Dieses berauschende Verlangen

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Der Blick seiner dunklen Augen war wie eine Liebkosung. Wäre dieser Mann in sie verliebt, würde das sicher sehr aufregend werden. Sein Akzent ist sexy, seine dunklen Augen versprechen sündigen Genuss - dabei ist er ihr Feind! Denn eigentlich soll Riccardo Ochoa, Geschäftspartner ihres Vaters, sie zurück nach New York bringen, wo eine Vernunftehe mit einem ungeliebten Mann auf Morgan wartet. Stattdessen weckt Riccardo in ihr ein nie gekanntes Verlangen. Gemeinsam fliegen sie zu seinem Weingut nach Spanien. Offiziell will Morgan hier über ihre Zukunft nachdenken. Aber inoffiziell will sie etwas, das sie ihr Herz und Riccardo seine Existenz kosten könnte - seine Liebe …


  • Erscheinungstag 02.01.2019
  • Bandnummer 12019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733711917
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Riccardo Ochoa fuhr vor dem Midnight Sins Hotel in Las Vegas vor, stieg aus dem Mietwagen – einem schwarzen Mercedes-Cabrio mit weißen Ledersitzen – und warf dem Mitarbeiter des Parkservice die Schlüssel zu.

„Parken Sie in der Nähe“, wies er den jungen Mann an. „Ich bleibe nicht lange.“

Auf dem Weg zum Eingang wäre er fast mit einer Gruppe Frauen zusammengestoßen. „Guten Tag, meine Damen.“

Sie blieben stehen und musterten ihn mit großen Augen.

Riccardo lebte lange genug in den USA, um zu wissen, dass sein spanischer Akzent amerikanische Frauen faszinierte. Mit seinen dunklen Haaren, dunklen Augen und seinem durch tägliches Training geformten Körper wirkte er auf sie exotisch.

Eine der Frauen trat einen Schritt näher. Sie trug ein rotes Kleid, ihr braunes lockiges Haar war hochgesteckt, der Blick ihrer grünen Augen verführerisch. „Gehen Sie hinein?“

Er lächelte. „Erraten.“

„Vielleicht sollte ich meine Freundinnen stehen lassen und mitkommen?“

Wäre er nicht geschäftlich hier, hätte er das Angebot angenommen. Ein paar Cocktails, etwas Glücksspiel. Vielleicht eine romantische Nacht. Aber das wäre es gewesen.

Eigentlich glaubte er an feste Beziehungen. Seine Cousins Mitch und Alonzo hatten beide geheiratet und waren in ihren Ehen sehr glücklich. Manche Männer waren für die Ehe geboren.

Riccardo hatte es ebenfalls versucht. Aber zwei Tage vor der Hochzeit, die auf dem Weingut der Ochoas im Norden Spaniens stattfinden sollte, hatte seine Verlobte ihn verlassen, um zu ihrem Exfreund zurückzukehren. Das hatte ihm das Herz gebrochen. Nie wieder wollte er eine feste Beziehung eingehen.

Mit der Zeit begann er, die Vorteile des Single-Daseins zu genießen. Wenn man noch dazu reich war, lag einem die Welt zu Füßen. Sein Cousin Mitch hatte das Weinportal „Ochoa Online“ zwar gegründet, aber es war Riccardo gewesen, der die Einnahmen, die Mitchs Webseiten erwirtschafteten, mit großem Erfolg investiert hatte. Sie waren beide Millionäre, und bald würden sie Milliardäre sein.

Aus diesem Grund war er nun auch in Vegas. Morgan Monroe, die Tochter von Colonel Monroe, einer ihrer besten Kunden und Eigentümer von „Morgan Wines“, war bei ihrer Hochzeit davongelaufen. Da Mitch sich in den verlängerten Flitterwochen befand, hatte der Colonel nun Riccardo gebeten, sie nach Hause zurückzubringen – damit sie sich entschuldigte und alles erklärte.

