Die wilde Schönheit und der Wikinger

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Lara tobt: Ihr Vater hat sie einem Wikinger versprochen. Finn ist zwar faszinierend, aber Lara will keine Ehe ohne Liebe. Doch in der Hochzeitsnacht sagt er ihr, dass er darauf warten wird, bis sie zur Liebe bereit ist. Und entfacht Laras Neugier - wie wäre es, in seinen Armen zu liegen? Als sie verschleppt wird, begreift sie, dass nur einer sie und ihr Herz retten kann: Finn ...


  • Erscheinungstag 07.08.2020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733749507
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Dichte Nebelschwaden zogen über die dunklen Wasser des Fjords, während zwischen den Bäumen, die den Küstenstreifen säumten, allmählich der Morgendunst emporstieg. Die frühen Sonnenstrahlen tauchten die Gipfel der Bergkette in rotgoldenes Licht. Unter anderen Umständen hätte Lara diesen morgendlichen Frieden wohl genossen, in diesem Moment hatten allerdings ganz andere Gedanken von ihr Besitz ergriffen. Ihr Körper tat jede Bewegung ganz von selbst und genauso, wie ihr Bruder Alrik es sie gelehrt hatte. Um nicht aus der Übung zu kommen, stand sie jeden Morgen sehr früh auf und trainierte so lange, bis sich das Schwert in ihrer Hand genauso natürlich anfühlte wie die Spindel, die sie täglich bediente.

In der Halle war bestimmt noch niemand wach. Auch lag die Küste weit genug von den Behausungen entfernt, als dass man sie so einfach hätte entdecken können. Wenn ihr Vater wüsste, was sie die ganzen letzten Monate getan hatte, sein Unbehagen wäre grenzenlos. Lara verzog ihr Gesicht. Die Spannungen zwischen ihnen waren schon schlimm genug. Seit ihrem letzten Streit vor einer Woche hatten sie kaum mehr ein Wort miteinander gewechselt …

„Du bist jetzt achtzehn Jahre alt. Schon bald wird man dich alte Jungfer rufen. Wie kommt es, dass du trotzdem jeden Freier verschreckst und vom Hofe jagst?“

„Ängstliche Männer waren noch nie besonders reizvoll.“

„Nicht in diesem Ton, junge Dame“, hatte Jarl Ottar sie ermahnt. „Du wärst tatsächlich gut beraten, dein Verhalten zu kultivieren und ein wenig weiblichen Charme an den Tag zu legen.“

„Bin ich denn so gar nicht charmant, Vater?“

„Ich habe schon Wölfinnen gesehen, die von sanfterer Natur waren. Kein Mann will einen scharfzüngigen und kratzbürstigen Drachen zur Frau.“

„Wenn das so ist, dann steht es diesen Weichlingen frei, sich eine entsprechende Braut zu wählen.“

„Es ist die Aufgabe einer Frau, pflichtbewusst und demütig zu sein.“ Empörung war in Laras Augen aufgeblitzt. „So demütig, wie Asa es war, Vater?“

Der Blick ihres Vaters hatte sich verfinstert. „Deine Schwester hat getan, was man von ihr verlangte. Sie wusste, was gut für ihre Familie ist.“

„Versuche nicht, dich hinter der Familie zu verstecken. Asa wurde in diese Ehe hineingezwungen, weil es deinen politischen Zwecken dienlich war.“

„Diese Verbindung war nötig, um einer jahrelangen Fehde ein Ende zu bereiten.“

„Ebenso gut hättest du sie den Wölfen zum Fraß vorwerfen können. Mich wirst du für deine Pläne nicht missbrauchen.“

Und dann war Lara davongestürzt. Sie stellte sich jetzt vor, dass es ihr ehemaliger Schwager sei, in dessen Eingeweiden sie soeben die Klinge ihres Schwertes versenkte. Wie gern hätte sie ihm wahrhaftig gegenübergestanden, doch er war unerreichbar. Natürlich war sie klug genug zu wissen, dass sie jeden Kampf gegen ihn verlieren würde, und er sie mit leichter Hand umbrächte, wenn es zu einem Wiedersehen von Angesicht zu Angesicht käme. Doch auch wenn sie nicht die Stärke oder die Geschicklichkeit eines echten Kriegers besaß, verlieh ihr das Wissen um die Grundlagen der Selbstverteidigung mehr Sicherheit. So fühlte sie sich befähigt, jeden weiteren Freier in die Flucht zu schlagen.

„Ich werde stark sein, Asa“, sprach Lara zu sich. „Ich schwöre es.“

Voller Bedauern steckte sie das Schwert seitlich in den prachtvoll bestickten Gürtel ihres Gewandes, bevor sie ihren Umhang aufhob. Sie musste zurück, bevor die anderen merkten, dass sie verschwunden war. Trotz einer gewissen Widerspenstigkeit war es nicht ihr Ansinnen, die täglichen Pflichten zu vernachlässigen, die ihr zufielen. Die ihr übertragenen Aufgaben erfüllte sie stets tadellos. Sie schmunzelte. Männer, die wohlgenährt waren und es bequem hatten, beschwerten sich weniger als jene, denen es an irgendetwas fehlte. In jedem Fall war es gut, eine Beschäftigung zu haben, schließlich hatte sie Untätigkeit noch nie leiden können.

Sie wollte soeben aufbrechen, als sie plötzlich ein Schiff sah, das die Küste entlangsegelte. Obwohl es die elegante Form und den prachtvoll geschnitzten Bug eines Kriegsschiffes hatte, war es doch kleiner als die meisten der Drachenschiffe, die sie kannte. Die Mannschaft bestand gerade einmal aus schätzungsweise zwanzig Männern. Der Wind blies so schwach, dass die Männer das Schiff mit der Kraft der Ruder vorantreiben mussten. Die hölzernen Blätter tauchten im immer gleichen Rhythmus scharf in die See ein und wieder empor, gerade so, dass sie kaum das Wasser aufwirbelten. In stiller Bewunderung beobachtete Lara eine Mannschaft, die wie ein einziger Organismus zu funktionieren schien. Sie schaute von den Ruderern hinüber zu der Gestalt am Steuerrad – ein Krieger im Kettenhemd. Stirnrunzelnd sah sie etwas genauer hin. Jeder Mann an Bord trug ein solches Hemd. Ihre Neugierde war nun vollends geweckt. Selbst unter normalen Bedingungen war es kräftezehrend, ein solches Schiff zu rudern. Das Tragen von Kettenhemden machte die Arbeit bestimmt zehnmal härter. Alles sprach dafür, dass man das Schiff entweder angegriffen hatte, dass die Mannschaft erwartete, angegriffen zu werden, oder aber, dass sie selbst einen Angriff plante.

Sie ließ ihren Blick über den gesamten Fjord wandern, doch es war kein anderes Schiff auszumachen. Wenn man das Schiff verfolgte, so war dies zumindest nicht offensichtlich. Das musste zwar nicht bedeuten, dass jene Männer vorhatten, das Gehöft von Laras Familie anzugreifen, es war allerdings auch längst kein Grund zur Beruhigung. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Und genau aus diesem Grund wurde das Anlegen eines Schiffes stets überwacht. Niemals würde ihr Vater ein leichtfertiges Risiko eingehen.

