Die Wüste, die Sterne und du

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Er ist atemberaubend sexy, aber Prinz Dakan Al Rahal ist auch ihr Boss. Sie soll in seinem Land ein modernes Krankenhaus bauen. Für Architektin Nira Hathaway steht fest: Ein Flirt mit dem Arzt kommt nicht Frage. Doch ihr Herz sagt ihr etwas anderes …


  • Erscheinungstag 02.06.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751507240
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Die Hitze, an die sich Prinz Dakan Al-Rahal nur zu gut aus seiner Kindheit erinnern konnte, machte ihm schwer zu schaffen. Widerwillig trat er aus dem klimatisierten, neu errichteten Hochhaus im Herzen der Hauptstadt seines Königreichs.

Seines Königreichs auf Zeit, denn er war nur vorübergehend der Landesvater von Mamlakat Almas – nur solange sein Vater in England war, wo er an den Hochzeitsfeierlichkeiten seines älteren Sohns teilnahm.

Obwohl Dakan seinen Vater erst seit wenigen Tagen vertrat, konnte er sich nicht erinnern, je so schlecht gelaunt gewesen zu sein – was nicht nur an den ungewohnt warmen Temperaturen lag.

Natürlich wäre es vernünftig und dem Klima angemessen gewesen, wenn er eines der traditionellen weiten und hellen Gewänder angezogen hätte, doch Dakan zog seine maßgeschneiderten dunklen Anzüge vor. Auch wenn diese deutlich besser zum englischen Schmuddelwetter passten, in dem er sich für gewöhnlich aufhielt.

Was gäbe er in diesem Augenblick für einen ordentlichen Herbststurm. Oder auch nur für den wolkenverhangenen Himmel eines trüben Nachmittags am Meer. Doch solange weder der König noch Dakans älterer Bruder Zahir zurückkamen, saß er in Mamlakat Almas fest.

Genau wie die Architektin, die Zahir engagiert hatte, um den Bau der neuen Klinik zu leiten. In diesem Augenblick saß sie vermutlich in ihrem kleinen Büro und arbeitete an ihren Entwürfen.

Der Gedanke daran, dass dieser Klinikneubau das Gesundheitssystem seines Heimatlandes revolutionieren und endlich ins 21. Jahrhundert befördern würde, hatte Dakans Stimmung ein wenig aufgehellt. Dieses Projekt war der einzige Lichtblick an einem Tag, der bis jetzt nur aus lästiger Büroarbeit bestanden hatte.

Der Klinikneubau war für Dakan eine Herzensangelegenheit, der er sich voller Elan widmete. Umso enttäuschter und frustrierter war er, als er die Architektin nicht an ihrem Arbeitsplatz antraf. Sie hatte offenbar nichts Besseres zu tun gehabt, als zu einer kleinen Besichtigungstour aufzubrechen. Typisch.

An einer roten Ampel drängte er sich durch die haltenden Autos hindurch, seine drei Leibwächter dicht auf den Fersen. Über einen Platz, der mit wunderschönen bunten Fliesen ausgelegt war, eilte er auf den Basar zu. Doch Dakan hatte keinen Blick für die Schönheit seiner Umgebung. Ihm war warm. Viel zu warm. Und es machte ihn wütend, dass er die Architektin nicht angetroffen hatte. Aber am allermeisten störte ihn, dass er überhaupt hier sein musste.

In England war es im Winter manchmal empfindlich kalt, doch in der aktuellen Jahreszeit war das Wetter meistens angenehm. Abgesehen davon konnte er in England gehen, wohin er wollte. Er wurde nicht von Leibwächtern verfolgt, konnte sich mit Frauen verabreden, die er sich aussuchte, und durfte selbst Auto fahren. England bot ihm alles, was er wollte – insbesondere eine Freiheit, die er in Mamlakat Almas nicht besaß.

Sein Leben in England war ausgesprochen angenehm. Er hatte einen netten Freundeskreis, eine beeindruckend luxuriöse Wohnung und großartige berufliche Aussichten. Nachdem er sein Medizinstudium beendet und seine Facharztausbildung abgeschlossen hatte, war Dakan umhergereist, um sich verschiedene Praxen anzusehen. Doch noch ehe er sich für eine entschieden hatte, war er nach Hause zurückbeordert worden. Er hatte also gute Gründe, sehr schlecht gelaunt zu sein.