„Tut mir leid.“ Riccardo sah der Frau im roten Kleid in die Augen und küsste ihr die Hand. „Ich bin geschäftlich hier. Vielleicht bei meinem nächsten Besuch.“ Er nickte ihr und ihren Freundinnen zu. „Auf Wiedersehen, die Damen.“

Riccardo betrat die Lobby des Hotels und ging zum Empfangsschalter. „Ich möchte zu Morgan Monroe.“ Seine ehemalige Verlobte Cicely hatte ihn wenigstens schon zwei Tage vor der Hochzeit verlassen. Morgan Monroe dagegen hatte sich mitten in der Kirche, auf dem Weg zum Altar, plötzlich umgedreht und die Flucht ergriffen. Ihr Vater hatte seine Mitarbeiter beauftragt, ihre Kreditkarten zu überwachen, und am nächsten Tag war dieses Hotel auf der Abrechnung erschienen. „Man hat mir gesagt, sie sei Gast hier.“

Der Mann am Empfang sah nicht einmal von seinem Computer auf. „Tut mir leid. Wir geben keine Informationen zu unseren Gästen heraus.“

„Ihr Vater, Colonel Monroe, schickt mich.“ Riccardo ließ den Namen des berühmten Mannes mit Absicht fallen.

Der Empfangsmitarbeiter wurde blass. „Ihr Vater ist Colonel Monroe?“

Riccardo nahm einen Hundert-Dollar-Schein aus der Hosentasche und schob ihn über den blank polierten Tresen. „Genau der. Er hat mich geschickt, um dafür zu sorgen, dass es ihr gut geht.“ Und um sie nach Hause zu bringen. Aber das musste der Mann am Empfang nicht wissen.

Der Mann ließ den Geldschein unauffällig in der Hosentasche verschwinden. „Ich darf Ihnen die Zimmernummer nicht nennen, aber …“ Er winkte Riccardo näher heran. „… ich habe sie vorhin ins Casino gehen sehen. Seit ihrer Ankunft verbringt sie jeden Nachmittag an den Penny-Spielautomaten in der hinteren rechten Ecke des Casinos.“

„Vielen Dank“, sagte Riccardo lächelnd. Dann ging er zur Rampe, die hinunter ins Casino führte. In der Lobby war es ruhig, doch im Casino herrschte ohrenbetäubender Lärm. Das Klingeln und Pfeifen der Spielautomaten mischte sich mit dem Jubel an den Spieltischen. Riccardo atmete tief ein. Er liebte gute Casinos.

Diesmal ging er jedoch an den einarmigen Banditen und den Spieltischen vorbei und direkt zu den Penny-Spielautomaten. Niemand da. An keinem der Automaten wurde gespielt. Suchend schaute er sich um. Am Montagnachmittag war zwar in den Casinos nie viel los, aber dass die ganze Ecke so still war, verwirrte ihn.

„Wenn ihr so wenig Geld verdient, dann sind Aktien nicht das Richtige für euch. Ich kenne mich da aus.“

Riccardo schaute auf.

„Aber mein Cousin Arnie hat dabei eine Menge Geld gemacht.“

„Reines Glück.“ Die Frau seufzte tief. „Der wichtigste Grundsatz ist, Gewinne zu erzielen, ohne dass ihr euer eingesetztes Kapital gefährdet.“

Neugierig ging Riccardo der Stimme nach. Zwei Kellnerinnen, ein älterer Mann in Shorts und einem hawaiianischen Hemd, ein junger Mann in einem Kapuzenshirt und zwei Frauen standen bei einem Spielautomaten in der Ecke und hörten einer schlanken blonden Frau in Jeans und grauen Turnschuhen zu.

„Es ist nicht einmal sicher, dass ihr euren Einsatz zurückbekommt, geschweige denn, dass ihr auch nur einen Dollar gewinnt, gerade mit Aktien einzelner Firmen nicht. Investmentfonds sind schon besser. Sie verringern das Risiko.“

Eine der Kellnerinnen entdeckte Riccardo und deutete mit dem Kopf in seine Richtung. Die Frau, die die anderen in Sachen Aktien beriet, drehte sich um, und Riccardo blieb vor Staunen der Mund offen stehen.

Natürlich trug Morgan Monroe nicht mehr das Brautkleid, in dem sie letzten Samstag aus der Kirche gerannt war. Aber er hatte nicht erwartet, dass Colonel Monroes Tochter in Jeans und Turnschuhen herumlief. Ihr langes blondes Haar fiel locker über ihre Schultern.

