Die vertauschte Braut

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Dass seine Braut auf der Probe zur Hochzeitszeremonie verschwindet, findet der Arzt Lucas Daniels schon seltsam. Noch merkwürdiger ist ihre totale Veränderung, als sie kurz darauf zurückkehrt. Äußerlich sieht sie aus wie immer, aber ihre Ausstrahlung verwirrt Lucas. Bisher verband sie nur Freundschaft - plötzlich ist es heiße Leidenschaft


  • Erscheinungstag 28.03.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733756130
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Samstagnachmittag. Unter der Kühlerhaube von Lucas Daniels silberfarbenem Mercedes zischte weißer Dampf hervor. Wütend schlug er aufs Lenkrad. Dann fuhr er den Wagen auf einen Parkplatz in der Main Street, mitten im Zentrum der Kleinstadt Briar Creek in Texas.

Na, wunderbar. Da könnte er sich ebenso gut gleich hier hinstellen und die ganze Stadt informieren, bevor es sich herumgesprochen hatte. Vielleicht würde es auf diese Weise sogar so schnell bekannt werden, dass er es seinen zukünftigen Familienangehörigen, die sicher schon bei der Kirche warteten, gar nicht mehr selbst sagen müsste.

Analise Brewster wird an der Probe für ihre Hochzeit nicht teilnehmen, da sie die Stadt verlassen hat! Mit Ausrufezeichen! Denn das verdiente die Nachricht, die sie hinterlassen hatte. So pflegte sie ohnehin immer zu sprechen.

Sowohl Lucas selbst als auch Analises Vater Ralph hatten gedacht, dass eine Ehe ihre Impulsivität etwas bremsen und ihr Verantwortungsgefühl wecken würde. Doch die Verlobung hatte bislang noch gar nichts bewirkt.

Besonders Clare, ihre Mutter, würde sich sehr aufregen, so wie immer, wenn Analise mehr als ein paar Minuten außer Sichtweite war. Die Eltern waren immer ausgesprochen besorgt um ihre Tochter, und Analise war besonders selbstständig. Eine ungute Kombination.

Leise vor sich hin fluchend stieg Lucas aus. Die Juni-Sonne brannte unbarmherzig aufs Straßenpflaster, von dem eine Hitzewelle aufstieg. Lucas kochte ohnehin schon, wenn auch vor Zorn.

Als er die Kühlerhaube berührte, verbrannte er sich zu allem Überfluss auch noch die Finger an dem heißen Metall. „Verdammt!“, schimpfte er, und das war nur ein Bruchteil dessen, was er gern von sich gegeben hätte.

Eine kräftige Hand schlug ihm auf den Rücken. „Probleme, mein Junge?“

Mein Junge! Obgleich Lucas schon seit sechs Jahren Arzt war, galt er noch immer als der „neue“ Doktor, der Sohn von Wayne Daniels, und war wohl vor allem deshalb anerkannt, weil Ralph Brewster ihn in seiner blendend gehenden Praxis aufgenommen hatte. Dieser kleine Skandal würde nun erst recht seine Glaubwürdigkeit untergraben.

Lucas blickte Herb genervt an. „So könnte man es nennen.“

„Soll ich dich irgendwohin mitnehmen?“

Lucas fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Vielleicht sollte er Herb lieber die Wahrheit sagen. Briar Creek war eine Kleinstadt, wo jeder jeden kannte. Was Analise sich mal wieder geleistet hatte, würde ohnehin bald herum sein.

„Ja, gern, vielen Dank. Ich muss zur Methodistenkirche am Grand.“

„Ah, wegen der Hochzeit, wie? Ich habe Analise gerade die Wyandotte hinuntergehen sehen.“

„Wie bitte?“

Herb lachte. „Sie kommt sicher zu spät, so wie meistens. Typisch unsere Analise.“

Lucas packte Herb am Arm. „Gerade eben? Du hast sie gerade eben gesehen?“

„Na ja, vor einem Moment. So lange, wie ich brauchte, um einen Block runterzufahren. Langsam, allerdings.“

„In welche Richtung ging sie denn?“

Herb wies die Straße hinunter. „Da entlang.“

Lucas machte sich sofort auf den Weg. „Danke, Herb!“, rief er über die Schulter zurück.

