Die Übernahme - Ein Millionär kehrt zu seinen Wurzeln zurück (6teilige Serie)

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Schicksalsnacht in New York

Er?! Noch ehe Emma dem attraktiven Chase Larson vorgestellt wird, schlägt ihr Herz schneller. Von allen Männern der Welt hätte sie ihn auf dem Geschäftsempfang am wenigsten erwartet. Doch fraglos: Der Millionär ist der aufregende Fremde, der sie so leidenschaftlich, so sinnlich verwöhnte - bei ihrem One-Night-Stand in New York, den sie ein für alle Mal vergessen muss! Denn einer wie Chase wird ihr nur das Herz brechen, davon ist Emma fest überzeugt. Und dennoch hat das Schicksal andere Pläne und hält für sei beide ein süßes Geheimnis bereit …

Lass es endlich Liebe sein!

Er sieht so verdammt gut aus - das Blau seiner Augen ist sogar noch intensiver geworden! Als Sarah ihre alte Highschool-Liebe wiedersieht, spürt sie sofort Schmetterlinge in ihrem Bauch. Rafe ist immer noch ihr Traummann - auch wenn er sie damals ohne ein Wort verlassen hat. Kaum ist er als reicher Mann nach Vista del Mar zurückgekehrt, träumt sie schon wieder von seinen heißen Küssen! Doch auch wenn er ihr süße Liebesschwüre ins Ohr flüstert: Sie ahnt, dass Rafe einen finsteren Plan schmiedet. Einen Plan, in dem ihre Gefühle so wie damals keine Rolle spielen …

Ein Star zum Verlieben?

Wenn er sie nur ansieht, rieseln ihr warme Schauer den Rücken hinunter. Dabei gehört Ward Miller zu genau der Sorte Mann, derentwegen Ana Rodriguez Hollywood verlassen hat: Der berühmte Musiker ist selbstverliebt wie alle Stars! Aber für die Stiftungsarbeit braucht sie seine Hilfe. Und je länger Ana ihn kennt, desto häufiger fragt sie sich, ob hinter der Prominentenfassade doch ein Herz steckt. Womöglich schlägt es sogar im gleichen Takt wie ihres? Als Ward sie sanft an sich zieht, fühlt sich Ana wie Cinderella - und will lieber nicht an den nächsten Morgen denken …

Die geheimen Küsse des Millionärs

Der Millionär Brandon ist unglaublich von der leidenschaftlichen Medien-Managerin Paige fasziniert. Doch um deren Boss als Betrüger zu entlarven, spielt er den mittellosen Cowboy – und Paige ahnt nichts von seiner wahren Identität …

Bei Wiedersehen Liebe?

Als PR-Manager ist Max Preston für den guten Ruf der Firma verantwortlich - den seine Ex mit ihren Zeitungsartikeln torpediert. Max ahnt, wen Gillian damit in Wahrheit treffen will: ihn. Das muss endlich aufhören! Wütend fährt er zu ihr - zum ersten Mal seit über drei Jahren. Ob ihre grünen Augen wieder herausfordernd funkeln? Ob sie immer noch so verführerisch sanfte Rundungen … Oh ja! Als er vor der sexy Reporterin steht, knistert es gefährlich. Doch im nächsten Moment ist Max wie vor den Kopf geschlagen. Denn Gillian stellt ihm seinen Sohn vor! Was hat sie vor?

Wie verführt man seinen Verlobten?

Er ist so attraktiv, seine Lippen zum Küssen geschaffen … Reiß dich zusammen, ruft sich Margaret zur Ordnung. Schließlich ist er dein neuer Chef! Doch immer wieder muss sie an den Kuss auf dem Kostümfest denken, den William Tanner ihr geschenkt hat, ohne sie hinter ihrer Maske zu erkennen … Als er sie jetzt plötzlich bittet, seine Verlobte zu spielen, ist Margaret jedoch hellwach. Was will der reiche Finanzier mit einer grauen Maus wie ihr? Trotz aller Zweifel stimmt Margaret zu. Vielleicht kann sie William zu einem Kuss verführen. Dann soll es nicht bei einem bleiben …


  • Erscheinungstag 23.09.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751512879
  • Seitenanzahl 864
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Day Leclaire, Catherine Mann, Emily Mckay, Michelle Celmer, Sandra Hyatt, Yvonne Lindsay

Die Übernahme - Ein Millionär kehrt zu seinen Wurzeln zurück (6teilige Serie)

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IMPRESSUM

BACCARA erscheint 14-täglich in der Harlequin Enterprises GmbH

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Geschäftsführung:

Thomas Beckmann

Redaktionsleitung:

Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)

Cheflektorat:

Ilse Bröhl

Lektorat/Textredaktion:

Daniela Peter

Produktion:

Christel Borges, Bettina Schult

Grafik:

Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn,
Marina Grothues (Foto)

Vertrieb:

Axel Springer Vertriebsservice GmbH, Süderstraße 77, 20097 Hamburg, Telefon 040/347-29277

Anzeigen:

Christian Durbahn

Es gilt die aktuelle Anzeigenpreisliste.

 

© 2011 by Harlequin Books S.A.

Originaltitel: „Claimed: The Pregnant Heiress“

erschienen bei: Silhouette Books, Toronto

in der Reihe: DESIRE

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: BACCARA

Band 1696 (1/1) 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg

Übersetzung: Ute Augstein

Fotos: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht als eBook in 01/2012 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

ISBN: 978-3-86494-065-1

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

BACCARA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Satz und Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, HISTORICAL MYLADY, MYSTERY, TIFFANY HOT & SEXY, TIFFANY SEXY

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Day Leclaire

Schicksalsnacht in New York

1. KAPITEL

Er hätte nie damit gerechnet, sie wiederzusehen.

Chase stand im Schatten des Säulenganges vor dem Bankettsaal des Vista del Mar Beach- und Tennis-Clubs. Der Saal war von prächtig gekleideten Gästen bevölkert, die nicht minder prunkvollen Schmuck zur Schau trugen. Und inmitten dieser funkelnden Pracht stand Emma, die Frau, die Chase eine unglaubliche Nacht lang verführt, geliebt und dann verloren hatte.

Im Hintergrund waren Musik, Stimmengewirr sowie verhaltenes Lachen zu hören. Anlass dieser Cocktailparty war der bevorstehende Verkauf von Worth Industries an Rafe Cameron, der nicht nur Chases Stiefbruder, sondern auch sein bester Freund war. Doch obwohl alle fröhlich wirkten und sich glänzend amüsierten, war etwas von der unterschwelligen Anspannung zu spüren, die diesen Deal von Anfang an begleitet hatte. Chase als Finanzberater seines Bruders war maßgeblich an den Verkaufshandlungen beteiligt gewesen und wusste, dass der heutige Abend den Beginn einer harten Zeit einläutete.

Er beobachtete Emma, während er an einem Whiskey nippte, der sanft seiner Kehle schmeichelte. Er fühlte sich fast so an wie Emmas Haut – die Emma an diesem Abend übrigens großzügig zur Schau stellte. Das perlgraue Abendkleid, das einer griechischen Göttin gut gestanden hätte, betonte reizende Kurven, die Chase nur zu gern wieder enthüllt hätte. Eine Schulter war entblößt, über die andere waren zarte Seidenbahnen drapiert, die über Emmas Brust reichten. In Hüfthöhe waren sie zu einem raffinierten Knoten zusammengefasst, dessen filigrane Enden Emmas Knie umschmeichelten. Dazu trug sie Riemchensandaletten, und das hellblonde Haar hatte sie zu einem eleganten Haarknoten frisiert.

Nachdenklich betrachtete Chase sie. Was mochte der Grund für ihre Anwesenheit sein? Entweder gehörte sie wie die meisten anderen Gäste zu einer der beiden am Verkauf beteiligten Firmen – oder sie war in Begleitung eines Mannes da, dessen Name auf der Gästeliste stand.

Vielleicht sollte er hinübergehen und es herausfinden. Bei der Gelegenheit konnte er sie auch gleich fragen, warum sie ihn damals so sang- und klanglos verlassen hatte. Er hatte ganz New York City nach der geheimnisvollen Emma ohne Nachnamen abgesucht. Vergebens. Bevor Chase seinen Plan allerdings in die Tat umsetzen konnte, gesellte sich Ronald Worth – der gegenwärtige Inhaber von Worth Industries – zu Emma und legte ihr besitzergreifend eine Hand auf die nackte Schulter.

Chase versteifte sich. Das war doch nicht möglich. Sie war doch nicht etwa das Betthäschen von Rafes Erzfeind? Teilte sie etwa das Bett mit diesem über sechzigjährigen Kerl? Wie um Chases Befürchtungen zu bestätigen, küsste Emma Ron zärtlich auf die Wange, nachdem er ihr etwas zugeflüstert hatte.

„Vergiss es“, sagte Rafe plötzlich, und Chase drehte sich zu seinem Bruder um, der sich unbemerkt von hinten genähert hatte.

„Was?“

„Wen. Die Prinzessin. Ich habe gesehen, wie du sie anstarrst. Vergiss sie bloß wieder. Sie ist ein männerverschlingender Vamp.“

Chase schwieg, damit sein Stiefbruder ihm die Verärgerung nicht anmerkte. „Kennst du sie denn?“, fragte er schließlich.

„Emma Worth, besser auch bekannt als Ausgeburt der Hölle.“

Erleichtert hob Chase eine Augenbraue. Das bedeutete also, dass sie nicht Ronald Worths Geliebte, sondern seine Tochter war. „Dann spielt also Worth die Rolle des Teufels?“

Rafes Lächeln entbehrte jeglichen Humors. „Was soll ich dazu sagen? Die Rolle ist ihm einfach auf den Leib geschrieben.“

„Und seine Tochter? Was weißt du über sie?“ Und um nicht zu sehr persönlich interessiert zu wirken, fügte er hinzu: „Ist sie für den Deal von Bedeutung?“

„Das will ich ihr nicht geraten haben, sonst bekommt sie es mit mir zu tun“, erklärte Rafe ungnädig. „Allerdings glaube ich nicht, dass sie uns in die Quere kommt. Sie ist ziemlich oberflächlich und vergnügungssüchtig – reines Dekorationsmaterial.“

„Ein Party-Girl?“

Rafe zögerte. „Nicht ganz so extrem, würde ich sagen. Zumindest taucht sie nicht ständig in der Regenbogenpresse auf. Sie feiert wohl lieber privat.“

Erneut wandte Chase sich um, um Emma eingehend zu betrachten, während er sich die Neuigkeiten durch den Kopf gehen ließ. Ein Party-Girl, das die Öffentlichkeit mied. Das passte zu seinen Erfahrungen. Allerdings hatte er noch keine Rückschlüsse gezogen, als er mit ihr zusammen gewesen war. Eigentlich war sie ihm auch gar nicht oberflächlich vorgekommen. Doch wenn man bedachte, dass sie lediglich eine Nacht miteinander verbracht hatten, konnte er nicht behaupten, viel über sie zu wissen.

Dank Rafe hatte er jetzt wenigstens eine Erklärung für ihr plötzliches Verschwinden. Für Emma schienen One-Night-Stands so normal wie für andere Frauen ein Einkauf im Supermarkt zu sein. Doch ließ Chase sich nicht gern zum Narren halten – das hatte er auf die harte Tour gelernt.

Im Alter von zehn Jahren war er nach New York gezogen, um bei seinem Vater zu leben. Damals war er nur Barrons Bastard genannt worden – denn seine Eltern hatten nie geheiratet. Sein Vater war ein berühmter knallharter Geschäftsmann, seine Mutter eine sanftmütige Kalifornierin gewesen. Auf der Privatschule, auf die er abgeschoben worden war, hatte er gelernt, seine Gefühle nicht zu zeigen. Das half ihm heute als erfolgreicher Anlageberater.

Er versuchte Emma einzuschätzen. Tatsächlich wirkte sie wie ein Glamourgirl – einerseits herausfordernd sinnlich, andererseits unnahbar und kalt wie eine Schneekönigin. Und gerade das machte sie unwiderstehlich. Chase begehrte sie mit jeder Faser seines Körpers und wusste, dass er diese Frau wieder ins Bett bekommen musste – noch in dieser Nacht.

„Wie geht es dir, Daddy?“, fragte Emma leise und schob den Arm unter den ihres Vaters. „Die Party ist doch nicht zu viel für dich, oder?“

„Mach dir keine Sorgen, meine Kleine. Mir geht es gut“, versicherte Ronald Worth ihr lächelnd. „Es ist schließlich nur eine leichte Herzerkrankung, das weißt du doch.“

„Ach, wirklich?“, erwiderte sie herausfordernd. „Offensichtlich ist es aber schlimm genug, um dich davon zu überzeugen, Worth Industries an Rafe Cameron zu verkaufen.“

Er verzog das Gesicht. „Das ist nur einer der Gründe für meine Entscheidung. Ich habe dir ja gesagt, wenn du ins Geschäft einsteigen würdest …“

„… was ich nicht tun werde, wie ich dir bereits gesagt habe.“

„Siehst du. Ich könnte noch ein oder zwei Jahrzehnte so weitermachen. Und schau mich nicht so an“, bat er sie. „Ich bin erst Mitte sechzig – in der Blüte meines Lebens.“

Emma verkniff sich ein Lächeln. „Ich habe doch gar nichts gesagt.“

„Das brauchst du auch gar nicht.“

Sie seufzte und drückte sacht seinen Arm. „Bist du sicher, dass du das Richtige tust? Auch wenn ich das Unternehmen nicht leiten will, hättest du es nicht gleich verkaufen müssen. Du könntest doch mehr delegieren. Jemanden einstellen, der einen Teil deiner täglichen Aufgaben übernimmt.“

„Das wäre möglich gewesen“, erwiderte Ronald. „Ich habe mich allerdings für den Verkauf entschieden.“

„Aber warum ausgerechnet an Rafe Cameron? Meiner Meinung nach ist er ein ziemlich arroganter Typ.“

Ihr Vater blickte zu Rafe. „Wenn man ein ganzer Kerl ist, dann darf man auch arrogant sein“, meinte er wehmütig. „Als ich in seinem Alter war, bin ich genauso gewesen.“

„Dad …“

„Schluss jetzt, Emma. Das Geschäft ist nahezu besiegelt.“ Sein strenger Gesichtsausdruck wurde plötzlich wieder milder. „Habe ich dir eigentlich schon gesagt, wie entzückend du heute Abend aussiehst?“

Einen kurzen Moment lehnte sie den Kopf an seine Schulter. „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.“

Er fasste unter ihr Kinn, damit sie ihn ansah. „Du hast von deiner Mutter glücklicherweise nur die guten Seiten geerbt – besonders ihre Schönheit.“

Emma war verwirrt, weil er ihre Mutter erwähnte. Wenn sie ihren Vater doch nur dazu bewegen könnte, sich auch mit ihrem Bruder zu versöhnen, der die Familienranch leitete. Doch es war jetzt schon über zehn Jahre her, dass Vater und Sohn sich überworfen hatten. „Dad …“

Anscheinend ahnte er, was Emma ansprechen wollte, denn er schüttelte den Kopf. „Vergiss es, Prinzessin. Auf gar keinen Fall.“ Er küsste sie auf die Nasenspitze. „Das Geschäft ruft. Ich muss mich sehen lassen, Babys küssen und ihnen die Lollis klauen. Kommst du ohne mich klar? Wenn du früher fahren möchtest, dann nimm den Wagen. Schick ihn dann aber wieder hierher zurück für mich.“

„Mach dir um mich keine Sorgen, Dad. Ich komme schon nach Hause.“ Lächelnd deutete sie auf die Chefassistentin ihres Vaters. „Da kommt auch schon Kathleen. Ich frage sie, ob sie mich mitnimmt.“ Sie wusste, dass ihr Vater in Gedanken bereits beim Geschäftlichen war.

„Okay. Mach das. Ich habe ein paar Fragen an William.“

Schnurstracks ging er auf Rafe Camerons Finanzvorstand zu, und kopfschüttelnd sah Emma ihrem Vater nach, bis sie von Kathleen Richards mit einer herzlichen Umarmung begrüßt wurde.

„Hallo, Emma. Meine Güte, du siehst großartig aus!“ Das war typisch Kathleen. Mit ihrem feuerroten Haar und ihrem quirligen Wesen war sie überall gern gesehen. „Ich schwöre, dass nur meine Enkelin Sarah schöner ist.“

Emma lächelte. „Wenn man bedenkt, dass sie dir so ähnlich sieht, bin ich nur das dritthübscheste Mädchen.“

Kathleens Lachen wirkte ansteckend. „Das habe ich schon immer an dir gemocht – deine Natürlichkeit. Du bist genauso wie dein großartiger Bruder.“ Nachdem sie sich vorsichtig zu Ronald umgesehen hatte, senkte sie die Stimme. „Wie geht es ihm denn? Ich habe ihn bestimmt schon fünfzehn Jahre nicht mehr gesehen.“

„Ich auch nicht. Seit er sich dazu entschlossen hat, uns zu verlassen, haben wir …“ Emma hielt inne. Nein, das konnte doch nicht sein! Von allen Männern der Welt hätte sie mit Chase am wenigsten gerechnet. Jeden einzelnen Tag der vergangenen zwei Monate hatte sie versucht, sich diesen Mann aus dem Kopf zu schlagen – allerdings erfolglos. Und jetzt kam er auf sie zugeschlendert. Sein eleganter Gang und das Goldblond seiner sorgfältig frisierten Haare erinnerten Emma an einen majestätischen Berglöwen.

„Stimmt was nicht?“, erkundigte Kathleen sich. Dann folgte sie Emmas Blick und lachte leise. „Oh, verstehe. Ich kann dir versichern, dass es mir genauso ergangen ist, als Chase Larson das erste Mal ins Büro deines Vaters gekommen ist. Ich habe ihn bestimmt eine Minute lang mit offenem Mund angestarrt. Weißt du was? Ich mache euch miteinander bekannt.“

„Nein, das …“

Doch Kathleen winkte Chase bereits zu. „Mr Larson? Ich möchte Ihnen gern Ronalds Tochter Emma vorstellen.“

„Das brauchst du nicht“, widersprach Emma, aber es war zu spät, um Kathleen aufzuhalten – und um ihn aufzuhalten. „Chase und ich kennen uns bereits“, fügte sie etwas fantasielos hinzu.

„Ihr kennt euch?“, fragte Kathleen und sah verdutzt von einem zum anderen, bevor sie lächelte. „Also, das ist doch interessant. Warum erneuert ihr eure Bekanntschaft dann nicht einfach auf der Tanzfläche, und ich mache mich aus dem Staub?“

„Eine wunderbare Idee“, bekräftigte Chase ernst, bevor er Emmas Hand nahm und sie mit einer stürmischen Bewegung an sich zog. Drohend und gleichzeitig verheißungsvoll war der Ausdruck, der sich in seinen blauen Augen widerspiegelte. „Tanz mit mir, Emma!“

Warum sagt er nicht gleich: Hab ich dich endlich, fragte sie sich.

Chase zog sie noch enger an sich. „Du hast doch nichts dagegen?“

In dem Versuch, seinem unbarmherzigen Griff zu entkommen, wollte Emma ein Stück zurückweichen. „Falls es du es noch nicht gewusst hast: Wenn man tanzen möchte, sollte man auch atmen können.“

„Wenn ich dich nicht festhalte, rennst du möglicherweise wieder weg.“

„Ich bin nicht weggerannt“, widersprach sie und musterte ihn. Er war mit seinen über eins achtzig ein beeindruckender Mann mit attraktiven Gesichtszügen, einem geraden Kinn, wohlgeformten Lippen und intelligenten graublauen Augen – und eine Aura von Unnahbarkeit umgab ihn.

Als sie sich im vergangenen November am Wochenende vor Thanksgiving begegnet waren, war Chase sehr charmant gewesen. Sie hatten beide dasselbe Taxi herbeiwinken wollen und es sich schließlich geteilt. Zugegeben, sein Charme war schon etwas rau dahergekommen, doch hatte das Emmas Meinung nach gut zur romantischen Stimmung jenes Herbsttages gepasst. Sie hatten einen ganzen Tag und die darauffolgende Nacht miteinander verbracht.

Chase drehte sie herum, wobei seine Hand ziemlich dicht über ihrem Po lag, und Emma erschauerte wohlig. „Das ist ja witzig. Wenn ich mich recht erinnere, bin ich mit dir eingeschlafen und ohne dich aufgewacht. Kein Abschiedskuss, keine Nachricht. Keine Chance, dich zu finden.“

„Und wie hast du es dann doch geschafft?“, erkundigte sie sich.

Er lachte kurz auf. „Denkst du etwa, ich bin deinetwegen hier?“

Sie spürte, wie sie rot wurde. „Okay, also bist du nicht meinetwegen hier“, entgegnete sie.

„Ich bin dabei, den Worth-Deal abzuschließen, Miss Worth“, entgegnete er. „Es ist purer Zufall, dass wir uns hier treffen. Du hattest mir ja damals noch nicht einmal deinen Namen verraten.“

„Du hast meines Wissens nach auch nicht danach gefragt. Und deinen Namen habe ich auch nicht erfahren“, erwiderte sie ruhig.

„Jetzt kennst du ihn. Chase Larson.“

An irgendetwas erinnerte sie das, nur woran?

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, fügte er hinzu: „Ich bin der Bruder von Rafe Cameron.“

Vor Überraschung geriet sie aus dem Takt, und Chase half ihr, sich wieder in die Schrittfolgen einzufinden. „Das ist ein Scherz, oder?“, fragte sie.

„Hast du ein Problem damit?“

„Überflüssig zu sagen, dass die Liste ziemlich lang ist.“ Sie konzentrierte sich auf den Knoten seiner roten Fliege, weil sie nicht wagte, Chase in die Augen zu sehen. Sie wollte vermeiden, dass er ihr die Abneigung gegen seinen Bruder ansah. „Und was hast du mit dem Kauf von Worth Industries zu tun?“

„Ich bin der Eigentümer von Larson Investment. Ich helfe Rafe bei dem Deal.“

Kein Wunder, dass ihr sein Name so bekannt vorgekommen war, denn von Larson Investment hatte sie schon gehört. Wer hatte das nicht? Chase war also der uneheliche Sohn des Geschäftsmagnaten Tiberius Barron. „Ich vermute, dass du gut daran verdienst“, meinte sie.