Noch ein Block, und der kunstvolle Fußgängerweg mündete auf eine große Geschäftsstraße, die zu einem der ältesten und imposantesten Gebäude der Stadt führte – einem Meisterwerk byzantinischer Baukunst.

Dakan ahnte, dass es im Inneren noch genauso voll wie eh und je sein würde. An unzähligen Ständen boten Händler alles an, was man zum Leben brauchte. Auch wenn rund um den Basar herum viele neue und hochmoderne Gebäude entstanden waren, war das alte Bauwerk noch immer der wichtigste Ort, an dem sich die Händler tummelten.

Dakan liebte seinen Vater sehr, doch er stimmte mit dessen äußerst konservativer Politik nur selten überein. Manchmal, wenn der König sich wieder einmal entschieden gegen Fortschritt und Reformen stellte, verspürte Dakan das dringende Bedürfnis, ihn kräftig durchzuschütteln. Oder eine Revolte anzuzetteln, um Zahir als neuen Herrscher einzusetzen. Dakan selbst würde danach natürlich nach England zurückkehren.

Doch solche Gedanken brachten ihn jetzt nicht weiter. Er musste diese Architektin finden. Als Erstes würde er sich ihre Telefonnummer geben lassen, um nicht noch einmal vergeblich in ihr Büro zu kommen. Wieso dachte diese Frau eigentlich, sie könnte sich wie eine Touristin aufführen? Sie war schließlich zum Arbeiten hier!

Vielleicht wäre auch ein dezenter Hinweis darauf, dass zahlreiche einheimische Firmen nur zu gern ihren Job übernehmen würden, eine gute Idee.

Er wusste nicht einmal, wie sie aussah.

Als Britin war sie vermutlich blond. Oder brünett. Aber mit heller Haut. Er brauchte also nur nach einer europäisch aussehenden Touristin Ausschau zu halten. Oder besser noch nach einer Europäerin mit Leibwächter. Natürlich! Er würde einfach den Leibwächter anrufen lassen. Wieso hatte er daran nicht schon früher gedacht?

„Finden Sie bitte heraus, mit wem sie unterwegs ist, und rufen sie ihn an“, wies er seine Entourage an, bevor er sich ins Getümmel stürzte. Da er größer als die meisten seiner Landsleute war, hatte er einen guten Überblick. Es half auch, dass er sofort erkannt wurde und alle ihm Platz machten. Schon nach wenigen Minuten war er schweißüberströmt.

„Sie sind in der dritten Arkade, Eure Hoheit“, informierte ihn einer seiner Leibwächter. Dakan nickte dankbar und machte sich auf den Weg. Nach wenigen Metern entdeckte er die vertraute Palastuniform. Neben der Wache stand eine Frau mit smaragdgrünem Kopftuch. Ob das die Architektin war? Manchmal verhüllten auch Ausländerinnen ihr Haar aus Respekt vor den örtlichen Gepflogenheiten.

Er griff nach dem Ellenbogen der Frau und drehte sie zu sich um. Mit großen, blassgrünen Augen sah sie ihn an. Nein, das konnte sie nicht sein. Diese Frau hatte einen zu dunklen Teint für eine Britin. Und sie sah zu exotisch aus.

Verdammt. Es war für ihn schon gewagt genug, eine Ausländerin einfach anzufassen, doch bei einer Einheimischen war es ein unverzeihlicher Fauxpas.

Nira Hathaway blickte auf und sah den wohl attraktivsten Mann, der ihr jemals begegnet war. Groß, breite Schultern, leicht zerzaustes, dunkles Haar und fast schwarze Augen. Als ihre Blicke sich trafen, schlug ihr Herz schneller, und ihre Knie wurden weich.

Der Mann zog seine Hand zurück und verbeugte sich. „Bitte verzeihen Sie. Ich habe Sie verwechselt.“ Sein Arabisch klang wie Musik in ihren Ohren.

