Die Strandhochzeit

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Nur um ihren habgierigen Verwandten zu entkommen, gibt Holly ganz spontan dem attraktiven Jack Armour ihr Ja-Wort. Doch in der leidenschaftlichen Nacht nach der Traumhochzeit am Strand von Sugar Island erkennt sie, dass sie diesen Entschluss niemals in ihrem Leben bereuen wird …


  • Erscheinungstag 28.03.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756208
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Den internationalen Journalisten war nicht ganz wohl in ihrer Haut, als sie nach einer abenteuerlichen Fahrt mit dem Geländewagen in Ignaz ankamen. Der Ort lag in viertausend Meter Höhe in den Anden. Es regnete unaufhörlich, der Schauplatz der Katastrophe war von einer graubraunen Schlammschicht überzogen, und der Pressesprecher des Katastrophenhilfe-Unternehmens war sichtlich überfordert.

„Was, um alles in der Welt, soll ich denn hier fotografieren?“, flüsterte die Journalistin des Magazins Elegance, die auf Artikel über Prominente spezialisiert war.

„In einer halben Stunde wird der Regen aufhören“, bemerkte eine Stimme hinter ihnen kühl.

Abrupt drehten sie sich um. Der Pressesprecher war erleichtert. „Meine Damen und Herren, dies ist Dr. Jack Armour.“

„Du meine Güte“, sagte die Elegance – Journalistin beeindruckt.

Jack Armour war groß, schlank und strahlte Gelassenheit und Selbstvertrauen aus. Im Gegensatz zu den Journalisten, die Schutzbekleidung trugen, hatte er nur das Nötigste an. Der herabströmende Regen machte ihm offenbar nicht das Geringste aus. Wasser rann ihm über die breite Brust und ließ die Haare auf seinem Oberkörper schwarz erscheinen. Seine sonnengebräunte Haut hatte einen schimmernden Goldton. Die langen, muskulösen Beine waren nackt.

„Dr. Armour ist der amerikanische Experte, von dem ich Ihnen erzählt habe, und der Vorstandsvorsitzende der Armour-Katastrophenhilfe. Er wird Sie auf dem Gelände herumführen und Ihre Fragen beantworten.“

„Wie ein griechischer Gott“, flüsterte die Elegance – Journalistin.

„Guten Morgen“, sagte der griechische Gott amüsiert.

Er führte die Gruppe den Berg hinauf, wobei er sich so geschmeidig wie eine Gämse bewegte und den Journalisten gleichzeitig wichtige Informationen lieferte. Seinen kräftigen, aber schlanken Beinen schienen der matschige Untergrund, die Steigung und die spiegelglatten Felsen keine Schwierigkeiten zu bereiten. Und auch der Regen machte ihm offenbar nichts aus. Die Journalisten begannen, vor Anstrengung zu keuchen.

„Bitte entschuldigen Sie mein Tempo“, rief Jack Armour ihnen über die Schulter zu. „Ich habe es eilig, weil ich heute noch nach Paris muss.“

„Sie Glückspilz.“ Einer der Journalisten seufzte sehnsüchtig.

„Ich hasse Paris, aber dort findet eine wichtige Konferenz statt, die ich nicht verpassen darf.“

„Sie hassen Paris?“, fragte die Elegance – Reporterin schockiert. „Die Stadt der Kultur und der Liebe?“

Jack Armour lachte nur. „Wenn ich nach Paris fahre, dann geht es immer um Naturkatastrophen – nicht um Sehenswürdigkeiten oder Sex.“

Sie verzog den leuchtend rot geschminkten Mund. „Und wann finden Sie die Zeit für Sehenswürdigkeiten?“

Sein Lächeln verschwand, und seine Augen wirkten plötzlich so dunkel, als wären sie schwarz.

„Seien Sie ruhig“, warnte ein britischer Journalist die Frau. Er kannte Jack Armours wunde Punkte bereits.

„Für so etwas habe ich keine Zeit“, erwiderte Jack Armour nachdrücklich.