Nur wenig später vernahm sie das Horn des Wachmannes, der die Ankunft des Schiffes verkündete. Doch Lara wollte sich selbst ein Bild machen. Rasch lief sie den Pfad entlang, der die Landspitze hinabführte. Doch statt an der Gabelung rechts abzubiegen, hielt sie sich links und eilte direkt auf die Küste zu. Der Weg führte sie über einen kleinen Hügel durch einen kleinen Birkenhain, bis sie schließlich am Wasser angelangt war. Vom Rande des Wäldchens aus hatte sie einen guten Blick auf das Geschehen, und gleichzeitig bot es ausreichend Schutz vor Entdeckung.

Im selben Moment, als sie ihr Ziel erreicht hatte, näherte sich das Schiff dem Küstenstreifen. Dort wartete bereits ein halbes Dutzend bewaffneter Männer auf seine Ankunft. Ein zweites Signal des Wachmannes ertönte, das von den Ankömmlingen sofort erwidert wurde. Offenbar war es die Antwort, auf die man gewartet hatte, und die Absichten waren tatsächlich friedlich, denn sogleich ließ man das Schiff anlegen und lud die Mannschaft ein, an Land zu kommen.

Zwei Männer sprangen über die Reling auf den hölzernen Pier und befestigten das Schiff mit Seilen und Tauen, während die anderen den Landgang vorbereiteten. Obwohl Lara recht weit entfernt stand, konnte sie sehen, dass sie ihr erster Eindruck nicht getäuscht hatte: Dieses Schiff war ein Kriegsschiff und seine Mannschaft bis an die Zähne bewaffnet. Bei ihrem Anführer schien es sich um den Mann zu handeln, den sie zuvor am Steuerrad gesehen hatte. Im Moment wandte er ihr zwar den Rücken zu, doch konnte sie erkennen, dass er eine Vielzahl an Anweisungen gab, denen ohne Widerspruch Folge geleistet wurde. Dieser Mann stach aus der Gruppe der anderen hervor. Er war größer als die anderen, doch hatte er wie sie die starke athletische Gestalt eines Kriegers. Mehr noch, er bewegte sich mit dem Selbstvertrauen eines Mannes, der es gewohnt war, Befehle zu erteilen und diese ausgeführt zu wissen – ein Mann von hohem Stand wahrscheinlich.

Der Gedanke amüsierte Lara. Die meisten Männer seiner Herkunft gingen wie selbstverständlich davon aus, dass man ihnen mit augenblicklichem Gehorsam begegnete. Dieser Glaube war dieser Spezies von Mann genauso eingepflanzt wie die ihr angeborene Arroganz. Gerade als Lara das Geschehen weiter beobachten wollte, wandte sich der große Krieger um. Mit einem Mal blickte sie in ein gepflegtes rasiertes Gesicht mit klaren markanten Zügen, das von kräftigem blondem Haar umrahmt war. Er war … besonders. Das musste sie zugeben. Und allem Anschein nach war er sich dessen auch bewusst. Als hätte er gespürt, dass man ihn beobachtete, ließ er den Blick rasch über den Küstenstreifen hoch zu den Bäumen schweifen. Er hatte sie entdeckt. Doch nur wenig später trat auf sein ernstes Gesicht ein Ausdruck von unverhohlener Belustigung. Lara blickte an sich hinunter und stellte fest, dass ihr Schwert deutlich zu sehen war. Sie hatte vergessen, ihren Umhang anzulegen. Ihr Ärger über sich selbst war grenzenlos. So etwas durfte einfach nicht passieren. Noch schlimmer, ihre Nachlässigkeit diente dem Fremden zur Belustigung und ihr selbst zur Demütigung. Dennoch: Wenn er glaubte, dass ihr kleiner Fauxpas sie aus der Bahn werfen würde, dann hatte er sich getäuscht. Sie reckte ihr Kinn und hielt seinem Blick für eine ganze Weile stand. Dann, ganz ohne Hast, machte sie kehrt und ging davon.

Finn rührte sich nicht vom Fleck. Er sah ihr nach, bis sich ihre Gestalt hinter den Bäumen verloren hatte. Ihre Gegenwart hatte ihn ebenso überrascht wie gefesselt. Ihm war, als wäre ihm ein Waldgeist erschienen, eine Fee, die neugierig seine Ankunft begutachtete. Ihr volles braunes Haar und ihr moosgrünes Gewand hatten diesen Eindruck vollkommen gemacht. Diese Fee war von schöner Gestalt, ihr Betragen hingegen irritierend. In ihrem Ausdruck hatte eine klare Kampfansage gelegen, ganz abgesehen von der Tatsache, dass sie ein Schwert bei sich trug. Ihr Anblick hatte ihn zugleich amüsiert und fasziniert. Seine Neugierde war geweckt worden. Unter anderen Umständen wäre er der Sache auf den Grund gegangen.

„Herr, würdet Ihr uns die Freude machen, uns zu folgen?“

Die Stimme des Wachmannes holte Finn aus seinem Tagtraum zurück. „Oh, ja, natürlich.“

Finn und ein paar seiner Leute ließen ungefähr ein halbes Dutzend Männer an Bord zurück und folgten ihren Begleitern. Bis zur großen Halle des Jarl Ottar war es nur ein kurzer Weg. Jene prächtige hölzerne Behausung, die sie erwartete, war dem Stand seines Besitzers mehr als angemessen. Um die Halle herum waren noch andere Gebäude angesiedelt: Pferdestallungen, Scheunen, Kuh- und Schweineställe, Werkstätten und Schmieden. Finn und seine Männer sahen sich anerkennend um.

„Ein schönes Plätzchen“, bemerkte Unnr. „Jarl Ottar scheint ein wohlhabender Mann zu sein.“

„Hoffen wir mal, dass er auch alten Beziehungen einen hohen Wert beimisst“, entgegnete Sturla.

„Das werden wir bald herausfinden.“

Jeglicher Zweifel, den die Männer gehegt haben mochten, war schnell verflogen. Unmittelbar nachdem man ihre Ankunft verkündet hatte, eilte ihnen der Jarl entgegen. Er war ein Mann in den Fünfzigern, sein rotes Haar bereits ein wenig erbleicht und mit grauen Strähnen durchzogen. Dennoch zeugten seine kräftige Statur und seine kühnen blauen Augen von unbändiger Stärke und Lebenswillen. Er empfing seine Gäste mit einem Lächeln und schloss ihren Anführer herzlich in die Arme.

„Willkommen, Finn Egilsson. Und ein Willkommen auch deinen Männern.“

„Ich danke Euch, Herr.“

„Dein Vater war ein große Krieger und ein treuer Kamerad. Ich war stolz, ihn meinen Freund nennen zu dürfen.“

„Er hat viel von Euch gesprochen“, erwiderte Finn, „und stets mit dem größten Respekt.“

„Du bist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.“

„Wie mein Bruder Leif.“

„Als mich die Nachricht vom Tode eures Vaters erreichte, war ich untröstlich“, Ottar schüttelte bedauernd den Kopf. „Es gab nicht viele Männer, die eurem Vater das Wasser reichen konnten. Umso mehr freut es mich, nun einen seiner Söhne auf meinem Hof begrüßen zu dürfen.“ Der Jarl trug sogleich einem Diener auf, für ausreichend Brot und Bier zu sorgen. „Wenn ihr euch gestärkt habt, dann erzählt ihr mir, was euch zu mir führt.“

Als Lara zum Hof zurückkehrte, war Alrik der Erste, den sie erblickte. Er war zwei Jahre älter als sie und um einiges größer. Wie Lara hatte er dunkelrotes kräftiges Haar, das Markenzeichen der Familie. In seinen blauen Augen funkelte spitzbübische Häme auf, als er sah, dass seine Schwester ihren Umhang ganz dicht um ihr Gewand geschlossen hielt.

