Die widerspenstige Lady

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Der galante Sir Hugo feiert bei den Damen der feinen Gesellschaft einen Triumph nach dem anderen. Deshalb glaubt er, ein leichtes Spiel zu haben, als ihm im Park seines Landsitzes Rosemont eine hinreißende junge Dame über den Weg läuft. Ihre ungewöhnliche Schönheit fesselt ihn ebenso wie ihr temperamentvoller Eigensinn und ihr Widerspruchsgeist. Ein hitziges Streitgespräch endet mit einem leidenschaftlichen Kuss. Heftig brennt das Verlangen in Sir Hugo auch dann noch, als sich ihre Wege getrennt haben. Er muss sie wiedersehen, diese geheimnisvolle Fremde, die ihm, dem erfahrenen Verführer, mit ihrer unvergleichlichen Art das Herz gestohlen hat…


  • Erscheinungstag 18.11.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733754150
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Annabell Fenwick-Clyde stand auf, stützte die Hände in den Rücken und streckte sich. Seufzend sah sie hinauf in den Aprilhimmel, während sich ihre Muskeln entspannten. Seit Stunden kniete sie schon über den antiken Scherben, die sie bei der Ausgrabung der römischen Villa gefunden hatte.

Dunkle Wolken zogen vorüber und versprachen Regen. Sie musste die freigelegten Grabungen unbedingt gut abdecken, bevor sie ging.

„Oh“, ließ sich hinter ihr plötzlich eine tiefe Stimme vernehmen. „Eine Nymphe – und noch dazu in derart faszinierender Aufmachung.“

Erschrocken wandte sie sich um. Sie war so in die Arbeit vertieft gewesen, dass sie niemanden kommen gehört hatte. Jetzt stand keine zehn Fuß von ihr entfernt ein – sehr attraktiver – Mann und musterte sie eingehend.

Er war groß, schlank, hatte breite Schultern und lange Beine. Seine unverhohlenen Blicke ließen sie erröten. Das braune lockige Haar trug er nicht so kurz, wie die Mode es derzeit verlangte. Der Gehrock und das am Kragen aufgeknöpfte Hemd waren ein wenig verknittert. Mit den hellen grünen Augen schien er Annabell geradezu auszuziehen.

Unsicher trat sie einen Schritt zurück. Himmel, man hätte den Eindruck haben können, sie wäre eine besonders leckere Delikatesse! „Ich habe Sie nicht kommen hören“, erklärte sie und ärgerte sich über ihre leicht zitternde Stimme.

Er lächelte ihr begehrlich zu, und sie bekam weiche Knie.

„Sie waren ganz versunken in den Dreck da – mich hingegen bezaubert eine weit schönere Aussicht.“ Damit ließ er den Blick zu ihren Hüften wandern.

„Kein wahrer Gentleman würde eine Dame derart dreist anstarren.“ Glücklicherweise klangen die Worte nun gleichermaßen fest und kühl, was ihn allerdings nicht zu beeindrucken schien, denn er unterzog nun ihren Oberkörper einer eingehenden Musterung.

Endlich zuckte er die Schultern. „Und seit wann kleiden sich vornehme Damen wie arabische Bauchtänzerinnen?“ Er neigte den Kopf. „Obwohl Ihre weiten Pumphosen einen entzückenden Gegensatz zu dem wirklich sehr englischen Strohhut und gestärkten weißen Hemd bilden. Das dürfte doch wohl eher für einen Herrn geschneidert worden sein, wenn ich nicht irre. Wirklich ganz hinreißend.“

Ihr wurde heiß und kalt. Zum Teufel mit diesem Kerl! Wieso verunsicherte er sie nur derart? Es war ihr schlicht ein Rätsel! Dabei war sie es wahrlich gewohnt, sich gegen Männer durchzusetzen, ganz gleich, was sie gerade trug. Ihre gegenwärtige Kleidung hatte allerdings schon ihre Brüder Guy, der den Titel Viscount Chillings trug, und Dominic zutiefst schockiert. Obwohl die beiden eine ganze Weile immer wieder wütend verlangt hatten, dass sie sich für eine englische Dame angemessen kleidete, gab sie nicht nach. Inzwischen hatten die zwei sich allerdings beruhigt – nun, zumindest fast … Sie lächelte fein. Wenn sie den Brüdern jetzt in dieser Aufmachung begegnete, sahen sie sie nur noch vorwurfsvoll an, schwiegen aber ansonsten.

Vorwurfsvoll waren die Blicke des Herrn, der gerade vor ihr stand, jedoch wohl kaum zu nennen. Vielmehr schien er sie sich ganz ohne Kleidung vorzustellen, wenn sie sich nicht schwer irrte, was sie für unwahrscheinlich hielt. Annabell kannte diesen Gesichtsausdruck von ihrem verschiedenen Gemahl. Allerdings empfand sie heute dabei keinen Ekel, sondern fühlte sich plötzlich wie ein blutjunges Schulmädchen!

„Da hat man mir schon geschliffenere Komplimente gemacht“, erklärte sie spitz.

Mit wenigen Schritten näherte er sich ihr. „Das glaube ich gern“, flüsterte er.

Verärgert presste sie die Lippen aufeinander und sah ihm fest in die Augen, während er noch näher kam.

Die Sonne brach durch die dunkle Wolkendecke und tauchte das Paar in warmes Licht. Annabell betrachtete ihn. Die feinen Linien um die tief liegenden Augen mit den schweren Lidern verrieten einen gewissen Hang zu Ausschweifungen. Er musste ungefähr Mitte dreißig sein und schien ein anstrengendes Leben geführt zu haben. Wenn sie allerdings den Glanz seiner Augen so recht betrachtete, hatte er wohl zumindest die Ausschweifungen sehr genossen. Zweifellos war er ein Verführer und Draufgänger, wie er im Buche stand. Nun, ihr konnte es gleich sein. Außerdem war sie schon früher mit Männern dieses Schlages fertig geworden. Tatsächlich war ihr jüngerer Bruder ebenfalls ein solcher Frauenheld, und es gelang ihr stets, ihn wieder zur Räson zu bringen – selbstverständlich war sie nie selbst das Opfer von Dominics Gelüsten geworden.