„Aber …“

Jacks Miene war undurchdringlich. „Netter Versuch. Aber wie Sie sehen, funktioniert es bei mir nicht.“

Das brachte die Reporterin endlich zum Schweigen.

1. KAPITEL

Holly trat vorsichtig aus dem Fahrstuhl. Sie balancierte einen hohen Stapel Schachteln eines Lieferservices. Ihr lief ein Schauer über den Rücken, und sie versuchte, ihre Bedrücktheit als Aberglauben abzutun. Sie hasste diese riesigen, unpersönlichen Gebäude. Diese erinnerten sie immer daran, wie sie ihre Mutter bei deren Arbeit in einem großen Londoner Bürokomplex besucht hatte.

Meist gelang es ihr, all diese Gedanken zu verdrängen: an ihre Mutter, London und jenes andere Leben. Immerhin lag es schon fast acht Jahre zurück. Damals hatte ein Zugunglück das Leben ihrer Mutter ausgelöscht – und mit ihr alles, was ihr, Holly, die damals noch zur Schule gegangen war, vertraut und wichtig gewesen war.

Holly blickte in die verspiegelten Türen des Fahrstuhls. In letzter Zeit erkannte sie sich manchmal kaum wieder. Sie war sehr gewachsen und hatte lange, schlanke Beine. Ihr mittelbraunes Haar war so hell geworden, dass es bei bestimmtem Licht fast golden wirkte. Doch nach wie vor kringelte es sich in widerspenstigen Locken. Deshalb trug sie es lang und flocht es zu einem Zopf, wenn sie arbeitete. Mit ihrer Baseballkappe und der Latzhose sah sie ein wenig aus wie ein Schuljunge.

Hier in Paris bin ich ja auch als Lieferjunge wieder geboren worden, dachte sie ironisch. Ihre Mutter hatte versucht, sie auf die unerwarteten Ereignisse vorzubereiten, die das Leben vielleicht für sie bereithielt. „Alles ist vergänglich, Hol“, sagte sie immer wieder. Ihre großen Augen wirkten stets ein wenig traurig. „Du musst selbst auf dich aufpassen“, flüsterte sie einmal und drückte sie an sich. „Denn niemand sonst wird es tun.“ Und wenn sie zu erschöpft war, um zu lachen oder traurig zu sein, bat sie: „Bitte verzeih mir.“

Damals hatte sie, Holly, natürlich noch nicht gewusst, dass es etwas zu verzeihen gab. Ihren Vater hatte sie nie kennengelernt. Und sie konnte nicht ahnen, dass ihre Mutter ihm durch ihr Testament eine Nachricht zukommen lassen würde.

Doch das hatte diese getan. Und die verzweifelte Holly fand sich plötzlich im Hause eines amerikanischen Millionärs im Mittleren Westen der USA wieder. Damals hatte sie die zweite wichtige Botschaft endlich voll und ganz verstanden, die ihre Mutter ihr mit auf den Weg gegeben hatte: „Das Einzige, worauf du dich bei einem Mann verlassen kannst, ist, dass er dir das Herz brechen wird.“

Das alles gehörte allerdings der Vergangenheit an. Der Vater, den sie nie wirklich kennengelernt hatte, war tot. Die Stiefschwester, die schon ihre, Hollys, Existenz als Affront empfunden hatte, war weit weg – fünf Jahre und ein ganzer Kontinent lagen zwischen ihnen. Und wenn es auch bedeutete, dass sie allein war, so war es Holly nur recht. Solange ihr Herz wie aus Eis war, kam ihr zumindest niemand zu nahe. Sie war frei und in Sicherheit.

Holly verschob die Schachteln mit dem Essen ein wenig, sodass sie diese ein wenig besser tragen konnte. Dann ging sie durch die schier endlosen, stillen Flure zum Geschäftszimmer des Internationalen Katastrophenhilfekomitees.

