Diese Nacht gehört uns, Prinzessin!

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"Ich möchte dich bitten, dich mit mir zu verloben." Endlich! Prinzessin Alexa hat sich getraut, den pikanten Deal vorzuschlagen. Eine Scheinverlobung mit dem berüchtigten Playboy-Prinzen Rafaele wäre ihre Rettung. Zwar kennt sie ihn nur aus der Presse, aber eine Verlobung wäre bestimmt gut für seinen Ruf. Und dann wird ihr Vater, der König, auch aufhören, für sie einen geeigneten Ehemann zu suchen. Doch kaum verklingt ihr kühner Satz, sieht der Prinz sie an, als ob die Nacht nur ihnen beiden gehört! Als ob sie ihn gebeten hätte, sie zu verführen …


  • Erscheinungstag 30.06.2020
  • Bandnummer 2447
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714239
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der heutige Abend würde eine Katastrophe werden. Alexa spürte es.

Der alljährliche Wohltätigkeitsball in Santara, eine der wichtigsten Veranstaltungen im internationalen Kalender, begann in einer Stunde – und sie war krank vor Aufregung.

„Er ist hier“, murmelte Nasrin, ihre Assistentin Schrägstrich Dienerin Schrägstrich Freundin, während sie die Tür hinter sich schloss. „Eines der Kammermädchen hat es mir zugeflüstert. Der Prinz von Santara hat gerade den Sommerpalast betreten.“

Sie nahm eine Bürste von dem altmodischen Frisiertisch. „Ich kann nicht glauben, dass du es tatsächlich tun wirst.“

Alexa konnte es selbst kaum fassen. Atemlos dachte sie an das, was sie vorhatte.

Er war hier. Er war wirklich hier.

Prinz Rafaele von Santara, der jüngere Bruder des Königs, war tatsächlich gekommen. Im Vorfeld hatte es Gerüchte gegeben, dass er der Veranstaltung fernbleiben würde, da er im letzten Jahr für einen Skandal auf dem Ball gesorgt hatte. Aber anscheinend gab es nichts, was den rebellischen Prinzen davon abhielt, seine eigenen Wege zu gehen – und das war eine Eigenschaft, die sie heute Abend möglicherweise nutzen konnte.

Wie soll ich vorgehen? Wie soll ich einen Prinzen mit dem Ruf eines Playboys bitten, mich zu heiraten – auch wenn ich selbst Prinzessin bin? Denn genau so lautete der Plan. Und wenn Alexa ihren Vater beruhigen wollte, blieb ihr keine Alternative.

Getrieben von Panik, hatten Nasrin und sie diese verrückte Idee ausgeheckt: Eine vorgetäuschte Verlobung musste her. Denn, und das würde sie dem Prinzen gleich im Anschluss gestehen, wirklich heiraten wollte sie ihn nicht. Aber vor zwei Wochen hatte Alexa einsehen müssen, dass es ihrem Vater todernst damit war, sie so schnell wie möglich unter die Haube zu bringen.

Selbstverständlich hatte sie versucht, ihm diesen Unsinn auszureden. Sie hatte ihm gesagt, dass sie noch nicht bereit war und mehr Zeit brauchte. Doch er hatte nur den Kopf geschüttelt und erwidert, dass sein Entschluss nicht verhandelbar war. Als Kronprinzessin von Berenia und einzige verbleibende Erbin würde er erst Ruhe geben, wenn sie einen Ehering am Finger trug.

Der Fairness halber musste sie zugeben, dass er ihr sechs Monate gewährt hatte, um eine Liste potenzieller Heiratskandidaten zu erstellen. Alexa jedoch hatte die Entscheidung immer weiter hinausgezögert, weil sie hoffte, ihr Vater würde das Vorhaben irgendwann vergessen. An dem Abend, nachdem er ihr erklärt hatte, dass er rein gar nichts vergessen hatte, hatten Nasrin und sie bei einem Glas Wein einen wunderbar schnulzigen Liebesfilm angesehen.

Laut Nasrin sah der Hauptdarsteller wie das verträumte Gegenstück des Prinzen von Santara aus – und damit war der Plan geboren. Im Film wollte der Held die Heldin nicht heiraten, doch am Schluss gewann die Liebe.