Mit großen blauen Augen musterte sie ihn durch die Gläser ihrer übergroßen Schildpattbrille. „Verschwinden Sie“, fuhr sie ihn an.

Darauf war er nicht gefasst. Natürlich hatte er erwartet, dass sie sich wehren würde, wenn er sie in ein Flugzeug setzen und zurück nach Lake Justice zum riesigen Weingut ihres Vaters bringen wollte. Aber was er über Morgan Monroe gelesen hatte, hatte ihn annehmen lassen, sie sei eines jener netten Mädchen, die sich für wohltätige Zwecke engagieren und um streunende Katzen kümmern.

Entweder hatte die Presse sie falsch dargestellt, oder ihr Vater hatte eine wirklich gute PR-Abteilung. Oder: Morgan Monroe war durchgedreht. Da sie bei ihrer Hochzeit mit über achthundert geladenen Gästen auf dem halben Weg zum Altar umgedreht und weggelaufen war, tippte er auf Letzteres.

Wie war es bei Cicely gewesen? Seit Jahren hatte er nicht mehr an sie gedacht, aber jetzt schweiften seine Gedanken ständig zurück zu seiner eigenen geplatzten Hochzeit. Dabei mochte er sich weder an die Erniedrigung erinnern noch an die Tatsache, dass es seine eigene Schuld gewesen war. Sie hatte ihm immer wieder gesagt, dass sie ihren Exfreund nicht vergessen könne. Er dagegen war überzeugt gewesen, er könne sie dazu bringen, ihn zu lieben. Stolz kam vor dem Fall.

Aber Riccardo hatte nicht die Absicht, sich mit Morgan einzulassen. Sie war die Tochter des größten Weinanbieters auf Mitchs Webseite. Er wollte sie nur zu ihrem Vater zurückbringen. Damit half er nicht nur einem seiner besten Kunden, sondern verhinderte, dass der beliebte und weltbekannte Colonel seine eigene Webseite für Wein aufbaute – und zum Konkurrenten wurde.

Morgan ärgerte sich über den Mann, der sie scheinbar verwirrt anstarrte. Sie unterdrückte ein Stöhnen. Er sah gut aus und war offensichtlich reich, wenn man von seinem maßgeschneiderten Hemd und den italienischen Lederschuhen auf seine finanzielle Situation schließen konnte. Wahrscheinlich war er überrascht, dass jemand bei den Penny-Spielautomaten Investment-Ratschläge gab. Also sagte sie: „Hinter Ihnen sind noch viele andere Automaten frei. Wenn Sie eine oder zwei Reihen weitergehen, hören Sie uns auch nicht mehr.“

„Halten Sie hier etwa ein Seminar über den Aktienmarkt ab?“

Eigentlich klang er nicht herablassend. Aber wenn er glaubte, sie ließe ihn diese Leute beleidigen, die ihre Hilfe brauchten, hatte er sich getäuscht. „Das geht Sie nichts an.“

Nun sah er wirklich ärgerlich aus. „Oh doch. Ich suche Sie nämlich, Morgan.“

Ihr Herz zog sich angstvoll zusammen. Sie hatte erwartet, dass ihr Vater nach ihr suchen lassen würde. Aber dieser Mann sah nicht aus wie ein Privatdetektiv. Sie ließ den Blick wieder über seine schwarzen Hosen und das taillierte Hemd wandern. Er hatte die oberen Knöpfe offen gelassen, wodurch seine braun gebrannte Haut zu sehen war. Sicher verbrachte er den Sommer am Mittelmeer, zumindest ließ sein Akzent darauf schließen.

