Digital Star ''Romance'' - Sandra Marton

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WIE RETTET MAN EINEN MILLIARDÄR?

Der Millionendeal ist nur noch Stunden entfernt, als Lucas Vieira plötzlich ohne Übersetzerin dasteht! Seine Retterin ist die schöne Caroline Hamilton. Sie ist für den Brasilianer ein Glücksfall, denn aus dem erfolgreichen Abend wird eine berauschende Nacht zu zweit …

EIN ORIENTALISCHER MÄRCHENTRAUM

Bildschön und hochintelligent! Scheich Qasim ist ganz hingerissen von Megan O'Connell und nimmt die erfolgreiche Finanzberaterin kurzerhand mit in seine Heimat. Doch er hat die strengen Traditionen in seinem orientalischen Königreich unterschätzt. Dort hält man seine Traumfrau für käuflich. Er sieht nur einen Weg, Megan und ihren Ruf zu retten: eine Hochzeit!

DIE HOCHZEITSSUITE

In der Arbeitswelt verbirgt die Programmiererin Dana ihre hinreißende Figur lieber unter nüchternen Kostümen. Ihr geht es ausschließlich um den Erfolg des neuen Computerprogramms. Genau wie ihrem Chef, dem faszinierenden Griff McKenna. Oder geht es ihm etwa um mehr? Immerhin küsst er sie heiß und macht ihr einen Vorschlag, der ihr Herz schneller klopfen lässt …

SPIEL DER HERZEN

Sean O'Connell wird aus der geheimnisvollen Savannah nicht schlau. Diese atemberaubende Schönheit strahlt pure Verführung aus und wirkt gleichzeitig so scheu und unschuldig. Es scheint überhaupt nicht zu ihr zu passen, dass sie als Einsatz im Kasino sogar eine gemeinsame Nacht bietet! Dennoch kann Sean diesem verlockenden Spiel einfach nicht widerstehen …

DER KUSS DES SIZILIANERS

Die temperamentvolle Briana O'Connell fasziniert Gianni auf den ersten Blick. Nur für ein kurzes erotisches Intermezzo ist ihm die hübsche Fotografin viel zu schade. Als er erfährt, dass er zusammen mit ihr die Vormundschaft für das Kind gemeinsamer Freunde übernehmen soll, fasst er einen Plan. Allerdings hat Gianni die Rechnung ohne Briana gemacht …

FRÜHLING IN ROM

Niemals könnte Fürst Nicolo sich in ein Model verlieben: Die Schönheiten des Laufstegs sind doch bloß oberflächlich! Auch die hinreißende Caroline wird ihn nicht umstimmen - davon ist Nicolo überzeugt. Obwohl er wie gebannt ist, als sich ihre Blicke auf einer Mode-Gala begegnen. Spontan lädt er sie in seinen Palazzo nach Rom ein …


  • Erscheinungstag 01.07.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733774134
  • Seitenanzahl 768
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Sandra Marton

Digital Star ''Romance'' - Sandra Marton

IMPRESSUM

Wie rettet man einen Milliardär? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
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Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© 2011 by Sandra Myles
Originaltitel: „Not For Sale“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA
Band 344 - 2012 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg
Übersetzung: Sabine Reinemuth

Umschlagsmotive: Andrejs Pidjass, Stanislav Bokach/Thinkstock

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2015 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733742621

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

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1. KAPITEL

Lucas Vieira beherrschte sich nur mit Mühe.

Der Tag hatte schon schlecht begonnen. Doch der bevorstehende Nachmittag versprach eine Katastrophe zu werden. Seine persönliche Assistentin hatte sich heute freigenommen, und die Aushilfssekretärin hatte ihm einen Kaffee serviert, der so schmeckte, als sei ihr das Kaffeewasser angebrannt.

Kopfschüttelnd schob er das Gebräu zur Seite und blickte dann auf das Display seines Handys. Jemand hatte versucht ihn anzurufen. Es war ein Reporter, der schon seit Wochen hinter ihm her war, um ein Interview von ihm zu bekommen. Wer mochte ihm wohl die Geheimnummer verraten haben?

Lucas schützte sein Privatleben so gut es ging. Er vermied jeden Kontakt mit den Medien, reiste ausschließlich im eigenen Jet. Zudem waren sein Penthouse in New York, sein Wochenendhaus am Ozean und seine Privatinsel in der Karibik durch modernste elektronische Anlagen gesichert.

Der geheimnisvolle Lucas Vieira, so nannte ihn die Presse. Öffentliche Auftritte beschränkte Lucas auf ein Minimum, denn ganz kam er als einer der reichsten Männer Amerikas um Kameras und Mikrofone nicht herum.

Ohne den üblichen familiären Hintergrund aufweisen zu können, war er bereits mit dreiunddreißig einer der ganz Großen in der Finanzwelt. An medienwirksamen Auftritten lag ihm nichts, und Interviews gab er ausschließlich, wenn dies dem Wohle seiner Firma diente.

Nach seinem Erfolgsrezept gefragt, hatte er einmal geantwortet: „Ich bin eben besser vorbereitet als andere und daher in der Lage, gewinnbringende Geschäfte für mich zu entscheiden.“ Dass er vorher rücksichtslos jedes Hindernis aus dem Weg räumte, verschwieg er.

Lucas runzelte die Stirn und drehte sich in seinem Sessel. Gedankenverloren kehrte er seinem imposanten Schreibtisch aus Edelholz den Rücken und blickte aus dem Fenster über die Skyline Manhattans.