„Kein Problem, Sir. Darf ich Sie fragen, für wen Sie mich gehalten haben?“ Niras Arabisch war zwar besser als vor einigen Wochen, doch sie war noch weit davon entfernt, fließend oder gar akzentfrei sprechen zu können. Seitdem sie in Mamlakat Almas angekommen war, hatte sie kaum Gelegenheit gehabt, es anzuwenden, da sie fast immer allein war.

Vor einigen Monaten hatte sie endlich angefangen, einen Sprachkurs zu machen – ein Wunsch, den sie schon als Kind gehabt hatte. Natürlich kam sie nur langsam voran; in ihrem Alter lernte man nun einmal nicht mehr so schnell wie als Kind.

Normalerweise hätte sie sich nie getraut, diesen Mister Universum einfach anzusprechen, doch er hatte gesagt, dass er sie mit jemandem verwechselt hätte. Das bedeutete, sie erinnerte ihn an jemanden; an eine Frau, die hier im Land lebte. War das eine erste Spur?

Seine dunklen, verführerischen Augen wanderten von ihr zu ihrer Eskorte, und er runzelte die Stirn. „Sind Sie Nira Hathaway?“, erkundigte er sich auf Englisch.

Sie nickte und wechselte ebenfalls in ihre Muttersprache. Sie durfte auf keinen Fall mit diesem umwerfenden Mann flirten, denn sie hatte keine Ahnung, welche ungeschriebenen Regeln dafür in diesem Land galten. Vermutlich verabredeten Frauen sich in Mamlakat Almas nicht so einfach mit fremden Männern und machten auch keine neuen Bekanntschaften auf dem Basar.

„Ja, das bin ich. Und wer sind Sie?“

„Dakan Al-Rahal“, antwortete er und sah sie tadelnd an. Nira wurde flau im Magen. Natürlich! Er sah Zahir auffallend ähnlich. Genauso groß, das gleiche energische Kinn, eine ähnliche Haarfarbe. Sie hätte ihn erkennen müssen. Peinlich, dass die Begegnung mit einem attraktiven Mann sie derart aus dem Konzept brachte.

Genau wie sein Bruder Zahir war auch Dakan Mediziner. Arzt und Prinz – was für eine Kombination. Ein Adonis in einem maßgeschneiderten dunkelgrauen Anzug. Bestimmt war er es gewohnt, Frauen durcheinanderzubringen.

Vermutlich gab es irgendein Hofprotokoll, das jetzt von ihr erwartet wurde. Wie sollte sie ihn ansprechen? Was sollte sie sagen? Hallo, ich bin Nira und liebe Strandspaziergänge bei Sonnenuntergang?

„Guten Tag. Ich wusste nicht, dass wir heute verabredet waren, Prinz Dakan.“ Na also, es ging doch. Oder hätte sie ihn mit „Eure Hoheit“ anreden müssen? Wieso hatte sie solche Etikette-Fragen nicht vor ihrer Reise geklärt? Zahir war sehr unkompliziert gewesen und hatte seinen Titel nie erwähnt. Doch hier im Land, noch dazu auf diesem Basar wie aus Tausendundeiner Nacht, erschien es ihr falsch, einfach Dakan zu sagen. Oder Mr. Al-Rahal. Mr. Universum war sowieso passender.

„Offenbar war es naiv von mir anzunehmen, dass ich Sie in Ihrem Büro antreffen könnte. Dabei dachte ich, Sie würden für die Planung des Krankenhauses bezahlt und nicht für Basarbesuche.“ Sein Ton war alles andere als freundlich. Um sie herum hatte sich inzwischen ein Kreis Neugieriger gebildet, und es herrschte eine bedrückende Stille, die Nira dabei half, wieder klar denken zu können.