Die Erfahrung hatte Alexa gelehrt, dass die Liebe am Ende nur selten siegte, aber zum Glück erwartete sie ja gar keine echten Gefühle vom Prinzen.

„Alles wird gut, Alexa. Er wird zustimmen“, murmelte Nasrin, die die Panik in den Augen ihrer Freundin richtig deutete. „Dann bekommst du alles, was dein Herz begehrt.“

Alles, was mein Herz begehrt?

Was sie sich am meisten wünschte, war Zeit, um ihre wahre Liebe zu finden, und dass ihr älterer Bruder noch am Leben wäre.

Sol war der Thronerbe von Berenia gewesen, aber mit seinem tragischen Tod vor drei Jahren war diese Pflicht auf Alexa übergegangen. Doch sie fühlte sich nicht in der Lage – oder zumindest noch nicht –, die Verantwortung zu übernehmen. Und insgeheim fragte sie sich, ob ihr Vater vielleicht auch glaubte, dass sie es nicht schaffen würde. Vor allem nach dem schweren Fehler, den sie mit siebzehn begangen hatte. Möglicherweise war das einer der Gründe, weshalb er auf eine baldige Hochzeit drängte.

Außerdem würden dann endlich alle die Schande vergessen, die ihr noch immer anhing, seit der König von Santara vor zwölf Monaten ihre Verlobung abrupt gelöst hatte. Die Tinte auf dem Ehevertrag war noch nicht einmal getrocknet, da hatte er alles für null und nichtig erklärt und kurz darauf eine andere Frau geheiratet – was die jahrhundertealten Feindseligkeiten zwischen den beiden Nationen zusätzlich geschürt hatte.

Liebe hatte bei ihrer kurzen unglücklichen Verlobung mit König Jager natürlich keine Rolle gespielt, trotzdem traf seine Zurückweisung Alexa sehr. Sie hatte ihn wirklich gemocht und als Dreizehnjährige richtiggehend für ihn geschwärmt, als er sie bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt als offizielle Begleitung ihres Vaters vor einem peinlichen Missgeschick bewahrt hatte. Sie trug ein weißes Tüllkleid, in dem sie sich wie eine wunderschöne Fee fühlte. Vor lauter Nervosität glitt ihr ein Krug mit Preiselbeersaft aus den Händen. Der klebrige Saft färbte die gesamte Vorderseite ihres Kleides rot. Bevor sie reagieren konnte, trat der neu gekrönte König von Santara hinter sie, legte ihr sein Jackett um und flüsterte, dass alles gut werden würde.

Beschämt presste Alexa ihre glühenden Wangen an seine Brust, sodass er sie aus dem Zimmer geleiten konnte, ohne dass jemand etwas von ihrem Fauxpas bemerkte. Dann hatte er einen Diener angewiesen, ihre Zofe zu finden, und war zurück auf die Party gegangen. Die Umsicht des Königs vergaß Alexa nicht. Und je älter sie wurde, desto mehr wurde er zum Inbegriff ihres Traummannes: freundlich, loyal, mitfühlend und stark.

Sein Bruder hätte nicht unterschiedlicher sein können. Immer nur auf sein Vergnügen bedacht, segelte er von einer schlanken Blondine zur nächsten. In seinem Leben gab es scheinbar nichts Wichtigeres, als die Krawatte auszuwählen, die zu seinem Anzug passte.

„Dein Haar hochzustecken, war eine gute Entscheidung“, meinte Nasrin und fixierte die letzte Locke an ihrem Platz. „So wird der transparente Einsatz auf der Rückseite perfekt in Szene gesetzt.“

„Es ist nicht zu offenherzig, oder?“, fragte Alexa und rutschte auf dem weichen Stuhl zur Seite, um einen besseren Blick auf ihren Rücken zu erhaschen. Sie hatte ein nudefarbenes schulterfreies Kleid gewählt, um so viel Aufsehen zu erregen, wie sie es gerade noch wagte. Allerdings war sie es nicht gewohnt, Kleider zu tragen, die so viel nackte Haut zeigten.

