Die Wilde Geschwister - lässt sich ihre Leidenschaft bändigen? - 6-teilige Serie

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Jake, Caleb und Travis sind drei temperamentvolle Brüder. Nach der Rückkehr auf die Familienranch stellt sich für Sie eine der größten Fragen: Lassen sich Ihre leidenschaftlichen Herzen bändigen?

ZARTE LIEBE - GEFÄHRLICHES SPIEL
Als Pilot Jake Wilde nach vier Jahren auf seine Ranch zurückkehrt, erwartet ihn die halbe Stadt. Und eine Fremde. Allein steht sie im Salon: schlank, schön und in einem Kleid aus Seide. Sexy schwarzer Seide. Sehnsucht bemächtigt sich seiner verletzten Seele - und tiefe Enttäuschung, als er begreift, dass die Fremde ihn nicht als Mann, sondern bloß als Geschäftspartner sieht. Er beginnt einen heftigen Streit mit ihr - und erobert sie noch in derselben Nacht unter Texas’ Sternen ...

ENTFÜHRE MICH IN DEINE WELT
Diese Glamourpartys sind einfach nichts für mich, denkt Caleb Wilde gelangweilt … doch dann sieht er SIE: blond, schön und mit einer Haltung, die ihren unbändigen Stolz verrät, elektrisiert sie ihn - und lässt ihn kühl abblitzen. Aber als Caleb sie vor einem zudringlichen Gast rettet, ist ihre Arroganz verschwunden. Stattdessen entdeckt er Tränen der Dankbarkeit in ihren Augen. Kurz darauf bringt er sie galant zu ihrem Apartment. Als Fremde betreten sie es und verlassen es am nächsten Morgen als Liebespaar ...

BITTE, SCHENK MIR DIESE NACHT
Ewige Liebe, Treue, Ehepflichten … damit hat Travis Wilde nichts im Sinn. Er würde jedoch keiner schönen Frau verwehren, in sein King-Size-Bett zu schlüpfen. Besonders fasziniert ihn die schüchterne Jennie, die genau weiß, was sie will: Ihn. Der Millionär ahnt nicht, dass das Leben der Blondine am seidenen Faden hängt und sie ihn für die Erfüllung ihres letzten Wunschs braucht: Eine Nacht voller Zärtlichkeit! Doch wie viel Jennie ihm wirklich bedeutet, begreift er erst spät. Zu spät?

WEHRLOS VOR BEGEHREN
"Steigen Sie ein", klingt es aus der Limousine, die neben Emily hält. Sie sollte fliehen! Aber es regnet in Strömen, und zumindest der Chauffeur in der edlen Livree wirkt vertrauenserweckend. Gefährlich scheint nur Marco Santini, der Mann auf dem Rücksitz: groß, sexy, mit Augen wie geschmolzene Schokolade. Als er sie sicher zu Hause absetzt, küsst er sie zum Abschied auch noch atemberaubend heiß! Gut, dass sie diesen Mr. Arrogant nie wiedersehen wird. Aber am nächsten Tag klingelt ihr Telefon, und Emily erhält ein unfassbar aufregendes Angebot …

IN DEN ARMEN DES SEXY FREMDEN
"Mit einem Mann, über den sie nichts weiß, eine heiße Nacht zu verbringen? So etwas macht Jaimie Wilde nicht! Bis auf ein einziges Mal. Seitdem vergeht kein Tag, an dem sie nicht voller Sehnsucht an Zach denkt. Diesen breitschultrigen, sexy Traummann, in dessen Luxus-Penthouse sie bei Stromausfall gestrandet ist, der etwas Unvergessliches mit ihrem Körper und ihrem Herzen getan hat … Und dann steht er eines Tages vor ihrer Tür! Um sie ein zweites Mal zu erobern? Doch was er wirklich im Schilde führt, erfährt sie leider viel zu spät …

VERBOTENES VERLANGEN IN DEINEN ARMEN
Gefährlich wie ein Vulkan und ein betörendes Lächeln. Noch nie war Millionär Nick Gentry von einer Frau so fasziniert wie von Lissa Wilde! Doch seit seinem Unfall ist in seinem Leben für Frauen kein Platz. Schließlich lebt der weltbekannte Womanizer nicht umsonst auf einem Anwesen in Montana völlig abgeschirmt. Dass die hinreißende Lissa ihn daran erinnert, was es heißt zu lieben, weiß er zu schätzen, doch über seinen Schatten zu springen ist für Nick keine Option! Warum kann er dann die sinnlichen Nächte mit Lissa einfach nicht vergessen?


  • Erscheinungstag 14.09.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733734794
  • Seitenanzahl 780
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Sandra Marton

Die Wilde Geschwister - lässt sich ihre Leidenschaft bändigen? - 6-teilige Serie

IMPRESSUM

Zarte Liebe – gefährliches Spiel erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2012 by Sandra Marton
Originaltitel: „The Dangerous Jacob Wilde“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA
Band 2125 - 2014 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: SAS

Umschlagsmotive: Anetlanda/ThinkstockPhotos

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733778477

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Jake Wilde war immer jemand gewesen, den die Frauen wollten und die Männer beneideten.

Mit sechzehn war er ein Football-Star. Er machte seinen Flugschein und führte die schönsten und begehrtesten Mädchen aus. Eine nach der anderen, natürlich. Denn er hatte nicht nur Anstand, sondern selbst damals schon genau gewusst, was Frauen erwarteten.

Außerdem war er klug und sah gut aus. So gut, dass er in Dallas angesprochen worden war, ob er sich nicht vorstellen könnte, nach Osten zu ziehen und als Model zu arbeiten.

Fast hätte Jake dem Typen die Faust ins Gesicht geschlagen, dann aber gerade noch rechtzeitig erkannt, dass es keine Anmache, sondern ein ernst gemeintes Angebot war. Also hatte er dankend abgelehnt und sich in seinen Pick-up geschwungen. Er wollte so schnell wie möglich zur Familienranch zurück, um sich mit seinen Brüdern vor Lachen auszuschütten.

Mit anderen Worten – das Leben war großartig.

Die Erinnerungen flogen vorüber: College – drei Jahre, zumindest. Dann hatte er, aus Gründen, die ihm damals vernünftig erschienen, abgebrochen.

Auf die eine oder andere Weise hatten alle Wildes ihrem Land gedient. Travis als Kampfjet-Pilot, Caleb als Agent in irgendeiner dieser hoch geheimen Regierungsabteilungen, über die niemand sprach. Bei Jake waren es militärische Einsätze mit dem Blackhawk in Krisengebieten gewesen.

Und innerhalb eines Wimpernschlags hatte sich alles geändert.

Seine Welt. Sein Leben. Alles, was ihn ausmachte.

Aber …

Nicht alles war anders geworden.

Das erkannte er an jenem Frühlingsabend, an dem er über die stockdunkle Straße durch die texanische Nacht brauste, auf dem Weg nach Hause.

Im Dunkeln runzelte Jake die Stirn.

Moment. Auf dem Weg zu dem Ort, an dem er aufgewachsen war. Als Zuhause sah er die Farm nicht mehr an.

Vier lange Jahre war er weg gewesen. Um genau zu sein: vier Jahre, ein Monat und zwei Wochen.

Trotzdem schien ihm die Straße vertraut wie seine Westentasche.

Wie auch die Gegend auf der Fahrt vom Dallas Fort Worth Airport hierher.

Fünfzig Meilen Highway, dann der Abzweig auf die Landstraße, endlos und schnurgerade, gesäumt von Zäunen, hinter denen die Rinder wie stumme Wächter standen, und dann, eine knappe Stunde später, das Loch im Zaun, das schon immer auf den namenlosen Feldweg geführt hatte, an dessen Ende das Haus des alten Chambers lag.

Jake bog in die Straße ein. Selbst nach all den Jahren lenkte er den 63er Thunderbird automatisch um das Schlagloch herum, das die Grundstücksgrenze markierte. Es gehörte bereits zum Land des Alten, daher hatte nie jemand das Schlagloch ausgebessert.

„Auf meinem Land braucht keiner was zu machen“, würde Elijah Chambers nur knurren, wenn jemand tatsächlich dumm genug wäre, es vorzuschlagen.

Jakes Vater hatte den Alten verachtet. Aber … der General verachtete jeden, dessen Bügelfalte nicht absolut exakt saß und dessen Schuhe nicht auf Hochglanz poliert waren.

Das galt auch für die eigenen Söhne.

Wenn du mit einem Vier-Sterne-General als Vater aufwächst, dann hast du gefälligst auch tadellos und seinem Rang entsprechend aufzutreten.

Das hatte Caleb früher immer gesagt. Oder vielleicht war es auch Travis gewesen.

Vielleicht war ich es aber auch selbst. Ein Lächeln zuckte um seine Mundwinkel. Oder zumindest etwas, das einem Lächeln ziemlich nahekam. Zum ersten Mal seit Langem. Er unterdrückte es sofort.

Ein Mann gewöhnte sich das Lächeln ab, wenn er damit letztendlich jeden nur zu Tode erschreckte.

Jake trommelte mit den Fingern auf das Lenkrad. Vielleicht sollte er besser umdrehen und nach …

Ja, wohin?

Nach Washington auf jeden Fall nicht. Auch nicht in die Klinik. Er wollte sein Lebtag kein Krankenhaus mehr von innen sehen. Nicht zum Stützpunkt und auch nicht zu seinem Haus in Georgetown. Zu viele Erinnerungen. Davon ganz abgesehen, er gehörte weder auf den Stützpunkt noch nach Washington. Und das Haus hatte er verkauft. Gestern hatte er den Vertrag unterschrieben.

Er gehörte nirgendwohin, das war die Wahrheit. Nicht einmal nach Texas. Und ganz bestimmt nicht auf El Sueño, die Ranch mit ihren 500.000 Morgen Hügel- und Grasland.

Die Ranch war der Hauptgrund, weshalb er nicht lange bleiben würde.

Seine Brüder wussten es und versuchten alles, um ihn umzustimmen.

„Hey, Mann, du gehörst hierher“, hatte Travis gesagt.

„Das ist dein Zuhause“, hatte Caleb in die gleiche Kerbe geschlagen. „Gewöhn dich wieder ein, lass es langsam angehen. Nimm dir Zeit, und überleg dir, wie der nächste Schritt aussehen soll.“

Jake änderte seine Sitzposition, um etwas mehr Beinfreiheit zu haben. Der Thunderbird bot einem Mann, der einen Meter neunzig maß, nicht sehr viel Platz. Aber wenn man mit sechzehn einen ganzen Sommer lang an einem Auto herumgeschraubt und es wieder fahrtüchtig gemacht hatte, dann war man eben auch zu Abstrichen bereit.

Bei Caleb hatte sich das so einfach angehört.

Das war es nicht.

Jake hatte keine Ahnung, was er als Nächstes tun wollte. Es sei denn, die Zeit ließe sich zurückdrehen bis zu dem Punkt, an dem sich alles verändert hatte, auf dem engen Bergpass mit den hohen Felswänden, die sich in einen schmutziggrauen Himmel reckten …

„Schluss damit“, sagte er rau in die Stille hinein.

Er würde einen oder auch zwei Tage auf der Ranch verbringen. Seine Schwestern wiedersehen, seine Brüder. Seinen Vater.

Und dann würde er wieder fahren.

Auf das Zusammentreffen mit seinen Schwestern freute er sich schon – hoffentlich brachen die Mädchen nicht in Tränen aus. Und der General? Nun, das wäre auch okay. Sein alter Herr würde ihm eine aufmunternde Rede halten. Wenn das nicht zu lange dauerte, würde er es schon überleben.

Ach, zum Teufel. Hier war niemand, der sein vernarbtes Gesicht sehen konnte, wenn er grinste. Und ehrlich gesagt, allein wenn er an Caleb und Travis dachte, musste er grinsen.

Die Wilde-Brüder waren immer unzertrennlich gewesen. Als Kinder hatten sie ständig gemeinsam gespielt, als Teenager waren sie zusammen in Prügeleien geraten. Und solange sie denken konnten, hatten sie immer die gleichen Vorlieben gehabt: schnelle Autos, schöne Frauen.

Garanten für Riesenärger.

Sie halten zusammen wie Pech und Schwefel, so hatten die Schwestern immer behauptet. Halbschwestern – der General war zweimal verheiratet gewesen, zwei verschiedene Mütter für die Brüder und die Schwestern.

Und es stimmte. Noch immer standen sie sich nah, sonst hätten seine Brüder ihn nie zu diesem Besuch überreden können.

Immerhin tat er es auf seine Art. Mehr oder weniger.

Sie hatten ihm nämlich einen Jet schicken wollen.

„Wir haben zwei von den Dingern auf El Sueño stehen“, hatte Travis gesagt. „Das solltest du wissen, du hast sie schließlich gekauft. Warum für ein Flugticket zahlen, wenn es nicht nötig ist?“

Ja, warum?

Eine Sache hatte Travis allerdings nicht erwähnt. Jake hatte die Flugzeuge nicht nur gekauft, er hatte sie auch geflogen.

Jetzt nicht mehr.

Ein Pilot, der nur noch ein Auge besaß, war kein Pilot mehr. Nach Hause zu kommen als Passagier eines Flugzeugs, das er einst selbst geflogen hatte … mit der Vorstellung konnte er nicht unbedingt gut umgehen. Und so hatte er behauptet, nicht zu wissen, wann genau er sich freimachen könne, und schließlich hatten seine Brüder es geschluckt.

„Es ist einfacher, wenn ich Freitagabend reinfliege und mir einen Mietwagen nehme.“

Von wegen, dachte er und lächelte erneut.

Sobald er nach der Landung den Fuß in das Flughafengebäude in Dallas gesetzt hatte, wurde er ausgerufen. Erst hatte er nicht darauf reagieren wollen, doch dann war er zum Informationsschalter gegangen.

„Captain Jacob Wilde. Sie haben mich ausgerufen“, hatte er knapp gesagt.

Die Flughafenangestellte stand mit dem Rücken zu ihm; als sie sich umwandte, saß das einstudierte Lächeln noch an seinem Platz …

… doch dann erstarb es.

„Oh“, stammelte sie nur. „Oh …“

Er musste sich zusammennehmen, denn eigentlich lag es ihm auf der Zunge zu sagen, dass dieses Gesicht, von der Augenklappe abgesehen, zu Halloween immer der Renner war.

Sie fasste sich schnell, das musste er ihr zugutehalten. Das übertriebene Lächeln kehrte fast sofort wieder zurück.

„Sir, ich habe etwas für Sie.“

Für ihn? Was? Hoffentlich nicht das, von dem die Jungs im Krankenhaus gesprochen hatten – ein Willkommenskomitee aus Zivilisten mit gesetzten Mienen, die ihm alle die Hand schütteln wollten.

Nein, Gott sei Dank war es nicht das, sondern ein brauner Umschlag.

In dem er einen Schlüssel fand sowie die Deck- und Stellplatznummern eines Parkhauses am Flugplatz.

Hast du geglaubt, du könntest uns was vormachen? stand auf den Zettel gekritzelt.

Sie hatten seinen alten Thunderbird hier für ihn abgestellt.

Völlig verrückt, dachte Jake und musste schlucken.

Der Wagen hatte es leichter gemacht, die endlose Weite von Nordtexas zu durchqueren.

Und dann plötzlich lag es vor ihm – das große Gatter, das die nördliche Grenze von El Sueño markierte.

Jake bremste den Thunderbird ab und ließ ihn ausrollen. Er hatte vergessen, wie es war, wenn man dieses große Holztor mit dem verwitterten Schild erblickte, auf dem El Sueño in großen Messinglettern zu lesen stand. El Sueño – der Traum.

Es war genau wie früher, nur dass das Tor offen stand.

Ganz sicher waren seine Schwestern dafür verantwortlich. Lissa, Em und Jamie hatten ihn auf ihre Art zu Hause willkommen heißen wollen. Es würde sie verletzen, wenn sie herausfanden, dass das hier der letzte Ort auf Erden war, an dem er sein wollte, aber er sah nicht, wie sich das vermeiden lassen sollte.

Er musste in Bewegung bleiben.

Jake trat das Gaspedal durch und brauste durch das offene Tor, ließ eine Staubwolke hinter sich aufwirbeln. Wären ihm nicht die Ausreden ausgegangen, wäre er überhaupt nicht hier.

„Ich werde sehen, was sich machen lässt“, hatte er gesagt, woraufhin Caleb ihm leise, aber bestimmt angedroht hatte, dass, sollte Jake weitere Ausflüchte suchen, er mit Travis nach Washington kommen würde, um Jake höchstpersönlich gefesselt und geknebelt nach Hause zu schleifen.

Wie er seine Brüder kannte, hätten sie die Drohung wahr gemacht. Und so hatte er es sich überlegt und war zu der Ansicht gekommen, dass es an der Zeit war, sich mal wieder zu zeigen. Und ist das nicht die passende Umschreibung? dachte Jake jetzt grimmig.

Für seine Familie war sein Aussehen keine Überraschung. Sie alle waren im Krankenhaus gewesen, hatten auf ihn gewartet, als die Frachtmaschine ihn in die Staaten zurücktransportierte. Seine Geschwister, der General … der bei jeder Gelegenheit betonte, dass er John Hamilton Wilde sei, General der Armee der Vereinigten Staaten von Amerika, und für seinen verwundeten Sohn verdammt noch mal ein Einzelzimmer und die besten Chirurgen verlangte, die das Walter Reed Army Medical Center zu bieten hatte!

Jake war zu weggetreten gewesen, um zu protestieren. Aber als er nach vielen Wochen endlich leichtere Schmerzmittel nehmen und wieder klar denken konnte, hatte er dem Ganzen ein Ende bereitet.

Keine Sonderbehandlung.

Und keine Besuche mehr von der Familie.

Das war doch unsinnig. Er wollte nicht zusehen, wie Em, Lissa und Jamie gegen die Tränen ankämpften, wie seine Brüder so taten, als wäre er in Null Komma nichts wieder ganz der Alte, wie sein Vater … nun, wie sein Vater eben war.

Deshalb hatte er es auch so lange hinausgezögert, nach Hause zu kommen, selbst für nur einen kurzen Besuch.

„Idiot.“ Mehr hatte Travis dazu nicht zu sagen gehabt.

Vielleicht war er das ja. Aber er wollte nicht, dass alle um ihn herumschwirrten und vorgaben, es hätte sich nichts geändert. Alles hatte sich geändert. Sein Gesicht, das Bild, das er von sich hatte.

War er überhaupt noch ein Mensch?

Eine verdammt gute Frage.

Eine noch bessere Frage: Wie vollbrachte man den Balanceakt, Normalität vorzugaukeln, und dem grausamen Bewusstsein, dass es nicht so war?

Im Moment würde er das erst einmal vergessen. Heute Abend war es sein Job, eine gute Show abzuliefern. Lächeln, solange er damit keinen in die Flucht trieb. Konversation machen, auch wenn er nichts zu sagen hatte, was Zivilisten hören wollten.

Sich benehmen, als wäre die Zeit nicht vergangen.

Er hatte den Weg zur Ranch allein zurücklegen wollen, um die Chance zu haben, sich an den Gedanken zu gewöhnen. Die saubere texanische Luft atmen, dem Nachtkonzert der Kojoten zuhören. Und zwar ohne dass ihn schon am Flughafen die Gefühle überwältigten.

Jeder Soldat, den er kannte, sagte dasselbe.

Zurückkommen war hart.

Man zog in den Krieg, angefeuert und aufgeputscht, vor allem, wenn man wie er, Jake, mit Geschichten von Mut, siegreichen Schlachten und Kriegern groß geworden war.

Seine Mutter war tot, gestorben, als Travis sechs, Caleb vier und er selbst zwei Jahre alt gewesen waren. Haushälterinnen, Nannys und eine Stiefmutter, die gerade lange genug geblieben war, um drei Mädchen zur Welt zu bringen, hatten sie aufgezogen.

Der General hatte ihnen bei den seltenen Gelegenheiten, wenn er zu Hause war, Geschichten von Männern erzählt, die mit Cäsar gen Gallien gezogen, mit Ruderbooten auf den Britischen Inseln eingefallen oder über den Atlantik gesegelt waren und den Kontinent von den Ebenen Dakotas bis zur mexikanischen Grenze erobert hatten.

Damals hatte er die Geschichten geliebt. Heute wusste er, dass das alles Blödsinn war.

Nicht der Teil mit den Kriegern, der nicht. Während der letzten Jahre war er selbst einer gewesen, hatte Seite an Seite mit mutigen, anständigen Ehrenmännern gekämpft und der Nation gedient, die er liebte.

Nur hatte sein Vater nie etwas von den Lügen erzählt. Den Politikern. Davon, wie viel vertuscht wurde.

Jake stieg hart in die Bremsen, der Thunderbird wirbelte schleudernd eine Staubwolke auf und kam dann abrupt zum Stehen. Jake schloss für einen Moment die Augen. Sein Puls raste.

Fast wäre er wieder in die Dunkelheit abgerutscht – dabei hatte er sich geschworen, dass ihm das nicht mehr passieren würde.

Er wartete ab, bis sein Herzschlag sich beruhigte, dann stieg er aus.

Irgendetwas streifte seine Wange. Eine Motte. Gut. Motten waren real.

Er sog die kühle Nachtluft in die Lungen, schob die Hände in die Taschen und sah zum Himmel hinauf. In dem Moment schoben sich langsam einige Wolken vor die Sterne, die kalt glitzerten wie Eis.

Minuten vergingen, bis die Sterne und der Mond wieder aus den Wolken auftauchten. Erst dann setzte Jake sich in den Wagen und fuhr weiter. Irgendwann – endlich – sah er die Umrisse eines Hauses, das entfernt auf einer Anhöhe lag.

Panik stieg in Jake auf.

Er lenkte den Thunderbird an den Grasrand und stieg aus.

Links von ihm standen ein paar alte Eichen, ein Weg führte in den kleinen Wald. Jake steuerte den Pfad an und tauchte unter die Baumkronen. Der leichte Wind trug das Murmeln des Coyote Creek heran, der Bach, der sich durch das Wäldchen schlängelte. Trockene Äste knackten unter Jakes Cowboystiefeln. Er hatte sich nie zu einem anderen Schuhwerk durchringen können.

Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er Nächte wie diese geliebt. Die kalte Luft, das Glitzern der fernen Sterne. Damals hatte er auch in den Himmel aufgesehen und sich darüber gewundert, dass er auf einem Planeten stand, der im endlosen All um die eigene Achse wirbelte.

Er hob die Hand an sein Auge, rieb die gespannte Haut darunter. Jetzt bedeutete eine kalte Nacht wie diese für ihn nur, dass seine Knochen und die leere Augenhöhle schmerzten.