„Warum auch nicht?“, erwiderte er. „Und jetzt, da wir über unerwartete Geschäftsbeziehungen geplaudert haben, kannst du mir eine persönliche Frage beantworten. Hätte ich dich damals nach deinem Nachnamen gefragt, hättest du ihn mir gesagt?“

Emma zuckte mit den Schultern. „Warum nicht?“ Als sie zu ihm aufsah, fiel ihr auf, wie beherrscht er wirkte. „Und du? Hättest du ihn mir verraten?“

„Nicht in unserer ersten gemeinsamen Nacht.“

„Ich verstehe“, erwiderte sie gekränkt. „Ich hätte offen zu dir sein sollen, aber du …“

„Ich habe gelernt, dass es schlau ist, sich zu schützen.“

„Sich zu schützen?“, hakte sie ungläubig nach. „Wovor denn, bitte schön? Vor geldgierigen Bunnys etwa?“

„So was in der Art“, erwiderte er scharf. „Und bist du so eine Frau?“

Wie hatte sie ihn jemals charmant finden können? „Glaubst du etwa, ich wäre hinter einem reichen Ehemann her?“

„Und? Bist du das?“

„Nein, danke. Du kannst dich entspannen. Ich habe genügend Geld.“

„Siehst du?“ Sein Lächeln war mit einem Mal ziemlich – nun ja – charmant. „Jetzt habe ich dich beleidigt. Das ist doch keine sehr gute Frage für ein erstes Date, oder?“

Sie entspannte sich. „Soll das heißen, dass wir uns nicht wiedergesehen hätten, wenn ich dir bei unserem ersten Date eine falsche Antwort gegeben hätte?“

„Nein. Ich hätte mich trotzdem mit dir getroffen.“

Ein Ausdruck von Begierde flammte so flüchtig in seinem Blick auf, dass Emma kurz darauf bezweifelte, ihn tatsächlich gesehen zu haben. Allmählich begann sie zu verstehen. „Aber dann nur unter gewissen Bedingungen – ich sollte mit dir schlafen, mir aber keine Hoffnungen machen.“

„Hey, sei nicht unfair, Emma“, tadelte er sie. „Machst du das etwa anders? Musst du nicht auch Angst davor haben, dass die Männer dich nur als einen Freischein für ein Leben in Saus und Braus sehen?“

„Warum sollte ich denn was dagegen haben?“, fragte sie verärgert. „Dein Bruder ist ja offensichtlich der Meinung, dass ich eine verwöhnte Erbin bin.“

„Vermutlich, weil Rafe und ich unser Vermögen mit Arbeit verdient haben.“

„Und ich meins einfach nur geerbt habe?“ Sie verkniff es sich, ihm von ihrer freiwilligen Arbeit für das It’s Time – das örtliche Frauenzentrum – zu erzählen. Das hätte so geklungen, als wollte sie sich verteidigen. Sie war mit einem Mal erschöpft und hatte heftige Kopfschmerzen. „Sind wir jetzt damit durch, Mr Larson? Dann würde ich nämlich gern nach Hause fahren.“

„Die Ansichten meines Bruders sind nicht meine – ich würde es also begrüßen, wenn du mich nicht mit ihm in einen Topf werfen würdest. Ich ziehe es vor, mir eine eigene Meinung von dir zu bilden – und ich erwarte, dass du dasselbe auch mit mir tust. Außerdem hast du immer noch nicht meine Frage beantwortet.“

Ob er ihr ansah, wie verzweifelt sie von ihm wegwollte? Seit Jahren verstand sie es meisterlich, nach außen hin ruhig und besonnen zu wirken. Doch aus irgendeinem Grund wollte ihr das heute Abend nicht gelingen. „Was für eine Frage?“

„Warum bist du damals einfach so verschwunden?“

Ihr war wirklich nicht wohl, und ihr fiel auf, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Es war nicht besonders klug gewesen, auf nüchternen Magen Champagner zu trinken. „Tut mir leid, Chase, aber wir müssen das Gespräch bei einer anderen Gelegenheit fortsetzen.“ Sie befreite sich aus seinen Armen. „Du weißt ja jetzt, wer ich bin und wie du mich erreichen kannst, falls es notwendig sein sollte.“

„Was ist los?“

„Ich habe nichts gegessen“, gestand sie, „und fühle mich ein bisschen benommen.“ Eigentlich hätte sie ahnen sollen, dass es nicht schlau war, Chase so viele Informationen zu liefern.

Augenblicklich übernahm er das Kommando. „Dort hinten ist ein Buffet. Lass uns doch mal nachsehen, ob wir etwas finden.“

Sie brachte es nicht fertig, auch nur in die Richtung des Buffets zu schauen, auf dem auch Meeresfrüchte angerichtet waren, ohne dass ihr noch übler würde. „Ich möchte eigentlich viel lieber nach Hause, die Füße hochlegen, Tee trinken und Toast essen.“

„Dagegen ist nichts einzuwenden. Wie bist du hierhergekommen?“

„Mit meinem Vater“, gestand sie zögerlich.

„Wohnst du bei ihm?“

„Ja, aber …“

„Sein Anwesen ist ein paar Meilen südlich von hier, richtig?“

„Woher weißt du das?“, fragte sie misstrauisch.

„Ich werde dafür bezahlt, solche Dinge zu wissen“, erwiderte er und fasste sie am Ellbogen. „Komm mit.“

Nachdem sie ihren Umhang aus der Garderobe geholt hatten, brachte er sie durch die Flügeltür hinaus in den Säulengang vor dem Clubgebäude. Von dort aus hatte man einen atemberaubenden Blick auf den Strand und das Meer unter dem Kliff. Der Mond stand über dem Pazifischen Ozean und tauchte die Wellen in ein silbriges Licht.

Chase führte sie um das Gebäude herum bis zum Parkservice. „Wohin gehen wir?“, wollte Emma wissen.

„Du brauchst Tee, Toast und Ruhe. Und genau dafür sorge ich jetzt.“

„Ich möchte aber nach Hause“, wandte sie ein.

Trotzdem fand sie sich kurz darauf in dem kirschroten Ferrari wieder, den Chase gemietet hatte. Die Fenster waren geöffnet, und die frische Luft half Emma, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Auf der Hauptstraße fuhr Chase nach Norden und nicht nach Süden.

„Wohin fahren wir?“, erkundigte sie sich, aber eigentlich war es ihr gerade egal.

„Dir etwas zu essen besorgen.“

Emma ergab sich in das Unvermeidliche. Fünf Minuten später fuhr er auf ein mit Palmen bestandenes Grundstück am Meer. Er schaltete den Motor ab und half Emma aus dem Wagen, bevor er sie zum Eingang des kleinen Hauses führte, das direkt am Strand lag.

„Gehört das dir?“, fragte sie beeindruckt.

„Ich muss dich enttäuschen – nur gemietet.“

„Das ist wunderschön“, gestand sie, als sie eingetreten waren.

„Ich habe dich nicht für eine Führung hergebracht.“ Er drängte sie in den Wohnbereich, von dem aus man durch die hohen Fenster einen ungehinderten Blick auf den Ozean hatte. Er zog seine Smokingjacke aus und hängte sie über einen Stuhl. „Setz dich hin. Ich kümmere mich um Tee und Toast.“

Sie hatte einfach keine Energie mehr, Chase zu widersprechen. Stattdessen ließ sie sich auf der bequemen Couch nieder und wurde augenblicklich vom Schlaf übermannt. Erst als sie ein Klappern vernahm, wachte sie wieder auf und sah sich verwirrt um. „Bin ich etwa eingeschlafen?“

„Nur für eine Minute.“ Chase stellte ein Glas dampfenden grünen Tee und einen Teller mit mehreren Buttertoasts auf den Beistelltisch. „Der Tee ist eine Mischung aus Kamille mit Pfefferminze. Auf der Packung steht, dass er entspannend wirken soll.“

„Vielen Dank. Genau das, was ich brauche.“ Bevor sie allerdings auch nur einen Schluck davon probieren konnte, klingelte ihr BlackBerry. Sie zog es aus der Tasche und überprüfte die Nummer. „Entschuldigung, ich sollte drangehen. Es ist mein Dad.“

Das Gespräch verlief, wie auch nicht anders von ihrem Vater zu erwarten, kurz. „Wo bist du?“, fragte er, nachdem Emma den Anruf angenommen hatte.

„Bei Chase Larson. Er hat mir angeboten, mich nach Hause zu fahren.“

„Ich dachte, du würdest mit Kathleen fahren.“

„Ich habe es mir anders überlegt.“

„Fein. Habe sie gesehen, aber von dir keine Spur, deswegen habe ich mich gefragt, wo du bist.“

Sie lächelte. „Danke, Dad, dass du dir Gedanken um mich machst.“

„Natürlich tue ich das“, erwiderte er in schroffem Ton. „Du bist immer noch mein kleines Mädchen, auch wenn du mittlerweile erwachsen bist. Gute Nacht, meine Kleine.“

„Gute Nacht, Dad.“ Sie unterbrach die Verbindung und legte das Telefon auf den Tisch neben sich. Dabei fiel ihr auf, das Chase sie amüsiert betrachtete. „Was ist?“, fragte sie stirnrunzelnd.

Er griff in seine Tasche, um ebenfalls ein BlackBerry hervorzuholen. Es sah genauso aus wie Emmas. „Ich habe sogar denselben Klingelton. Gleich und Gleich gesellt sich offenbar gern.“

„Dann sollten wir aufpassen, dass wir sie nicht vertauschen.“ Sie atmete das wohltuende Aroma des Tees ein, bevor sie zu Chase sah. „Warum tust du das? Weshalb bekomme ich Tee und Toast von dir? Wieso fährst du mich nicht einfach nach Hause?“

„Du weißt, warum.“

„Das hat keinen Zweck, Chase. Du bist vielleicht lange genug hier, um Rafe beim Abschluss des Geschäfts zu helfen, aber das ist es dann auch gewesen. Wir leben zu weit auseinander und sind viel zu verschieden.“

„Woher willst du das wissen?“

Seufzend griff sie nach einer Scheibe Toast, um daran herumzuknabbern. „Weil ich schon früher Männern wie dir begegnet bin.“

„Männern wie mir“, wiederholte er mit einem eigenartigen Unterton in der Stimme. „Hättest du die Freundlichkeit, mir zu erklären, was du damit meinst?“

Sie nahm sich Zeit, unter Chases forderndem Blick den Toast aufzuessen und genussvoll einen Schluck Tee zu trinken, bevor sie antwortete. „Ehrgeizige Männer, die den Beruf über alles andere stellen. Männer, die sich alles nehmen, was sie wollen.“

Ihre Antwort schien ihn eher zu amüsieren und sein Verlangen nach ihr nur noch zu steigern. „Was ist denn falsch daran, sich das zu nehmen, was man will, vor allem dann, wenn es dir genauso viel Spaß macht wie mir?“

„Nichts. Es ist toll gewesen für eine Nacht. Doch nicht für mehr. Ich lebe wieder mein Leben, und du deins.“

„Und trotzdem sind wir jetzt hier zusammen.“ Er setzte sich zu ihr aufs Sofa – für ihren Geschmack viel zu dicht. „Warum erleben wir nicht noch ein oder zwei weitere unglaubliche Nächte, solange ich hier bin?“

Wie sollte sie darauf antworten? Dass sie diesen Mann begehrte, der Rafe Cameron so eng verbunden war? Wie sollte sie ihm weismachen, dass sie keine weitere unglaubliche Nacht wünschte – es war ihr schon schwer genug gefallen, den Abschied nach ihrer ersten Nacht zu verwinden. Nach einer weiteren würde sie möglicherweise die Kontrolle verlieren – und sie konnte es sich nicht leisten, sich in einen Mann wie Chase zu verlieben. Denn sie hatte miterlebt, was es bedeutete, mit so einem Mann zu leben – erinnerte sich daran, was ihr Vater ihrer Mutter angetan hatte. Diese Lektion hatte Emma sich zu Herzen genommen. Im November hatten sie und Chase ein Strohfeuer entfacht. Würden sie jetzt weitermachen, könnte ihre Affäre zu einem Steppenbrand werden, der alles vernichtete, anstatt Wärme und Behaglichkeit zu spenden.

Sie lächelte entwaffnend. „Vielen Dank, dass du dich um mich gekümmert hast, aber jetzt muss ich nach Hause. Um diese Zeit liege ich sonst schon längst im Bett.“

„Kein Problem.“

Bevor sie auch nur erahnen konnte, was er vorhatte, war Chase aufgestanden und hatte sie auf den Arm gehoben. „Was tust du denn da?“, fragte sie erschreckt.

„Da du um diese Zeit normalerweise bereits schläfst, bringe ich dich jetzt ins Bett.“ Er trug sie durch den Flur in ein großes Schlafzimmer, von dem aus man einen ebenso spektakulären Blick wie vom Wohnzimmer hatte. Dann ließ er sie sanft auf die weiche Bettdecke fallen. „Und leiste dir dabei Gesellschaft.“

2. KAPITEL

Wie sie da auf der Seidendecke lag, sah Emma aus wie eine Göttin – allerdings wie eine sehr wütende Göttin. Ihr Haarknoten hatte sich gelöst, und ihr Gesicht wurde von den hellblonden Locken umrahmt. Auf ihren Wangen breitete sich Zornesröte aus. „Hast du den Verstand verloren?“

Mit einem Ruck zog Chase sich die Fliege vom Hals. „Nicht dass ich wüsste.“ Danach legte er achtlos Manschettenknöpfe und Mobiltelefon auf den Nachttisch. „Seit dem Augenblick, in dem du mich verlassen hast, wollte ich wieder mit dir schlafen.“

Sie setzte sich auf und sah ihn mit diesen unbeschreiblich schönen blauen Augen an, die Chase nicht mehr hatte vergessen können. Aber damit hatte es jetzt ein Ende – er würde sich heute Nacht nehmen, was er brauchte, um diese Frau endlich vergessen und sein bisheriges Leben wieder aufnehmen zu können.

„Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich einfach so mit dir ins Bett steige?“

„Das hast du aber letztes Mal getan, und dieses Mal wird es nicht anders sein.“ Er entledigte sich seines Kummerbundes, Hemdes und schließlich seiner Schuhe, bevor er begann, seine Hose zu öffnen. „Du fühlst es doch auch, Emma. Leugnen ist zwecklos. Es ist so mächtig, dass es einem den Atem raubt. Ich kann nur an dich denken, wie du unter mir liegst und ich in dir bin.“

Ihr Atem ging schneller, und ihre Augen verdunkelten sich vor Leidenschaft. „Ich bin kein verdammter One-Night-Stand. Morgen gehst du ja sowieso wieder deiner Wege.“

„Das letzte Mal bist du aber diejenige gewesen, die gegangen ist“, entgegnete er amüsiert. „Und da ich weiß, dass du ohne Wagen hier bist, kann ich wohl mit deiner Gegenwart rechnen, wenn ich morgen früh aufwache.“

„Vergiss es! Du bist einer von Rafes Leuten.“ Sie schob sich auf den Rand des Bettes zu. „Ich kann es mir nicht leisten, zusammen mit dem Feind gesehen zu werden.“

Das ließ ihn innehalten. Sicher, das war nicht unbedingt Liebe zwischen Rafe und Ronald Worth. Aber warum hielt Emma Rafe für den Feind? „Bist du etwa gegen den Verkauf?“, fragte er sanft. „Versuchst du, ihn zu verhindern?“

Energisch hob sie das Kinn. „Ich glaube nicht, dass dein Bruder der geeignete Mann ist, um Worth Industries zu leiten. Zu viele Fragen bezüglich seiner zukünftigen Pläne für das Unternehmen sind immer noch unbeantwortet. Da es allerdings nicht in meiner Macht steht, kann ich nichts dagegen tun.“

„Genau so ist es“, bekräftigte er.

„Aber ich will trotzdem nicht mit dir schlafen – jetzt, wo ich weiß, dass du Rafes Bruder bist.“

„Aber das eine hat doch nichts mit dem anderen zu tun.“

„Woher soll ich wissen, dass du mich nicht nur verführst, damit ich keinen Ärger mache?“, fragte sie misstrauisch.

„Ich weiß, dass du Rafe nicht daran hindern kannst, Worth Industries zu kaufen. Das Geschäft ist so gut wie abgeschlossen. Außerdem hast du damals in New York nichts von meiner Verbindung zu Rafe gewusst – ebenso wenig wie ich von deiner zu Worth Industries.“ Er machte eine Pause, um den Reißverschluss seiner Hose zu öffnen. „Und du weißt, dass wir heute Nacht dasselbe erleben werden wie vor zwei Monaten.“

„Nur, dass es nicht dasselbe ist.“

„Nein, ist es nicht“, gab er zu, während er sich seiner restlichen Kleidung entledigte und sich zu ihr aufs Bett legte. „Dieses Mal wird es noch besser.“

Sie starrte ihn an, und er stellte überrascht fest, dass sie ihm nicht auszuweichen versuchte. Einen Moment lang saß sie auf der Bettkante, im nächsten Augenblick warf sie sich ihm in die Arme. Das Seidenkleid betonte jede sinnliche Kurve ihres verführerischen Körpers.

„Das ist ein Fehler“, stieß sie atemlos hervor.

„Wie kann es ein Fehler sein, wenn es sich so großartig anfühlt?“, flüsterte er erregt und bedeckte ihren Hals mit leidenschaftlichen Küssen. Zärtlich umfasste er anschließend ihren Kopf, um sie zu küssen. Leise aufstöhnend, gab sie sich diesem Kuss hin. Sie schmeckte einfach wunderbar, und er fragte sich, wie er bloß die vergangenen zwei Monate ohne sie hatte überleben können. Und bald – sehr bald – würde er wieder in ihr sein. Bevor er Vista del Mar verließ, würde er seinen unersättlichen Appetit nach dieser Frau gestillt haben. Er richtete sich auf. „Du bist overdressed, meine Liebe“, meinte er lächelnd.

„Ach, das würde ich gar nicht sagen“, erwiderte sie lächelnd. „Du sollst nackt sein, wenn du in meinen Diensten stehst.“

„Und was willst du mit mir anstellen?“

„Das hier …“

Sie strich mit den Händen von der Brust über den Bauch und noch ein Stück tiefer, bevor sie ihn unglaublich sanft umfasste und zärtlich streichelte. Beinahe hätte Chase die Beherrschung verloren, doch als er versuchte, sich ihr zu entziehen, schüttelte sie in gespielter Verärgerung den Kopf. „Na, na, du stehst in meinen Diensten, schon vergessen?“

„Macht es Sinn, dich um Gnade anzuflehen?“

„Überhaupt keinen.“ Sie lächelte sinnlich. „Da du zu den Typen gehörst, die immer das Sagen haben müssen, spielen wir es dieses Mal nach meinen Regeln – oder wir spielen überhaupt nicht.“

„Ich weiß nicht, ob mir das gefällt“, beschwerte er sich.

Gerade als er meinte, sich nicht einen Augenblick länger kontrollieren zu können, ließ sie die Hände nach oben gleiten und umschlang seinen Nacken. „Aber du hältst dich daran, oder?“

Er warf ihr einen warnenden Blick zu. „Jetzt zumindest.“

„Ich habe mir schon gedacht, dass es gefährlich ist, dir in die Quere zu kommen“, sagte sie.“

„So was nennt sich Selbsterhaltung – ich an deiner Stelle würde auf diese Eingebung hören.“

„Du würdest mir nicht wehtun“, entgegnete sie lachend.

„Woher willst du das wissen? Wir sind nur ein paar Stunden zusammen gewesen.“

Ihr Lachen verstummte, und sie bedachte ihn mit einem durchdringenden Blick, der Chase an Ronald Worth erinnerte, denn er nahm darin dieselbe Entschlossenheit wahr. „So ein Mann bist du also? Jemand, dem es gefällt, anderen Schmerz zuzufügen?“

„Nein, überhaupt nicht. Ich hoffe aus ganzem Herzen, dir nicht wehzutun. Natürlich hängt es davon ab, wohin uns das hier führt und für welchen Weg wir uns entscheiden.“

„Ich möchte mir keine Gedanken darüber machen, was als Nächstes passiert. Wenn wir das hier wirklich tun, dann erst einmal für diese Nacht.“

„Dann lass uns diese Nacht zu einer besonderen machen“, erwiderte er atemlos vor Erregung.

„Liebe mich“, flüsterte sie.

„Mit dem größten Vergnügen.“

Sie zog ihn zu einem weiteren Kuss an sich, in dem er das gleiche angestaute Verlangen spürte, das in ihm loderte. „Zieh mich aus“, verlangte sie mit heiserer Stimme.

„Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest.“

Er öffnete den Reißverschluss ihres Kleides, und die sanften Rundungen ihrer Brüste waren entblößt. Als er sie berührte, spürte er, dass ihre Brustspitzen sofort reagierten. Emma hatte einen schlanken, wunderschönen Körper, und obwohl sie so zartgliedrig wirkte, strahlte sie gleichzeitig wilde Entschlossenheit aus.

Er zog ihr das Kleid über die Hüften. Und nachdem sie seine Hände berührt hatte, streifte sie es sich ganz ab, sodass es zu Boden fiel. Jetzt trug sie nur noch Strapse, Strümpfe und einen Seidentanga.

„Du bist wunderschön, Emma.“

Diese Worte schienen nicht angemessen genug zu sein. Er dachte daran, dass Rafe Emma als oberflächlich bezeichnet hatte. Er hingegen konnte nichts Oberflächliches an ihr finden. Zugegebenermaßen kannte Chase sie auch nicht besonders gut. Bis jetzt jedenfalls. Doch er hielt sie für überaus intelligent und lebensfroh.