Wenn er seinem Credo auch in dieser Situation treu bleiben wollte, musste er sich etwas einfallen lassen. Einen Weg gab es immer, er musste ihn nur finden – was ihm in seinem bisherigen Leben auch stets gelungen war.

Von seiner Mutter ausgesetzt, war er als Straßenkind in Rio aufgewachsen. Er hatte in Kartons geschlafen, sich Essensreste aus Mülltonnen geholt und Touristen bestohlen, um nicht zu verhungern. Mit sieben änderte sich sein Leben schlagartig. Zu schwach und fiebrig, um vor einem Polizisten zu fliehen, blieb er einfach sitzen.

Das war sein Glück, denn der Polizist wurde zufällig von einer Sozialarbeiterin begleitet. Diese nahm sich seiner an und sorgte dafür, dass er einen Platz in einem Projekt für Straßenkinder bekam. Von nun an hatte er eine feste Bleibe und ausreichend zu essen.

Dann wurde er in eine Pflegefamilie vermittelt, dann in die nächste, denn er war ein schwieriges Kind. Er war eigenwillig, besaß einen ausgeprägten Freiheitsdrang, und auf körperliche und seelische Gewalt reagierte er mit Verweigerung. Als er achtzehn wurde und keinen Vormund mehr brauchte, hatte er bereits mehr Lebenserfahrung als die meisten in seinem Alter.

Er wusste schon damals genau, was er wollte – respektiert werden.

Und er wusste auch, wie sich dieses Ziel verwirklichen ließ: durch Geld und Macht. So arbeitete er hart, nahm jeden Job an und studierte nebenbei. Er verschaffte sich eine umfassende Allgemeinbildung, gewöhnte sich tadellose Umgangsformen an und kleidete sich stets angemessen und elegant. Er wurde Börsenmakler, arbeitete sich hoch und gründete Vieira Financial. Mit dreiunddreißig hatte er sein Lebensziel verwirklicht.

Fast, denn dieser Tag, der so schlecht angefangen hatte, drohte mit einer Katastrophe zu enden. Lucas sprang auf und schritt unruhig im Zimmer auf und ab.

Elin, Model und seine derzeitige Geliebte, war am Vormittag im Büro gewesen, hatte ihm eine Szene gemacht und ihre Beziehung für beendet erklärt. Das wäre nicht so schlimm gewesen, wäre da heute Abend nicht das Essen mit Leonid Rostow gewesen. Es ging um einen Millionendeal, hinter dem die Konkurrenz ebenso her war wie er selbst.

Lucas jedoch war taktisch geschickter vorgegangen als alle anderen, und Rostow schien sich für ihn entschieden zu haben. Er hatte nämlich Lucas’ Einladung angenommen und flog allein deshalb von Moskau nach New York.

Lucas sprach kein Russisch und Rostow kein Amerikanisch. Beim letzten Treffen in Moskau hatte seine Frau Ilana, die in England studiert hatte, für beide übersetzt. Ilana war eine Schönheit, die ihre klassischen Züge der modernen Chirurgie verdankte, der kein Brillant zu groß und kein Parfüm zu schwer sein konnte – und sie war nymphoman.

Während des Essens in Moskau war sie unter dem Tisch, vor neugierigen Blicken durch das gestärkte weiße Damasttuch hervorragend geschützt, äußerst aktiv gewesen. Auch Rostow hatte nicht bemerkt, dass seine Gattin mit der einen Hand den ganzen Abend zwischen Lucas’ Schenkel zugange gewesen war. Lucas war es heute noch ein Rätsel, wie er das Essen mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck hatte überstehen können.

Wohl auf Ilanas Drängen hin hatte Rostow von Lucas verlangt, zu dem heutigen Termin keinen professionellen Dolmetscher zu engagieren, weil Ilana diese Aufgabe übernehmen wolle, seine Freundin jedoch solle er unbedingt mitbringen.

Lucas hatte nur gelacht, denn er hatte einen Trumpf im Ärmel. Elin Jansson war Finnin und sprach Russisch ebenso fließend wie ihre Muttersprache. So war sie in der Lage, zwei Funktionen gleichzeitig zu erfüllen, ihm zu dolmetschen und ihn vor Ilanas lüsternen Übergriffen zu schützen.

Er stützte die Arme auf die Fensterbank und schloss die Augen. Hätte Elin nicht einen Tag später Schluss machen können? Was sollte er heute Abend nur tun?

„Mr Vieira?“ Zögernd betrat die Aushilfe sein Büro. „Ich habe geklopft, aber Sie haben nicht gehört.“ Ängstlich blickte sie ihn an, als er sich zu ihr umdrehte.

„Was ist, Denise?“

„Ich heiße Elise.“ Sie schluckte. „Mr Rostow hat angerufen. Er und seine Frau werden sich wahrscheinlich etwas verspäten, und ich dachte … Ich meine, wir sollten vielleicht dem Restaurant Bescheid geben, dass sie den Tisch nur für drei Personen decken.“

Das war ja unfassbar! Wusste denn schon die ganze Welt von seinem persönlichen Desaster?

„Habe ich Sie darum gebeten?“, fragte er scharf.

