Die Unschuld der Rose

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Es gibt nur einen, der Grace Thackers junges Unternehmen jetzt noch retten kann: der attraktive Milliardär Rafael Cordeiro. Als sie ihn auf seinem Luxusanwesen in Brasilien besucht, macht er ihr ein Angebot - ebenso unverschämt wie gefährlich prickelnd: Rafael erklärt sich bereit, sie zu unterstützen - allerdings nur, wenn sie bei ihm bleibt und seine Geliebte wird -


  • Erscheinungstag 16.12.2007
  • Bandnummer 1796
  • ISBN / Artikelnummer 9783863494933
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Was um alles in der Welt mache ich hier eigentlich?

Der Hubschrauber flog so niedrig über die Bäume hinweg, dass Grace ein flaues Gefühl im Magen verspürte.

Unter ihr erstreckte sich tropischer Regenwald. Die Pflanzen bildeten einen dichten grünen Schirm, der die exotischen Geheimnisse des Waldbodens verbarg. Zu jeder anderen Zeit wäre sie von der wilden atemberaubenden Schönheit der Natur fasziniert gewesen. Aber im Moment war Grace viel zu angespannt, als dass sie an etwas anderes als das vor ihr liegende Meeting denken konnte. Und an den Mann.

Warum trug sie überhaupt dieses viel zu warme und kratzige Kostüm? Schließlich lieferte sie sich in Brasilien der Gnade eines Mannes aus, dem nicht einmal die Bedeutung dieses Wortes klar war: Gnade.

Rafael Cordeiro.

Brillant und gefährlich. Ihr fielen viele Adjektive ein. Aber keines hatte einen beruhigenden Klang. Cordeiro war unfassbar reich und verfügte über mehr Macht und Einfluss als Könige oder Präsidenten. Mit Zahlen konnte er so gut umgehen, dass die Wirtschaftszeitungen ihn als wandelnden Computer bezeichneten. Was in Anbetracht meiner fast allergischen Reaktion auf Technik nichts Gutes verheißt, dachte Grace trübsinnig, während sie sich an ihrem Sitz festklammerte.

Unter ihnen entdeckte sie nun weniger Bäume, sie gaben den Blick frei auf einen tosenden, weiß aufschäumenden Fluss. „Er besitzt Grundstücke auf der ganzen Welt“, wandte sie sich auf der Suche nach Antworten an den Piloten. „Warum lebt er ausgerechnet hier?“

„Weil die Welt ihn nicht in Ruhe lässt. Er schätzt seine Privatsphäre.“

Das passte zu dem, was sie bisher über ihn gehört hatte. Obwohl er nie Interviews gab, herrschte an Informationen über ihn kein Mangel. „Ist er ein Einzelgänger?“

„Nun, ich würde ihn nicht gerade als weich und romantisch bezeichnen, falls Sie das meinen. Allerdings scheinen Frauen sich von bösen Jungs wie magisch angezogen zu fühlen.“ Der Pilot drückte auf einen Schalter und warf ihr einen Seitenblick zu. „Sie entsprechen nicht seinem üblichen Geschmack.“

Seinem üblichen Geschmack?

Bei der Vorstellung, dass man sie tatsächlich mit der Gespielin eines Milliardärs verwechseln könnte, hätte Grace beinahe gelacht. „Ich habe einen geschäftlichen Termin mit Mr. Cordeiro. Er hat das Startkapital für meine Firma zur Verfügung gestellt.“ Und dieses Kapital hatte ihr Leben verändert. „Er ist das, was man als Business Angel bezeichnet, ein wahrer Engel für Unternehmensgründer. Aber Sie arbeiten für ihn, wahrscheinlich wissen Sie das alles.“

„Engel?“ Der Pilot lachte so heftig, dass er den Helikopter gefährlich nah an den Baumwipfeln schwenken ließ. „Rafael Cordeiro … ein Engel?“

„Das sagt man nur so. Es bedeutet, dass er in kleine Unternehmen investiert, die ihn persönlich interessieren.“ Und ihre Firma hatte sein Interesse geweckt. Bis vor Kurzem. Plötzlich kehrte das flaue Gefühl in Grace’ Magen zurück.