Mit wenigen Handgriffen löste er die Strumpfhalter und warf sie beiseite. Mit den Strümpfen nahm er sich ein wenig mehr Zeit und streichelte die zarte Haut ihrer Oberschenkel. Emma erschauerte lustvoll und stöhnte auf, als er ihre empfindsamste Stelle berührte. Sie schrie leise auf, als er sie durch den Seidenslip hindurch streichelte. Diese eine Berührung schien sie beinahe auf den Gipfel der Lust zu befördern – sie war wohl genauso kurz davor wie er. Im letzten Moment griff er nach einem Kondom vom Nachtschrank, bevor er ihr den Slip von den Hüften streifte und sich zwischen ihre Beine legte. Ihre Lippen waren unter seinen sinnlichen Küssen verführerisch angeschwollen, und ihre zarte Gesichtshaut war vor Erregung gerötet. In ihrem Blick erkannte Chase wildes Verlangen, das er auch in sich brennen spürte. „Warum hast du mich verlassen, wenn wir das hier haben? Wir brauchen uns doch nur zu berühren, um in Flammen zu stehen“, sagte er. „Warum hast du mir nicht gesagt, wer du bist und wo ich dich finde?“

„Ich hatte Angst.“

„Vor mir?“

„Nein, nicht vor dir. Niemals. Hiervor hatte ich Angst – jemanden wie dich so sehr zu mögen.“

„Angst davor, wie du dich fühlst, wenn wir uns lieben?“

Mit einer kraftvollen Bewegung war er in ihr, und ihre Körper waren miteinander verbunden.

Emma stöhnte auf. „Ja, bitte, hör nicht auf. Ich habe so lange darauf gewartet.“

„Sieh mich an. Ich will, dass du weißt, mit wem du schläfst.“

„Ich weiß, mit wem ich schlafe, Chase“, entgegnete sie verärgert. „Wie hätte ich je vergessen können, was zwischen uns gewesen ist?“

Für einen kurzen Moment verblüffte ihn ihr Bekenntnis, doch er fasste sich schnell wieder. „Dieses Mal wird es noch besser“, versprach er ihr rau.

Denn dieses Mal wusste er, was sie verrückt vor Lust machte. Er wusste, was zu tun war, um ihre Leidenschaft zu entfachen. Und er würde alles tun, was in seiner Macht stand, damit sie sich gut fühlte.

Auch wenn es ihn danach verlangte, schnell den Höhepunkt zu erreichen, würde er es nicht tun. Er wollte sich nicht um die Erfahrung bringen, sich mit Emma gemeinsam dem Gipfel der Lust zu nähern. Er wollte ihre atemlosen Seufzer mit seinen Küssen auffangen und jeden Moment mit ihr auskosten. Er wollte den süßen Geschmack des Verlangens, den ihre Haut verströmte, in vollen Zügen genießen. Ihre Lippen und Brüste küssend, fiel er mit ihr in den gleichen Rhythmus, während er ihre Hände ergriff und seine Finger mit ihren verschränkte. Ihre Beine waren um seine Hüften geschlungen, so als wolle sie ihn nie wieder loslassen. Immer schneller wurden ihre Bewegungen.

Aus Seufzern wurden gemurmelte Befehle, und Chase verlor sich im Rausch der Sinne. Wie war das möglich? Das war ihm niemals bei Frauen passiert. Sogar in den intimsten Situationen hatte er stets ein gehöriges Maß an Abstand gewahrt. Er erlaubte niemandem, auch nur einen kurzen Blick auf seine Gefühlswelt zu erhaschen – damit man nichts gegen ihn verwenden konnte. Aber mit Emma … Der Rhythmus wurde so verlangend und drängend, sie ließen sich vom Rausch der Begierde mitreißen. Chase ergab sich und erklomm gemeinsam mit Emma den Gipfel der Lust, als sie sich voller heißer Begierde an ihn presste. Er konnte sich nicht länger zurückhalten und wurde von einer wahrhaft explosionsartigen Welle der Leidenschaft mitgerissen.

Eine Weile lagen sie schweigend da, bis ihr Atem wieder ruhiger wurde. „Wie machst du das bloß?“, fragte Emma schließlich. „Mit dir erlebe ich den Sex so intensiv wie mit keinem anderen vor dir.“

Er spürte ihren Herzschlag. „Es ist eine Gabe.“

„Eine, die du ziemlich gut beherrschst.“ Sie warf ihm einen fragenden Blick zu. „Vermutlich, weil du viel übst?“

„Ein wenig. Aber mit dir …“ Er unterbrach sich, bevor er zu viel von sich preisgab.

„Was ist mit mir?“

„Ist es anders.“ Mehr würde sie nicht aus ihm herausbekommen.

Sie schmiegte sich nun an ihn. „Und wie anders?“

Wie war er bloß da hineingeraten? Er beschloss, auf Männerart der Zwickmühle zu begegnen. „Müssen wir den schönen Augenblick ruinieren, indem wir alles haarklein bereden?“

Sie lachte. „Oh, bitte. Mit der abgedroschenen Phrase kommst du mir nicht davon. Schließlich hast du angefangen.“

„Es reicht doch, wenn du weißt, dass es eben anders ist“, beharrte er.

„Das habe ich doch nur hören wollen.“ Sie entspannte sich. „Und falls du dich besser fühlst: Ich verstehe auch nicht, was uns beide heute wieder zusammengeführt hat.“

„Hast du das damals in New York auch schon gespürt?“, wollte er wissen, nachdem er eins und eins zusammengezählt hatte. „Dass das, was wir empfinden, anders ist als mit anderen?“

Zögernd nickte sie. „Ja.“

Jetzt begriff er. „Und deswegen hattest du Angst?“

„Alles, was ich nicht kontrollieren kann, macht mir Angst“, gestand sie ihm.

„Und was machen wir jetzt?“

Sie überlegte. „Gleich nach Tagesanbruch schreiend weglaufen, um nicht an die Zukunft denken zu müssen?“

Er lächelte. Ihren Sinn für Humor hatte er schon im November lieben gelernt. „Klingt besser, als irgendwelche übereilten Entscheidungen kurz nach dem Sex zu treffen.“

„Okay.“

„Morgen früh bist du doch aber noch da, oder?“, vergewisserte er sich und zog sie näher an sich.

„Wie du bereits bemerkt hast, habe ich kein Auto hier. Außerdem weißt du, wo ich wohne.“ Sie tat so, als fröstelte sie. „Nicht auszumalen, wenn du an die Haustür meines Vaters klopfen und fragen würdest, warum ich nicht mehr mit dir im Bett bin.“

„Na gut. Morgen sprechen wir wie zwei vernünftige Menschen beim Frühstück darüber.“

Als Chase in einem leeren Bett aufwachte, richtete er sich abrupt auf. Dieses Miststück! Er berührte das Laken neben sich – in der Erwartung, dass es bereits abgekühlt war. Erleichtert stellte er noch Wärme fest, was bedeutete, dass Emma noch nicht weit gekommen war. Hastig stieg er aus dem Bett und wäre fast über Emmas Kleid gestolpert. Es lag immer noch dort auf dem Fußboden, wo sie es gestern Nacht hingeworfen hatten.

Auch die Autoschlüssel lagen immer noch neben dem BlackBerry auf dem Nachtschrank. Okay. Es war unwahrscheinlich, dass Emma unbekleidet nach Hause getrampt war. Sie musste also irgendwo hier sein. Als er bemerkte, dass die Badezimmertür verschlossen war, lächelte er.

Nackt ging er zur Tür, um sacht anzuklopfen. „Soll ich uns einen Kaffee machen?“, fragte er.

„Gern.“ Sie klang irgendwie leicht gequält.

„Ist alles in Ordnung?“

„Alles okay.“

Doch das überzeugte ihn nicht. Ihm fiel es auch nicht schwer, sich vorzustellen, was Emma hatte. Den Blues am Morgen danach, was sonst. Tja, damit musste sie allein zurechtkommen, denn er für seinen Teil bereute nicht im Geringsten, was geschehen war. Und er war fest entschlossen, es so bald wie möglich zu wiederholen – beispielsweise gleich nach dem Frühstück.

Er zog seine Jeans an, bevor er in die Küche ging, und steckte die Autoschlüssel ein, nur um sicherzugehen. Rasch bereitete er den Kaffee zu und durchforstete den Kühlschrank nach etwas Essbarem. Bier wäre vermutlich nicht Emmas erste Wahl zum Frühstück. Hinter den Flaschen fand Chase einen Karton mit Eiern. Das passte schon eher. Außerdem Brot und Butter, ein paar Essensreste vom Vortag und einen halben Liter Milch. Es hätte schlimmer kommen können, wie er fand. Während er die Rühreier zubereitete, genoss er eine erste Tasse Kaffee. Die Eier gerieten ein wenig gummiähnlich und die Toastscheiben ein bisschen zu dunkel. Trotzdem drapierte er alles auf zwei Teller und stellte sie auf den Frühstückstisch, bevor er ihre beiden Kaffeetassen auffüllte. Er war ungemein stolz auf das opulente Frühstück, und zu seinem Glück fehlte ihm jetzt nur noch angenehme Gesellschaft.

„Emma?“ Als er das Schlafzimmer betrat, stellte er verwundert fest, dass Emma immer noch im Bad war. Allerdings war weder Wasserrauschen noch sonst ein typisches Geräusch zu hören, das auf eine Frau im Badezimmer schließen ließ. Stattdessen nervtötende Stille. Chase dachte fieberhaft nach. Ihr war es gestern Abend schon nicht gut gegangen – ob ihr wieder schlecht war?

„Liebling? Ist alles in Ordnung?“

„Geh weg“, erwiderte sie stöhnend.

„Ganz bestimmt nicht. Hör zu, ich komme jetzt rein.“

„Nein …“

„Zu spät. Da bin ich.“

Besorgt musste er sehen, dass Emma zusammengekrümmt auf dem Fliesenboden lag und die Knie an die Brust gezogen hatte. Sie trug sein Galahemd von vergangenem Abend, und Chase hätte es sicher witzig gefunden, wenn sie dabei nicht so elend ausgesehen hätte. Er kniete sich neben sie und strich ihr das feuchte Haar aus der Stirn. Sie war kreidebleich und gleichzeitig leicht grünlich im Gesicht – keine sehr gesunde Kombination, wie er fand. „Tut mir leid“, entschuldigte er sich. „Das habe ich nicht gewusst. Kann ich dir irgendwie helfen?“

„Indem du einfach weggehst?“

Er lächelte. „Das ist keine Option. Was sonst?“

„Indem du meinen Kopf hältst, wenn mir wieder schlecht wird?“

„Hast du eine Magen-Darm-Grippe?“, fragte er erschrocken. „Eine Lebensmittelvergiftung?“

„Das wäre schön“, erwiderte sie gedämpft.

Das ergab keinen Sinn. „Warum wäre das denn schön?“, erkundigte er sich misstrauisch.

Sie hob den Kopf, um ihn anzusehen. Ihre Augen wirkten matt. „Denk mal nach, Chase. Du kommst schon noch drauf.“

Eigentlich war er ziemlich stolz auf seine analytischen Fähigkeiten. Doch irgendwie schienen diese ihn heute Morgen im Stich zu lassen. Verwirrt schüttelte er den Kopf. „Keine Ahnung. Hilfst du mir auf die Sprünge?“

Sie seufzte. „Nimm eine Frau. Füge einen Löffel voll Übelkeit hinzu – und eine zweite ausgebliebene Periode.“ Sie machte eine zarte Rührbewegung mit dem Finger. „Dann vermisch es mit der erstaunlichen Erkenntnis, dass es früh am Morgen ist – und was haben wir dann?“

Verdammt, nein. „Du bist schwanger?“ Eigentlich wollte er das ruhig fragen. Mit dieser Ruhe hatte er bisher alle schwierigen Momente im Leben gemeistert. Unglücklicherweise war irgendwo zwischen „du bist“ und „schwanger“ seine Stimme ziemlich laut geworden.

Emma zuckte zusammen. „Ich weiß es nicht genau, aber die Zeichen sprechen dafür.“

„Du hast gesagt …“ Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Was hatte sie doch gesagt? „Die zweite ausbleibende Periode. Wir haben Januar – das minus zwei Monate macht November. Wir haben uns im November kennengelernt.“

„Weißt du was, Larson?“, fragte sie ironisch. „Du bist ein echtes Genie, wenn es um Zahlen und Statistiken geht.“

„Spar dir den Sarkasmus, Worth. Ich bin schließlich nicht diejenige, die hier wie ein Häufchen Elend auf dem Boden liegt. Wenn ich mich recht entsinne, haben wir doch damals verhütet.“ Da Chase nie gewollt hatte, dass sich seine Geschichte wiederholte, hatte er darauf stets großen Wert gelegt.

„Tja, das habe ich auch zuerst gedacht“, erwiderte sie, und entsetzt stellte Chase fest, dass sie den Tränen nahe war. „Die Dusche hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht.“

„Die Dusche“, wiederholte er stumpfsinnig.

„Genau. Die Dusche. Sie ist abgefallen, erinnerst du dich noch?“

O ja, das tat er. „Ist das etwa mein Kind?“, fragte Chase bestürzt.

„Nein“, entgegnete sie gekränkt. „Das ist mein Kind. Du bist lediglich an der Zeugung beteiligt gewesen.“

Er verkniff sich eine scharfe Bemerkung. „Bist du beim Arzt gewesen? Hast du einen Schwangerschaftstest gemacht?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe mich ein paar Wochen lang damit vertröstet, dass es einfach später kommt.“

Zwei Monate später?“

„Das kommt schon mal vor“, verteidigte sie sich. „Das habe ich zumindest gehört. Aber jetzt …“

„Jetzt bist du dir nicht mehr so sicher?“

Sie zog die Knie wieder an sich. „Nein.“

Er versuchte, die Sache logisch anzugehen. Ein Schritt nach dem anderen. „Kann ich dir was gegen deine Übelkeit bringen?“

„Tee und Cracker wären toll.“

„Tee habe ich, Cracker nicht. Aber weil ich sowieso zur Apotheke fahre, um einen Schwangerschaftstest zu holen, kann ich dafür auch noch sorgen. Möchtest du sie gewürzt oder ungewürzt?“

Sie schauderte. „Ungewürzt.“

„Emma?“ Er wartete, bis sie den Kopf hob und ihn ansah. „Wir finden einen Weg. Als Erstes stellen wir mal fest, ob du tatsächlich schwanger bist.“

Trotz der Blässe wirkte sie ein bisschen amüsiert. „Du hast schon eine Liste gemacht?“

Er beugte sich vor, um sie auf die Stirn zu küssen. „Liebling, es gibt immer eine Liste.“

Chase fand sehr bald heraus, dass die Schwierigkeit nicht darin bestand, einen Schwangerschaftstest zu finden, sondern sich für einen von ihnen zu entscheiden. Letztendlich verkürzte er den Entscheidungsprozess, indem er von jeder Sorte einen wählte und damit zur Kasse ging. Die Verkäuferin warf ihm einen seltsamen Blick zu. „So verzweifelt oder so erwartungsvoll?“

Wortlos reichte Chase ihr die Kreditkarte. „Ziehen Sie es einfach nur ab“, wies er die Frau an.

„Ich meine ja nur“, gab sie beleidigt zurück.

Glücklicherweise verlief der darauf folgende Einkauf im Supermarkt ohne nennenswerte Zwischenfälle. Lediglich auf der Heimfahrt wurde Chase von einem freundlichen Polizisten auf seine überhöhte Geschwindigkeit aufmerksam gemacht. Zu Hause angekommen, fand er Emma noch im Bad vor, und er gesellte sich zu ihr auf den Boden. Fassungslos starrte sie auf die vielen Schachteln. „Ich weiß deine Begeisterung ja zu schätzen, aber ich glaube nicht, dass ich die alle auf einmal machen kann.“

„Das war auch gar nicht meine Absicht“, sagte Chase. „Ich wollte nur, dass du dir einen aussuchst.“

„Vermutlich sind sie alle gleich. Aber vielleicht lassen sich einige besser ablesen als andere.“

„Genau. Fang mit diesem hier an.“

„Anfangen?“, hakte sie skeptisch nach. Als Chase nicht antwortete, wies sie auf die Tür. „Wenn es dir nichts ausmacht, wäre ich dabei gern allein.“

Zögernd stand er auf. „Sobald du etwas weißt, gibst du mir Bescheid, okay?“

„Natürlich.“

„Und, Emma …“

Sie sah ihn fragend an.

„Wenn das Baby von mir ist, werde ich das Richtige tun. Für dich und das Kind.“

Und mit diesen Worten ging er.

3. KAPITEL

Nachdem Chase das Bad verlassen hatte, verharrte Emma einige Minuten reglos, bevor sie sich dazu aufraffen konnte, die Schachteln auf dem Waschtisch aufzureihen. Anschließend sank sie wieder auf den Fliesenboden und betrachtete missmutig die kleinen Pappkartons.

Schwanger. Emma legte die Hand auf ihren Bauch. War sie es wirklich? Vermutlich ja. Seit Wochen versuchte sie sich schon mit fadenscheinigen Ausreden vom Gegenteil zu überzeugen. Einerseits hatte sie keine Ahnung gehabt, wie sie Chase ausfindig machen sollte. Andererseits wollte sie der Konfrontation mit ihrem Vater aus dem Weg gehen, wenn sie ihm von ihrem Zustand berichtete.

Energisch öffnete Emma die Packung des ersten Schwangerschaftstests. Die Bedienungsanleitung wies sie darauf hin, dass man bereits nach einer Minute mit einem Ergebnis rechnen könne. Denjenigen, die mit der Angabe „eine Minute“ nichts anzufangen wussten, wurde außerdem versprochen, dass sie innerhalb von sechzig Sekunden Klarheit erhielten. Und nach einer Minute hatte Emma tatsächlich ihre Antwort und stellte sich eine Weile unter die Dusche, um wieder zu Atem zu kommen. Innerhalb von sechzig Sekunden hatte sich ihr Leben grundlegend geändert – sie trug ein neues Leben in sich. Sie atmete tief ein. Okay, das war nicht das Ende der Welt, noch nicht einmal annähernd. Es belegte lediglich, was sie im Grunde ihres Herzens bereits geahnt hatte. Sie würde schon damit klarkommen. Ihr war es schließlich schon öfter in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren gelungen, mit schlimmeren Dingen zurechtzukommen – dem Tod ihrer Mutter beispielsweise. Außerdem war ein Baby kein Anlass zur Furcht, sondern ein Grund zur Freude.

Plötzlich kam ihr der Gedanke, dass Tests aus dem Drogeriemarkt nicht immer hundertprozentig sicher waren oder sie sich in der Aufregung vertan hatte. Sie drehte das Wasser ab, griff nach einem Handtuch und wickelte es um den Körper. Beim nächsten Test las sie die Anleitung sicherheitshalber zweimal durch.

Dreißig Minuten später stand sie vor dem Waschbecken vor der Reihe von benutzten Tests. Alle zeigten es auf eine andere Weise an, aber das Ergebnis war stets dasselbe.

Zwei pinkfarbene Linien. Schwanger. Ein Pluszeichen. Schwanger. Ein kleines Sichtfenster, das förmlich das Wort schwanger! in die Welt hinausschrie. Zwei blaue Linien. Sehr schwanger.

Emma wich vom Waschbecken zurück, bis sie die Wand neben der Dusche erreichte und an ihr entlang zu Boden sank. Seltsamerweise empfand sie keine Panik. Verstohlen legte sie eine Hand auf den Bauch. Ihr Kind wuchs in ihr heran. Ihr Kind – und das von Chase. Allmählich wurde ihr bewusst, warum der Gedanke sie nicht erschreckte. Sie bekam die Chance, eine Familie zu gründen – eine, die nicht von Tod und Unglück auseinandergerissen wurde. Als sie zu weinen begann, stellte sie erstaunt fest, dass es sich um Freudentränen handelte.

Ein Wunder war geschehen.

Chase starrte verärgert auf die verschlossene Badezimmertür. Wie lange konnte so ein banaler Schwangerschaftstest schon dauern? Wenn er sich nicht irrte, hatte man auf den Verpackungen damit geworben, innerhalb einer Minute Klarheit erlangen zu können. Unfähig, noch eine Sekunde länger zu warten, klopfte er an die Tür. „Emma? Brauchst du Hilfe?“ Er schloss die Augen. Hilfe konnte sie im Moment bestimmt nicht gebrauchen. Also versuchte er es anders. „Ich habe Tee und Cracker für dich.“

Auch wenn der Tee in der Zwischenzeit vermutlich zum Eistee und die Cracker steinhart geworden waren. „Emma, ich komme jetzt rein.“

Sie lag zusammengerollt auf dem Boden. Doch anstelle seines Hemdes hatte sie sich nun ein Handtuch umgeschlungen. Er wusste nicht, ob er das für ein gutes oder ein schlechtes Zeichen halten sollte. Als er eintrat, sah Emma auf und deutete mit einer müden Handbewegung auf das Waschbecken.

„Schau mal“, sagte sie.

Überrascht stellte er fest, dass sie alle zwölf Tests benutzt hatte. „Kein Wunder, dass das so lange gedauert hat. Wie viel Wasser hast du dafür trinken müssen?“

„So viel wie ein Kamel, glaube ich.“

„Und was ist dabei herausgekommen?“ Er unterzog die aufgereihten Tests einer Musterung und versteifte sich. „Ein paar von denen zeigen schwanger an.“

„Alle von denen zeigen schwanger an.“

„Alle?“ Bestürzt drehte er sich zu ihr um. Bisher war es ihm gelungen, gefühlsmäßig auf Abstand zu gehen – er hatte ja nicht gewusst, ob sie wirklich schwanger war. Doch jetzt war der Stressfaktor enorm in die Höhe geschnellt. „Alle?“, wiederholte er.

„Ja. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich mir gern etwas anderes anziehen, bevor wir weiterreden“, erklärte Emma und stand auf.