„Überhaupt nicht. Es ist perfekt.“

„Und du bist sicher, dass er nicht heiraten will?“

„Absolut.“ Nasrin nickte. „Er hat vor Zeugen geschworen, dass er niemals heiraten will. Nicht, dass irgendeine seiner Gespielinnen zugehört hätte. Sie werfen sich ihm an den Hals wie Lemminge von der Klippe und hoffen, diejenige zu sein, die seinen Entschluss ändert.“

Warum war Alexa dann so mulmig zumute?

Wegen der strengen Regeln ihres Vaters hatte sie kaum Umgang mit Männern. Mit siebzehn hatte sie den Worten eines Mannes – Stefano – geglaubt, der sie wunderschön fand. In Wahrheit war sie nur leichtgläubig gewesen. Leichtgläubig genug, um sich von einem Mann verführen zu lassen, der mehr an ihrem Titel als an ihr interessiert war. Dieser Fehler hatte ihrem Selbstvertrauen einen harten Schlag versetzt.

Alexa schlüpfte in ihre hohen Schuhe und strich mit den Händen über die Vorderseite ihres Kleides. Sie schob den Gedanken beiseite, dass sie sich gleichzeitig elegant und nackt vorkam – was nach Nasrins Ansicht der eigentliche Sinn des Designs war.

„Du wirst dich sexy und verführerisch fühlen“, hatte sie versichert, als sie das Kleid entdeckt hatten. „Jeder Mann im Saal wird dich anschauen und begehren.“

Im Moment fühlte Alexa sich so sexy und verführerisch wie ein Baum. Und sie wollte auch gar nicht, dass jeder Mann im Saal sie ansah. Der Gedanke, dass ein bestimmter Mann sie anstarrte, machte sie nervös genug.

Sie griff nach dem Dossier, das Nasrin über Prinz Rafaele zusammengestellt hatte, und betrachtete Foto um Foto. Die Bilder zeigten ihn bei Partys oder Filmpremieren. Er besaß ein Imperium von Nachtclubs und Bars in ganz Europa, die alle nach ihrer Eröffnung zu angesagten Hotspots geworden waren. „Lasterhöhlen“, hatte ihr Vater sie einmal verächtlich genannt.

Ein unerwünschter Schauer durchlief sie, als sie zu einem Bild von dem Prinzen mit nacktem Oberkörper kam. Er stand auf dem Deck einer Jacht. Der Wind drückte die weiße Hose gegen seine muskulösen Oberschenkel. Die dunklen schulterlangen Haare wehten um seinen Kopf, die Brust war von der Sonne gebräunt. Das Gesicht hatte er der Kamera zugewandt, sodass der Fotograf sein perfektes Lächeln, die makellosen Züge und die erstaunlich blauen Augen mühelos hatte einfangen können.

Unter dem Bild stand als Unterschrift: Der rebellische Prinz auf der Suche nach Abenteuern.

Alexa betrachtete das Bild genau. Trotz seiner entspannten Haltung strahlte Prinz Rafaele etwas aus, das sagte: Gefahr … Sei vorsichtig! Vielleicht lag es an dem Desinteresse in seinem Blick, das verkündete, dass er schon alles gesehen hatte, was es im Leben zu sehen gab, und dass ihn nichts mehr überraschen konnte. Was wiederum gut war, wenn er sich an ihren Plan hielt, weil ihre Trennung unvermeidlich war. Der rebellische Prinz und das Mauerblümchen passten einfach nicht zusammen. Nicht, dass Alexa ein Mauerblümchen war. Sie hatte nur beschlossen, sich nicht in den Vordergrund zu drängen, wenn es vermeidbar war.

„Heiß, nicht wahr?“, meinte Nasrin mit Blick auf das Foto. „Du siehst atemberaubend aus, Alexa. Der Prinz wird dir nicht widerstehen können.“

Einerseits schätzte Alexa den Optimismus ihrer Freundin, gleichzeitig wusste sie aus Erfahrung, dass es Männern leichtfiel, sie zu ignorieren.