Der Pilot lachte immer noch. „Engel. Eines kann ich Ihnen versichern, dieser Mann ist kein Engel.“

Fest entschlossen, sich keine Angst einjagen zu lassen, straffte Grace die Schultern. „Ich glaube nicht alles, was in der Zeitung steht. Ich bin sicher, Mr. Cordeiro ist ein vernünftiger Mann.“

„Dann haben Sie ihn noch nie getroffen. So, wir gehen runter.“

„Gehen runter?“ Grace sah den Piloten erschrocken an. Unter ihnen befand sich nichts als Bäume. Augenblicklich waren ihre Sorgen wegen Rafael Cordeiro verschwunden. „Landen wir – oder stürzen wir ab?“

Der Pilot gab keine Antwort. Seine Augen waren zu Schlitzen verengt, während er sich auf die Fluginstrumente konzentrierte. Einen Moment sah es so aus, als würden sie direkt in die Bäume stürzen. Erst im allerletzten Augenblick tauchte eine kleine Landeplattform wie aus dem Nichts unter ihnen auf.

„Also kein Absturz.“ Grace lächelte unsicher und stieß den Atem aus, den sie angehalten hatte. „Ich habe mich schon fast auf ein Inferno eingestellt.“

„Bei Ihrem Treffen mit Cordeiro wird es eins geben.“ Der Pilot drückte auf einen Schalter. „Ich habe Männer nach nur fünf Minuten mit ihm weinen gesehen. Willkommen im brasilianischen Regenwald, Miss Thacker. Eines der am meisten gefährdeten Ökosysteme der Welt.“

„Sie kommen nicht mit? Sie lassen mich hier alleine? Mitten im Dschungel?“ Sie wandte den Kopf und schaute aus dem Fenster. Erst jetzt sah sie das Haus. Ein Gebäude, das ausschließlich aus Glas und verwittertem Holz zu bestehen schien. Es verschmolz geradezu mit seiner Umgebung. Fast konnte man glauben, das Haus wäre zwischen den Bäumen aus dem Erdreich gewachsen.

„Oh.“ Grace betrachtete die schmalen Brückenpfade, die hoch über dem Dschungelboden angebracht worden waren. „Das ist fantastisch. Überwältigend.“

Der Pilot lachte leise. „Rafael Cordeiro … ein Engel“, sagte er mehr zu sich. Immer noch kichernd, wischte er sich mit einer Hand kleine Schweißtröpfchen von der Stirn. „Wenn Sie aussteigen, ziehen Sie den Kopf ein, bis Sie unter den Rotorblättern hindurch sind. Ich fliege zurück nach Rio, um ein Paket abzuholen, dann weiter nach São Paulo.“

Wie festgeklebt blieb Grace sitzen, als wollte sie ihre letzte Verbindung zur Zivilisation nicht so einfach aufgeben. „Sie warten nicht auf mich? Er hat gesagt, er könne mir nur zehn Minuten geben.“

„Falls Sie nach Ihrem Treffen noch leben, komme ich zurück und sammle die Reste ein. Nehmen Sie den linken Pfad. Und ganz egal, was Sie tun, verlassen Sie nie die Wege. Dies hier ist der Dschungel, kein Themenpark. Geben Sie auf die wilden Tiere acht.“

„Wilde Tiere?“ Misstrauisch betrachtete sie das undurchdringliche Dickicht, das sie umgab. Einige Teile lagen völlig im Schatten. An anderen Stellen drangen vereinzelt Sonnenstrahlen durch das dichte Blätterdach. Bildete sie es sich nur ein, oder bewegte sich der Waldboden? „Meinen Sie Insekten?“

Er grinste. „Nach der letzten Schätzung leben hier über zweitausend verschiedene Arten. Und das sind nur die, die man bereits gefunden hat.“

Grace versuchte, nicht an all die kleinen Beinchen zu denken, die garantiert gleich auf sie zukrabbelten. Sie strich ihren Rock glatt und wünschte, sie hätte eine Hose angezogen. „Und Schlangen?“

„Oh ja, hier leben auch Schlangen …“ Sein Grinsen wurde breiter, als er ihre unpassenden Schuhe ansah, „… und dann sind da noch die riesigen Ameisenbären, die Jaguare und die …“