Wie konnte ein Auge wehtun, das nicht mehr existierte?

Diese Frage hatte er den Ärzten mindestens ein Dutzend Mal gestellt und immer dieselbe Antwort erhalten: Für sein Hirn gab es dieses Auge noch.

Er verzog den Mund. Das bewies nur, wie nutzlos so ein Gehirn für einen Mann war.

Letztendlich hatte er nicht die geringste Ahnung, weshalb er in der Kälte ausgestiegen und über verfaulte Blätter und abgebrochene Äste gewandert war. Aber er würde den Teufel tun und wieder zum Auto zurückkehren.

Der Trampelpfad war ihm ebenso vertraut wie das Tor, die Straße, sein alter Thunderbird. Generationen von Füchsen, Kojoten und Hunden hatten ihn mit ihren Pfoten festgestampft, ebenso wie die Kinder, die es immer wieder zu dem kühlen, schnell dahinfließenden Bach gezogen hatte. Jake war diesen Pfad unzählige Male entlanggegangen, nur eben noch nie in einer kalten Nacht, in der sein Schädel sich anfühlte, als wollte er zerspringen.

Er hätte etwas einnehmen sollen. Aspirin. Eine von den Schmerztabletten. Nur … er wollte keine verdammten Pillen mehr einwerfen, nicht einmal Aspirin.

Schließlich beschloss er, am Ende des Pfades umzukehren und zum Flughafen zurückfahren.

Doch dann trat er aus dem Dickicht – und es war zu spät.

Dort lag es vor ihm. Das Haus. Das Herz von El Sueño. Umgeben von alten, hohen Eichen und hell erleuchtet.

Irgendwo über ihm stieß eine Eule einen Schrei aus. Jake durchlief ein Schauer. Er rieb sich über die Wange. Die Haut fühlte sich heiß an.

Noch ein Eulenschrei, begleitet von einem schrillen Piepsen. Dinner für die Eule, Tod für die Beute.

Das war der Lauf der Welt. Manche überlebten, andere nicht. Und er, verflucht, würde zusehen, dass er von hier wegkam …

Sie können nicht ewig wegrennen, Captain.

Er hörte die Stimme laut und deutlich in seinem Kopf. Wer hatte das zu ihm gesagt? Einer der Ärzte? Ein Psychiater? Aber es stimmte nicht. Er wollte rennen, solange und so weit er konnte.

Die große Haustür ging auf. Jake zog sich hastig in den Schatten der Bäume zurück.

Menschen traten aus dem Haus. Formen, Schemen. Er konnte keine Gesichter erkennen. Aber er konnte Musik hören. Und Stimmen.

Viele Stimmen.

Er hatte deutlich geäußert, dass er niemanden außer seiner Familie sehen wollte. Er hätte sich denken können, dass eine solche Bitte zwecklos war. Seine Schwestern hatten wahrscheinlich die halbe Stadt verständigt. Und die andere Hälfte hatte sich selbst eingeladen. Das hier war schließlich Wilde’s Crossing.

Na schön. Das würde er schon schaffen. Denn wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er diesen Ort noch immer liebte. El Sueño war ein Teil von ihm. Es lag in seinen Genen wie die keltischen eisblauen Augen und das schwarze Haar der Apachen. Die Wildes ließen sich schließlich Jahrhunderte zurückverfolgen.

Er fluchte leise. Er konnte es nicht bestreiten, aber verstehen konnte er es auch nicht. Warum sollte diese Tatsache Bedeutung haben? Welchen Einfluss hatte die Vergangenheit auf die Zukunft?

Gleich zwei Armee-Psychiater hatten ihm die Frage beantwortet: Die Vergangenheit bildete die Basis für die Gegenwart, auf der wiederum die Zukunft aufgebaut wurde.

Jake hatte keine weiteren Sitzungen mehr wahrgenommen. Sich auf eine Couch zu legen und sämtliche Seelengeheimnisse herauszuposaunen – das war nichts für ihn. Er hatte noch nie Geheimnisse verraten. Sonst würde man sie ja nicht Geheimnisse nennen.

Er musste wieder an die Geschichten denken, mit denen er und seine Brüder aufgewachsen waren.

„Vergesst das nie“, hatte der General immer gesagt. „Alles, was wir sind, alles, was wir haben, verdanken wir dem Mut und der Tapferkeit jener Männer, die vor uns gelebt haben.“

Und so hatten die Brüder seit ihrer Kindheit auf ihre Chance gewartet, die Tradition all der großen Männer fortzusetzen.

Erst das College – weil ihre Mutter es so gewollt hätte. Travis hatte sich für Finanzwesen, Caleb für Jura und Jake für Betriebswirtschaftslehre entschieden.

Er war der Einzige, der sich dann aber doch entschlossen hatte, eine militärische Laufbahn einzuschlagen. Weil er schon immer einen Blackhawk hatte fliegen wollen.

Er war oft auf geheimen Missionen unterwegs gewesen und hatte es geliebt. Dem Feind ein Schnippchen schlagen und Leben retten, wenn sonst nichts und niemand mehr helfen konnte.

Plötzlich stand er nicht mehr in Texas, sondern in einer Flammenhölle. Überall verkohltes schwarzes Land, Rauch, Feuer …

„Nein“, stieß er heiser aus und holte bebend Luft. Nein, dahin würde er heute Abend nicht zurückkehren.

Die Eule schrie erneut. Der Vogel war ein Jäger. Ein Überlebenskünstler.

Nun, das war er, Jake, auch.

Mit weit ausholenden Schritten ging er über das nachtfeuchte Gras zum Haus herüber, zu der Familie, die auf ihn wartete. Die Gestalten an der Tür nahmen deutlichere Formen an.

„Jake?“ Jamie und Lissa riefen beide gleichzeitig seinen Namen.

„Jake?!“ Das waren Caleb und Travis.

„Oh Gott … Jake!“, kreischte jetzt auch Emma auf.

Dann hatte er das Haus erreicht, und sie alle stolperten die Verandatreppe herunter und auf ihn zu. Lachend und weinend umarmten sie ihn. Er fühlte die Nässe auf seinem Gesicht.

Die Tränen seiner Geschwister.

Und vielleicht waren auch seine Tränen dabei.

2. KAPITEL

Versprechen hielt man.

So lautete Addison McDowells Devise.

Und das war der einzige Grund, weshalb sie zu dieser idiotischen Party heute Abend gekommen war. Sie hatte ihrem Finanzberater und ihrem Anwalt – ihrem texanischen Finanzberater und ihrem texanischen Anwalt – versprochen, hinzugehen.

Sich an Zusagen zu halten war einfach korrekt. Und Korrektheit war wichtig. Darauf achtete sie eisern, seit sie eine „Addison“ war und keine „Adoré“ mehr.

Mädchen, die in einem schäbigen Wohnwagenpark aufwuchsen, trugen vielleicht diesen grässlichen Namen, aber diese Zeit lag weit hinter ihr.

Sie hatte alles erreicht, für das der Name Addison stand. Sie war erfolgreich und weltgewandt. Ihr gehörte eine Eigentumswohnung in Manhattan – mit einer riesigen Hypothek, zugegeben. Sie hatte einen Abschluss in Jura von der Columbia University. Sie kleidete sich elegant.

Seit ein paar Monaten gab es allerdings einen Wermutstropfen.

Ihr Ruf passte eher zu einer Adoré als zu einer Addison. Und war das nicht extrem ärgerlich, nach all den Anstrengungen, dem Wohnwagenpark und dem Erbe der plumpen, ungeschlachten Frauen zu entfliehen?

Addison nippte an ihrem Merlot. Wenn Charlie ihr doch nur nicht diese Ranch vermacht hätte. Wenn er doch nur nicht gestorben wäre …

Er war der beste Freund gewesen, den sie je gehabt hatte. Eigentlich ihr einziger Freund. Und er war nicht auf ihren Körper aus gewesen, sondern auf ihren Intellekt, und zum Teufel mit dem, was andere denken mochten.

Charles Hilton, der millionenschwere Rechtsanwalt, hatte sie gemocht. Hatte sie respektiert.

Begegnet waren sie sich, als Addison nach dem Examen in seiner Kanzlei anfing. Dann hatten sie sich besser kennengelernt, und Charlie hatte mehr in ihr gesehen als das Offensichtliche – das schimmernde dunkle Haar, das sie immer streng zurückgekämmt trug, die silbergrauen Augen, die kurvige Figur, die sie mit nüchternen Kostümen kaschierte.

Charlie hatte hinter die Fassade geschaut und ihr wahres Ich erkannt – die intelligente, ehrgeizige Frau, die entschlossen war, es auf jeden Fall zu schaffen. Er war ihr Mentor geworden.

Zuerst hatte sein Interesse sie argwöhnisch gemacht, doch dann merkte sie, dass er sie wie die Tochter liebte, die er nie gehabt hatte. Und sie begann, ihn wie den Vater zu lieben, den sie verloren hatte.

Als er durch die Krankheit zunehmend verfiel, hatte sie ihn noch mehr geliebt. Er brauchte sie, und gebraucht zu werden war ein gutes Gefühl. Zwischen ihnen hatte es keine Intimitäten gegeben, es sei denn, man wollte es als Intimität bezeichnen, dass sie ihm zu seinem Ende hin die verspannten Schultern massiert hatte.

Allein die Vorstellung war obszön.

Doch Klatsch lebte nun mal nicht von der Wahrheit, sondern von pikanten Gerüchten. Die gaben schließlich so viel mehr her, ob nun in Manhattan oder in Wilde’s Crossing, Texas.

Seit ihrer Ankunft in diesem Ort hielt sie sich extrem bedeckt. Trotzdem machte es keinen Unterschied. Die Leute starrten sie an, wann immer sie sich zeigte, ganz gleich, was die Wilde-Brüder auch behaupteten. Heute Abend würde es nicht anders sein.

„Irrtum“, hatte Travis Wilde gesagt.

Addison nahm noch einen Schluck Wein.

Travis Wilde war derjenige, der sich irrte. Die Leute starrten sie an. Und vielleicht war es heute ja sogar berechtigt.

Zuerst hatte sie das Kostüm angezogen. Zu geschäftsmäßig. Damit würde sie nur unangenehm auffallen. Also war sie in Jeans, Bluse – Seide – und Stiefel gestiegen. Ein Blick in den gesprungenen Badezimmerspiegel des alten Chambers hatte ihr gezeigt, dass sie aussah wie eine New Yorkerin, die sich für eine Kostümparty mit dem Thema „Wilder Westen“ zurechtgemacht hatte.

War es nicht erstaunlich, dass sie Charlies Ranch, ihre Ranch, automatisch noch immer mit dem Namen des ehemaligen Besitzers nannte, so wie jeder andere hier auch?

„Ach, zum Teufel!“, hatte sie schließlich irgendwann laut gesagt und eine Maus war beim Klang ihrer Stimme in das Loch in der Wand geflüchtet.

Nur gut, dass sie keine Angst vor Mäusen hatte. Oder vor Spinnen. Oder vor dieser Riesenschlange, die sie von der Veranda dieser Bruchbude, die nun ihr gehörte, hatte fegen müssen.

Sie hatte vor nichts Angst. Deshalb hatte sie es ja auch vom Wohnwagenpark in die Park Avenue geschafft.

Und so hatte sie sich für ein elegantes Kleines Schwarzes und hochhackige, farblich dazu passende Stilettos entschieden.

Die Geschichten über sie waren lange vor ihr in Wilde’s Crossing angekommen. Als sie die Wilde-Brüder befragt hatte, waren die nur rot angelaufen. Dass erwachsenen Männern so etwas noch passieren konnte, besaß einen gewissen Charme, dem Addison aber momentan nichts abgewinnen konnte. Sie war es einfach nur leid, dass über sie getratscht wurde.

Man würde also über sie reden, ganz gleich, was sie anzog. Also konnte sie ihnen auch einen echten Grund liefern, selbst wenn zu Hause niemand bei Cocktailkleid und High Heels auch nur mit der Wimper zucken würde. Die meisten Frauen würden wahrscheinlich in Jeans kommen oder in Rüschenkleidern, die nur bei Sechsjährigen gut aussahen.

Alle Annahmen bestätigt, dachte Addison jetzt, während sie das leere Weinglas gegen ein volles vom Tablett des vorbeilaufenden Kellners austauschte. Sie hatte richtig vermutet, was die Frauen und die Einstellung des gesamten Städtchens anging. Nicht nur urteilten und verdammten die Damen sofort, sie waren auch päpstlicher als der Papst.

So wie die, die sie gerade anstarrte. Rüschenkleid, viel zu greller Lippenstift, toupiertes Haar. Wussten die Frauen in Texas denn nicht, dass nur Dolly Parton mit einem solchen Helm durchkam?

Addison lächelte überfreundlich, und die Frau wandte hastig peinlich berührt den Blick ab.

Ja, freut mich auch, Sie kennenzulernen. Gott, wieso bin ich eigentlich hier? fragte Addison sich verzweifelt.

Weil Travis und Caleb Wilde sie darum gebeten hatten.

Womit sie wieder beim Ausgangspunkt angelangt war.

Die beiden hatten sie gefragt, und in einem untypischen Anfall von Nachgiebigkeit hatte Addison zugesagt, auf der Willkommensparty des dritten Bruders zu erscheinen, auch wenn es keine wirkliche Party werden würde.

„Nur die Familie und ein paar Freunde“, hatte Caleb behauptet.

„Und vielleicht noch ein paar andere“, hatte Travis hinzugefügt.

Ja sicher, nur Familie und Freunde. Sie hätte es in dem Moment wissen müssen, in dem Travis in seinen lässigen Texas-Singsang verfallen war.

Die ganze Stadt war in dem riesigen Salon von El Sueño versammelt.

El Sueño. Der Traum. Ein ziemlich hochtrabender Name für eine halbe Million Morgen Busch- und Grasland, Blumen- und Gemüsegärten, staubige Straßen, teures Pferdefleisch und sprudelnde Ölquellen. Eines hatte Addison inzwischen erkannt: Die Texaner wurden ebenso leicht poetisch, wenn es um ihr Land ging, wie sie keine Probleme hatten, es bis zum Umfallen zu bearbeiten.

Selbst Charlie, kein Texaner, sondern wie sie an der Ostküste geboren und aufgewachsen, hatte sich von dieser Poesie einfangen lassen.

Addison seufzte. Wäre Charlie rübergeflogen und hätte sich die Chambers-Ranch erst angesehen, bevor er sie kaufte, hätte sich das alles hier wahrscheinlich erübrigt. Doch Charlie hatte die Ranch erworben – und war eine Woche später gestorben. Sein Tod hatte sie zutiefst mitgenommen, noch fassungsloser war sie, als sie herausfand, dass er ihr die Ranch vermacht hatte.

Eine ganze Zeit lang hatte sie überhaupt nichts unternommen. Dann hatte sie das getan, was Charlie versäumt hatte: Sie hatte sämtlichen ausstehenden Urlaub der vergangenen zwei Jahre genommen und einen Flug gebucht, um sich die Ranch anzusehen.

Was sie vorfand, hatte nichts mit dem zu tun, was man sich unter einer Ranch vorstellte, wenn man die alten John-Wayne-Filme kannte. Die Chambers-Ranch bestand aus Tausenden Morgen Gestrüpp, aus Schuppen und Scheunen, die aussahen, als würden sie beim nächsten Windstoß umfallen, einem Wohnhaus, das hauptsächlich Nagern und Kriechgetier als Biotop diente, einem halben Dutzend erbarmungswürdig aussehenden Gäulen und sonst nicht viel mehr.

Weshalb sie sich ja auch an die Wildes als Berater gewandt hatte …

„Na, kleine Lady … wie kommt es, dass Sie Rotwein trinken, wenn der Champagner hier in Strömen fließt, sodass man den Rio Grande damit füllen könnte?“

Ein Riesenkerl mit einem noch größeren Stetson, eine Champagnerflöte in der Pranke, schenkte ihr ein breites Lächeln.

Oh nein, nicht schon wieder!

„Jimbo Fawcett“, stellte er sich vor. „Von der Fawcett-Ranch.“

Wie konnte man einen ganzen Stammbaum in sechs kurze Worte fassen? Einem anderen Jimbo-Fawcett-Typen war das bereits vor diesem hier gelungen. Und auch er hatte offensichtlich erwartet, dass Addison ihm den Rest des Abends fasziniert zuhören würde, denn schließlich konnte sie sich geschmeichelt fühlen, dass seine Wahl ausgerechnet auf sie gefallen war.

Nun, mal abgesehen von den Stetsons benahmen sich die protzigen New Yorker Top-Anwälte und Wall-Street-Tycoons genauso; sie war also an solches Gehabe gewöhnt. „Wie schön für Sie“, gab sie freundlich zurück.

„Sie müssen Addie McDowell sein.“

„Addison McDowell, richtig.“

Fawcett lachte dröhnend. „Hey, so formell sind wir hier nicht, kleine Lady.“

Das reichte nun wirklich. „Mr Fawcett …“

„Jimbo.“

„Mr Fawcett.“ Addison lächelte strahlend. „Als Nächstes werden Sie die Tatsache feststellen, dass ich neu in Wilde’s Crossing bin, und mir sagen, wie schade es doch sei, dass wir uns nicht schon früher kennengelernt haben.“

Fawcett blinzelte.

„Ich werde sagen, ja, ich bin neu hier. Und kennengelernt haben wir uns noch nicht, weil ich kein Interesse daran habe, jemanden kennenzulernen. Im Anschluss werde ich Sie darüber informieren, dass mir Rotwein einfach besser schmeckt. Sie sind sicherlich ein sehr netter Mann, Mr Fawcett, aber ich bin weder an Champagner interessiert noch an irgendetwas anderem. Ist das so weit verständlich?“

Fawcett stand der Mund offen.

Mitleid für den Mann regte sich in Addison, sie tätschelte leicht seinen Arm. „Trotzdem danke.“ Sie drehte sich um und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Bei dem Steinway-Flügel am anderen Ende des Raumes hatte sie ein relativ freies Plätzchen an der Wand entdeckt. Dort würde sie sich vorerst einrichten.

Verdammt. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Wie lange konnte es denn noch dauern, bis der Held ankam? Noch fünf Minuten, dann würde sie …

„Wieso habe ich den Eindruck, dass Sie sich nicht sonderlich gut amüsieren?“

Sie schwang herum, eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch dann erkannte sie den großen, gut aussehenden Mann, der sich an ihre Seite gestellt hatte. Mit zusammengekniffenen Augen taxierte sie ihn. „Travis Wilde. Dafür sind Sie mir was schuldig. Und zwar nicht zu knapp.“

„Das beantwortet wohl deine Frage.“ Caleb Wilde trat ebenfalls dazu. „Den Eindruck hast du, weil sie sich tatsächlich nicht gut amüsiert. Stimmt’s, Addison?“

„In Anbetracht der Tatsache, dass ich im letzten Monat die Einladungen des Country Clubs sowie der Rancher-Vereinigung ausgeschlagen habe, des Weiteren die des Hausfrauen-Nähzirkels …“

„Oh nein, doch nicht die des Nähzirkels?!“, meinte Travis gespielt schockiert.

„Doch, des Nähzirkels.“ Als sie das Zucken um die Mundwinkel der Brüder sah, verpuffte ihr Ärger ein wenig. Aber nur ein wenig. „Sie sagten, er würde um acht hier sein.“

„Jacob …“ Caleb räusperte sich. „Davon gingen wir aus.“

„Jetzt ist es halb neun. Und noch immer nicht das kleinste Zeichen unseres geheimnisvollen Helden.“

„Jake ist nicht geheimnisvoll“, widersprach Travis sofort. „Er wird schon noch kommen. Haben Sie nur ein bisschen mehr Geduld.“

Addison schnitt eine Grimasse. Geduld war noch nie ihre Tugend.

„Sie brauchen einen Experten, der sich die Chambers Ranch genau ansieht und Ihnen sagt, ob es Sinn hat zu renovieren, bevor Sie die Ranch zum Verkauf anbieten. In dem heutigen Wirtschaftsklima …“

Addison hob abwehrend die Hand. „Die Rede habe ich schon gehört.“

„Und sie ist noch immer aktuell. Jakes Urteil könnte einen Unterschied von mehreren hunderttausend Dollar für Sie ausmachen.“

Dem konnte sie sich wohl nicht verschließen. Die Hypothek für das Apartment in Manhattan, der Kredit für die Ausbildung …

Außerdem hatte die Ranch Charlie etwas bedeutet, und er hatte sie ihr hinterlassen. Das kam einer Verpflichtung gleich. Sie musste das Richtige tun, aus Respekt gegenüber seinem Andenken.

„Noch zehn Minuten, einverstanden? Bis dahin wird er hier sein“, versicherte Caleb.

„Sollte er besser auch.“ Sie schwächte ihre Worte mit einem Lächeln ab.

Die zehn Minuten konnte sie noch erübrigen, teils, weil sie Caleb, ihren Anwalt, und Travis, ihren Finanzberater, mochte und respektierte …

… und teils, weil sie neugierig war.

Sie war sich ziemlich sicher, dass die Wilde-Brüder ihr lange nicht alles über den geheimnisvollen Jacob erzählt hatten. Sie wusste, dass er in der Armee war – oder gewesen war. Dass er verwundet worden war und irgendeine Art Held sein musste. Das hatte sie nicht von den Brüdern erfahren, sondern von dem einsamen Cowboy, der auf ihrer Ranch arbeitete. Caleb und Travis redeten immer nur davon, dass Jacob der Einzige sei, der den Wert der Ranch bestimmen konnte.

„Wenn Sie verkaufen, ohne sich vorher seine Meinung angehört zu haben, werden Sie es bereuen.“

„Könnte nicht jemand anderes den Wert bestimmen?“, hatte sie gefragt.

Die Brüder hatten einen Blick gewechselt, so schnell, dass sie es fast nicht bemerkt hätte, wenn sie die beiden nicht von ihrem Schreibtisch aus – dem Schreibtisch des alten Chambers – genau beobachtet hätte. Sie saßen in dem Zimmer der Ranch, das man mit sehr viel Wohlwollen als Büro bezeichnen konnte.

Addison hatte fragend die Augenbrauen in die Höhe gezogen. „Was?“

„Nichts.“ Das kam von Caleb.

„Nein, überhaupt nichts“, bekräftigte Travis nur noch.