„Sind Sie Privatdetektiv?“

„Nein. Ich bin ein Freund Ihres Vaters.“

Das war nicht gut. Mit einem Privatdetektiv wäre sie spielend fertiggeworden. Aber ein Freund ihres Vaters? Das erforderte Raffinesse. Sie wandte sich an die Gruppe. „Tut mir leid. Es dauert nicht lange. Wartet auf mich. Ich bin gleich wieder da.“

Sie ging zu dem Gesandten ihres Vaters und deutete auf die leicht erhöhte runde Bar in der Mitte des Raumes. „Da oben ist ein Tisch frei.“

Auf dem Weg zur Bar ermahnte sie sich im Stillen: Du bist fünfundzwanzig, gebildet und brauchst dringend Zeit für dich allein. Egal, wie dieser Mann es auch anfangen würde, sie konnte einfach sagen: „Sagen Sie meinem Vater, dass ich ihn liebe und es mir leidtut, dass er so viel Geld für die Hochzeit ausgegeben hat. Aber ich brauche etwas Luft zum Atmen.“

Nein. Das konnte sie nicht tun. Ihr Vater würde vor Wut schäumen, wenn sie diesen – zugegebenermaßen umwerfend aussehenden Mann – ohne eine konkrete Antwort zurückschickte.

Sie wollte gerade ihren Stuhl zurückschieben, als ihr der Freund ihres Vaters zuvorkam. Mit einem höflichen Lächeln erklärte er: „Meine Nanna würde mich erschießen, wenn ich einer Dame nicht behilflich bin.“

Sie nahm Platz. „Ihre Nanna?“

„Meine Großmutter.“ Er setzte sich ihr gegenüber. „Sie lebt in Spanien und mag Männer mit guten Manieren.“

Morgan auch. Und die Stimme dieses Mannes … Wow! Sanft und sexy und mit einem sehr interessanten Akzent.

Aber ihr Vater hatte ihn geschickt. Außerdem war sie gerade vor ihrer eigenen Hochzeit davongelaufen und ganz gewiss noch nicht bereit für einen neuen Mann, wie attraktiv er auch sein mochte. Sie räusperte sich. „Mein Vater hat Sie also geschickt, um mich zu finden.“

„Nein. Er weiß, wo Sie sind. Ich soll Sie nach Hause bringen.“

Mit großen Augen sah sie ihn an. „Er weiß, wo ich bin?“

„Dachten Sie, ich wäre auf gut Glück in dieses Hotel gekommen?“

„Nein.“ Als ehemaliger Außenminister und aktuell sehr erfolgreicher Geschäftsmann besaß ihr Vater unfassbar viel Geld und hatte genügend Verbindungen, um alles herauszufinden, was er wissen wollte. Morgan holte tief Luft, um ihre Gedanken zu ordnen. „Okay, Marco Polo, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Die nächsten zwei Wochen waren eigentlich für die Flitterwochen reserviert. Zwei Tage danach muss mein Vater nach Stockholm, also muss ich vor seiner Abreise zu Hause sein. Das bedeutet aber auch, dass ich die nächsten zwölf Tage nirgendwo sein muss. Ich bleibe hier.“

„Oh nein. Sie haben Ihren Vater mit achthundert Gästen sitzenlassen, die nun in den Hotels der Stadt darauf warten zu erfahren, ob es Ihnen gut geht. Von Ihrem völlig verwirrten Verlobten ganz zu schweigen. Sie müssen zurückkehren!“

Sie erhob sich. „Ich wollte keine achthundert Gäste, sondern Charles. Ich wollte nicht auf dem Weingut heiraten. Das hat mein Vater eingefädelt. Ich durfte nur mein Kleid und den Brautstrauß aussuchen.“ Plötzlich war sie den Tränen nahe. Wieder überkamen sie dieselben Gefühle wie auf dem Weg zum Altar. Der Verrat. Sie war so dumm gewesen, Charles zu vertrauen. Überhaupt jemandem zu vertrauen!

„Entschuldigen Sie mich.“ Schnell drehte sie sich um und ging zu ihren neuen Freunden zurück. Der Fremde sollte sie auf keinen Fall weinen sehen. Verdammt! Sie hob das Kinn. Das alles hatte sie doch schon auf dem Flug nach JFK, während des Aufenthalts am Flughafen, als sie sich andere Kleidung gekauft hatte, und auf dem Weiterflug nach Vegas hinter sich gebracht. Sie war nicht unglücklich darüber, dass sie Charles verlassen hatte. Es war ihr völlig egal, dass sie ihrem Vater das Leben schwer gemacht hatte. Sie hatte beiden immer wieder gesagt, dass sie sich eine kleine Hochzeit wünschte. Keiner hatte ihr zugehört, und schließlich hatte sie aufgegeben. Seit ihrem zwölften Lebensjahr, als ihre Mutter starb und sie auf einmal die Dame des Hauses war, hatte sie sich immer so verhalten.