„Okay, ich glaube, ich habe genug gehört“, unterbrach sie ihn atemlos. Noch fünf Sekunden und ich klammere mich an ihn und flehe ihn an, mich nach Hause zu fliegen. „Ich bin sicher, Mr. Cordeiro würde nicht hier leben, wenn es so gefährlich wäre.“

Der Pilot warf den Kopf in den Nacken und lachte laut. „Sie kennen ihn wirklich nicht! Er lebt hier, weil es gefährlich ist, Süße. Er langweilt sich schnell. Ihm gefällt das Leben am Rande des Abgrunds.“

Süße? Die unbekümmerte Art, mit der er sie als nichts klassifizierte, ließ Grace die Anspannung vergessen. Ihr ganzes Leben lang war sie bevormundet und unterschätzt worden. Immer hatte jemand an ihr gezweifelt oder sie nicht ernst genommen. Sie hatte dagegen angekämpft und Erfolg gehabt.

Bis jetzt.

Jetzt lief sie Gefahr, alles zu verlieren, wofür sie gearbeitet hatte.

Und das würde sie nicht zulassen.

Ihr stand der vielleicht wichtigste Kampf ihres Lebens bevor, und sie würde ihn gewinnen. Sie musste gewinnen. Aber dazu musste sie vergessen, dass sie einem brasilianischen Milliardär, dem wandelnden Computer, in einer Diskussion über Zahlen denkbar unterlegen war. Grace musste alles vergessen, außer den Konsequenzen. Wenn sie sich geschlagen gab, verloren viele Menschen ihren Job. So einfach war das.

Wenn Rafael Cordeiro sein Geld zurückverlangte, war alles vorbei.

Die schwüle drückende Hitze umschloss sie wie ein dicker Mantel. Grace strich sich eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht und stolperte hastig aus dem Hubschrauber. Ihre Beine zitterten. In diesem Moment hätte sie nicht zu sagen vermocht, wovor sie sich mehr fürchtete, vor dem Dschungel oder Rafael Cordeiro.

In einer Welt, in der Status und Image alles bedeuteten, brachte Cordeiro beidem nur Verachtung entgegen. Er verweigerte sich jedem Gespräch über sich selbst. Und das konnte er sich leisten, denn diese Aufgabe übernahmen andere für ihn. Die Zeitungen waren voll von Interviews mit kurvenreichen Blondinen, die gegen die richtige Summe die so genannte ganze Wahrheit erzählten. Deshalb wusste die ganze Welt von Cordeiros beharrlicher Geldgier, seinen Talenten als Liebhaber und seinem Unwillen, an ein Happy End zu glauben.

Einmal. Einmal war er der Hoffnung verfallen. Die Medien berichteten damals länger über den Auszug seiner glamourösen Gattin, als die Ehe gehalten hatte: drei Monate.

Es war unmöglich, mit ihm zusammenzuleben.

Die Beziehung hatte er per E-Mail beendet.

Er war nur daran interessiert, Geld zu verdienen. Und noch mehr Geld.

Die Spekulationen rissen nicht ab. Und wenn man auch nur einem Bruchteil davon Glauben schenkte, unterschied Rafael Cordeiro sich wenig von einer kühl kalkulierenden Maschine. Ohne ihn zu kennen, wusste Grace, dass dieser Mann das Schlimmste in ihr zum Vorschein bringen würde.

Ich werde ihn einfach nicht ansehen, versprach sie sich. Dann würde sie weder verstummen noch anfangen zu stottern. Sie könnte so tun, als wäre sie in ihrem kleinen Wohnzimmer zu Hause und spräche mit dem Spiegel. Das machte sie immer, wenn sie sich auf wichtige Präsentationen vorbereitete.

Wieder strömte das flaue Gefühl in ihren Magen. Doch dieses Mal hatte es nichts mit dem Hubschrauberflug zu tun, sondern mit ihrer Vergangenheit. In Momenten wie diesen überrollten die Erinnerungen sie wie gigantische Wellen.

Es gibt keinen rationalen Grund, vor Rafael Cordeiro Angst zu haben, versicherte Grace sich, strich noch einmal den geraden Rock glatt und betrat den Pfad.