„Vielen Dank, meine Herren“, sagte die Vorsitzende. „Sie haben uns viel Stoff zum Nachdenken gegeben.“

Jack unterdrückte den Impuls zu protestieren. Er hatte bisher nicht einmal über die Hälfte der vorbereiteten Themen gesprochen. Er hatte festgelegt, dass sein Unternehmen, die Armour-Katastrophenhilfe, den Vortrag auch während des Mittagessens weiterführen sollte. Die anderen Teilnehmer hatten zugestimmt. Doch das war vor Ramons Gefühlsausbruch gewesen. Die Vorsitzende des Komitees hatte für Gefühle nichts übrig. Jack wollte weiteren Fehlschlägen vorbeugen und stand auf. „Vielen Dank.“

Ramon Lopez sah ihn ungläubig an. „Wir können noch nicht gehen! Das Komitee …“

„Hat unseren Bericht und den Vertragsentwurf vorliegen“, führte Jack den Satz zu Ende. Er umfasste die Lehne von Ramons Stuhl und zog unauffällig, aber heftig daran. „Und selbstverständlich stehen wir Ihnen bei Fragen jederzeit zur Verfügung. Sie haben meine Telefonnummer?“

Die Vorsitzende warf einen Blick auf die Visitenkarten, die sie vor sich ausgebreitet hatte. „Ja, vielen Dank, Dr. Armour. Wir werden sicher zahlreiche Fragen haben. Deshalb würden wir es begrüßen, wenn Sie erreichbar sind.“

„Selbstverständlich“, erwiderte Jack lächelnd. Sein charmantes Auftreten war nur gespielt, doch außer Ramon bemerkte es niemand. „Zum Glück gibt es ja Handys.“

Die anderen Vorstandsmitglieder erwiderten das Lächeln ein wenig verlegen, wobei sie Ramon anblickten. Sie befürchteten, dass der unbeherrschte Spanier sich nicht von der Stelle bewegen würde, und bereiteten sich innerlich auf eine unangenehme Szene vor.

Jack war allerdings nicht nur der Chef der Organisation, sondern auch eine starke Persönlichkeit, und so ging Ramon mit ihm, obwohl er leise fluchte. Er nahm seine Aktentasche und folgte ihm aus dem Konferenzzimmer.

Sobald sie auf dem Flur waren, rief er: „Verdammt! Warum habe ich nur den Mund nicht gehalten?“

Jack prüfte, ob sein Handy eingeschaltet war. „Das nächste Mal wirst du es bestimmt besser machen“, antwortete er, ohne aufzublicken.

„Es ist alles meine Schuld. Ich hätte nicht die Beherrschung verlieren dürfen.“

Jack betrachtete Ramon, und seine Augen funkelten humorvoll. „Immerhin hast du sie ganz schön beeindruckt, als du mit der Faust auf den Tisch geschlagen hast.“

Der Spanier wirkte zerknirscht. „Hoffentlich habe ich nicht alles verdorben.“

„Mach dir keine Gedanken. Jetzt müssen wir die Verhandlungen eben anders führen.“

„Dich bringt wohl nichts aus der Fassung.“

„Wenn man es von der richtigen Seite betrachtet, ist jeder Rückschlag auch eine Gelegenheit“, zitierte Jack Ramons bevorzugten Managementspezialisten.

Der Spanier musste lächeln. „Gilt das auch für diese Journalistin aus New York, die einen Artikel über dich schreiben wollte?“ Die Mitarbeiter der Armour-Katastrophenhilfe diskutierten seit einiger Zeit eifrig per E-Mail über die Frage, ob Rita Caruso die neueste Eroberung ihres Chefs war.