„Nein. Ich dachte nur …“, wiederholte sie noch einmal und schluckte wieder. „Mr Gordon stand gerade bei mir am Computer, als Ms Jansson in Ihr Büro stürmte. Wir konnten sie wirklich nicht aufhalten! Wir mussten alles mit anhören, weil sie die Tür nicht ins Schloss gezogen hatte.“

„Na super! Gehen Sie jetzt an Ihren Schreibtisch zurück. Wenn Sie Ihren Job in meiner Firma behalten wollen, erwähnen Sie diese Privatangelegenheit nie wieder, weder mir noch einem anderen gegenüber. Verstanden?“

Anscheinend hatte Denise, Elise, oder wie immer sie hieß, wirklich begriffen, denn sie senkte den Kopf, schlich sich aus dem Zimmer und schloss lautlos die Tür hinter sich.

Lucas setzte sich wieder an seinen imposanten Schreibtisch aus feinstem Edelholz, stützte das Kinn auf die Hände und ließ die Szene mit Elin noch einmal Revue passieren. Elins Entscheidung, die Beziehung zu beenden, kam ihm nur recht, der Zeitpunkt dagegen hätte ungünstiger nicht ausfallen können.

Würde es heute Abend beim Essen zum Vertragsabschluss mit Rostow kommen, wäre das die Krönung seiner Karriere! Einen Moment lang war er versucht, Elin anzurufen und sie zu bitten, ihn dieses eine Mal noch zu begleiten. Doch so schnell ihm die Idee gekommen war, verwarf er sie auch wieder.

Er ging zur Schrankwand, öffnete das Barfach und schenkte sich einen Whisky ein. Es war immer ein Fehler, Privates und Geschäftliches zu vermischen. Die Quittung dafür hatte er jetzt bekommen.

Wie sollte er innerhalb weniger Stunden eine Frau finden, die schön und klug genug war, um als seine Geliebte durchzugehen, und obendrein perfekt Englisch und Russisch sprach? Das schien in der Kürze der Zeit selbst in New York nicht machbar.

Lucas schreckte aus seinen Gedanken auf, weil jemand die Tür öffnete. Im Zeitlupentempo drehte er sich um.

„Mr Vieira?“ Elise lächelte unsicher, ließ Jack Gordon ins Zimmer treten und zog sich dann hastig wieder zurück.

Lucas hatte Jack vor gut einem Jahr eingestellt, weil er clever war und gute Einfälle hatte. Manchmal fragte Lucas sich jedoch, ob Jack wirklich der loyale Mitarbeiter war, für den er sich stets ausgab. Eisig sah er ihn an.

„Ich hoffe, Sie haben einen guten Grund für diesen Überfall, Jack.“

Jack Gordon erblasste, hielt jedoch Lucas’ Blick stand. „Was ich zu sagen habe, fällt mir nicht leicht.“ Er atmete tief durch. „Ich habe die Sache mit Ms Jansson unfreiwillig miterleben müssen. Außerdem weiß ich, dass sie heute Abend übersetzen sollte, weil Mr Rostov professionelle Dolmetscher ablehnt.“

„Und?“

„Ich kenne eine Frau, die intelligent ist, aussieht, wie ein Model und fließend Russisch spricht. Sie wäre der ideale Ersatz für Ms Jansson.“

Lucas schöpfte für einen Moment Hoffnung – aber auch nur für einen Moment. Der Zwanzig-Milliarden-Dollar-Deal, um den es an diesem Abend ging, war für ihn von größter Bedeutung. Sich bei derart komplizierten Vertragsverhandlungen in einer Sprache, die er nicht verstand, auf einen unbekannten Menschen zu verlassen, wäre der reinste Wahnsinn. „Gut gemeint, Jack, aber vergessen Sie es.“

„Bitte glauben Sie mir, Sir. Ich kenne Dani seit Jahren, sie ist genau die Frau, die Sie suchen.“

„Und wieso würde diese Dani einspringen? Aus reiner Menschenfreundlichkeit?“

„Wir sind Jugendfreunde, sie würde es mir zum Gefallen tun, Mr Vieira.“

Lucas biss die Zähne zusammen. Ein Zwanzig-Milliarden-Dollar-Deal, der von Leonid abhing, der zu viel Wodka trank, und von Ilana, die es nur auf seinen Hosenschlitz abgesehen hatte, und dazu eine Übersetzerin, die für ihn ein unbeschriebenes Blatt war?

Unmöglich.

Doch noch unmöglicher wäre es, sich ein Geschäft dieser Größenordnung entgehen zu lassen.

„Okay. Geben Sie ihr Bescheid.“

„Wirklich?“ Erstaunt zog Jack die Brauen hoch.

„Natürlich. Sie haben es mir doch empfohlen, oder? Sagen Sie dieser Dani, ich hole sie um halb acht ab. Wo wohnt sie?“

„Sie wird direkt ins Hotel kommen“, antwortete Jack hastig.

„Gut, dann um zehn vor acht im Foyer des Palace.“ Sollte diese Dani seinen Ansprüchen nicht genügen, gab ihm das genügend Zeit, ihr eine Aufwandsentschädigung in die Hand zu drücken und sie mit dem nächsten Taxi wieder nach Hause zu schicken. „Sie weiß doch, wie man sich anzieht und sich sicher auf dem gesellschaftlichen Parkett bewegt, oder?“

„Selbstverständlich, Sir.“

„Natürlich werde ich sie bezahlen. Sagen wir, tausend Dollar für den Abend.“

Es sah aus, als müsse Jack ein unfreiwilliges Lächeln unterdrücken, was Lucas irritierte. Fand er als Angestellter es etwa lustig, seinen Boss in der Klemme stecken zu sehen?