Mit diesem Problem wurde sein Verstand fertig. „Du kannst das Kleid von letzter Nacht anziehen – allerdings ist es ziemlich zerknittert. Oder ich leihe dir ein T-Shirt und eine Laufhose von mir.“

„Danke, das wäre sehr nett.“

Als ihm auffiel, dass er ihr den Weg versperrte, machte er einen Schritt zurück ins Schlafzimmer, wohin Emma ihm folgte. Immer noch wie ferngesteuert – lieber Himmel, ein Baby –, öffnete er eine Kommode, um die Sachen herauszusuchen und aufs Bett zu legen. Prüfend betrachtete er Emma. Sie war zwar immer noch etwas blass, wirkte allerdings nicht so bestürzt, wie er sich gerade fühlte. Ihre Gelassenheit war ziemlich beeindruckend. „Wir müssen reden“, stellte er klar.

„Um ehrlich zu sein, würde ich lieber nach Hause fahren. Wir können uns ja in ein paar Tagen treffen und die Sache besprechen. Bis dahin können wir die Neuigkeiten in Ruhe verdauen.“

Die Neuigkeiten verdauen? Offensichtlicher ging es doch nicht mehr: Emma war schwanger und hatte ihn zum Daddy gemacht. Allerdings war es bestimmt sinnlos, mit ihr in diesem Zustand zu streiten. Da sie aber wohl oder übel mit ihm fahren musste, wenn sie nach Hause wollte, konnte er ebenso gut auf der Fahrt mit ihr reden. Und er würde sie auf keinen Fall gehen lassen, ohne dass sie vorher etwas gegessen hatte – er musste schließlich auch an ihr Kind denken. „Zieh dich an. Ich sorge für frischen Tee und neue Cracker.“

„Danke. Ich habe tatsächlich ein bisschen Appetit.“

Etwas später leistete sie ihm in der Küche Gesellschaft, und unwillkürlich musste er lächeln, weil seine Shorts ihr viel zu groß waren. Doch auch ganz andere Gefühle erwachten in ihm angesichts des Anblicks ihrer festen Brüste, die sich deutlich unter dem T-Shirt abzeichneten. Waren sie durch die Schwangerschaft tatsächlich größer geworden, oder bildete er sich das nur ein?

„Ich habe noch einen Dip für die Cracker. Wenn du magst, kann ich auch Rühreier machen.“

Lächelnd sah sie ihn an. „Hey, Dip ist toll. Hast du Obst?“

Wie gut, dass er vorhin im Supermarkt daran gedacht hatte, ein paar Grundnahrungsmittel einzukaufen. „Im Kühlschrank.“

Kunstfertig richtete sie eine Orange, eine Kiwi und ein paar schwarze Trauben gemeinsam mit dem Dip und einigen Crackern auf Tellern an und deckte mit wenigen Handgriffen den Tisch.

„Okay, wie machst du das?“, wollte Chase beeindruckt wissen.

„Jahrelange Praxis im Bewirten der Geschäftsfreunde meines Vaters“, entgegnete sie lächelnd. „Meine Mutter …“ Sie stockte. „Meine Mutter war Künstlerin. Ich habe wohl ihren Blick für Raum und Farben geerbt.“

„Kannst du denn malen?“

Emma setzte sich auf einen der Stühle, die um den gläsernen Frühstückstisch standen. „Kein bisschen.“ Sie faltete eine Serviette auseinander und legte sie sich auf den Schoß. Auch während eines ungezwungenen Frühstücks in Joggingsachen bewies sie große Anmut in all ihren Bewegungen. „Ich bin schon froh, wenn ich eine gerade Linie hinbekomme.“

„Aber du würdest dir wünschen, du könntest es?“, schlussfolgerte er und setzte sich ihr gegenüber.

Sie knabberte an einem Keks, den sie mit Bohnenpaste bestrichen hatte. „Richtig, das würde ich gern.“

„Vielleicht erbt ja unser Kind etwas von den Talenten deiner Mutter“, versuchte Chase das Thema auf die Schwangerschaft zu bringen.

„Wollen wir hoffen, dass das alles ist, was es von ihr erbt“, murmelte sie.

„Vermutlich ist es nur fair, wenn du das lieber nicht willst. Mir geht es genauso mit meiner Familie.“ Und nach einer Pause fragte er: „Hast du vor, das Kind zu behalten?“

„Ja, in jedem Fall. Adoption kommt für mich nicht infrage“, entgegnete sie. „Ich könnte nie mein Baby weggeben.“

„Unser Baby. Wenigstens nehme ich das an.“ Er wünschte, er würde einen geschickteren Übergang zu seiner nächsten Frage finden. „Du hast ja angedeutet, dass ich der Vater sei.“

„Daran besteht kein Zweifel.“

„Sicher?“

Sie deutete mit einer Orangenscheibe auf ihn. „In Ordnung, Money Man. Lass es mich so formulieren, dass auch du es verstehst. Eine Frau nach langer sexueller Durststrecke plus ein Mann, der ebendieser Durststrecke ein Ende bereitet, minus ein Kondom, macht – ups. Meiner Rechnung nach ergibt das ein Baby.“

Er hätte gelacht, wenn die Lage nicht so ernst gewesen wäre. „Ich stelle deine Rechenkünste ja auch gar nicht in Zweifel.“

„Du bezweifelst nur, wer von meinen zahlreichen Liebhabern der Vater sein könnte. Hab ich recht?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn.

Vermutlich war es schlauer, das Thema nicht weiter zu vertiefen. „Du hast doch nichts gegen einen Vaterschaftstest?“, erkundigte er sich.

„Natürlich nicht.“

„Dann können wir ja den Arzt konsultieren.“

Emma schob ihren Teller beiseite. „Es gibt kein wir.“

„Natürlich gibt es das, wenn du schwanger bist.“ Er beugte sich vor, um seinen Worten besonderen Nachdruck zu verleihen. „Es ist vielleicht ein guter Zeitpunkt, um dir klarzumachen, dass ich mein Kind nicht im Stich lasse – keine Sekunde in seinem Leben.“

„Das Wichtigste zuerst. Ich – und nur ich allein – gehe zu meinem Frauenarzt, um die Schwangerschaft bestätigen zu lassen. Danach können wir darüber reden, wie wir am besten weitermachen.“ Würdevoll stand sie auf. „Und jetzt würde ich gern nach Hause fahren, wenn es dir nichts ausmacht.“

Ihm machte es etwas aus – mehr, als er in Worte fassen konnte. Doch er wäre nie ein so erfolgreicher Geschäftsmann geworden, wenn er nicht die Kunst der Selbstbeherrschung formvollendet praktizieren würde. Also lehnte er sich entspannt zurück, um Emma zu betrachten. Sie war schön, schlau und faszinierend. Doch sie war auch eine Worth – das bedeutete, dass sie Geld besaß. Unglücklicherweise war es genau diese Tatsache, die gegen Emma als Mutter seiner Kinder sprach. Chase hatte nur schlechte Erfahrungen mit Leuten gemacht, die ihr Geld geerbt und nicht selbst erarbeitet hatten.

Doch etwas an Emma war anders – sie war unwiderstehlich. Außerdem trug sie sein Kind in sich, und ob es ihr gefiel oder nicht, Chase würde von nun an über sie und ihre Schwangerschaft wachen.

„Sehr gern fahre ich dich nach Hause“, erwiderte er, und als sie ihn erleichtert ansah, fügte er hinzu: „Unter einer Bedingung.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Das hier ist keine Geschäftsverhandlung“, bemerkte sie schnippisch.

Oh, wenn sie wüsste. „Das ist auch mein Kind, und ich möchte vom ersten Tag an dabei sein.“ Er lächelte. „Na ja, das bin ich ja im Grunde genommen auch gewesen. Aber ich will mit dir zum Arzt gehen.“

„Auf gar keinen Fall.“

„Emma, es wäre falsch, mich auszuschließen. Ich finde sowieso einen Weg, meinen Willen durchzusetzen. Besser, du kooperierst gleich mit mir.“

„Wenn ich sicher bin, schwanger zu sein, können wir uns zusammen Gedanken machen. Doch bis dahin möchte ich gern allein sein, um mir über alles klar zu werden.“

Er war nicht bereit, ihr diese Zeit zuzugestehen. Er konnte ja nicht wissen, was sie in der Zwischenzeit tat, wo er hier saß und auf den Nägeln herumkaute. Da er nicht antwortete, nahm sie offensichtlich an, dass er einverstanden war. Barfuß ging sie ins Schlafzimmer, um kurz darauf mit ihren Anziehsachen, den Schuhen und dem BlackBerry wiederzukommen. „Mach dir keine Umstände, ich finde allein hinaus.“ Sie war so beeindruckend stolz. „Ich rufe ein Taxi.“

„Okay“, erwiderte er achselzuckend, nachdem er einen Blick auf das Handy und dann auf das Sofa geworfen hatte, auf dem sie gestern Tee getrunken hatte.

Leise schloss sie die Einganstür hinter sich – was für ein cooler Abgang. Chase zählte bis zehn, ging zu dem Beistelltisch neben dem Sofa, nahm Emmas BlackBerry und ging dann ins Schlafzimmer, um die Autoschlüssel zu holen. Kurz bevor er die Haustür erreichte, klopfte es sacht dagegen.

Mit gehobenen Augenbrauen öffnete er die Tür. „Hast du was vergessen?“

Emma blieb gelassen. „Wir haben wohl unsere Handys vertauscht.“

„Wir?“

Sie hob das Kinn. „Ja, wir.“

„Komm, ich fahr dich.“

„Ich habe gesagt …“

„Ich weiß, was du gesagt hast. Willst du dein Telefon zurück?“ Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern trat aus dem Haus und steuerte auf den Ferrari zu. „Dann hör auf, mir Kummer zu machen, und lass uns fahren.“

Emma Worth hatte eine Menge über ihn zu lernen. Zum Beispiel, dass er es nicht mochte, wenn man ihn ausspielen wollte. Doch bald würde sie das wissen – schon sehr bald.

„Hallo, Liebling. Danke, dass du mir gesagt hast, dass unser Termin diesen Montagmorgen ist.“ Stirnrunzelnd schaute Chase auf sein BlackBerry. „Aus irgendeinem Grund habe ich vergessen, ihn einzutragen.“

Emma starrte ihn ungläubig an. Sie war gerade auf dem Weg aus dem Untersuchungszimmer des Arztes zum Wartezimmer und erstarrte in der Bewegung. Es war kaum achtundvierzig Stunden her, dass sie sich getrennt hatten, und jetzt saß Chase auf einem der Stühle, ein Bein selbstbewusst über das andere geschlagen. Auf seinem Schoß lag eine Zeitschrift für Eltern, die er jetzt zuklappte und auf den Zeitschriftenstapel auf dem Glastisch legte.

Mit Blick auf die anderen Wartenden versuchte Emma sehr gefasst zu klingen. „Was tust du hier?“, fragte sie leise.

„Auf dich warten, was sonst. Die Schwester hat mir angeboten, zu dir ins Behandlungszimmer zu kommen.“

Emma holte tief Luft. „Hat sie das?“ Sie wandte sich um, um die Tür zu schließen und ihre Fassung wiederzuerlangen.

„Ja“, bestätigte Chase. „Nächstes Mal nehme ich ihr Angebot an.“

Zweifellos sollte dies eine Warnung sein. Emma umklammerte die Informationsbroschüren, die der Arzt ihr gegeben hatte, und die Ultraschallaufnahme von ihrem Baby, während sie zielstrebig auf den Ausgang des Wartezimmers zuging. Chase stand auf und folgte ihr. Emma konnte sich beherrschen, bis sie den Parkplatz erreicht hatten und keine Mithörer in der Nähe waren. „Wie kannst du es wagen?“, fragte sie zornig.

Augenscheinlich war er wenig beeindruckt von ihrem Wutausbruch. Seine Gesichtszüge zeigten keine Regung. „Du hast doch gewusst, dass ich gern bei dem ersten Termin dabei gewesen wäre.“

„Warum?“ Sie stach ihm mit einem Finger gegen die Brust. „Um bei mir zu sein und gleich nach einem Vaterschaftstest fragen zu können?“

Er stemmte die Hände in die Hüften. „Es ist mein gutes Recht zu wissen, ob ich der Vater bin.“

„Oh, zur …“ Sie verstummte und atmete tief durch. Aufregung war weder für sie noch das Baby gut. „Das Thema ist für mich beendet.“

„Keineswegs.“ Er deutete auf das Bistro am Wasser. „Lass uns einen Kaffee trinken und dort weiterreden.“

Sie sträubte sich nicht dagegen. Irgendwann mussten sie das besprechen, und da war ihr ein öffentlicher Platz lieber – dort waren sie ungestört, aber sie konnte trotzdem jederzeit aufstehen und gehen, wenn sie genug von Chases Unverschämtheiten hatte.

Nachdem sie an einem Tisch in der Sonne Platz gefunden hatten, ging Chase in das Selbstbedienungsrestaurant und kam kurz darauf mit einem Kaffee und einem Kräutertee zurück. Er setzte sich und bedachte Emma mit einem nachdenklichen Blick.

Sie beschloss, den ersten Schritt zu machen. „Wie hast du herausgefunden, wann und wo ich meinen Termin habe?“

„Ich habe mit einigen Frauenarztpraxen in der Region telefoniert, um mir deinen Termin ‚bestätigen‘ zu lassen. Dabei bin ich auf die richtige Praxis gestoßen. Mein Gefühl hatte mich nicht getrogen, du hattest nicht vor, mich mitzunehmen. Trotzdem möchte ich auf meine Fragen auch Antworten.“

„Nein, du willst mir nur zeigen, dass du die Kontrolle über alles übernehmen willst, wenn ich mich deinem Willen nicht füge.“

„Das auch.“

Sie presste die Lippen zusammen. „Du bist es also gewohnt, dass alle nach deiner Pfeife tanzen.“ Nicht, dass sie das überrascht hätte. Schließlich war ihr Vater aus demselben Holz geschnitzt.

„Was ich gewohnt bin und letzten Endes bekomme, sind nicht immer dieselben Dinge. Das haben die vergangenen Tage wohl deutlich gemacht. Ich möchte lediglich ein paar ehrliche Antworten.“

Emma stieß einen Seufzer aus. „Chase, wie offen soll ich noch mit dir sein? Es ist dein Kind. Auch wenn etwas anderes von mir behauptet wird, gehe ich nicht mit jedem Mann ins Bett.“

„Okay.“

Sie sah ihm an, dass er ihr nicht glaubte, und nur mühsam unterdrückte sie ihre Wut. Dieser verdammte Rafe und seine Behauptungen! Zweifellos war er für die Meinung verantwortlich, die Chase von ihr hatte. Nicht, dass sie Chase einen Vorwurf machen konnte – schließlich hatte sie mit ihm ja einen One-Night-Stand gehabt. Warum also nicht auch mit anderen Männern?

„Sieh mal“, begann sie geduldig. „Ich weiß zwar nicht, was dich das angeht, aber um des Babys willen verrate ich dir jetzt, dass ich in den vergangenen zwei Jahren mit keinem anderen Mann außer dir Sex gehabt habe.“

„In Ordnung.“

„Und du?“

Er lächelte trotz ihrer direkten Frage. „Ich bin dreiunddreißig und hatte schon so manche Beziehung. Die kürzeste ist unser One-Night-Stand im November gewesen. Die längste hat drei Jahre gedauert und ist vor sechs Monaten auseinandergegangen.“

„Was ist denn passiert?“, platzte Emma heraus.

„Sie hat jemand anderen getroffen.“

„Wirklich? Und ist sie ehrlich zu dir gewesen?“

„Ja, im Gegensatz zu einigen anderen Frauen, die ich kenne“, entgegnete er scheinbar völlig emotionslos, was Emma überraschte. Er schien ein anderer als der leidenschaftliche Mann zu sein, mit dem sie geschlafen hatte.

„Ich habe nichts gegen einen Vaterschaftstest, wenn das Baby auf der Welt ist“, sagte sie. „Vorher nicht. Der Arzt hat gesagt, dass ein früherer Test dem Ungeborenen schaden könnte, und das will ich nicht riskieren.“

Er nickte. „Es wäre töricht, die Gesundheit des Kindes aufs Spiel zu setzen. Allerdings ändert das nichts daran, dass ich heute gern mit dabei gewesen wäre und Fragen gestellt hätte.“ Als er seine Tasse beiseiteschob, fiel sein Blick auf die Broschüren und die Ultraschallaufnahme. Plötzlich sah Chase verletzlich aus.

„Ist das unser Kind?“, fragte er.

Sie schob ihm das Bild zu. „Ich bin wahrscheinlich in der neunten Woche.“

„Das, was aussieht wie eine Limabohne, ist unser Kind?“ Er räusperte sich.

Sie lächelte unsicher. „Ja, das ist Junior.“

Einige Minuten betrachtete er das Foto, bevor er Emma voller Entschlossenheit ansah. „Wir müssen eine Einigung ausarbeiten, Emma, wie wir von jetzt verfahren. Du willst deine Privatsphäre schützen, ich möchte in sie eingreifen – wegen unseres Babys.“

„Und was machen wir jetzt?“

„Jetzt reden wir darüber, was nach seiner Geburt geschehen soll.“

„Einverstanden“, meinte sie zögernd. „Aber ich weiß erst seit zwei Tagen von meiner Schwangerschaft und würde gern noch etwas länger darüber nachdenken.“

„Können wir das nicht zusammen tun?“

Die Frage überraschte sie. Sie wurde den Verdacht nicht los, dass Chase bereits einen Plan hatte. Chase war ein Logiker, der alles sorgfältig plante.

„Ich verstehe nicht ganz. Warum sollten wir das zusammen tun?“, hakte sie nach.

„Weil ich gern miteinbezogen werden würde in die Entscheidungen, die du triffst.“ Als sie etwas erwidern wollte, hob er abwehrend eine Hand. „Ich will sie dir nicht abnehmen oder mit dir darüber streiten. Aber ich würde gern vernünftig mit dir darüber reden – so wie jetzt.“

„Warum?“

Auf seinem Gesicht spiegelte sich auf einmal ein seltsamer Ausdruck wider. „Weil ich finde, dass solche Entscheidungen sehr schicksalsträchtig sein können – und dass es gefährlich ist, von den Launen eines anderen Menschen abhängig zu sein.“

Okay, das klang nach einer Begebenheit aus seiner Vergangenheit, die ihn immer noch beschäftigte. „Ist dir das denn widerfahren?“

„Das kannst du laut sagen“, erwiderte er nachdenklich. „Und das lasse ich nie wieder zu.“

„Du wohnst doch in Manhattan, oder?“

Chase nickte.

„Und wie lange bleibst du in Vista del Mar?“

„Solange Rafe mich für den Deal mit Worth Industries braucht.“

Emma zuckte zusammen. „Vielleicht ist es dir noch nicht aufgefallen, aber ich heiße den Verkauf nicht gut.“ Vermutlich war es nicht der beste Zeitpunkt, um das zu äußern. Sie traute Rafe Cameron nicht. „Warum will Rafe das Unternehmen meines Vaters kaufen?“

Von einem Moment zum anderen setzte Chase sein Pokerface auf. „Das spielt keine Rolle. Er hat das Geld, und dein Vater will verkaufen – auch gegen deinen Widerstand.“

Betroffen schüttelte Emma den Kopf. „Wir sollen wir bloß jemals zu einer Meinung kommen, wenn wir auf unterschiedlichen Seiten sind – bei jeder Angelegenheit?“

„Wir werden eben verhandeln und einen Kompromiss finden.“

Obwohl ihr zum Weinen war, lachte sie. „Du müsstest dich mal reden hören: verhandeln und Kompromiss? Hier geht es nicht um eins deiner Millionengeschäfte, sondern um das Leben eines Kindes.“

„Vertrau mir, ich weiß, was auf dem Spiel steht.“ Er nahm die leeren Tassen, um sie auf den Rückgabetisch zu stellen. „Ich habe es erlebt“, sagte er, als er mit dem Rücken zu ihr stand.

„Was meinst du damit?“, fragte sie alarmiert.

„Meine Eltern sind nie verheiratet gewesen. Von meinem ersten Tag an hat man mich einen Bastard genannt. Und ich lasse niemals zu, dass mein Kind dasselbe Schicksal erfährt.“ Er drehte sich abrupt zu ihr um. „Ich spreche davon zu heiraten, Emma“, entgegnete er energisch.

4. KAPITEL

Chase beobachtete, wie Emma kreidebleich wurde.

Ungläubig starrte sie ihn an. „Das ist nicht dein Ernst.“

„Mein voller Ernst“, versicherte er.

„Lass mich mal zusammenfassen. Du erwartest, dass ich dich heirate, weil deine Eltern nicht verheiratet gewesen sind?“

Er nickte. „Kurz und knapp gesagt: ja.“

„Weil man dich einen Bastard genannt hat?“

In der Zwischenzeit war die Innenstadt sehr belebt, und Chase ließ sich mit seiner Antwort Zeit, da er nicht belauscht werden wollte. Bevor er allerdings einen Ortswechsel vorschlagen konnte, hörte er eine fröhliche Stimme.

„Emma! Emma, hier!“ Eine bildhübsche Frau Mitte zwanzig mit dunkelbraunem Haar kam auf sie zu. In ihrem Blick spiegelte sich ungekünstelte Freude wider. „Was für ein Zufall, dass wir uns hier treffen“, sagte sie und umarmte Emma herzlich. „Ich hatte gehofft, dich vor meiner Abreise nach Los Angeles noch zu sehen.“

Lachend erwiderte Emma die Umarmung. „Ana, was für eine Freude! Bist du nur für einen Tag oder die ganze Woche hier?“

„Leider nur für einen Tag. Dann muss ich wieder zurück in die Tretmühle.“

„Ich hatte gedacht, du liebst deinen Job – schließlich kleidest du ja all diese Hollywoodstars ein.“

Ana warf Chase einen flüchtigen Blick zu. „Ich erzähle dir später mehr“, murmelte sie und wandte sich zu Chase, um ihm die Hand zu schütteln. „Ich wollte euer Gespräch nicht stören. Ich bin Ana Rodriguez.“

„Das ist Chase Larson, der Bruder von Rafe Cameron“, stellte Emma ihn vor. „Rafe verhandelt gerade den Verkauf von Worth Industries.“

Ana sah überrascht aus. „Ich hätte nie geglaubt, dass ich diesen Tag noch erleben muss.“

„Ich auch nicht“, beteuerte Emma. „Ana und ich sind wie Schwestern“, erklärte sie Chase. „Wir sind zusammen aufgewachsen. Ihre Mutter Nilda ist unsere Haushälterin. Und bis zu seiner Pensionierung ist ihr Vater unser Gärtner gewesen. Ich schwöre, dass Juan den grünen Daumen hat.“

„Absolut wahr“, bestätigte Ana stolz.