Damals war sie noch nicht alt genug gewesen und hatte nicht gewusst, was sie zu tun hatte. Deshalb hatte sie immer den Rat ihres Vaters befolgt, es war ihr zur Gewohnheit geworden. Deshalb hatte sie auch nichts bemerkt, als ihr Vater dafür gesorgt hatte, dass sie immer wieder mit Charles zusammentraf. Bei gemeinsamen Abendessen bei ihnen zu Hause oder auf Reisen nach London, Irland oder Monaco, wo Charles ganz zufällig auch war. Er hatte Charles regelrecht zu seinem Schwiegersohn herangezogen.

Tatsächlich schienen sie auch wie füreinander geschaffen zu sein, bis Charles’ Trauzeuge genau dies beim Abendessen nach der Hochzeitsprobe in seiner kleinen Ansprache erwähnte. Selbst ihm war aufgefallen, wie sehr Charles auf seine Rolle als zukünftiger Schwiegersohn vorbereitet wurde. Morgan hätte nur warten müssen, bis ihr Vater mit seiner Arbeit fertig war und Charles perfekt in ihre kleine Familie passte.

Die Gäste hatten gelacht, aber Morgan hatte es einen Stich versetzt. Die kleine Rede, so lustig sie auch gestaltet war, hatte einen allzu wahren Kern.

Als sie Charles nach dem Abendessen zur Rede stellte, sagte er, er habe die Hilfe ihres Vaters gebraucht. Wenn er sie dafür heiraten müsse, wolle er den Preis gern zahlen.

Als sie fassungslos nach Luft schnappte, fügte er schnell hinzu, er habe es nicht so gemeint. Er liebe sie. Sie sei wunderschön, so perfekt, dass es eine Belohnung sei, sie heiraten zu dürfen, kein Opfer. Es tue ihm leid, wenn er sich falsch ausgedrückt habe.

Zunächst hatte sie ihm auch geglaubt. Aber als sie dann in ihrem schönen weißen Kleid ihrem Schicksal entgegenging, hatte sie immer wieder darüber nachdenken müssen. Es war alles Lüge. Ihr ganzes Leben lang hatte ihr Vater über sie bestimmt. Welche Schule sie besuchte, wie sie sich kleidete und wen sie nach Hause einlud. Den Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen würde – den wollte sie sich selbst aussuchen. Bei der Erinnerung an diese Minuten in der Kirche blieb sie stehen und holte tief Luft.

„Alles in Ordnung?“ Mary, die Kellnerin der Nachmittagsschicht, hatte sie beobachtet.

Morgan atmete tief ein und lächelte sie an. „Ja.“ Es ging ihr gut. Charles gehörte der Vergangenheit an. Ihren Vater gab sie noch nicht ganz auf, auch wenn ihre Beziehung gerade problematisch war. Sie brauchte einfach Zeit, um herauszufinden, was sie wirklich wollte. Um einige neue Regeln aufzustellen, was die Beziehung zwischen ihr und ihrem Vater betraf. Erst dann wurde sie nach Lake Justice zurückkehren und mit ihm sprechen.

Und auch kein gut aussehender Spanier mit sexy Stimme würde sie zurückbringen, bevor sie dazu bereit war.

2. KAPITEL

Riccardo blieb an dem Zweiertisch in der Bar sitzen und beobachtete, wie Morgan zu der kleinen Gruppe bei den Spielautomaten zurückging und ihre Freunde beriet. Sie war viel stärker, als er gedacht hatte. Er sollte sie nach Hause bringen, doch er empfand Respekt für sie. Für ihren Widerstand. Auf keinen Fall wollte er sich über sie hinwegsetzen und sie einfach ins Flugzeug schleppen. Sie sollte freiwillig nach Hause kommen und ihrem Ex-Verlobten alles erklären. Cicely hatte wenigstens vor der Hochzeit mit ihm gesprochen. Morgan dagegen war einfach weggelaufen. Sie hatte ihren Verlobten und ihren Vater blamiert und ihre Gäste in Verlegenheit gebracht.