„Ich soll dich also nirgendwohin fahren?“

„Nein, danke, ich lasse mich von Analise mitnehmen.“ Und gleich danach werde ich ihr den Hals umdrehen, fügte er im Stillen hinzu.

Unterwegs zwang Lucas sich zu einem freundlichen Gesicht und grüßte alle, die er traf. Auf der Wyandotte unterdrückte er den Impuls zu rennen, um seine Verlobte einzuholen, bevor sie weiteren Unsinn machte.

„Guten Tag, Mrs. Green, was macht denn Willies Rheuma?“

„Dem geht es etwas besser. Nett, Sie zu sehen, Lucas. Grüßen Sie Analise von mir.“

Als Lucas in die Wyandotte einbog, sah er sie schon. Sie guckte gerade in die Schaufenster von „Fultons Antiquitäten“.

Auf dem Weg zu ihr ballte er die Hände zu Fäusten. Was für ein Spiel spielte sie nur? Sie legte ihm eine Nachricht hin, dass sie die Stadt verließe, zog sich dann so ein komisches Kleid an, flocht sich einen Zopf und ging hier ganz gemütlich spazieren? Glaubte sie, in diesem Aufzug würde man sie nicht erkennen? Wenn man so groß war wie Analise, und wenn man so volles rotes Haar und noch dazu ein klassisches Profil hatte, musste man schon mehr tun, wenn man nicht erkannt werden wollte!

Als Lucas sich näherte, blickte Analise nicht mal auf.

„Was soll denn das?“, schimpfte er los, sobald er neben ihr stand.

Sara Martin zuckte bei dem ärgerlichen Ton des Mannes heftig zusammen. Meinte er etwa sie?

Sie drehte sich nur kurz nach ihm um, dann ging sie weiter.

Der Mann packte sie am Arm. „Analise!“

Sara reagierte sofort. Sie ließ ihr Knie in den Unterleib des Angreifers hochschnellen und trat ihm mit dem spitzen Absatz auf den Fuß. Gerade wollte sie ihm noch mit der Faust einen Hieb auf die Nase verpassen, da ließ er sie bereits stöhnend los und sackte auf dem Bürgersteig zusammen.

Erschrocken schaute sie auf ihn hinunter. „Oh, je, es hat funktioniert!“ Sie wollte ihm schon aufhelfen, als sie sich ermahnte und einen Schritt zurücktrat.

Sara hatte immer gedacht, dass ihre Mutter ein bisschen übertrieb, wenn sie ihr riet, sofort wegzulaufen, nachdem sie ihre Selbstverteidigungstechniken angewandt hätte. Aber nun war sie ja tatsächlich angegriffen worden und hatte sich erfolgreich gewehrt. Allerdings hatte sie hinterher eher den Reflex gehabt, ihrem Angreifer zu helfen, anstatt sich in Sicherheit zu bringen.

Der Mann wirkte nicht gefährlich. Allerdings gehörte er mit seinen Kakihosen, dem weißen Polohemd und dem gepflegten schwarzen Haar genau zu dem Typ Mann, vor dem ihre Mutter sie immer gewarnt hatte. Ein Mann, der weltgewandt und vermutlich wohlhabend war.

Aber der Schmerz, den sie ihm ansah, ließ Sara entgegen aller Ratschläge stehen bleiben. Und dazu die Tatsache, dass er sie mit dem Namen ihrer Lieblingspuppe angesprochen hatte.

„Verdammt noch mal, Analise, was soll denn das? Was ist denn in dich gefahren? Glaubst du etwa, ich erkenne dich in diesem merkwürdigen Kleid und mit dem Zopf nicht? Bist du übergeschnappt?“ Der Fremde rappelte sich wieder auf.

Merkwürdiges Kleid? Das hatte Sara selbst geschneidert! Vielleicht sollte sie ihm noch einen Tritt verpassen!

Sie trat ein paar Schritte zurück und zog hastig das Pfefferspray aus ihrer Handtasche. „Hören Sie, Mister, entweder sind Sie selbst übergeschnappt, oder Sie verwechseln mich mit jemandem! Ich heiße nicht Analise, sondern …“ Sie hielt inne. Die alten Ängste, die ihre Mutter ihr eingepflanzt hatte, kamen wieder hoch. Sprich nie mit Fremden! Sag niemandem, wie du heißt oder meinen Namen oder wo wir wohnen.