„Unsinn. Sie verheimlichen mir doch etwas. Ich will wissen, was es ist.“

Noch ein schneller Blickwechsel, dann räusperte Travis sich. „Jake ist der Mann, den Sie brauchen, Addison.“

Sie war versucht gewesen, darauf aufmerksam zu machen, dass sie keineswegs einen Mann brauchte. Sie hatte ihre Karriere, stand auf eigenen Beinen, war unabhängig. Aber das hatte Travis damit nicht gemeint, und sie wusste es auch.

„Er ist der Beste.“

„Aber?“

Travis zuckte mit den Schultern. „Aber er hat nicht vor, länger zu bleiben.“

„Da! Schon wieder! Der Singsang, das Lächeln, der berüchtigte Wilde-Charme. Dabei wissen Sie beide ganz genau, dass Ihnen das nichts einbringt.“ Sie sagte es so, dass beide Brüder grinsten.

„Mist.“ Travis lehnte sich zurück und kreuzte die Füße mit den Cowboystiefeln. „Das funktioniert sonst immer, bei jeder einzelnen Frau in Texas.“

„Das nehme ich Ihnen unbesehen ab“, flötete sie zuckersüß. „Allerdings komme ich nicht aus Texas. Und ich bin auch nicht jede Frau, sondern Ihre Auftraggeberin.“

„Unsere Mandantin“, verbesserte Travis.

Die Brüder grinsten erneut. Addison auch. Das war inzwischen zur Routine geworden. Es überraschte Addison dennoch, dass sie sich mit den beiden wohl genug fühlte, um sich auf ein solches Geplänkel einzulassen.

„Und da Sie unsere Klientin sind, haben wir nur das Beste für Sie im Auge.“

„Ich erwarte mehr Informationen, sonst biete ich die Ranch morgen auf dem Markt an“, meinte sie herausfordernd.

Die Brüder hatten einander lange angesehen, dann hatte Caleb einen schweren Seufzer ausgestoßen.

„Jake war in der Armee.“

„Und?“

„Und er … wurde verwundet. Und er … ist sich nicht sicher, ob er auf El Sueño bleiben will oder doch lieber weiterzieht. Und …“

„Er braucht einen handfesten Grund, um zu bleiben“, mischte Travis sich ein. Kein Singsang, kein Charme, nur die nüchterne Stimme des Finanzberaters. „Er kennt Ihr Land fast so gut wie unseres. Er ist clever, pragmatisch und versteht mehr als jeder andere etwas von Pferden und Agrarwirtschaft.“

„Wir geben Ihnen unser Wort“, sagte jetzt auch Caleb ebenso sachlich, „dass Sie es nicht bereuen werden, wenn Sie mit ihm zusammenarbeiten.“ Und bevor sie etwas erwidern konnte, fügte er hinzu: „Bereuen Sie etwa unsere Zusammenarbeit?“

Wenn sie jetzt an diese Unterhaltung zurückdachte, entfuhr Addison ein leiser Seufzer. Sie nippte von ihrem Wein. Nein, bereuen tat sie definitiv nichts. Sie mochte die Wildes, und sie hatte gelernt, ihnen zu vertrauen. Seit sie in Wilde’s Crossing angekommen war, waren die beiden ihre Berater, einer für die rechtlichen Angelegenheiten, der andere für das Finanzielle. Sie hatte einfach keinen Sinn darin gesehen, sich an einen Anwalt und einen Finanzberater in New York zu wenden.

Da konnte sie sich auch den praktischen Rat für die Ranch bei dem anderen Bruder holen.

Und deshalb war sie heute Abend hier. Travis hatte sie in Empfang genommen, mit den anderen Gästen bekannt gemacht und sie seinen Schwestern vorgestellt.

Scheinbar hatte niemand den dreien gesagt, dass ihre Beziehung zu den beiden Brüdern rein geschäftlich war. Nicht, dass die drei unfreundlich gewesen wären, aber als Frau merkte man es, wenn andere Frauen einen genau unter die Lupe nahmen.

Fast hätte sie gesagt: Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich habe nicht vor, etwas mit Ihren Brüdern anzufangen, mit keinem von ihnen. Sie sind sicher Prachtkerle, und ich mag sie, aber ich habe keinerlei Interesse daran, mich mit ihnen einzulassen. Mit keinem Mann, ganz gleich, wie sexy, reich oder charmant er auch sein mag. Eher friert die Hölle zu, und selbst dann wäre es noch immer fraglich.

Genauso wenig Interesse hatte sie daran, noch länger auf den Helden zu warten. Den verwundeten Helden, verbesserte sie sich in Gedanken. So schwer konnte die Verwundung wohl nicht gewesen sein.

Jacob Wilde war der Sohn eines berühmten Mannes. Er war in Reichtum aufgewachsen und sicher maßlos verwöhnt. Mädchen aus dem Wohnwagenpark kannten solche Typen. Warum also stand sie noch immer hier herum und wartete auf einen Mann, den sie garantiert unsympathisch finden würde?

„Jake?“

„Oh Gott … Jake!“

Vor einer Viertelstunde hatte irgendjemand die Haustür geöffnet, jetzt versuchte der gesamte Wilde-Clan, sich auf einmal hindurchzuzwängen. Die Schwestern hüpften auf und ab wie Jojos, die Brüder lachten freudig. Die Truppe stürmte nach draußen, und die Menge der Gäste folgte ihnen, um nichts von der Show zu verpassen.

Addison seufzte. Zu spät. Jetzt saß sie hier fest – zumindest bis sie dem Helden die Hand geschüttelt hatte. Oder vielleicht würde ihn die Menge ja umringen und mit Beschlag belegen, sodass niemandem auffiel, wenn sie sich aus dem Haus schlich …

Dann betrat Jacob Wilde das Zimmer, und ihr stockte der Atem.

Sie hatte damit gerechnet, dass er gut aussehen würde. Aber nicht, dass er – es ließ sich kein anderes Wort finden – so schön war.

Groß. Breite Schultern. Einen schlanken, muskulösen Körper, stolze und gerade Haltung in der Uniform, die Brust mit Auszeichnungen übersät. Sein Haar war nachtschwarz.

Kitschig, aber wahr. Sein Gesicht hätte von einem Bildhauer gemeißelt sein können.

Einem Bildhauer mit einem grausamen Sinn für Ironie.

Denn Jacob Wildes Antlitz war absolut perfekt … Außer der Lederklappe über dem einen Auge und den Narben, die über seine Wange liefen.

3. KAPITEL

Wie erstarrt blieb Jake in der Tür stehen.

Die Euphorie über das Wiedersehen mit seinen Geschwistern verflog schlagartig beim Anblick der vielen Gäste.

Keine Party, hatte er gesagt. Keine große Gesellschaft. Natürlich hatte er damit gerechnet, dass verschiedene Leute auftauchen würden, aber …

Sein Magen zog sich zusammen. Von hier sah es aus, als hätte sich die gesamte Region eingefunden. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück, doch seine Schwestern drängten und klammerten sich an ihn.

„Du bist hier“, sagte Em glücklich.

„Wirklich hier“, kam es von Jamie.

„Du bist wieder zu Hause“, fügte Lissa hinzu.

Und was hätte er da anderes tun können, als sie alle zu umarmen?

Caleb klopfte ihm auf den Rücken, Travis drückte seine Schulter. Und trotz allem machte Jake gute Miene zum bösen Spiel.

„Ist das mein Willkommenskomitee? Oder wolltet ihr mich fertigmachen?“

Sie lachten zusammen mit ihm, seine Schwestern mit Tränen in den Augen, seine Brüder mit einem Grinsen, das von einem Ohr bis zum anderen reichte.

Für einen Moment war es, als hätte sich nichts geändert. Als wären sie alle noch Kinder und die Welt ein großer Abenteuerspielplatz mit unbegrenzten Möglichkeiten …

Dann räusperte Caleb sich. „Der General richtet dir seine besten Grüße aus.“

Jake ließ den Blick durch den Raum wandern. „Er ist gar nicht hier?“

„Nein.“ Travis fühlte sich sichtlich unwohl. „Er entschuldigt sich, aber er konnte dem Treffen der NATO in London nicht fernbleiben.“

Die Realität kehrte zurück, traf ihn wie eine kalte Dusche. „Natürlich“, sagte Jake steif, „ich verstehe.“

Einen Moment herrschte Schweigen, dann berührte Jamie leicht seinen Arm. „Jeder möchte dir Hallo sagen.“

Jake zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, das sehe ich.“

Caleb lehnte sich zu ihm herüber. „Entschuldige den Menschenauflauf.“

„Glaub mir, Bruderherz, das war nicht geplant“, schloss Travis sich dem an.

„Die Nachricht hat sich verbreitet wie ein Lauffeuer“, meinte Lissa. „Sie wollen dich alle wieder zu Hause begrüßen …“

„Das ist doch nicht schlimm, Jake, oder?“, fragte Em.

„Nein, natürlich nicht.“

Seine Brüder wussten genau, dass es nicht stimmte. „Ihr Ladys könnt ihn später mit Beschlag belegen. Aber erst einmal braucht der Mann ein kühles Blondes, richtig, Bruderherz?“

Das Einzige, was er brauchte, war Abstand von dem ganzen Trubel hier. Er wusste doch, was passieren würde, wenn er ins volle Licht trat und die Menge ihn erst genauer sehen konnte. Aber nun gab es kein Zurück mehr.

„Es sei denn natürlich, unser kleiner Bruder hätte lieber Champagner“, meinte Travis. „Oder vielleicht Wein …?“

Jake sah von einem zum anderen. Seine Brüder warfen ihm den Rettungsring zu. Gaben ihm das Stichwort, um in die alte Routine verfallen zu können.

Und die Worte kamen problemlos, fast so automatisch wie der nächste Atemzug. „Champagner ist was für Mädchen, und nur Waschlappen trinken Wein.“

„Aber echte Männer …“, setzte Travis mit feierlichem Ernst fort.

„… trinken Bier“, vollendete Caleb den albernen Spruch.

Etwas von der Anspannung in Jake löste sich. Als Teeanger hatten sie sich an dieses unsinnige Motto gehalten, jetzt nicht mehr. Sie waren erwachsen geworden, hatten die Welt gesehen. Ihre Geschmäcker hatten sich weiterentwickelt. Travis hatte sogar einen Weinkeller … womit sie ihn gnadenlos aufzogen.

Ein kaltes Bier hörte sich mehr als verlockend an. „Aus der Flasche?“

„Kann man ein gutes Bier überhaupt anders servieren?“

Die drei Wilde-Brüder grinsten. Und gingen einige Schritte weiter in den Raum.

Jake entfuhr ein leiser Fluch. Er hatte die Menge vergessen, die Lichter.

Die Reaktion.

Man schnappte nach Luft. Schlug die Hand vor den Mund. Raunte dem Nachbarn etwas zu. Jake hätte schwören mögen, dass der gesamte Sauerstoff im Raum von einem kollektiven tiefen Atemzug verbraucht war.

„Mist“, knurrte Caleb. Travis stimmte dem mit einem derberen Wort zu.

„Ist schon in Ordnung“, behauptete Jake. Wenn je eine Lüge angebracht war, dann jetzt.

Eine Gruppe scharte sich um ihn. Er kannte die Gesichter. Rancher mit ihren Frauen. Das Ehepaar, dem der Eisenwarenladen gehörte. Der Eigentümer des Supermarkts. Der Zahnarzt. Lehrer, die ihn noch von der Highschool kannten. Der Trainer der Football-Mannschaft.

Die meisten hatten sich wieder gefasst. Die Männer streckten die Hand aus, die Frauen boten ihm die Wange zum Kuss.

Die Begrüßungsfloskeln klangen alle ähnlich.

Es ist schön, dass du wieder da bist.

„Ja, es tut gut, wieder zu Hause zu sein“, lautete seine Standardantwort.

Die nächste Lüge. Aber was sonst sollte er sagen? Nein, es tut gar nicht gut. Ich kann diesen Ort nicht schnell genug wieder verlassen. Ich gehöre nicht mehr hierhin. Ich gehöre nirgendwohin.

„Geh einfach weiter“, raunte Travis ihm zu.

Jake nickte und setzte einen Fuß vor den anderen.

Wer war das? Eine Frau lehnte an der Wand beim Flügel. Ems Flügel.

Er hatte sie noch nie gesehen. Denn wäre er ihr schon einmal begegnet, würde er sich daran erinnern.

Groß. Schlank. Das dunkle Haar aus dem Gesicht gekämmt und mit einer vage amüsierten Miene. In einem Meer aus blauen Denim und geblümter Baumwolle trug sie Seide. Sexy schwarze Seide.

Die Menge wogte, teilte sich, zog sich wieder zusammen, und er konnte sie nicht mehr sehen.

„Bereit dafür?“

„Wofür?“

„Für den nächsten Trupp.“ Mit dem Kinn deutete Travis in den großen Raum.

„Für den Jubel deiner Millionen Fans.“ Caleb bemühte sich um einen flachsenden Ton.

Jake zwang sich zu einem strahlenden Lachen, weil er wusste, dass es von ihm erwartet wurde. „Sicher.“

Zwei Lügen innerhalb von zwei Minuten. Das war ein Rekord, selbst für ihn.

„Dann auf“, meinte Caleb. „Je eher wir das hinter uns haben, desto eher kriegst du dein Bier.“

Noch mal zu lachen brachte er nicht über sich, also lächelte er nur, holte tief Luft und ließ sich von seinen Brüdern nach vorn schieben.

Die Menge verschluckte ihn.

Er schüttelte Hände, lächelte, ignorierte das Glitzern von Tränen in den Augen mancher Frauen. Und endlich, endlich waren sie bei dem langen Tisch angekommen, der sich unter den Platten mit gegrillten Hähnchenflügeln und Spare Ribs, den Schüsseln mit Salat und Gemüse bog.

„Richtiges Essen und Essen für die Mädels“, sagte Caleb, und dieses Mal war Jakes Lachen echt.

„Und hier … der Heilige Gral.“ Travis drückte ihm eine Bierflasche in die Hand.

Jake nickte dankend und wollte die Flasche an die Lippen heben, doch …

„Warte!“ Caleb stieß zuerst mit Travis an, dann mit Jake. „Gut, dich wieder zu Hause zu haben, Bruder.“

War es der richtige Zeitpunkt, um zu verkünden, dass der Toast übereilt war? Nein, entschied Jake, und sie stießen mit den Bierflaschen an.

Das Bier war kalt und bitter. Vielleicht war es genau das, was er brauchte, um die hämmernden Schmerzen zu vertreiben, die hinter seiner Augenhöhle saßen. Die Ärzte hatten ihm eindringlich geraten, jede Art von Stress zu vermeiden.

Ja klar, dachte Jake und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche.

„Wir haben dich vermisst.“

Er sah zu Travis. „Ja, ich euch auch.“

„Ohne dich ist es einfach nicht dasselbe“, brummte Caleb. „Du gehörst hierher, Jake.“

Na schön. Jake wusste, wohin das führen würde. „Was das angeht …“

Travis schüttelte schon den Kopf. „Uns ist klar, dass du nicht bleibst. Aber heute Abend bist du hier. Lasst uns einfach feiern, okay?“

„Abgemacht“, sagte er lachend, und sie stießen wieder an. „Auf die Wilden!“

Der Spitzname, den sie früher immer benutzt hatten, brachte alle zum Grinsen. Dann kam Bill Sullivan vom Supermarkt zu ihnen, klopfte Jake auf die Schulter und sagte: „Hey, Jake, gut, dich zu sehen“, woraufhin Jake die passende Erwiderung gab …

… bis sich plötzlich ein Korridor in der Menge öffnete und er die Frau wieder sehen konnte.

Dieses Mal hatte er den direkten Blick auf sie – und mehr Zeit, um sie sich genauer anzusehen.

Ihr Haar war fast schwarz, dicht und glänzend. Sie hielt es zurückgesteckt, mit Klammern oder Kämmen. Schlicht, klar …

Genau wie das Bild, das ihm in den Kopf schoss.

Er sah sie vor sich, wie sie die Arme hob, um die Locken mit der Bürste zu bändigen. Wie ihre Brüste dabei betont wurden, die Spitzen hervortraten … bereit für die Lippen eines Mannes, für das zärtliche Spiel seiner Zunge …

„Jake?“

Und dann dieses Gesicht …

Feine Knochen unter perfekter samtiger Haut. Graue Augen. Nein, nicht grau, silbern. Eine gerade Nase – über einem Mund, der Dinge verhieß, von denen man besser nur in tiefster Nacht träumte …

„Jake!“

Lust schoss in seine Lenden, so schnell und intensiv, dass es ihn verstörte. So etwas hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr erlebt.

„Hey, Mann, wo bist du?“

Blinzelnd kehrte er in die Realität zurück. Sah den vollen Teller, den Travis ihm hinhielt. Essen war das Letzte, wonach ihm der Sinn stand. Er nahm den Teller dennoch an und setzte ein Lächeln auf. „Genau das brauche ich jetzt. Danke.“

Sie begannen zu essen, doch Jake schmeckte nichts.

Er wollte sich umdrehen und wieder die Frau mit den silbernen Augen ansehen.

Lächerlich. Wozu sollte das gut sein? Vergiss diesen Anfall von Lust oder Hunger oder was immer es gewesen war.

Ein Ausrutscher, mehr nicht. Es mochte unglaublich klingen, aber Sex interessierte ihn nicht mehr. Er dachte nicht einmal mehr daran. Seine Libido hatte sich verabschiedet. Existierte einfach nicht mehr. Genau wie sein Auge.

Außerdem wusste er doch, wie er aussah. Er war der Typ mit dem Gesicht, das einer Halloween-Maske gleichkam.

„… und dann natürlich Lissa, in ihrem typischen Tonfall, bei dem du dir immer vorkommst, als wärst du der Verrückte und nicht sie: ‚Grillabend? Grillabend?!‘“

Travis lachte, also lachte Jake auch. Doch mit den Gedanken war er noch immer bei dieser Frau.

Und der jähen Gewissheit, dass sie ihn beobachtete.

Um Gelassenheit vorzutäuschen, drehte er langsam den Kopf.

Sein Herz schlug härter.

Sie beobachtete ihn tatsächlich. Weder neugierig noch mitleidig, sondern – interessiert.

Und sie war allein. Nicht nur, dass sie allein zu der Party gekommen war – obwohl er da ziemlich sicher war. Welcher Mann würde mit einer solchen Frau auf eine Party gehen und sie dann stehen lassen? Nein, allein im eigentlichen Sinne des Wortes – losgelöst und weit entfernt von allen anderen.

Außer ihm.

Das Blut floss schneller durch seine Adern. Und wieder keimte tiefes Verlangen in ihm auf.

Völlig verrückt.

Ausgerechnet jetzt, in einem Raum voller Menschen, sollte seine Libido aus dem langen Todesschlaf wiedererwachen? Und sich auch noch unübersehbar bemerkbar machen? Reichte denn die Monstermaske nicht, um ungeteilte Aufmerksamkeit zu erregen?

Der Himmel war sein Zeuge, dass er versucht hatte, seine Lust wiederzubeleben, nachdem die Wunden verheilt waren. Monstermaske oder nicht, es hatte Frauen gegeben, die seine Gesellschaft gesucht und sich eindeutig wohl gefühlt hatten. Krankenschwestern. Therapeutinnen. Hübsche junge Ärztinnen. Er konnte nicht sagen, ob aus Mitleid oder Neugier, aber eine von den Frauen hatte er flüstern hören: „Mit der Augenklappe sieht er richtig heiß aus …“ Auf jeden Fall … die Damen hatten Interesse gezeigt.

Und er?

Nichts.

Er hätte genauso gut ein Mönch sein können. Keine Regung, keine erotischen Gedanken, nicht einmal nicht jugendfreie Träume.

Vor ein paar Wochen war wohl einem seiner Ärzte – der Psychiater des Monats, wie Jake ihn bezeichnete – aufgegangen, dass er noch immer nicht wirklich im Land der Lebenden weilte.

„Wie ist das mit dem Sex?“, hatte er unvermittelt gefragt, und Jake hatte, in der Hoffnung, dieses Thema damit im Keim ersticken zu können, schlagfertig geantwortet: „Hey, Doc, Sie sind doch über einundzwanzig, oder? Sammeln Sie Ihre eigenen Erfahrungen.“

Doch seine Worte hatten leider nicht die gewünschte Wirkung.

„Manchmal dauert es länger, bis alles wieder zurückkehrt“, hatte der Arzt erwidert. „Nicht nur physisch, sondern auch emotional. Ein solches Trauma verlangt seinen Tribut, Captain. Aber Sie sind jung, Sie sind gesund. Geben Sie sich selbst mehr Zeit. Sie werden sehen, Ihre Libido kommt zurück.“

„Natürlich“, hatte Jake nur gesagt.

Doch sie war nicht zurückgekommen. Vielleicht, weil ihm einfach zu viele Sachen durch den Kopf gingen. Was er mit seiner Zukunft anfangen sollte. Wie er mit seiner Vergangenheit umgehen sollte. Wie er die langen Tage und die noch längeren Nächte überstehen sollte.

Was immer der Grund sein mochte, Sex war uninteressant geworden – für einen Mann, der stets die schönsten Frauen hatte haben können.

Das Verlangen, die Leidenschaft, wie man es auch nennen wollte, war nicht zurückgekehrt. Seit seiner Verwundung war er nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen. Hatte mit keiner Frau zusammen sein wollen …

Bis jetzt.

Er atmete tief durch. Ermahnte sich, den Blick von der Brünetten mit den silbernen Augen abzuwenden. Er konnte es nicht.

Nicht, wenn sie ihn anstarrte.

In ihrer Miene suchte er nach dem „Ach, der Arme“-Ausdruck, den er bei der Hälfte der Frauen im Raum gesehen hatte. Aber den gab es nicht. Sie musterte ihn einfach nur, mit einer durchdringenden Genauigkeit, die ihn nervös machte.

Und jetzt lächelte sie. Die Art, wie sie die Lippen verzog, traf ihn mit voller Wucht.

Mit dem Mund formte sie stumm ein Wort.

Hi.

Und hob leicht ihr Weinglas. Eine Einladung?

„Sie heißt Addison. Addison McDowell.“

Caleb hatte leise gesprochen. Jake sah ihn an.

„Was?“

„Die Frau da drüben, die du anstarrst.“

„Ich starre niemanden an.“

Caleb zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ich dachte nur … falls du starren solltest …“

„Ich sagte doch gerade …“

„Dann muss ich mich wohl geirrt haben. Entschuldige.“

„Was macht sie in Wilde’s Crossing?“

Seine Brüder tauschten einen Blick.

„Ihr gehört die Chambers-Ranch.“ Es war Travis, der antwortete.