Er zuckte zusammen. Ich muss aufhören, die beiden miteinander zu vergleichen.

Als die kleine Gruppe auseinanderging, sah Riccardo auf seine Uhr. Zwanzig Minuten waren vergangen. Ihr Flug ging in knapp neunzig Minuten, aber es war nicht weit bis zum Flughafen. Sie würde Zeit zum Packen benötigen, aber sie hatte sicher nicht viel bei sich. Sie war in ihrem Brautkleid davongelaufen, hatte sich einen Wagen geschnappt und war binnen kürzester Zeit zum kleinen Flughafen in Lake Justice gerast. Ganz knapp hatte sie noch einen Flug nach New York City erwischt, und so war sie den Leuten ihres Vaters entkommen. Als diese am Flughafen ankamen, war sie bereits in der Luft.

Im Geiste sah Riccardo sie in ihrem Brautkleid im Kennedy-Flughafen ankommen, wo sie sich im erstbesten Shop mit Jeans, T-Shirts und den Turnschuhen versorgt hatte. Er lachte und trank sein Bier aus. In diesen Sachen wollte sie bestimmt nicht nach Hause zurückkehren. Sonst kleidete sie sich sicher eleganter. Diesmal würde er einfühlsamer sein, mehr wie Mitch. Es sei denn, sie nannte ihn wieder Marco Polo. Der war nicht einmal Spanier gewesen.

Morgan saß an einem Spielautomaten in der letzten Reihe und spielte Poker. Riccardo erhob sich, warf ein paar Geldscheine auf den Tisch und ging zu ihr hinüber. Er setzte sich neben sie. „Unser Flug geht in neunzig Minuten. Es ist zwar nicht weit, aber wir müssen durch die Sicherheitskontrolle.“

Ihr Flug geht in neunzig Minuten.“

Unser Flug. Sie kommen mit. Sie sind eine nette Frau und werden Ihrem bestürzten Verlobten erklären, was los war.“

„Ich bezweifle, dass Charles bestürzt ist. Wir hatten am Abend zuvor eine Auseinandersetzung. Er dachte, er hätte meinen Ärger beschwichtigt. Aber ich war verletzt. Er hat mal wieder nicht zugehört, als ich es ihm erklärt habe. Sicher hat er schon einen Zehn-Punkte-Plan, wie wir alles wieder geradebiegen. Dabei weiß er gar nicht, was schiefgelaufen ist. Ich muss erst in zwölf Tagen zurück sein, und diese zwölf Tage gönne ich mir.“

Sie hatte die Hochzeit also nicht ohne Grund platzen lassen. Es hörte sich an, als interessierte sich ihr Ex nicht im Geringsten für diesen Grund. Das war nicht sehr romantisch. Oder einfühlsam. Nicht einmal nett.

Er hasste es, sie unter diesen Umständen nach Hause bringen zu müssen. Bisher kannte er nur ihre Version. Aber er wusste, wie sich ein verlassener und verwirrter Verlobter fühlen musste. Wieder musste er an Cicely denken.

Wenn er Morgan davon überzeugen wollte mitzukommen, sollte er besser herausfinden, was sie zur Flucht veranlasst hatte. Dann würde sie sicher anders über die Heimkehr denken, und Mitch müsste bei der Rückkehr aus seinen Flitterwochen nicht feststellen, dass sein bester Kunde ihn verlassen hatte und nun ein Konkurrent war.

Riccardo stützte sich mit dem Ellenbogen an dem Pokerautomaten ab und musterte Morgan. „Spielen Sie gern Poker?“

Sie warf ihm einen Blick zu. Ihre blauen Augen bildeten einen hübschen Kontrast zu der Schildpattbrille. „Ehrlich gesagt lerne ich gerade erst.“

„Das erklärt, warum Sie die Chance auf einen Straight Flush verpasst haben.“

„Die Chancen dafür stehen sowieso nicht gut.“

„Stimmt. Aber wenn Ihnen der Automat vier aufeinanderfolgende Karten derselben Spielfarbe gibt und Sie an beiden Enden die Möglichkeit haben, steigen Ihre Chancen.“

„Chancen sind Chancen. Mehr nicht.“

„Sind Sie Buchhalterin?“, scherzte er.