„Das klingt gut.“ Jack hatte sich wieder unter Kontrolle. „Viel Glück, Mr Vieira.“ Er streckte den Arm aus.

Lucas zögerte einen Moment. Irgendetwas störte ihn an Jack Gordon. Da er jedoch keine Wahl hatte, schüttelte er die ihm angebotene Hand.

Jack Gordon überprüfte noch einmal, ob er die Tür zu seinem Büro auch wirklich fest zugezogen hatte, und zog dann sein Handy aus der Tasche.

„Dani, Baby, ich habe etwas für dich.“ Schnell erklärte er die Angelegenheit. Dani Sinclair hatte für lange Reden nichts übrig, dafür wurde sie von Männern nämlich nicht bezahlt.

Dani atmete einmal tief durch. „Ich wiederhole, dieser Lucas Vieira ist einer der reichsten Männer der Welt, und du hast mir ein Date mit ihm vermittelt?“

„Ja, allerdings ein ungewöhnliches Date. Du gehst mit ihm, einem russischen Geschäftspartner und dessen Frau essen, gibst dich als seine Freundin aus und übersetzt nebenbei für ihn. Dein Studium ist also doch nicht so unnütz, wie es mir immer scheint.“

„Jack, ich muss an die Zukunft denken, deshalb ist mir mein Universitätsabschluss so wichtig. Was zahlt er?“

„Tausend.“

„Soll das ein Witz sein, oder leidest du an Gedächtnisschwund? Ich nehme zehntausend Dollar den Abend.“

„Baby, wir waren schon als Kinder befreundet.“

„Also gut, fünftausend, weil du es bist, Jack.“

„Fünftausend, nur, um mit jemandem essen zu gehen?“

„Ganz richtig, und wenn er nach dem Essen noch etwas von mir möchte, kommt meine übliche Gebühr dazu.“

„Das musst du ihm selbst erklären, Dani.“

Sie lachte. „Du hast ihm also nicht erzählt, womit ich mein Geld verdiene? Willst du ihn schockieren?“

„Nein.“ Jacks Stimme klang plötzlich schneidend. „Ich möchte ihn mir verpflichten, und das wird mir gelingen, ganz egal, wie der Abend ausgeht.“

„Was für ein ausgesprochen netter Mensch du bist! Wann findet das Essen statt?“

„Heute Abend, zehn vor acht im Foyer des Palace.“

„Heute Abend?“ Dani bemühte sich, nicht bestürzt zu klingen. Sie war nämlich bereits mit ihrem texanischen Ölmillionär verabredet, der sie regelmäßig alle vier Wochen besuchte. Die fünftausend Dollar von Lucas Vieira wolle sie sich trotzdem nicht entgehen lassen. Sie würde schon einen Weg finden.

„Geht in Ordnung“, redete sie schnell weiter. „Also zehn vor acht im Palace.“

Sofort, nachdem Dani das Gespräch beendet hatte, rief sie das Telefonbuch ihres Handys auf und wählte die Nummer von Caroline Hamilton.

„Hi, Caroline! Hier ist Dani, wir kennen uns aus dem Seminar über Tschechow. Mir ist für heute Abend ein Übersetzungsjob angeboten worden, der leider nicht in meinen Terminplan passt. Da habe ich sofort an dich gedacht.“

Caroline runzelte die Stirn. Ach ja, Dani, die wie sie an ihrer Doktorarbeit schrieb. Lange Beine, rassige Figur und stets exklusiv und nach der neuesten Mode gekleidet. Sie hatte mit Dani noch nie privat gesprochen, sondern mit ihr lediglich die Telefonnummern ausgetauscht. Das hatten alle Seminarteilnehmer getan, falls sie einmal Mitschriften austauschen wollten.

„Und was ist das für ein Job?“, erkundigte sie sich vorsichtig.

„Ein etwas ungewöhnlicher. Du sollst während eines Geschäftsessens dolmetschen.“

Essen? Carolines Magen machte sich schmerzhaft bemerkbar. Um Geld zu sparen, hatte sie mittags nur einen Kaffee getrunken.

„Und noch etwas, du sollst dich als die Freundin des Auftraggebers ausgeben – übrigens ein superreicher Börsenmakler.“

„Wie bitte? Was soll denn das Theater?“

„Keine Ahnung. Vieira, so heißt der Typ, wünscht es so.“

„Da ist doch garantiert etwas faul an der Sache! Lieb von dir, dass du an mich gedacht hast, Dani, aber der Job ist nichts für mich.“

„Hundert Dollar.“

„Dani, bitte verstehe …“

„Zweihundert. Du kannst in einem der besten Restaurants New Yorks nach Herzenslust schlemmen und dir anschließend zweihundert Dollar in dein Abendtäschchen stecken.“

„Damit ist die Entscheidung gefallen. Ich besitze kein einziges Stück Garderobe, mit dem ich mich in einem Luxuslokal blicken lassen könnte.“

„Ich trage Kleidergröße achtunddreißig und Schuhgröße neununddreißig. Und du?“

„Ich auch, aber ehrlich …“

„Dreihundert“, unterbrach Dani sie. „Ich packe alles zusammen und bin sofort bei dir. Ich bringe Kleider, Schuhe und Schminke mit. Glaub mir, das wird ein Riesenspaß. Gib mir schnell deine Adresse, wir haben wirklich keine Zeit zu verschenken.“

Caroline dachte an die dreihundert Dollar – und nannte Dani ihre Anschrift.