„Und Sie sind Kostümbildnerin? Entwerfen Sie auch Kleidung für sich? Dieses wunderschöne Kleid hier zum Beispiel?“

Ana errötete leicht. „Ja, das habe ich entworfen.“

„Sehr beeindruckend“, entgegnete Chase bewundernd. „Sie könnten in New York sicherlich Karriere machen, wenn Sie keine Kostüme, sondern Mode entwerfen würden.“

„Danke für das Kompliment.“ Ana lächelte Emma zu. „Ich mag diesen Mann. Du solltest ihn dir warmhalten.“

Emma warf Chase einen ironischen Blick zu. „Ich glaube nicht, dass ich ihn loswerden könnte, auch wenn ich wollte.“

Nachdem die beiden Frauen sich voneinander verabschiedet hatten, wartete Chase geduldig, bis Ana außer Hörweite war. „Wir müssen uns einen abgeschiedeneren Ort für unser Gespräch suchen“, sagte er schließlich.

„Wir können so abgeschieden sein, wie du willst, es wird nichts daran ändern, dass ich dich auf gar keinen Fall heiraten werde“, warnte Emma.

„Und ich spreche nicht über diese Angelegenheit, während wir hier mitten auf dem Bürgersteig von Vista del Mar stehen.“ Er dachte nach. „Warum fahren wir nicht zu mir?“

„Nein, das ist zu sehr dein Revier.“

„Aber ich bespreche das nicht weiter hier.“

Emma überlegte. „Okay, ich weiß was. Wir können meinen Wagen nehmen.“

„Einverstanden.“ Chase folgte ihr zu ihrem kleinen weißen BMW.

Emma fuhr aus der Innenstadt hinaus Richtung Meer und nahm die kurvenreiche Küstenstraße, die von Akazien und Palmen gesäumt war. Es dauerte nicht lange, bis sie ihr Ziel erreicht hatten – ein abgeschiedenes Kliff hoch über Vista del Mar, von dem aus man einen Blick auf die Stadt und das Meer hatte.

„Lass mich raten“, meinte Chase. „Treffpunkt der ansässigen Liebespärchen?“

„So in der Art, aber nicht um diese Zeit“, erwiderte Emma, als sie den Wagen parkte. „Eigentlich heißt es bei den Leuten Busted Bluff.“

Er lachte, als er den Namen übersetzte. „Wieso ist das ein Kliff, auf dem man erwischt wird? Wobei?“

„Weil die Cops hier die Jugendlichen aufspüren, wenn sie Alkohol trinken und Party feiern.“

„Und herummachen?“

„Und herummachen“, erwiderte sie lächelnd.

„Und wie oft haben sie dich erwischt?“

„Niemals.“ Sie klang schockiert. „Mein Vater hätte mir den Kopf abgerissen, die Schlüssel von meinem Auto einkassiert und einige unerfreuliche Dinge mit dem Jungen angestellt, der so unvorsichtig gewesen wäre, sich mit mir erwischen zu lassen.“

„Bist du also niemals hier gewesen, um Quatsch zu machen?“

„Das habe ich nicht gesagt, oder?“, sagte sie lächelnd, bevor sie fragte: „Was meinst du, können wir jetzt mit dem Small Talk aufhören und über die ernsten Sachen sprechen?“

„Zumal unsere Situation ernst ist.“

„Ziemlich ernst sogar“, konterte sie und klang frustriert. „Du hast mir einen Heiratsantrag gemacht, um unser Kind davor zu bewahren, ein Bastard geschimpft zu werden.“ Sie wedelte mit der Hand herum. „Warum machst du nicht an dieser Stelle weiter? Mir fällt nämlich im Augenblick nichts dazu ein.“

„Wenn du meinst …“

„Wie könnte es sonst weitergehen?“ Forschend sah sie ihn an. „Ich habe begriffen, dass du verhindern willst, dass die Geschichte sich wiederholt. Aber ich brauche mehr Informationen. Erzähl mir von deinen Eltern. Sie waren nicht verheiratet, richtig?“

„Meine Familiengeschichte ist kompliziert“, warnte er sie. „Hier, schau mal.“ In seinen Taschen fand er einen Stift und einen Notizblock und fertigte eine kurze Übersicht über die wichtigsten Familienmitglieder an. Dann beugte er sich zu Emma herüber, um ihr die Skizze zu zeigen.

Emma verströmte einen sanften, unwiderstehlichen Duft, und er wusste nicht, ob es an ihrem Parfüm lag – oder ob es ihr natürlicher Duft war. Was auch immer es war, es berührte alle seine Sinne und weckte den starken Wunsch in ihm, mehr mit ihr zu tun, als in einem Wagen über seine Familie zu reden. Außer dem leisen Rauschen der Januarbrise vernahm Chase ausschließlich Emmas leisen Atem. Da er wusste, wie es ihm gelingen konnte, ihren Puls zu beschleunigen, wurde seine Erregung umso drängender und drohte ihn zu überwältigen. Mit einem Kuss würde er die Stimmung zwischen ihnen beiden abrupt verändern können.

Emma musste seine Gedanken erraten haben, denn sie zog sich von ihm zurück. „Nicht jetzt.“

Er warf ihr einen begierigen Blick zu. „Sicher nicht?“

„Ganz sicher nicht.“ Doch so überzeugt wirkte sie gar nicht. Eigentlich machte sie einen ebenso erregten Eindruck wie Chase.

„Wie sicher nicht?“ Er zog sie an sich.

„So sicher.“ Sie umschlang seinen Nacken und küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund. Wie konnte das möglich sein? Im November hatte er gedacht, dass sie ein One-Night-Stand gewesen war – doch als er am Morgen danach ihr Verschwinden festgestellt hatte, hatte er sich wahnsinnig nach ihr verzehrt. Als er sie wiedergetroffen hatte, hatte er versucht, seine Begierde ein für alle Mal zu stillen – na ja, einige Male, um genau zu sein –, und trotzdem war er immer noch voller Verlangen.

Eine Berührung von ihr – und lodernde Lust erfasste ihn. Emma war mit seinem Baby schwanger, und er konnte nur daran denken, dass er jetzt glücklicherweise kein Kondom brauchte. Er hätte sowieso keins dabeigehabt.

Er riss sich die Anzugjacke herunter und warf sie – gefolgt von der Tasche, die Emma als Barriere zwischen ihnen platziert hatte – in den hinteren Teil des Wagens. Dabei musste er wohl den Sitz verfehlt haben, denn er hörte, wie die Tasche auf den Boden aufschlug und ihr Inhalt sich im Innenraum des Autos verteilte. Später. Sie würden später wieder für Ordnung sorgen. Im Augenblick musste er Emma berühren. Sie küssen. Ihre seidenweiche Haut unter seinen Händen spüren, das Gefühl genießen, wenn sie sich an ihn schmiegte.

Rasch knöpfte er ihr die Bluse auf, bevor er sich dem zierlichen Verschluss ihres BHs zuwandte. Warum zur Hölle konstruierte man diese Dinge nicht so, dass ein Mann sie ohne Vergrößerungsglas und chirurgische Hilfsmittel öffnen konnte? Endlich gelang es ihm, Emma von dem Spitzen-BH zu befreien und sich am Anblick ihrer nackten Brüste zu berauschen.

Sie stöhnte unter seinem Kuss, und Chase zog sich zurück, weil er nicht wusste, ob es vor Schmerz oder aus Lust geschah. „Tue ich dir weh?“, fragte er besorgt.

„Nein. Meine Brüste sind empfindlich, aber auf eine schöne Weise, wenn du verstehst, was ich meine.“

„Nein, kein bisschen, aber wenn es sich für dich gut anfühlt, ist alles bestens.“

„Es fühlt sich wundervoll an.“

Er hob sie über die Mittelkonsole herüber zu sich, sodass sie mit gespreizten Beinen auf seinem Schoß saß. Ihr Seidenrock war die Oberschenkel hochgerutscht, und ihre offene Bluse präsentierte Emmas Brüste in einer verlockenden Position – genau in Kusshöhe. Augenblicklich ergriff er die Gelegenheit beim Schopf.

Sie warf den Kopf in den Nacken und stöhnte abermals auf. Mit einem Finger strich er die Innenseite ihrer Oberschenkel entlang bis zum Rand ihres Slip, um schließlich darunterzugleiten und sie zu berühren. Emma war dermaßen erregt, dass er sicher war, nie etwas Schöneres gesehen zu haben.

Er griff nach dem Reißverschluss seiner Hose, doch dann zögerte er. Kurz entschlossen fasste er unter Emmas Rock und legte die Hand auf ihren Bauch. Ihm fiel es schwer zu glauben, dass da drinnen sein Kind heranwuchs – nicht größer als eine Limabohne. Chase beugte sich vor und presste die Lippen auf Emmas Bauch. „Hallo, Bohne“, flüsterte er.

Mit einem Mal wurde ihm die ganze Reichweite von Emmas Schwangerschaft bewusst, und er schloss die Augen. Ein Baby. Er lehnte den Kopf an den Autositz. Lieber Himmel, ein Baby. Er sah zu Emma. Ihre Wangen und Lippen waren vor Leidenschaft gerötet, und in ihren Augen spiegelte sich pures Verlangen wider. Auch trotz des Wissens, dass sie sein Kind in sich trug, wollte Chase Sex mit ihr.

„Ich weiß gar nicht, wann ich das zum letzten Mal im Auto getan habe“, murmelte er.

„Ich schon. Genau hier an meinem achtzehnten Geburtstag.“ Plötzlich zuckte sie zusammen, als würde die Erinnerung daran ihr Verlangen zum Erlöschen bringen. „Liebe Güte, was mache ich hier eigentlich?“

„Sex?“, half er ihr hoffnungsvoll auf die Sprünge.

Sie lehnte sich zurück, um sich die Bluse über ihre Brüste zu ziehen. „Sex. In einem Auto mitten am Tag oben auf dem Busted Bluff. Zu allem Überfluss auch noch schwanger.“

„Das passt doch, findest du nicht?“

Sie lachte. „Kein bisschen“, entgegnete sie betont schockiert, bevor sie über die Mittelkonsole hinweg wieder auf die Fahrerseite krabbelte – mit einer unglaublichen Eleganz. Chase entging nicht, dass ihre Finger zitterten, als sie die Bluse zuknöpfte. In ihrem Blick lag noch der schwache Glanz unerfüllter Lust.

Bevor er darauf reagieren konnte, sah sie sich um. „Wo ist der Notizblock mit der Zeichnung?“

Er seufzte laut auf. Zeit, wieder einen Gang zurückzuschalten. Sie waren beide viel zu alt, um es im Auto zu treiben. Was, wenn sie jemand dabei gesehen hätte? In einer kleinen Stadt wie dieser verbreiteten sich Nachrichten so schnell wie ein Buschfeuer. „Ich habe ihn zusammen mit deiner Tasche nach hinten geworfen. Warte mal.“

Er beugte sich nach hinten und griff nach dem Durcheinander auf dem Boden. Nach einer Weile hatte er den Notizblock entdeckt – unter seinem BlackBerry, das ebenfalls herausgefallen sein musste, als er die Jacke nach hinten geworfen hatte. Er steckte es wieder in seine Tasche.

Emma beugte sich zu ihm herüber, um die Zeichnung zu begutachten. „Okay, erklär mir das.“

Er deutete auf den Kreis in der Mitte des Blattes. „Das ist meine Mutter, Penny Larson.“

„Deine Mutter ist ein Kreis?“

„Eigentlich ist sie etwas komplexer gebaut, aber Kreise, Rechtecke und gelegentlich ein Dreieck sind das Einzige, was ich zeichnen kann.“

„Aha, verstehe. Wer ist dann dieses schlampige Quadrat?“

„Mein Vater. Während meine Mom für Worth Industries gearbeitet hat, hatte sie eine Affäre mit dem Superman der Geschäftswelt, Tiberius Barron – The Barron, wie ich ihn gern nenne –, der in der Stadt war, um mit Ronald Worth eins seiner üblichen Megageschäfte abzuwickeln. Und ich bin das Ergebnis dieser Affäre.“

„Von Tiberius Barron habe ich schon gehört. Na ja, das hat wohl jeder schon einmal. Erzähl weiter.“

Er deutete auf die Seite, wo Hannah und Bob Cameron aufgelistet waren. „Hannah ist Rafes Mutter. Als sie mit Rafe schwanger geworden ist, hat dein Vater Hannah und Bob gefeuert, weil sie sich nicht an die Regel gehalten haben, dass Mitarbeiter nichts miteinander anfangen dürfen.“

Emma wurde blass. „Das kann nicht stimmen“, widersprach sie. „Mein Vater hätte nie so eine lächerliche Regel aufgestellt. Fast jeder in Vista del Mar arbeitet bei Worth Industries. Dann müssten ja alle im Zölibat leben.“

„Ich versichere dir, dass es zu dieser Zeit so gewesen ist. Zumindest hat sie für Hannah und Bob gegolten – aus welchem Grund auch immer.“ Chase tippte mit dem Stift auf die beiden Namen. „Die beiden verließen Worth Industries, heirateten und bekamen Rafe. Als er fünfzehn war, starb seine Mutter leider an einer chronischen Lungenerkrankung. Ein paar Jahre später heirateten meine Mutter Penny und Rafes Vater Bob. Zu der Zeit bin ich im ersten Jahr auf dem College gewesen und Rafe im Abschlussjahrgang der Highschool. Nach seinem Abschluss zog die Familie wieder nach Los Angeles, wo Bob und Mom heute immer noch wohnen.“

Emma runzelte nachdenklich die Stirn. „Das bedeutet ja, dass du und Rafe Stiefbrüder und gar nicht richtig miteinander verwandt seid.“

Chase sah sie ernst an. „Als du mich eben Ana Rodriguez vorgestellt hast, hast du behauptet, ihr wärt euch so nah wie Schwestern – und sie ist auch nicht mit dir blutsverwandt.“

„Okay, der Punkt geht an dich, aber …“, meinte sie gedankenverloren. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass du hier aufgewachsen bist.“

„Weil ich es nicht bin.“ Chase nickte. „Mit zehn bin ich nach New York zu meinem Vater gezogen. Von diesem Zeitpunkt an hat man mich Barrons Bastard genannt.“

„Warum bist du dann in New York geblieben?“, fragte Emma entsetzt. „Weshalb bist du nicht zu deiner Mutter zurückgekehrt?“

Plötzlich wurde er von schmerzhaften Erinnerungen übermannt und fröstelte. „Sagen wir, mein Vater hat mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ausschlagen konnte, und belassen wir es dabei.“

„Aber …“

Er schnitt ihr das Wort ab. „Womit wir beim Thema Baby wären. Wenn es meins ist, will ich nicht, dass das Kind unehelich aufwächst.“

„Wenn“, wiederholte Emma. „Du zweifelst also immer noch daran? Obwohl du mich heiraten würdest, bist du immer noch nicht ganz sicher, dass es auch tatsächlich dein Kind ist?“

„Ja.“

„Mal angenommen, wir würden heiraten“, sagte sie mit unbewegtem Gesichtsausdruck – ganz die Prinzessin Worth, die sie so gern gab. „Müsstest du mir vertrauen, dass ich die Wahrheit sage. Ich riskiere nämlich keine Fehlgeburt, nur damit du es sechs Monate früher weißt.“

Einen Augenblick überdachte er, was sie gesagt hatte, bevor er nickte. „In Ordnung. Ich bin bereit, dir erst einmal zu glauben. Ich finde es wichtig, dass das Kind meinen Namen trägt, auch wenn sich herausstellen sollte, dass es gar nicht meins ist.“

„Du bist unglaublich, weißt du das?“ Sie riss die Autotür auf, stieg aus und schlug die Tür wütend zu. Die Arme um den Oberkörper geschlungen, stand sie an der Steilküste. Chase folgte ihr und zog sie ein paar Schritte von der Kante fort.

„Sieh mal, Emma, wir wollen beide nicht heiraten – aber wir müssen daran denken, was das Beste für das Kind ist. Lass wenigstens zu, dass ich es mit meinem Namen beschütze. Wenn du nach der Geburt die Scheidung willst, dann ist das auch in Ordnung.“

Sie versteifte sich. „Du glaubst also, dass eine Scheidung für das Kind besser wäre, als unehelich geboren zu werden?“

„Aus meiner Sicht, ja.“

Sie drehte sich um. „Das ist aber nicht meine. Ich habe aus erster Hand erlebt, was eine unglückliche Ehe den Kindern antun kann. Immer leiden die Kinder unter dem Unglück ihrer Eltern, und ich lasse nicht zu, dass meinem Kind dasselbe widerfährt.“

„Wir sprechen doch nicht über eine richtige Ehe – nur über eine auf Zeit.“

Stolz hob sie das Kinn. „Ich brauche nicht zu heiraten, um meinem Kind zu Legitimität zu verhelfen. Der Name Worth wird ihm oder ihr ausreichend Schutz bieten.“

„Der Name Barron hat mich jedenfalls nicht beschützt“, erwiderte er scharf. „Und er wiegt wesentlich schwerer als der Name Worth. Außerdem lasse ich nicht zu, dass die Leute über den Bastard des Bastards tuscheln. Auf gar keinen Fall.“

„Und wie willst du das verhindern?“, fragte sie. „Du kannst mich ja nicht zwingen, dich zu heiraten.“

„Jeder hat seinen Preis – auch du.“

Vermutlich hätte er sie mit einem Schlag ins Gesicht nicht mehr beleidigen können. Ihre Wangen röteten sich. „Da liegst du falsch“, stieß sie hervor.

„Wirklich?“ Er trat auf sie zu und bemerkte, dass ihr Atem schneller ging. Trotz ihrer Wut verspürte sie offensichtlich Verlangen nach ihm – und war kurz davor, nachzugeben, als er sich zurückzog.

„Siehst du?“, sagte er. „Man muss nur den richtigen Einsatz kennen.“

„Ich denke, unser Gespräch ist jetzt beendet.“ Sie stieg wieder in den Wagen und startete den Motor. Chase war nicht überrascht, als sie das getönte Fenster auf der Fahrerseite herunterließ. „Du kannst ja jemanden anrufen, dass er dich hier abholt. Sicher hast du keine Schwierigkeiten, demjenigen den richtigen Preis zu zahlen.“ Und mit diesen Worten fuhr sie mit aufheulendem Motor davon.

Na, großartig, dachte Chase. Vielleicht sollte er sich zukünftig ein wenig mit Diplomatie beschäftigen. Er griff in die Hosentasche nach dem Mobiltelefon. Als er es aktivierte, bemerkte er sofort, dass Emma und er während ihrer stürmischen Knutscherei im Auto abermals die BlackBerrys vertauscht hatten.

Verdammt noch mal!

Emma drosselte die Geschwindigkeit und konzentrierte sich auf die kurvenreiche Strecke. Wie hatte sie bloß wieder auf Chases Charme hereinfallen können? Sie hatten wirklich nichts gemeinsam – nur das Baby.

Na ja, und dieses wahnsinnige Verlangen nacheinander.

Nein. Sie weigerte sich zu glauben, dass sie etwas gemeinsam haben könnten. Nicht länger jedenfalls. Es spielte keine Rolle, was für einen tollen Körper Chase hatte – oder wie durchtrainiert seine Muskeln waren. Oder wie anziehend seine männlichen Gesichtszüge. Oder wie beeindruckend sie die kühle Intelligenz fand, die sich in seinen blauen Augen widerspiegelte. Sie umfasste das Lenkrad fester. Oder wie erstaunlich sich seine Lippen auf ihren anfühlten – auf ihrer Haut. Auf ihrer …

Als ihr BlackBerry klingelte, fuhr sie mit einem verärgerten Ausruf an den Straßenrand, um den Anruf entgegenzunehmen. „Falls du das bist, Chase, dann vergiss es. Ich werde nicht zurückkommen.“ Als niemand antwortete, kam es ihr in den Sinn, dass sie vielleicht vorher doch besser die Anrufererkennung geprüft hätte. „Chase?“

„Um ehrlich zu sein, versuche ich gerade, Chase zu erreichen“, erwiderte eine tiefe Stimme. „Wer sind Sie, und warum sind Sie an seinem Telefon?“

„Das ist nicht sein Telefon, das ist …“ Sie hielt inne. O nein, bitte, das konnte doch nicht schon wieder passiert sein! „Wer ist da, bitte?“, fragte sie ungehalten.

„Rafe Cameron.“

Na, das passte ja wie die Faust aufs Auge. „Ich schätze, dass Sie sich nicht verwählt haben?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Eher nicht. Ich habe Chases Nummer eingespeichert. Würden es Ihnen etwas ausmachen, mir Ihren Namen zu nennen?“

Das wollte sie aber nicht. Das würde zu viele Fragen nach sich ziehen, die sie jetzt noch nicht beantworten wollte. „Ich werde Chase ausrichten, dass Sie angerufen haben“, erwiderte sie und unterbrach das Gespräch.

Sie blickte auf das Lenkrad und senkte den Kopf. Es kostete sie Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Zweifellos waren die Hormone daran schuld. Emma hatte von deren Einfluss auf die Gefühlswelt schwangerer Frauen gehört – jetzt konnte sie diesbezüglich aus erster Hand Erfahrungen sammeln.