Sie hielt das Spray in seine Richtung. „Ich bin nicht Analise“, wiederholte sie. „Ich gehe jetzt weiter, und rate Ihnen, mir nicht zu folgen, sonst benutze ich das hier!“

Lucas verzog ärgerlich das Gesicht. „Analise, das ist überhaupt nicht witzig!“

Eine kleine Frau mit bläulichem, gelockten Haar kam vorbei, blieb stehen und rief: „Hey, Analise und Lucas, was steht ihr beiden Verlobten hier herum, anstatt zur Hochzeitsprobe zu gehen?“

Entweder waren die hier alle verrückt, oder Sara sah wirklich wie jemand anderes aus. Was bedeuten könnte …

Ihr Herz machte einen Satz, als sie daran dachte, was es bedeuten könnte, dass sie genau wie eine andere junge Frau aussah!

Nein, das konnte nicht sein. Wenn diese Analise ihre leibliche Mutter war, wäre sie zu alt, um diesen Lucas zu heiraten. Es sei denn, er hätte eine Schwäche für ältere Frauen. Oder ihre Mutter war geliftet.

„Ich bin schon gespannt auf dein Hochzeitskleid, Analise. Eleanor sagte mir, es sei das schönste Stück, das sie je entworfen hätte.“ Beim Blick auf das Kleid, das Sara trug, runzelte die alte Dame kurz die Stirn, dann lächelte sie wieder. „Na ja, dir steht wirklich alles. Selbst diese Frisur. Allerdings mag ich es lieber, wenn du es offen trägst wie sonst. Findest du nicht auch, Lucas?“

Lucas, der sich neben sie gestellt hatte, hob Saras schweren Zopf kurz hoch und sagte: „Ja, ich auch.“ Mit einer sanften Bewegung legte er den Zopf wieder zurück auf ihre Schulter.

Sara hielt kurz den Atem an. Sie war erschrocken und verwirrt zugleich. Dass sie die Berührung dieses Fremden als angenehm empfunden hatte, irritierte sie zutiefst.

„Also, ihr beiden geht jetzt mal am besten gleich zur Kirche, hört ihr?“

„Machen wir, Mrs. Wilson“, sagte Lucas gehorsam, dessen Zorn längst verflogen war. Er schaute Sara aufmerksam an. „Wie hast du den bloß so gut befestigt?“, fragte er, kaum dass Mrs. Wilson außer Hörweite war.

„Was? Meinen Zopf?“

„Das kann doch nicht deiner sein! Gestern war dein Haar gerade mal schulterlang!“

Sara hielt das Spray weiterhin fest in der Hand. Für alle Fälle. „Ich bin nicht Ihre Analise“, sagte sie jetzt beinahe flüsternd. „Ich bin erst heute hier in Briar Creek angekommen, da ich nach Verwandten suche. Wenn Ihre Analise mir so ähnlich sieht … vielleicht bin ich ja mit ihr verwandt?“

Lucas sah sie skeptisch an.

„Lassen Sie bitte meinen Zopf los“, verlangte Sara. „Ich werde ihn aufmachen und Ihnen zeigen, dass mein Haar bis zur Taille reicht.“

Lucas griff erneut nach dem Zopf, löste ihn selbst und fuhr sanft mit den Händen durch die schwere Mähne.

Sara hielt den Atem an. Eigentlich war diese Szene viel zu intim für zwei Fremde. In einer fremden Stadt. So mitten auf der Straße.

Nein, widersprach sie sich selbst, nicht die Szene selbst war merkwürdig, sondern ihre Reaktion darauf. Die Berührung dieses Mannes sandte ein leises Kribbeln durch ihren Körper und weckte den Wunsch in ihr, er möge ewig so weitermachen.

Erschrocken trat sie einen Schritt zurück. „Sehen Sie nun, dass ich nicht Ihre Analise bin?“

Lucas blinzelte in der hellen Sonne und ließ die Hand sinken. „Ja, das stimmt.“ Seine Stimme klang samtweich. „Aber Sie haben ihre Haut, ihre Augen, ihre Lippen …“

Bevor er sie wieder berühren und diese verbotenen Gefühle in ihr wecken konnte, machte Sara einen weiteren Schritt zurück.