Jake lege den Kopf leicht schief. „Was soll das heißen – ihr gehört die Chambers-Ranch? Der alte Mann hat sich immer geweigert zu verkaufen. Der General hat es zigmal versucht und …“

„… ist jedes Mal abgeblitzt. Der Alte ist gestorben, genau so, wie es zu erwarten war – hat sich die klapprigen Knochen kaputt gearbeitet und bis zum letzten Atemzug jede Hilfe abgelehnt, bärbeißig wie immer. Als der General das Land über seinen Anwalt kaufen wollte, stellte sich heraus, dass der Alte sich mit immer neuen Hypotheken völlig übernommen und die Bank es längst verkauft hatte.“

„An sie?“

„An irgendeinen reichen Typen aus New York.“

Ein Muskel zuckte in Jakes Wange. „Und sie ist die Frau des reichen Typen.“

„Der reiche Typ hat kurz nach dem Kauf das Zeitliche gesegnet.“

„Dann ist sie seine Witwe.“

„Nein.“

„Seine Tochter?“

„Eine Freundin.“

Jake sah wieder zu der Frau. Sie hielt seinem Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken. „Muss eine sehr gute Freundin gewesen sein“, meinte er kühl.

„Hör zu, Mann …“

„Nach einer Rancherin sieht sie mir nicht aus.“

Travis lachte. „Die Untertreibung des Jahres.“

„Es hilft auch nicht unbedingt, dass die Chambers-Ranch Katastrophengebiet ist“, sagte Caleb.

„War praktisch schon immer so.“

„Weißt du noch, als wir noch Kinder waren und du zwei Sommer da drüben gearbeitet hast? Du hattest eine Menge Ideen für Verbesserungen.“

„Nur wollte der alte Chambers nichts davon hören.“

„Addison schon.“

„Addison?“ Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah Jake seinen Bruder an.

„Sie ist eine Freundin.“

Jake setzte die Bierflasche an die Lippen und trank. Seltsam, schmeckte das Bier bitterer als vorhin? „Die Frau scheint eine Menge ‚Freunde‘ zu haben.“

„Sie ist genau das, was ich gesagt habe – eine Freundin.“ Calebs Ton war ebenso kühl wie Jakes.

„Wenn du meinst …“

„Verdammt, Jacob …!“

„Worum es hier geht …“, mischte Travis sich hastig ein. „Wir dachten, du könntest ihr helfen.“

Fast hätte Jake aufgelacht. Er konnte nicht einmal sich selbst helfen, geschweige denn anderen.

„Du weißt schon … Sieh dir das Land an, die Gebäude …“

„Pass auf, Trav. Morgen bin ich wieder weg.“

„Das haben wir schon vermutet. Wenn du nicht bleiben willst … kein Problem. Aber mach einen Check für sie und reise erst nächste Woche ab. Es ist ein Geschäftsdeal.“

„So nennst du das Arrangement, das du mit ihr hast? Geschäftsdeal?“ Warum, zum Teufel, hatte er diese Frage jetzt gestellt?! Was ging es ihn an, welche Beziehung sein Bruder mit einer Frau führte, die er noch nie gesehen hatte und die er auch nie wieder sehen würde?

Er verfolgte mit, wie Travis die Augen zusammenkniff, und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Entschuldige, Mann.“ Er lächelte schief. „Vermutlich bin ich es einfach nicht mehr gewöhnt, mit Leuten zu reden, die nicht in Flügelhemden rumlaufen, die auf der Rückseite offen stehen.“

„Um deine Frage zu beantworten – ja, so nennen wir es. Sie ist meine und Calebs Mandantin. Ich arbeite als ihr Finanzberater, Caleb ist ihr Anwalt. Sie ist clever und tough. Übrigens selbst Anwältin, aber aus New York. Du solltest sie nicht unterschätzen.“

Sicher nicht. Es wäre dumm, eine Frau zu unterschätzen, die ihn allein mit ihrem Blick in ihren Bann ziehen konnte. „Keine Sorge. Wie ich schon sagte, ich bleibe nicht. Ihr solltet besser nichts davon erwähnen, dass ich …“

„Zu spät. Wir haben dich bereits empfohlen. Wir haben ihr gesagt, dass du genau der Mann bist, den sie braucht. Und inzwischen ist sie überzeugt davon. Ich meine, so gut wie.“

Jake hörte nur mit halbem Ohr zu. Er sah wieder zu der Frau. Sie hob ihr Glas, nippte von dem Wein, leckte sich einen Tropfen von den Lippen …

Ein rauer Laut entfuhr ihm.

„Jake, alles in Ordnung mit dir?“

„Sicher, mir geht’s gut“, antwortete er, ohne den Blick von ihr abzuwenden.

„Hast du gehört, was ich sagte? Sie ist so gut wie überzeugt …“

„Wovon?“

„Dass du der Mann für sie bist.“

„Dass ich …“

Caleb verdrehte die Augen. „Dass sie dein Fachwissen braucht. Sie sieht doch schon die ganze Zeit rüber. Sie hat längst bemerkt, dass wir dir gerade von ihr erzählen.“ Er lachte übertrieben munter. „Wir haben sie nämlich schon vorgewarnt, dass sie ihren Charme spielen und sich etwas Besonderes einfallen lassen muss, damit du …“

Travis sah Jakes Miene. „Caleb …“, warnte er leise.

„‚Etwas Besonderes einfallen lassen‘ also, ja?“, hakte Jake betont leise nach.

„Und das wird sie, da bin ich ganz sicher. Die Frau verfügt über ein unglaubliches Repertoire, wenn sie etwas durchsetzen will.“

„Verdammt, Caleb! Halt endlich den Mund“, fuhr Travis seinen Bruder an.

„Hey, Moment mal! Ich versuche hier nur, etwas zu erklären. Jake muss wissen, dass es Addison allein ums Geschäft geht …“ Calebs Stimme erstarb. „Jake?“

„Jake!“, rief Travis ihm nach.

Doch auf seinem Weg durch die Menge reagierte Jake nicht. Die Lust war unbändiger Wut gewichen.

4. KAPITEL

Mit neun war Addison von Zuhause weggelaufen.

Das hatte sie vorher schon öfter getan. Einen speziellen Grund hatte es dafür nie gegeben, nur die kindische Hoffnung, dass irgendwo auf dieser Welt ein Ort existierte, wo die Leute Bücher lasen, statt sich den ganzen Tag Seifenopern im Fernsehen anzusehen. Wo eine Mutter nicht Stunden damit verbrachte, sich die Haare auf Lockenwickler zu drehen und die Fingernägel zu lackieren, um dann, wenn sie damit fertig war, ihrer Tochter die gleiche Qual zuzufügen.

Aber dieses eine Mal … da war sie nicht Richtung Highway gerannt, sondern in den Wald unterhalb der Berge.

Die Zweige waren ihr ins Gesicht geschlagen, Brombeerranken hatten ihr die Hose zerrissen. Irgendwann war sie auf einer Lichtung angekommen – und stand einem Berglöwen gegenüber.

Die Wildkatze legte die Ohren an und fauchte angriffslustig, und Addison blieb das Herz stehen. Sie wusste alles über Berglöwen. Die Tiere waren schnell und unberechenbar. Sie waren schön und schlau …

Und sie waren sehr gefährlich.

Adrenalin schoss durch Addisons Adern. Flucht war der instinktive Gedanke. Glücklicherweise wusste sie es besser. Zeigte man Schwäche, war man so gut wie tot. Und deshalb rührte sie sich nicht von der Stelle, auch wenn sie vor Angst schier umkam. Und – so ein albernes Klischee! – die Zeit blieb stehen.

Wie sonst ließ es sich beschreiben, wenn sich Jäger und Beute gegenüberstanden?

Jetzt, fast zwei Jahrzehnte später, lebte diese Erinnerung wieder auf. Damals war sie nicht weggerannt, und nach Stunden – zumindest war es ihr so erschienen, aber vermutlich waren es nur Sekunden gewesen – hatte die Raubkatze sich umgedreht und war davongetrottet.

Jacob Wilde kam auf sie zu und sah genauso gefährlich aus wie der Berglöwe. Bis vor wenigen Minuten hatte er sie mit einer Intensität taxiert, die – wie sollte man es nennen? – beklemmend war. Seine Brüder hatten sich mit ihm unterhalten, wahrscheinlich über sie, so, wie erst die beiden und dann er zu ihr hinübergesehen hatten.

Sie hatte erwartet, dass etwas passieren würde. Dass Caleb und Travis mit ihrem Bruder zu ihr kommen würden, um sie einander vorzustellen. Oder dass er ihr zulächeln würde, nachdem er jetzt wusste, wer sie war. Sie hatte gewartet … und gewartet … Dass nichts geschah, irritierte sie.

Ging er davon aus, dass sie den ersten Schritt tat?

Na schön, warum nicht? Also hatte sie lächelnd ihr Glas in seine Richtung gehoben. Und mit Gesten versucht, die Botschaft rüberzubringen. Hi, ich bin Addison. Sie müssen Jake sein. Ich glaube zwar nicht unbedingt, dass wir ins Geschäft kommen, aber wir sollten einander wenigstens Hallo sagen, damit Ihre Brüder zufrieden sind.

Und dann hatte seine Miene sich schlagartig verändert. Seine Lippen waren schmal geworden, und ein hungriger Ausdruck veränderte seine Gesichtszüge.

Diese Miene kannte sie. Sie zeigte pure Lüsternheit. Sie hasste es, wenn Männer sie mit diesem Blick anschauten. Seit sich ihr Busen entwickelt hatte, passierte ihr das immer wieder.

„Siehst du, meine Kleine?“, hatte ihre Mutter dann immer gesagt. „Die Jungs mögen dich. Ist das nicht toll?“

Nein, es war nicht „toll“, nicht, wenn man schon zu dem Zeitpunkt den Ehrgeiz gehabt hatte, wegen seiner Intelligenz anerkannt zu werden und nicht, weil „die Jungs“ einen „mochten“.

Deshalb hasste sie den Blick, mit dem Männer sie anstarrten.

Allerdings … dieses Mal schaute ein Fremder sie an, wie ein Verhungernder wohl ein saftiges Steak ansehen würde, und ihre Knie wollten nachgeben.

Die eigene Reaktion schockierte sie. Ihr wurde heiß, der nächste Atemzug machte Mühe. Also hatte sie versucht, sich auf etwas anderes zu konzentrieren, und hatte einen Schluck Wein getrunken.

Damit setzte der rasante Sturzflug ein.

Seine Brüder sagten noch etwas zu ihm, Jacob Wilde schwang abrupt zu ihnen herum. Es konnte also kein angenehmer Austausch gewesen sein. Dann kam er energisch auf sie zumarschiert.

Und sie hatte nur an den Berglöwen denken können und wie sie einander für eine Ewigkeit angestarrt hatten …

Nur war der Mann keine Wildkatze und sie kein verängstigtes Kind mehr. Sie würde den Teufel tun und sich einschüchtern lassen.

Das Problem war nur, es lief alles wie in Zeitlupe ab – seine Entschlossenheit, seine Brüder, die ihm nacheilten …

„Jake, warte!“, rief Caleb.

„Verdammt, du machst einen Fehler!“, hörte sie Travis sagen.

Inzwischen drehten sich bereits die Köpfe. Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf sie. Das war das Letzte, was Addison gebrauchen konnte – eine öffentliche Szene. In den vergangenen Wochen hatte sie alles darangesetzt, jedwede Art von Öffentlichkeit zu meiden.

Also gut.

Sie trat einen Schritt zurück. Das mit dem Berglöwen würde sie vergessen. Das mit dem „sich nicht einschüchtern lassen“ auch. Der Mann war nicht ganz richtig im Kopf, und sie würde ihm nicht erlauben …

Zu spät.

Mit eisernem Griff umklammerten seine Finger ihr Handgelenk.

„Wollten Sie irgendwo hin?“, fragte er leise.

Ihr Puls raste, es war schwierig, das Zittern in der Stimme zu unterdrücken, aber sie schaffte es. „Lassen Sie mich los.“

„Wieso? Meine Brüder meinten, Sie wollten mich unbedingt kennenlernen.“

„Wohl kaum ‚unbedingt‘.“ Ihr Blick ging zu seiner Hand an ihrem Arm, dann wieder zurück zu seinem Gesicht. „Sind Sie taub? Ich sagte …“

„Blind und taub?“ Er lächelte dünn. „Nein, Miss McDowell. Eine Behinderung reicht mir völlig.“

Sie zuckte leicht zusammen. Der Typ war irre, aber sie hatte nicht die Absicht gehabt, ihn zu beleidigen. „Ich kann Ihnen versichern, dass ich nicht vorhatte …“

„Natürlich nicht. So wie Sie mir auch versichern wollen, dass Sie meinen Brüdern nicht gesagt haben, wie unbedingt Sie mich kennenlernen wollen.“

„Jake“, sagte Travis warnend.

Addison sah über Jacob Wildes Schulter. Die beiden Brüder hatten sich mittlerweile hinter ihm aufgebaut. Sie schienen einsatzbereit, ihn jederzeit zu packen und wegzuführen. Der Gedanke müsste beruhigend wirken, tat er aber nicht. Alle drei Wildes waren groß und stark, nur zweifelte sie nicht daran, dass der Bruder, der direkt vor ihr stand, durch seine Wut im Vorteil wäre.

Vielleicht half ja Vernunft. „Ich hatte zugestimmt, Sie zu treffen“, sagte sie ruhig. „Es schien den beiden viel zu bedeuten.“

„Sie wollten mich treffen“, widersprach er kalt. „Und als sie Ihnen dann sagten, dass ich Sie bestimmt nicht als Klientin übernehmen würde …“

„Ich Ihre Klientin?“ Sie kniff die Augen zusammen. „Ihre Brüder wollten, dass ich Ihnen einen Job anbiete.“

„Von wegen!“

Addison fühlte, wie ihre guten Vorsätze sich einer nach dem anderen verabschiedeten. „Sie haben mich praktisch angebettelt, Ihnen einen Grund zum Bleiben zu geben.“

„Genau“, knurrte er. „Und deshalb sind Sie auf diese Taktik verfallen.“

Wovon redete der Mann überhaupt? „Hören Sie, ich glaube, hier liegt offensichtlich ein Missverständnis vor …“

„Der Blick, das Lächeln. Dann der Schluck Wein und schließlich das letzte winzige sexy Detail – sich den Tropfen von den Lippen lecken.“

„Sie sind ja von Sinnen“, entgegnete sie tonlos.

„Jake“, ging Caleb dazwischen, „Mann, du hast alles völlig falsch verstanden.“

Jake ignorierte ihn. „Ist Ihnen das vorher schon passiert? Oder ist es das erste Mal, dass Sie damit kein Glück hatten?“

Addison starrte ihn an. Die Narben unter der schwarzen Augenklappe stachen in wütendem Rot hervor, und ihr Gewissen meldete sich.

Die sichtbaren Wunden waren schlimm, aber vielleicht gab es da noch schlimmere, solche, die tiefer gingen. War sein seltsames Verhalten Folge dessen, was er durchgemacht hatte? Er hatte Opfer für sein Land gebracht, für Leute wie sie. Wenn er mit psychologischen Problemen aus dem Krieg zurückgekehrt war …

„Lassen Sie das“, sagte er scharf.

„Entschuldigung?“

„Sehen Sie mich nicht an wie einen angefahrenen Hund, der im Straßengraben liegt.“ Sein Griff wurde härter, und unwillkürlich entfuhr Addison ein leiser Aufschrei. „Ihr Mitleid ist genauso unerwünscht wie Ihre Anmache.“

So viel also zum Thema Mitgefühl. „Anmache? Sie glauben tatsächlich …?!“ Wütend funkelte Addison die beiden Wilde-Brüder hinter Jacob an. „Nehmen Sie Ihren verrückten Bruder am besten gleich wieder mit“, stieß sie durch zusammengebissene Zähne hervor. „Und zwar schnell!“

„Jacob, lass uns nach draußen an die frische Luft gehen, ja?“, schlug Travis vor.

„Jake, hey, Mann. Lass die Lady los!“ Das kam von Caleb.

Der verrückte Wilde-Bruder reagierte nicht. Erst nach einer Ewigkeit ließ er ihren Arm los und zog seine Hand zurück.

Zu gern hätte Addison nachgesehen, ob sein Griff Abdrücke hinterlassen hatte, doch eher würde sie sich die Hand abhacken, als ihm die Befriedigung zu verschaffen.

„Ich wollte nur sichergehen, dass Sie es verstehen, Miss McDowell“, sagte er. „Sie können Ihr ganzes Repertoire auffahren. Ich werde kein Gutachten für die Chambers-Ranch für Sie erstellen.“

„Es ist nicht mehr die Chambers-Ranch, sondern meine. Und eher lasse ich alles zusammenfallen und vom Wind verwehen, bevor Sie auch nur einen Fuß auf mein Land setzen.“

Sein Lächeln war mehr als frostig. „Die Ranch gehört nur deshalb Ihnen, weil Sie einen alten kranken Mann ausgetrickst und überredet haben, sie für Sie zu kaufen.“

„Sie“, stieß Addison aus, „sind ein unmöglicher Mann!“

„Weil ich nicht so leicht zu übertölpeln bin wie er?“

Travis und Caleb stöhnten auf. Addison warf ihnen einen empörten Blick zu.

„Ihr Jungs scheint ja eine sehr interessante Unterhaltung geführt zu haben“, sagte sie kalt.

„Addison, wenn Sie damit andeuten wollen …“, hob Travis an.

„Was ich damit meine, ist, dass ich eher Rat von einem Rindvieh annehme als von Ihrem Bruder, der zwar ein Riesenego, aber null Verstand hat.“

„Jetzt hören Sie mal zu, Lady …“

„Nein, Sie hören zu!“ Die Hände in die Hüften gestemmt, baute Addison sich vor Jake auf und schob das Kinn vor. „Ihre Brüder haben stundenlang mit Engelszungen auf mich eingeredet, um Sie mir als Genie zu verkaufen. Sie seien angeblich der Beste. Unübertrefflich. In Einklang mit der Erde, dem Gras und den Pferden …“

„Jake“, mischte Caleb sich ein. „Mann, wir haben nie …“

„Und?“

„Und auch wenn ich keinen Sinn darin sah, etwas schätzen zu lassen, bei dem jeder Narr auf den ersten Blick erkennt, dass es die reine Katastrophe ist, dachte ich …“ Sie strafte Travis und Caleb mit einem vernichtenden Blick. „Ich dachte, ich könnte ihnen trauen.“

„Das können Sie“, beeilte Travis sich zu sagen. „Wir haben Sie nie …“

„Und ich“, Addison achtete nicht auf den Einwand, „war tatsächlich so dumm und habe mir eingebildet, Ihre Brüder und ich wären Freunde. Und daher habe ich mir gesagt, na gut, dann schenke ich dem Ranch-Guru eben fünf Minuten meiner Zeit.“

Jake musste ein Lachen zurückhalten. Idiotisch, so wütend, wie er war. Also verschränkte er die Arme vor der Brust und erwiderte: „Wie großzügig von Ihnen.“

„Addison, Jake, hört zu …“

„Das“, fuhr sie unbeeindruckt fort und warf Caleb erneut einen vernichtenden Blick zu, „ist auch der einzige Grund, weshalb ich zu dieser … dieser ‚Heil dem verwundeten Helden‘-Party gekommen bin – auf der ich mich von jedem trotteligen Cowboy über zwölf habe anquatschen lassen müssen, während die Frauen mich mit Argusaugen beobachten, weil ich ihnen ja vielleicht ihre sabbernden Ehemänner ausspannen könnte.“

Von Travis kam ein ersticktes Hüsteln, Caleb rieb sich die Stirn. Jake hatte Mühe, nicht beides zu tun.

„Und noch immer habe ich geduldig auf die Attraktion des Abends gewartet.“

„Die was?“

„Die Attraktion. Sie, Captain. Ich habe gewartet und gewartet, und endlich haben Sie sich dazu herabgelassen, aufzutauchen. Aber haben Ihre properen Schwestern oder Ihre fantastischen Brüder uns etwa vorgestellt?“

„Unsere Schwestern haben damit überhaupt nichts zu tun.“ Travis sah sich um. „Könnten wir das vielleicht verlegen? Möglicherweise in ein anderes Zimmer? Es ist wirklich nicht nötig, das vor Publikum …“

„Ich hab Sie drei da zusammen stehen und Bier trinken sehen – übrigens ein ekelhaftes Gebräu, aber … was kann man von Texanern schon erwarten, nicht wahr?“

Verdammt. Diese McDowell war wirklich eine Klasse für sich. Schön. Tough. Und bissig. Sie feuerte hier eine Beleidigung nach der anderen ab, so als hätte nicht sie das Ganze zu verantworten. Dabei war es allein ihre Schuld, und Jake fand sie extrem unsympathisch. Allerdings musste er ihren Mumm bewundern.

„Bier, und dann auch noch aus der Flasche.“ Sie schüttelte sich. „Und Sie haben zu mir rübergesehen. Haben über mich geredet.“ Addison bohrte Jake den Zeigefinger in die Brust. Vor Überraschung sprang er zurück. „Um genau zu sein, Captain, Sie haben mich angestarrt.“

Er fühlte Hitze in seine Wangen steigen. „Ich habe nicht gestarrt.“

„Doch, haben Sie. Und weil ich es leid war zu warten, habe ich mir gedacht, ich sende Ihnen besser erst einmal einen Gruß. Mir war inzwischen klar, dass niemand hier genügend Höflichkeit und Manieren besitzt, um das Normale zu tun – nämlich rüberzukommen und sich mit Handschlag vorzustellen.“

Jake runzelte die Stirn. Das erhobene Weinglas?

„Ich habe sogar gelächelt.“

Sicher, hatte sie. Aber … aber dann hatte sie einen Schluck getrunken und war sich mit der Zunge über die Lippen gefahren …

„Sie haben überhaupt nicht reagiert. Ich dachte, wenn ich einen Schluck trinke und Ihnen mehr Zeit lasse, werden Sie sich schon irgendwann in Bewegung setzen.“

Caleb räusperte sich. „Addison, könnten Sie sich vielleicht beruhigen …“

„Ich bin ruhig“, sagte sie kühl. „Völlig ruhig. Ach, und übrigens … Sie beide sind gefeuert.“

„Warum feuern Sie die beiden, wenn ich derjenige bin, der Sie verärgert hat?“

„Sie drei haben die gleichen Gene. Das reicht mir als Grund.“

„Das ist ja wirklich brillant.“

„Richtig, so sehe ich das auch.“

„Na, wenn das so ist … Da Sie jetzt nichts mehr mit meinen Brüdern zu tun haben, brauche ich mich auch nicht mehr zurückzuhalten.“

Addison lachte trocken auf.