„Du hast also wieder trainiert, stimmt’s?“ Er zwinkerte ihr zu. „Keine Sorge, ich verrate es niemandem.“

„Das weiß ich doch.“ Schnell sah sie sich um, ob irgendjemand ihr Gespräch belauschen könnte. „Ich muss zurück, das Schwert verstecken. Übrigens haben wir Gäste bekommen.“

„Das dachte ich mir, ich habe das Horn gehört.“

„Ein Schiff hat gerade am Pier angelegt.“

„Ein Handelsschiff?“

„Ein Kriegsschiff.“

Alrik runzelte die Stirn. „Wie viele Männer?“

„Vielleicht zwanzig.“

„Interessant.“

„Willst du gar nicht wissen, warum sie hier sind?“

Er grinste. „Du willst es scheinbar umso mehr.“

„Na gut. Ich gebe es zu. Ich bin ein wenig neugierig. Willst du so tun, als wärest du es nicht?“

„Nein, natürlich nicht.“ Er nahm sie beim Arm. „Jetzt lauf und schäm dich und bring dein kleines Geheimnis in Sicherheit. Ich gehe zur Halle.“

Mit diesen Worten eilte er davon. Lara machte sich auf in Richtung der Frauengemächer. Dort war sie ungestört. Schnell entedigte sie sich ihres Umhangs, bevor sie die Waffe vorsichtig auf den Grund ihrer Truhe legte und mit allerlei Kleidern bedeckte. Niemand würde dort eine Waffe vermuten. Nachdem sie ihr Schwert verstaut hatte, brachte sie rasch ihr Gewand in Ordnung, strich sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht und fühlte sich bereit, herauszufinden, was auf dem Gehöft vor sich ging.

Als sie die Halle betrat, platzte der Saal förmlich aus allen Nähten. Eine Vielzahl geschäftiger Diener reichte Essen und Bier, und ihr Vater und ihr Bruder unterhielten sich angeregt mit ihren Gästen. Da die Dienerschaft keine Hilfe nötig hatte, hielt sich Lara im Hintergrund und lauschte ein wenig.

Finn und seine Männer stillten ihren Hunger mit Brot und Fleisch und spülten die willkommene Mahlzeit mit einigen Krügen Bier herunter. Ottar machte derweil keine Anstalten, vom Geschäft zu sprechen, bevor nicht auch der Letzte von ihnen gesättigt war. Nachdem sich jeder erfrischt hatte, wies der Jarl seine Diener an, die Krüge aufzufüllen, und wandte sich seinen Gästen zu.

„Nun, wollt ihr uns nicht berichten, was uns die Ehre eures Besuches verschafft?“

„Bedauerlicherweise nicht nur das Vergnügen“, entgegnete Finn. „Vielmehr sind es die politischen Unruhen in Vingulmark, die uns zu Euch führen. Der König hat seine Niederlage bei Eid nur schwer verkraftet.“

Ottar musterte Finn. „Du warst also dabei?“

„Leif und ich haben an der Seite von Halfdan Svarti gekämpft. Ebenso unser Cousin Erik und all die Männer, die Ihr hier seht. Die Kämpfe waren hart, doch am Ende lag König Gandalfs Armee am Boden. Heysing und Helsing wurden getötet. Nur Prinz Hakke hat überlebt.“

„Es wäre besser gewesen, wenn es ihn getroffen hätte“, bemerkte Ottar. „Er war schon immer der gefährlichste von Gandalfs Söhnen.“

„Da würden Euch viele beipflichten. Hakke ist besessen von dem Wunsch nach Rache und Vergeltung. Sein Plan war es, Ragnhild, Halfdans Braut, zu entführen, um sie selbst zu heiraten. Glücklicherweise konnten wir das verhindern und die Frau retten. Leider konnte sich Hakke im Kriegsgewirr davonmachen.“

„Was für ein Unglück.“

„In der Tat. So wartete er seelenruhig auf eine Gelegenheit, sich zu rächen. Schließlich tat er es und brannte unseren Hof nieder, den Hof meines Bruders, um genau zu sein.“

„Das ist an Niedertracht nicht zu überbieten.“

„Der Hof gehörte zu den Ländereien Vingulmarks und befand sich auf einem Stück Land, das Halfdan besaß. Der König hatte es einst meinem Bruder geschenkt – ein sehr großzügiges Geschenk, wenngleich seine Lage es verwundbar machte.“

„Natürlich.“

„Hakke plante, den Hof zu umzingeln und uns darin festzusetzen, bevor er ihn schließlich in Brand steckte. Wenn man uns nicht rechtzeitig gewarnt hätte, wäre es auch so weit gekommen“, sagte Finn. „Zu dieser Zeit waren wir deutlich in der Unterzahl. So entschieden wir, uns zu trennen, sodass sich der Feind selbst aufteilen musste, um Verfolgung aufzunehmen.“

„Wie ich Hakke und seine Leute kenne, haben sie genau das getan.“

„Meine Männer und ich wurden von einem mächtigen Kriegsschiff unter der Flagge von Steingrim verfolgt. Sie hätten uns sicher erwischt, wäre nicht plötzlich dichter Nebel aufgezogen. So haben sie unsere Spur verloren.“

„Ein Glück, dass es so gekommen ist.“

„Steingrim wird nicht aufgeben. Wenn wir ihn endgültig schlagen wollen, brauchen wir Verstärkung.“

„Ich verstehe.“

„Ich hoffte dabei auf Eure Hilfe, Herr.“

Ottar nickte. „Wir werden alles unternehmen, was in unserer Macht steht, um euch zu helfen.“

„Dafür bin ich Euch sehr dankbar.“

„Du bist der Sohn eines Freundes und treuen Verbündeten. Deine Feinde sind auch meine Feinde.“

„Das werde ich Euch niemals vergessen“, beteuerte Finn, „und es soll Euer Schaden nicht sein. Sagt mir, was ich im Gegenzug für Euch tun kann.“

Ottar schwieg für einen Moment. Schließlich blickte er auf und lächelte. „Ich werde darüber nachdenken. In der Zwischenzeit sollt ihr für die nächsten Tage meine Gäste sein. Heute Nacht wirst du dich noch mit einem bescheidenen Mahl zufriedengeben müssen, morgen jedoch wird ausgiebig gefeiert.“ Der Jarl ließ den Blick langsam durch den Saal wandern. Schließlich entdeckte er die Person, nach der er Ausschau gehalten hatte. „Na, da bist du ja. Komm her, Mädchen.“

Finn schaute sich beiläufig um. Er hatte angenommen, dass sein Gastgeber eine Dienerin herbeirief. Doch als das Mädchen zu ihnen herüberkam, traute er seinen Augen kaum. Jetzt, da sie so dicht bei ihm stand, schien sie ihm noch viel feengleicher als zuvor: die hohen Wangenknochen, das zarte Kinn und diese alles überstrahlenden blaugrünen Augen. Ihr Haar, das er fälschlicherweise für dunkelbraun gehalten hatte, war eigentlich dunkelrot und ergoss sich in unzähligen Locken über ihre schmalen Schultern bis hinunter zur Taille, die er mit beiden Händen einmal hätte umfassen können. Bis auf eine leichte jugendliche Schlaksigkeit zierten ihren Körper die sinnlichen Kurven einer Frau. Ihr grünes Gewand, das ihm schon zuvor aufgefallen war, war aus feinster Wolle gewebt und wurde durch einen prachtvoll bestickten Gürtel zusammengehalten. Allein das Schwert fehlte.