„Wahrscheinlicher ist, dass er mich auslacht.“ Alexa schloss das Dossier. „Und wenn er so gegen die Ehe ist, wird er sich vermutlich nicht einmal auf eine vorgetäuschte Verlobung einlassen.“

„Aber du hast ein Ass im Ärmel. Wenn er zustimmt, könnte das unsere verfeindeten Länder versöhnen. Natürlich wird er sich dafür entscheiden. Und die Verlobung wäre ja auch nur von kurzer Dauer. Es sei denn …“, Nasrins hübsche Augen funkelten schelmisch, „… ihr verliebt euch ineinander.“

Alexa schüttelte den Kopf. Nasrin hatte eine romantische Ader, die kein noch so vernünftiges Gespräch kurieren konnte. Und obwohl auch sie selbst sich einmal nach Glück und Liebe gesehnt hatte, war sie in der Vergangenheit derart enttäuscht worden, dass sie nicht länger darauf hoffte.

Liebe war nicht so wichtig wie Würde, Selbstachtung und Objektivität. Die Vorstellung, dass der Prinz von Santara sich in sie oder sie sich in ihn verlieben könnte, war völlig absurd.

„Eher färbt sich der Mond blau“, erwiderte sie trocken.

„Wenn man sich etwas wirklich wünscht, bekommt man es auch, Prinzessin.“

Alexa wusste, dass auch das nur sehr selten passierte.

„Glücklicherweise will ich die Liebe des Prinzen gar nicht, sondern nur seine Kooperation.“

„Dann hol sie dir“, drängte Nasrin.

Alexa lächelte. Nasrin war ein Geschenk. Als sie nach dem Tod von Sol anfing, für sie zu arbeiten, und ihr Leben organisierte, war es ihr mit ihrem charmanten und natürlichen Charakter gelungen, wieder ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern. Denn in jenen dunklen Tagen hatte sich alles nur überwältigend und bedrückend angefühlt.

Die Frage lautete, ob sie ihren Plan, der ihr anfangs so logisch vorgekommen war, sich nun aber nur noch verzweifelt und naiv anfühlte, umsetzen konnte.

Aber wenn der Prinz ablehnte, würde sie einen anderen Kandidaten finden. Denn darüber, einen Mann zu heiraten, der auf der Liste ihres Vaters stand, wollte Alexa nicht einmal nachdenken.

Mit gemischten Gefühlen sah Rafe sich im Ballsaal des Sommerpalastes von Santara um. In der Regel versuchte er, nicht allzu oft hierher zurückzukehren. Er hegte nicht die besten Erinnerungen an diesen Ort. Außerdem hatte er alle Verbindungen zu seinem Land abgebrochen, nachdem er es als Teenager verlassen hatte.

Rafe bereute nicht, was er getan hatte. Nichts an dem Leben hier vermisste er. Nicht die Sonne, die die meiste Zeit des Jahres heiß genug brannte, um Farben verblassen zu lassen. Nicht die endlose Liste an königlichen Pflichten, die er als zweitgeborener Sohn zu erfüllen hatte. Er vermisste es nicht, dass seine Ideen von einem Mann verlacht wurden, der seinen Antrieb und Ehrgeiz, einen eigenen Lebensweg einzuschlagen, nie verstanden hatte.

„Zum Glück bist du ein Prinz, sibi“, hatte sein Vater oft höhnisch gesagt. „Wärst du es nicht, wärst du ein Niemand.“

Rafe wiederum hatte gelernt, seinen Vater zu ignorieren, und ihm das bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter die Nase zu reiben. Und trotz – oder vielleicht auch wegen – der Überzeugung des Königs, dass er ein Niemand war, hatte er es zu beträchtlichem Erfolg gebracht.

Er war aus dem Käfig der königlichen Verpflichtungen ausgebrochen und hatte sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen gestaltet. Leider konnte sein Vater das nicht mehr sehen. Denn ausgerechnet sein Tod hatte Rafe mit achtzehn Jahren die Freiheit gebracht. Genau genommen hatte sein Bruder sie ihm geschenkt, als er mit neunzehn zum König gekrönt worden war. Er hatte Rafe die Erlaubnis gegeben, seine Flügel auszubreiten.