„Diese Ranch, die Ihnen gehört … ist genau das wert, was Sie dafür bezahlt haben.“ Jake grinste abfällig. „Es sei denn natürlich, Sie setzen für Ihre Dienste einen höheren Preis an, als der alte Trottel, der Ihnen die Ranch hinterließ, kalkuliert hat …“

Sie ohrfeigte ihn. Hart. Der Abdruck ihrer Hand flammte in dunklem Rot auf seiner Haut.

„Oh Mann“, stieß Travis aus, doch sein Ausruf ging unter in dem allgemeinen entsetzten Luftschnappen der anwesenden Gäste.

„Kein Wunder, dass Ihre Brüder nicht von Ihrer Seite gewichen sind“, sagte sie eisig. „Sie kann man ja nicht auf die zivilisierte Gesellschaft loslassen.“

Seine perplexe Miene sagte ihr, dass sie soeben die volle Punktzahl erreicht hatte. Warum noch lange bleiben und den Effekt verwässern?

Addison drehte sich um und stellte sich den schockierten Gästen. „Aus dem Weg“, forderte sie, und die Menge teilte sich wie das Rote Meer.

Sie schritt erhaben durch die Schneise, die sich gebildet hatte – und hielt auf dem Weg zur Haustür noch einmal an. Was soll’s, dachte sie und drehte sich um.

„Sie sind ein bornierter, egoistischer, erbärmlicher Idiot.“

Die Menge schnappte erneut nach Luft, dann brandete hektisches Raunen im Raum auf.

Addison hatte Wilde’s Crossing soeben genügend Gesprächsstoff für die nächsten zehn Jahre geliefert.

Na und?

Sie würde von hier verschwinden. Nicht nur aus dem Haus der Wildes. Aus der Stadt. Aus dem Staat Texas.

Zu Hause kannte sie den Feind zumindest. Sie würde sich nicht von einem Brüderpärchen einlullen lassen, das wirkte, als wäre es einem alten John-Wayne-Film entstiegen. Oder von einem Mann, der so tragisch schön aussah, dass sich ihr Herz zusammenzog.

Jemand stellte sich ihr in den Weg. Eine der Wilde-Schwestern. Emma oder Lissa oder wie immer sie hieß.

„Miss McDowell. Bitte…“

„Ihnen gehört mein vollstes Mitgefühl“, sagte sie, ging um die Schwester herum, riss die Haustür auf und trat in die Nacht hi­naus.

Travis und Caleb sahen ihr nach. Dann tauschten sie einen Blick, packten Jake beim Ellbogen und schoben ihn durch die offenen Flügeltüren auf die Terrasse hinaus.

„Du“, stieß Caleb herzhaft aus, „bist ein hoffnungsloser Trottel.“

„Ihr beide seid die Trottel“, entgegnete Jake scharf. „Wenn ihr glaubt, dass ich mich von einer Frau wie ihr mit weiblicher Tücke in dieser Stadt festhalten lasse …“

„Weibliche Tücke“, wiederholte Travis übertrieben betont. „Seit dem neunzehnten Jahrhundert nutzt niemand mehr weibliche Tücke, Jacob. Und selbst wenn Addison tückisch wäre … glaubst du wirklich, wir hätten sie gebeten, ihre ‚Fähigkeiten‘ bei dir einzusetzen?“

„Ich verstehe … Ihr wollt, dass ich bleibe. Und sie ist wirklich eine heiße Braut …“

„Sie ist eine Freundin“, korrigierte Caleb kühl. „Zumindest war sie das, bis du durchgedreht bist, weil sie dir nicht zu Füßen gesunken ist.“

Jake lief rot an. „Wieso sollte ich das wollen?“

Beide Brüder lachten gleichzeitig auf.

„Okay, sie sieht gut aus. Aber sie hat mich nur angemacht, damit ich den Job für sie übernehme.“

„Das glaubst du doch selbst nicht. Ich sage dir, was da abgelaufen ist. Du wolltest, dass sie dich anmacht. Und als du feststellen musstest, dass sie nicht die Absicht hatte, warst du sauer. Also hast du ihr unterstellt, sie würde dich anmachen.“

„So ein Blödsinn. Hey, nur weil euer Plan nicht funktioniert hat …“

„Verdammt, sie hatte wirklich recht! Du bist ein bornierter Idiot!“

Jake öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Seine Brüder hatten Temperament. Er auch. Sie waren öfter aneinandergeraten, aber noch nie so. Nie mit solcher Wucht.

Und vielleicht auch noch nie mit solcher Offenheit. Konnte es sein, dass sie recht hatten?

„Wir müssen uns bei ihr entschuldigen“, sagte Travis zu Caleb, und der nickte.

„Falls sie eine Entschuldigung überhaupt annimmt.“

„Komm, gehen wir …“

Jake hob die Hand. „Wartet …“ Er räusperte sich. „Das war also gar kein abgekartetes Spiel.“

„Du hast Glück, dass du das nicht als Frage formuliert hast“, meinte Caleb grimmig.

„Zugegeben, vielleicht habe ich … überreagiert. Vielleicht habe ich mehr in die Dinge hineininterpretiert …“

Travis schnaubte nur.

Jake fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. „Sie hat recht, ich bin irre. Es ist einfach nur … Es ist eine Weile her, seit ich …“ Er schüttelte den Kopf. „Nicht ihr müsst euch bei ihr entschuldigen, sondern ich.“

„Sie wird nicht mit dir reden.“

„Wird sie.“

„Nein, sie ist zäh.“

Jake sah von einem zu anderem. „Ich bin auch nicht gerade aus Pappe.“

„Du meinst, du kannst es mit ihr aufnehmen?“, fragte Caleb unschuldig.

Jake grinste. „Zehn Dollar, dass sie nicht nur meine Entschuldigung akzeptiert, sondern auch morgen Abend mit mir zum Dinner ausgeht.“

„Zwanzig“, erhöhte Travis, „und die Wette gilt.“

Die Brüder grinsten einander an. Jake stieg schon die Terrassenstufen hinab, als ihm etwas einfiel.

„Ich hab meinen Wagen beim Bach stehen lassen.“

„Wieso …?“

„Er hat’s einfach getan, okay?“ Travis zog seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche und warf ihn Jake zu. „Es ist der schwarze Tundra auf der Auffahrt.“

„Und denkt dran, zwanzig Dollar“, sagte Jake.

„Große Klappe und nichts dahinter.“

Es war einer von ihren alten Sprüchen. Auf Kommando lachte Jake. Doch das Lachen war ihm vergangen, als er bei Travis’ Tundra ankam.

Der alte Spruch war längst traurige Wahrheit geworden, nur konnten seine Brüder das nicht wissen. Das war auch der Grund, weshalb er so unbeherrscht gewesen war. Zum ersten Mal seit zwei Jahren hatte er auf eine Frau reagiert …

… nur um herauszufinden, dass sie nicht interessiert war.

Ja, er musste sich definitiv bei ihr entschuldigen. Was nun das Dinner betraf …

Jake legte den Gang ein und drückte das Gaspedal durch.

Er würde seinen Brüdern die zwanzig Dollar zahlen, und damit hätte sich die Angelegenheit erledigt.

5. KAPITEL

Mond und Sterne waren hinter dichten Wolken verborgen, sodass die Straße im Dunkeln lag und wie ein endloses schwarzes Band wirkte.

Addison hatte einen Vorsprung, aber Jake fuhr schnell, trat das Gaspedal fast bis zum Anschlag durch. Er sah ihre Rücklichter vor sich, bis sie der nächsten Biegung der Straße folgte und die roten Leuchten verschwanden.

Sie fuhr auch schnell. Gefährlich schnell. Ob sie an das Fahren auf unbefestigten Straßen gewöhnt war? Ihre Welt bestand wohl eher aus Limousinen und Taxis.

Es überraschte ihn, wie souverän sie die Kurven nahm. Aber eigentlich überraschte ihn alles an ihr.

Noch nie hatte er ein solches Temperament bei einer Frau erlebt. Solches Feuer.

Das von seiner Dummheit angefacht worden war.

Jake runzelte die Stirn. Das nannte man wohl „einen Narren aus sich machen“.

„Verdammt“, murmelte er.

Sich zu entschuldigen würde nicht leicht werden. Wie sollte ein Mann einer Frau gegenübertreten und zugeben, dass er ein Trottel war? Oder besser, dass er genau das war, als was sie ihn bezeichnet hatte. Ein arroganter Idiot. Wie sollte er sein Benehmen erklären?

Auf jeden Fall nicht mit der Wahrheit.

Er hatte sie in der Sekunde gewollt, in der er sie gesehen hatte – nachdem er längst überzeugt gewesen war, dass ihm so etwas nie wieder passieren würde. Dass er dann – fälschlicherweise – angenommen hatte, das Ganze wäre nur ein Trick, war wie ein Schlag in die Magengrube gewesen.

Unter keinen Umständen konnte er das eingestehen.

„Wilde“, murmelte er vor sich hin, „sie hat völlig recht. Du bist ein Idiot.“

Vielleicht hatte er ja Glück. Vielleicht würde sie ein ja schlichtes „Es tut mir leid, ich habe mich geirrt“ akzeptieren.

Ja, klar.

Sie würde ihm unmissverständlich mitteilen, wo er sich diese Art von Entschuldigung hinstecken konnte.

Nein, es würde nicht angenehm werden. Ganz bestimmt nicht.

Er konnte sich schon jetzt vorstellen, mit welchem Blick sie ihn ansehen würde, während er seine Entschuldigung stammelte. Ihre Wangen würden vor Ärger gerötet sein, ihre Augen silber funkeln. Und dieses „Ich nehme es jederzeit mit dem Rest der Welt auf“-Kinn würde sie hoch erheben und vorschieben.

Die Verkörperung der Wut.

Und sexy wie die Sünde.

Allein wenn er daran dachte, wurde ihm heiß. Das konnte er im Moment nun wirklich nicht gebrauchen. Er musste darüber nachdenken, wie er ansetzen sollte, welche Worte er wählen würde. Während der Pick-up die Straße entlangraste, überlegte und überlegte Jake … und nichts fiel ihm ein.

Ihm blieb nichts anderes übrig, als es auf sich zukommen zu lassen. Fest stand, sie würde ihn über glühende Kohlen laufen lassen.

Ein Muskel zuckte in seiner Wange. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte er die Herausforderung liebend gern angenommen. Eine Frau, die sich ihm entgegenstellte? Bis auf die beiden kratzbürstigen Krankenschwestern, die es mit ihm aufgenommen hatten, wenn er sich weigerte, die Medikamente zu schlucken oder nicht zur Therapiestunde gehen wollte, hatten ihm die Frauen bisher jeden Wunsch von den Augen abgelesen.

Was nicht verwunderlich war. Wenn ein Mann Geld und einen entsprechenden gesellschaftlichen Status besaß, zudem noch das Aussehen, das die holde Weiblichkeit ansprach, dann lief das eben so. Und er und seine Brüder verfügten über all diese Eigenschaften.

Sie waren in beträchtlichen Reichtum hineingeboren worden – den zugegebenermaßen noch ihr Vater kontrollierte, aber ihre Mutter hatte ihnen einen ansehnlichen Treuhandfonds hinterlassen.

Jake hatte sein Geld auf der Bank geparkt, bis er endlich etwas dazugelernt hatte und bei Travis investierte.

Selbst jetzt, während er einer Frau nachfuhr, die wahrscheinlich nichts lieber tun würde, als ihn auf den Mond zu schießen, musste er grinsen, wenn er daran zurückdachte.

Er hatte seinen Bruder an dem Abend abgefangen, bevor er zum ersten Mal mit der Truppe auszog, und ihm einen Scheck in die Hand gedrückt.

Travis, der gerade seine eigene Investmentfirma aufzog, hatte auf die Summe gestarrt und leise durch die Zähne gepfiffen.

„Du meinst, ich soll alles investieren?“

„Jeden einzelnen Dollar.“

„Risiko oder nicht?“

Mehr als ein Grinsen war als Antwort nicht nötig gewesen.

Danach hatte Jake eigentlich nicht mehr daran gedacht. Wenn man vollauf damit beschäftigt war, am Leben zu bleiben, hatte man keine Zeit, sich Gedanken über Geld zu machen.

Als er dann auf Urlaub nach Hause gekommen war, hatte wiederum Travis ihm einen Scheck überreicht, und dieses Mal war es Jake gewesen, der gepfiffen hatte.

Die siebenstellige Summe hatte sich verdreifacht. Nur der Himmel wusste, wie viel es inzwischen wert sein musste, trotz Finanzkrise.

Und was die gesellschaftliche Position anging … Er war der Sohn eines Generals. Das galt schon eine ganze Menge, aber der Sohn des Eigentümers von El Sueño zu sein, galt in Texas mehr.

Dabei hatte Jake sich seinen eigenen Status erarbeitet. Mit sechzehn war er der Star-Quarterback der Highschool. Mit achtzehn boten ihm ein halbes Dutzend Universitäten ein Stipendium an. Mit neunzehn waren die Talentsucher hinter ihm her. Mit zwanzig hatte er die Universität und den Football aufgegeben und sich zur Armee gemeldet, um direkt an die Front versetzt zu werden.

Nun, und sein Aussehen …

Da waren sie wieder, die Gene. Er war groß, schlank, muskulös. Seine Nase war zwar dank eines bulligen Verteidigers nicht mehr ganz gerade, aber das gereichte ihm durchaus nicht zum Schaden. Die Frauen hatten sich nie beklagt.

Er umklammerte das Lenkrad. Geld und Ansehen besaß er noch immer. Und das Äußere?

War ihm egal. Er wusste, dass seine Verletzungen andere schockierten. So wie heute Abend. Die Leute sahen ihn an, zuckten zusammen und wandten den Blick hastig wieder ab.

Das Mitleid war am schwersten zu ertragen.

Auch für ihn war es noch immer ein Schock, wenn er sein Gesicht morgens im Spiegel sah. Aber nicht aus Eitelkeit, sondern weil es die stete Erinnerung an sein Versagen darstellte.

„Sie müssen damit aufhören, Captain“, hatte einer der Psychiater gesagt. „Lassen Sie sich ein Glasauge einsetzen. Lassen Sie die Leute – und sich selbst – Ihr wahres Ich sehen. Haben Sie je überlegt, dass all diese Auszeichnungen, die Sie erhalten haben, dadurch ad absurdum geführt werden?“

Was die Wahrheit mit einer Glasmurmel zu tun haben sollte, die man sich in ein Loch im Kopf setzte, war ihm nicht klar, auch wenn der Seelenklempner das scheinbar für nötig hielt.

Ausgerechnet jetzt darüber nachzudenken war absolut sinnlos, wenn …

„Teufel noch eins!“ Jake stieg in die Bremsen.

Eine Ricke mit ihrem Kitz stand keine drei Meter entfernt vor seinem Pick-up und starrte ihn mit großen unschuldigen Augen an.

Jake holte tief Luft. „Geht schon. Los, macht die Straße frei.“

Die Tiere blieben regungslos stehen, dann wackelte die Mutter mit dem Wedel, und die beiden verschwanden im Gebüsch.

Jake startete den abgesoffenen Motor. Da hatte er noch einmal Glück gehabt, dass er den Zusammenprall verhindern konnte. Rotwild, Füchse, Kojoten … sie alle nutzten die Straße, besonders in der Nacht.

Er war mit den Gedanken überall gewesen, nur nicht da, wo er hätte sein sollen … Und Addison McDowells Rücklichter waren auch nicht mehr zu sehen.

Nun, kein Problem. Sie war auf dem Weg zur Chambers-Ranch. Und dahin würde er ebenfalls fahren.

Wenig später rumpelte er durch das vertraute Schlagloch auf Chambers-Land. Erst jetzt sah er, dass das Tor weit offen stand. Auf der Fahrt hierher war es ihm nicht aufgefallen. Obwohl … ein Tor war es eigentlich nicht mehr. Ein paar Pfähle, schiefe Querstreben, verrostete Scharniere. Eher Brennholz als Tor. Jake lenkte den Pick-up auf den langen Schotterweg, der zum Haus führte.

Und noch immer keine Rücklichter.

Wenn diese McDowell schon im Haus war, was sollte er dann tun? Den Wagen abstellen, aussteigen und an die Tür klopfen? Oder hinter dem Steuer sitzen bleiben und hupen? Er hatte das dumpfe Gefühl, dass es keine gute Idee war, uneingeladen auf ihrer Schwelle aufzutauchen …

Grelles Licht fiel durch die Windschutzscheibe direkt in sein Auge und blendete ihn. Mit einem Fluch trat Jake zum zweiten Mal innerhalb von Minuten auf die Bremse. Er hob die Arme, um nicht weiter geblendet zu werden.

Woher kam das Licht? Waren das Autoscheinwerfer? Eine Taschenlampe? Er konnte nichts sehen … Vorsichtig öffnete er die Fahrertür.

„Miss McDowell?“

Nichts, kein Laut. Nur Dunkelheit, Stille und dieses Licht.

„Addison? Sind das Ihre Autoscheinwerfer? Stellen Sie die ab.“

Noch immer nichts. Jake blinzelte und trat einen Schritt nach links. Das grelle Licht schien weiter auf den Tundra, ein anderer Strahl lag auf ihm und folgte ihm.

Scheinwerfer und eine Taschenlampe. Es musste Addison sein. Er konnte absolut nichts sehen.

„Hey“, rief er, „haben Sie mich nicht gehört? Stellen Sie das Licht ab.“

Der Strahl der Taschenlampe leuchtete ihm direkt ins Gesicht. Seine Nackenhärchen richteten sich auf. Er hatte für den Rest seines Lebens genug davon, Zielscheibe zu sein.

„Nehmen Sie dieses Ding runter. Sofort.“

Plötzlich existierte nur noch sein Überlebensinstinkt. Das hier war nicht mehr Texas.

Jake warf sich zu Boden und rollte sich ins Gebüsch. Alles in ihm konzentrierte sich auf den Lichtstrahl. Sein Puls verlangsamte sich. Er hörte nicht mehr die Geräusche der Nacht, sondern nur den Atem des Gegners. Der Lichtstrahl glitt über den Pick-up, über den Boden, suchte nach ihm.

Flach auf die Erde gedrückt, wartete Jake sprungbereit ab …

„Kommen Sie hervor.“

Das war Addison McDowells Stimme.

Jäh kehrte er in die Realität zurück. Er lag hier nicht in einem Straßengraben irgendwo in Afghanistan, das hier war seine Heimat. Und die Taschenlampe hielt nicht der Feind, sondern eine Frau, die der Wagen, der ihr mitten in der Nacht folgte, verängstigt hatte.

„Addison, ich bin’s, Jake Wilde. Sie brauchen keine …“

Der Lichtstrahl schwenkte in seine Richtung. Bald würde sie ihn gefunden haben. Jake erhob sich langsam.

„Addison, hören Sie … Ich verstehe, wieso Sie sauer sind …“

„Sie brauchen nur zu verstehen, dass ich eine Pistole habe und weiß, wie man damit umgeht.“

In Sekundenbruchteilen streckte Jake sich wieder auf dem Boden aus. Eine Pistole? Unmöglich. Woher sollte sie eine Pistole …

Aus dem Haus natürlich. Der alte Chambers hatte mindestens ein Dutzend Waffen gehabt, Gewehre, Pistolen, Automatikwaffen. Er war ein übler Jäger gewesen, hatte auf alles geschossen, was sich bewegte.

Verdammt, das war nicht gut.

Jake räusperte sich. „Addison, ich habe nicht vor, Ihnen etwas zu tun.“

„Ich zähle jetzt langsam bis fünf, Captain. Bis dahin sollten Sie besser mit erhobenen Händen aufgestanden sein.“

„Hören Sie, Sie wollen doch sicher keinen Unfall mit dem Ding …“

„Sie zu erschießen wäre kein Unfall.“

„Verdammt, Lady …“

Der Lichtstrahl glitt über ihn hinweg.

„Eins. Zwei …“

Der Strahl kehrte zurück, leuchtete nur Zentimeter über seinem Kopf in die Dunkelheit.

„Warten Sie. Ich will doch nur …“

„Ich weiß genau, was Sie wollen.“

Er stutzte. Der Ton war unmissverständlich. Als Antwort fiel ihm im Moment nur „Oh oh“ ein, doch das wäre wohl kaum passend. „Sie irren sich, ich bin hier, um …“

„Drei.“ Es lag nicht das geringste Zögern in ihrer Stimme.

Jake holte Luft, sprang auf die Füße, hielt den Kopf nach links, damit das Licht ihn so wenig wie möglich blendete, und rannte los, dorthin, wo er sie vermutete.

Er rammte sie mit der Schulter, genau, wie er geplant hatte, und riss sie mit sich zu Boden. Die Taschenlampe flog ihr aus der Hand, dann lag Addison unter ihm und hob die Hände, die Finger gekrümmt, um ihm das Gesicht zu zerkratzen. Er ließ ein Knurren hören, versuchte, ihre Handgelenke zu packen und sie ruhig zu halten.

Sie zog ihr Knie an. Viel Schwung konnte sie nicht holen, dennoch traf sie genau in seinen Schritt, hart genug, dass Jake ein Stöhnen entfuhr. Mit seinem Körpergewicht drückte er sie auf den Boden und hielt sie gefangen.

„Hören Sie mir zu“, befahl er rau. „Ich bin nicht gekommen, um …“

Wie der einer Schlange schoss ihr Kopf plötzlich vor, ihre Zähne drangen scharf wie Messer in seinen Hals.

Jake zuckte zurück. „Herrgott, werden Sie mir wohl endlich zuhören!“

„Ich bringe Sie um“, fauchte sie. „Ich schwöre, ich …“

„Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen.“

„Wenn Sie mir Gewalt antun, dann …“

„Verdammt, ich bin nur hier, um mich zu entschuldigen!“

Sie schnaubte. Wand sich. Als würde er mit einem Tiger ringen …

Nur war es eine Frau, mit der er kämpfte.

Warm. Weich. Seidig.

Zwei Menschen rangen miteinander in einem unnachgiebigen Kampf, und trotzdem fühlte Jake, wie sein scheinheiliger Körper zum Leben erwachte.

Ihr Haar roch nach Blumen. Maiglöckchen. Flieder. Er wusste nicht genug über die Flora, um den Geruch zuordnen zu können, er wusste nur, dass es ein lieblicher Duft war und erstaunlich altmodisch.