Sein Privatleben ging sie nichts an. Ganz gleich, welche Dunkelheit diesen Mann umgab, er war ein Geschäftsmann, genau wie ihr Vater. Wenn sie ihm ihre Pläne zeigte, die Firma aus den roten Zahlen zu führen, würde Cordeiro positiv reagieren. Er würde seine Meinung ändern und den Kredit nicht zurückverlangen. Die Jobs der Angestellten wären gerettet. Grace könnte nach Hause fliegen und Jaguare, Schlangen und einen brasilianischen Milliardär in seinem Dschungelversteck hinter sich lassen.

In der tropischen Hitze klebte ihr das Kostüm am Körper. Plötzlich wurde Grace bewusst, wie wenig sie darauf vorbereitet war, diesen Mann zu treffen. Selbst in dieser Kleidung fühlte sie sich nicht wohl. Grace blieb stehen, um den dünnen Absatz ihrer Schuhe zu befreien, der zwischen zwei Holzplanken klemmte. Die Aktentasche fest gegen die Brust gedrückt, wünschte sie, sie hätte sich während des Fluges noch einmal die Zahlen angesehen.

Aber was für einen Unterschied hätte das gemacht? Mithilfe ihres Vaters hatte sie alle Fakten auswendig gelernt. In den Unterlagen gab es nichts, was sich nicht auch in ihrem Gedächtnis befand.

Nachdem sie den Absatz aus dem Spalt gezerrt hatte, richtete sie sich auf.

Und sah ihn.

Er wartete am Hauseingang, ebenso geheimnisvoll und gefährlich wie alles, was in diesem Dschungel umherstreifen mochte. Bewegungslos stand er da, nur seine Augen blickten wachsam.

Er beobachtete sie.

Die überwältigende körperliche Präsenz dieses Mannes traf sie völlig unerwartet. Grace stockte der Atem. Der Helikopter, der Regenwald und all ihre Probleme wichen in den Hintergrund zurück. Seine Gegenwart war alles, was sie noch wahrnahm.

Die Präzision seines Blicks glich einer tödlichen Waffe. Grace konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Einen Augenblick lang wusste sie nicht mehr, wer sie war. Sie erinnerte sich nicht mehr, warum sie hier war. Ihr Körper fühlte sich seltsam träge an, und Hitze, zähflüssig wie Sirup, breitete sich in ihren Gliedern aus.

„Miss Thacker?“ Die schneidende Schärfe in seiner tiefen maskulinen Stimme riss sie aus der träumerischen Benommenheit. Innerlich gab Grace sich einen Ruck. Hoffentlich hatte er ihre peinliche Reaktion nicht bemerkt.

So viel zu ihrem Plan, ihn nicht anzusehen. Mit einem letzten Blick in seine tief liegenden zynischen Augen erkannte sie, dass in seiner kühlen Musterung weit Bedrohlicheres lag, als alle Raubtiere des Dschungels zusammen aufbieten konnten. Zumindest in einer Hinsicht hatte der Pilot die Wahrheit gesagt: Dieser Mann war kein Engel.

Sie zwang ihre Beine, sich zu bewegen, und ging auf ihn zu. Die Aktentasche in der einen, suchte sie mit der anderen Hand die Sicherheit des Geländers.

Auch ohne Milliardenbeträge auf seinem Konto hätte Rafael Cordeiro auf Frauen anziehend gewirkt. Sein Haar glänzte blauschwarz und war nach hinten gekämmt. Seine Gesichtszüge waren ebenso hart wie attraktiv, die Haut schimmerte in einem warmen Bronzeton.

Angestrengt suchte Grace nach einer Reaktion auf ihre Ankunft, aber er enthüllte nichts. Sein Mund verzog sich nicht zu einem Lächeln. In seinen Augen, dunkel und nachdenklich, zeigte sich keinerlei Anzeichen eines Willkommens. Am liebsten wäre sie den Weg zurückgerannt und in den abhebenden Helikopter gesprungen.

Hätte sie es nicht besser gewusst, sie hätte gemeint, er sei verärgert. Aber das war ja unmöglich. Schließlich waren sie einander noch nie begegnet. Seine Feindseligkeit war nur ein Spiegel seiner Persönlichkeit.

Er musste sie auch nicht mögen. Er musste nur ihrer Bitte zustimmen, sein Kapital nicht abzuziehen.