Verärgert sah sie den Prinzen an. Sie hasste es, unberechtigterweise beschuldigt zu werden. „Oh nein! Ich werde nach geleisteten Stunden bezahlt und nicht pauschal! Also nur, wenn ich tatsächlich an dem Projekt arbeite. In dieser Hinsicht ist meine Firma sehr genau. Sie brauchen also keine Angst zu haben, dass ich Ihnen diesen Ausflug auf den Basar in Rechnung stelle.“

Sie reckte das Kinn. „Während meiner ersten Tage hier habe ich meinen Arbeitsplatz eingerichtet und einiges vorbereitet, doch heute war ich fertig und habe darauf gewartet, dass Sie mit mir die nächsten Schritte besprechen. Ich habe schon einige Skizzen gemacht und …“

„Ich schlage vor, wir setzen unsere Unterhaltung in Ihrem Arbeitszimmer fort. Hier halten wir nur die Leute vom Einkaufen ab.“ Mit dem Kopf wies er auf die immer größer werdende Menschenmenge, die sie umringte. Obwohl die meisten ihr Gespräch vermutlich nicht verstanden, war den Zuschauern klar, dass sie sich mit einem Mitglied des Königshauses stritt. Entsprechend entsetzt blickten die Leute sie an.

Nira nickte, denn bestimmt war es taktisch unklug, den Prinzen vor seinen Untertanen in eine peinliche Situation zu bringen. Abgesehen davon wollte sie keinesfalls unhöflich oder gar respektlos erscheinen. „Natürlich. Tut mir sehr leid. Sie haben vollkommen recht.“

Wortlos folgte sie ihm durch die Markthallen. Wie von selbst bildeten die Besucher, seine Untertanen, eine Gasse, um sie durchzulassen. Draußen angekommen war mit einem Schlag der verführerische Duft nach exotischen Gewürzen verflogen und einem anderen, schwer fassbaren Geruch gewichen, der Nira schon bei ihrer Ankunft aufgefallen war. Obwohl es etwas salzig roch, war es nicht das Meer. Mamlakat Almas hatte zwar eine Küste, doch die Hauptstadt lag in einem Tal, das von Wüste und einer Gebirgskette umgeben war. Ob es Wüstengeruch war? Hatte Sand überhaupt einen Duft?

Mit gesenktem Blick folgte Nira dem Prinzen zurück in das luxuriöse Penthouse, in dem sie untergebracht war. Es war nicht so, dass sie kein Interesse daran gehabt hätte, sich umzuschauen. Im Gegenteil, sie hätte nichts lieber getan. Und es lag auch nicht daran, dass ihr neuer Boss sie einschüchterte – auch wenn es sie ein bisschen nervös machte, ihn verärgert zu haben.

Nein, es war ihre Art, sich unsichtbar zu machen. Es lag eine große Kraft und auch Verletzbarkeit im direkten Blickkontakt, und dieses Land – so sehr sie es auch genoss, hier zu sein – war ihr noch immer beängstigend fremd.

Schon früh hatte sie gelernt, so wenig wie möglich aufzufallen, doch hier in Mamlakat Almas waren ihr die üblichen Verhaltensweisen noch nicht vertraut genug, um sie als Tarnung zu nutzen.

Während des Heimwegs hatte der Prinz kein Wort gesprochen. Bestimmt war es eine gute Idee, selbst das Schweigen zu brechen. „Dieses Gebäude ist wunderschön. Es kommt mir vor, als hätte man die Inneneinrichtung eines hochherrschaftlichen Hauses aus dem New York der Zwanzigerjahre in eine moderne Glaskonstruktion gesetzt. Ich hatte erwartet, dass dieser Stil auch in meinem Apartment fortgeführt würde, aber es ist ganz anders. Sehr weitläufig und modern mit großen, bodentiefen Fenstern. Dieser Mix aus zwei Stilepochen ist beeindruckend und perfekt gelungen.“

Dakan blieb vor dem Fahrstuhl stehen und drückte auf den Knopf. Dann verschränkte er wartend die Arme vor seiner Brust. Im funkelnd sauberen Glas der Tür spiegelte sich sein finsteres Gesicht wider – und Nira tat das Einzige, das ihr einfiel: Sie plapperte einfach weiter. Irgendwie musste es ihr doch gelingen, das Eis zwischen ihnen zu brechen.

„Nehmen Sie zum Beispiel diese Fahrstuhltür. Das ist definitiv Jugendstil.“ Vorsichtig fuhr sie mit den Fingern über die filigrane Schnitzerei. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es sogar ein Originalteil ist und keine Nachbildung. Sehen Sie sich mal an, wie kunstvoll die Intarsien eingearbeitet sind.“ Nun blickte sie ihn direkt an, und wieder fühlte sie dieses unbeschreibliche Kribbeln im Bauch.