Jack seufzte nur resigniert. Ramon war inzwischen wieder bester Laune. „Ich kann es kaum erwarten, ihre Bilder zu sehen.“

Jack schnaufte und steckte sein Handy zurück in die Hosentasche. „Da kannst du lange warten.“

„Du hast doch gesagt, wir bräuchten Publicity.“

„Aber nicht solche.“

„‚Kaum jemand ist sich der langfristigen Folgen von Naturkatastrophen bewusst‘“, zitierte Ramon den Satz über die Unwilligkeit zu spenden, der aus dem Bericht für das Komitee stammte. Er hatte ihn unzählige Male umschreiben müssen, bis Jack damit zufrieden gewesen war. „‚Die meisten Journalisten verlieren schon kurze Zeit nach einer Katastrophe das Interesse an dem Thema. Doch es sterben wesentlich mehr Menschen in der Zeit danach als während des tatsächlichen Unglücksfalls. Wir müssen alles tun, um dies zu ändern.‘“ Er lächelte. „Gehören hübsche Fotos für eine Lady, die dich anhimmelt, nicht dazu?“

Jack verdrehte die Augen. „Du weißt genau, dass ich mich sogar an ein Heer von Bürokraten verkaufen würde, um meine Aufgaben zu erfüllen. Aber bei Aktfotos ist bei mir die Grenze erreicht.“

Überrascht sah Ramon ihn an. „Aktfotos?“

„Rita Caruso ist Fotojournalistin bei der Elegance. Dieses Magazin schreibt nur über Mode, Sex, Klatsch und Tratsch. Ich war ziemlich erstaunt, dass überhaupt eine der Mitarbeiterinnen nach Ignaz geschickt wurde.“

„Und woher weißt du, worüber die Elegance schreibt? Seit wann hast du denn Zeit, etwas zu lesen, was nicht mit deiner Arbeit zu tun hat?“

Ein kurzes Schweigen folgte. Dann antwortete Jack ruhig: „Susana hat sie gern gelesen.“

Und zum ersten Mal hielt Ramon den Mund.

Holly balancierte die Schachteln mit dem Essen vor sich her wie eine Zirkusartistin. Am Ende des Flurs sah sie zwei Männer in dunklen Anzügen stehen. Einer von ihnen war klein und wirkte sehr besorgt, der andere war groß, dunkelhaarig und strahlte kühle Selbstbeherrschung aus.

Der Mann hatte hohe Wangenknochen und markante Gesichtszüge. Seine Miene war undurchdringlich, doch Holly fiel seine Körperhaltung auf. Er wirkte sehr angespannt. Zum Glück bin ich nicht diejenige, die ihn so gereizt hat, dachte sie.

Dann sagte der kleinere Mann auf Englisch: „Es tut mir leid, Jack. Ich habe einfach nicht nachgedacht.“

Der Angesprochene schwieg einen Moment. „Du warst vermutlich aufgeregt wegen der Konferenz“, erwiderte er schließlich. Und Holly wusste, dass die Gefahr vorüber war.

Der andere Mann blickte ihn zweifelnd an.

„Betrachte es doch einmal von der positiven Seite“, fügte sein Begleiter hinzu. „Zumindest hast du es uns erspart, weitere achtundvierzig Stunden in dem Konferenzzimmer zu verbringen.“

Holly griff nach oben, um den schwankenden Schachtelturm am Umstürzen zu hindern, und ging auf die beiden Männer zu.

„Achtundvierzig Stunden?“, wiederholte der andere Mann entsetzt. „Du meine Güte, Jack! Meinst du wirklich, es wird so lange dauern?“

Sie merkte plötzlich, wie attraktiv der große, Furcht einflößende Fremde war. Er wirkte zwar sehr unnachgiebig, und seine eiserne Selbstbeherrschung war erschreckend. Aber ganz ohne Zweifel sah er auch unglaublich gut aus.

Der schöne Jack, wie Holly ihn insgeheim taufte, war nicht nur gut aussehend, sondern auch sarkastisch: „Wenn Bürokraten erst einmal zu Wort kommen, hören sie so bald nicht wieder auf zu reden.“

Der kleinere Mann stöhnte auf. „Wären wir nur nicht auf sie angewiesen!“

Jack lachte kurz auf. „Eigentlich bräuchten wir einen netten Millionär, der an langfristige Planung glaubt. Aber so einen haben wir leider nicht, und unter den verbleibenden Möglichkeiten ist das Katastrophenhilfekomitee die beste Wahl.“

Holly hatte die beiden erreicht. „Entschuldigung“, sagte sie hinter dem Schachtelturm. Der Stapel neigte sich zur Seite. Sie beugte sich ein wenig in die andere Richtung, damit die Schachteln nicht hinunterfielen. Vielleicht hatten die beiden Männer sie nicht gehört, oder sie waren zu sehr in ihre eigenen Angelegenheiten vertieft. Jedenfalls hatten sie sie nicht bemerkt.