„Nachdem Sie mich nun also hinreichend lange wie einen aufgespießten Schmetterling angestarrt haben, können Sie ja wohl endlich Ihrer Wege gehen.“ Scharf fügte sie hinzu: „Ich bin nämlich beschäftigt.“

Er schenkte ihr einen verlangenden Blick. „Das will fast so scheinen.“ Wieder machte er einen Schritt auf sie zu. „Allerdings befinden Sie sich dabei auf meinem Besitz.“ Vielsagend erklärte er dann: „Ich bin sehr gespannt, wie Sie mich dafür zu entschädigen gedenken.“

„Ich schulde Ihnen nicht das Geringste“, widersprach sie verärgert und trat beiseite. „Falls Sie Sir Hugo Fitzsimmon sind, so hat Ihr Verwalter mir die Erlaubnis erteilt, mich hier aufzuhalten.“

Noch immer erwartungsvoll lächelnd versperrte er ihr den Weg. „Bedauerlicherweise hat er mich hierzu nicht um meine Zustimmung ersucht.“

„Darüber müssen Sie sich dann wohl mit ihm unterhalten“, gab sie zurück. „Und nicht mit mir.“

Himmel, was war nur mit ihr los? Sie kannte den Mann überhaupt nicht, und dennoch spürte sie ein unerklärliches Verlangen …

In diesem Augenblick packte er sie beim Arm und zog sie dann langsam an sich. Sein sonnengebräuntes Gesicht war dem ihren jetzt ganz nah, und sie fühlte, wie muskulös er war. Zweifellos hatte er sich wie viele elegante Herren der sportlichen Ertüchtigung ebenso verschrieben wie dem Laster.

Mit diesen Überlegungen versuchte sie sich verzweifelt davon abzulenken, welche Spannung von ihrem ganzen Körper Besitz ergriff. Dieser Mann besaß etwas, das ungeahnte Empfindungen in ihr weckte. Was immer es auch sein mochte, ihr wollte es ganz und gar nicht gefallen!

Er sah sie an, als könnte er jeden ihrer Gedanken lesen – was ihn offensichtlich amüsierte. Mit der freien Hand zog er an dem kirschroten Satinband ihres breitkrempigen Huts, das Annabell unter dem Kinn zu einer Schleife gebunden hatte. Der Hut rutschte ihr bis auf den Rücken hinunter.

„Wie können Sie es wagen?“

Er lächelte. „Das war erst der Anfang.“

Und schon spürte sie seine Lippen auf den ihren. Sie hatte einen harten, grausamen Kuss erwartet … stattdessen war er unwiderstehlich.

Mit sinnlicher Zärtlichkeit eroberte er ihren Mund, umfasste ihren Hinterkopf und verflocht die Finger mit dem seidigen Haar. Dabei zog er sie noch fester an die Brust, so dass sie kaum atmen konnte.

Als sein Kuss sich vertiefte, schloss sie die Augen und gab sich ganz seinen Zärtlichkeiten hin. Heiß und kalt schien es ihr über den Rücken zu laufen. Ohne auch nur nachzudenken, wurde sie das willfährige Opfer seiner Verführung und des eigenen Verlangens. Ihr Verstand war dagegen machtlos.

„Ah …“, hauchte er endlich leise und gab ihren Mund frei. „Sie haben mich wirklich annehmbar entschädigt.“

Entsetzt öffnete Annabell die Augen und erwachte aus ihrem Tagtraum. Was hatte sie nur getan? Sich wie eine Kokotte benommen! Und dabei erfüllten die fleischlichen Beziehungen zwischen Mann und Frau sie doch eher mit Ekel! Das hatte ihr der Gemahl früher oft genug zum Vorwurf gemacht – und sie konnte ihm nicht widersprechen.

Mit aller Kraft versuchte sie, den Fremden von sich zu stoßen.

„Lassen Sie mich gehen!“ Die Schamesröte ließ ihre Wangen förmlich lodern.

Amüsiert lachte er auf, hielt sie aber weiter fest. „Und was bekomme ich dafür?“

Funken der Wut schienen in ihren Augen zu tanzen. „Die Frage ist wohl eher, was ich mit Ihnen mache, falls Sie sich weigern, Sir!“

Der Wind spielte in seinem Haar. „Ist das eine Drohung oder eher ein Versprechen?“ Wohlgefällig ließ er den Blick über sie gleiten. „Eher Letzteres, darf ich doch wohl hoffen?“

„Sie sind kein Gentleman und besitzen offenbar auch nicht eben einen scharfen Verstand.“ Annabell war meistens sehr ehrlich mit sich selbst. Und so konnte sie leider nicht abstreiten, dass er allen Grund zu dieser Selbstgefälligkeit besaß... Schließlich hatte sie sich ihm haltlos hingegeben. Die Erkenntnis stachelte ihre Wut allerdings nur noch mehr an.

„Ach nein?“, fragte er drohend, und jeder Anflug eines Lächelns war aus seinem Gesicht verschwunden. „Dabei durchschaue ich Sie vollkommen. Soll ich es Ihnen noch einmal beweisen, indem ich unser beider Verlangen erhitze?“

„Sie sind bereits einmal zu weit gegangen“, entgegnete sie aufgebracht. „Ich habe Ihnen vielleicht gestattet, mich zu küssen ….“

„Gestattet? Sie haben meinen Kuss leidenschaftlich erwidert!“

„Ganz im Gegenteil.“

Offensichtlich hatte er seinen Humor wiedergefunden, denn er lachte nun herzlich. Wieder schien es ihr heiß und kalt über den Rücken zu laufen. Jetzt war es aber genug! Sie schob ihn fort und hakte dabei ein Bein hinter sein Knie, so dass er zu Boden stürzte.