„Wenn Sie nicht so frisiert und gekleidet wären, könnte man Sie für ihren Zwilling halten. Trotzdem sind Sie tatsächlich irgendwie anders als sie.“

„Ihr Zwilling? Ich könnte ihr Zwilling sein?“ Saras Gedanken wirbelten durcheinander. War das möglich? Hatte ihre leibliche Mutter vielleicht Zwillinge geboren und ihre Adoptivmutter nur eins von den Kindern bekommen? Hatte sie womöglich eine Zwillingsschwester, die hier in Briar Creek von jemand anders adoptiert worden war?

Sie hatte ihre Lieblingspuppe Analise genannt und immer so getan, als sei das ihre Schwester. Steckte mehr dahinter als nur dieser Wunsch? Von Zwillingen sagte man, dass sie einen sechsten Sinn füreinander hätten, selbst wenn sie gleich nach der Geburt getrennt wurden.

„Ist Analise Ihre Verlobte? Kann ich sie kennen lernen? Bitte, es ist wichtig!“

Lucas schaute Sara einen Moment lang verständnislos an, dann schüttelte er den Kopf. „Ja, sie ist meine Verlobte. Aber Sie können sie nicht kennen lernen, denn ich weiß nicht, wo sie im Moment ist.“

„Sie wissen nicht, wo Ihre Verlobte ist?“

Er zuckte mit den Schultern und zog einen rosafarbenen Zettel aus der Hosentasche. „Vor ein paar Minuten wurde mir das gebracht, gerade als ich zur Probe für unsere Hochzeit losgehen wollte.“

Sara steckte jetzt das Pfefferspray in die Handtasche zurück und betrachtete den Zettel. „Reklame für eine Ermäßigung bei der chemischen Behandlung Ihres Rasens?“, fragte sie verständnislos. Der Mann musste verrückt sein.

„Auf der anderen Seite.“ Er drehte den Zettel um. Dort war hastig Folgendes notiert:

Ich muss die Stadt für ein paar Tage verlassen. Richte Mom und Dad aus, dass ich sie heute Abend anrufe. Wenn ich zurückkomme, habe ich wahrscheinlich große Neuigkeiten! Ich weiß, dass du mich verstehen wirst, denn du bist der beste Freund, den ich habe, und du verstehst mich immer!

Kuss, Analise.

P.S. Vielleicht kannst du die Hochzeitsprobe um ein paar Tage verschieben?

Sara sank das Herz. Eine Frau, die ihren Verlobten am Tag der Hochzeitsprobe einfach hängen ließ, konnte unmöglich ihre Schwester sein!

„Tut mir leid“, sagte sie und reichte Lucas den Zettel zurück.

Er zuckte mit den Achseln. „So ist Analise eben.“

„Wollen Sie damit sagen, dass sie so etwas öfter macht?“

„Na ja, nicht gerade so etwas und nicht, seitdem wir verlobt sind. Ihre Eltern und ich dachten, dass eine Heirat sie zu mehr Verantwortung bringen könnte, aber wir haben uns offenbar geirrt.“ Er steckte den Zettel wieder in die Tasche. „Tut mir leid, dass ich mich geirrt habe, aber Sie sehen wirklich haargenau so aus wie sie.“

„Wie ihr Zwilling?“

„Ja, wie ihr Zwilling.“ Er trat nervös von einem Fuß auf den anderen. „Nun, ich sollte jetzt wohl besser zur Kirche gehen und die Situation dort klären. Dann können Sie endlich wieder das tun, was Sie tun wollten, bevor ich Sie angesprochen habe.“

„Ja, gut.“

Beide blieben jedoch stehen. Sara zögerte schon deshalb, weil sie gern etwas über diese Analise erfahren hätte … und weil es so angenehm gewesen war, wie Lucas ihr Haar berührt und sie angeschaut hatte. „Vielleicht könnten Sie mir sagen …“

„Ich habe eine Idee …“

Beide hatten fast gleichzeitig losgesprochen.

Er lächelte. „Sie zuerst.“

„Ich bin gerade hier in der Stadt angekommen und versuche, etwas über meine Familie herauszubekommen, weiß aber nicht, wo ich beginnen soll.“

„Ach, und Sie meinen, weil Analise Ihnen ähnlich sieht, könnte sie eine Verwandte sein?“

„Ja, das wäre doch immerhin möglich.“ Mehr wollte Sara lieber nicht sagen.