„Wenn ich nur nicht die Geduld verloren hätte“, meinte der kleinere Mann zerknirscht.

„Das passiert nun einmal leicht bei Bürokraten. Sie …“

„Entschuldigung!“

„… müssen ständig zeigen, wie viel Einfluss sie …“ Ungeduldig drehte Jack sich um. „Was gibt es denn?“

Seine Augen funkelten wie schwarze Diamanten. Der Stapel schwankte, doch Holly konnte den Blick nicht von dem Mann abwenden. Sie stellte fest, dass ihr erster Eindruck richtig gewesen war. Aus der Nähe wirkte er noch unnachgiebiger. Seine edlen, klar geschnittenen Gesichtszüge glichen denen eines griechischen Gottes – und sein Temperament offensichtlich ebenfalls. Sie konnte sich gut vorstellen, dass viele Menschen sich von seinem strengem Blick einschüchtern ließen. Aber mir passiert das nicht so leicht, dachte sie entschlossen und erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.

„Darf ich bitte vorbei?“

Holly spürte förmlich, wie er sie musterte. Doch sie ließ sich nicht abschrecken. Ungeduldig stampfte sie mit dem Fuß auf den Boden. Der Schachtelturm begann, bedenklich zu schwanken.

„Ich möchte bitte vorbei.“

Jack betrachtete sie gelassen. Sie hatte schon immer schnell die Beherrschung verloren, noch bevor sie im Haus ihres Vaters hatte lernen müssen, sich zu verteidigen. Sie bemühte sich nicht länger, höflich zu sein.

„Lassen Sie mich endlich vorbei!“

Als sie merkte, dass die Schachteln umfielen, hatte er bereits reagiert und sie aufgefangen.

„Danke“, sagte sie widerstrebend.

Um seinen Mund zuckte es leicht. „Nichts zu danken.“ Er wirkte amüsiert, ließ sich durch den Vorfall allerdings nicht im Geringsten ablenken und sagte über den Stapel hinweg zu seinem Begleiter: „Du solltest dir wirklich keine Vorwürfe machen, Ramon.“

„Ich hätte das Reden lieber dir überlassen sollen.“

Jack zuckte die breiten Schultern, die durch den eleganten Anzug noch betont wurden. „Du hast eben die Beherrschung verloren – das kann jedem mal passieren.“ Er warf Holly einen gleichgültigen Blick zu. „Wohin soll das hier geliefert werden?“

„In das Büro am Ende des Ganges.“

Ohne etwas zu sagen, wandte er sich um.

„Für einen Mr. Armour“, fügte sie hinzu. Toll, dachte sie. Tritt zurück, du armseliges kleines Wesen, und lass das einen starken Mann übernehmen. Am liebsten hätte sie den schönen Jack getreten.

Der Mann namens Ramon lief neben ihm her. Bei jedem großen Schritt seines Begleiters musste er zwei machen. „Sie werden uns doch nicht wirklich achtundvierzig Stunden hier warten lassen?“, fragte er verzweifelt.

„Zumindest können sie es versuchen.“

Jack erreichte die große, imposante Flügeltür am Ende des Gangs und stieß sie mit der Schulter auf, ohne anzuklopfen. Dann stellte er die Schachteln auf dem nächsten Schreibtisch ab. „Ist es hier recht?“

Bevor Holly etwas sagen konnte, griff die elegante Frau ein, die in dem Sekretariat arbeitete. Sie stand auf und kam schnell auf Jack zu.