Leider ging ihr Plan nicht auf. Prinz Dakan machte keinerlei Anstalten, auf ihren höflichen Small Talk einzugehen, sondern zog nur leicht eine Augenbraue hoch. Was wollte er ihr damit sagen? Fand er ihre Ausführungen interessant, oder wollte er, dass sie aufhörte?

Offenbar Letzteres, denn er drückte demonstrativ ein weiteres Mal auf den Fahrstuhlknopf. Hatte es ihn wirklich derart verärgert, dass er sie nicht angetroffen hatte? Was hatte er denn erwartet? Dass sie stundenlang untätig herumsaß, bloß weil seine Hoheit eventuell den Wunsch verspüren könnte, sie aufzusuchen?

Allmählich wurde auch Nira wütend. Sie war schließlich nur kurz auf den Basar gegangen und nicht zu einer mehrtägigen Exkursion in die Wüste aufgebrochen. Und natürlich würde ihre Firma ihm diese Zeit nicht in Rechnung stellen. Sie sollte einfach aufhören, höfliche Konversation zu machen – vor allem, da er sowieso nicht antwortete.

Endlich öffnete sich die Fahrstuhltür, und Prinz Dakan und seine Begleiter traten hinaus. Sie würde jetzt auch einfach schweigen. Sollte er doch wütend sein. Ob er sie oben anschreien würde? Mit einem mulmigen Gefühl folgte Nira den Männern, sorgsam darauf bedacht, genug Abstand zwischen sich und ihnen zu lassen, um jede versehentliche Berührung zu vermeiden.

Wieso konnte Dakan nicht so sein wie Zahir? Der ältere Bruder war viel freundlicher und aufgeschlossener. Er hätte sich bestimmt gern mit ihr über Architektur unterhalten.

Oben angekommen öffneten sich die Türen zum Penthouse wie von selbst. Offenbar wurden sie erwartet – genau wie Dakan es offenbar für angemessen hielt. Wenn sie also diesen Job behalten wollte – und das war definitiv der Fall –, musste sie sich mit ihm arrangieren und durfte sich weder mit ihm streiten noch ihn mit einem ihrer sorgfältig angespitzten Bleistifte erstechen. Egal, wie gern sie es getan hätte.

Wie selbstverständlich ging Dakan voran in das sehr modern und elegant eingerichtete Penthouse. Mit seinem dunkelgrauen Anzug und den glänzenden schwarzen Schuhen passte er perfekt ins Ambiente aus kühlem Stahl, schneeweißen Wänden und dunkelgrauem Marmor.

Vor Niras Schreibtisch blieb er stehen. Es war ein Jammer, dass Zahir nicht mehr da war und sie sich stattdessen mit Dakan auseinandersetzen musste.

Mit einem leisen Seufzer setzte Nira sich und öffnete ihren Laptop. Da sie offenbar keine andere Wahl hatte, würde sie es einfach so schnell und effizient wie möglich hinter sich bringen. Nach diesem Gespräch würde sie hoffentlich ihre Aufgaben für die nächsten Wochen etwas genauer planen können. Doch egal, wieviel es zu tun gab: Sie würde sich nicht verbieten lassen, auch etwas vom Land zu sehen, denn auch sie hatte ein Recht auf Freizeit!

„Ich weiß nicht, welche Anweisungen Prinz Zahir Ihnen gegeben hat …“

„Er hat mir überhaupt keine Anweisungen gegeben“, unterbrach Dakan sie, während er sich einen Stuhl heranzog. „So arbeiten wir in unserer Familie nicht.“ Er saß nun neben ihr, um einen guten Blick auf den Bildschirm zu haben. Auf den Bildschirm und das Foto ihrer Eltern, das ebenfalls auf dem Schreibtisch stand.