Ihr Atem war warm und parfümiert vom Wein. Ihr Mund würde süß und köstlich schmecken …

Ihre Brüste fühlten sich so weich an. Gott, sie war weich. Süß und weich. Er stellte sich vor, wie es sein musste, wenn er sich in ihr verlor, ihre Beine um seine Hüften geschlungen …

Erregung flammte in ihm auf und ließ ihn hart werden wie Stahl.

„Mist!“ Abrupt rollte er sich von Addison und sprang erneut auf die Füße. Er wandte sich ab, die Hände in die Hüften gestemmt, das Kinn auf die Brust gestützt, und versuchte wieder ruhig zu atmen.

Die Schimpfworte, mit denen sie ihn belegt hatte, reichten nicht aus. Falls Addison McDowell wirklich eine Waffe dabei hatte, konnte sie ihn ruhig erschießen, denn er war das absolut Letzte. Ein Mann, den es erregte, wenn eine Frau in Panik gegen ihn ankämpfte …

Er holte tief Luft und drehte sich zu ihr. Addison war aufgestanden, hielt die Taschenlampe mit zitternden Händen. Der Lichtstrahl schwenkte zuckend über ihn, über den Boden, über … alles.

Es gab keine Waffe.

Er sollte etwas sagen … aber was? Er räusperte sich. „Alles in Ordnung?“

Sie antwortete nicht.

„Addison. Bitte. Ist mit Ihnen alles in …“

„Sind Sie jetzt fertig?“

Er krümmte sich leicht. „Ich schwöre, ich kam nicht in der Absicht her, Ihnen etwas anzutun.“

Sie gab einen Laut von sich. Er hoffte, dass es ein ungläubiges Schnauben war und kein Schluchzen.

„Addison …“

„Verschwinden Sie. Steigen Sie in Ihren Pick-up und …“

„Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Alles, was ich da auf El Sueño gesagt habe, war … war einfach …“

„Ich will Ihre Entschuldigung nicht hören. Gehen Sie mir aus den Augen. Ich will nichts anderes, als die sich entfernenden Rücklichter Ihres Wagens sehen.“

Also gut. Sie gab nicht nach. Nur ein Heiliger würde das hinnehmen.

„Zu behaupten, Sie hätten eine Waffe, war ziemlich dumm.“

„Unter den Umständen war es sogar ziemlich clever.“

Sie straffte die Schultern, stand gerader. Ihre Stimme klang auch wieder fester. Die Lady hatte Mumm.

„Nur, wenn Sie davon ausgehen konnten, dass ich keine habe.“

„Warum hätte ich etwas anderes annehmen sollen?“

Jake zuckte die Achseln. „Hey, wir sind hier in Texas.“

Erstaunlich – sie lachte. Er atmete auf.

„Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht verletzt habe?“

„Nur meinen Stolz. Als ich nach New York zog, habe ich als Erstes einen Taekwondo Kurs belegt. Der Trainer meinte, von nun an könnte ich mich immer verteidigen, falls ich überfallen werden sollte. Jetzt stellt sich heraus, dass ich mich nicht einmal gegen einen Cowboy wehren kann.“

Sie war wieder die Alte. Er bewunderte sie für ihre Zähigkeit. „Seit Jahren hat mich niemand mehr Cowboy genannt.“

„Vielleicht konnte ich Sie deshalb nicht abwehren.“

Er lachte, brach ab, suchte nach passenden Worten, die als Nächstes gesagt werden mussten. Ihr hatte unmöglich entgehen können, was mit ihm passiert war, als er sie mit seinem Gewicht zu Boden gedrückt hatte. „Was da vorhin passiert ist …“ Hitze schoss in seine Wangen. „Äh … Sie sollen wissen, dass … dass das keine bewusste Reaktion war.“

„Ist denn etwas passiert?“, fragte sie kühl. „Mir ist nichts aufgefallen.“

Wow. Damit hatte er nicht gerechnet. Sah aus, als wollte sie sich revanchieren. Auch gut. „Nun, wenn wirklich alles in Ordnung mit Ihnen ist …“

„Mir geht es bestens.“

„Soll ich bleiben, bis Sie im Haus sind?“

Sie schnaubte verächtlich. Wieder spürte er die Hitze im Gesicht, dieses Mal aber nicht aus Verlegenheit.

„Ich weiß ja nicht, wie ihr es im Osten haltet, aber hier akzeptieren die Leute eine ernst gemeinte Entschuldigung.“

„Oh, auch im Osten akzeptiert man Entschuldigungen … aber nicht von Irren.“

In seiner Wange begann ein Muskel zu zucken. Das reicht, dachte Jake grimmig, drehte sich um und ging zum Pick-up.

„Captain?“

Er schaute über die Schulter zurück.

„Wenn Sie das nächste Mal auf die Idee kommen, mich zu besuchen, sollten Sie daran denken, dass es ein gutes Dutzend Waffen im Haus gibt.“

„Ich gebe Ihnen einen Rat“, erwiderte er kalt. „Drohen Sie einem Mann nie mit einer Waffe, wenn Sie nicht auch bereit sind, die Konsequenzen zu tragen.“

„Von Leuten wie Ihnen brauche ich keinen Rat, Captain Wilde. Sie sind ein unangenehmer Zeitgenosse mit unbeherrschtem Temperament und so von sich eingenommen, dass …“

Mit ausholenden Schritten marschierte er auf sie zu. „Ausgerechnet Sie halten mir vor, von mir selbst eingenommen zu sein?! Und was sollte das mit dem Aufzug, in dem Sie auf El Sueño aufgetaucht sind? Schwarze Seide, Stilettos … Da hätten Sie sich gleich ein Schild an die Stirn kleben können: ‚Na, Wilde’s Crossing, habt ihr so etwas wie mich schon mal gesehen?‘“

Sie kniff die Augen zusammen. „Sind Sie fertig?“

Fertig? Nein, er war noch lange nicht fertig. „Sie haben recht, ich habe mich wie ein Idiot aufgeführt …“

„Da werde ich Ihnen nicht widersprechen.“

„… aber was Sie hier veranstaltet haben, ist viel schlimmer.“

„Wenn ich mich verteidige, ist es schlimmer?“

„Ich hätte Sie töten können.“

Er sagte es so kalt und tonlos, dass Addison der Schauer bis ins Mark fuhr.

„Ich weiß, Sie hatten Angst – ein Pick-up, der Ihnen im Dunkeln über verlassene Straßen folgt … Aber als Sie sahen, dass ich es bin …“

„Genau. Ich sah Sie, einen Mann, der … der …“ Zum ersten Mal bebte ihre Stimme. Addison zitterte vor Kälte. In der Hast, so schnell wie möglich von El Sueño wegzukommen, hatte sie ihre Jacke vergessen, und der Wind hier draußen war kühl.

„So ein Mann bin ich nicht – trotz meines Gesichts“, sagte er tonlos.

„Herrgott noch mal!“, fuhr sie ihn an. „Sie meinen, darum geht es hier? Um Sie und Ihr Gesicht? Um Sie und Ihr Selbstmitleid?“

Wütend trat er einen Schritt vor. „Für wen halten Sie sich?!“

„Für eine Frau, die sich nicht scheut, Ihnen die Wahrheit zu sagen! Anders als diese … diese Klageweiber auf Ihrer Ranch.“ Sie schüttelte ihr Haar zurück. „Werden Sie erwachsen, Captain. Sie wurden verwundet. Sie haben Narben. Na und?“

„Sie gehen zu weit.“

„Nein, im Gegenteil. Ihr Komplex ist nicht zu übersehen.“

„Sie wissen nicht das Geringste über mich.“

„So wie Sie nichts über mich wissen – was Sie nicht davon abgehalten hat, sofort Ihr Urteil über mich zu fällen.“

Er stutzte, dann nickte er. „Sie haben recht. Wollen Sie die Wahrheit hören, was heute Abend passiert ist? Ich sah Sie, und ich wollte Sie. Seit einer halben Ewigkeit habe ich keine Frau mehr begehrt. Und als meine Brüder mir dann sagten, dass Sie nicht mich, Jacob Wilde ansahen, sondern den Typen, der Ihnen ein Gutachten für die Ranch erstellen soll, hat etwas in mir ausgesetzt …“

„Ich habe gemerkt, wie Sie mich anstarrten. Und ich habe mir eingeredet, dass ich Sie nur auf mich aufmerksam machen will, damit wir übers Geschäft reden können, aber … aber …“

„Verdammt“, sagte er noch, und dann kam Bewegung in ihn. Oder vielleicht auch in sie.

Es war unwichtig, wer sich zuerst rührte. Wichtig war nur, dass sie eine Sekunde später in seinen Armen lag.

6. KAPITEL

Zeit, zu verstehen, was da passierte, blieb nicht. Es war pure Magie. Nur ein Narr hätte sich Gedanken gemacht.

Man konnte Jake eine Menge vorwerfen, aber ein Narr war er nicht. Er war ein Mann, der eine schöne Frau in den Armen hielt, deren Lippen warm an seinen lagen.

Sie flüsterte etwas. Bat sie ihn etwa, aufzuhören?

Nein. Gott sei Dank nicht. Denn wenn er den Kuss jetzt hätte abbrechen müssen, hätte ihn das umgebracht. Falls er überhaupt etwas anderes wollte, dann mehr.

Und sie gab ihm mehr, öffnete gierig die Lippen, und er konnte ihre honigsüße Hitze schmecken. Sie streifte seine Zunge mit ihrer, stöhnte – und trieb damit Jakes Begierde fast auf die Spitze.

Addison ließ die Taschenlampe fallen, stellte sich auf die Zehenspitzen und schlang die Arme um seinen Hals. Er hielt sie fest an sich gedrückt, hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Ein rauer Laut stieg aus seiner Kehle auf, als Jake das leidenschaftliche Spiel ihrer Zungen intensivierte. Addison erschauerte und presste sich noch enger an ihn.

Der Kuss schien eine halbe Ewigkeit zu dauern. Mond und Sterne begannen sich um sie zu drehen. Sie waren das Zentrum des Universums, es gab nur noch sie beide …

Ein Kuss reichte nicht aus.

Jake wankte rückwärts auf den Truck zu. Lehnte sich dagegen und zog Addison mit sich. Sie schmiegte sich an ihn, und als sie den Beweis seiner Erregung fühlte, stöhnte sie erneut voller Verlangen auf.

Alles in ihm reagierte darauf … und er war kurz davor, die Kontrolle zu verlieren.

„Addison“, flüsterte er warnend. „Addison …“

Sie biss ihn sanft in die Unterlippe, drängte sich an ihm. Flüsterte heiser seinen Namen, und was immer von seiner Selbstbeherrschung übrig geblieben war, löste sich vollständig auf.

Einen Arm unter ihren Po gelegt, hob er Addison hoch, die freie Hand schob er unter ihr Kleid. Sie schlang die Beine um ihn. Er suchte und fand ihre empfindsamste Stelle …

Sie stieß einen leisen Schrei aus. „Jacob … Jacob … bitte …“

Jenseits aller Vernunft, jenseits allen logischen Denkens legte er die Finger um das feine Stück Spitze. Ein Ruck, und die letzte Barriere fiel.

Addison schnappte nach Luft.

Er konnte sie an seiner Haut spüren. Feuchte Hitze. Seidige Locken. Das Zentrum ihrer Weiblichkeit.

Er streichelte sie. Sie schrie lustvoll auf. Die Intensität ihrer Reaktion hätte ihn fast überwältigt. Hastig griff er zwischen sie beide, zog seinen Reißverschluss auf, hob Addison höher … und drang in sie ein.

Sie umschloss ihn eng und heiß.

Halt durch, mahnte er sich in Gedanken. Nicht loslassen. Nicht gehen lassen. Noch nicht …

Doch dann küsste sie ihn. Hob sich höher. Sank wieder herab. Einmal. Zweimal. Ein weiteres Mal …

Und erneut schrie sie auf. Er konnte die sanften Zuckungen ihrer Muskeln spüren, die ihn umfangen hielten.

Dann explodierten die Sterne, und Jake erreichte zeitgleich mit Addison den Gipfel der Lust.

Sein Herzschlag beruhigte sich allmählich. So wie er fühlen konnte, dass ihr Puls wieder langsamer wurde.

Die Geräusche der Nacht kehrten zurück. Wie auch sein Verstand.

Was, um alles in der Welt, war hier gerade passiert?

Er war mit vielen zusammen gewesen. Bis vor anderthalb Jahren mit sicherlich mehr Frauen als die meisten Männer. Sex hatte ihm Spaß gemacht. Er hatte den Geschmack von Frauen, das Gefühl gemocht. Impulsiver, aufregender Sex war ihm nicht unbekannt.

Doch das hier … So etwas hatte er noch nie erlebt.

Ein Teil von ihm wollte ihn davon überzeugen, dass er nur so empfand, weil er lange keine Frau mehr gehabt hatte.

Lügner, schimpfte der andere Teil.

Er war schon früher lange ohne Sex ausgekommen, im Einsatz und auch vorher, als er instinktiv gespürt hatte, dass selbst auferlegte Enthaltsamkeit ihn stärker und ausdauernder machen würde.

Es gab keine Erklärung für das, was soeben geschehen war. Er hatte komplett die Selbstbeherrschung verloren.

Keine Finesse, keine Zärtlichkeit. Und, großer Gott, kein Kondom!

Und trotzdem wollte er sie noch einmal nehmen. Dieses Mal aber in Ruhe. Wollte all die Dinge tun, zu denen er nicht gekommen war.

Sie ausziehen. Sie schmecken. Ihre Brüste liebkosen, die Spitzen reizen …

„Lass mich wieder herunter.“

Ihre Stimme klang völlig tonlos. Selbst einem Mann, der sich gerade fragte, ob er den Verstand verloren hatte, konnte das nicht entgehen.

„Hör zu, das hier …“

„Ich sagte, lass mich runter.“

Er nickte, stellte sie behutsam auf die Füße zurück und zerbrach sich den Kopf, was er von sich geben könnte, das halbwegs intelligent klingen würde. Ihm fiel nichts ein. Also entschied er sich für den zeitlosen Klassiker.

„Alles in Ordnung?“

Sie antwortete nicht. Sicher, warum sollte sie auch? Es mussten die dümmsten Worte sein, die ein Mann äußern konnte.

„Hey“, sagte er sanft. Er beugte sich ein wenig vor, gerade genug, dass sie auf Augenhöhe zueinander waren, und legte die Hand unter ihr Kinn. „Addie?“

„Ich heiße Addison“, fuhr sie ihn scharf an.

Nein, definitiv kein gutes Zeichen. „Ich möchte doch nur wissen, ob du …“

„Mir ist klar, was du fragen willst. Ich nehme die Pille.“

Erleichterung kam auf, aber das war nicht das, was er hatte fragen wollen. Er wollte wissen, ob er ihr wehgetan hatte. Ob sie enttäuscht war und es bereits bedauerte? Oder ob sie mehr wollte. So wie er.

Und am drängendsten … ob sie es, im Gegensatz zu ihm, vielleicht verstand.

„Gut.“ Er nickte wie eine von diesen kitschigen Figuren, die man manchmal auf der hinteren Ablage im Auto sah. „Gut“, sagte er noch einmal. „Aber was ich meinte, war … du weißt schon …“

Zum Teufel. Er stotterte hier herum wie ein Teenager nach der ersten erotischen Erfahrung. Er räusperte sich und setzte erneut an. „Ich weiß, das alles ging ein bisschen schnell …“

„So überaus eloquent, Captain.“ Sie zog ihr Kinn von seiner Hand zurück. „Ist es nicht etwas spät, um sich jetzt noch Gedanken darüber zu machen?“

Jake presste die Lippen zusammen. „Was soll das heißen?“

Sein Ton war plötzlich eiskalt. Addison verübelte es ihm nicht. Er hatte eine verdammt gute Frage gestellt.

Dem, was hier soeben passiert war – purer, lüsterner Sex mit einem Mann, den sie gerade erst getroffen hatte, mit einem Mann, der sie beschuldigt hatte, ihn verführen zu wollen, damit er einen Job für sie übernahm –, hatten sie beide zugestimmt. Es gab keine Möglichkeit, Jake Wilde allein dafür verantwortlich zu machen, obwohl Addison es liebend gern getan hätte.

Sie hatte den gleichen Anteil daran gehabt wie er. Die Kehle wurde ihr eng. Nicht nur das, sie hatte das Spiel sogar befördert.

Das bewiesen die wilden, aufregenden Erinnerungen. Sein Geschmack, den Addison noch immer auf ihren Lippen schmeckte. Sein Duft, den sie mit jedem Atemzug einsog. Das Echo ihrer fiebrigen Stimme, wie sie ihn angefleht hatte, sie zu …

Ihr Magen zog sich zusammen, wenn sie sich vorstellte, welches Bild sie bieten mussten – er gegen den Truck gelehnt, sie vor ihm, auf ihren Gesichtern deutlich abzulesen, was sie soeben getan hatten.

Seine Krawatte saß schief, und noch schlimmer – sie trug keinen Slip mehr. Die Erniedrigung wollte ihr die Tränen in die Augen treiben. Dass ausgerechnet sie so etwas tun würde! Sie, die sie bei einer Mutter aufgewachsen war, deren Einstellung gegenüber Männern eher wahllos war.

Warum nur einen nehmen, wenn es an jeder Ecke zahlreiche gab?

Nun, sie war keine Jungfrau mehr. Sie war nicht die arme kleine Unschuld vom Lande. Sie hatte schon Sex gehabt.

Mehrere Male.

Obwohl … eher selten.

Sie nahm die Pille nur, um ihren Zyklus zu regulieren. Einen aufregenderen Grund gab es nicht.

Für einen Moment spielte sie wirklich mit dem Gedanken, Jake das wissen zu lassen – und hätte fast aufgelacht. Wie sollte sie es am besten ausdrücken? Ich bin nicht der Typ Frau, der an einen Pick-up gelehnt losgelösten wilden Sex mit einem Fremden hat.

Nun, offensichtlich war sie der Typ. Es ließ sich nicht rechtfertigen, es gab keine Entschuldigung, mit der es leichter zu akzeptieren war.

„Mir ist klar, dass du aufgewühlt sein musst …“, begann er versöhnlich.

Sie sah in sein Gesicht. Das Mondlicht betonte die harten Züge, sodass Addison hastig den Blick abwandte.

Die Taschenlampe lag zu ihren Füßen auf dem Boden und brannte noch immer. Der Lichtstrahl fiel auf das, was von ihrem Slip übrig geblieben war, und auf einen Schuh.

Wo war der andere?

War das wichtig?

Sie bückte sich – im gleichen Moment wie er. Seine Hand legte sich über ihre Finger, hielt sie fest. Sie riss sich los, hob die Taschenlampe und das Stück zerrissene Spitze auf, Symbol ihrer Schmach.

„Verdammt, rede mit mir!“, forderte er sie rau auf.

Sie sah ihn an. Der Muskel in seiner Wange zuckte wieder. Was wollte er denn jetzt von ihr hören? Danke für den kurzweiligen Abend?

„Ich erlaube nicht, dass du so tust, als wäre es nicht passiert, Lady.“

„Du erlaubst es nicht?“ Addison strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Ich habe Neuigkeiten für Sie, Captain. Was ich tue oder nicht, geht Sie überhaupt nichts an.“

Er packte ihr Handgelenk, zog sie mit einem Ruck an sich, sodass ihre Körper sich berührten. „Über das ‚Sie‘ und den ‚Captain‘ sind wir doch wohl hinaus, oder? Und ja, du hast recht. Was du tust, geht mich nichts an.“

„Da bin ich aber froh, dass wir uns einig sind“, sagte sie kalt.

Er verstärkte den Druck seiner Finger noch. „Aber ich lasse nicht zu, dass du mich ansiehst, als hätte ich dich zu irgendetwas gezwungen. Wir haben Liebe miteinander gemacht“, sprach er es aus. „Wieso kannst du das nicht akzeptieren?“

„Wir hatten Sex“, fauchte sie. „Wenn du den Unterscheid nicht kennst, tust du mir leid.“

Es schockierte sie, wie schnell seine Miene sich veränderte. Sie starrte ihn an. Selbst mit Stilettos hatte sie aufschauen müssen, um in sein Gesicht sehen zu können. Jetzt musste sie den Kopf in den Nacken legen.

Es war ein erdrückendes Gefühl von Machtlosigkeit.

„Begehe niemals“, sagte er sehr leise, „niemals den Fehler und bemitleide mich.“ Er gab sie frei, schwang herum, riss die Fahrertür auf und glitt hinter das Steuer des Tundras. „Und Sie haben recht, Miss McDowell – wir hatten Sex. Übrigens keine besonders erinnerungswürdige Episode.“

Addison setzte ein schmales Lächeln auf. „Zumindest in einer Hinsicht sind wir der gleichen Meinung.“

Es war die größte Lüge überhaupt, eine, die einen schalen Geschmack in ihrem Mund zurückließ. Doch der Blick, den Jake ihr zuwarf, zeigte ihr, dass sie einen Sieg errungen hatte.

Und den hatte sie bitter nötig.

Mit gestrafften Schultern und hoch erhobenem Kopf ging sie auf ihren Wagen zu – barfuß. Sie würde ihm nicht den Triumph gönnen und nach dem fehlenden Schuh suchen.

Sie wartete darauf, den Motor des Pick-ups anspringen zu hören. Nichts geschah. Sie spürte ein unangenehmes Prickeln im Nacken und wusste, dass Jake ihr nachsah. Sie wollte losrennen, aber sie würde den Teufel tun! Das hier war schließlich immer noch ihr Land!

Er beobachtete sie, wie sie in den Wagen einstieg, den Motor anließ und das Licht wieder einschaltete. Bis zum Haus war es nicht weit, nur ein paar Hundert Meter.

Würde er ihr nachfahren?

Würde er noch einmal Sex mit ihr haben wollen?

Ihr Puls begann zu rasen, als sie sich vorstellte, was passieren würde, sollte er ihr folgen. Wenn er sie in einem Bett statt im Stehen an einen Wagen gelehnt in Besitz nahm. Nackte Haut auf nackter Haut. Dieser großartige muskulöse Körper unter ihren Händen.

Sie hatte noch nie einen Mann wie ihn getroffen. Schön. Stolz. Komplex.

Und ungezähmt. Himmel, so ungezähmt und wild …!

Sie erreichte das Haus, stieg mit weichen Knien aus dem Wagen und die Verandatreppe hinauf.

Sie war allein.

Sein Pick-up bewegte sich nicht, blieb mit laufendem Motor an Ort und Stelle stehen.

Er kam ihr also nicht nach.

Trotzdem konnte sie erst wieder normal atmen, als sie im Haus war und die Tür hinter sich abgeschlossen hatte. Mit dem Rücken ließ sie sich dagegen sinken und holte tief Luft.