Dort blieb er sitzen und betrachtete sie erstaunt. „Sie wissen sich zu verteidigen, Teuerste.“

„Ich habe zwei Brüder. Da lernt man schnell.“ Während Sir Hugo aufstand und sich die Kleidung richtete, fügte sie hinzu: „Falls niemand Sie über meine Anwesenheit hier unterrichtet hat, ist dies die Schuld Ihres Verwalters, der mir die Erlaubnis zu den Ausgrabungen hier erteilte. Vielleicht konnte er Sie nicht erreichen. Wenn Sie wünschen, zeige ich Ihnen gerne seinen Brief an mich …“

„Nein, nein, ich glaube Ihnen, Miss …“

Stolz hob sie das Kinn. „Lady Fenwick-Clyde.“

Er verneigte sich spöttisch vor ihr. „Sehr angenehm. Bitte fangen Sie ruhig mit meinem Land an, was immer Ihnen beliebt, bis ich mit meinem Verwalter gesprochen habe.“

Mit einem letzten genießerischen Blick auf sie wandte er sich um und ging hinüber zu der kastanienbraunen Stute, die ein Stück entfernt graste. Erst jetzt bemerkte Annabell, dass er leicht hinkte, obwohl es tatsächlich kaum wahrzunehmen war und ihm nichts von seiner katzenartigen Geschmeidigkeit nahm.

Was stand sie hier eigentlich noch so herum? Sie hatte so viel zu tun! Jetzt, da Sir Hugo zurückgekehrt war, blieb ihr nur noch wenig Zeit. Nicht einmal eine Witwe konnte es sich leisten, in einem Atemzug mit dem Wolf vom Covent Garden genannt zu werden, ohne dass ihr Ruf auf immer ruiniert war.

Ein versonnenes Lächeln umspielte ihre Lippen. Diesen Spitznamen hatte ihr Bruder Dominic für ihn verwandt, als er hörte, auf wessen Grund und Boden die römische Villa lag. Dominic hatte gesagt, der Mann wäre gefährlich. Bestimmt hatte er recht … Seufzend wandte sie sich wieder der Arbeit zu.

Hugo saß locker im Sattel – trotz der Schmerzen im linken Oberschenkel und des starken Ziehens in der Leiste. Er gehörte nicht zu den Menschen, die sich gern selbst bemitleideten. Bei Waterloo hatte ihn eine Kugel getroffen – vielen anderen war es weit schlimmer ergangen.

Für seine Tapferkeit hatte man ihn in den Adelsstand erhoben. Es zuckte um seine Mundwinkel. Dabei hatte er nur getan, was getan werden musste. Und wie hatte der Vater sich sein ganzes Leben lang gemüht, dem Sohn einen Titel zu verschaffen. Nun war er tot, und dennoch hoffte Hugo, er möge es wissen und sich freuen. Obwohl der Verstand ihm natürlich sagte, dass dies ganz unmöglich war.

Er widerstand der Versuchung, sich nach Lady Fenwick-Clyde umzusehen, weil er nicht sicher war, ob er dabei Verlangen oder Mitgefühl empfinden würde. Stattdessen trieb er Molly zu einem forschen Trab an.

Fenwick-Clyde war ein alter Lustmolch gewesen, der bei den Straßendirnen im Ruf stand, ein grober Gesell zu sein. Hugo runzelte finster die Stirn. Warum das Kind nicht beim Namen nennen? Fenwick-Clyde war ein Sadist gewesen. Und man hatte gemunkelt, dass er seine Neigungen auch bei seiner jungen Frau auslebte. Der Mann hatte ihn stets mit tiefem Ekel erfüllt, und folgerichtig war er dem Kerl aus dem Weg gegangen. Deshalb war ihm dessen Gemahlin auch nie begegnet. Sie hatte sich ohnehin kaum bei gesellschaftlichen Anlässen gezeigt. Ob sie noch immer ein solch zurückgezogenes Leben führte, nun da ihr Gemahl verstorben war?

Egal, was kümmerte es ihn?

Inzwischen hatte er den Kiesweg erreicht, der nach Rosemont führte. Der Landsitz war nach den unzähligen Rosenbüschen seines Parks benannt, die im Spätfrühling und Sommer üppig erblühten. Hugo ließ Molly für den Rest des Wegs in einen leichten Galopp fallen.

Einige Minuten später brachte er die Stute abrupt zum Stehen. Beschwingt stieg Hugo ab. Endlich wieder daheim. Fast ein ganzes Jahr war er fort gewesen.

Tief holte er Luft – es duftete wunderbar frisch nach gemähtem Gras und Blumen. Er lächelte versonnen. Sein Heimweh nach Rosemont war stärker gewesen, als er zugegeben hätte.

Die Stufen zum Haupteingang lagen genau in der Mitte zwischen den beiden Flügeln des Hauses. Es war zur Zeit Königin Elisabeths erbaut worden im damals typischen Stil aus gebrannten roten Ziegeln und schweren Eichenbalken. Vor sechsunddreißig Jahren hatte er hier im Zimmer der Haushälterin das Licht der Welt erblickt.

Jetzt öffnete sich die Tür, und Butterfield trat heraus. Groß und hager, hielt sich der alte Butler mit mehr Würde als selbst der Eiserne Duke. Wellington war ja allgemein bekannt für seine hohe Meinung von der eigenen Person. Hugo war im vergangenen Jahr einer seiner Attachés gewesen und erinnerte sich nur zu gut an die Haltung des großen Feldherrn.

„Butterfield!“, rief er und umarmte den Alten, wenn der sich auch sträubte.