Sie sah ihn an. „Ja. Und Wirtschaftsprüferin.“

Riccardo war verblüfft. Dabei hätte er angesichts ihres improvisierten Aktien-Workshops darauf kommen können, dass sie sich mit Geld und Zahlen auskannte. Aber ihr Vater hatte immer nur von ihren wohltätigen Aktivitäten erzählt und dass ein Mädchen aus der Oberschicht einen so praktischen Beruf ergriff, war mehr als ungewöhnlich.

Aber im Casino schien sie nicht gerade zu Hause zu sein. Die Musik aus dem Spielautomaten zeigte an, dass Morgan das Spiel verloren hatte. Sie drückte ein paar Knöpfe, wählte ihren Einsatz und startete das nächste Spiel. Die Karten erschienen auf dem Bildschirm, und sie warf zwei Zweien weg.

Er kniff die Augen zusammen. „Warum tun Sie das?“

„Zwei Zweien bringen nichts.“

„Nein. Aber drei Gleiche oder zwei Paare. Bei zwei Zweien stehen die Chancen gut, eine weitere Zwei zu bekommen oder noch ein Paar. Und bei beiden gibt es Gewinn.“

„Nur Kleingeld. Ich will richtig gewinnen. Nicht bloß weiterspielen.“

Eine merkwürdige Strategie. Er war oft genug in der Spielbank in Monaco und kannte sich aus. Diese Gelegenheit konnte er nutzen, um sich mit Morgan anzufreunden. Vielleicht würde sie ihm dann alles erzählen. Er würde sein Mitgefühl bekunden, und in wenigen Minuten säßen sie in seinem Mietwagen auf dem Weg zum Flughafen.

„Okay. Sehen Sie diese Liste hier?“ Er deutete auf die Reihenfolge der Pokerhände. „Hier steht, welche Hände gewinnen und wie viel.“

„Das weiß ich.“

„Wenn Sie die ganze Zeit nach demselben Muster spielen, erkennt der Automat das und wird es gegen Sie verwenden. Wenn Sie stets auf Nummer sicher gehen, gibt der Automat Ihnen immer die entsprechenden Möglichkeiten. Aber er wird Ihnen nie die erforderlichen Karten geben, damit Sie auch gewinnen.“

„Oh.“ Sie dachte nach. „Ich sollte meine Spielweise also immer wieder ändern?“

„Genau. Aber beim nächsten Mal.“ Da sie sich nun etwas angefreundet hatten, konnten sie im Auto über die Hochzeit sprechen. „Jetzt muss ich Sie nach Hause bringen.“

Sie schaute ihn an. „Können wir nicht noch ein paar Spiele machen? Ich möchte gern probieren, was Sie mir geraten haben.“

Er hatte Gegenwehr erwartet. Aber offenbar hatte sie erkannt, dass sie die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen musste. Sie hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als er sagte, sie müssten gehen. In ihren blauen Augen erkannte er verschiedene Gefühle. Aufrichtigkeit? Bedauern? Oder sogar Angst? Vor dem Gespräch mit ihrem Vater? Er fühlte sich ein wenig schuldig, weil er sie bedrängte. Zumindest konnte er ihr einige Strategien beibringen.

„Na gut. Ein paar Spiele noch.“

Im Nu waren vierzig Minuten vergangen. Die Zeit wurde knapp. „Okay. Das war’s. Wir müssen los.“

Sie ließ sich ihren Gewinn ausschütten. „Achtunddreißig Dollar? Nicht gerade beeindruckend.“

„Die meisten Spieler spielen einfach gern.“

„Ehrlich? Unsere Köchin Martha hat Video-Pokerspiele für eine tragbare Konsole. So vertreibt sie sich die Zeit, wenn sie auf einen Arzttermin warten oder der Brotteig aufgehen muss. Die Konsole und die Spiele gehören ihr. Sie kann jederzeit spielen. Wenn man einfach nur gern spielt, warum nicht das Spiel kaufen? Warum um Geld spielen?“

Er seufzte hörbar. „Verderben Sie mir Vegas nicht!“

„Will ich gar nicht. Ich sage nur, dass Ihre Argumente nicht stimmen.“

„Sie sind ein Verfechter der Logik.“ Ihr Verlobter schien das ebenfalls zu sein. Jeder, der einen Zehn-Punkte-Plan aufstellte, um eine geplatzte Hochzeit geradezubiegen, musste logisch denken. Waren sie deshalb ein Paar? Zwei Menschen, die sich so ähnlich waren, dass es unausweichlich schien, dass sie heirateten?