Zwei Stunden später betrachtete sie sich im Spiegel und erkannte sich nicht wieder.

Die sündhaft teuren Haarpflegemittel, die Dani mitgebracht hatte, ließen ihr Haar in warmen Goldtönen schimmern. Ihre schon von Natur aus ausdrucksvollen braunen Augen wirkten dank des bronzefarbenen Lidschattens noch dunkler und geheimnisvoller, und das Rouge, das perfekt mit der Farbe der Lippen harmonierte, betonte ihre hohen Wangenknochen.

Und erst das Kleid! Es bestand nur aus einem Hauch von schwarzem Chiffon über einem engen Unterkleid aus Satin und endete mehr als eine Handbreite über dem Knie. Der extrem kurze Rock und die hochhackigen Sandaletten aus goldfarbenen Lederriemchen ließen ihre Beine endlos lang erscheinen. Würde sie auf solchen Absätzen überhaupt laufen können?

Sie kam sich selbst fremd vor und bekam Angst. „Dani, ich …“

„Du hast dich vom hässlichen Entlein in einen schönen Schwan gemausert“, fiel Dani ihr ins Wort. „In einer halben Stunde beginnt dein großer Auftritt – und noch etwas, lass den Typen im Glauben, du seist Dani, andernfalls könnte es für den Freund, der mir den Auftrag vermittelt hat, schwierig werden. Abgemacht?“

„Ich soll mich also nicht nur als Freundin dieses Typen ausgeben, sondern auch noch meine Identität verleugnen? Nimm es mir nicht übel, Dani, aber das geht echt zu weit!“

„Fünfhundert, und der Mann heißt Lucas Vieira, präg dir das um Himmels willen ein, Lucas Vieira!“

„Fünfhundert Dollar?“ Caroline schluckte. „Also gut.“

2. KAPITEL

Lucas duschte und zog sich für den Abend um. Zu dem grauen Anzug mit weißem Hemd wählte er eine ausgesprochen modische Krawatte und wirkte so elegant und dennoch lässig gekleidet. Er ging den kurzen Weg zum Hotel zu Fuß, das gab ihm die Gelegenheit, sich zu sammeln und auf die bevorstehenden Verhandlungen zu konzentrieren.

Es machte ihm immer noch zu schaffen, Elin so falsch eingeschätzt zu haben. Allein deshalb steckte er jetzt in der Klemme und musste alles auf eine Karte setzen.

In dem großzügigen und geschmackvoll eingerichteten Foyer des Luxushotels herrschte um diese Zeit reger Betrieb. Deshalb stellte er sich mit dem Rücken vor eine Säule und beobachtete den Eingangsbereich. Doch keine Frau, auf die Jack Gordons Beschreibung passte, trat aus der Drehtür. Nervös blickte er auf die Uhr. Es war fast acht.

Da erschien eine Frau, die keinen Begleiter hatte und Ende zwanzig sein mochte. Doch alle anderen Eigenschaften, die Jack ihm genannt hatte, trafen nicht auf sie zu.

Ihr Haar war nicht braun, sondern schimmerte golden. Die Farbe ihrer Augen konnte er von Weitem nicht erkennen, doch sie waren mandelförmig wie die einer Katze. Ihr Gesicht war oval, die Lippen in einem sanften Rosé geschminkt.

Selbst aus der Ferne faszinierte sie ihn.

Sie war zierlich, ohne zerbrechlich zu wirken. Ihre ausgesprochen weiblichen Rundungen zeichneten sich verführerisch unter dem dünnen, seidigen Stoff ihres kurzen schwarzen Kleides ab, und die extrem hohen Absätze ihrer goldfarbenen Sandaletten ließen ihre ohnehin schon langen Beine geradezu endlos erscheinen.

Wie sie wohl ohne das Kleid, nur in den hohen Schuhen und ihren Dessous aussehen mochte? Lucas schluckte und versuchte, sich wieder auf wichtigere Dinge zu konzentrieren. Da hob sie den Kopf und blickte ihm direkt in die Augen.

Sein Herz schien ein Schlag auszusetzen, und unwillkürlich machte er einen Schritt auf sie zu. In dem Moment wandte sie den Kopf und blickte sich suchend um – der Zauber zerbrach.

Lucas atmete tief durch. Was war nur los mit ihm? Er schien mit den Nerven am Ende zu sein und brauchte dringend Urlaub. Sobald er diesen Deal abgewickelt hatte, würde er sich eine Auszeit in seinem Wochenendhaus auf Long Island gönnen. Eine Woche Einsamkeit, Strand und Meer, und er würde wieder fit für seinen Job und bereit für eine neue Affäre sein.

Er blickte auf die Uhr. Fünf nach acht und keine Dani Sinclair. Ilana Rostow würde also übersetzen und ihre Finger spielen lassen – irgendwie musste er den Abend überstehen. Er biss die Zähne zusammen.

„Entschuldigung.“ Jemand berührte seinen Arm, und Lucas blickte auf.

Die bezaubernde Fremde mit dem honigblonden Haar stand direkt vor ihm. Aus der Nähe betrachtet wirkte sie noch attraktiver. Ihre schräg stehenden Katzenaugen waren braun, wie er jetzt erkannte. Sosehr sie ihn auch erregte, ihrem Outfit und Benehmen nach zu urteilen, schien sie eine Professionelle zu sein, und noch nie im Leben hatte er für Liebe bezahlen müssen. Daran sollte sich auch nichts ändern, vor allem nicht an diesem Abend …

„Ich frage mich, ob Sie …“, sprach sie ihn an.