Da ihr Zusammentreffen bislang nicht gerade optimal verlaufen war, hielt Nira es für keine gute Idee, wenn er ahnte, dass sie nicht nur aus beruflichen Gründen in seinem Land war. Unauffällig drehte sie deshalb den Bilderrahmen um. „Gut, dann formuliere ich es anders: Ich weiß nicht, inwieweit Prinz Zahir mit Ihnen über die Pläne gesprochen hat. Ich hatte ihm bereits einige Entwürfe und mehrere Skizzen gezeigt und …“

„Wir fangen noch einmal von vorn an.“ Wieder hatte dieser unhöfliche Kerl sie unterbrochen. Zum Glück hatte er seinen Stuhl ein Stück nach hinten gerückt, sodass sie ihn nicht direkt ansehen musste. Also zurück auf Start. Nun gut. Wenn er darauf bestand, bitte sehr.

Nira öffnete den Ordner mit ihren allerersten Entwürfen. „Zahir und ich haben als erstes die Zeitpläne grob abgesteckt und uns über die Bauweise unterhalten, damit er abschätzen konnte, wie lange der Bau eines funktionsfähigen Neubaus dauern würde. Es gibt dabei mehrere Varianten, und ich habe für jede einzelne einen separaten Ablaufplan erstellt.“

„Ich will, dass es möglichst schnell geht.“

Ungeduldig war er also auch noch. Angestrengt starrte Nira auf den Bildschirm, um dem Impuls zu widerstehen, sich zu ihm umzudrehen. „Am effizientesten wäre es, das gesamte Gebäude in einem Rutsch zu bauen und dann alle Abteilungen gleichzeitig in Betrieb zu nehmen. Aber es gibt eine Alternative, die ich für sehr vernünftig halte und die es erlauben würde, einzelne Bereiche viel früher nutzen zu können. Eine Art zeitversetzte Fertigstellung.“

„Zeitversetzt?“, wiederholte Dakan nachdenklich, während er sein Jackett auszog. „Sie meinen, die Abteilungen werden nacheinander fertig und dann auch gleich genutzt statt alle auf einmal?“

„Ja.“ In diesem Moment fing die Animation an. „Bei einer zeitversetzten Bauweise würden wir eine Abteilung nach der anderen in Angriff nehmen. Das Gesamtprojekt würde etwas länger dauern, aber dafür könnten einzelne Bereiche früher genutzt werden. Außerdem bietet diese Variante den Vorteil, dass man flexibler auf neue Anforderungen reagieren und aus eventuellen Fehlern lernen kann.“

Dakan nickte. „Diese Idee gefällt mir. So machen wir es. Aber wir fangen mit zwei Abteilungen parallel an, die bei Bedarf später noch weiter ausgebaut werden können: mit der Notaufnahme und mit der Allgemeinmedizin. So sind die wichtigsten und am stärksten frequentierten Bereiche frühestmöglich verfügbar.“

Im Laufe des Gesprächs war die Anspannung, die Nira bei Dakan gespürt hatte, merklich abgefallen. Er war ganz offensichtlich genauso engagiert wie Zahir. Und er hatte zum Glück seinen herrischen, ungeduldigen Ton abgelegt. Mit diesem Mann würde sie arbeiten können. Er war anders als sein Bruder, aber er war auch ein Arzt, und sie hatten ein großes gemeinsames Ziel: Sie wollten eine qualitativ hochwertige, moderne Klinik bauen.

„Mit zwei Abteilungen parallel anzufangen ist zwar möglich, aber Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass es schneller gehen würde, wenn wir es nacheinander machten. Es sei denn, Sie stellen noch mehr Leute ein.“

„Die Arbeitskräfte sind kein Problem. Aber können Sie zwei Projekte gleichzeitig realisieren? Die architektonische Feinplanung dauert zwar seine Zeit, doch ich würde mit den Vorarbeiten sehr gern so schnell wie möglich anfangen. Ist das möglich?“

Nun drehte Nira sich doch zu ihm um und sah ihn an. Dakan hatte sich weit zu ihr vorgebeugt, sodass unverhofft eine verstörende Intimität entstand. Obwohl sie über die Arbeit sprachen, sahen sie sich tief in die Augen. Nira war zwar nicht schüchtern, doch sie wollte nicht schon wieder gegen irgendwelche unbekannten Benimmregeln verstoßen, und so wandte sie schließlich ihren Blick ab und fixierte einen Punkt hinter ihm.