Jag hatte sein Studium in den USA vorzeitig abbrechen müssen. Erst im Rückblick begriff Rafe, welches Opfer sein Bruder gebracht hatte, indem er ganz allein die Last des Regierens auf sich genommen und im Gegenzug nie etwas von ihm verlangt hatte. Gerade am Anfang hätte er Rafes Insiderwissen um die Gepflogenheiten bei Hof bestimmt gut brauchen können.

Mit den Jahren und durch die große Entfernung zwischen ihnen war ihre Beziehung immer angespannter geworden. Rafaele wusste nicht, wie er den Graben überbrücken könnte, ohne sich selbst dabei zu verlieren. Trotzdem schuldete er Jag Dankbarkeit – auch wenn sein Bruder anders darüber dachte.

Bevor seine Gedanken weiter in diese Richtung wanderten, schüttelte er sie mit geübter Leichtigkeit ab. Auch aus diesem Grund hasste er es, nach Hause zurückzukehren. Die unguten Erinnerungen, das Gefühl von Zwang und Enge, das ihn stets in Santara überkam, gehörten nicht mehr zu dem Leben, das er inzwischen führte. Ein Leben voller Genuss, Schönheit und Freiheit. Ein Leben, das er überwiegend in England verbrachte, wo er eine überaus profitable Investition in ein Technologieunternehmen getätigt hatte, während er in Cambridge seinen ersten Nachtclub eröffnete. Viele bescheinigten ihm ein Händchen für diese Art von Geschäften sowie eine angeborene Fähigkeit zu wissen, was seine Kunden wollten. Irgendwie verwandelte sich alles, was Rafe anfasste, in Gold. Jede Bar wurde zum heißesten Ort der Stadt.

Was ihn wiederum zum heißesten Typen machte, den unablässig Frauen umschwärmten, die darauf aus waren, seine Haltung zum Single-Daseins zu ändern. Aber die Ladys bissen auf Granit. Seiner Erfahrung nach überdauerte das aufregende Gefühl des Neuen selten eine Begegnung im Schlafzimmer. Und wenn doch, so hatte die stürmische Ehe seiner Eltern ihn ausreichend gelehrt, dass diese Institution nichts war, worauf er Wert legte.

War es nicht viel besser, Spaß zu haben, solange es ging? Und weiterzuziehen, bevor jemand ernstlich verletzt wurde? Wenn die Klatschmagazine ihn als Playboy darstellen wollten, um Klicks für ihre Webseiten zu generieren, war das ja wohl kaum sein Problem. Noch etwas, was Jag nicht verstand.

Andererseits war sein Bruder noch immer verstimmt wegen des Debakels mit der französischen Erbin auf dem Ball im vergangenen Jahr. Da sie sich ganz offensichtlich auf der Party gelangweilt hatte, hatte Rafe sie in seinen Whirlpool im Obergeschoss eingeladen. Dummerweise veröffentlichte sie unmittelbar darauf Fotos von ihnen beiden auf ihren Social-Media-Kanälen. Hätte Rafe gewusst, dass Jag zu diesem Zeitpunkt mitten in wichtigen Verhandlungen mit ihrem Vater gesteckt hatte, hätte er darauf bestanden, dass sie ihr Handy draußen ließ.

Dieses Versehen hatte zu dem Versprechen geführt, sich heute Abend aus allen Schwierigkeiten herauszuhalten. Was nicht gerade fair war, weil er selten Ärger suchte. Meistens fand der Ärger ihn.

Wie aufs Stichwort schlängelte sich seine Schwester durch die Menge auf ihn zu.