Mit diesen Gedanken überwand sie die letzten Meter, bis sie unmittelbar vor ihm stand. „Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Mr. Cordeiro.“

Sein Mund wurde schmal, Ungeduld funkelte in seinen Augen. „Das ist hier kein Kaffeeklatsch und kein Kindergeburtstag, Miss Thacker. Weder erwarte ich, noch lege ich Wert auf Höflichkeit. Ich mache keinen Small Talk und beteilige mich nicht am Austausch von Freundlichkeiten. Mich kümmert weder das Wetter noch der Verlauf ihrer Reise.“

Auch Ihnen einen guten Tag, dachte sie ironisch und bemühte sich, das wachsende Entsetzen zu verbergen.

In diese tödlich dunklen Augen zu blicken weckte in ihr den Wunsch zu fliehen. Doch der Hubschrauber schwebte bereits über ihnen. Und der eigentliche Grund für ihren Besuch befand sich immer noch sicher in ihrer Aktentasche verwahrt. Grace konnte nicht weglaufen. Sie hatte einen Job zu erledigen. Menschen verließen sich auf sie.

„Ich kann in Zahlen und Fakten sprechen“, sagte sie rasch. „Alle notwendigen Unterlagen befinden sich in meiner Tasche.“

„Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen. Und meine Antwort lautet Nein.“ Mit dem dunklen Bartschatten wirkte sein Kinn kantig; ein Wangenmuskel zuckte.

„Aber Sie hatten noch nicht die Möglichkeit, mit mir zu reden.“ Sie würde nicht zulassen, dass er ihren Optimismus dämpfte. „Ich hoffe wirklich, Sie ändern Ihre Meinung, sobald ich erklärt habe, was passiert ist.“

Er antwortete nicht. Stattdessen musterte er sie nur unentwegt. Im Dschungel hinter ihr erklang ein scharfer Schrei, gefolgt von etwas, das wie manisches Lachen klang.

Erschrocken wandte Grace den Kopf und spähte in den Wald. Erst jetzt drangen die beständigen Hintergrundgeräusche in ihr Bewusstsein. Kläffen, Schreien, Zirpen und Trillern. „Das klingt ja, als würde jemand umgebracht.“ Mit amüsiert funkelnden Augen drehte sie sich wieder zu ihm um. Ein weiterer Versuch, eine emotionale Verbindung zu ihm herzustellen. Er scheiterte.

Kein Lächeln. Und es war unmöglich zu ahnen, was Cordeiro dachte. Seine Miene blieb ausdruckslos.

„Fürchten Sie sich vor dem Dschungel, Miss Thacker?“ Sein Tonfall klang alles andere als ermutigend. „Oder macht Sie etwas anderes nervös?“

Etwas anderes? Etwa die Tatsache, dass möglicherweise gleich ihre gesamte Existenz in den Staub getreten wurde? Oder dass sie sich alleine mit einem Mann mitten im Regenwald befand, der die gesamte Menschheit zu hassen schien?

Es gab so viele Dinge, die sie beunruhigten. Grace wusste gar nicht, womit sie anfangen sollte. Aber ihm würde sie keinen Grund verraten. Also schob sie die Gedanken an Jaguare, Schlangen und zweitausend Insektenarten beiseite. „Ich bin nicht nervös …“

„Wirklich nicht?“ Er kniff die Augen zusammen. „Dann gebe ich Ihnen noch ein paar Hinweise als Geschäftsmann: Verschwenden Sie nicht meine Zeit, lügen Sie mich nicht an – und am Wichtigsten: Betrügen Sie mich nicht. Das sind die drei Dinge, mit denen Sie mich verärgern können. Und wenn ich wütend bin, sage ich niemals Ja.“

Was fanden Frauen nur an ihm? Nichts vermochte den dichten Mantel aus Zynismus zu durchdringen, der ihn umgab.

„Ich werde nicht lügen. Ich lüge nie.“

Aber ganz ehrlich war sie auch nicht gewesen. Sie hatte nicht die volle Wahrheit über sich gesagt, als sie den Kredit angenommen hatte. Kurz stiegen Schuldgefühle in Grace auf. Dann erinnerte sie sich daran, dass der Vertrag ja keine Klausel enthielt, die sie verpflichtete, alles über sich preiszugeben. Nichts aus ihrer Vergangenheit beeinflusste ihre Fähigkeit, eine Firma zu leiten – dafür hatte sie gesorgt. Trotzdem breitete sich eine verräterische Röte auf ihren Wangen aus.