„Sir Hugo“, erwiderte er leicht strafend, was indes nicht über seine Freude hinwegzutäuschen vermochte. „Lassen Sie das doch bitte.“

Hugo hatte ein Einsehen mit dem alten Diener und gab ihn frei. „Da haben Sie sich früher aber weniger spröde gezeigt, mein Lieber.“

„Ja, allerdings waren Sie da noch ein kleiner Rabauke. Heute muss ich Sie mit ‚Sir‘ anreden, und man hat Sie gerade für Ihre Tapferkeit ausgezeichnet.“

„Nicht doch.“ Hugo winkte ab. „Die Kutsche mit meinem Gepäck wird später eintreffen. Während der Reise begann es heftig zu regnen. Die Straßen haben sich in ein einziges Schlammloch verwandelt.“

Ein Stalljunge kam breit grinsend angelaufen, nahm Mollys Zügel und führte sie davon. Hugo erwiderte das Lächeln des Burschen und ging dann hinein. Endlich wieder daheim, wünschte er sich nichts sehnlicher, als in Ruhe mit einem Schwenker besten Cognacs in der Bibliothek Platz zu nehmen.

Er betrat die Halle und betrachtete das schöne Parkett und die polierten Rüstungen und Waffen. Schilde jeder Form und Größe, Bajonette und Musketen zierten die Eichenvertäfelung. Alles blinkte und blitzte. Kein Wunder. Schließlich führte hier Butterfield sein strenges Regiment über die Dienerschaft. Doch der Butler war nicht mehr der Jüngste. Man musste bald eine Haushälterin einstellen, um ihn zu entlasten – wenn ihm dies auch nicht im Mindesten zusagen würde. Eigentlich hatte Hugo nie wieder eine Haushälterin nach Rosemont holen wollen. Wenn er sich auch keinesfalls der gleichen Indiskretionen schuldig gemacht hätte wie der eigene Vater.

„Lass nur, Michael“, rief er dem Diener zu, der ihm die Reitjacke hatte abnehmen wollen. „Ich behalte sie an.“

Der junge Mann wandte sich um. Er war klein und schmal, anders als die meisten Lakaien, die von ihren Arbeitgebern hauptsächlich wegen ihres guten Aussehens eingestellt wurden. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Der Herr hatte ihn offenbar nicht vergessen und erinnerte sich sogar noch seines Namens. Im Gegensatz zu den meisten Aristokraten kannte Hugo alle seine Angestellten und rief sie nicht nach der Tätigkeit, für die sie bezahlt wurden.

Hugo betrat die Bibliothek. Hier fühlte er sich am wohlsten in ganz Rosemont.

Mit einem zufriedenen Seufzer betrachtete er die hohen Sprossenfenster, die das warme Sonnlicht des Spätnachmittags hereinließen. Es spiegelte sich im gemaserten Holz des Parketts und dem Glas der Bücherschränke, die an der gegenüberliegenden Wand vom Boden bis zur Decke aufragten. Im riesigen Kamin prasselte ein Feuer. In einem großen alten Haus wie diesem blieb es selbst zu dieser Jahreszeit noch kühl.

Er trat zum Schreibtisch und griff nach der Karaffe. Dann goss er sich großzügig ein und nahm einen kräftigen Schluck.

„Oh“, war hinter ihm eine Frauenstimme zu hören. „Ich glaube, Sie haben hier nichts zu suchen.“

Rasch trank er aus und schenkte nach, ohne sich umzudrehen. Zweifellos würde er noch ein Gläschen brauchen. Da war er sich ganz sicher.

„Das Anwesen befindet sich in Privatbesitz. Der Eigentümer ist lediglich derzeit nicht daheim“, sprach die Frau ein wenig atemlos, aber dennoch in scharfem Ton weiter. „Am besten machen Sie sich auf der Stelle davon, bevor ich Sie von einem der Diener hinauswerfen lasse.“

Nach einem weiteren genussvollen Schluck wandte er sich endlich langsam um und betrachtete sein Gegenüber. Die Fremde war hochgewachsen und unglaublich dünn. Das spitze Kinn und die übergroßen braunen Augen wollten kaum zu dem schmalen Gesicht passen. Das blassblonde, von grauen Strähnen durchzogene Haar war im Nacken zu einem festen Knoten gebunden. Ihre Miene verriet milde Verärgerung.

„Ich hatte noch nicht das Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, falls ich mich nicht irre, Madam“, erklärte er lässig und leerte das Glas.

Trotzig richtete sie sich auf. „Fein beobachtet. Und daran wollen wir auch nichts ändern.“ Damit zog sie an der Klingelschnur neben dem Kamin.

„Sie halten sich wohl mit Lady Fenwick-Clyde hier auf?“

„Richtig.“ Steif wie ein Stock stand sie in dem hellvioletten Kleid vor ihm.

Er stellte den leeren Schwenker ab. Seine zweite unerwartete Begegnung mit einer Frau heute versprach nicht halb so amüsant zu werden wie die erste. Knapp verneigte er sich. „Da wir einander wohl noch eine Weile das Leben schwer machen werden, möchte ich mich Ihnen vorstellen.“ Sie wollte etwas entgegnen, doch er sprach weiter. „Sir Hugo Fitzsimmon – Ihr Gastgeber.“

Entsetzt weitete sie die wasserblauen Augen, und eine zarte Röte stieg ihr in die Wangen. „Himmel, wie furchtbar! Das passt ja gerade überhaupt nicht!“

Mit Mühe verbiss er sich ein Lachen.