„Ich nehme an, der Strauß hat verloren“, neckte Rafe sie und musterte die vielen bunten Federn, die ihren Rock zierten. „Oder willst du das Ensemble der armen Kreatur nach der Party zurückgeben?“

„Mach dich nur lustig“, entgegnete Milena. „Ich kann dir versichern, dass jede Feder bereits abgeworfen war, bevor sie eingesammelt wurde. Hast du deshalb gerade so gegrinst? Oder wegen etwas anderem? Ich schwöre, du hattest dieses Funkeln in deinen Augen, das mir verrät, dass du nichts Gutes im Schilde führst.“

„Ich habe mich nur an eine gewisse französische Erbin erinnert, die ich letztes Jahr hier getroffen habe.“

„Oh, bitte!“ Milena verdrehte die Augen. „Sag in Jags Gegenwart bitte nicht die Worte französisch und Erbin in einem Satz.“

„Er muss wirklich ein bisschen lockerer werden. Letzten Endes hat er den Deal mit ihrem Vater doch abgeschlossen, also haben wir beide gewonnen.“

„Daran trägst du allerdings keinen Anteil“, entgegnete Milena. „Wann fängst du an, mit Frauen auszugehen, die du respektierst und die du …“

„Sag es nicht.“ Rafe erschauerte. „Ich möchte an meiner Vorstellung festhalten, dass du in diesen Dingen noch vollkommen unschuldig bist. Allerdings habe ich unserem geschätzten Bruder versprochen, dass ich dieses Jahr mein tugendhaftestes Verhalten an den Tag legen werde. Mach dir also keine Sorgen.“

Er bedachte seine Schwester mit einem breiten Grinsen und wusste, dass es seine Wirkung verfehlen würde. Sie war zwar sechs Jahre jünger als er, aber sie kannte ihn einfach zu gut.

„Jetzt mache ich mir noch mehr Sorgen.“ Sie stöhnte. „Und da wir gerade von Jag sprechen … du musst ihm ein bisschen Zeit lassen. Er hat im Moment eine Menge um die Ohren.“

„Zum Beispiel?“

„Diese Sache mit Berenia.“

„Immer noch?“ Rafaele zog eine Augenbraue hoch. Er wusste, dass Berenia viele Probleme gemacht hatte, war aber davon ausgegangen, dass sie inzwischen nachgelassen hatten. „Gut, vergangenes Jahr hat er die Prinzessin nicht geheiratet. Aber mittlerweile sollten sie darüber hinweggekommen sein.“

„Es geht um viel mehr als eine geplatzte Verlobung. Santara hat auf der Weltbühne eine deutlich bessere Position als Berenia, was zu weiteren Spannungen führt.“

„Ihre Inkompetenz ist ja wohl kaum unser Problem.“

„Ich kenne nicht alle Details, aber … Oh, da kommt Jag. Ich sollte dich finden, damit wir die offiziellen Fotos hinter uns bringen.“

„Einverstanden.“ Rafe würde lächeln und nett sein, damit sein Bruder am Ende des Abends nichts zu beanstanden hatte. Morgen würde er nach Hause und zurück in sein normales Leben fliegen, das nicht von Pomp und Protokoll bestimmt war.

„Rafa“, begrüßte Jag ihn ein wenig steif. „Ich war mir nicht sicher, ob du es dieses Jahr schaffen würdest.“

„Den Ball würde ich niemals versäumen. Vor allem, wenn die Chance besteht, eine französische Erbin zu treffen.“

„Rafa!“, fauchte Milena ihn an. „Du hast es versprochen.“

Er lachte. „Keine Angst. Jag weiß, dass ich nur Spaß mache.“

„Jag hofft, dass du Spaß machst“, murmelte sein Bruder. „Und nur, weil du dir angewöhnt hast, unserem Vater mit deinen Scherzen auf die Nerven zu gehen, musst du diese Tradition nicht weiterführen, nur weil ich jetzt der König bin.“

„Das würde mir im Traum nicht einfallen.“ Er grinste. „Ich habe gehört, du hast ein paar Probleme mit Berenia?“

„Erwähn das Wort bloß nicht. Ich schwöre dir, das sind die störrischsten Menschen der Welt.“

Der Fotograf blieb vor ihnen stehen. „Dort drüben, an der hinteren Säule ist das Licht vielleicht noch besser. Würde es Eurer Majestät etwas ausmachen, dorthin zu gehen?“

„Überhaupt nicht“, entgegnete Jag und ließ seinen Blick über die plaudernden Gäste schweifen, bis er entdeckt hatte, wonach er Ausschau hielt. Er winkte jemanden mit dem Zeigefinger herbei. Dabei umspielte ein Lächeln seine Mundwinkel, und seine Züge wurden auf eine Weise weich, wie Rafe es noch nie zuvor gesehen hatte. Er folgte dem Blick seines großen Bruders und sah Jags Ehefrau auf sie zukommen. In dem schmal geschnittenen Kleid ließ sich ihre Schwangerschaft nicht verbergen. Regan sah wunderschön aus und hatte nur Augen für seinen Bruder.