Jetzt lächelte Cordeiro. Es war im Grunde nur der Hauch eines Lächelns und nicht mal ein besonders freundliches. Trotzdem bewies es, dass er ihr Erröten bemerkt und es als Punkt gegen sie verbucht hatte.

„Sie sind eine Frau, Miss Thacker. Zu lügen und zu betrügen ist Teil ihrer Gene, und die können Sie nicht ändern. Im besten Fall können wir hoffen, dass Sie gegen tausend Jahre Evolution ankämpfen, solange Sie sich in meiner Gegenwart befinden.“ Dann öffnete er die Tür hinter sich und machte einen Schritt zur Seite, damit Grace eintreten konnte.

„Hören Sie auf, mich herumzukommandieren, Mr. Cordeiro.“ Ihr zitterte leicht die Stimme, dennoch zwang sie sich weiterzusprechen. „Ich weiß, dass es meiner Firma nicht gut geht und wir einiges zu besprechen haben. Aber versuchen Sie nicht, mich einzuschüchtern.“

„Schüchtere ich Sie denn ein?“

„Sie könnten zumindest ein wenig freundlicher sein.“

„Freundlicher?“, spottete er. „Sie möchten, dass ich freundlich bin?“

Entschlossen hielt sie seinem Blick stand. „Ich sehe nur nicht ein, warum Geschäftstermine immer so kalt und unpersönlich sein müssen.“

Er machte einen Schritt auf sie zu, woraufhin sie instinktiv zurückwich. „Sie möchten also persönlich werden, Miss Thacker?“ Er senkte die Lider und sah ihr in die Augen. „Wie persönlich?“ Er kam noch näher.

Plötzlich fiel ihr das Atmen schwer. Obwohl er sie nicht berührte, schien ihr Körper mit einem Mal zu vibrieren. Sie fühlte sich, als hätte sie die letzten dreiundzwanzig Jahre geschlafen, bevor dieser Mann sie zum Leben erweckte. „Ich wollte nur sagen, dass meiner Meinung nach Meetings genauso viel Spaß machen können, wie sie harte Arbeit sind.“

„Wirklich?“ Er betrachtete sie aus zu schmalen Schlitzen verengten Augen. „Nun, Ihre Einstellung erklärt auf jeden Fall den schlechten Zustand Ihrer Firmenkonten.“

Nun zog er sich zurück. Trotzdem dauerte es eine ganze Weile, bis sich ihre Atmung beruhigt und ihr Herzschlag einen normalen Rhythmus angenommen hatte.

Sie wollte etwas auf seinen geringschätzigen Kommentar erwidern, aber er gab ihr keine Möglichkeit dazu. Denn schon schlenderte er durch die geöffnete Tür. Grace blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Kein Wunder, dass seine Frau ihn verlassen hat, dachte sie, als sie das Haus betrat und sorgsam die Tür zwischen sich und dem Dschungel schloss. Oder war er so arrogant und zynisch, eben weil sie ihn verlassen hat?

Als sie sich umsah, musste sie überrascht feststellen, dass sie den Dschungel mitnichten ausgeschlossen hatte. Der Wald war ein Teil des Hauses.

Immer wieder nach rechts und links schauend, folgte sie Rafael Cordeiro durch die Eingangshalle, ein Kuppelbau ganz aus Glas. Überall wuchsen riesige exotische Pflanzen. Dieses Haus war nicht beeindruckend, es war spektakulär. Durch die gläsernen Wände sah man in den Regenwald, sodass die Grenzen zwischen Innen und Außen in perfekter Harmonie verschwommen.

Er führte sie in ein großes Zimmer und deutete mit der Hand auf einen runden Tisch, auf dem ein Computer und mehrere Bildschirme standen. Simultan klingelten zwei Telefone, die jedoch abrupt verstummten, als seien die Anrufe von anderen Apparaten aus angenommen worden. „Setzen Sie sich.“

Technik, dachte Grace und betrachtete die Geräte. Offensichtlich ist er nicht ganz so allein, wie es zunächst schien.

Sie nahm auf einem Stuhl Platz und blickte sich ehrfürchtig um. Durch sechseckige Fensterscheiben drängte sich die üppige grüne Vegetation des Waldes nahezu in den Raum.