„Wie reizend“, antwortete er. „Ich vermute, Sie sind Lady Fenwick-Clydes Gesellschafterin?“

„In der Tat. Wie ich Ihnen versichern darf, Sir, hatten wir nicht mit Ihrem Eintreffen hier in nächster Zeit gerechnet.“ Sie schüttelte den Kopf. „Leider erlaubt Ihr Ruf nicht einmal einer Witwe im Beisein einer Anstandsdame unter Ihrem Dach zu verweilen.“

Gleichmütig zuckte er die Schultern. „Dann sollten Sie ins nahe gelegene Gasthaus umziehen. Die Zimmer sind sauber und die Speisen einigermaßen genießbar.“

„Könnten Sie nicht einfach noch eine Weile dahin zurückgehen, wo Sie gerade herkommen?“

Hörte er plötzlich schlecht, oder beliebte die Dame zu scherzen? Nein, wenn er ihr ernstes Gesicht so betrachtete, war wohl davon auszugehen, dass es ihr Ernst war – und zwar jedes Wort!

„Schließlich hat Ihr Verwalter uns die Erlaubnis erteilt, uns hier ungestört aufzuhalten, solange Bell und die anderen eben brauchen, bis sie mit den Ausgrabungen fertig sind“, fuhr sie ungerührt fort.

War er möglicherweise doch in Waterloo gefallen und nun mitten in der Hölle gelandet? Dies musste doch ein übler Traum sein!

„Leider muss ich Sie da enttäuschen“, erklärte er, schenkte sich nach und trank. „Ich werde Sie nun allein lassen und mich in meine Zimmer zurückziehen. Wenn ich wieder herunterkomme, erwarte ich, dass Sie verschwunden sind.“

Bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte, ging er hinaus. Musste diese Furie ausgerechnet sein Allerheiligstes, die Bibliothek, mit ihrer Anwesenheit beflecken?

„Sir Hugo.“ Butterfield näherte sich. „Oh, Sie müssen da drin auf Miss Pennyworth getroffen sein.“

„Eine große dürre Person, die sich aufführt, als würde Rosemont ihr gehören?“

Butterfield nickte.

„Ich ziehe mich in meine Räume zurück. Richten Sie Tatterly aus, dass ich ihn in einer Stunde in der Bibliothek zu sprechen wünsche. Und zwar ohne Miss Pennyworth oder sonst irgendwen.“

„Gewiss, Sir.“

2. KAPITEL

Als Annabell die Halle betrat, hörte sie laute Stimmen. Zwei Männer schienen in der Bibliothek zu streiten. Der eine der beiden war Sir Hugo, den sie peinlicherweise sofort wiedererkannte. Dabei hatte sie ihn doch nur wenige Minuten gesprochen – aber diese Stimme würde Sie so schnell nicht vergessen.

„Tatterly“, erklärte Sir Hugo gerade mit unterdrücktem Zorn, „sorgen Sie dafür, dass Lady Fenwick-Clyde und ihr Anstandswauwau spätestens morgen von hier verschwunden sind. Oder am besten noch heute Abend!“

Als Annabell ihren Namen hörte, vergaß sie ihre guten Manieren und schlich näher. Besser, sie fand gleich heraus, was ihr blühte. Fast hätte sie das Ohr gegen die Tür gedrückt.

„Sicher, Sir Hugo, aber …“

„Keine Widerworte. Ich bin endlich daheim und denke gar nicht daran, mich wieder zu entfernen. Und ich werde mich schon gar nicht wegen irgendwelcher Tratschtanten vertreiben lassen, um den Ruf dieses Frauenzimmers nicht zu gefährden.“ Er schwieg kurz. „Und diese Pennyworth! Die würde mich in wenigen Sekunden zum Wahnsinn treiben.“

Jetzt reichte es aber! Wie konnte dieser Kerl es wagen, so über Susan zu sprechen! Annabell war nun mindestens ebenso wütend wie der Hausherr selbst. Entschlossenen Schrittes betrat sie die Bibliothek und blieb hinter der offenen Tür in einiger Entfernung von Sir Hugo stehen.

„Vielleicht sollten Sie etwas leiser sprechen, Sir Hugo, bevor Sie sich über Gäste auslassen, mögen Sie auch unwillkommen sein.“

Langsam wandte er den Kopf und sah sie an. „Ich wüsste nicht, weshalb ich mich in meinem eigenen Hause mäßigen sollte, Lady Fenwick-Clyde.“

Natürlich hatte er recht, wie sie sehr genau wusste. Nun, das war ihr gerade gleich … „Sie mögen mich nicht selbst eingeladen haben, Sir, Mr. Tatterly allerdings versicherte uns, dass nichts dagegen einzuwenden wäre, wenn Miss Pennyworth und ich im Haus wohnten, bis die römische Villa vollständig ausgegraben ist.“

Sir Hugo machte einen Schritt auf sie zu, blieb dann aber stehen, als traute er sich nicht in ihre Nähe. „Solange ich mich noch auf dem Kontinent aufhielt, traf dies zweifellos zu. Allerdings bin ich nun wieder daheim. Und ich habe keineswegs vor, ein Zimmer im Gasthof zu beziehen. Also sollten besser Sie hier ausziehen. Ihr Ruf wird keinen Pfifferling mehr wert sein, falls Sie auch nur eine Nacht unter demselben Dach zubringen wie ich.“

Trotzig hob sie das Kinn. „Ich bin Witwe und muss mir als solche darum keine Sorgen machen.“

„Das mag für andere Witwen gelten …“ Er betrachtete sie von Kopf bis Fuß. „Doch mit denen würden Sie sich wohl nicht gern vergleichen lassen – trotz Ihrer sonderbaren Aufmachung. Aber belehren Sie mich ruhig eines Besseren, falls ich mich diesbezüglich irre.“

„Wenn Sie meine Kleidung von nun an ein für alle Mal aus dem Spiel lassen könnten, Sir, wäre ich Ihnen äußerst verbunden“, erwiderte sie mit unterdrückter Wut. „Bis Sie hier unangekündigt auftauchten, musste ich mir um meinen Ruf jedenfalls keinerlei Gedanken machen.“

Schulterzuckend drehte er ihr den Rücken zu. „Jetzt bin ich aber wieder da. Dies ist mein Haus, und damit wäre die Angelegenheit wohl erledigt.“

„Sir …“, begann der Verwalter mit gequältem Gesichtsausdruck.