Als sie ihn erreichte, hätte Rafaele schwören können, dass der Rest des Saals für die beiden aufhörte zu existieren. Verwirrt fragte er sich, wie es sich wohl anfühlte, einen anderen Menschen so sehr zu lieben. Und entschied gleich darauf, dass er es vielleicht doch nicht wissen wollte.

„Guten Abend, Majestät“, begrüßte er seine neue Königin. „Du siehst so bezaubernd aus wie immer.“ Er hob ihre Hand an seine Lippen. „Solltest du dich jemals mit meinem hölzernen Bruder langweilen, musst du nur …“

„Rafa …“, setzte Jag mit warnendem Unterton an.

Königin Regan lachte leise und legte eine Hand auf Jags Arm. „Spielst du immer noch den Teufel, Rafe?“ Sie lächelte. „Es ist schon eine Kunst, eine schwangere Frau erröten zu lassen. Aber wo steckt deine Begleiterin? Ich habe gehört, du bist mit einem spanischen Supermodel liiert? Ella? Oder Esme?“

„Estela“, berichtigte er.

„Entschuldigung.“ Neugierig schaute Regan sich um. „Hast du sie mitgebracht?“

„Unglücklicherweise haben wir unterschiedliche Prioritäten und uns darum getrennt.“

„Ich sehe, wie geknickt du bist.“ Regan hob eine Augenbraue. „Dürfte ich erfahren, welche Prioritäten das waren?“

„Wenn ihr beiden mit flirten fertig seid …“, mischte Jag sich ein. „Der Fotograf wartet.“

„Entschuldige.“ Regan hakte sich bei ihm unter. „Aber ich bin jetzt eine verheiratete Frau. Ich kann all diese Abenteuer nicht mehr selbst erleben, und Rafe hat immer so spannende Geschichten zu erzählen.“

„Ich werde dir später eine sehr aufregende Geschichte erzählen“, versprach Jag leise. „Im Moment lächle einfach und stell sie dir vor.“

„Was auch immer die beiden haben, ich will es nicht“, murrte Rafe und nahm auf der anderen Seite seiner Schwester Aufstellung.

„Es nennt sich Liebe“, entgegnete Milena schelmisch. „Und ich kann es gar nicht erwarten, sie zu finden.“

„Verlieb dich ja nicht in jemanden, den ich nicht vorher überprüft habe“, warnte er sie streng.

„Unfug!“ Sie wischte den Einwand lässig beiseite. „Du und Jag, ihr seid beide gleich schlimm. Und euch ähnlicher, als ihr vielleicht glaubt.“

Damit lag sie falsch. Es war schon immer einfacher gewesen, der Böse zu sein, damit Jag der Gute sein konnte. Aber Rafe sagte nichts. Stattdessen grinste er und kniff seine Schwester in die Seite, gerade als der Fotograf auf den Auslöser drückte. Im Gegenzug versetzte Milena ihm einen Tritt gegen sein Schienbein. Das war ihr übliches Spielchen, um herauszufinden, wer dieses Mal zuerst die Fassung verlor.

Zwei Stunden später, Rafe langweilte sich zu Tode, spielte er mit dem Gedanken, seine heiße Badewanne aufzusuchen … allein. Doch dann entdeckte er sie. Einen Moment glaubte er, sie wäre nackt, was sie bedauerlicherweise nicht war. Doch mit den dunklen Haaren, der wie Karamell schimmernden Haut und dem eleganten Profil sah sie atemberaubend gut aus. Ihre zarten Gesichtszüge wurden vortrefflich durch sinnliche Kurven und lange Beine ergänzt.