„Oh, Mr. Armour. Ich wusste ja nicht … Ja, vielen Dank, lassen Sie das Essen ruhig dort stehen.“

Holly kannte die Frau. Señora Martinez hatte bereits mehrmals Essen bei Chez Pierre bestellt. Sie sprach mehrere Sprachen fließend, war sehr professionell und allgemein bekannt dafür, dass sie sich durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. Jetzt genügte allerdings ein kurzer Blick aus Jacks dunklen Augen, um sie zu verunsichern.

„Hier sind einige Nachrichten … Der Vorstand hat nach Ihnen gefragt … aber ich dachte, Sie wären noch in der Konferenz“, erklärte sie stockend.

Interessiert verfolgte Holly das Gespräch. Der schöne Jack muss ja ein ganz schön hohes Tier sein, überlegte sie.

Gut gelaunt erwiderte er: „Das Komitee hat uns hinausgeworfen, Elena.“ Er schenkte Señora Martinez ein strahlendes Lächeln, und sein Charme blieb nicht ohne Wirkung.

Sie errötete und schüttelte lachend den Kopf. „Aber Mr. Armour, das kann ich gar nicht glauben. Ich weiß doch, wie beeindruckt alle von Ihrem Entwurf waren.“

Es gefiel Holly ganz und gar nicht, ignoriert zu werden. Der Mann hatte sie keines Blickes gewürdigt, seit sie in dem Sekretariat waren.

„Mr. Armour, richtig?“ Sie stellte sich vor ihn und fügte laut hinzu: „Mittagessen für zehn Personen.“

„Wie bitte?“, fragte er verständnislos.

Schweigend hielt sie ihm den Lieferschein hin. Endlich schien er sie zur Kenntnis zu nehmen. Er nahm zwar den Lieferschein nicht entgegen, aber immerhin sah er sie an.

„Ja?“, meinte er gleichgültig.

Holly war wütend. Allerdings wusste sie, dass das, was er sah, nicht gerade beeindruckend war. Die doppelreihige Kochjacke hatte nach einem langen Vormittag voller Auslieferungen in diesem belebten Pariser Stadtteil ihre ursprünglich strahlend weiße Farbe verloren. Und auch die Baseballkappe, die ihre widerspenstigen goldbraunen Locken bedeckte, war nicht gerade sauber.

Doch Holly wollte sich nicht einschüchtern lassen. Sie hob das Kinn. „Ich brauche eine Unterschrift für die Lieferung“, sagte sie trotzig und fügte dann etwas verspätet hinzu: „Sir.“

Der Mann kniff die Augen zusammen, und Señora Martinez wirkte schockiert.

„Junge Dame“, erwiderte er, „was soll ich denn mit Mittagessen für zehn Personen?“

Holly verlor endgültig die Geduld. „Von mir aus können Sie die gesamte Quiche Lorraine an die Tauben verfüttern“, antwortete sie zuckersüß. „Ich will einfach nur eine Unterschrift.“

Señora Martinez griff ein. „Hier liegt ein Missverständnis vor“, erklärte sie nervös. „Das Essen ist für die Konferenz des Komitees mit Mr. Armour bestimmt. Ich habe es bestellt.“ Sie nahm den Lieferschein und unterschrieb ihn.

Holly ignorierte sie. „Sie sind also Mr. Armour?“ Spöttisch ließ sie den Blick über seine große Gestalt gleiten. „Das hätte ich mir ja denken können. Amerikanische Unternehmen sind die einzigen auf der ganzen Welt“, zitierte sie ihren Chef, den Gourmetkoch Pierre, „die ihren Mitarbeitern befehlen, am Konferenztisch zu essen.“

Der griechische Gott sah tatsächlich aus wie einer jener Männer, die Mittagspausen nur im äußersten Notfall zuließen. Während sie seinen undurchdringlichen Blick auf sich gerichtet spürte, bekam sie allerdings immer mehr das Gefühl, dass sie einen großen Fehler begangen und sich lächerlich hatte.

Doch er zuckte nur die Schultern. „Wenn ich Ihrer Meinung nach der König des Lieferservice bin – was sind Sie dann?“

Holly war sprachlos.