„Nein danke, ich bin nicht interessiert.“

Sie zuckte zusammen und wurde blass. Also doch kein Call Girl, erkannte Lucas. Er hatte die schöne Unbekannte beleidigt und seine schlechte Laune an ihr ausgelassen. Schnell versuchte er, seinen Fehler wiedergutzumachen.

„Ich würde Sie wirklich gern auf einen Drink einladen“, meinte er. „Leider passt das Timing nicht, denn ich bin mit einem Geschäftspartner zum Essen verabredet.“

Kühl blickte sie ihn an. „Was sind Sie nur für ein Mensch! Ziehen Sie immer so voreilige Schlüsse? Ich bin nicht auf eine Einladung aus, sondern mir geht es wie Ihnen, ich habe einen Termin. Leider habe ich meinen Auftraggeber noch nie gesehen und weiß nicht so recht, wie ich ihn erkennen soll.“

Lucas kniff die Augen zusammen. „Können Sie ihn vielleicht näher beschreiben?“

„Leider nicht, höchstwahrscheinlich handelt es sich um einen Schreibtischmenschen mit Halbglatze und Kugelbauch.“

„Wie war das mit den voreiligen Schlüssen?“ Er lächelte ironisch. „Denn wenn Sie Lucas Vieira suchen, steht er vor Ihnen.“

„O nein!“ Caroline wäre am liebsten im Erdboden versunken.

Er musterte sie von oben bis unten. „Wollen Sie mir wirklich erzählen, dass Sie Dani Sinclair sind?“, fragte er langsam.

Caroline traute sich nicht, ihm in die Augen zu blicken. „Gezwungenermaßen muss ich mit Ja antworten.“

Ich erlebe das alles nicht wirklich, dachte Caroline. Seit dem Telefongespräch mit Dani schien sie in eine andere Welt katapultiert worden zu sein.

Dieser fantastisch aussehende Typ sollte Lucas Vieira sein? Er war ihr sofort aufgefallen – und nicht nur ihr. Fast jedes weibliche Wesen im Foyer hatte sich mehr oder weniger verstohlen nach ihm umgesehen und offensichtlich diejenige beneidet, auf die er so ungeduldig zu warten schien.

Wie konnte ein Mann mit seinem Aussehen und Charisma es nötig haben, eine Frau dafür zu bezahlen, seine Geliebte zu spielen? Es musste an den erforderlichen Russischkenntnissen liegen.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, ihr wurde plötzlich heiß, und sie verspürte ein erregendes Prickeln. Das Gefühl, in eine unwirkliche Welt versetzt zu sein, verstärkte sich.

Es war nicht sie, Caroline Hamilton, die hier in einem aufregenden Modellkleid stand und die bewundernden Blicke dieses außergewöhnlichen Mannes auf sich zog. Von plötzlicher Panik ergriffen, trat sie hastig einen Schritt zurück – und stieß gegen einen anderen Gast. Hätte Lucas Vieira nicht geistesgegenwärtig ihren Arm gegriffen, hätte sie auf den ungewohnt hohen Absätzen bestimmt das Gleichgewicht verloren.

„Vorsicht“, warnte er sie gespielt ernst. „Die Menschen hier gleichen einer außer Kontrolle geratenen Rinderherde, alles, was im Wege steht, wird gnadenlos niedergetrampelt.“

Der Vergleich brachte Caroline unwillkürlich zum Lachen, und Lucas Vieira atmete erleichtert auf.

„Das ist schon besser. Wenn wir beide heute eine überzeugende Vorstellung geben sollen, müssen Sie unbedingt lockerer werden. Ich hatte Sie eigentlich schon vor zwanzig Minuten erwartet, das hätte uns etwas Zeit gegeben, miteinander vertraut zu werden.“

„Ich weiß, aber der Verkehr …“ Sie schluckte und sah ihn an. Sie hatte keine Erfahrung mit reichen und mächtigen Männern wie ihm … eigentlich hatte sie überhaupt keine Erfahrung mit Männern, und Luxusrestaurants hatte sie bisher auch nur von außen gesehen. Sie war für die ihr zugedachte Rolle völlig ungeeignet.

„Mr Vieira, ich habe einen Fehler gemacht, ich bin nicht gut genug, ich …“

„Nur mit der Ruhe, wir schaffen das schon.“

Caroline hörte den Mut der Verzweiflung aus seiner Stimme und wollte plötzlich alles tun, um ihm zu helfen. „Natürlich übersetze ich für Sie, alles, was darüber hinausgeht, muss ich leider ablehnen.“

„Aber genau das ist der springende Punkt!“ Er biss sich auf die Lippe. „Haben Sie etwas dagegen, wenn wir uns duzen, Dani?“

Dani? Caroline schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht.“

„Gut, denn du musst unbedingt den Eindruck vermitteln, meine Vertraute, meine Geliebte zu sein. Jeder muss uns sofort für ein Paar halten. Verstehst du das?“

Caroline runzelte die Stirn, das Denken fiel ihr schwer, denn seine Finger brannten wie Feuer auf ihrer nackten Haut. Natürlich, Lucas Vieira hielt sie ja für Dani, und deshalb sollte ihr Dani auch als Vorbild dienen. Sie musste sich nur vorstellen, wie Dani reagieren würde, und dann genau das Gleiche tun.