„Jarl Finn und seine Männer sind bis auf Weiteres unsere Gäste“, erklärte Ottar. „Ich möchte, dass du alle nötigen Vorkehrungen triffst.“

„Ja, Vater.“

Der Jarl fuhr fort: „Dies ist meine jüngste Tochter, Lara.“

Finn verneigte sich höflich. „Es ist mir eine Ehre.“

Kühl betrachtete sie ihn. Schließlich neigte sie ihren Kopf freundlich zum Gruß.

„Die Ehre ist ganz meinerseits, Herr.“

Sie war höflich, wenngleich sehr reserviert. Nicht die Spur eines Lächelns, kein gesenkter Blick, keine Rötung der Wangen, nichts von dem, was Finn in solch einem Moment erwartet hätte. Fast konnte man meinen, sie halte sich nur nach außen hin an die Regeln des guten Benimms. Innerlich jedoch schien es ihr vollkommen egal zu sein, ob sie jemandem gefiel oder nicht. Dieses Verhalten widersprach so gänzlich seinen bisherigen Erfahrungen mit Frauen. Bis heute hatte er nur solche kennengelernt, die ein ureigenes Interesse daran hatten, einen Mann zufriedenzustellen. Da sie die Tochter seines Gastgebers war, war ein zweiter Versuch angezeigt, sich mit ihr gut zu stellen.

„Ich wusste gar nicht, dass Jarl Ottar eine so schöne Tochter hat.“

„Das wusstet Ihr nicht?“, gab sie zurück.

Für einen kurzen Moment sah sich Finn außer Gefecht gesetzt. Fast kam es ihm so vor, als hätte sie genau das im Sinn gehabt. Er erholte sich jedoch schnell. „Nein, und meine Unwissenheit bedaure ich zutiefst.“

„Warum denn gleich bedauern?“

„Hätte ich es gewusst, hätte ich ein Geschenk mitgebracht.“

„Ich brauche keine Geschenke.“

„Ein Geschenk ist nicht etwas, das man braucht, es muss nicht unbedingt einen bestimmten Nutzen haben“, erwiderte er. „Vielmehr dient es vor allem als Zeichen der Anerkennung.“

„Vielleicht, aber da wir uns gerade eben erst kennengelernt haben, wäre eine solche Geste wohl etwas übertrieben gewesen.“

Er wusste, dass es klüger wäre, das Thema zu wechseln, doch er konnte nicht umhin, sie ein wenig zu provozieren. „Demnach würdet Ihr also keinen Gefallen an einem prächtigen Geschmeide aus Bernstein oder einer goldenen Brosche finden?“

„Das hinge ganz von der Person ab, die mich beschenkt. Wenn es sich dabei um meinen Vater oder meinen Bruder handelte, so wäre jenes Geschenk mir sehr kostbar.“

„Nicht jedoch, wenn es von einem Gast stammt.“

„Sehr richtig, Herr, denn in diesem Fall müsste ich ja einen Hintergedanken vermuten.“

„Aha, und was für einen Hintergedanken?“

„Ich würde mich fragen, was man von mir als Gegenleistung erwartet.“

Ihre Worte waren nicht nur kühn und deutlich, sie forderten ihn heraus, und ohne Zweifel sollten sie das. Kein Zweifel auch, dass es jetzt endgültig an der Zeit gewesen wäre, das Thema fallen zu lassen, doch der Reiz der Herausforderung war einfach zu groß. „Wer etwas verschenkt, sollte nicht erwarten, auch etwas geschenkt zu bekommen.“

„Ich habe da andere Erfahrungen gemacht.“

„Ist Eure Erfahrung auf diesem Gebiet wirklich so groß?“

„Groß genug, um mich vor Gönnern und ihren Geschenken in Acht zu nehmen.“

So freundlich ihr Ton auch war, er konnte nicht über die gerade erteilte Abfuhr hinwegtäuschen. Offenbar war sie völlig unempfänglich für jede Art von Schmeichelei, und ganz offenbar war sie ebenso unempfänglich für Finn. Er bezweifelte, dass sie in Wirklichkeit nur ein Spiel spielte, um sein Interesse zu wecken, im Gegenteil: Sie schien ihn einfach nicht zu mögen. Finn war unentschieden, ob ihn diese Tatsache nun amüsieren oder kränken sollte.

Doch bevor er über eine passende Erwiderung nachdenken konnte, mischte sich ihr Vater in das Gespräch. „Ich bitte, das Betragen meiner Tochter zu entschuldigen, Jarl Finn. Sie besitzt einen scharfen Verstand und eine noch schärfere Zunge.“ Ottar warf einen finsteren Blick auf seine Tochter. „Das ist auch der Grund, warum sie mit achtzehn Jahren noch immer nicht verheiratet ist. So wie es aussieht, wird sich daran auch in naher Zukunft nichts ändern.“

Finn zuckte innerlich zusammen. Das Mädchen hingegen verzog keine Miene. Nur kurz schien ihm so etwas wie Belustigung in ihren Augen aufzublitzen, doch er war sich nicht sicher.

„Ja, bitte entschuldigt, Herr. Mein loses Mundwerk und ich lassen Euch jetzt besser allein.“ Respekt zollend verneigte sie sich. „Vater.“

Jarl Ottar kochte vor Wut. Beinahe hätte er etwas gesagt, entschied sich aber dagegen, obwohl seine Entrüstung kaum zu verbergen war. Finn für seinen Teil war faszinierter denn je. Er sah Lara nach: Ihr Gang war ganz ohne Hast, fast ein wenig einstudiert. Er biss sich auf die Lippen. Sie musste spüren, dass er ihr nachschaute. Jeden Moment würde sie sich noch einmal zu ihm umschauen. Frauen schauten sich ausnahmslos noch einmal um, was bedeutete, dass sie gar nicht so reserviert waren, wie sie immer vorgaben.

Doch Lara blickte sich nicht mehr um. Finn seufzte. Ein wenig gekränkt fühlte er sich jetzt schon.

2. KAPITEL

Je weiter sich Lara von der Halle entfernte, desto mehr entspannte sie sich. Es würde noch einige Zeit vergehen, bevor sie die Gäste wiedersehen musste. Außerdem war ihre Rolle für dieses Wiedersehen klar definiert: Sie hatte für das leibliche Wohl ihrer Gäste zu sorgen. Niemand würde ernsthaft von ihr erwarten, dass sie sich an einem Gespräch beteiligte. Nach der letzten Unterhaltung war die Erleichterung über diese Aussicht groß. Jarl Finn mochte gute Manieren haben, aber eitel war er dennoch. Trotzdem musste sie zugeben, dass er sich recht gut geschlagen hatte. Zwischenzeitlich hatte sie sogar den Eindruck gehabt, als machte ihm das Ganze Spaß.