Nachdem sie die Fassung wiedererlangt hatte, wendete sie den Wagen, um zum Kliff zurückzukehren. Mit verschränkten Armen stand Chase wartend im Schatten eines Eukalyptusbaumes. Als sie neben ihm hielt und er in den Wagen stieg, würdigte sie ihn keines Blickes. Sie schob ihm das BlackBerry zu.

„Dein Bruder hat angerufen. Ich fürchte, dass du ihm ein paar Erklärungen schuldest.“

Chase zuckte zusammen. „Weiß er, dass wir zusammen waren?“

Emma war bemüht, sich keine Gefühlsregung anmerken zu lassen. „Ich habe ihm meinen Namen nicht genannt.“

„Dann wird er nur noch mehr herausfinden wollen, wer da am Telefon gewesen ist“, meinte Chase schulterzuckend und zog Emmas Handy aus der Hosentasche, bevor er es auf die Mittelkonsole zwischen den Sitzen legte. „Ich kümmere mich später darum.“

Schweigend fuhren sie die Küstenstraße in die Stadt zurück. „Tut mir leid, dass ich einfach so weggefahren bin“, sagte Emma schließlich. „Das ist unhöflich gewesen.“

„Ist schon in Ordnung. Gelegentlich darfst du ein bisschen unhöflich sein. Das wird keinen Einfluss auf meine Wertschätzung des Namens Worth haben.“ Er warf ihr einen ernsten Blick zu. „Und es hat keinen Einfluss darauf, dass wir unsere Differenzen aus der Welt schaffen müssen.“

„Nur nicht heute, okay? Gib mir ein paar Tage Zeit, damit ich die Angelegenheit mit meinem Vater besprechen kann.“

„Er wird sich bestimmt nicht darüber freuen.“

„Das ist sehr optimistisch ausgedrückt.“

„Hm.“ Chase klopfte mit den Fingern gegen die Armlehne. „Sollte ich sicherheitshalber eine kugelsichere Weste anziehen, wenn ich dich besuchen komme?“

„Das wäre bestimmt schlau“, entgegnete sie und parkte vor dem Ärztehaus ein, wo Chase seinen Wagen stehen lassen hatte. Immer noch brachte sie es nicht fertig, ihn anzusehen – dafür hatte sie ihre Gefühle noch nicht genügend im Griff. „Ich rufe dich an.“

„Ich warte darauf.“ Er fasste unter ihr Kinn, damit sie ihn ansah. „Lass dir nicht zu lange Zeit, Emma.“

Mit diesen Worten beugte er sich vor, um ihr einen stürmischen Kuss zu geben, der Emmas Verteidigungslinie durchbrach und zum Ausdruck brachte, dass Chase kein Pardon kennen würde. Sie wünschte, ihm widerstehen zu können, doch tief in sich war sie seiner Berührung völlig hilflos ausgeliefert. Sobald ihr das bewusst wurde, zog sie sich zurück. Niemals wollte sie zulassen, dass ein Mann ihr das Gefühl der Hilflosigkeit vermittelte. Sie wollte ihr Glück nicht von einem Mann abhängig machen. Sie wollte sich nicht verlieben, sodass sich ihr Leben nur noch um einen Mann drehte. Nie würde sie die Kontrolle über ihren Körper, ihr Herz und ihre Seele einem anderen Menschen überlassen. Ihr würde nicht derselbe Fehler passieren wie ihrer Mutter. „Ich rufe dich an, wenn ich es verdammt noch mal für richtig halte“, erklärte sie kühl.

Er nahm sein Jackett vom Rücksitz. „Dann sieh zu, dass das verdammt noch mal schnell geschieht.“

Ohne ein weiteres Wort legte Emma den Gang ein und fuhr davon. Kurz darauf klingelte ihr Handy abermals, sodass sie wieder an den Straßenrand fahren musste. Dieses Mal war die Anruferin Gillian Mitchell.

„Hi Gillian“, sagte Emma.

„Emma, schön, dass ich Sie erreiche. Ich wollte nur nachfragen, ob es beim Lunch heute bleibt.“

„Natürlich, ich habe es nicht vergessen.“ Was natürlich eine Lüge war. „Im Club, richtig? Treffen wir uns in einer Stunde im Café am Gezeitenbecken?“

„Perfekt. Dann bis gleich.“

Das verschaffte ihr eine Stunde Zeit, um ihre Gedanken zu sammeln. Allerdings war es nicht genügend Zeit, um in der Zwischenzeit ihrem Vater von der Schwangerschaft zu erzählen. Außerdem hatte sie auch nicht vor, es im Büro zu tun. Sie würde ihn also erst heute Abend darüber in Kenntnis setzen, dass er bald Großvater werden würde.

Genau eine Stunde später betrat Emma das Restaurant am Gezeitenbecken und sah sich nach Gillian um. Sie entdeckte die schlanke Brünette an einem Tisch in der Ecke. Emma ahnte, was der Grund für dieses Treffen war – der Verkauf von Worth Industries.

Gillians Alter war schwer zu schätzen – sie mochte zwischen fünfundzwanzig und dreißig sein. Sie lehnte sich zurück und betrachtete Emma mit intelligent wirkenden grünen Augen. „Sie sind also Prinzessin Worth – Sie sehen auf jeden Fall wie eine aus.“ Sie schenkte Emma ein warmherziges Lächeln und streckte ihr die Hand entgegen. „Gillian Mitchell.“

Lächelnd erwiderte Emma den Händedruck und setzte sich der Journalistin gegenüber. „Dann müssen Sie mich erst einmal mit meiner Tiara im Dornröschenschlaf sehen“, witzelte sie zurück.

Gillian lachte. „Aus meinen Quellen weiß ich, dass Sie sich sehr für das örtliche Frauenzentrum engagieren. Sie haben wohl ein Herz für Frauen und Kinder in Not.“

„Ja“, erwiderte Emma zögernd.

„Ich hoffe, Sie haben keine persönlichen Gründe für Ihre Arbeit?“, fragte die Journalistin besorgt.

„Glücklicherweise nicht.“

„Gott sei Dank“, sagte Gillian erleichtert. „Was essen Sie denn zum Lunch?“

Die nächste Stunde verging wie im Flug, und Emma fand ihre Gesprächspartnerin immer netter, zumal sich herausstellte, dass Gillian alleinerziehende Mutter war.

„Die Arbeit im Frauenzentrum liegt mir sehr am Herzen“, gab Emma schließlich zu. „Die Frauen erhalten die Chance auf einen Neubeginn und gleichzeitig ihre Würde zurück.“

„Genau meine Meinung“, bestätigte Gillian.

Nachdem die Kellnerin den Tisch abgeräumt und die Getränke nachgeschenkt hatte, beugte Emma sich vor. „Warum sind Sie also wirklich hier?“, fragte sie. „Das Frauenzentrum gibt bestimmt einen großartigen Artikel, aber das ist doch nicht der wahre Grund für unser Treffen.“

„Ja, und ich schreibe ihn bestimmt auch. Aber Sie haben recht, das ist nicht der Grund für meine Einladung zum Essen“, gestand Gillian. „Ich wollte Ihnen ein paar Fragen wegen des Verkaufs von Worth Industries an Rafe Cameron stellen.“

„Vertraulich oder offiziell?“

Gillian holte einen Block und einen Stift hervor. „Offiziell.“

Einen Moment überlegte Emma. Wegen des Treffens mit Chase war sie immer noch sehr aufgewühlt, ansonsten hätte sie der Journalistin eine Absage erteilt. Doch sie hatte nun einmal ihre Bedenken wegen des Verkaufs – die ganze Stadt hatte das. Wenn die Seaside Gazette darüber berichtete, würden Rafe und ihr Vater möglicherweise nochmals über ein paar Dinge nachdenken müssen.

„Okay“, willigte sie schließlich ein. „Lassen Sie uns mit einer Sache beginnen, die ich als besonders wichtig erachte. Der Status unserer Angestellten wird sich nach dem Verkauf …“

5. KAPITEL

Zwei Tage darauf rief Chase seinen Bruder von seinem Mobiltelefon aus an. „Wir müssen reden“, sagte er. „Kannst du zu mir kommen? Sagen wir in …“, er sah auf die Uhr, „zwanzig Minuten?“

„Okay. Bin schon auf dem Weg.“ Chase war kaum zu Hause angekommen, als sein Bruder kurz nach ihm eintraf.

„Wer ist sie?“, fragte Rafe, sobald er durch die Haustür getreten war. „Und tu nicht so, als hättest du keine Ahnung, wovon ich spreche. Ich meine die Frau, die neulich an dein Telefon gegangen ist.“

„Emma Worth.“

„Du Mistkerl“, stieß Rafe hervor und versetzte seinem Bruder einen Stoß. „Hast du den Verstand verloren? Du weißt doch, was sie ist. Und du weißt, was hier auf dem Spiel steht. Ich kann keine Schwierigkeiten gebrauchen, nur weil du unbedingt mit ihr schlafen musst.“

„Sie ist schwanger von mir.“ Eigentlich hatte Chase nicht vorgehabt, mit den Neuigkeiten herauszuplatzen. Doch er wollte verhindern, dass Rafe etwas sagte, was er möglicherweise hinterher bereute.

Leider verstand Rafe den Hinweis nicht. „Und du glaubst ihr?“, fragte er ungläubig.

„Ja.“ Chase sprach betont deutlich. „Ich glaube ihr.“

„Dann bist du ein Narr. Sie ist nichts weiter als ein Flittchen – nur, dass sie kein Geld dafür nimmt.“

Chase bewegte sich so schnell, dass sein Bruder gar nicht wusste, wie ihm geschah, bevor er von der Wucht des Schlages über das Sofa gegen den Tisch geschleudert wurde. Die Lampe, die dabei umstürzte, verfehlte seinen Kopf nur um Haaresbreite. Chase sprang über die Couch und kniete mit geballter Faust über seinem Bruder. „Damit eins klar ist“, presste er hervor. „Auch wenn dir die Rachelust seit dem Tod deiner Mutter den Verstand vernebelt – aber Emma kann nichts dafür. Sie ist schwanger mit meinem Kind, und ich habe vor, sie zu heiraten. Hast du mich verstanden?“

Rafe sah mit funkelnden Augen zu ihm auf. „Ja, habe ich. Verpasst du mir noch einen, wenn ich aufstehe?“

„Nur wenn du Emma wieder ein Flittchen nennst. Wenn du das tust, versetze ich dir einen Hieb, der dich geradewegs nach Hawaii befördert.“

Rafe betastete vorsichtig sein Kinn, das zu seiner offensichtlichen Erleichterung nicht gebrochen zu sein schien. „Okay. Hättest du jetzt die Freundlichkeit, mir wieder auf die Beine zu helfen?“ Nachdem Chase seiner Aufforderung nachgekommen war, fügte Rafe hinzu: „Du hast mich seit der Verlobung unserer Eltern nicht mehr geschlagen.“

„Weil ich keinen Grund dazu hatte. Damals hast du gesagt, meine Mutter wäre nicht gut genug für deinen ehrenwerten Vater.“

„Du hast einen richtigen Tick, wenn es um Frauen geht, weißt du das?“

„Das sagt gerade der Richtige. Oder muss ich dich an Hannah erinnern?“

„Besser nicht“, erwiderte Rafe wütend. „Das würdest du bereuen.“

„Ich schätze, wir verstehen einander.“

Zögernd nickte Rafe. „Ja, tun wir wohl.“ Er warf Chase einen neugierigen Blick zu. „Ist das zwischen euch was Ernstes?“

„Das weiß ich noch nicht.“ Chase ging zum Kühlschrank und holte zwei Bierflaschen heraus. „Wir sind noch dabei, unsere Möglichkeiten abzuwägen.“ Er reichte seinem Bruder ein Bier.

„Hm.“ Rafe öffnete die Flasche und nahm einen Schluck. „Vielleicht können wir das zu unserem Vorteil nutzen.“

„Verdammt, nein!“

„Nein, nein“, meinte Rafe beschwichtigend. „Hör mich doch erst mal an. Worth hat mehr Stolz als Verstand. Wenn du noch ein bisschen mit dem Heiratsantrag wartest, können wir das als Punkt für uns bei den Verhandlungen verbuchen.“

„Bist du komplett übergeschnappt?“

„Denk drüber nach“, drängte Rafe. „Er macht bereits Andeutungen, die Arbeitsplätze hier erhalten zu wollen. Das kann ich nicht für den Vertrag mit ihm gebrauchen. Wir sichern ihm zu, dass du seinem Enkel einen Namen gibst, wenn er im Gegenzug auf eine derartige Klausel im Vertrag verzichtet.“

Nachdenklich trank Chase einen Schluck Bier. Er hatte stets großen Wert auf den guten Ruf seiner Investmentfirma gelegt – das Geschäft mit Worth kam ihm allerdings immer schäbiger vor. Hoffentlich gelang es ihm noch, Rafe zur Vernunft zu bringen. „Oder“, sagte er schließlich, „du beendest deinen privaten Rachefeldzug gegen Worth und modernisierst das Unternehmen erfolgreich. Du kannst Worth ja immer noch eins auswischen, indem du ihm zeigst, dass du der bessere Geschäftsmann bist.“

„Worth hat meine Eltern gefeuert, weil sie sich ineinander verliebt hatten“, entgegnete Rafe böse. „Obwohl Mom schwanger gewesen ist. Meine Eltern hatten kaum Geld, und als meine Mutter krank geworden war, hat mein Vater Worth um Hilfe angefleht – weil keine Versicherung zahlen wollte.“ Er schleuderte die leere Flasche in den Mülleimer. „Der Mistkerl hat meine Mutter im Stich gelassen, obwohl er verdammt genau gewusst hat, dass seine Fabrik sie erst krank gemacht hatte.“

Diese Geschichte kannte Chase in- und auswendig, denn Rafe hatte sie ihm bereits unzählige Male erzählt. „Sie wird nicht wieder lebendig, wenn du das Unternehmen ruinierst. Aber du triffst eine Menge anderer Leute damit – nicht nur Ronald Worth.“

„Das ist mir egal“, erwiderte Rafe stur. „Sie haben sich alle einen Dreck um uns geschert. Es ist an der Zeit, dass sie lernen, wie sich das anfühlt.“ Er sah seinen Bruder lange an, bevor er weitersprach. „Okay, Chase. Ich lasse dir Emma. Versuch sie zu schützen, wenn du das kannst. Aber Worth wird den Bach heruntergehen – und mit ihm der Rest von Vista del Mar.“

„Um Himmels willen …“

„Schluss jetzt“, unterbrach ihn Rafe. „Hör mir zu, Chase. Mir ist es todernst damit. Mir sind über deine schwangere Prinzessin Gerüchte zu Ohren gekommen. Sie soll nicht glücklich sein über den bevorstehenden Verkauf und sagt es auch offen. Ich will nicht, dass sie Ärger macht. Entweder hältst du sie im Zaum, oder ich tue es.“

„Sie im Zaum halten?“, meinte Chase verächtlich. „Du kennst sie doch, oder?“

Rafe lächelte humorlos. „Ich schlage vor, dass du einen Weg findest, deine Frau zu kontrollieren – und das bald.“

Mit diesen Worten ging Rafe und ließ Chase allein. Was für eine vertrackte Situation, dachte er und fuhr sich erschöpft über das Gesicht. Immer wieder kam er zu demselben Schluss – er würde Emma nur mit seinem Namen schützen können. Irgendwie würde er sie davon überzeugen müssen, ihn zu heiraten, damit sie aus der Schusslinie kam. Es gab nur einen Weg, sie davon zu überzeugen: Er musste sie wieder ins Bett bekommen – und dafür benötigte er seinen ganzen verführerischen Charme.

Emma fiel es schwer zu glauben, dass es Chase tatsächlich gelungen war, sie so leicht zu einem Dinner mit ihm zu überreden. Doch irgendwie hatte er sie im Verlauf des Telefonats davon überzeugt, dass sie unbedingt miteinander reden mussten. Und dass der perfekte Ort dafür das Jacques’ wäre, das exklusivste Restaurant in Vista del Mar.

Obwohl sie gleich die Treppe heruntereilte, nachdem sie den Ferrari vorfahren gehört hatte, war Chase bereits in das Arbeitszimmer ihres Vaters geführt worden. Da Emma befürchtete, Chase würde versehentlich ihrem Vater gegenüber etwas von der Schwangerschaft erzählen, riss sie die Tür zum Arbeitszimmer auf, ohne zuvor anzuklopfen. Die Männer sahen überrascht von einigen Plänen auf, die sie studiert hatten.

„Oh, du bist schon da“, sagte Emma etwas lahm.

„Du hättest nicht zu rennen brauchen. Henri hat den Tisch für uns reserviert“, erwiderte Chase.

„Aber wir sollten den Küchenchef nicht länger auf uns warten lassen“, meinte sie. Okay, dem Gesichtsausdruck ihres Vaters nach zu urteilen, klang ihre Bemerkung wohl ziemlich dümmlich. „Wollen wir gehen?“, fügte sie lächelnd hinzu.

„Sie kommt ganz nach mir“, sagte Ronald voller Stolz. „Immer pünktlich. Keine von den Frauen, die zwanzigmal ihr Kleid wechseln, während du auf sie wartest.“

„Gut zu wissen.“ Chase schüttelte Ronalds Hand.

Zu Emmas Erleichterung betrieben die beiden Männer keinen weiteren Small Talk mehr, sodass sie und Chase kurz darauf im Ferrari saßen, wo Chase ihr einen grimmigen Blick zuwarf. „Du hast es ihm noch nicht erzählt, habe ich recht?“

„Nein, und ich würde es sehr schätzen, wenn es vorerst dabei bliebe“, erklärte Emma, während sie sich anschnallte.

„Er wird es bald erfahren müssen.“

„Das weiß ich sehr wohl.“ Emma schloss die Augen. „Bitte vertrau mir, dass ich es ihm zur rechten Zeit beichte.“

„Ich drängele doch gar nicht.“ Er ließ den Wagen an. „Na ja, vielleicht drängele ich doch. Aber nur, weil ich Angst habe, dass etwas herauskommt. Die Stadt ist klein, und die Leute reden.“

„Aber ich habe es niemandem außer dir erzählt.“ Sie bedachte ihn mit einem misstrauischen Blick. „Oder hast du jemandem verraten, dass ich schwanger bin?“

„Du vergisst Dr. Hastings“, wandte er ein, ohne ihre Frage zu beantworten.

„Keine Sorge“, beruhigte sie ihn. „Er ist mein Arzt und muss sich an die Schweigepflicht halten.“

„Seine Arzthelferinnen auch? Glaubst du nicht, dass sie hin und wieder mit jemandem über das sprechen, was in der Praxis geschieht? Besonders dann, wenn es eine Berühmtheit wie Prinzessin Worth ist?“

Emma versteifte sich. Ihr ganzes Leben lang hatte sie dieser Name verfolgt, und sie hatte gelernt, ihn zu ignorieren oder humorvoll darauf zu reagieren. Doch aus irgendeinem Grund schmerzte es sie, dass Chase ihn verwendete. „Bitte nenn du mich nicht auch so, Chase.“

„Das würde ich normalerweise auch nicht, Liebling“, entgegnete er ernst. „Ich will nur, dass du meine Sorge verstehst.“ Er beugte sich herüber, um ihr mit dem Handrücken beruhigend die Wange zu streicheln. „Ich weiß, dass du das nicht bist – und wie es sich anfühlt, von anderen ein Etikett verpasst zu bekommen.“

Sie verschränkte die Hände auf ihrem Schoß. „Ich kann gar nicht verstehen, warum ich dieses Image habe. Sogar dein Bruder denkt, dass ich ein Partygirl bin.“

„Weil die anderen dich nicht so gut kennen wie ich“, sagte er sanft und leidenschaftlich zugleich. „Was meinst du, was ist schlimmer: Prinzessin oder Bastard?“

Emma seufzte leise. „Ich weiß nicht, was du alles durchmachen musstest.“ Aber ihr Kind würde es wissen, wenn sie Chase nicht heiratete – und das hatte er ihr damit sagen wollen.

„Genau. Also lass mich bitte in dein Leben, damit ich dich besser kennenlernen kann.“ An einer roten Ampel hielt er an und stützte sich mit den Unterarmen auf dem Lenkrad ab. Die weißen Manschetten zogen Emmas Aufmerksamkeit auf seine Hände – es waren kräftige Hände mit schlanken Fingern, die zu unglaublich zärtlichen Berührungen fähig waren.

Er sah sie an. „Du bist eine Worth. Außerdem bist du schwanger und unverheiratet. Das alles zusammen ist ausreichend Stoff für Tratschgeschichten. Und du willst bestimmt nicht, dass dein Vater es von jemand anderem erfährt.“

Dagegen gab es nichts einzuwenden. „Okay“, lenkte sie ein. „Ich sage es ihm morgen.“

„Schön.“ Die Ampel sprang auf Grün, und Chase gab Gas. „Willst du, dass ich dabei bin, wenn du es ihm sagst?“

Das klang überaus verlockend. Doch sie wusste nicht, wie ihr Vater reagieren würde. Und auf keinen Fall wollte sie, dass Chase möglicherweise den unverminderten Zorn von Ronald Worth zu spüren bekam. „Danke, aber ich denke, er wird später sowieso mit dir reden wollen.“

„Das bezweifle ich nicht. Wenn wir eine Tochter hätten, würde ich jeden Mann in Stücke reißen, der sie schwängern würde, ohne sie heiraten zu wollen.“

Emma wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Einerseits rührte sie der Beschützerinstinkt, den Chase für ihr ungeborenes Kind zeigte. Andererseits befürchtete sie, dass er ein Vater mit Kontrollzwang sein würde – so wie ihr Vater, wenn er ausnahmsweise mal nicht mit der Arbeit beschäftigt war.

„Was ist?“, fragte Chase.