Ehe sie sich versah, zog er sie an seine Brust, legte ihr die Hand unter das Kinn und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen. „Dani, verstehst du wirklich, was ich sage?“

„Ja, wir spielen ein Liebespaar. Aber weshalb? Es geht doch um Geschäfte!“

Er zögerte, und erstaunt bemerkte sie, wie sich seine Stirn rötete. Besaß Lucas Vieira etwa Nerven wie jeder Normalsterbliche auch?

„Mein Verhandlungspartner ist verheiratet – mit einer außergewöhnlich besitzergreifenden Frau. Sie nimmt sich, was sie will, egal wo und wie.“ Die Röte in seinem Gesicht vertiefte sich.

„Sie … sie macht sich an Sie heran?“

„Das ist noch milde ausgedrückt. Du sollst ihr Grenzen setzen, Dani.“

„Damit bin ich eindeutig überfordert, Mr Vieira!“

„Lucas, Dani. Lucas!“

„Dann eben Lucas, trotzdem ist der Job nichts für mich!“

Über ihren Kopf hinweg blickte er ins Foyer. „O nein!“ Er hielt ihre Schultern noch fester und beugte sich so weit über sie, dass sein Atem ihre Wange streifte. „Sieh mir in die Augen, Darling, denn du bist meine Geliebte und betest mich an. Die Rostows, mit denen wir verabredet sind, kommen auf uns zu. Das Spiel beginnt.“

„Ich bin nicht Ihre Geliebte, Mr Vieira, und ich möchte auch nicht dafür gehalten werden!“ Caroline hörte selbst, wie schrill ihre Stimme klang, und atmete einmal tief durch, um sich zu beruhigen. „Keine moderne Frau sollte sich dazu hergeben, einem Mann als Spielzeug zu dienen, es ist unwürdig. Ich …“

„Lucas!“

Ein großer, fleischiger Mann schlug Lucas kräftig auf die Schulter. Er hatte kleine Augen, einen großen Mund und lächelte nicht, sondern grinste von einem Ohr zum anderen.

„Leo, schön dich wiederzusehen.“

Leo musterte Caroline von oben bis unten. „Ah, das ist dein Betthäschen?“

„Nein“, widersprach sie, „ich …“

Lucas’ zärtliches Lächeln stand im krassen Widerspruch zu dem eisernen Griff, mit dem er ihre Taille umfasste. „Natürlich ist sie das, Leo. Aber Dani ist eine emanzipierte Frau, die bei einem solchen Ausdruck auf die Barrikaden geht. Habe ich recht, Sweetheart?“

Was veranlasste sie nur, auf sein Spiel einzugehen? Der verzweifelte Unterton, der in seiner Stimme mitschwang, oder der bittende Blick seiner grünen Augen?

„Lucas!“

Leos Frau, die bisher durch die massige Gestalt ihres Mannes verdeckt worden war, trat hinter seinem Rücken hervor, und blitzartig verstand Caroline, was Lucas ihr vorhin hatte mitteilen wollen.

Ilana Rostow war ein Vollweib, langes dichtes Haar, üppige Brüste und mit teurem Schmuck behängt. Der Blick, den sie Lucas unter halb gesenkten Lidern zuwarf, ließ keinen Zweifel aufkommen: Ilana Rostow war eine Tigerin auf Beutefang.

„Lucas, o Lucas, du Süßer! Wie aufregend, dich endlich wieder zu treffen!“

„Ilana, ich möchte dir Dani vorstellen, sie …“

„Hallo“, warf Ilana gelangweilt ein, ohne Lucas aus den Augen zu lassen. Sie kam näher und näher, bis sie ihn mit den Brüsten berührte. „Und jetzt möchte ich meinen Kuss, du weißt doch, wie man sich in Russland begrüßt.“ Sie stellte sich auf die Zehen und legte ihm die Arme um den Nacken.

Lucas trat zurück, doch auch das schreckte Ilana nicht ab.

Nicht mit mir, dachte Caroline wutentbrannt, hob ihren Fuß und trat Ilana mit dem bleistiftspitzen Absatz ihrer Stilettos auf die Zehen.

Ilana schrie vor Schmerz und wich zurück. Caroline blickte sie aus großen, unschuldigen Augen an. „Habe ich Sie etwa aus Versehen getreten? Das tut mir leid.“ Sie drehte Ilana den Rücken zu, legte Lucas die Hände auf die Brust und schmachtete ihn regelrecht an. Er wirkte derart perplex, dass sie am liebsten laut gelacht hätte.

„Lucas, Darling, ich bin von deinen Freunden wirklich überwältigt. Aber wie wäre es mit Essen?“ Sie wiegte sich in den Hüften und schmiegte sich noch enger an ihn. „Ich bin so hungrig!“

Sie beobachtete seine Mine, die nach der anfänglichen Überraschung Freude zeigte, dann jedoch einen geheimnisvollen, dunklen und gefährlichen Ausdruck annahm. Unter ihren Händen spürte sie sein Herz schneller klopfen.

„Und ich erst.“ Dass er dabei nicht ans Essen dachte, musste jedem klar sein.

Caroline schluckte. Wie war es ihm nur gelungen, sie derart zu manipulieren?

„Mr Vieira, ich meine Lucas, das …“

Er lachte nur, neigte den Kopf und verschloss ihr den Mund mit einem Kuss.

3. KAPITEL

Danis Patzer, ihn mit Mr Vieira anzureden, hätte die Schau beinahe schon im Vorfeld platzen lassen. Lucas war Ilanas erstaunter Gesichtsausdruck nicht entgangen.