Lucas nickte bedächtig. „Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich helfe Ihnen bei der Suche nach Ihren Verwandten, und dafür helfen Sie mir für ein paar Stunden aus.“

Sara sah ihn unsicher an. „Und was soll ich tun?“

„Analise kommt erst in ein paar Tagen zurück. Mit irgendeiner neuen Entdeckung oder einem neuen Schmetterlingsexemplar oder etwas dergleichen.“

„Ach, interessiert sie sich etwa für Schmetterlinge?“

„Für alle Arten Käfer und so. Sie hat Zoologie studiert.“

„Das wollte ich auch studieren, Hauptfach Insektenkunde.“

„Das ist auch Analises Spezialgebiet!“

„Nein!“ Sara bemühte sich, ruhig zu bleiben, aber das war doch wirklich ein seltsamer Zufall! Außerdem hatte sie schon immer das Gefühl gehabt, eine Schwester zu haben! Ihre Mutter hatte ihr allerdings gesagt, das sei normal bei Einzelkindern, aber Sara hatte es nie so recht geglaubt.

„Ich bin froh, dass Sie es nicht auch studiert haben“, bemerkte Lucas in ihre Gedanken hinein. „Analise hat nämlich keinen Job gefunden. Na ja, in ein paar Tagen ist sie bestimmt wieder zurück. Dann wird jeder lachen und nur den Kopf schütteln, denn trotz ihrer kleinen Verrücktheiten ist sie sehr beliebt. Heute werden ihre Eltern sich allerdings große Sorgen um sie machen.“

Lucas zog den Zettel noch einmal aus der Hosentasche und betrachtete ihn. „Die Probe ist nicht zu verschieben. Wir haben unsere Heiratspläne etwas überstürzt gemacht, Analise konnte sich bis zum letzten Moment nicht entscheiden. Nun findet die Hochzeit schon nächsten Samstag statt, am frühen Nachmittag, dem einzigen Termin, der noch frei war. Und heute ist die einzige Gelegenheit für eine Probe. Das Ganze hat schon chaotisch angefangen, und nun ist es noch schlimmer als vorher.“ Lucas sah Sara fest an. „Es sei denn, Sie begleiten mich zur Probe und springen für sie ein.“

„Wie bitte? Ich soll so tun, als sei ich jemand anders? Nein, das geht nicht!“

„Natürlich geht das, es ist doch nur eine Probe! Alles, was Sie tun müssen, ist, das zu tun, was der Organisator Ihnen sagt. Ich werde Sie dafür bezahlen. Fünfzig Dollar pro Stunde. Nein, hundert.“

Sara schaute Lucas empört an, weil er ihr Geld dafür anbot. Denn gerade hatte sie zusagen wollen, um etwas über die Frau herauszufinden, die ihr so ähnlich war.

Wie oft hatte ihre Mutter sie davor gewarnt, anderen zu trauen, wenn es um Geld ging! Doch jetzt tendierte sie dazu, diese Warnung in den Wind zu schlagen.

Sara war unsicher, wie sie entscheiden sollte. Es interessierte sie, womöglich etwas Neues über sich selbst herauszufinden – oder über eine Schwester.

„Dafür helfe ich Ihnen auch bei der Suche nach Ihren Verwandten. Und sobald Analise zurück ist, können Sie sie kennen lernen“, versprach Lucas.

Sie standen so dicht beieinander, dass Sara sein teures After Shave riechen konnte. „Nein“, flüsterte sie, „ich kann nicht.“

Er strich ihr plötzlich sanft eine Strähne aus dem Gesicht, und sein Mund, den sie in Gedanken schon auf ihren Lippen spürte, formte das Wort „Bitte!“.

Vorsicht! hätte ihre Mutter gewarnt. Gefahr!

„Einverstanden“, willigte Sara ein.

2. KAPITEL

Sara hielt unterwegs immer nach möglichen Fluchtwegen Ausschau, als sie mit Lucas nach seinen Anweisungen durch die Stadt fuhr.

Was zum Teufel tat sie da? Sie fuhr mit einem Fremden durch eine fremde Welt und würde gleich auch noch so tun, als sei sie jemand anders! Vielleicht war dieser Mann ein Entführer! Genau davor hatte ihre Mutter sich immer so gefürchtet.