„Ich halte sehr viel von Logik. Also erklären Sie es mir. Warum gehen Sie wirklich in eine Spielbank?“

Er hob die Schultern. „Wegen der Menschen, der Geräusche und der Aufregung.“ Er lächelte. „Man weiß nie, wen man hier kennenlernt. Sie könnten an einem Blackjack-Tisch neben einem Scheich sitzen und der lädt sie in seinen Palast ein. Oder Sie treffen die Tochter eines Rockstars und dürfen beim nächsten Konzert mit hinter die Bühne.“

„Interessant.“

Sie schaute sich um. An ihrem Blick erkannte er, dass sie das Casino nun in einem anderen Licht sah. Einen kurzen Moment wirkte sie nicht mehr so traurig.

„Ihnen geht es um die Menschen.“

„Ja.“ Dass sie sich entspannte, war gut, doch wenn das Gespräch noch länger dauerte, würden sie den Flug verpassen. „Aber darüber können wir auf dem Weg zum Flughafen sprechen und auch auf dem Flug.“

Sie erhob sich. „Ich muss noch packen.“

„Sie haben fünf Minuten! Das meine ich ernst. Fünf Minuten! Ich hole den Wagen.“ Er ging vor, drehte sich dann aber wieder um. „Ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, warum Sie diese Klamotten mitnehmen wollen. An Ihrer Stelle würde ich sie hierlassen.“

Sie lachte.

Ein merkwürdiges Gefühl ergriff ihn. Selbst mit dieser großen Brille sah sie wunderschön aus. Auch ihre Logik und ihr Lachen gefielen ihm.

Er fühlte sich zu ihr hingezogen. Schnell riss er sich zusammen. Er würde sich nicht in sie verlieben. Sein Herz war durch das Drama mit Cicely abgehärtet. Außerdem hatte er Mitgefühl mit ihrem verlassenen Bräutigam.

Riccardo ging zum Mitarbeiter vom Parkservice. Als der junge Mann den Wagen zurückbrachte, gab er ihm ein großzügiges Trinkgeld, weil es so schnell gegangen war. Er setzte sich hinters Steuer und blickte erwartungsvoll zur Tür. Die fünf Minuten waren bereits herum. Nach weiteren fünf Minuten wurde er nervös. Schließlich schlug er mit der Hand auf das Lenkrad. Morgan hatte ihn ausgetrickst.

Er stieg aus dem Wagen, entschuldigte sich bei dem jungen Mann, dass es noch etwas dauern würde, und rannte in die Lobby in der Hoffnung, Morgan würde gerade auschecken. Aber es war niemand da.

Der Empfangsmitarbeiter kam hinter dem Tresen hervor und erklärte Riccardo: „Ihre Freundin ist abgereist.“

„Abgereist?“

„Sie hat ausgecheckt und das Hotel mit ihrem kleinen Koffer durch einen der Hintereingänge verlassen.“ Er räusperte sich. „Ich hätte sie wahrscheinlich nicht beobachten sollen, aber eine hübsche junge Frau, die einen hässlichen schwarzen Koffer durch das Casino zieht, fällt eben auf.“

Riccardo presste die Fingerspitzen auf die Schläfen. Sie hatte die Zeit mit Spielen vergeudet, ihn dazu gebracht, ihr zu vertrauen, und war dann einfach abgehauen. Sie hat mich reingelegt. Was bin ich doch für ein Idiot! Dabei hatte er sich geschworen, nie wieder einer Frau zu trauen.

Autor

Susan Meier
<p>Susan Meier wuchs als eines von 11 Kindern auf einer kleinen Farm in Pennsylvania auf. Sie genoss es, sich in der Natur aufzuhalten, im Gras zu liegen, in die Wolken zu starren und sich ihren Tagträumen hinzugeben. Dort wurde ihrer Meinung nach auch ihre Liebe zu Geschichten und zum Schreiben...
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