„Kein Wort mehr, Tatterly.“

Der Arme tat Annabell leid. Schließlich war es nicht seine Schuld. „Bitte, Mr. Tatterly, Sie haben keinen Grund, sich Vorwürfe zu machen. Wer hätte schon erwarten dürfen, dass ein Mann wie Sir Hugo den Vergnügungen Londons so rasch überdrüssig wird und sich ins Landleben flüchtet.“

Ungläubig hob Hugo den Kopf. Als er sich umwandte, wirkte er allerdings ungerührt. „Ich amüsiere wich wo und wann ich will, Madam. Und derzeit bevorzuge ich es, mich in meinem eigenen Haus aufzuhalten.“

Sie biss sich auf die Lippe, wie stets, wenn sie vor scheinbar unüberwindlichen Hindernissen stand. „Nun gut, Sir, dann werden Miss Pennyworth und ich also in den Gasthof umziehen.“ Herzlich lächelte sie dem Verwalter zu. „Wären Sie so freundlich, uns dort Zimmer zu reservieren, Mr. Tatterly? Dafür wäre ich Ihnen wirklich ausnehmend verbunden.“

Der Mann errötete tief. „Selbstverständlich, Madam. Es wäre mir eine Ehre.“ Damit ging er zur Tür, wandte sich aber pflichtschuldig doch noch einmal um. „War das alles, Sir? Je eher ich unten im Dorf bin, desto schneller können wir Ihren Wünschen entsprechen.“

Hugo nickte. „Gehen Sie nur rasch, Tatterly. Wir wollen doch Lady Fenwick-Clyde keinesfalls länger warten lassen als unbedingt erforderlich.“

Der Verwalter verließ die Bibliothek.

„Haben Sie eine Zofe mitgebracht, Madam?“, fragte Hugo und trat an eins der Fenster. „Andernfalls schicke ich Ihnen eine Dienerin hinauf, die Ihnen beim Packen hilft.“

„Das wird nicht nötig sein. Darum kann ich mich schon selbst kümmern.“

„Daran zweifle ich auch nicht“, erwiderte er. „Aber warum sollten Sie es sich nicht ein wenig einfacher machen?“

„Weil ich so unabhängig bleibe.“ Sie hob eine Braue.

„Wie Sie wünschen.“

Er schien verärgert, beherrschte sich jedoch. Ihr war das gleich. Seit ihrer Ehe mit Fenwick-Clyde gab sie nichts mehr darauf, was ein Mann von ihr oder ihrer Freiheitsliebe hielt.

„Ich werde Ihnen keine Sekunde länger zur Last fallen als unbedingt notwendig.“ Damit drehte sie sich um und schritt hinaus. Je eher sie dieses Haus verließ, desto besser.

Kopfschüttelnd sah er ihr nach. Trotz der lächerlichen Aufmachung schien sie kühl und beherrscht – ganz wie eine Frau, die es mit der ganzen Welt aufnehmen konnte, falls es sein musste. Doch er wusste es besser. Unter dem Eis brodelte ein Vulkan! Schade, dass dieser Blaustrumpf so überzeugt davon schien, Männer wären zu nichts nütze …

Ein herausforderndes Lächeln umspielte seine Lippen. Es würde bestimmt amüsant sein, die ach so unabhängige Lady Fenwick-Clyde in diesem Punkt eines Besseren zu belehren.

Dann legte er den Kopf zurück und lachte. Ja, es war wirklich schön, wieder daheim zu sein.

Annabell kontrollierte ihr Reiseschreibpult. Ja, alle Federn befanden sich an ihrem Platz, und das Tintenfass war fest verkorkt. Unwillkürlich strich sie über die lederne Schreibunterlage. Mit den Jahren war sie so glatt geworden, dass das Material sich jetzt anfühlte wie Satin. In der einen Ecke befanden sich Tintenkleckse, in der anderen ihre Initialen, die sie vor Jahren in das Mahagoniholz geritzt hatte. Sie konnte sich noch immer genau daran erinnern.

Damals war sie bereits seit einiger Zeit verheiratet gewesen und furchtbar unglücklich. Guy, ihr älterer Bruder, hatte ihr Geld gegeben, damit sie dem Gemahl für eine Weile entfliehen konnte – allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass sie nach Ägypten aufbrechen würde. Er hatte an Schottland, Irland, ja, vielleicht sogar Italien gedacht. In diesen Ländern durfte sich eine verheiratete englische Dame in Begleitung einer Gesellschafterin durchaus aufhalten. Als er allerdings erfuhr, wohin sie tatsächlich gereist war, erlitt er einen schweren Wutanfall, doch da war es schon zu spät. Sie war längst am Ziel angekommen und vollständig begeistert.

Die Exotik der Wüste hatte sie bezaubert, die Pyramiden faszinierten sie. Damals hatte ihre Liebe zur Archäologie begonnen, die sie inzwischen wissenschaftlich betrieb. Ja, es war ihre einzige wahre Leidenschaft.

Der ägyptische Führer hatte sie gelehrt, die raue Schönheit der Wüste zu begreifen. Manchmal glaubte sie noch heute, den heißen trockenen Wind auf der Haut zu spüren.

Die Reise war der Wendepunkt ihres Lebens gewesen.

Geschichte faszinierte sie, seit sie mit ihren Brüdern die antiken Klassiker gelesen hatte, als Guy und Dominic sich aufs Studium vorbereiteten. Doch in Ägypten hatte sie die Vergangenheit mitentdecken dürfen, statt nur von ihr zu lesen.