Als sie gerade um die Ecke bog, wurde sie unsanft aus ihren Gedanken gerissen. Ein kleines Etwas prallte direkt vor ihre Beine, fiel um und streckte alle viere von sich.

„Was bei allen Göttern?“ Sie stockte, als sie den Sohn des Vogts erkannte. „Yngvi! Das hätte ich mir ja denken können.“

Er setzte sich auf und blickte etwas benommen drein. Lara seufzte. Sogleich beugte sie sich zu ihm hinunter, um ihn genauer anzusehen.

„Geht es dir auch gut?“

Yngvi nickte. „Ich … ich glaube schon.“ Als sie ihm auf die Beine geholfen hatte, blickte er sie reuevoll an. „Es tut mir wirklich leid, Herrin. Drifa und ich haben Fangen gespielt.“

Sein jüngerer Bruder kam hinzu und nickte heftig. „Ja, ich habe versucht, ihn zu fangen.“

„Ich verstehe.“

„Habe ich Euch verletzt, Herrin?“, fragte Yngvi.

„Nein, hast du nicht. Aber du wirst dich eines Tages verletzen, wenn du weiterhin derart blindlings um die Ecke stürzt.“

„Ja, Herrin.“

Lara lächelte. „Na los, fort mit euch.“

Das ließen die Kinder sich nicht zweimal sagen. Als sie den beiden nachsah, schüttelte sie den Kopf. Natürlich wusste Lara, dass ihre Warnung auf taube Ohren gestoßen war. Bereits im zarten Alter von sechs Jahren war Yngvi als Rabauke bekannt, und Drifa folgte ihm in allem nach.

Die Webhütte erreichte sie schließlich ohne weitere Zwischenfälle. Dort machte sie sich an die Arbeit und widmete sich dem blauen Tuch, das sie ein paar Tage zuvor zu weben begonnen hatte. Plötzlich musste sie an längst vergangene Tage denken, als Alrik, Asa und sie selbst es gewesen waren, die miteinander Fangen gespielt hatten. Was waren das für glückliche sorglose Tage gewesen, die viel zu schnell verflogen waren. Sollten Yngvi und Drifa nur herumtollen, solange sie es vermochten. Erwachsen würden die beiden früh genug. Als sie selbst noch ein Kind gewesen war, hatte sie es gar nicht erwarten können, endlich erwachsen zu werden. Alles war ihr so einfach erschienen: Sie würde heiraten, Kinder zur Welt bringen und das Haus in Ordnung halten. Das war es eben, was junge Frauen taten. Damals wäre ihr nie in den Sinn gekommen, irgendetwas davon infrage zu stellen. Heute wusste sie es besser. Die Ehe war eine Falle und ein schönes Gesicht noch längst kein Garant für ein gutes Herz.

Plötzlich musste sie an Jarl Finn denken. Er war eine wirklich imposante Erscheinung, das musste sie zugeben. Es würde nicht leicht werden, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen, sowie es beinahe unmöglich zu sein schien, sich seiner körperlich zu erwehren. Einmal abgesehen von der beinahe lächerlichen Unterhaltung, die sie zuvor geführt hatten, interessierte sich Lara doch sehr für das, was er mit ihrem Vater verhandelt hatte. Zwar wusste sie von dem Sieg König Halfdans in der Schlacht von Eid, jedoch war es das erste Mal, dass sie jemanden kennenlernte, der wirklich dabei gewesen war. Wie gern hätte sie Finn nach all dem befragt. Diese Unterhaltung wäre es vielleicht wert gewesen. Alles hätte sie erfahren wollen, von der Entführung der edlen Ragnhild bis hin zu ihrer Rettung. Wie aufregend das alles klang und so gefährlich. Außerdem verbarg sich hier der Stoff für eine echte Liebesgeschichte.

Lara schüttelte sich bei diesem Gedanken, bei dem sie sich selbst ertappt hatte. Liebesgeschichten waren etwas für törichte junge Dinger, die es nicht besser wussten. Trotzdem musste der König aufrichtige Liebe für seine Gattin empfinden, wenn er bereit gewesen war, so viel für sie aufs Spiel zu setzen. Ganz bestimmt gehörte er nicht zu der Sorte Mann, die sich mit Schmeicheleien und kitschigen Geschenken Gehör verschaffte. Ragnhild hatte wirklich Glück. Solche Männer waren selten. Die meisten waren einherstolzierende, eitle Toren, die nichts anderes als ihren Ruhm im Kopf hatten. Andere waren einfach nur gefühllos. Für sie war eine Frau nicht mehr als ein Gegenstand, den man benutzen und ausbeuten konnte, wie man gerade wollte. Asas Ehemann war hierfür der lebende Beweis.

Laras Schwester war damals als Schachfigur in einem undurchsichtigen politischen Spiel missbraucht worden. Man hatte sie verheiratet, um ein Abkommen mit dem früheren Feind zu schließen. Auch Finn hatte Feinde, sehr mächtige sogar. Brandschatzung war eine grausame Art der Rache. Was für ein Glück, dass man seine Familie und ihn rechtzeitig gewarnt hatte. Solch ein Schicksal wünschte Lara niemandem, nicht einmal ihm, so lästig er auch war. Immerhin sah es so aus, als ob sie ihn bald schon los sein würde. Mit der Verstärkung, die er brauchte, würde er sich gewiss sogleich davonmachen.

Mit dieser Erkenntnis gingen Lara die Pflichten einer Gastgeberin viel leichter von der Hand, und sie kredenzte den Männern unbekümmert Honigwein und Bier. Da ihre Gäste jedoch ohne Vorankündigung aufgetaucht waren, musste sie, was das abendliche Mahl anging, improvisieren. Es reichte vielleicht nicht für ein Bankett, doch es war genug für alle da. Lara wusste, dass ihr Vater es seinen Gästen tags drauf an nichts fehlen lassen würde, so verlangten es die Regeln der Gastfreundschaft.

„Ich habe eine Jagd ausrufen lassen“, verkündete er. „Einige der Männer werden früh aufbrechen. Ein gebratenes Wildschwein wäre nicht verkehrt, oder vielleicht ein Hirsch?“

„Beides wäre nicht schlecht“, bemerkte Lara.

„Du kümmerst dich um den Rest.“

„Natürlich. Ich habe bereits mit den Dienern über eine Extraration Brot und ausreichend Bier gesprochen.“

„Eines muss ich dir sagen, Kind, du verstehst etwas von Küche und Haushalt.“

Nun ja. So hat man mich erzogen. Etwas widerwillig schluckte Lara ihren Sarkasmus hinunter und entschied sich für ein Lächeln. „Danke, Vater.“

Der Jarl beäugte sie misstrauisch, vermutete er doch eine Spur Ironie in ihren Worten. Allein ihre Unschuldsmiene belehrte ihn eines Besseren und ließ ihn zufrieden grunzen. Er hob seinen Krug, und Lara schenkte ihm nach.

„Du solltest diese Fähigkeiten auf dem Hof deines Ehemannes unter Beweis stellen“, fuhr er fort. „Immerhin ist das die Rolle, die dir zugedacht ist.“

„Bis es so weit ist, mache ich mich gerne hier nützlich“, entgegnete sie.