Der Gedanke musste von dem Verfolgungswahn kommen, den June Martin oft gehabt hatte, überlegte Sara. Ein Entführer näherte sich seinem Opfer schließlich anders und würde es nicht bitten, so zu tun, als sei es seine Braut.

Trotzdem war sie erleichtert, als Lucas sie auf den Parkplatz einer großen alten Kirche einbiegen ließ. Ein Kidnapper würde seine Beute sicher nicht zu einer Kirche bringen!

„Parken Sie da drüben“, Lucas wies auf eine abgelegene Ecke, „dann merkt keiner, dass es nicht Analises Auto ist.“

Sara betrachtete die eleganten Limousinen, die auf dem Parkplatz standen und neben denen ihr zehn Jahre alter Wagen ziemlich auffiel. „Was für ein Auto hat sie denn?“

Lucas seufzte. „Ein schnelles. Einen kleinen roten Sportwagen, der die hiesige Polizei dazu bringt, ihr dauernd Strafmandate wegen überhöhter Geschwindigkeit aufzubrummen.“

Ein solcher Wagen passte gut zur Handschrift auf dem Zettel.

„Ich bin noch nie in meinem Leben zu schnell gefahren“, meinte Sara nachdenklich. „Woher hat sie das Geld, um all die Bußgelder zu zahlen, wenn sie arbeitslos ist?“

„Ihre Eltern sind wohlhabend. Ralph Brewster, ihr Vater, ist Arzt, und die Familie ihrer Mutter hat die Stadt gegründet.“

Diese Information beruhigte Sara nicht gerade. „Ich glaube kaum, dass es mir gelingen wird, jemanden darzustellen, der so anders ist als ich!“

Lucas schaute sie mit seinen dunklen Augen an. Er schüttelte den Kopf, und einen Moment lang fürchtete Sara, er würde ihr zustimmen. Ihr wurde nämlich auf einmal klar, wie wichtig es ihr war, Analise kennen zu lernen!

Sie würde sich beweisen, dass sie es schaffen konnte.

„So anders?“, wiederholte Lucas. „Ich begreife noch immer nicht, wie sehr ihr beiden euch gleicht! Es ist völlig verrückt! Wenn ich es nicht besser wüsste … Also, vertrauen Sie mir, es wird ganz leicht sein. Alles, was Sie tun müssen, ist das, was die Organisatorin anordnet. Und die hat eine so laute Stimme, dass man sie noch in der Nachbarstadt hören könnte. Beeilen wir uns, wir sind spät dran.“

Sie gingen über den Parkplatz auf die Kirche zu. Die wirkte so mächtig und eindrucksvoll, dass Sara sich gänzlich eingeschüchtert fühlte. Bestimmt würde jeder sofort merken, dass sie nicht Analise war!

„Warten Sie!“, rief Lucas. Sara drehte sich erschrocken um. Er würde sie doch wohl nicht auf einem Kirchenparkplatz entführen? „Wir müssen etwas mit Ihrem Haar machen.“ Er griff nach Saras Zopf und stopfte ihn schnell in den Kragen ihres Kleides. „Ihre Haut fühlt sich ganz kühl an“, stellte er leise fest und streichelte zart über ihren Nacken.

Sara lachte nervös. „Unmöglich, wir haben doch mindestens dreißig Grad.“

Lucas zog die Hand weg. „Ihre Haut ist feucht“, fügte er sachlich hinzu. „Ein typisches Zeichen von Stress. Sie sind doch nicht etwa nervös?“

„Es geht. Bringen wir es hinter uns.“ Sara schritt auf den Eingang zu.

„Hey!“

Sie blieb erneut stehen.

„Ich weiß gar nichts über Sie, nicht mal Ihren Namen! Außerdem müssen wir uns natürlich duzen, nicht wahr?“

„Einverstanden. Ich heiße Sara Martin, bin Bibliothekarin und komme aus Deauxville, Missouri.“

Lucas lächelte. Die weißen Zähne blitzten in seinem braunen Gesicht, seine Augen leuchteten, und Saras Angst war sogleich wie weggewischt. „Angenehm, Sara Martin, ich bin Lucas Daniels, Arzt in Briar Creek, und ich bin dir zu tiefem Dank verpflichtet!“

Er nahm ihre Hand und betrat mit ihr die Kirche. Saras Füße versanken sofort in dem weinroten Teppich. Die samtenen Polsterstühle in den ordentlichen Reihen hatten die gleiche Farbe. Der ganze Raum atmete Reichtum und Würde. Dieser Eindruck wurde allerdings durch den Lärm gemildert, den die vielen hin und her laufenden Leute verursachten.