Der Motor des Pick-ups röhrte auf, das Geräusch entfernte sich.

Jacob Wilde fuhr weg.

Ihre Schultern sackten herab. „Verflucht sollst du sein“, sagte sie mit erstickter Stimme.

Tränen brannten in ihren Augen, aber nicht vor Kummer. Sie hielt nichts von Selbstmitleid, hatte noch nie etwas davon gehalten.

Nach all der Zeit …! Sie hatte genau das Verhalten an den Tag gelegt, das ihr die Welt immer unterstellt hatte. Als Mädchen hatte eine ganze Stadt darauf gelauert, dass sie in die Fußstapfen ihrer Mutter trat, und dann erneut nach Charlies Tod.

Was sie sich da mit Jacob Wilde erlaubt hatte, ergab keinen Sinn. Man schlief erst mit einem Mann, wenn man ihn besser kannte. Wenn man sich sicher war, dass man ihn mochte, und Gemeinsamkeiten entdeckt hatte. Man ging zusammen zum Dinner, ins Theater, machte lange Spaziergänge und sah sich zu Hause auf der Couch mit einer Schüssel Popcorn einen Film an …

Addison warf Handtasche und Taschenlampe auf das Tischchen in der Diele. Zugegeben, sie war sicherlich nicht die Expertin, wenn es darum ging, Regeln dafür aufzustellen, wann es in Ordnung war, Sex zu haben. Aber eines wusste sie genau: Sex hatte man nicht mit einem Fremden.

Sie zumindest nicht. Unwesentlich, dass es unglaublich aufregend gewesen war. Gleichgültig, dass sie bisher noch nie einen Höhepunkt erlebt hatte und jetzt gleich zwei in wenigen Minuten.

Drei, korrigierte sie in Gedanken. Sie schloss die Augen und fühlte Jake wieder in sich, wie er ihre Lust steigerte …

Sie riss die Lider auf. „Mädchen, bist du verrückt?“, sagte sie laut in die Leere hinein.

Anders konnte es nicht sein. Oder vielleicht war sie einfach nur überlastet und ausgelaugt.

Charlie zu verlieren hatte unendlich wehgetan. Und das Geraune war unerträglich gewesen. Dann war sie hierhergekommen und hatte eine Ranch vorgefunden, die direkt aus einem Albtraum hätte stammen können …

„Also gut“, sagte sie laut.

Sie würde vergessen, was eben passiert war. Jake Wilde vergessen. Überhaupt alles vergessen.

Sie würde nicht länger daran denken. Sie würde weder an Texas denken noch an Wilde’s Crossing. Sie gehörte nach New York. Das Leben dort war sehr viel leichter zu verstehen.

Es reichte ihr. Ihr war egal, wie viel die Ranch tatsächlich wert war.

„Verzeih, Charlie, mein Freund“, murmelte sie vor sich hin, als sie nach oben ging, „aber dieser Ort gefällt mir überhaupt nicht.“

Morgen würde sie den Makler mit dem Verkauf beauftragen. Und dann nach Hause fahren.

7. KAPITEL

Jake schlief schlecht.

Um genau zu sein, er konnte kaum schlafen. Aber das war schließlich nichts Neues. Die meisten Nächte wälzte er sich unruhig von einer Seite auf die andere, und wenn er dann einschlief, träumte er wirres Zeug, bis er schweißgebadet und mit rasendem Puls aufschreckte.

Zumindest waren die Träume dieser Nacht anders geartet, dachte er, als er unter der Dusche stand und das heiße Wasser auf seinen Körper prasselte.

Es waren keine Träume von blutigem Kampfgetümmel und sterbenden Männern gewesen, die er nicht hatte retten können.

In der letzten Nacht hatte er von einer Frau geträumt. Von ihrer seidigen Haut. Vom Geschmack ihres Mundes. Vom Duft ihres Haares.

Es waren Träume von Addison gewesen. Wie es sich angefühlt hatte, sie zu lieben …

Eine tiefe Falte erschien auf Jakes Stirn. Er drehte das Wasser ab und griff nach dem Handtuch.

Sie hatten sich nicht geliebt. Sie hatten Sex gehabt.

Damit hatte Addison auf jeden Fall recht gehabt. Na und? Wozu ein grundlegendes menschliches Bedürfnis romantisch überhöhen?

Aber ihre Einstellung ärgerte ihn.

Der Sex war gut gewesen. In Gedanken fluchte er und wickelte sich das Handtuch um die Hüften. Studierte sein Gesicht im Spiegel. Zur Hölle, der Sex war großartig gewesen. Und als es vorbei war, hatte sie so getan, als hätte sich da etwas Ekelerregendes abgespielt. Als hätte er sich ihr aufgezwungen. Oder sie dazu verleitet.

„Von wegen“, murmelte er und griff nach dem Rasierer.

Sie hatte mehr als willig mitgemacht. Hatte keine Hemmungen gehabt. Wenn er sich daran erinnerte, wie sie sich an ihn geklammert hatte … ihr Stöhnen … ihre Lustschreie … ihre feuchte Hitze …

Seine Hand rutschte ab, die Klinge schnitt in seine Haut. Ein Blutstropfen quoll auf seiner Wange hervor. Mit einem Fluch riss er ein Blatt Toilettenpapier ab, um das Blut abzutupfen.

Es stimmte. Sie hatte die ganze Zeit mitgemacht, hatte ihm in nichts nachgestanden. Wie sie die Beine um ihn geschlungen hatte, ihn geküsst hatte, ihn in die Lippe gebissen hatte …

„Verdammt, Wilde …“

Er törnte sich hier selbst an. Erstaunlich. Und interessant.

Seit er verwundet worden war, hatte sein Körper keinerlei sexuelle Regung mehr gezeigt, auch wenn sämtliche Ärzte ihm versichert hatten, dass alles funktionierte, wie es sollte. Und jetzt heizten allein die Gedanken an eine Frau, die er nicht einmal mochte, ihm derart ein.

Er würde nach Dallas fahren, in eine von den vielen Single-Bars gehen und sich eine heiße Braut suchen, die betrunken genug war, um sein Gesicht nicht mehr so genau zu erkennen. Oder eine, die seine Verwundung anmachte.

War das vielleicht die Erklärung für gestern Nacht? Gehörte diese McDowell zu den Frauen, die ein entstellter Mann reizte?

Völlig egal. Seine Hormone reagierten wieder. Man hatte ihm gesagt, dass das irgendwann der Fall sein würde. Es hatte überhaupt nichts mit dieser Frau zu tun, sie war nur zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen.

Jake wusch sich den Rasierschaum mit kaltem Wasser ab, schleuderte das Handtuch zur Seite und ging in sein Schlafzimmer. Seine Sachen hingen noch immer im Schrank und lagen ordentlich gestapelt in den Schubladen wie an jenem Tag, als er auf den Stützpunkt gezogen war. Er nahm eine verwaschene Jeans heraus und ein ebenso verblichenes Hemd. Und er fand seine Stiefel, das Leder weich und speckig vom Alter.

Es gab keinen Grund mehr, die Uniform zu tragen. Sein Dienst war beendet. Genau wie sein Leben hier, als er noch auf der Ranch gearbeitet hatte. Beides hatte er geliebt, hatte immer geglaubt, entweder eine militärische oder agrarwirtschaftliche Karriere zu machen.

Jetzt nicht mehr.

Er brauchte einen Neuanfang. Nur wo? Und in welchem Bereich? Er hatte nicht die geringste Vorstellung, wusste nur, dass er über alles Klarheit gewinnen musste.

Gestern noch hatte er gedacht, er würde sofort wieder abfahren. Doch ein weiterer Tag machte auch keinen Unterschied. Er wollte ein wenig Zeit mit seiner Familie verbringen.

Er fuhr sich mit den Fingern durch das nasse Haar, schob Portemonnaie und Schlüssel in die Hosentaschen, setzte die Augenklappe auf. Ein Blick zum Fenster hinaus zeigte ihm einen bleigrauen Himmel, der Regen ankündigte.

Ein letzter tiefer Atemzug, dann zog er die alte Jeansjacke über, öffnete die Zimmertür und folgte dem Duft des frischen Kaffees.

Die Wildes hatten sich in der Küche versammelt.

Die Mädchen standen alle am Herd – ein seltener Anblick, denn Lissa war die Einzige, die kochen konnte, und normalerweise scheuchte sie ihre Schwestern immer aus dem Weg.

Heute jedoch schlug Emma die Eier in die Pfanne und Jamie briet den Speck, während Lissa das Blech mit dem gerösteten Toast aus dem Herd nahm. Travis und Caleb saßen an dem riesigen Eichentisch, schlürften Kaffee und lasen Zeitung.

Einen Augenblick lang blieb Jake im Türrahmen stehen und betrachtete das Bild. Das waren die Menschen, die er liebte und die ihn liebten.

Er hatte sie enttäuscht.

Das war überhaupt der unerträglichste Teil.

Sie wussten es nicht, aber es stimmte. Und warum, zum Teufel, war er gestern nicht direkt am Flughafen an den nächsten Schalter gegangen und hatte sich ein Ticket nach L. A. oder New York oder Seattle besorgt …

„Sieh einer an.“ Travis hatte ihn entdeckt. „Er lebt!“

Caleb grinste. „Gestern wohl spät geworden, was?“

Jake suchte verzweifelt nach einer Antwort. Völlig unnötig, wenn er nichts anderes zu tun brauchte, als stumm zurückzugrinsen.

Aber aus irgendeinem Grund brachte er es nicht fertig.

Em rettete ihn, ohne es zu ahnen, indem sie ihn kurz liebevoll umarmte und auf die Wange küsste, um ihm dann einen Becher Kaffee in die Hand zu drücken.

„Setz dich, kleiner Bruder, hör nicht auf die Trottel.“

Kleiner Bruder. So hatte sie ihn immer genannt, weil er der jüngste der Wilde-Brüder war, auch wenn er vier Jahre älter und mehr als einen Kopf größer war als sie. „Als ob ich das je täte.“ Er lächelte sie strahlend an.

Travis hob eine Augenbraue. „Ich hoffe doch, zumindest gestern hast du es getan.“

Lissa schaufelte Rührei und Speck auf einen Teller, stellte die Riesenportion vor Jake hin und drückte den Bruder fest. „Iss, solange es heiß ist. Worauf haben die beiden gehofft?“

Caleb warf Travis einen schnellen Blick zu. „Oh … Jake brauchte gestern frische Luft. Deshalb haben wir ihm geraten, mit Travis’ Pick-up ein wenig herumzufahren.“

Jamie stellte den Korb mit dem gerösteten Toast auf den Tisch, drückte einen Kuss auf Jakes Kopf und setzte sich neben ihn. „Wohin?“

Jake sah auf den vollen Teller. Mehr als Kaffee wollte er nicht, aber das würden seine Schwestern ihm nicht durchgehen lassen. Vor allem, da sie offensichtlich Señora Lopez, die Haushälterin, verscheucht hatten, damit sie das Frühstück selbst zubereiten konnten.

„Keine Angst, man kann es essen“, flüsterte Caleb übertrieben laut.

Em zerknüllte eine Serviette und warf sie nach ihm. „Wo bist du denn herumgefahren?“, fragte sie dann Jake.

„Oh … überall und nirgends.“ Er konzentrierte sich angelegentlich auf seine Portion.

Jamie zerzauste ihm das Haar. „Wir haben uns schon gefragt, wo du abgeblieben bist.“

Lissa nickte. „Wir dachten, es könnte vielleicht etwas mit dieser McDowell zu tun haben.“

Jake sah böse zu seinen Brüdern. Travis schüttelte unmerklich den Kopf, Caleb formte ein „Nein“ mit den Lippen. „Wie kommt ihr darauf?“

„Nun, ihr seid beide zur gleichen Zeit unauffällig verschwunden.“

„Na, bei ihr war es wohl eher nicht unauffällig.“ Jamie stahl einen Speckstreifen von Jakes Teller. „Ellen Borman hat erzählt, dass sie eine Szene veranstaltet hat und dann zur Tür hinausstolziert ist. Weiß jemand, was da los war?“

„Nein“, kam es gleichzeitig von Travis und Caleb.

„Ellen hat auch gesagt, dass du an dem Ganzen beteiligt warst, und dann bist du auch verschwunden. Deshalb dachten wir, du wärst ihr vielleicht nachgefahren.“

Alle drei Schwestern sahen ihn forschend an. Jake begann zu husten.

„Toastkrümel …“, behauptete er und rang nach Luft.

Em ging zum Spülbecken und füllte ein großes Glas mit Wasser, das sie ihm brachte. Jake nickte dankend und trank es zur Hälfte leer.

„Also, was genau ist passiert?“

„Nichts.“

„Du wirst also nicht das Gutachten für sie erstellen?“

Mit zusammengekniffenen Augen blickte Jake zu seinen Brüdern, deren gesamte Aufmerksamkeit plötzlich ihren Kaffeebechern galt. „Woher habt ihr das?“

Lissa zuckte mit den Schultern. „Ach, man hört eben so einiges. Machst du es?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil …“ Er legte sein Besteck ab. „Weil ich …“

„Weil was?“, fragte Em, und ihm wurde bewusst, dass seine Schwestern noch nichts davon wussten, dass er nicht bleiben würde.

„Weil er nicht die Zeit dafür haben wird“, mischte Jamie sich ein, „wenn er erst seine Pflichten hier übernimmt.“

Schweigen lastete plötzlich im Raum.

„Herrgott, Jamie“, entfuhr es Caleb.

Jamie hob arglos die Hände. „Wieso, was habe ich denn getan?“

„Welche Pflichten?“, fragte Jake vorsichtig.

Travis seufzte. „Na, El Sueño. Die Leitung übernehmen, du weißt schon.“

„Nein, weiß ich nicht. Würdet ihr mir bitte sagen, wovon ihr sprecht?“

Caleb zuckte mit einer Schulter. „Tom Sloane geht in Rente.“

„Weiß ich. Was hat das mit mir zu tun?“

„Nun, der General meint …“

„Der General meint also“, wiederholte Jake langsam.

„Und wir auch. Wir hatten gehofft, dass du Toms Position übernimmst. Uns allen gehört ein Anteil vom ‚Traum‘, aber wir wollen, dass du die Ranch führst.“

„Die Papiere sind schon aufgesetzt“, meinte Lissa anmerken zu müssen.

„Papiere?“

„Na, der Vertrag. Die Änderungen, aus denen dann hervorgeht, dass du die Leitung hast.“

Jake sah von einem Bruder zum anderen. „Ihr habt einfach einen Vertrag aufgesetzt, obwohl ich euch gesagt hatte, dass ich nicht bleiben werde?“

„Oh, Jake …“, entfuhr es Em. Ihre Schwestern brachten sie schnell zum Schweigen.

„Wir hatten darauf gehofft, dass du deine Meinung ändern würdest.“

„Und euch ist nicht in den Sinn gekommen, mich vorher zu fragen?“

„Sicher, schon. Aber …“

Jake war wütend. Wütender, als es der Situation eigentlich angemessen war, das wusste er. Nur änderte das nichts.

Er schob den Stuhl zurück und warf die Serviette auf den Tisch. „Wie nett von euch, dass ihr mein Leben verplant.“

„Hey, Mann, wir haben nicht …“

„Doch, habt ihr.“

El Sueño braucht dich, und du brauchst El Sueño.“

Da war er – der Grund für seine Wut. Jake beugte sich vor und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Was bin ich – das Rehabilitationsprojekt der Familie?“

„Jake, wir lieben dich.“

„Dann spielt nicht die Therapeuten für mich.“

Auf dem Weg zur Haustür ignorierte er die Rufe seiner Schwestern. Er musste so schnell wie möglich hier raus, bevor er etwas sagte, das er später bereuen würde.

Sein Wagen stand dort, wo er ihn gestern abgestellt hatte.

Es reicht, dachte er, als er hinter das Steuer glitt. Er wusste nicht, was er mit seinem Leben anfangen sollte, nur bei einem war er sich sicher: Niemand würde Entscheidungen für ihn treffen.

Nicht mehr, versicherte er sich grimmig, als er den Motor anließ und losfuhr.

Er hätte gleich am Morgen abfahren sollen. Doch er hatte seine Schwestern nicht verletzen wollen. Und genau das würde er, wenn er sie jetzt verließ.

Er spielte mit dem Gedanken, Travis und Caleb unmissverständlich klarzumachen, dass sie sich gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollten, doch er wusste, dass das, was sie gesagt hatten, stimmte.

Sie liebten ihn. Und sie machten sich Sorgen um ihn. Deshalb waren sie auf diese hirnverbrannte Idee gekommen, dass er die Leitung der Ranch übernehmen sollte.

Der Wilde-Clan hatte beschlossen, dass der Jüngste der Söhne unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litt. Was nichts mit der Wahrheit zu tun hatte.

Die Wahrheit lautete: Er war ein Versager.

Es begann zu regnen, als er auf die Landstraße bog. Bestens. Der Regen passte zu seiner Stimmung.

Hatten seine Brüder Addison McDowell überredet, ihn mit dem Gutachten zu beauftragen, damit er sich nützlich fühlte? Hatten die beiden sie darum gebeten, sich seiner zu erbarmen?

Seine Gesichtszüge verhärteten sich. Stand etwa Mitleid hinter dem, was gestern Abend passiert war?

Allein bei der Vorstellung wurde ihm übel. Und Wut flammte auf.

Es gab nur einen Weg, es herauszufinden.

Jake bremste am Straßenrand ab, wendete und lenkte den Wagen zur Chambers-Ranch.

Er fuhr so schnell, dass er die Ranch in der Hälfte der Zeit erreichte, die normalerweise nötig war. Die Wut brannte noch immer in ihm, als er vor dem Haus anhielt.

Regen prasselte auf ihn hernieder, als er ausstieg und die Tür zuknallte. Mit grimmiger Miene stellte er seinen Jackenkragen auf, stieg die durchgetretenen Holzstufen hinauf und hielt den Daumen auf die Klingel.

Nichts rührte sich.

Er fluchte und hämmerte mit der Faust gegen die Tür.

Noch immer kein Laut.

Sie musste da sein. Ihr Mietwagen stand an der gleichen Stelle wie gestern, wo er sie hatte aussteigen und ins Haus eilen sehen, als wäre der Leibhaftige hinter ihr her.

Hatte sie Angst vor ihm gehabt? Versteckte sie sich jetzt im Haus, weil sie sich vor ihm fürchtete?

Jake schob die Hände in die Jackentaschen und starrte auf seine Stiefelspitzen. Verübeln konnte er es ihr nicht. Er benahm sich schon wieder wie ein Irrer, stürmte die Veranda hinauf, hämmerte an Addisons Tür …

Und wieso glaubte er überhaupt, sie hätte nur aus Mitleid mit ihm Liebe gemacht? Sex gehabt, wie auch immer. Sie hatte es genauso überwältigt wie ihn.

Ganz gleich, wie es ausgegangen war, sie hatte Besseres verdient als seine hässlichen Unterstellungen.

Also gut. Er drehte sich um und trottete die Stufen wieder hinunter, stieg in seinen Wagen und brauste davon.

Aus dem Fenster im ersten Stock beobachtete Addison, wie Jacob Wilde wegfuhr.

Gut. Sie hatte wirklich keine Lust, sich am frühen Morgen auch noch mit ihm abgeben zu müssen. Sie hatte genug damit zu tun, Ordnung in diese … diese Katastrophe von einem Haus zu bringen.

Denn trotz ihres festen Vorsatzes würde sie heute nicht von hier wegkommen. Bis zum Ende der Woche gab es keinen einzigen freien Platz mehr auf den Flügen von Dallas nach New York.

Nun, das sollte ihr egal sein. Schließlich floh sie nicht aus Wilde’s Crossing, sie reiste einfach nach Hause zurück. Und bis dahin gab es genug, mit dem sie sich befassen konnte.

Wie zum Beispiel, den Dielenschrank hier oben auszuräumen.

„Igitt“, murmelte sie. Unter Spaß verstand sie etwas anderes, aber es musste erledigt werden.

In den Wochen, in denen sie jetzt hier war, hatte sie alle Räume sauber gemacht und aufgeräumt, hatte die Küche und das uralte Bad geschrubbt. Sie hatte sogar ein paar Verschönerungen vorgenommen, hatte Holzböden poliert, Wände neu gestrichen und für das große Schlafzimmer, das sie nutzte, ein paar Kleinigkeiten gekauft.

Den Schrank in ihrem Zimmer hatte sie ausgeräumt und abgewaschen, die anderen bisher allerdings nicht. Und auf dem Speicher war sie in all der Zeit noch gar nicht gewesen. Sie konnte das Haus auf dem Immobilienmarkt anbieten, so, wie es war, aber … vielleicht gab es hier ja noch unentdeckte Schätze, direkt vor ihrer Nase. Eine solche Schatzsuche würde sicher lustig werden.

Addison trat von dem Schrank zurück und ließ sich im Schneidersitz auf dem Boden nieder. Na schön, vielleicht auch nicht. Außer Staub und Spinnweben würde sie wahrscheinlich nichts finden. Trotzdem würde es sie beschäftigen und von den Erinnerungen an gestern ablenken.

Heute Morgen hatte sie nämlich an nichts anderes denken können. Dieser Mann, dieser Jake Wilde …

„Welch maßlose Arroganz“, sagte sie laut in den Raum hinein.

Arroganz. Unverschämtheit. Egoismus.

Der Mann hatte Nerven, heute hier aufzutauchen. Wieso? Sie konnte sich keinen einzigen Grund vorstellen. Außer natürlich, er war für eine Fortsetzung gekommen.

Nein, wohl kaum. Ein Mann, der eine Frau verführen wollte, würde wohl nicht dermaßen wütend aussehen.

Dabei hatte er keinen Anlass, wütend zu sein, ganz bestimmt nicht. Wenn jemand einen hatte, dann war sie es, die …

Addison stutzte. Was war das? Ein Auto?

Sie stand auf und ging in das nächste Zimmer, schob vorsichtig den Vorhang beiseite.

Jake Wildes Auto. Er war zurückgekommen.

Der Mann war wirklich hartnäckig – das zumindest.

Jake stand auf der Veranda und klingelte. Klopfte an die Tür – klopfen, nicht hämmern. Irgendwann hörte er, wie ein Fenster im oberen Stock aufgeschoben wurde. Er trat einen Schritt zurück und legte den Kopf in den Nacken, sah Addison, ihr Gesicht halb verdeckt von einem Spitzenvorhang, der einmal weiß gewesen sein musste, jetzt aber die Farbe von schmutzigem Spülwasser hatte.

