärt alles.“ Er führte es nicht weiter aus.

„Haben Sie einen Vorschlag?“, fragte sie.

Er überlegte einen Moment. „Ich wollte zum Angeln. Ich werde Hoady suchen und herschicken. Er kann den Motor reparieren oder Sie abschleppen.“

Das war nicht die Lösung, auf die Faith gehofft hatte. „Könnten Sie mich nicht abschleppen?“

Seine Miene verriet deutlich, wie unangenehm er diesen Vorschlag fand. „Mein Boot ist zu groß für den schmalen Kanal, durch den Sie gekommen sind. Ich benütze einen anderen Wasserweg, der in einen ganz anderen Teil des Sees mündet. Sie wären meilenweit von Ihrem Campingplatz entfernt.“

„Könnten Sie dann Hoady anrufen?“

„Ich könnte, wenn ich ein Telefon hätte.“

Jetzt war sie verzweifelt. Sie wollte nicht den ganzen Tag allein hier sitzen und darauf warten, dass Hoady Fromme sie rettete. Sie musste arbeiten, und außerdem vertraute sie dem kleinen Mann mit dem unsteten Blick nicht ganz. „Lassen Sie mich mit Ihnen fahren“, bat sie. „Sie können mich bei der ersten Gelegenheit an einer Straße oder einem Haus mit Telefon absetzen. Von dort komme ich schon weiter.“

Er seufzte resigniert. „Also schön, aber so steigen Sie nicht in mein Boot.“ Er ließ den Blick über ihren Körper wandern und hatte sichtlich etwas gegen den Schlamm, der noch an ihr klebte.

„Vielleicht lassen Sie mich Ihre Dusche benutzen?“

„Hinter dem Haus liegt ein Schlauch. Das Wasser ist kalt, aber es ist sauber.“ Damit wandte er sich ab.

„Einen Moment. Sagen Sie das noch einmal!“

Er blieb stehen und sah sie über die Schulter an. „Was soll ich sagen?“

„Das mit dem Schlauch.“

„Er liegt hinter dem Haus. Ich sagte, das Wasser ist kalt, aber es ist …“

„Das ist es! Sie sind gar nicht aus dieser Gegend, nicht wahr?“, erklärte sie triumphierend, freute sich über ihre Schlussfolgerung, war allerdings auch enttäuscht. Jones Larabee würde nicht in ihrer Dissertation vorkommen.

„Lady, wovon sprechen Sie?“

„Mein Name ist Faith. Und ich spreche davon, dass Sie nicht hier aufgewachsen sind.“

Er starrte sie voll Panik an. „Wie kommen Sie denn darauf, zum Teufel?“

„Ihr Akzent, Ihre Aussprache“, erwiderte sie hundertprozentig überzeugt. „Wer nicht genau hinhört, bemerkt es nicht. Aber ich studiere die feinen Unterschiede der einzelnen Dialekte in Texas. Das ist allerdings eine aussterbende Kunst. In unserer mobilen Gesellschaft verwischen sich die Dialekte mehr und mehr. Aber mit der Sprechweise am Caddo Lake bin ich eng vertraut. Am deutlichsten hört man es daran, wie Sie das Wort ‚Wasser‘ aussprechen.“

Er kniff die Augen zusammen. „Denken Sie, was Sie wollen.“ Damit holte er seine Anglerausrüstung und ging zu einem kleinen Bootshaus neben der Blockhütte.

Ich habe recht, dachte sie. Du versteckst dich vor etwas, Mr Jones Larabee. Gab es einen besseren Schlupfwinkel als diese abgelegene Lagune mitten in einem fast undurchdringlichen Sumpf? Wenn sie sich nicht beeilte, würde er ohne sie losfahren. Also holte sie ihre Umhängetasche und den Koffer mit der Videokamera aus dem Boot und hastete um das Haus herum, um sich mit dem Schlauch abzuspritzen. Sobald Jones das Bootshaus betrat und vor Faith Kimballs scharfen blauen Augen und noch schärferen Ohren in Sicherheit war, holte er dreimal tief Luft, bis sein Herzschlag sich normalisierte. Da draußen hatte sie ihn fast zu Tode erschreckt. Er hatte gedacht, sie hätte ihn tatsächlich erkannt.