„Nichts. Ich habe nur an meinen Vater denken müssen.“

„Du siehst aber nicht glücklich dabei aus.“

„Ist eine alte Geschichte – kaum der Rede wert.“

„Ich glaube, ich weiß, was ist. Schließlich bin ich auch bei einem Vater groß geworden, der von seiner Arbeit besessen gewesen ist.“

Plötzlich haben wir beide anscheinend mehr Gemeinsamkeiten als Gegensätze, dachte Emma, als sie vor dem Restaurant parkten. Ein Angestellter öffnete Emmas Tür, um ihr beim Aussteigen behilflich zu sein, und nahm mit unverhohlener Begeisterung den Wagenschlüssel von Chase entgegen.

Als sie eintraten, wurden sie vom Oberkellner begrüßt. „Willkommen im Jacques’, Mr Larson, Ms Worth“, sagte Henri. „Ihr Separee ist bereit.“

„Separee?“, fragte Emma verwundert.

Chase nickte. „Nichts ist gut genug für unser erstes Date.“

„Erstes Date?“ Unwillkürlich musste sie lachen.

„Ist schon komisch, nicht wahr?“, gestand er lächelnd.

„Ziemlich.“ Was für ein seltsames Gefühl – das hier war tatsächlich ihr erstes Date, wenn man einmal von den vierundzwanzig Stunden absah, die sie im November miteinander verbracht hatten.

Henri begleitete sie durch den eleganten Speisesaal, von dem aus man einen freien Blick auf den Pazifik hatte. Auf den elegant eingedeckten Tischen funkelten Silberbesteck und Kristallgläser um die Wette. Auf der anderen Seite des Raumes befand sich eine große Glastür, die in einen kleinen Raum mit zwei gläsernen Wänden führte, durch die man die Stadt und das Meer sehen konnte. Kerzen verströmten behagliches Licht, und die elfenbeinfarbene Tischdecke war mit rubinroten Rosenblättern und einem prachtvollen Blumenarrangement dekoriert.

Nachdem Henri ihnen die Spezialitäten des Hauses ausführlich beschrieben hatte, ließ er ihnen die Menükarten da und ging – offensichtlich ein wenig verwundert, weil Chase keinen Wein ordern wollte.

„Du kannst ruhig was trinken“, meinte Emma, als sie allein waren.

„Mineralwasser reicht völlig“, erwiderte er und sah sich in dem Zimmer um. In einem Kamin brannte ein gemütliches Feuer. „Ich habe gehört, dass sie diesen Raum bei schönem Wetter öffnen.“

„Ja, sie entfernen dann die Fensterscheiben. Und für besondere Anlässe arrangieren sie sogar einen Tisch direkt am Strand.“

„Ja, das haben sie mir für heute Abend auch angeboten, aber ich finde, es ist ein bisschen zu kalt dafür. Außerdem bevorzuge ich meinen Seebarsch ohne Sand – es ist nämlich ziemlich windig.“

Emma lachte. „Ich finde es hier sehr schön – besonders das Kaminfeuer.“

„Ich bin froh, dass es dir gefällt.“ Er nahm ihre Hand in seine. „Übrigens siehst du fantastisch aus. Ich bin mir nicht sicher, ob dein Kleid orangefarben oder rot ist.“

„Dunkelorange, um genau zu sein. Danke.“ Das war eins ihrer Lieblingskleider. Es hatte keine Träger und brachte ihre Brüste besonders gut zur Geltung. Der federleichte Chiffonstoff reichte ihr bis zu den Fußknöcheln. „Ich habe erst befürchtet, dass es vielleicht zu kalt dafür ist. Aber mit dem Feuer ist es sehr angenehm.“ Emma sah auf ihre verschränkten Finger, bevor sie Chase neugierig musterte und vorsichtig ihre Hand fortzog. „Was willst du eigentlich mit dieser Einladung erreichen?“

„Erreichen?“

„Du bist Geschäftsmann, Chase, was bedeutet, dass du einen Plan hast“, meinte sie leicht amüsiert. „Männer wie du haben doch immer einen Plan.“

Er lehnte sich zurück. „Was meinst du damit?“

„Mit: Männer wie du?“

Er nickte.

„Männer wie du, Dad und Rafe. Ihr denkt, die Welt ist eine gigantische Auster, und ihr wollt an die große Perle in der Mitte heran. Einige Männer hacken planlos drauflos, andere sitzen da und warten ab. Wieder andere …“

„Wie ich, dein Vater und Rafe“, ergänzte er.

„Genau. Geschäftsleute wie ihr haben immer einen Angriffsplan.“ Sie nahm einen Schluck Wasser. „Lässt du mich an deinem teilhaben?“

„Klar.“ Er klappte die in Leder gebundene Speisekarte auf und begann zu lesen. „Ich plane, dich zu verführen.“

„Wirklich?“

„Wirklich.“ Mit gehobenen Augenbrauen sah er über den Rand der Karte zu Emma. „Und wie stelle ich mich bisher an?“

„Ganz gut“, gestand sie. „Aber es ist ja auch noch sehr früh.“

„Wenn das so ist, warte ich bis zur Vorspeise.“

Die mit Krabben gefüllten Artischockenherzen waren dann auch wirklich köstlich, und hätte Emma den Fehler begangen, Wein dazu zu trinken, hätte sie der Versuchung kaum widerstehen können, auf der Stelle Sex mit Chase zu haben. Da sie wegen ihrer Schwangerschaft jedoch gänzlich auf Alkohol verzichtete, gelang es ihr, ihre Lust im Zaum zu halten. Zumindest größtenteils.

Sie teilten die einzelnen Gänge der Menüs miteinander, was das Gefühl der Vertrautheit zwischen ihnen steigerte. Die ganze Zeit über wartete Emma darauf, dass Chase den ersten Schritt unternahm.

„Du bist also ein Einzelkind. Kein Wunder, dass man dir das Image einer Prinzessin angehängt hat“, bemerkte er.

Sie aß den letzten Happen Seebarsch und bereitete sich auf eine Reihe von Fragen vor. Vermutlich waren Ana Rodriguez und ihre Eltern die einzigen Menschen, die Emmas wahre Geschichte kannten. Sie hielt ihre Gefühle unter Kontrolle und schenkte Chase ein reserviertes Lächeln – das Lächeln der Prinzessin Worth. „Da liegst du falsch. Ich habe einen Bruder, der fünf Jahre älter ist. Und ich habe drei Cousins“, fügte sie in der Hoffnung hinzu, Chase mit diesen Informationen ablenken zu können.

„Und dein Bruder?“, fragte Chase unbeirrt. „Ich glaube nicht, dass ich ihm je begegnet bin.“

„Das kannst du auch nicht. Er wohnt nicht hier.“

„Er arbeitet also nicht für deinen Vater?“

„Richtig.“

„Warum nicht?“

„Du bist sehr direkt, weißt du“, sagte Emma vorwurfsvoll.

„Ich tue, was immer nötig ist, um an Informationen zu gelangen“, erwiderte er.

„Dann musst du dich mit der Kurzfassung begnügen.“ Emma schob ihren Teller zur Seite und setzte sich aufrecht hin. „Mit fünfzehn ist mein Bruder auf ein Internat gekommen. Da habe ich ihn zum letzten Mal gesehen.“

Chase wirkte aufrichtig entsetzt. „Entschuldige, Emma. Das tut mir leid. Was ist denn passiert?“

Es war nur logisch, dass er das wissen wollte – viele Leute in Vista del Mar hätten alles für eine Antwort darauf gegeben. „Kurz nach dem Tod meiner Mutter …“ Sie stockte, denn sie konnte plötzlich nicht weitersprechen.

Chase stand auf und hockte sich neben sie. „Verdammt, Emma. Fang jetzt nicht an zu weinen. Du brauchst nichts erzählen, wenn es dich aufregt.“

Verzweifelt versuchte sie, ihre Tränen zu unterdrücken. Dieses Mal konnte sie nicht die Hormone für ihre Traurigkeit verantwortlich machen. „Es tut sehr weh, und ich rede niemals darüber.“

„Ganz wie du willst, Liebling.“ Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und drückte sie beschwichtigend. „Mich stört es kein bisschen, wenn du es mir nicht erzählen willst.“

Sie erschauerte wohlig bei seiner Berührung, doch gab dem Verlangen nicht nach, das in ihr aufzusteigen begann. Es wäre zu einfach, sich ihm hinzugeben im Rausch der Leidenschaft. Doch dieser Weg wäre tückisch und voller unvorhersehbarer Konsequenzen. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit auf einen Wassertropfen am Rand ihres Glases, um ihre Beherrschung wiederzuerlangen. Doch es half nichts – die Vergangenheit holte sie ein und ließ sie frösteln. Möglicherweise war es an der Zeit, ihre Familiengeschichte – so schmerzhaft sie auch sein mochte – einem anderen Menschen zu erzählen. Chase war hier und bereit, ihr zuzuhören. Wenn auch nur der Schimmer einer Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft für sie beide bestand, würde Emma ihre Schutzschirme senken und lernen müssen, Chase zu vertrauen. „Meine Mutter und mein Bruder haben sich sehr nahgestanden“, begann sie. „Mein Bruder hat meinen Vater für den Tod unserer Mutter verantwortlich gemacht.“

„Weshalb?“

Emma schob den Stuhl zurück, stand auf und ging zum Feuer. Unerklärlicherweise war ihr plötzlich eiskalt, und sie wärmte ihre Hände über den Flammen. Als ihr auffiel, wie sehr sie zitterten, zog sie sie rasch wieder zurück und hoffte, dass Chase nichts bemerkt hatte. Unglücklicherweise war er ein aufmerksamer Beobachter und leistete ihr Gesellschaft. Er legte ihr einen Arm um die Taille und zog sie an sich. „Ich kann mir vorstellen, wie schwer dir das fällt.“

Sie lehnte ihr Gesicht an seine Schulter. Wie oft hatte sie sich danach gesehnt, sich an jemandem anzulehnen, der die Frau unter der glitzernden Fassade sah! Eine Frau voller Begierden und der Fähigkeit zu leidenschaftlicher Liebe. Sie schmiegte sich an ihn und spürte widerstrebend, wie sehr sie zueinandergehörten.

„Du bist Rafes Bruder“, erklärte sie mit erstickter Stimme. „Ich weiß nicht, ob ich dir das tatsächlich erzählen will.“

„Glaubst du wirklich, dass ich ihm gegenüber etwas von unserem Gespräch erwähne?“, fragte er irritiert.

Sie hasste es, die Kluft zwischen ihnen beiden größer werden zu lassen – doch ihr blieb keine Wahl. „Ich bin mir nicht sicher“, erwiderte sie. „Wenn es Rafe bei dem Deal helfen könnte …“ Sie verstummte und zuckte hilflos mit den Schultern.

„Lass uns das mal richtigstellen“, sagte Chase. „Ich schwöre dir, nichts von dem, was du mir erzählst, an Rafe weiterzugeben.“

Er sah dabei so aufrichtig aus, dass Emma ihm einfach vertrauen musste. Schließlich war er der Vater ihres Kindes – und der heutige Abend konnte der Beginn von ihrem neuen Leben werden. Außerdem fand sie Chase wahnsinnig attraktiv – das war ihr mit keinem Mann zuvor so ergangen. Es würde bestimmt nicht viel nötig sein, um diese Anziehungskraft in etwas Tieferes zu verwandeln – in Liebe möglicherweise.

„Okay, ich vertraue dir“, entgegnete sie und stellte verwundert fest, dass sie es auch tat.

„Warum hat dein Bruder deinen Vater für den Tod deiner Mutter verantwortlich gemacht?“, wiederholte Chase seine Frage und hielt Emma wieder fest im Arm.

„Meine Mutter ist an einer Überdosis gestorben.“

„Oh, verdammt“, brachte er entsetzt hervor.

„Sie …“ Emma hatte sich den Erinnerungen zu stellen, die sie in den vergangenen Jahren so erfolgreich unterdrückt hatte. „Sie und Dad hatten furchtbar gestritten. Mom hatte ihm vorgeworfen, er würde sie betrügen.“

„Und, hat er das?“

Emma zuckte mit den Schultern. „Ich bin neun gewesen, woher soll ich das wissen? Aber meine Mutter hat das Wort wieder gebraucht – deswegen vermute ich, dass es nicht zum ersten Mal in ihrer Ehe geschehen war. Überflüssig zu erwähnen, dass es eine furchtbare Szene deswegen gegeben hat.“

„Bist du dabei gewesen?“

„Ja, mein Bruder und ich. Nach dem Streit ist mein Vater aus dem Haus gegangen, angeblich weil er ein Geschäftsessen hatte. Kurz danach hat Mom die Schlaftabletten genommen. Wir wissen nicht, ob es ein Unfall oder Selbstmord gewesen ist. Wir werden es wohl nie erfahren. Aber mein Bruder hat sie damals gefunden, den Notarzt gerufen und ist ins Krankenhaus mit ihr gefahren.“

„Und wer ist bei dir geblieben?“

„Die Haushälterin.“

„Anas Mutter?“

„Nein. Sie hat erst bei uns angefangen, nachdem mein Bruder auf das Internat geschickt worden war.“ Nachdenklich runzelte sie die Stirn. „Komisch. Ich kann mich nicht mehr an den Namen der Haushälterin erinnern. Einen Tag nach Moms Tod hat sie gekündigt. Wir hatten noch eine Reihe anderer, bevor mein Dad endlich Nilda und Juan eingestellt hatte.“

„Und dann hast du dich mit Ana angefreundet.“

„Nicht nur angefreundet – wir sind wie Schwestern.“

Unglaublich zärtlich strich er ihr über die Wange. „Und du hattest jemanden gefunden, der die Lücke füllen konnte, die deine Mutter und dein Bruder hinterlassen hatten.“

So hatte sie das noch nie betrachtet. „Vermutlich“, gestand sie.

„Und du hast deinem Vater nicht die Schuld gegeben. Wie auch.“

„Ich verstehe nicht ganz“, meinte Emma verwirrt.

„Hättest du es getan, dann hätte er dich auch fortgeschickt. Deshalb bist du Daddys Prinzessin geworden.“

Sie schreckte zurück. So viel zum Thema, Chase vertrauen zu können. Er verstand überhaupt nichts. Wie sollte er auch? Schließlich war er durch und durch Geschäftsmann. „Möglicherweise kann man das so sehen“, sagte sie zurückhaltend. „Ich jedenfalls erinnere mich nicht daran, dass es so gewesen ist.“

„Na gut.“

„Ich habe dir nur verständlich machen wollen, warum ich dich nicht heiraten werde.“

„Und warum?“

„Ich habe selbst erlebt, was geschehen kann, wenn eine Ehe schiefgeht. Meine Mutter ist tot, mein Vater und mein Bruder sind völlig zerstritten. Und ich verfüge über mehr Geld, als ich ausgeben kann – aber auf meine Gefühle ist nie eingegangen worden. Das werde ich meinem Kind bestimmt nicht antun.“

„Die Geschichte muss sich nicht zwangsläufig wiederholen.“

„Das stimmt – dafür werde ich sorgen.“ Sie ging zum Tisch, um ihre Tasche und ihren Umhang zu nehmen, bevor sie sich zu Chase umdrehte. „Aus diesem Grunde werde ich dich niemals heiraten, Chase.“

„Wir sind nicht wie deine Eltern“, widersprach er verärgert.

„Das stimmt, ändert aber nichts an meiner Antwort.“ Sie ging auf die Glastür zu, die in das Restaurant führte. „Vielen Dank für das Dinner. Es ist hervorragend gewesen. Doch wenn du nichts dagegen hast, würde ich jetzt gern nach Hause fahren.“

6. KAPITEL

Emma blieb lediglich eine Nacht Zeit, um sich Gedanken darüber zu machen, wie sie ihrem Vater möglichst schonend ihre Schwangerschaft beichten konnte. Und am nächsten Morgen war dann tatsächlich die Hölle los – allerdings hatte das nichts mit ihrem Baby, sondern vielmehr mit Gillian Mitchells Artikel in der Morgenausgabe der Seaside Gazette zu tun.

„Emma!“, rief Ronald. „Verdammt, Emma! Was zur Hölle hast du da getan?“

Sie betrat den Frühstücksraum und sah gerade noch, wie ihr Vater die erlesene Porzellantasse auf die Untertasse schmetterte, sodass beides zu Bruch ging. Kaffeeflecken breiteten sich auf dem edlen Leinen aus. Nilda würde das gar nicht freuen.

„Du hast nach mir gerufen?“, fragte Emma im unschuldigen Tonfall.

Ronald fuchtelte mit der Zeitung in der Luft herum. „Was verdammt noch mal ist das?“

„Eine Zeitung?“

Sein Gesicht verfärbte sich rot. „Werd bloß nicht frech. Ich meine diesen unverschämten Artikel von dieser Mitchell. Sie bezeichnet dich als eine ihrer Quellen.“

Emma blieb lange genug vor ihrem Vater stehen, um ihm einen Kuss auf die Stirn zu geben. „Ich habe den Artikel noch nicht gelesen“, gestand sie. „Deswegen kann ich nichts dazu sagen. Aber vor ein paar Tagen habe ich mit Gillian gesprochen und meine Bedenken wegen des Verkaufs von Worth Industries geäußert.“

„Das geht dich nichts an“, erklärte ihr Vater entschieden und klopfte mit dem Zeigefinger auf den Kaffeefleck, um seine Worte zu untermauern. „Dieser Handel ist einzig und allein eine Sache zwischen mir, Rafe und ein paar überbezahlten Beratern. Bleib du gefälligst bei deiner Wohltätigkeitsarbeit.“

Emma versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie die Worte ihres Vaters verletzten. „Der Verkauf betrifft die ganze Stadt, denn was Rafe mit dem Unternehmen vorhat, wird nicht unerhebliche wirtschaftliche Folgen für Vista del Mar haben“, sagte sie mit ruhiger Stimme. „Ich habe also das Recht, meine Meinung zu äußern, egal ob es dir, Rafe oder den überbezahlten Beratern passt oder nicht.“ Sie bedachte ihren Vater mit einem eisigen Blick. „Und ich wünsche nicht, dass du meine Arbeit für einen wohltätigen Zweck in einem so respektlosen Tonfall erwähnst.“

„Das ist doch keine richtige Arbeit“, widersprach er.

Diesen Streit hatten sie schon früher geführt, doch Emma hatte sich vorgenommen, keinen Zentimeter von ihrer Meinung abzuweichen. Sie hatte ja gesehen, wohin das ihre Mutter geführt hatte. „Richtig, es ist keine bezahlte Arbeit. Aber sie ist genauso wichtig wie deine Arbeit für das Unternehmen. Ich helfe Menschen, wieder auf die Beine zu kommen und sich eine eigene Existenz aufzubauen – und das kann ich ohne Bezahlung tun, weil ich glücklicherweise genügend Geld habe.“

„Du könntest Worth Industries leiten. Nein, du solltest sie sogar leiten.“

Ihr entging nicht, wie verletzt ihr Vater war. „Ach, Dad. Ich weiß, wie sehr es dich schmerzt, dass deine Kinder kein Interesse an der Firma haben.“

„Einer von euch könnte aber doch noch Gefallen daran finden“, meinte er.

Sie konnte nicht glauben, dass er immer noch diese Hoffnung hegte. „Tut mir leid, Daddy. Das wird nicht geschehen. Wir müssen unser eigenes Leben führen. Wenn es das ist, was du willst, dann verkauf eben. Aber ich bitte dich – beschütze deine Angestellten.“

Tia, das Hausmädchen, trat in den Raum und servierte Emmas Frühstück, nachdem sie den Tisch frisch eingedeckt hatte. Sobald sie das Zimmer verlassen hatte, schlug Ronald mit der Zeitung auf den Tisch. „Und jetzt sprechen wir über das Interview …“

„Ich möchte nichts darüber sagen, solange ich es nicht gelesen habe. Allerdings müssen wir über etwas anderes sprechen.“ Sie zögerte. „Es ist wichtig, Dad.“

Das musste man ihm lassen, Ronald konnte von einem Moment zum anderen vom Geschäftsmann zum Vater werden. Er legte die Zeitung beiseite und blickte seine Tochter besorgt an. „Ist alles in Ordnung?“, fragte er. „Ist Larson gestern Abend aufdringlich geworden?“

„Mir geht es gut, und natürlich hat Chase sich tadellos benommen.“ Die perfekten Worte für das, was sie erklären musste, gab es einfach nicht. „Dad, Chase und ich kennen uns von früher“, begann sie.

Ronald griff nach der Kaffeetasse. „Das hast du nie erwähnt.“

„Bis vor Kurzem hat es dafür auch keinen Grund gegeben.“

Ihr Vater trank einen Schluck Kaffee und schaute nachdenklich drein. „Und was ist vor Kurzem geschehen?“

Sie atmete tief durch. „Ich bin schwanger, Dad.“

Die Kaffeetasse entglitt Ronalds Fingern und zerschmetterte abermals die Untertasse. „Du bist, was?“

Wieder war das Tischtuch voller Kaffeeflecke, wie Emma frustriert feststellte. Nilda würde sicher sehr ungnädig reagieren. „Es war nicht geplant. Aber es ist nun mal passiert, und Chase und ich versuchen, die Situation in den Griff zu bekommen.“

„Ich sage dir jetzt mal, wie ihr die Situation in den Griff bekommt“, brüllte ihr Vater. „Ihr werdet so schnell wie möglich heiraten.“

„Dad, bitte, denk an dein Herz.“

Er befolgte ihren Rat und nahm eine Herztablette. „Wie konntest du nur schwanger werden?“, fragte er, nachdem er sich wieder beruhigt hatte.

„Wie man eben schwanger wird.“ Als das Gesicht ihres Vaters sich abermals rot verfärbte, wurde Emma allerdings versöhnlicher gestimmt. „Chase und ich haben uns kurz vor Thanksgiving in New York getroffen und haben uns zueinander hingezogen gefühlt“, erklärte sie. „Ich weiß noch nicht lange, dass ich schwanger bin.“

„Weiß Larson davon?“

„Ja. Wie ich bereits schon sagte – wir suchen eine Lösung für unsere Lage.“

Bevor Ronald etwas darauf erwidern konnte, wurde an die Eingangstür geklopft, und Tia öffnete die Tür.

„Wo ist sie?“, erklang Chases Stimme im Foyer.