„Vermutlich essen Sie so etwas gar nicht“, mutmaßte er, „sondern verkaufen es nur.“

Diese selbstgefällige Art kannte sie nur zu gut. Ihr Schwager und dessen Cousin Homer, der inzwischen das Unternehmen ihres Vaters führte, waren genauso gewesen – absolut sicher, dass sie im Recht waren und sie, dieser unbequeme, uneheliche Neuankömmling, dies schließlich akzeptieren würde. Plötzlich verspürte sie den Drang, laut zu schreien.

Jack Armour lächelte. „Eins zu Null für mich, stimmt’s?“ Er wandte sich ab. Ramon lachte.

Holly errötete. Sie war so wütend, dass sie ihn am liebsten getreten hätte, damit er sie wenigstens wahrnehmen würde. Aber schließlich gewann ihre Vernunft die Oberhand. Womöglich würde Pierre sie entlassen, und sie brauchte den Job dringend. Holly beschloss, das Büro zu verlassen, bevor ihr Temperament mit ihr durchgehen würde.

Sie riss Señora Martinez den Lieferschein aus der Hand und stopfte ihn in ihre Baumwolltasche. Dabei entdeckte sie unzählige Werbeflugblätter des Clubs, in dem sie abends arbeitete. Sie hatte ganz vergessen, dass sie die Zettel eigentlich hatte verteilen sollen. Schuldbewusst warf sie einen Blick auf die Uhr, nahm die Tasche und eilte hinaus.

Heute war einfach nicht ihr Tag. Erst hatte sie verschlafen – nach einem Auftritt mit der Querflöte im Club Thaïs am Vorabend. Dann kam die Metro viel zu spät. Und als sie endlich bei der Arbeit erschien, schäumte Pierre bereits vor Wut, während das Telefon ununterbrochen klingelte und noch niemand daran gedacht hatte, die anstehenden Lieferungen vorzubereiten. Und zu guter Letzt war sie noch einem dunkelhaarigen, gut aussehenden Fremden begegnet, der sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen hatte.

„Mr. Armour, hier ist eine Nachricht von der Vorsitzenden des Komitees für Sie.“ Señora Martinez überreichte ihm ein Schreiben. Jack öffnete den Umschlag und überflog die Nachricht.

„Wir beide“, sagte er ironisch zu Ramon, „haben heute Nachmittag frei. Das Komitee hat beschlossen, dass wir nicht weiter an der Konferenz teilzunehmen brauchen.“

Der Spanier schien den Tränen nahe zu sein. „Aber der Vertrag …“

Jack lachte. „Das Komitee hat meine Telefonnummer. Sie können mich anrufen, wenn sie den Vertrag unterzeichnen wollen.“ Er schob Ramon aus dem Zimmer und zum Fahrstuhl.

„Wir hätten bleiben sollen“, stellte der Spanier fest, während sie zum Erdgeschoss fuhren. „Wir hätten diesem verdammten Komitee die Meinung sagen sollen und …“

„Ganz ruhig, Ramon. Warte, bis wir das Gebäude verlassen haben.“ Jack warf einen vielsagenden Blick auf die Überwachungskamera an der Decke des Aufzugs. „Ich habe die letzten drei Monate in Schlammlöchern und mit Bürokraten verbracht und hätte Lust, mich mal wieder richtig zu amüsieren – mit gutem Essen, gutem Wein und guter Musik.“

„Das bedeutet, dass du nicht mit zu dem offiziellen Abendessen bei der internationalen Hilfsorganisation kommst und ich wieder allein hingehen muss“, bemerkte Ramon resigniert.

„Verabrede dich doch mit einer Frau, und nimm sie mit dorthin“, schlug Jack unbekümmert vor. „Du könntest zum Beispiel die Vorsitzende des Komitees fragen. Dein südländisches Temperament hat sie sehr beeindruckt.“

Ramon erwiderte sein Lächeln. „Geh du doch mit einer Frau hin. Dann hätte ich endlich mal den Abend frei.“

Jack lächelte noch immer. Aber seine Augen wirkten plötzlich ausdruckslos.