Sie würden perfekt zusammenpassen. Irgendwie wusste er, wie gut sie harmonieren würden, ohne je ein Wort mit ihr gewechselt zu haben. Die Vorstellung faszinierte ihn so sehr, dass er sofort erfahren wollte, welche Farbe ihre Augen hatten und wie ihre Lippen wohl schmeckten. Rafe wollte ihre warme seidige Haut spüren und sich an ihrem femininen Körper erfreuen, wenn sie ihr raffiniertes Kleid zum ersten Mal mit quälender Langsamkeit für ihn abstreifte.

Als habe sie seine heißen Gedanken gespürt, wandte die atemberaubende Fremde den Kopf. Ihr Blick fand den seinen sofort.

Sie blinzelte, als ob sie wüsste, welche erotischen Bilder ihm durch den Kopf gingen. Eine leichte Röte breitete sich auf ihren Wangen aus. Oder bildete er sich das nur ein? Auf keinen Fall konnte es etwas mit dem Trottel zu tun haben, der vor ihr stand. Graf Kushnier würde nicht wissen, was er mit einer Frau tun sollte, wenn man ihm eine Anleitung und eine Lupe in die Hand drückte.

Langsam ließ er ein Lächeln über seine Lippen wandern. Alarmiert weiteten sich ihre Augen. Es war, als wüsste auch sie, dass sie dazu bestimmt waren, Liebende zu werden.

Denn sie würden sich lieben. Heute Nacht oder morgen Nacht – für Rafe war es beschlossene Sache. Er hoffte nur, dass sie nicht zu den Frauen gehörte, die taten, als wären sie schwer zu erobern, weil sie glaubten, dass es sein Interesse nur noch mehr entflammte, wenn er sich anstrengen musste. Aber das stimmte nicht. Denn selbst wenn er es versuchen sollte, sein Interesse an dieser Frau war schon bis zum Äußersten gesteigert.

2. KAPITEL

Alexa kam es vor, als würde Rafaeles Blick sie wie magisch anziehen.

Da war er. Der Moment, auf den sie gewartet hatte. Der Moment, in dem er sie bemerkte, sodass sie einander begegnen und sie sich vorstellen konnte. Obwohl sie das vielleicht gar nicht tun musste, da er sie sicher kannte. Aber es wäre einfach höflich. Sie würde sich vorstellen, dann ein bisschen Small Talk und … und …

„Tuff-tuff … tuff-tuff-tuff!“

„Wie bitte?“ Alexa zwang ihre Aufmerksamkeit zurück zu dem Mann, der vor ihr stand. Er hatte einen Stammbaum, der bis zu Peter dem Großen zurückreichte. „Ich glaube, ich habe Sie nicht richtig verstanden.“

Zumindest hoffte sie das. Aber nein … da ertönte es schon wieder. Ein scheußliches hohes Geräusch, mit dem er den Klang seiner Spielzeugdampfmaschine nachahmte. Sollte Prinz Rafaele ihrem Plan einer vorgetäuschten Verlobung nicht zustimmen, war dieser Ersatzkandidat hiermit aus dem Rennen.

„Darf ich kurz unterbrechen?“ Eine tiefe Stimme neben ihr beendete zum Glück die ausschweifende Beschreibung einer weiteren Dampfmaschine.

In Erwartung, dass die Stimme zu Prinz Rafaele gehörte, stieß Alexa einen tiefen Seufzer aus. Doch die Erleichterung verwandelte sich in Enttäuschung, als sie feststellen musste, dass sie sich geirrt hatte. Sofort wanderte ihr Blick zu der Stelle, wo sie ihn gesehen hatte. Er stand nicht mehr dort.

„Eure Hoheit?“

Autor

Michelle Conder
<p>Schon als Kind waren Bücher Michelle Conders ständige Begleiter, und bereits in ihrer Grundschulzeit begann sie, selbst zu schreiben. Zuerst beschränkte sie sich auf Tagebücher, kleinen Geschichten aus dem Schulalltag, schrieb Anfänge von Büchern und kleine Theaterstücke. Trotzdem hätte sie nie gedacht, dass das Schreiben einmal ihre wahre Berufung werden...
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