Jarl Ottar schnaufte und drehte sich um. Lara zog weiter.

„Euer Vater hat recht“, bemerkte Finn, als er ihr seinen leeren Krug entgegenstreckte.

„Was meint Ihr damit?“, fragte sie.

„Das Mahl war ganz ausgezeichnet.“

Für einen Moment ließ sie seinen Krug unangetastet und blickte auf. Sein freundlicher Tonfall konnte sie nicht täuschen. Ganz sicher verbarg sich dahinter etwas ganz anderes, aber es erschien ihr sicherer, ihn in dem Glauben zu lassen, sie sei auf seine Schmeichelei hereingefallen. „Es freut mich, dass es Euch geschmeckt hat, Herr.“

„Ganz offensichtlich seid Ihr eine blendende Organisatorin.“

„Frauen werden zu guten Organisatorinnen erzogen.“

„Das mag sein. Trotzdem ist es keine leichte Aufgabe, zwanzig zusätzliche Mäuler zu stopfen.“

Das war neu. „Normalerweise machen sich Männer über solche Dinge keine Gedanken. Die meisten scheinen anzunehmen, dass das Essen wie von Zauberhand zur rechten Zeit auf den Tisch kommt. Nachdem sie dann gegessen haben, denken sie nicht weiter darüber nach, bis die nächste Mahlzeit auf dem Tisch steht.“

Er lachte. „Da ist etwas dran, obwohl auch ich etwas von Verpflegung verstehe. Schließlich bin ich für eine gesamte Schiffsmannschaft verantwortlich.“

Ihre Überraschung nahm zu. Also kein kompletter Narr.

„Natürlich, das kann ich mir vorstellen.“

„Meinem Nächsten soll es genauso schmecken wie mir. Eine wohlgenährte Mannschaft klagt außerdem weniger.“

„Dann stimmt es also: Was den Gaumen eines Mannes erfreut, erwärmt auch sein Herz.“

„Das tut eine anständige Kriegsbeute auch.“

Lara wurde hellhörig. Schon besser. Das war die Gelegenheit, auf die sie die ganze Zeit gewartet hatte. „Ihr habt in der Schlacht bei Eid gekämpft, richtig?“

„Das stimmt. Woher wisst Ihr das?“

„Ich habe gehört, wie Ihr mit meinem Vater spracht.“

Seine Augen funkelten. „Habt Ihr uns etwa belauscht?“

„Natürlich. Es war eine sehr interessante Unterhaltung.“

Laras Zugeständnis hätte unerschrockener nicht sein können. Finn zögerte einen Moment. „Krieg ist sicher nicht das geeignete Thema für die Ohren einer Frau.“

„Warum nicht?“

„Weil Kriege blutig und brutal sind. Eine schöne Frau sollte sich mit anderen Dingen beschäftigen.“

Sie seufzte. „Mit Geschmeiden aus Bernstein und in Gold gefassten Broschen vielleicht? Oder sollte sie sich besser gleich ganz dem Haushalt und der Liebe widmen?“

„Ist es denn nicht das, womit ihr Frauen normalerweise befasst seid?“

Lara schwieg. Diese Bemerkung enttäuschte sie. Für einen Moment hatte sie tatsächlich geglaubt, er sei anders als die anderen Männer. „Verzeiht meine unangemessene Frage. Es ist nur so, dass ich auf eine intelligente Antwort gehofft hatte. Ich hätte es wohl besser wissen müssen.“ Mit diesen Worten wandte sie sich ab.

Finn blickte ihr ungläubig hinterher. Ein leises Lachen, das seiner Kehle entwich, zeugte von einer gewissen Verärgerung, die er jedoch für sich behalten wollte. Der plötzliche Eifer, der in ihren Augen aufgeblitzt war, als sie ihn nach Eid gefragt hatte, war ihm nicht verborgen geblieben. Wenn er sie nicht vor den Kopf gestoßen hätte, so hätte sie vielleicht ihre Deckung fallen gelassen, und eine lebendige und anregende Diskussion wäre entbrannt. Stattdessen hatte er einfach drauflos geredet, ohne nachzudenken, und damit neue Grenzen geschaffen. Er war derjenige, der es besser hätte wissen müssen. Hatte ihn seine Erfahrung denn gar nichts gelehrt?

„Ein hübsches Mädchen“, bemerkte Unnr.

Finn blickte auf und nickte. „Wohl wahr.“

„Ein bisschen schwierig vielleicht. Das ist bei Rotschöpfen so.“

„So sagt man.“ Schwierig ist etwas untertrieben, dachte Finn bei sich, aufbrausend trifft es wohl eher. Wenn ein derartiges Naturell sich jedoch mit klugem Verstand und feinem Scharfsinn verband, so ergab sich eine Kombination, deren Reiz sich kein Mann entziehen konnte.

„Es bedarf schon eines echten Mannes, diese Kleine zu zähmen“, ergänzte Unnr. „Mein ältester Bruder, Sveinn, hat einen Rotschopf geheiratet. Nett anzusehen, doch das Temperament einer Furie, wenn ihr etwas gegen den Strich geht.“

Sturla legte die Stirn in Falten. „Dann hat er die Hochzeit bestimmt bereut.“

„Auf gar keinen Fall. Sveinn liebt die Herausforderung – das hat er immer schon getan. Eine schüchterne Frau hätte nicht zu ihm gepasst.“

„Jedem das, was ihm gebührt.“

„Ich bin ganz Sveinns Meinung“, warf Vigdis ein. Auch er hatte das Gespräch sehr aufmerksam verfolgt. „Eine temperamentvolle Frau belebt die Beziehung.“

Unter den Männern machte sich zustimmendes Gemurmel breit.

Derartig ermutigt, fuhr Unnr fort: „Allerdings. Sveinn hatte schon länger ein Auge auf Halla geworfen, wisst ihr? Sie sah einfach verdammt gut aus. Doch erst als sie mit einer Axt auf ihn losging, wurde ihm klar, wie viel er wirklich für sie empfand.“

Vigdis nickte. „Ich kann mir schon vorstellen, dass ihm die Axt bei der Entscheidung geholfen hat.“

„In der Tat. Er hat sich Hals über Kopf in sie verliebt.“

„Und wann hat er es ihr gestanden?“

„Nicht sofort. Erst nachdem er sie zu Boden gerungen und ihr die Axt abgenommen hatte, konnte er sie von sich überzeugen. Sei es drum, schließlich haben sie sich versöhnt und eine Woche später geheiratet. Heute haben sie fünf Söhne.“

Bewundernd schüttelte Ketill den Kopf. „Dein Bruder scheint ein echter Romantiker zu sein.“

Die Männer nickten einstimmig.

„Ja, ich glaube, das ist er, obwohl er es natürlich niemals zugeben würde.“

„Taten sagen mehr als Worte, oder?“

„Wohl wahr. Mit der Liebe ist das so eine Sache. Mein Cousin Snorri zum Beispiel …“

Während die Männer dichter zusammenrückten, um Unnrs Geschichte zu lauschen, setzte Finn sich ein wenig abseits. Ihr Gespräch hatte eine unerwartete Wendung genommen und Erinnerungen in ihm wachgerufen, die er längst vergessen geglaubt hatte. Die Liebe war sonderbar. Sie bahnte sich ihren Weg über die Sinne, bis sie sich schließlich tief und unlösbar im Herzen verankerte. Einmal verraten jedoch, bescherte die Liebe einem Wunden, die niemals ganz verheilten. Betrug war immer grausam, ganz gleich welcher Art. Unnrs Bruder hingegen hatte Glück: Seine Frau schien ein aufrechtes Wesen zu besitzen. Die Sprache einer Axt war für einen Mann leicht zu verstehen. Mehr noch, eine Axt sah man kommen. Finn dagegen hatte den Betrug erst erkannt, als es schon zu spät gewesen war.