Fenwick-Clyde drohte bei ihrer Rückkehr, die Gemahlin für immer aufs Land zu verbannen, weil sie ohne seine Erlaubnis aufgebrochen war. Doch damit konnte er sie nicht schrecken. Sie hatte für diese Ehe bereits bitter bezahlt – und zwar auf eine Art, wie sie sich die feine Gesellschaft wohl kaum vorzustellen vermochte. Glücklicherweise war der Gemahl kurz darauf gestorben. Der Alkohol, die Frauen und andere Ausschweifungen hatten ihn endlich dahingerafft.

Sie ließ den großen Koffer zuschnappen, als es an die Tür klopfte. „Herein!“

„Madam.“ Es war Tatterly, der sie da aus ihren Tagträumen riss. „Verzeihung, aber leider bringe ich schlechte Nachrichten.“

Während sie sich weiter an ihrem Gepäck zu schaffen machte, sah Annabell zu ihm auf. „Ja?“

Unsicher fuhr er über das glatte Holz des Türrahmens. Er war ein kräftiger Mann, nicht sonderlich groß, doch muskulös. Man sah ihm an, dass er seinen Lebensunterhalt mit körperlicher Arbeit verdient hatte, obwohl er ein Gentleman von Geburt war und sogar in Oxford studiert hatte.

„In der Tat.“ Er holte Luft. „Im Gasthof ist kein Zimmer frei. Am Wochenende findet in der Gegend ein Preisboxen statt.“

„Weiß Sir Hugo schon Bescheid?“

„Nein, Madam. Er reitet gerade das Gut ab und begrüßt seine Pächter.“

Nun war sie doch beeindruckt. Sie kannte nicht viele Landbesitzer, die, kaum zurückgekehrt, gleich den Weg zu ihren Bauern fanden.

„Was für ein gewissenhafter Mensch.“

„Oh, ja, das ist er wirklich.“ Tatterly stand noch immer im Türrahmen und wirkte ausgesprochen angespannt. Wo sollten sie die Frau nun unterbringen? „Was schlagen Sie vor, Lady Fenwick-Clyde? Das andere Dorf, in dem sich ein Gasthof befindet, liegt weiter entfernt. Da müssten Sie jeden Tag mindestens eine Stunde hin- und herfahren. Oder gar länger, falls wir schlechtes Wetter bekommen.“

Seufzend ließ sie von ihrem Gepäck ab. Die Lage verschlimmerte sich wirklich mit jeder Minute. „Bitte richten Sie Sir Hugo aus, dass ich ihn gleich nach seiner Rückkehr zu sprechen wünsche.“

„Natürlich, Madam.“

Freundlich lächelte sie ihm zu. „Vielen Dank, Mr. Tatterly, für alles, was Sie schon für mich getan haben.“

„Aber ich bitte Sie, Madam.“

Noch immer rührte er sich nicht, sondern betrachtete sie unsicher. Auffordernd hob sie die Brauen.

„Was gibt‘s, Mr. Tatterly?“

„Falls Sie erlauben, würde ich Miss Pennyworth gern mitteilen, dass Sie doch noch nicht aufbrechen. Sie wartet im Kleinen Salon.“ Er errötete merklich. „Oder meinen Sie, sie würde es lieber von Ihnen erfahren?“

Der Mann ist wirklich leicht zu durchschauen, dachte sie lächelnd. „Im Gegenteil. Dafür wäre ich Ihnen ausgesprochen verbunden. Dann kann ich hier weitermachen und muss nicht zwischendurch hinuntergehen.“

„Nein, nein. Ich tu es gern.“

Daran zweifelte sie nicht. Seufzend sah sie ihm nach. Wenn sie noch lange hier blieben, würde sie vielleicht ihre Gesellschafterin verlieren. Susan Pennyworth und sie waren schon sehr lange beisammen. Sie hatten einander in Ägypten kennen gelernt. Miss Pennyworth sollte ein junges Mädchen nach England begleiten. Annabell bot Susan an, die Stelle als Gesellschafterin bei ihr anzutreten, sobald das Mädchen wohlbehalten angekommen war. Und Miss Pennyworth hatte angenommen. Doch nun schien Mr. Tatterly der Guten eine neue Position als Gemahlin antragen zu wollen, falls Annabell da nicht sehr irrte. Sollte Susan einwilligen, würde sie ihr das nicht übel nehmen, sondern ihr das Glück von ganzem Herzen gönnen – obwohl sie sie schrecklich vermissen würde.

Aber im Augenblick musste sie sich mit Dringlicherem herumschlagen. Auf gar keinen Fall hatte sie vor, jeden Tag eine Stunde zur Ausgrabungsstätte anzureisen und dann wieder eine volle Stunde zurück zum Gasthof zu fahren Oder gar länger …

Sie begann, wieder auszupacken.

Hugo atmete tief ein. Es war angenehm lau, und ein wunderbarer Duft lag in der Luft. Im Gebüsch raschelte es, und Vögel schwebten in den Lüften. Wie hatte er England und Rosemont doch vermisst … damit hätte er nie im Leben gerechnet.

Fester griff er die Zügel, dass Molly scheute. „Ruhig, mein Mädchen“, flüsterte er, beugte sich leicht vor und tätschelte der Stute den Hals. „Es ist alles in Ordnung.“

Vor ihm lagen die Überreste der römischen Villa. Er ließ Molly halten. An einer Stelle lagen Scherben und irdene Krüge. Die Frau verstand offenbar genau, was sie da tat. Schon während seiner Studienzeit in Oxford hatten ihn Archäologie und das Altertum begeistert. Sonderbar, dass beides auch sie so sehr faszinierte.

Zwar wollte er seinen ungebetenen Gast aus dem Haus haben, weil es sonst nur Schwierigkeiten geben würde. Dennoch war ihm sehr daran gelegen, dass die Villa weiter ausgegraben wurde. Wenn möglich, sollte sie sogar wieder aufgebaut werden.