„Das ist unglaublich“, sagte sie, aufrichtig begeistert von der ungewöhnlichen Umgebung. „Man kommt sich vor wie in einem Gewächshaus mitten im Wald.“ Ihr Blick glitt zu einem Farn, der sich bewegte. „Kommen die Tiere nahe heran? Wissen sie, dass Sie hier sind?“

„Raubtiere wittern immer ihre Beute, Miss Thacker“, entgegnete er gedehnt. Er setzte sich ihr gegenüber und zog erwartungsvoll eine Augenbraue hoch. „Sie haben zehn Minuten. Die Uhr läuft ab jetzt.“

„Sie meinten das ernst? Ich habe wirklich nur zehn Minuten?“

„Ich bin ein viel beschäftigter Mann. Und ich sage nie etwas, das ich nicht auch so meine.“

Verwirrt über diese absolute Gleichgültigkeit angesichts ihrer katastrophalen Lage, brauchte Grace einen Moment, um sich zu sammeln. „Na gut, Sie wissen, warum ich hier bin. Vor fünf Jahren hat Ihr Unternehmen mir Geld geliehen, damit ich meine Firma gründen konnte. Und jetzt wollen Sie den Kredit kündigen.“

„Verschwenden Sie keine Zeit damit, bekannte Tatsachen zu wiederholen“, riet er in seidigem Tonfall, während er auf die Armbanduhr sah. „Noch neun Minuten.“

Sie spürte Panik in sich aufsteigen. Das Treffen war reine Zeitverschwendung. „Meine Firma ist mir sehr wichtig. Sie bedeutet mir alles.“ Sofort bereute sie ihr impulsives Geständnis. Warum sollte ihn kümmern, dass sie an dem Unternehmen hing?

Anscheinend stellte er sich dieselbe Frage, denn er runzelte die Stirn. „Mich interessieren nur Zahlen und Fakten. Acht Minuten.“

Keine Emotionen, Grace, hör auf, dich von deinen Gefühlen leiten zu lassen. „Mit Ihrem Geld konnte ich mehrere Cafés eröffnen. Aber es sind keine gewöhnlichen Cafés.“ Sie legte die Hände in den Schoß, damit er nicht sah, dass sie zitterten. „Wir verkaufen nicht einfach nur eine Tasse Kaffee, wir verkaufen ein brasilianisches Erlebnis.“

„Und was soll das ‚brasilianische Erlebnis‘ sein, Miss Thacker?“

„Die Menschen, die in unsere Cafés gehen, bekommen weit mehr als Koffein und einen schnellen Snack. Solange sie ihren Kaffee trinken, versetzen wir sie in Urlaubsstimmung. Dank Ihrer Investition waren wir in der Lage, zwanzig Cafés in London zu eröffnen. Wir könnten noch mehr betreiben, aber wenn Sie jetzt Ihr Kapital zurückziehen …“ Sie unterbrach sich und stand auf. Wenn sie länger am Tisch saß und in Cordeiros attraktives Gesicht sah, konnte sie sich nicht mehr konzentrieren.

„Stört es Sie, wenn ich ein wenig auf und ab gehe? Es fällt mir schwer, still zu sitzen. Und wenn ich nur ein paar Minuten habe, sollte ich mich so wohl wie möglich fühlen, damit ich das Beste aus der Zeit herausholen kann.“

Sein sarkastischer Blick wanderte zu ihren Füßen. „Offen gesagt bin ich beeindruckt, dass Sie stehen, geschweige denn gehen können. Wie ich sehe, haben Sie lange darüber nachgedacht, was als angemessenes Schuhwerk für einen Besuch im Regenwald infrage kommt.“

„Dies hier ist ein Geschäftstermin, Mr. Cordeiro“, erwiderte sie entschieden. Sie würde sich nicht von seinem Spott kränken lassen. „Entsprechend habe ich meine Garderobe gewählt. Ich dachte, Sie nehmen mich vielleicht nicht ernst, wenn ich eine Cargohose anhabe.“ Aus Stolz verschwieg sie, dass sie Schuhe und Kostüm extra für dieses Meeting gekauft hatte.

Als spielte es eine Rolle, welche Kleidung sie trug! Plötzlich kam Grace sich wie ein Idiot vor.