Es war vermutlich vernünftig, ihre eigenen Erkundungstouren zunächst nach hinten zu verschieben, bis das Bauprojekt angelaufen war. Sie wollte Dakan demonstrieren, dass seine Ziele auch ihre Ziele waren. Er war schließlich der Kunde. Ein sehr reicher Kunde, der vielleicht Folgeaufträge erteilen würde, wenn er mit ihrer Arbeit zufrieden war. Für ihre Karriere als Architektin war eine solche Referenz Gold wert.

Sie würde also warten. Schließlich hatte sie sechsundzwanzig Jahre gewartet – da kam es auf ein paar Wochen mehr auch nicht an.

2. KAPITEL

„Erst während der laufenden Arbeiten die Planungen abzuschließen ist nicht direkt meine erste Wahl“, sagte Nira, die sich wieder ihrem Laptop zugewandt hatte. Natürlich war es ein bisschen unhöflich, Dakan den Rücken zuzukehren, doch sie wollte ihn nicht unnötig lange ansehen müssen. Ihre Reaktion auf diesen unverschämt attraktiven Prinzen fing an, sie zu beunruhigen.

Es wäre eine ziemlich dumme Idee, sich in ihn zu verlieben oder auch nur an einen romantischen Flirt mit ihm zu denken. Gut, er sah toll aus, besaß eine unglaubliche Anziehungskraft und hatte dieses verwegene Etwas, das sie leider sehr anziehend fand. Dennoch war ihr klar, dass es keine Cinderella-Story geben würde. Es war klug, unerwiderte Zuneigung konsequent zu ignorieren. Vor allem, wenn das Objekt der Begierde ein unerreichbarer Prinz war.

Außerdem gab es genügend andere Aspekte ihrer persönlichen Geschichte, die sie noch näher beleuchten wollte. Ein arabischer Liebhaber stand nicht auf ihrer Liste. Diesen Punkt hatte ihre Mutter bereits abgehakt – mit schlimmen Folgen.

Schluss jetzt, sie musste sich konzentrieren!

„Eine sukzessive Planung ist theoretisch natürlich möglich, aber vorher müsste zumindest die Grobplanung des gesamten Komplexes fertig sein. Solche Details wie die Gesamtgröße jeder Einheit und die sinnvollste Anordnung der einzelnen Abteilungen. Es ist eine Herausforderung, so vorzugehen, aber ich denke, es würde funktionieren.“

Ein großer Vorteil dieses Konzepts lag darin, dass sie so länger bleiben konnte. Sie würde miterleben, wie das von ihr entworfene Gebäude tatsächlich gebaut wurde!

Dakan rückte an den Schreibtisch und griff nach einem Bleistift und Niras Skizzenblock. „Gut, dann fangen wir wie besprochen mit den ersten zwei Teilgebäuden an. Ich werde dafür sorgen, dass Sie jede Art von Ausrüstung bekommen, die Sie benötigen.“

Nira beugte sich vor, um einen Blick auf seine Notizen zu werfen. Erstaunlicherweise hatte er eine wunderschöne, fast schon künstlerische Handschrift.

„Haben Sie Zeichenunterricht gehabt?“

„Zeichenunterricht?“ Befremdet sah er sie an. „Das ist leider kein Bestandteil des Medizinstudiums.“

„Sie schreiben, als hätten Sie einen Kalligrafie-Kurs gemacht.“

Einen langen Augenblick lang sagte er nichts, und Nira befürchtete schon, wieder einmal etwas Falsches gesagt zu haben. Dabei war es doch keine dumme Frage gewesen. In vielen Schulen gab es auch in höheren Jahrgängen Kunstunterricht.