Er hätte es damals besser wissen müssen, doch war er derartig vernarrt in Bótey gewesen, dass er die Augen vor der Realität verschlossen hatte. Als er schließlich begriffen hatte, wie blind er gewesen war, hatte statt Liebe nur noch Eifersucht und mörderische Wut geherrscht. Seine Frau hatte genau gewusst, wie er reagieren würde, und sich und ihren Geliebten so weit wie nur irgend möglich auf Abstand gehalten. Doch nicht weit genug. Eines Tages war Finn völlig unvermutet aufgetaucht. Dass er seinen Rivalen erschlagen hatte, war einer höheren Gerechtigkeit geschuldet und eine Tat, für die ihn niemand verdammte. Ein Mann muss seine Rechte verteidigen und denjenigen verfolgen, der ihm Übles tut. So war es nun einmal. Was den Tod seines Nebenbuhlers anging, verspürte Finn bis heute keinerlei Reue. Was ihn jedoch nie losgelassen hatte, war all das, was daraufhin geschehen war. Und dafür hatte er sich selbst auf ewig verdammt.

Finn und seine Männer schliefen in dieser Nacht in der Halle. Genauer gesagt, waren es seine Männer, die schliefen, und das tief und fest. Ihm hingegen fiel das Einschlafen schwer. Viel zu viele Gedanken kreisten ihm durch den Kopf, nicht zuletzt jene, die die nahe Zukunft betrafen. Wenn er sich nicht endlich um Steingrim kümmerte, wäre es bald mit ihm vorbei. Man würde ihn und seine Männer verfolgen, hetzen und abschlachten. Steingrims Söldnertruppe würde nicht ruhen, bis das vollbracht wäre. Doch Finn hatte nicht vor, ihnen den Sieg zu überlassen. Wenn er erst einmal die nötige Verstärkung bekommen hatte, würde er seinen Feinden den Krieg bringen und das, wenn sie es am wenigsten erwarteten. Wir schlagen sie auf unserem Land. Leif hatte recht. Finn fragte sich, wie es seinem Bruder wohl ergangen war und ob er seine Frau sicher nach Hause gebracht hatte. Doch daran bestand kein Zweifel: Wenn Leif sich einmal ein Ziel gesetzt hatte, so erreichte er es ausnahmslos, ganz gleich, wer ihn davon abzuhalten versuchte. Außerdem war Astrid eine schöne Frau.

Diesen Umstand erkannte Finn ohne Umschweife an, auch wenn er selbst andere Vorlieben hatte. Dunkelhaarige und Rotschöpfe waren mehr nach seinem Geschmack. Für einen Moment sah er Laras Gesicht vor sich. Es war wirklich erstaunlich, dass sie mit achtzehn Jahren noch immer unverheiratet war. An einem Mangel an Freiern konnte es freilich nicht liegen. Bestimmt waren unter ihnen auch solche, die sich von der Herausforderung, die sie darstellte, nicht hatten schrecken lassen – Männer der heißblütigen Sorte eben. Lara musste jeden Einzelnen von ihnen abgewiesen haben. Ob dabei eine Axt im Spiel gewesen war? Er lächelte in sich hinein. Es fiel ihm nicht schwer, sich eine solche Szene auszumalen. Diese Fee schien Männer nicht sonderlich zu mögen. Nein, es schien nicht nur so, es war tatsächlich so. Wahrscheinlich hatte sie ihre Gründe dafür, und doch erklärte es noch lange nicht ihre Abneigung gegen ein ganzes Geschlecht. Aber genau das machte ihn neugierig.

Nachdem seine Ehe in die Brüche gegangen war, hatte es eine ganze Weile gedauert, ehe er sich wieder auf ein lustvolles Abenteuer hatte einlassen können. Zunächst wählte er jene Frauen, für die man bezahlte. Das war unkompliziert und zu beiderseitigem Nutzen. Später ließ er sich auf längere Affären mit Palastmätressen ein. Diese Verbindungen waren zwar etwas komplizierter, auch etwas teurer, doch ungleich befriedigender, solange sie eben dauerten. Er genoss es, Vergnügen zu empfangen und Vergnügen zu geben. Auch zeigte er sich sehr großzügig, wenn er jene Frauen für ihre Dienste belohnte. Doch mehr durfte man von ihm nicht erwarten, das hatte er stets deutlich gemacht. Auf diese Weise kam es zu keinem Missverständnis und niemand wurde verletzt.

War es möglich, dass Lara einst eine tiefe Verletzung erfahren hatte? Wollte sie sich mit ihrem Verhalten vor einer erneuten Enttäuschung schützen? Finn wusste nicht recht, warum er wieder an sie denken musste. Er bedauerte seine Gedankenlosigkeit ihr gegenüber zutiefst: Er hatte sich die Chance auf ein unterhaltsames Gespräch verleidet – und bislang hatte ihn ihre wenigen Gespräche gut unterhalten. Noch nie zuvor war ihm eine Frau begegnet, die seine Meinung derart hinterfragte und die eigene so sicher vertrat, dass er zusehen musste, selbst schnell und schlagfertig genug zu reagieren. Auch machte sie keinerlei Anstalten, ihm zu gefallen, und gab sich ungerührt, wenn er ihr Komplimente machte. So etwas kannte er nicht. Die Frauen, die er kennengelernt hatte, warben ohne Ausnahme und ausgesprochen gern um ihn. Viele scheuten dabei keine Mühen, und die Einladungen, die sie am Ende aussprachen, waren an Eindeutigkeit kaum zu überbieten. Normalerweise schenkte er diesen Frauen eine Stunde seiner Aufmerksamkeit. Er konnte sich jedoch kaum vorstellen, dass Lara auch nur fünf Minuten davon begehrte, von einer Stunde ganz zu schweigen. Doch vielleicht war das auch besser so. Selbst wenn sie sich interessiert gezeigt hätte, die Frage nach einem kleinen Abenteuer stellte sich dennoch nicht. Es wäre unehrenhaft gewesen, das Vertrauen seines Gastgebers auf diese Art zu missbrauchen. Außerdem würde ein solches Verhalten seine gesamte Mission gefährden, und das wäre das Dümmste, was er überhaupt tun könnte.

Und dennoch reizte sie ihn. Wenn er ehrlich war, dann reizte sie nicht nur seinen Verstand. Nein. Eine temperamentvolle Frau war weitaus interessanter als eine schüchterne. Finn musste grinsen. Wenn sie einfach eine Dame des Hofes gewesen wäre, hätte er die Herausforderung angenommen: Seiner Erfahrung nach war jede Frau zu gewinnen und jeder Rebell in die Knie zu zwingen – irgendwann.