Das Geld hätte ich mir auf jeden Fall sparen können.

„Sie meinen, Sie haben gedacht, dass ich beim Anblick von hochhackigen Schuhen meine Meinung ändere.“ Seine Stimme klang leise und gefährlich. „Sie haben meinen Ruf missverstanden, Miss Thacker. Ich trenne meine Abenteuer strikt vom Geschäftlichen.“

Wieder sah er ihr in die Augen. Sie konnte weder sprechen noch sich bewegen, so stark nahm die bedrohliche Hitze dieses Blicks sie gefangen. Ihr Körper fühlte sich an, als hätte er sich verflüssigt. Eine seltsame und ungewohnte Wärme breitete sich in ihrem Unterleib aus.

Seine Abenteuer.

Eine Vision stieg vor ihrem inneren Auge auf. Grace sah Rafael Cordeiro nackt auf weißen Seidenlaken liegen, sein Körper noch schweißbedeckt, neben sich eine überglückliche und zufriedene Frau.

Dieses Bild schockierte und entsetzte sie so sehr, dass sie den Kopf drehen und sich auf das wuchernde Grün des Dschungels konzentrieren musste, um dem diamantharten Glitzern seiner Augen zu entgehen.

„Miss Thacker?“

Hastig wandte sie sich wieder ihm zu. Sie konnte nicht verhindern, dass sie insgeheim überlegte, wie sich wohl seine bronzefarbenen Finger auf ihrer Haut anfühlen würden. Was war nur los mit ihr? Sie war doch gar nicht der Typ Frau, der Männer gedanklich auszog, kaum dass sie einen getroffen hatte.

Vor allem nicht Männer wie ihn.

Er würde sich auf keinen Kompromiss einlassen, dessen war sie sich bewusst. An ihm war nichts Weiches, keine Zärtlichkeit, nicht eine Spur Wärme oder Menschlichkeit. Einen schrecklichen Moment lang spürte Grace, wie ihr Selbstvertrauen schwand. Sie drückte die Fingernägel gegen die Handflächen, schaute noch einmal in den Dschungel hinaus und sammelte sich.

Du kannst das, Grace, sprach sie sich selbst Mut zu.

Dreißig kostbare Sekunden brauchte sie, um ruhiger zu werden. „Ich trage diese Schuhe, weil sie am besten zu meinem Kostüm passen“, erwiderte sie schließlich gefasst. „Und Sie schulden mir eine Minute.“

Er beugte sich vor und schaute sie lauernd an. „Tue ich das?“

„Ja, denn so viel Zeit haben Sie damit verschwendet, über weibliche Kleidung zu philosophieren.“

Ein langes pulsierendes Schweigen trat ein, dann neigte er den Kopf. „Ihnen bleiben immer noch acht Minuten.“

Erst jetzt schöpfte Grace wieder Atem. „Gut. Was ich will, ist die Möglichkeit, Ihnen die Fakten zu präsentieren. Ich bin hergekommen, weil ich Ihre Meinung ändern will.“

Sie wünschte, er würde sie nicht so ansehen. Sein Blick war nach wie vor unerbittlich auf sie gerichtet. Die Luft zwischen ihnen schien fast elektrisch aufgeladen zu sein.

Ob er es auch fühlt? Spürt er die Hitze und die wachsende Spannung?

„Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass mein Entschluss steht.“

„Sie haben auch gesagt, dass Sie Zahlen wollen. Und die haben Sie bislang nicht gehört. Sie haben mir zehn Minuten versprochen, Mr. Cordeiro. Und meine Zeit ist noch nicht um.“ Sie würde es vermasseln, sie wusste es. Es war schön und gut, Selbstvertrauen vorzugeben. Allerdings zitterten ihr Beine und Hände, sie sagte die falschen Dinge und ließ sich von einem Blick aus seinen dunklen Augen in ein stammelndes klägliches Bündel verwandeln. Und ganz offensichtlich erkannte er, wie er auf sie wirkte, denn er lächelte sanft.

„Nervös, Miss Thacker?“

„Natürlich bin ich nervös …“ In einer um Verständnis bittenden Geste hob sie die Arme. „In Anbetracht der Umstände ist das doch nur normal, meinen Sie nicht?“

Autor

Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
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