Er holte tief Luft, räusperte sich dann. „Miss McDowell.“ War das die richtige Anrede für eine Frau, mit der man Liebe gemacht hatte? Aber das war ja nicht der Fall gewesen, sondern er hatte hemmungslosen, leidenschaftlichen Sex auf einem Truck mit ihr gehabt … übrigens ein Bild, das er jetzt wirklich nicht gebrauchen konnte. „Addison“, hob er also freundlich an, „gut, dass Sie …“

„Sie haben genau zehn Sekunden, um von meinem Land zu verschwinden, Captain, bevor ich die Polizei rufe.“

So viel also zu „freundlich“. „Immer mit der Ruhe. Sie brauchen keine Polizei.“

„Ich entscheide, was ich brauche. Die Polizei, das FBI, die Nationalgarde. Vielleicht auch die Kavallerie.“

„Hören Sie, ich will nur mit Ihnen reden.“

„Sie haben nichts zu sagen, was mich interessieren könnte.“

„Woher wollen Sie das wissen, bevor Sie es gehört haben?“

„Auf dem College habe ich mal einen Kurs in Platonischer Dialektik belegt. Auf eine solche Diskussion werde ich mich jetzt nicht mit Ihnen einlassen.“

Jake hob eine Augenbraue. „Ich hatte ein Seminar über Vertragsverhandlungen. Ist das ungefähr gleichwertig?“

Es kostete Mühe, nicht zu lachen. Er war schlagfertig, und er war lustig.

Und weder das eine noch das andere hatte irgendeine Bedeutung.

„Um es unmissverständlich auszudrücken – wir haben nichts zu besprechen“, sagte sie kühl.

„Und gestern Nacht?

„Was sollte mit gestern Nacht sein?“

„Darüber müssen wir reden.“

„Haben wir bereits.“

Stimmt, das hatten sie. Die Rechtfertigung, die er sich ausgedacht hatte, als er vor einer Viertelstunde zum ersten Mal hergekommen war, verlor damit ihre Gültigkeit.

Er war nicht hergekommen, um sie zur Rede zu stellen, sondern weil er sie schlicht und einfach hatte sehen wollen. Was, wenn er ihr das sagte?

„Captain?“

Jake sah nach oben. „Ich bin noch hier.“

„Und ich habe gerade darauf aufmerksam gemacht, dass Ihr Besuch überflüssig ist. Also tun Sie uns beiden einen Gefallen und gehen Sie wieder.“

„Wahrscheinlich sollte ich das.“

„Streichen Sie das ‚wahrscheinlich‘.“

„Ich würde gehen, wenn ich clever wäre.“

„Bravo“, sagte sie übertrieben begeistert, und er musste sich das Grinsen verkneifen, als sie auch noch applaudierte.

„Ich bin aber nicht clever. Wenn ich es nämlich wäre, dann hätte ich schon gestern Nacht das Richtige getan.“

„Hatte ich nicht bereits gesagt, dass es wegen gestern Nacht nichts mehr zu besprechen gibt?“

„Dann hätte ich gesagt, dass es mir kein bisschen leidtut, dass wir uns geliebt haben …“

„Auf Wiedersehen, Captain.“

„… weil“, fuhr er hastig fort, bevor sie das Fenster schließen konnte, „ich Sie mehr wollte, als ich je eine Frau gewollt habe. Und was wir dann getan haben“, sein Lächeln war zögernd, aber so sinnlich, dass es Addsison bis ins Mark fuhr, „war einfach fantastisch.“

Sie starrte auf den Mann hinunter, der auf ihrer Veranda stand. Was sollte sie zu solch einem Geständnis sagen? Zu diesem offenen, unglaublich sexy Geständnis. Der Mann war ihr ein Rätsel, er verwirrte sie maßlos.

Allein ihn anzusehen machte sie konfus. Heute trug er keine Uniform, er war angezogen wie … nun, wie ein Cowboy. Ausgewaschene Jeans, kariertes Hemd, Stiefel, die absolut nichts mit Stil zu tun hatten.

Und natürlich saß die obligatorische Augenklappe in seinem Gesicht, um vor der Welt zu verbergen, was der Krieg ihm angetan hatte.

Er sah einfach – da war dieses Wort wieder – schön aus. Und so männlich, dass sie sich kaum an den Grund erinnern konnte, weshalb sie ihn verachtete.

Es war eine mehr als reizvolle Kombination. Arroganz und Verletzlichkeit, verpackt in umwerfender Aufmachung. Sie hatte noch nie einen Mann wie ihn kennengelernt. Und der Sex … der Sex …

Warum sich selbst belügen? Es war … Es musste eine bessere Beschreibung als fantastisch geben. Sex war generell gut, aber nichts Weltbewegendes. Bis gestern Nacht. Bis Jake sie in seine Arme gezogen hatte. Schob sie deshalb ihm allein die Schuld zu? Weil die Wahrheit einfach zu peinlich war? Als er sie in Besitz genommen hatte, als er in ihr gewesen war, als ihre Münder und ihre Körper vereint gewesen waren …

„Na schön.“

Addison kam abrupt in die Gegenwart zurück. Jake sah noch immer zu ihr hinauf, aber er war die Stufen hinuntergestiegen und ein paar Schritte zurückgegangen. Jetzt konnte sie auch sehen, dass er einen Strauß Blumen in der Hand hielt.

„Sie wollen nicht mit mir reden“, sagte er. „Vermutlich kann ich Ihnen das nicht übel nehmen …“

Das Fenster glitt herab und schnappte ein. Der graue Vorhang fiel an seinen Platz zurück.

Jake legte den Blumenstrauß auf die Veranda, schob die Hände in die Taschen und ging zu seinem Wagen.

Ein endloses Gefühl von Verlust erfüllte ihn. Lächerlich. Er hatte sich entschuldigt, sie hatte die Entschuldigung nicht angenommen. Ende der Geschichte.

„Hey …“

Ihre Stimme war nur leise, aber sie ließ ihn abrupt innehalten. Er drehte sich um und sah Addison in der offenen Tür stehen.

Er ließ den Blick über sie gleiten. Keine schwarze Seide, keine Stilettos, sondern viel zu weites graues Trainingszeug und nackte Füße. Das Haar fiel ihr schimmernd offen über die Schultern.

Ihr Anblick berührte ihn. War sie gestern Abend schön gewesen, so war sie jetzt atemberaubend.

Er wünschte, sie könnten noch einmal ganz von vorn anfangen, auch wenn ihnen nur dieser eine Tag blieb.

Sie räusperte sich. „Ich wollte gerade frischen Kaffee machen. Möchten … möchten Sie vielleicht eine Tasse, Captain?“

Für eine halbe Ewigkeit sah er sie nur an, dann: „Ich heiße Jake. Und … und ja, Kaffee hört sich großartig an. Danke.“

Er hob den Strauß wieder auf, als er die Veranda hinaufkam. Addison wich einen Schritt zurück, und ihr Puls begann zu rasen, als er vor ihr stand.

„Großartig … großartig wird es wohl nicht werden. Der Kaffee, meine ich“, stammelte sie. „Die einzige Kanne, die ich gefunden habe, ist ebenso alt und abgenutzt wie … wie alles andere hier …“

„Addison.“

Die Art, wie er ihren Namen aussprach, die Art, wie er sie ansah, sagte ihr alles, was sie wissen wollte, einschließlich der Tatsache, dass Kaffee das Letzte war, woran er dachte.

Genau wie sie.

„Jacob“, flüsterte sie, und er ließ die Blumen fallen, als sie in seine Arme flog.

8. KAPITEL

Jake versetzte der Tür einen Tritt. Im Haus war es dunkel und kühl, die Stille der leeren Räume umfing sie. Ein Duft lag in der Luft – ihr Duft. Nach den Blumen, die er nicht definieren konnte.

„Addison“, wiederholte er leise.

Sie sah ihn an. In ihren Augen erblickte Jake sein Spiegelbild, und für einen Moment war sein einziger Gedanke, dass er diese Frau besitzen wollte.

„Du solltest dir absolut sicher sein“, flüsterte er rau und vergrub die Finger in ihrem seidigen Haar. „Wenn wir erst anfangen …“

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte einen sachten Kuss auf seine Lippen. „Schlafe mit mir, Jacob.“

Er stöhnte auf, zog sie enger an sich und küsste sie sinnlich und fordernd zugleich.

Genau wie am Abend zuvor erfasste ihn ein unglaubliches Verlangen. Sein starker Körper bebte, das Blut rauschte dröhnend in Jakes Ohren. Nur der überwältigende Drang, mit Addison vereint zu sein, zählte noch.

Nein. Sie war alles, das zählte.

Er wollte mehr als nur ihren Körper. Er wollte sie. Im Bett. Nackt. Ihr Haar auf den Kissen ausgebreitet. Er wollte, dass sie ihn brauchte, seine Liebkosungen brauchte, sich genauso verzweifelt danach sehnte, wie er sie begehrte.

Mit zusammengebissenen Zähnen brachte er einen letzten Rest seiner Selbstbeherrschung auf und hob Addison auf seine Arme. „Halt dich an mir fest“, bat er heiser.

Sie schlang die Arme um seinen Nacken und barg das Gesicht an seinem Hals. Er konnte ihr Herz an seiner Brust schlagen spüren, fühlte ihren warmen Atem an seiner Haut.

Die Treppe lag direkt vor ihm. Nur noch ein paar Minuten, sagte er sich. So lange konnte er durchhalten.

Im ersten Stock stand nur eine Tür halb offen. Jake stieß sie mit der Schulter ganz auf. Er kannte dieses alte Haus, die tristen Zimmer, die dunklen Wände, aber dieser Raum – ohne Zweifel von Addison bezogen – war völlig verändert.

Seidig schimmernder Fußboden. Das Bettgestell aus Messing glänzte. Im offenen Kamin waren Holzscheite gestapelt. Weiße Wände, weiße Vorhänge, weißes Bettzeug – und der Duft von Blumen und frischer Farbe.

Das Zimmer war ein Spiegelbild von ihr. Klar. Elegant. Schön.

Neben dem Bett ließ er sie langsam wieder herunter, eng an sich gepresst, damit sie fühlte, wie bereit er für sie war. Damit er ihre weichen Kurven spüren konnte.

Sie zitterte.

„Hab keine Angst“, sagte er leise. „Dieses Mal wird es anders sein, das verspreche ich.“

Sie sah ihn an und ihre silbernen Augen glitzerten. „Ich habe keine Angst. Nicht vor dir, Jacob, niemals vor dir …“

Er küsste sie, drang behutsam zwischen ihre Lippen, kostete von ihrem Geschmack. Und sie hielt sich am Kragen seiner Jacke fest, reckte sich höher und erwiderte seinen Kuss voller Leidenschaft.

Vor Vergnügen stöhnte er rau auf, umfasste ihre Brüste und konnte fühlen, wie die Spitzen sich aufrichteten, sich gegen die dicke Baumwolle des Sweatshirts drängten. Dann schob er die Hände unter den Stoff.

Oh Himmel!

Sie war nackt. Kein BH. Es gab keine Barrieren zwischen seinen Händen und ihrer Haut.

„Jacob“, flüsterte sie, „bitte …“

Dieses einzelne Wort, angefüllt mit Verlangen und Sehnsucht, ging ihm durch und durch. Er schob das Sweatshirt höher, beugte den Kopf, sog an den harten Brustwarzen, liebkoste die samtene Haut.

Sie schmeckte süß wie Sahne und Honig.

„Du bist so schön“, sagte er mit belegter Stimme. „So unglaublich schön.“

Er streichelte die aufgerichteten Spitzen mit den Daumen. Sie seufzte auf. Er beobachtete ihr Gesicht genau, sah, wie ihre Augen dunkel vor Begierde wurden.

Schweißperlen traten auf seine Stirn, als er ihr das Sweatshirt über den Kopf zog und es zur Seite warf. Ihre bloßen Brüste boten sich seinem Blick. Hoch, fest, rund, genau richtig für seinen Mund, seine Hände.

Er küsste sie, jeden Zentimeter ihrer Haut, ihre Brustspitzen – wieder und wieder. Er konnte nicht genug von dem seidigen Gefühl bekommen, von dem exquisiten Geschmack. Gebannt verfolgte er Addsions Mienenspiel, wie er sie näher und näher an den Höhepunkt brachte, allein durch seine Zärtlichkeiten.

Sie nestelte an den Knöpfen seines Hemdes. Er half ihr. Dann fluchte er leise, und die letzten Knöpfe flogen durchs Zimmer. Sein Hemd landete auf dem Boden, und dann trat Addison an ihn heran.

Haut an Haut. Hitze an Hitze.

Jake wusste, er würde nicht mehr lange durchhalten.

Er zog sich ein wenig zurück, steckte die Daumen in den Saum ihrer Jogginghose, zog die Hose herunter …

Und verharrte.

Ihr Slip … dieses Mal keine Spitze, sondern weiße Baumwolle. Schlicht. Unschuldig. Gemustert mit kleinen blauen Blümchen, zwei winzige blaue Schleifen auf Höhe der Beckenknochen.

Jake ließ sich auf die Knie nieder. Küsste Addisons Bauch. Den Bauchnabel. Die kleinen blauen Schleifen.

Und zog schließlich den Slip langsam an ihren Beinen hinab, bis er an ihren Knöcheln lag. Jake umfasste ihre Hüften, hielt Addison fest, brachte sein Gesicht näher heran.

Sie schnappte nach Luft. „Warte“, stieß sie bebend aus. „Ehrlich, ich glaube nicht …“

Er presste seine Lippen auf das Dreieck zwischen ihren Schenkeln, auf die seidigen dunklen Härchen. „Öffne dich für mich. Lass mich ein“, murmelte er belegt, und sie folgte seiner Bitte, öffnete sich …

… und schrie lustvoll auf, als er ihre geheimste Stelle mit seiner Zunge fand.

Sie schmeckte nach Leidenschaft und nach Frau, und während er sie verwöhnte, stiegen ihre Schreie in die stille Morgenluft auf.

Jake richtete sich auf, kickte die Stiefel von den Füßen, riss sich hastig Jeans und Boxershorts von den Beinen und fiel zusammen mit Addison auf das Bett.

Er zerwühlte ihr Haar, beugte sich über sie, küsste sie. Er konnte einfach nicht aufhören, sie zu küssen. Konnte nicht genug bekommen von ihrem süßen weichen Mund.

Ihre Hände waren überall auf ihm. Kühl. Sanft. Streichelten seinen Rücken, seine Brust. Umfassten sein Gesicht. Sie hob den Oberkörper an und küsste ihn.

„Addison“, raunte er, und sie hauchte: „Ja, oh ja.“ Er legte sich auf sie, kniete sich zwischen ihre Schenkel, schob seine Hände unter ihre Hüften …

„Sieh mich an“, forderte er.

Addison blickte ihm in die Augen.

Als er in sie eindrang, stöhnte sie auf, und ihm stockte der Atem.

Sie war bereit für ihn, umschloss ihn eng und weich wie Seide, während er sie tiefer und tiefer erfüllte …

Sie schrie seinen Namen heraus. Er erschauerte. Doch irgendwie gelang es ihm, an sich zu halten und abzuwarten, bis sie ihn ganz in sich aufgenommen hatte.

Erst dann zog er sich langsam aus ihr zurück. Nur ein Stück, nicht ganz, gerade genug. Das Gefühl war so sensationell, dass er erbebte.

Und sie wand sich wild und losgelöst unter ihm. Er fasste ihre Hände, hielt sie fest, bewegte sich schneller und schneller …

„Jacob.“ Sie klang atemlos, ihre Stimme nur noch ein Flüstern. Wieder und wieder hauchte sie seinen Namen, während sie sich ihm entgegenbog und er sich in ihr verlor.

Schweiß glitzerte auf seiner Haut, und dann begann die Welt um ihn herum zu verschwimmen.

„Jetzt“, stieß er aus, und sie flog auf den Gipfel, schluchzte seinen Namen, die Beine um seine Hüften geschlungen, die Finger in seine Schultern gekrallt.

Jake stieß einen kehligen Laut aus, als auch er den Höhepunkt erreichte und mit Addison zu verschmelzen schien.

Er war auf ihr zusammengesackt. Sein Körper war groß und schwer, er musste Gott weiß wie viele Kilos mehr wiegen als sie. Sein Gewicht drückte sie in die Matratze.

Und es war ein wunderbares Gefühl.

Als er sich rührte, ließ sie einen sanften Protestlaut hören.

„Ich bin zu schwer für dich“, flüsterte er.

„Nein, bist du nicht“, flüsterte sie zurück.

Sie fühlte an ihrem Hals, wie seine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen.

„Doch, bin ich.“

Sie seufzte. „Ist mir egal.“

Ja, ihm auch. Er hätte ewig so liegen können. Dennoch rollte er sich zur Seite und zog sie in seinen Armen mit sich. Ihr Kopf lag an seiner Schulter, und er küsste sie. Ein Seufzer der Zufriedenheit kam über ihre Lippen.

Jake lächelte an ihrem Mund. „Genau das denke ich auch“, murmelte er heiser.

War Sex immer so? Das konnte sie ihn natürlich nicht fragen, ohne ihre Unerfahrenheit preiszugeben. Denn auch wenn ihr ein Ruf vorauseilte, der Salome vor Neid erblassen lassen würde, war das hier alles neu für sie.

Genau drei Erfahrungen hatte sie bisher gehabt. Mit einem Jungen auf dem College, der auch noch Jungfrau gewesen war, so wie sie, danach mit zwei anderen Männern während des Jurastudiums. Alles nette Kerle.

Aber der Sex … der war nie wirklich erinnerungswürdig gewesen.

Diese Erfahrung mit Jacob dagegen … oder besser die beiden Erfahrungen mit ihm …

Eindeutig erinnerungswürdig. Sogar unglaublich erinnerungswürdig.

Das heutige Erlebnis ist vielleicht sogar noch besser gewesen, dachte Addison, und ein heißer Schauer lief ihr über den Rücken.

Zum einen hatte es aufgehört zu regnen. Helles Tageslicht fiel durch die Fenster. Sie konnte Jacob genau sehen. So wie er sie sehen konnte. Sie bemühte sich, bei der Vorstellung nicht zu erröten.

Und zum anderen … Gestern hatte sie nur flüchten und auf Distanz gehen wollen. Heute nicht. Sie wollte ewig so mit ihm liegen bleiben. Ihr Kopf an seiner Schulter, während er sie träge streichelte. Nur mit den Fingerspitzen, flüchtig, über ihre Taille, ihre Brüste, über die harten Spitzen …

Jetzt wurde sie doch rot. Sie spürte brennende Hitze in ihre Wangen steigen.

Und er wusste genau, was er ihr antat. Man brauchte sich ja nur sein zufriedenes Grinsen anzusehen.

„Was immer du gerade denken magst … wie wäre es, wenn du mich daran teilhaben ließest?“

„Das war …“ Sie musste sich räuspern. „Das war nett.“

„Nett? Nett!“ Er stützte sich auf einen Ellbogen und sah mit zerknirschter Miene auf sie herunter. „Du weißt, wie du einen Mann treffen kannst, McDowell.“

Er neckte sie. Und sie liebte es. Wer hätte gedacht, dass zu Sex auch Albernheit gehörte.

Er grinste breit, rollte sie auf den Rücken und hielt ihre Arme auf Kopfhöhe fest. „Gib’s zu.“

Oh, es fühlte sich so gut an, wie er halb auf ihr lag, all die harten Muskeln unter geschmeidiger Haut … „Was soll ich zugeben?“

„Gib zu, dass es besser war als ‚nett‘.“

„Nun, vielleicht …“, ging sie auf sein Spiel ein.

„Vielleicht, sagt sie!“ Er änderte seine Stellung, legte sich der Länge nach auf sie. Addison biss sich auf die Lippe, um das Stöhnen zurückzuhalten. Er war schon wieder erregt, sie konnte es an ihren Schenkeln fühlen.

„Es war sehr viel besser als nett“, raunte er sinnlich.

Sie wollte etwas Geistreiches erwidern, doch mehr als ein Stöhnen brachte sie nicht heraus.

Er küsste sie, und sie erwiderte den Kuss mit Hingabe.

Er bewegte sich, sie ebenfalls. Das Verlangen wurde unerträglich.

„Bitte …“, flehte Addison murmelnd.

„Bitte – was?“, sagte er noch, dann drang er auch schon in sie ein, und nichts anderes hatte mehr Bedeutung.

Dieses Mal zog Jake danach die Decke über sie beide, nahm Addison in seine Arme und drückte einen zärtlichen Kuss auf ihre Schläfe.

„Schlaf“, sagte er leise.

Sie konnte nicht schlafen. Sie hatte noch nie … niemals …

Als Addison aufwachte, hingen bereits Schatten im Zimmer. Im Kamin brannte ein Feuer. Jake saß in der Hocke davor, nur mit seiner Jeans bekleidet, und schürte die Flammen.

Sie setzte sich auf, hielt die Decke bis ans Kinn. Er wandte den Kopf zu ihr und lächelte.

„Hey“, sagte er sanft.

Sie schob sich das Haar aus dem Gesicht. „Wie spät …“ Ihre Stimme klang so rau. Sie räusperte sich und setzte erneut an. „Wie spät ist es eigentlich?“

Er sah auf seine Armbanduhr. „Fast fünf.“

Addison riss die Augen auf. „Fünf?“

Jake richtete sich auf. Sein Anblick ließ ihr Herz schneller schlagen. Er war braun gebrannt. Körperliche Arbeit hatte seine Muskeln geformt, nicht das Training in einem Fitnessstudio. Den Reißverschluss seiner Jeans hatte er geschlossen, den Knopf nicht. Sie konnte den Blick nicht von dem schmalen schwarzen Dreieck aus feinen seidigen Härchen abwenden, das über seinen Bauch lief und dann unter dem Hosenbund verschwand.

„Sag jetzt nicht, dass du einen wichtigen Termin mit einem Eimer Farbe verpasst hast.“

„Eimer Farbe …?“ Sie lachte. „Man riecht es also noch.“

„Ja.“ Er setzte sich auf die Bettkante, beugte sich zu Addison und küsste sie. „Hast du das Zimmer selbst gestrichen?“

„Ich bin eine erfahrene Malerin. Hast du überhaupt eine Ahnung, was Handwerker in New York für ihre Arbeit verlangen?“

„Eine sparsame Frau.“ Theatralisch legte er sich die Hand auf die Brust. „Ich bin ergriffen.“

„Eher eine Frau, die pleite ist. Studienkredit. Hypothek für die Eigentumswohnung …“

Autor

Sandra Marton
<p>Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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