Endlich sah Dakan sie mit einem verschmitzten Lächeln an, das ihn sofort viel weniger prinzenhaft aussehen ließ. „Nein, wie kommen Sie darauf?“

„Ihre Schrift ist so gleichmäßig und harmonisch. Dabei dachte ich immer, alle Ärzte hätten eine schluderige Handschrift.“

„Als Kind habe ich von rechts nach links geschrieben. Als ich dann Englisch lernte, war es eine riesige Umstellung, in die andere Richtung zu schreiben. Ich musste mir angewöhnen, ganz ordentlich zu sein, um keine Fehler zu machen.“

„Natürlich. Daran hab ich nicht gedacht. Dabei kenne ich das Problem. Wenn ich versuche, etwas auf Arabisch zu schreiben, ist es fast immer unleserlich, oder ich verschmiere die gerade geschriebenen Wörter mit meiner Hand.“

Sie wandte sich wieder dem Block zu. Dakan hatte also auch eine private Seite; war nicht nur Prinz sondern manchmal auch einfach nur ein Mediziner. Trotzdem war er ihr Kunde, und Kunden sollten im Idealfall nicht bemerken, dass man sie zum Dahinschmelzen fand.

„Ich brauche noch einige Angaben zu den erwarteten Patientenzahlen. Und möchten Sie, dass die Patienten das Krankenhaus als eine kleinteilige, eher einfache Einrichtung wahrnehmen oder eher als modernes, großes Klinikum?“

Sofort hatte sie wieder seine ganze Aufmerksamkeit. „Es soll groß sein. Groß und beeindruckend. Die Menschen sollen es nicht ignorieren können. Unser Klinikum soll Standards in der ganzen Region setzen und die medizinische Versorgung endlich auf westliches Niveau anheben.“

Das war eine klare Ansage. Geld schien offenbar keine Rolle zu spielen, was ihre Arbeit natürlich sehr erleichterte. „Ich brauche trotzdem einen Anhaltspunkt, was die Patientenzahlen betrifft. Schon allein, um zu verhindern, dass wir zwei unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was wir unter einem großen Klinikum verstehen. Außerdem wäre es sehr vorteilhaft, wenn ich mir einige der bestehenden Einrichtungen ansehen könnte. Ich weiß, dass Sie so schnell wie möglich starten wollen, aber eine Idee von dem, was die zukünftigen Nutzer bis jetzt unter einem Krankenhaus verstehen, ist wirklich wichtig.“

Er legte den Bleistift weg und sah sie an. „Sie wollen sich die Krankenstation ansehen? Leider ist sie alles andere als funktional. Ich kann mir nicht vorstellen, dass so ein Besuch irgendeinen Nutzen hätte. Womöglich würden Sie sich sogar mit irgendetwas anstecken.“

„Wenn Sie meinen … Aber wir werden doch das alte Gebäude behalten und in den neuen Komplex integrieren, oder?“ Zumindest war das Zahirs Plan gewesen, auf dem das gesamte Konzept beruhte.

Dakan schrieb noch etwas auf und lehnte sich dann zurück. „Nein, das werden wir nicht. Wir haben genügend Platz. Während wir Abteilung für Abteilung neu bauen, lassen wir das alte Krankenhaus einfach weiterlaufen. Sobald alles fertig ist, wird das Gebäude dann abgerissen.“

Es würde also kein Zusammenführen von alten und neuen Bestandteilen geben. Nun gut, wenn er es so wollte. Im Grunde war der Gedanke, etwas völlig Neues zu schaffen, sogar ziemlich verlockend. Trotzdem wollte sie sich einen Eindruck der bestehenden Verhältnisse verschaffen.

Autor

Amalie Berlin
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Olivia Gates
<p>Olivia Gates war Sängerin, Malerin, Modedesignerin, Ehefrau, Mutter – oh und auch Ärztin. Sie ist immer noch all das, auch wenn das Singen, Designen und Malen etwas in den Hintergrund getreten ist, während ihre Fähigkeiten als Ehefrau, Mutter und Ärztin in den Vordergrund gerückt sind. Sie fragen sich jetzt bestimmt...
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Meredith Webber
Bevor Meredith Webber sich entschloss, Arztromane zu schreiben, war sie als Lehrerin tätig, besaß ein eigenes Geschäft, jobbte im Reisebüro und in einem Schweinezuchtbetrieb, arbeitete auf Baustellen, war Sozialarbeiterin für Behinderte und half beim medizinischen Notdienst.
Aber all das genügte ihr nicht, und sie suchte nach einer neuen Herausforderung, die sie...
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