3. KAPITEL

Inmitten dieser Gedanken nickte Finn ein und schlief bis zum Morgengrauen. Als er aufwachte, schnarchten seine Brüder noch immer. Finn beschloss, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Er stand leise auf, um seine Männer nicht zu wecken, und ging durch eine Seitentür hinaus ins Freie. In der Nacht musste es geregnet haben, doch die Wolken waren verzogen und der junge Tag zeigte sich vielversprechend. Das war auch gut so in Anbetracht all der Dinge, die es zu erledigen galt. Gerade zählte Finn sie im Geiste auf, als er plötzlich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm.

Er wirbelte herum, seine Hand fest am Griff seines Schwertes. Den Feind im Schlaf zu überraschen – das hätte Steingrim ähnlich gesehen. Doch die Gestalt, die Finn erblickte, hatte nichts mit seinem wuchtigen Erzfeind gemein, sie war im Gegenteil schlank und weiblich. Ein zweiter Blick schaffte Klarheit. Finn entspannte sich wieder. Sie hatte ihn gar nicht bemerkt. Sorglos entfernte sie sich von den Gebäuden und folgte einem Pfad, der in Richtung der Wälder führte. Für einen kurzen Moment zögerte er und dachte nach. Schließlich war es die Neugierde, die obsiegte.

Lara erreichte die Landspitze nur wenig später. Nachdem sie sich ihres Umhangs entledigt hatte, zog sie ihr Schwert aus der Scheide und begann sich aufzuwärmen, ganz so, wie Alrik es sie gelehrt hatte. Nun war es an der Zeit, alles andere auszublenden und sich zu konzentrieren. Anfangs führte sie jede einzelne Übung ganz langsam und voller Bedacht durch, sodass eine Bewegung fließend in die nächste überging. Dann wurde sie immer schneller, so schnell, dass die Klinge mit jedem Schlag kaum sichtbar, doch mit einem deutlichen Zischen, die Luft durchschnitt. Links, rechts, zustoßen, parieren … links, rechts, blocken, antäuschen, und drehen … Plötzlich erstarrte sie. Da stand jemand, völlig bewegungslos, am Rande des Wäldchens. Der Schreck wich schnell, allerdings zugunsten eines größeren Unbehagens.

Jarl Finn! Wie in Hels Namen hatte er sie gefunden? Wie er seine kleine Entdeckung genießen musste. Bis spätestens am Mittag wüsste jeder auf dem Anwesen Bescheid, so viel stand fest. Sie würde zum Gespött der Leute, und ihr Vater wäre außer sich vor Wut …

Finn löste sich mit leichtem Schwung von dem Baum, an dem er gelehnt hatte, und schlenderte zu ihr hinüber. Unwillkürlich hob Lara das Schwert. Wie gern hätte sie es ihn spüren lassen. Es wäre vielleicht kein leichtes Unterfangen, schließlich war er bewaffnet, gut ausgebildet, kriegserprobt und um einiges größer als sie selbst. Dennoch hätte sie es liebend gern drauf ankommen lassen. Kurz vor ihr blieb Finn schließlich stehen. Sie starrte ihn an. Innerlich hatte sie sich bereits auf Hohn und Spott vorbereitet.

„Gar nicht übel“, sagte Finn, „doch müsst Ihr Euren Ellbogen etwas höher halten, wenn Ihr pariert.“

Lara blinzelte erstaunt. „Meinen Ellbogen?“

„Ja, so.“ Er zog sein Schwert aus der Scheide und machte es ihr vor. „Das hält den Feind davon ab, einen Schlag auf Eure Schultern niederfallen zu lassen, seht Ihr?“

„Oh.“

Er zeigte es ihr noch einmal. „Und jetzt Ihr.“

Sie sammelte sich, nahm Haltung an und versuchte, es Finn gleichzutun. Doch es war um einiges schwieriger, als es aussah. Schließlich trat er hinter sie und schob seine Hand unter ihren Ellbogen. „Hier.“ Ehe Lara sich versah, umfasste er mit seiner Hand die ihre, seine Berührung war kräftig und warm. „Und jetzt dreht Euer Handgelenk ein wenig.“ Sein Griff wurde fester. Es tat nicht weh, doch ließ er ihr keine andere Wahl, als sich zu fügen. Unter seiner Führung wiederholten sie den Ablauf ein weiteres Mal. Lara bemühte sich inständig darum, ihre Aufmerksamkeit ganz auf das Schwert zu richten, das sie in ihren Händen hielt, und nicht auf den Mann, der so nahe bei ihr stand. Bei allen Göttern, er war ein Hüne und strotzte nur so vor Kraft. Sie musste verrückt gewesen sein. Hatte sie wirklich geglaubt, dass sie es mit ihm aufnehmen könnte? Wie eine Fliege hätte er sie zertreten.

„Genau so.“ Finn löste seinen Griff. „Und jetzt noch einmal von vorn.“

Er trat zurück, um ihr mehr Raum zu geben. Lara zögerte. Auf der einen Seite ärgerte sie sich über seinen harschen Befehlston, auf der anderen Seite wollte sie ihre Fähigkeiten um jeden Preis verbessern. Er schaute sie an und zog eine Augenbraue hoch. Das war deutlich. Sogleich reckte sie ihr Kinn und nahm Haltung an. Während sie die Lektionen wiederholte, spürte sie seine prüfenden Blicke auf sich ruhen. Seinen grauen Augen entging nicht der kleinste Fehler.

„Besser“, sagte er. „Noch einmal.“

Sie holte tief Luft und umfasste entschieden den Griff ihres Schwertes. Du kannst es. Du willst es. Sie räusperte sich, dann wiederholte sie die Abfolge ein weiteres Mal.

„Haltet Euren Körper seitlich zum Feind. Ihr tragt kein Schild, vergesst das nicht, also bietet Eurem Gegner so wenig Angriffsfläche wie nur irgend möglich.“

Natürlich. Wie konnte ich das vergessen? Lara korrigierte sich und versuchte es noch einmal. Finn beäugte sie kritisch, keine ihrer Bewegungen ließ er unkommentiert. Er gab ihr Anweisungen und ermutigte sie. Dann und wann hatte er sogar ein Wort des Lobes für sie übrig. Auch zeigte er sich zu keinem Zeitpunkt herablassend oder gar bevormundend. Er war geduldig und äußerst professionell und erwartete dasselbe von ihr. Mit der Zeit entspannte sie sich zusehends, und das Ganze begann, ihr Spaß zu machen. Von Jarl Finn hatte sie mehr gelernt als in den vergangenen drei Monaten zusammen. Zwar beherrschte sie die Grundlagen perfekt, doch dieses Training brachte die Kunst des Schwertkampfes auf eine völlig neue Ebene. Sie lauschte ihm sehr aufmerksam, befolgte jede seiner Anweisungen und verstand immer mehr, wovon er sprach.

Wie gerne wäre sie geblieben, wie gerne hätte sie einfach weitergemacht. Doch die Sonne stand bereits hoch über den Bergen, und der neue Tag war längst angebrochen. Nur widerwillig ließ Lara das Schwert sinken.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Finn.

„Nein, alles in Ordnung. Aber ich muss gehen. Es sind bestimmt schon alle wach.“

„Ihr habt recht. Ich habe völlig die Zeit vergessen.“

„Ich ebenso.“

Er blickte auf ihr Schwert. „Wer hat Euch das Kämpfen beigebracht?“

„Mein Bruder Alrik.“

Autor

Joanna Fulford
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