Tatterly hatte ihm damals geschrieben, dass einer der Pächter die Villa beim Pflügen in der Nähe des Obstgartens entdeckt hatte. Hugo antwortete dem Verwalter, dass er die Stätte von einem Experten ausgraben lassen solle. Allerdings hatte er nicht damit gerechnet, dass es sich dabei um eine Frau handeln würde.

Halb amüsiert, halb gequält lächelte er. Es wäre ihm nicht einmal in seinen verworrensten Träumen eingefallen, eine Frau könne sich für Altertümer und die Antike begeistern – oder wäre auf dem Gebiet gar eine Berühmtheit wie Lady Fenwick-Clyde.

Seltsam, dass sie beide die Leidenschaft für Alte Geschichte miteinander teilten. Allerdings war dies kein Grund, ihr zu gestatten, im Haus zu bleiben, angesichts des Geredes, das folgen würde. Danach wäre ihr Ruf zweifellos ruiniert, oder er würde sich gar gezwungen sehen, ihr die Ehe anzutragen. Beides keine schöne Aussicht.

Außer natürlich, sie blieb freiwillig, obwohl sie wusste, dass eine Ehe mit ihm ausgeschlossen war.

Als Annabell die Bibliothek betrat, fand sie Sir Hugo dort auf einem Diwan, in der einen Hand ein Buch, in der anderen den Cognacschwenker. Er wirkte restlos zufrieden. Für einen Mann seines Rufs verbrachte er erstaunlich viel Zeit in der Abgeschiedenheit seines Bücherzimmers. Sie hätte ihn viel eher am Spieltisch erwartet, oder mit einem Schankmädchen auf den Knien in einer nahe gelegenen Taverne.

„Sir Hugo“, sagte sie fest. „Ich muss mit Ihnen sprechen.“

Was er darauf antwortete, konnte sie nicht verstehen. Aber es klang wie ein Fluch. Er machte sich nicht die Mühe aufzustehen oder sie auch nur anzusehen. Stattdessen tat er, als wäre sie gar nicht da.

„Ich sagte, ich muss mit Ihnen reden.“ Sie trat neben den Diwan und funkelte den Gastgeber böse an.

Sein Haar war vom Ritt noch immer zerzaust, und die vollen Locken fielen ihm in die Stirn. In den hellgrünen Augen lag ein Leuchten, das sie nicht zu deuten wusste. Und dann die vollen Lippen …

Unwillkürlich dachte sie daran, wie sie sich auf ihrem Mund angefühlt hatten. Natürlich verfügte er über beträchtliche Übung im Küssen. Am liebsten hätte sie seine Lippen sanft mit dem Finger nachgezogen. Himmel! Wütend ballte sie die Hände und ließ die Arme sinken. Nie hatte sie geglaubt, je so empfinden zu können … Der Mann tat ihrem Seelenfrieden ganz und gar nicht gut.

Endlich legte er das Buch beiseite. Es war ein Roman von Jane Austen. „Ich dachte, Sie wären inzwischen verschwunden.“

„Das Gasthaus ist vollständig belegt“, erklärte sie sachlich.

„So ein Pech.“

Sie wartete, doch er nippte nur am Glas, ohne noch etwas zu sagen.

„Sie trinken viel, Sir Hugo“, versuchte sie ihn zu provozieren. Aus irgendeinem Grund brachte dieser Mann ihre schlechtesten Eigenschaften zum Vorschein.

Er nickte. „Stimmt, aber keineswegs so viel wie manch anderer. Wo werden Sie also von nun an wohnen?“

Gerade wollte sie ihm energisch auseinandersetzen, dass sie auf Rosemont zu bleiben gedachte. Aber dies war doch immer noch sein Haus, und er konnte sie jederzeit hinauswerfen, wann immer es ihm beliebte – ganz gleich, ob sie die Nacht dann auf einem Feld verbringen musste. Wahrscheinlich lebte sie inzwischen zu lange allein und war es nicht mehr gewöhnt, von einem Mann abhängig zu sein. Sonst wäre sie freundlicher zu ihm gewesen.

„Darf ich mich setzen?“, fragte sie betont höflich.

Lässig wies er auf einen breiten, mit Chintz bezogenen Sessel, auf dem sie schon des Öfteren gern Platz genommen hatte. Es gab doch nichts Schöneres, als vor einem prasselnden Feuer zu sitzen, Tee zu trinken und ein gutes Buch zu lesen. Außer vielleicht, es gab dazu noch knusprigen Toast mit selbstgemachter Marmelade. Fitzsimmon besaß wirklich eine beeindruckende Literatursammlung. Es war alles dabei von antiken Klassikern bis zu Jane Austen. Ob er all die Bücher hier bereits gelesen hatte? Wohl kaum. Dafür waren es dann doch zu viele.

Sie setzte sich und strich den Rock des hoch taillierten Kleides, das sie inzwischen angelegt hatte, glatt. „Das nächste Gasthaus mit freien Zimmern liegt einen mindestens einstündigen Ritt von hier entfernt, was mir meine Arbeit sehr erschweren und diese darüber hinaus merklich verlängern würde.“

Ohne etwas zu erwidern, betrachtete er sie lediglich. Sein Blick war ihr mehr als unangenehm. Tatsächlich fühlte sie, wie sie errötete und ihr ganz schwach wurde. Konnte er nicht woanders hinsehen? Das war ja unerträglich!

„Habe ich einen Schmutzfleck im Gesicht?“, erkundigte sie sich schnippisch.

Herausfordernd lächelte er ihr zu. „Ich kann jedenfalls keinen erkennen, und dabei bemühe ich mich gerade wirklich sehr, irgendeine Unebenheit an Ihrem Äußeren zu entdecken.“

Mit weit geöffneten Augen beugte sie sich vor. „Verzeihung, Sir Hugo“, erwiderte sie dann offensichtlich peinlich berührt. „Aber ich bin nicht hier, um mit Ihnen zu flirten.“

Autor

Georgina Devon
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