Oh nein, dachte Ramon, ich Idiot! Schon das zweite Mal innerhalb einer halben Stunde. Um seine Verlegenheit zu überspielen, fuhr er fort: „Du hättest die junge Frau, die das Essen gebracht hat, nach ihrer Telefonnummer fragen sollen – anstatt sie zu provozieren.“

Jack schüttelte den Kopf. „Die war viel zu streitlustig.“ Doch zumindest schien sein Lächeln jetzt wieder von Herzen zu kommen.

Inzwischen war der Aufzug im Erdgeschoss angekommen, und sie stiegen aus. Ramon warf einen misstrauischen Blick zurück auf die Kamera. „Meinst du, sie war eine Spionin?“

Jack musste lachen. „Nein, keine Angst. Wozu sollte jemand Männer ausspionieren, die in Katastrophengebieten Notunterkünfte errichten? Ich wollte vorhin nur verhindern, dass du dich negativ über das Komitee äußerst, denn das könnte böse Folgen haben. Wachleute verkaufen gern kompromittierende Ausschnitte aus den Filmen, die mit den Überwachungskameras aufgenommen werden.“

Ungläubig sah Ramon ihn an. „Woher weißt du das?“

Jack zuckte die Schultern. „Ich habe auch einmal in der Branche gearbeitet.“

Das konnte der Spanier sich gut vorstellen. Sein Chef hatte früher praktisch jeden Job angenommen, um Geld für die Armour-Katastrophenhilfe zu beschaffen.

„Allerdings nie in einem so modernen und vornehmen Gebäude wie diesem hier.“ Jack lächelte ironisch und blickte sich in der Eingangshalle um. Palmwedel bewegten sich sanft im Luftzug der Klimaanlage. Wasser plätscherte leise aus einem barocken Springbrunnen, und die Marmorwände glänzten. Überall standen Palmen. Ein nicht enden wollender Strom von Leuten war zu sehen, die kamen und gingen. Der Klang ihrer Schritte und Stimmen verlor sich in dem Raum, der so hoch wie eine Kathedrale war.

Plötzlich ließ Jack seine Aktentasche fallen und lief über den spiegelnden Boden der Halle. Verwirrt hob Ramon die Tasche auf. Dann sah er, was Jacks Aufmerksamkeit erregt hatte.

Es war die temperamentvolle junge Frau vom Lieferservice. Sie stand mit dem Rücken an der Wand. Ein großer, stämmiger Mann hatte sich drohend vor ihr aufgebaut. Offensichtlich schrie er sie an, doch seine Stimme ging in dem riesigen Raum unter. Die junge Frau schien ihn ohnehin nicht zu hören. Ihre Miene versteinerte. Sie hatte panische Angst.

Ramon kannte diesen Ausdruck sehr gut und wusste genau, wie Jack auf das verängstigte Gesicht der jungen Frau reagieren würde. „Oh nein“, sagte er und eilte ihm nach.

Nach den körperlichen Anstrengungen der vergangenen drei Monate war Jack ebenso schlank wie durchtrainiert. Aber der Gegner der jungen Frau hatte einen Körper wie ein Preisboxer, mit breiten Schultern und stämmigem Nacken. Er schien Jack körperlich überlegen zu sein, und trotzdem hatte dieser ihm mit einer einzigen Bewegung den Arm auf den Rücken gedreht und hielt ihn fest.

Ramon wusste, wozu Jack bei seinen seltenen Wutanfällen fähig war. Er eilte zu ihm. Jack betrachtete den Mann, den er festhielt.

Autor

Sophie Weston
Sophie Weston reist leidenschaftlich gern, kehrt aber danach immer wieder in ihre Geburtsstadt London zurück. Ihr erstes Buch schrieb und bastelte sie mit vier Jahren. Ihre erste Romance veröffentlichte sie jedoch erst Mitte 20. Es fiel ihr sehr schwer, sich für eine Karriere zu entscheiden, denn es gab so viele...
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