Das war möglich. Dallas war eine sehr große Stadt, aber er war in Dutzenden von Gerichtssälen und vor Hunderten von Geschworenen erschienen. Einmal war sein Foto sogar in der „Morning News“, erschienen. Damals war er in einem aufsehenerregenden Fall um Bankbetrug als Verteidiger aufgetreten.

Doch Faith hatte nicht sein Gesicht erkannt, sondern nur seinen Akzent angezweifelt. Seit er hierher gezogen war, hatte er sich bewusst der gedehnten südlichen Sprechweise angepasst, damit er nicht auffiel. Die meisten Leute konnte er täuschen. Niemand hatte bisher seine Herkunft angezweifelt. Nur Faith.

Hartnäckiges kleines Ding. Und zweifellos eine Schönheit mit ihrem engelshaften Gesicht, das von einer Wolke blonder Locken umgeben war, die ihr auf den Rücken fielen. Selbst die dünne, noch nicht ganz verheilte Narbe an ihrer Stirn lenkte nicht von ihren Reizen ab. Er hatte sie zuerst gar nicht bemerkt, so sehr hatte ihn die Intelligenz angelockt, die sich hinter ihren lebhaften blauen Augen verbarg.

Die rote Narbe an ihrem schlanken Schenkel war nicht so leicht zu übersehen, aber auch sie würde mit der Zeit verheilen, genau wie seine Narbe, bis sie nur noch eine kleine Erhebung in der glatten Haut war. Er stellte sich vor, wie es sich anfühlen musste.

Sofort erkannte er die sexuellen Gefühle hinter diesem Gedanken und bekam ein schlechtes Gewissen. Wie konnte er bloß an eine andere Frau denken? Vielleicht liebte er Mary-Lynn nicht, wie das ein angehender Ehemann tun sollte, aber er mochte sie. Sie hatte während seiner Qualen loyal zu ihm gestanden und war kaum von seiner Seite gewichen. Auch wenn er nicht bei ihr sein konnte und sie auch nie wiedersehen würde, verdiente sie keinen Betrug. Nicht einmal in seinen Gedanken.

Als sich die Tür des Bootshauses öffnete und Faith klatschnass, aber sauber erschien, wurde die Erinnerung an Mary-Lynn in den Hintergrund gedrängt. Verdammt, ein Mann hätte schon tot und begraben sein müssen, um nicht darauf zu reagieren, wie Faith’ hellblaues T-Shirt sich um ihre vollen runden Brüste schmiegte.

Ihr Körper konnte einen Heiligen in Versuchung führen – in seinem Fall einen barmherzigen Samariter. Ihr Lächeln war so unschuldig wie das eines Kindes am ersten Tag des Sommerlagers. Er musste sie loswerden, und zwar schnell, bevor sie ihn noch mehr bezauberte.

Mit dem Gleichgewichtssinn einer erfahrenen Seglerin kletterte sie auf sein Boot und verstaute im Heck ihre Umhängetasche und einen geheimnisvollen Plastikkoffer. „Hübsches Boot“, stellte sie fest, während sie die Heckleine löste und das zylindrische Prallkissen einholte. „Was angeln Sie heute? Süßwasserbarsche oder Seebarsche?“

„Ich nehme beides.“ Verdammt, er kannte kaum den Unterschied. Er hatte erst vor einem Monat mit dem Angeln begonnen, als es warm wurde. Er hatte etwas tun müssen, und als er das Angelzeug des Besitzers des Blockhauses entdeckte, hatte er es einfach versucht.

Autor

Karen Leabo
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