„Wo soll wer sein, Señor?“, fragte Tia furchtsam.

„Emma Worth.“ Schritte waren zu hören. „Emma? Wo zum Teufel steckst du? Wir müssen das ein für alle Mal klären.“

„Wenn man vom Teufel spricht“, murmelte Emma und schob den Stuhl zurück.

„Ist er das?“ Ronald sprang auf. „Ich bringe ihn um.“

Sie stellte sich ihrem Vater in den Weg und legte ihm die Hände auf die Brust. „Nein, das wirst du nicht, Wir drei werden uns wie Erwachsene miteinander unterhalten. Warum gehen wir nicht in dein Arbeitszimmer?“

Sie trafen Chase im Foyer, und Emma stellte sich zwischen die beiden Männer. „Dein Timing ist wie immer perfekt, Chase“, sagte sie. „Ich habe es Dad gerade erzählt.“

Er blickte von ihr zu ihrem Vater. „Ich schätze, es ist nicht so gut gelaufen“, vermutete er.

„Gut geraten.“ Sie deutete auf das andere Ende des Flurs. „Wir wollten gerade im Arbeitszimmer darüber sprechen. Ich bitte Tia, uns Kaffee zu bringen.“ Sie sah über die Schulter zu dem wartenden Dienstmädchen. „Nehmen Sie dieses Mal nicht das teure Porzellan, bitte.“

„Nein, Ms Emma“, sagte Tia mit dem Anflug eines Lächelns.

Chase marschierte in Ronalds Arbeitszimmer auf und ab wie ein gefangener Löwe. Dieser Tag hatte miserabel begonnen und versprach nicht, besser zu werden. Der Morgen hatte mit Rafes Anruf begonnen, in dem er ihn aufgebracht aufgefordert hatte, diese Situation zu bereinigen.

Daraufhin hatte Chase nämlich die aktuelle Ausgabe der Seaside Gazette zur Hand genommen und Gillian Mitchells flammend geschriebenen Artikel gelesen – was seine Laune nicht unbedingt verbessert hatte. Er hatte unbedingt ein Wörtchen mit Emma zu reden – und nicht damit gerechnet, dass er es auch mit ihrem Vater zu tun bekommen würde.

Sobald Emma die Tür des Arbeitszimmers hinter ihnen geschlossen hatte, drehte Ronald Worth sich mit geballten Fäusten zu Chase um. Er machte keinen Hehl aus seiner Wut. „Du heiratest diesen Bastard, hörst du, Emma? Ich lasse nicht zu, dass ihr den Namen Worth in den Dreck zieht, weil ihr nicht aufgepasst habt.“

Chase trat einen Schritt auf Ronald zu. „Nennen Sie mich nie wieder einen Bastard“, sagte er mit eisiger Stimme.

„Aber das bist du doch, oder etwa nicht? Barrons Bastard.“ Ronald hob abwehrend die Hände. „Okay, habe schon verstanden. Ich würde auch nicht wollen, dass man mich so nennt. Deswegen will ich auch vermeiden, dass mein Enkel unehelich aufwächst.“

„Ganz meine Meinung.“

Ronald öffnete den Mund und schloss ihn wieder. „Augenblick mal. Du bist meiner Meinung?“

„Ich bin nicht derjenige, der hier Schwierigkeiten macht. Das ist Ihre Tochter.“

Ronald drehte sich augenblicklich zu ihr um. „Emma?“

Trotzig hob sie das Kinn. „Ich bin nicht der Meinung, dass Heirat die einzige Option ist. Nur weil man Chase einen Bastard genannt hat, muss das meinem Kind nicht auch widerfahren.“

„Unserem Kind“, erinnerte Chase sie.

Ronald griff sich ins Haar. „Hast du den Verstand verloren? Was sollen wir deiner Meinung nach tun? Abwarten und sehen, was passiert?“, rief er. „Wenn der Schaden erst einmal angerichtet ist, ist es zu spät.“

„Wir warten nur so lange, bis ich Emma davon überzeugt habe, dass eine Ehe die beste Lösung ist“, meinte Chase.

„Gut, gut.“ Ronald nickte. „Ich schlage euch beiden Folgendes vor …“

„Allerdings besprechen wir das nicht mit Ihnen“, beendete Chase seinen Gedanken.

„Moment mal!“, rief Worth empört.

Doch Chase hatte nicht vor, dem älteren Mann Gelegenheit zum Diskutieren zu geben. „Ronald, glauben Sie mir, dass Emma und ich die beste Lösung finden werden. Sobald wir zu einer Entscheidung gekommen sind, werden wir Sie darüber in Kenntnis setzen.“ Er machte eine kurze Pause. „Aber deswegen bin ich heute gar nicht hier.“

„Das mag wohl sein, aber wir werden verdammt noch mal über diese Angelegenheit jetzt sprechen!“, widersprach Ronald und ging auf seine Tochter zu. Chase stellte sich ihm in den Weg, und der aufgebrachte Vater blieb stehen. „Wenn Emma schwanger ist, dann wirst du sie heiraten, und damit basta!“, beharrte er.

Chase schüttelte den Kopf. „Nein. Alle Entscheidungen bezüglich des Babys werden ausschließlich von Emma und mir getroffen. Außerdem habe ich nicht vor, dieses Gespräch auch nur eine Sekunde länger zu führen.“ Er sah zu Emma, die abwehrend die Arme verschränkt hatte. „Eigentlich bin ich hier, um mit dir über den Artikel in der Seaside Gazette zu reden.“

Ronald schien auch dieses Thema recht zu sein, und bekräftigend wedelte er mit der Zeitung, die er immer noch in den Händen hielt, in der Luft herum. „Richtig, das hatte ich fast vergessen. Warum hast du dieser Frau ohne meine Erlaubnis ein Interview gegeben?“

„Ich verstehe“, sagte sie mit gehobenen Augenbrauen. „Dieses Thema ist euch beiden anscheinend wichtiger als alles andere.“

„Es ist nicht das Wichtigste“, entgegnete Chase. „Aber das Einzige, worüber ich in der Gegenwart deines Vaters mit dir rede. Weshalb in Gottes Namen hast du dich zu solchen Bemerkungen hinreißen lassen? Was hast du dir bloß dabei gedacht?“

„Was ich mir dabei gedacht habe?“, wiederholte sie verärgert. „Beispielsweise, dass ich Rafe Cameron nicht über den Weg traue. Ich habe an die Angestellten bei Worth Industries und daran gedacht, was Rafe mit ihnen machen wird. Ich habe daran gedacht, dass ihr feinen Geschäftsleute die Arbeiter völlig vergessen habt.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Und jetzt sagt mir bitte, wie ihr meine Bedenken zerstreuen wollt.“

„Ich habe dir bereits erklärt, dass dich das gar nichts angeht“, begann Ronald.

„Natürlich geht mich das was an“, unterbrach sie ihren Vater. „Es geht uns alle was an. Unsere Angestellten machen sich Sorgen um ihre Arbeitsplätze. Woher sollen wir wissen, ob Cameron die Firma hier in der Stadt behält und nicht ins Ausland verlegt?“

Chase war um einen unbeteiligten Gesichtsausdruck bemüht. Wenn Emma wüsste, wie recht sie mit ihren Überlegungen hatte! Chase wusste schließlich, dass Rafe vorhatte, Worth Industries und die ganze Stadt in den Ruin zu treiben. Wenn das geschah, gäbe es kaum eine Chance für Chase und Emma, eine Beziehung zu führen.

„Was würde dich davon überzeugen, dass Rafe es ehrlich meint?“, fragte Ronald.

„Es wäre schön, wenn er es schriftlich garantieren würde.“

Chase hätte beinahe aufgestöhnt. Er musste das Gespräch augenblicklich in andere Bahnen lenken. „Solche schriftlichen Zugeständnisse sind nicht praktikabel“, erklärte er. „Du kannst Rafe nicht zwingen, alle Arbeitsplätze zu erhalten, wenn er das Unternehmen modernisieren will. Veränderungen sind unvermeidbar. Und wenn Worth Industries ihm erst einmal gehört, hat er auch das Recht dazu.“

„Das stimmt“, bestätigte Ronald beinahe entschuldigend.

Mit entschlossenem Gesichtsausdruck sah Emma die beiden Männer an. „Dann rate ich euch beiden, dass ihr euch etwas einfallen lasst, um die Einwohner von Vista del Mar zu überzeugen – denn sonst wird die ganze Stadt wegen des Verkaufs in Aufruhr sein.“

„Deinetwegen“, konnte Chase sich nicht verkneifen zu sagen.

Sie lächelte. „Ist mir ein Vergnügen.“

Chase sah zu Worth. Verdammt, er konnte förmlich sehen, wie der andere Mann den Forderungen seiner Tochter nachzukommen gedachte. „Ronald? Würden Sie uns entschuldigen, damit ich unter vier Augen mit Emma sprechen kann?“

Worth zögerte zunächst und öffnete dann widerwillig die Tür, vor der bereits Tia mit einem Tablett stand. „Kaffee?“, fragte sie.

„Stellen Sie ihn auf den Tisch“, bat Emma. „Dad, möchtest du eine Tasse, bevor du gehst?“

Ronald schnaubte. „Bloß nicht, ich würde sie vermutlich doch wieder kaputt schlagen. Redet ihr beide nur. Ich gehe in die Küche und höre mir Nildas Gejammer wegen des zerschlagenen Porzellans an.“

Sobald ihr Vater und das Dienstmädchen den Raum verlassen hatten, schenkte Emma Chase eine Tasse Kaffee ein und reichte sie ihm. Er stellte sie sofort wieder auf das Tablett. „Damit hältst du mich auch nicht auf Abstand“, meinte er.

„Ich wollte nur höflich sein.“

In diesem Moment klingelte Chases BlackBerry. Als Chase sah, dass es Rafe war, stellte er die Mailbox ein und steckte das Telefon zurück in die Tasche. Dann wandte er sich Emma zu, die ihn amüsiert ansah.

„Was ist?“, fragte er.

„Du hast einen anderen Klingelton, richtig?“

Er ahnte, worauf sie hinauswollte, und lachte. „Sag jetzt bloß nicht, dass du wieder denselben hast?“

Sie nickte. „Doch.“

Chase streckte ihr die Hand entgegen. „Komm her.“

Sie kam seiner Aufforderung sofort nach und schmiegte sich an ihn. Dort gehört sie hin – dicht an mein Herz, dachte Chase. Es fühlte sich gut an, wie ihre Kurven sich seinem Körper anpassten. „Wie schlimm ist es gelaufen?“, erkundigte er sich.

„Ziemlich schlimm“, murmelte sie, die Lippen an seiner Schulter. „Aber nicht so furchtbar, wie ich befürchtet hatte. Du bist gerade rechtzeitig gekommen.“

„Ich hätte bei dir sein sollen, als du es deinem Vater erzählt hast.“ Er steckte eine seidige Lockensträhne hinter ihrem Ohr fest und strich ihr sanft über die Wange.

„Das bist du doch auch.“

Da er unfähig war, der Versuchung zu widerstehen, küsste er sie. Sie schlang ihm die Arme um den Nacken und gab sich seiner Umarmung voller Leidenschaft hin. Während er ihre Nähe genoss, fragte er sich – wohlig erschauernd –, wie es wohl sein mochte, jeden Morgen an ihrer Seite aufzuwachen. Mit ihr jeden Abend ins Bett zu gehen. Bei ihr zu sein, wenn ihr Kind geboren wurde, und es auf seinem Lebensweg zu begleiten. In seiner Kindheit war ihm vieles nicht vergönnt gewesen – und er wollte unbedingt, dass sein Kind es besser hatte. Deswegen musste es ihm gelingen, Emma davon zu überzeugen, dass sie zusammengehörten. Widerstrebend zog sie sich ein Stück zurück und sah zu ihm auf. Ihr sinnlicher Blick forderte Chase dazu heraus, sie zu dem Sofa zu tragen, um sich ihrem Verlangen hinzugeben. Lediglich der Gedanke daran, dass Worth jederzeit den Raum betreten könnte, hielt Chase davon ab.

„Was werdet ihr also unternehmen, um den Angestellten von Worth Industries ihre Arbeitsplätze zu sichern?“, wollte sie wissen.

Er seufzte. Diese Frau hatte die Beharrlichkeit einer Bulldogge – und er ahnte, wem sie diese Eigenschaft verdankte. „Ich spreche mit Rafe darüber.“

Sie bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln. „Mach das. In der Zwischenzeit bearbeite ich Dad. Wir sind doch intelligente Menschen, und ich bin sicher, dass wir ein paar Ideen finden, um die Stadt zu schützen.“

Großartig. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Wie zur Hölle sollte er wieder aus dieser Zwickmühle kommen? Sein Besuch bei den Worths war nicht annähernd so verlaufen, wie er sich das vorgestellt hatte. Statt Dinge zurechtzurücken, hatte er sie nur noch schlimmer gemacht. Verdammt noch mal!

„Vielleicht sollten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit eher auf die bevorstehende Hochzeit richten“, meinte Chase, als sie aus dem Arbeitszimmer gingen. „Wenn du dich dafür auch so viel engagierst wie für den Deal mit Worth Industries, stellen wir vielleicht sogar etwas auf die Beine.“

„Ich fürchte, bezüglich unserer Hochzeit werden wir noch ein paar Runden verhandeln müssen“, entgegnete sie leichthin.

„Hast du nicht gesagt, dass man über die Bedürfnisse eines Kindes nicht verhandeln darf? Das möchte ich nämlich auch nicht.“ Obwohl Ronald am Ende des Flurs zu sehen war, zog Chase Emma in die Arme und küsste sie mit all der Leidenschaft, die er in diesem Moment empfand. Er meinte fast zu spüren, wie ihr Vater vor Wut zu kochen begann.

Zögernd entzog sie sich ihm. „Ich lasse mich nicht unter Druck setzen, Chase.“

„Und ich kann mich nicht ewig in Geduld üben“, warnte er sie. „Rechne damit, dass wir schon bald heiraten.“ Und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ er die Villa.

Sein nächster Halt war das luxuriöse Anwesen, das Rafe kürzlich gekauft hatte. Wie Chase hatte auch sein Bruder einen wunderbaren Blick auf das Meer.

„Und?“, fragte Rafe. „Hast du dich um die Angelegenheit gekümmert – um sie?“

„Nein.“ Chase drängelte sich hungrig an seinem Bruder vorbei in die Küche, um den Inhalt des Kühlschranks zu inspizieren.

„Was willst du damit sagen? Max liegt mir schon den ganzen Morgen in den Ohren“, erwiderte Rafe. Max Preston war zuständig für die Public Relation von Rafes Unternehmen. „Er hat ausdrücklich vor den Gefahren dieser Angelegenheit gewarnt – wir müssen ihr schnellstens Einhalt gebieten, oder unser guter Ruf könnte Schaden nehmen.“

Chase machte sich seelenruhig über eine Portion Hühnchen vom Chinesen her, die vom Vortag übrig geblieben war. Während er schweigend aß, ging Rafe nervös in der Küche auf und ab.

„Ich meine damit, dass Emma keinen Rückzieher macht“, sagte Chase schließlich. „Sie möchte Garantien dafür, dass die Arbeitsplätze gesichert sind. An ihrer Stelle würdest du dasselbe wollen.“

„Ich bin aber nicht an ihrer Stelle“, gab Rafe zurück. „Und du weißt verdammt gut, dass ich keine Garantien geben werde. Du kennst auch den Grund dafür.“

Chase zuckte mit den Schultern. „Entweder riskierst du, dass ganz Vista del Mar von deinem Vorhaben erfährt, oder aber du änderst den Plan.“

Rafe schüttelte den Kopf. „Nein, kommt nicht infrage. Wie können wir verhindern, dass die anderen Wind von der Sache bekommen, solange der Deal noch nicht über die Bühne gegangen ist?“

„Und die Leute nennen mich einen Bastard …“, sagte Chase schockiert.

„Im Gegensatz zu dir“, erwiderte Rafe, „kümmert mich nicht, wenn die Leute mich so nennen.“

„Das sagst du nur, weil du nicht unehelich geboren worden bist.“ Chase warf die leere Pappschachtel in den Mülleimer. „Sonst würdest du anders darüber denken.“

„Möglicherweise“, gab Rafe zu und ging in den Wohnbereich, wohin ihm Chase folgte, um die Tür zum Panoramabalkon zu öffnen.

„Ich brauche ein bisschen frische Luft“, erklärte er. Die Meeresbrise half ihm, den Kopf freizubekommen. Die beiden Brüder lehnten sich an die Brüstung und genossen den herrlichen Ausblick. Unwillkürlich musste Chase daran denken, wie es sein würde, ein richtiges Zuhause zu haben – einen Ort mit einer liebenden Frau und einem Kind. Doch Chase dachte nicht an irgendeine Frau und ein beliebiges Kind, sondern an Emma und ihr Baby. Dieser Gedanke brachte ihn auf eine Idee. „Weißt du noch, als Mom und Dad uns von ihren Heiratsplänen erzählt haben?“

„Ich weiß noch, wie traurig und verletzt ich gewesen bin. Mom ist damals erst drei Jahre tot gewesen.“ Rafe warf seinem Bruder einen vielsagenden Blick zu. „Ich erinnere mich auch noch gut daran, wie du mir diese Flausen im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Kopf geschlagen hast.“

„Ich habe damals gewusst, dass niemand Hannah ersetzen könnte – und dass meine Mutter es auch nicht versuchen würde“, sagte Chase. „Warum hätte sie das auch tun sollen? Sie ist selbst eine besondere Frau.“

„Ich habe eine Weile gebraucht, um das zu erkennen“, gestand Rafe widerwillig. „Sie und Dad passen perfekt zueinander.“

„Natürlich nicht so perfekt wie Hannah“, wandte Chase ein.

„Das stimmt“, meinte Rafe mit einem schwachen Lächeln. „Also, worauf willst du hinaus?“

„Ich erinnere mich noch daran, was Bob dir gesagt hat.“

„Wie es seine Art ist – auf sehr eindringliche Weise.“

„Genau. Er hat gesagt“, Chase versuchte, sich an den genauen Wortlaut zu erinnern, „dass er dir wünscht, eines Tages einen Weg zu finden, die Erinnerung an deine Mutter zu ehren, sodass die Menschen immer wissen, dass sie etwas Besonderes gewesen ist.“

„Versuchst du etwa gerade, mir meine Pläne für Worth Industries auszureden?“

„Hör zu, Rafe. Das habe ich gar nicht vor. Du hast den Leuten hier immer einen Vorwurf daraus gemacht, dass sie Hannah nicht geholfen haben, als sie krank geworden war. Warum gründest du nicht einen Wohlfahrtsverein in ihrem Namen, um das Andenken an sie in dieser Stadt am Leben zu halten? Dann werden sie dir auch abnehmen, dass du gute Absichten hast.“

„Und an was für eine Wohltätigkeitseinrichtung hast du dabei gedacht?“

„Ich weiß nicht. Emma zum Beispiel unterstützt das örtliche Frauenzentrum It’s Time. Möglicherweise kannst du die unterstützen.“

„Nein“, entgegnete Rafe. „Für meine Mutter muss es etwas Besonderes sein.“

„Okay. Hat sie sich denn für etwas eingesetzt?“

„Da hat es tatsächlich was gegeben …“ Nachdenklich schaute Rafe auf das Meer. „Sie hat spanischsprachigen Fabrikarbeitern Englischunterricht gegeben und an den Grundschulen mit Kindern gearbeitet, deren Muttersprache nicht Englisch gewesen ist. Aber am meisten hat sie sich für die Alphabetisierung von Erwachsenen eingesetzt, weil sie der Meinung war, dass nur durch Bildung der nächsten Generation auch Hoffnung gegeben werden könne.“

„Wie wär’s dann mit Hannah’s Hope?“, schlug Chase vor. „Das klingt doch gut, findest du nicht?“

„Ja, tut es.“ Rafe nickte.

„Dann sprich mit Max darüber, wie wir das für unsere Öffentlichkeitsarbeit nutzen können.“

„Das mache ich.“

„Ich muss jetzt los.“ Chase klopfte seinem Bruder auf die Schulter. „Alles klar bei dir?“

Mit einem Schlag war Rafe wieder der unnahbare Geschäftsmann. „Mir geht es gut. Aber da wäre immer noch das Problem Emma Worth.“

„Darum kümmere ich mich schon“, versprach Chase.

„Du sollst dich nicht um sie kümmern, sondern sie ablenken – um jeden Preis. Meinetwegen leihe ich dir meinen Jet, damit du sie an irgendeinen romantischen Ort fliegen kannst“, sagte Rafe und fügte drohend hinzu: „Sieh zu, dass es dir gelingt – sonst werde ich sie aus dem Weg räumen.“

„Hallo Ty? Hier ist Ronald Worth.“

„Worth! Wie schön! Ich wollte dich sowieso mal anrufen.“

Das war natürlich gelogen, aber Ronald hätte dasselbe an Tiberius Barrons Stelle gesagt. „Dein Sohn ist gerade in der Stadt, um mit Rafe Cameron den Kauf meines Unternehmens in die Wege zu leiten.“

„Das ist ja großartig. Es gibt keinen besseren Mann als Chase für so eine Sache.“

„Mag sein“, meinte Ronald. „Zu schade, dass er für die andere Seite arbeitet.“

Barron lachte leise. „Punkt für dich. Was gibt es denn? Du hast doch bestimmt einen Grund für deinen Anruf.“

„Ja, das stimmt. Ich muss etwas klären.“

Eine lange Pause folgte, dann fragte Tiberius: „Geht es um Chase?“

„Genau. Erinnerst du dich an meine Tochter Emma?“

„Leider habe ich sie nie persönlich kennengelernt, aber du hast mir Fotos von ihr gezeigt. Ein wunderschönes Mädchen, Ronald, das dem Namen Worth alle Ehre macht.“

„Bis dein Sohn ins Spiel gekommen ist.“

„Dieser Mistk…“, fluchte Tiberius. „Was hat er jetzt wieder angestellt?“

Autor

Day Leclaire
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