„Gott sei Dank, dass ihr da seid, wir haben uns schon Sorgen gemacht!“

„Analise, kannst du nicht einmal pünktlich sein?“

„Hör mal, mein Kleid ist noch nicht fertig!“

„Könnten sich bitte alle mal setzen, damit wir anfangen können?“

Sara machte unwillkürlich einen Schritt zurück, aber Lucas schob sie mit seiner kräftigen Hand vorwärts. „Alles in Ordnung“, raunte er ihr zu.

„Die Braut und die Brautjungfern bleiben im Hintergrund, ich brauche erst mal den Bräutigam und dessen Begleiter hier“, ordnete eine schlanke Frau an, die vorn beim Altar stand und alles dirigierte. Lucas ließ Sara allein.

Drei fröhliche junge Frauen tauchten an ihrer Seite auf, Sara wurde ganz unsicher.

„Klasse Frisur“, meinte die braunäugige Blonde. „Damit siehst du irgendwie damenhaft aus, richtig wie eine Ehefrau.“

„Das Kleid ist auch toll“, fand die kleine Brünette. „Ich wollte, ich könnte so was tragen. An mir sähe es schrecklich aus.“

Was haben die Leute nur immer mit meinem Kleid? dachte Sara.

„Ruhe, bitte!“, rief die Organisatorin. „Der Pastor, der Bräutigam und seine Begleiter werden zur Vordertür hereinkommen und dort auf die Braut warten.“

Die Männer, Lucas eingeschlossen, bewegten sich feierlich an ihre Plätze.

„Marilyn singt das Solo. Dann, sobald die Orgel zu spielen beginnt, geht Judy den Gang hinunter. Wenn sie ihn halb hinter sich hat, folgen ihr Kathy und danach Linda. Also, tun wir so, als sei das Solo gerade beendet. Nancy, fang an mit der Musik.“

Orgelklänge erfüllten den großen Raum.

„Judy, jetzt bitte losgehen. Sobald du unten angekommen bist, bleibst du stehen und schaust nach hinten zur Braut. Hör endlich auf zu kichern, Judy, und um Himmels willen kau kein Kaugummi während der Trauung!“

Eine nach der anderen gingen nun die drei Frauen den Gang hinunter, dann starrten alle zu Sara hinüber.

Meine Güte, dachte Sara in Panik, sie konnte doch nicht einfach so tun, als sei sie eine andere! Das Gewagteste, was sie je getan hatte. Na ja, das Gewagteste war, nach dem Tod ihrer Mutter alles zu verkaufen und dann nach Briar Creek zu fahren! Und das bereute sie in diesem Augenblick zutiefst!

Sara hatte den Impuls, aus der Kirche hinauszulaufen, auf der Stelle nach Deauxville zurückzufahren und die Suche nach etwaigen Verwandten sein zu lassen. Aber plötzlich trat ein stattlicher Mann neben sie und nahm ihren Arm. Sara war ganz hingerissen von dem liebevollen Lächeln, mit dem er sie anschaute. In diesem Moment begann die Orgel, den Hochzeitsmarsch zu spielen.

„Also, kleine Braut, jetzt bist du an der Reihe. Ganz langsam und gemessen, und lass dir bloß nicht einfallen, den Gang hinunterzurasen!“ Er zwinkerte ihr zu. „Meine Tochter ist ja gleich vom Krabbeln zum Rennen übergegangen. Wie kommt die Frau von der Organisation nur darauf, dass du dich jetzt noch änderst?“

Das musste Analises Vater sein.

Die Liebe, die er ausstrahlte, galt gar nicht ihr, sondern einer anderen, aber Sara genoss die väterliche Bewunderung, da sie so etwas nicht kannte.

Wie in Trance ging sie neben dem Fremden, der dachte, sie sei seine Tochter, den Gang hinunter auf Lucas zu, den strahlenden Bräutigam. Es fiel ihr schwer, sich nicht einfach in diese Phantasieszene fallen zu lassen, sich einzubilden, Analise Brewster zu sein, geliebt vom Vater und vom Verlobten.

„Wer begleitet die Braut?“

Autor

Sally Carleen
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