Nur deshalb, nur um dieser gefährlichen Frau Sand in die Augen zu streuen, zog er Dani in die Arme und küsste sie. Anfangs berührte er ihre Lippen, die sich verführerisch warm und weich anfühlten, nur spielerisch. Überrascht nahm er das Aroma von Pfefferminz wahr, dessen natürlich-unschuldiger Duft so gar nicht zu ihrem raffinierten Kleid und den gewagten Stilettos passte.

Doch noch ehe er sich diese Ungereimtheit erklärt hatte, setzte sein Verstand schlagartig aus, und die Welt schien plötzlich stillzustehen. Strategie und Taktik, Ilana und Leo, das belebte Foyer, die ganze Welt versanken in Bedeutungslosigkeit.

Er spürte nur noch Dani. Er zog sie zu sich heran, bis sich ihre Körper eng aneinanderschmiegten, und verstärkte seinen Kuss, bis sie leise seufzte und die Lippen öffnete. Sie will mich! dachte er, und seine Erregung steigerte sich ins Unermessliche.

In seiner Fantasie sah er Dani vor sich im Bett liegen, ihr goldenes Haar auf seinem Kopfkissen ausgebreitet, ihre Augen dunkel vor Leidenschaft. Auffordernd spreizte sie die Beine und er …

„Himmel!“ Ein feiner, stechender Schmerz in der Lippe ließ Lucas in die Wirklichkeit zurückkehren. Unwillkürlich legte er den Finger auf die schmerzende Stelle. Sein Triumph war von kurzer Dauer gewesen. Dani hatte sich schnell von seiner Überrumpelungstaktik erholt und geistesgegenwärtig zugebissen.

Während Mr Rostow schallend lachte, schien Ilana nicht zu wissen, was sie von der Situation halten sollte. Dani dagegen wirkte wie ein verschrecktes Kaninchen, das jeden Moment die Flucht ergreifen wollte. Das durfte nicht passieren!

Lucas’ harte Jugend hatte ihn geprägt. Geistesgegenwart, Selbstkontrolle und der Wille zu unbedingter Schadensbegrenzung waren ihm zur zweiten Natur geworden. Mit übermenschlicher Anstrengung gelang ihm, gelassen zu bleiben und amüsiert zu lächeln. Er griff Danis Hand und zog sie galant an die Lippen.

„Meine kleine Wildkatze.“ Sein Lächeln wurde sexy und vieldeutig. „Du weißt doch, unsere Spielchen sind nichts für die Öffentlichkeit.“

Es entstand eine kleine Pause. Dann lachte Leo noch einmal, und Ilana seufzte wehmütig.

Die Situation war gerettet. Noch mehr als über diesen Erfolg freute Lucas sich allerdings darüber, Dani eine Lektion erteilt zu haben. Bei seinen Worten war sie feuerrot geworden und völlig aus der Fassung geraten. „Nein“, stammelte sie. „Wir – du und ich – wir können nicht …“

„Genau, Sweetheart, nicht jetzt und nicht hier.“ Er hakte sie ein und blinzelte ihr verschwörerisch zu. Sie schien nicht zu wissen, ob sie vor Scham im Erdboden versinken oder ihm das Gesicht zerkratzen sollte. Er genoss ihre Ratlosigkeit und ging noch einen Schritt weiter. „Deine Belohnung bekommst du erst ganz zum Schluss, das weißt du doch.“

Diese verschlüsselte Botschaft sollte ihr zu denken geben. Wenn sie seine tausend Dollar haben wollte, musste sie die Bedingungen, die ihr Jack Gordon genannt hatte, zu seiner vollsten Zufriedenheit erfüllen.

„Verstehst du mich, Sweetheart?“

Schamgefühl und Hilflosigkeit schienen vergessen, denn Danis Augen blitzen jetzt vor Wut. „Ich verstehe dich genau – Sweetheart.“

Lucas lachte. Danis Kampfgeist gefiel ihm und war erfrischend neu für ihn. Seine bisherigen Geliebten hätten nie gewagt, die Klingen mit ihm zu kreuzen.

Rostow stieß ihm den Ellbogen in die Seite. „Sie hat Temperament, deine Kleine.“

Lucas stimmte ihm zu, doch für ihn besaß Dani mehr als nur Temperament. Sie war geistreich und klug, sah bezaubernd aus, fühlte sich wunderbar an und duftete verführerisch – sie war eine Frau, die sowohl seinen Verstand als auch sein Gefühl ansprach. Nur ihr Name, der keine Rückschlüsse auf das Geschlecht zuließ, passte überhaupt nicht zu ihrer durch und durch femininen Ausstrahlung.

Er blickte auf die Uhr. „Es ist schon spät, wir sollten gleich ins Restaurant gehen und erst einmal etwas trinken.“

„Champagner!“ Begeistert klopfte Leo Lucas den Rücken. „Und dabei werden wir die letzten zwei kleinen Flecken schnell säubern.“

Ehe Lucas noch fragen konnte, was er damit meinte, sprach Dani auch schon auf Russisch mit Leo.

„Für Mr Rostow gibt es noch zwei Unterpunkte im Vertrag, die nicht eindeutig genug ausgedrückt sind“, erklärte sie Lucas unaufgefordert.

Er lächelte. Sein Plan war aufgegangen. Rostow war grundsätzlich bereit, auf den Deal einzugehen, und wollte nur noch etwas an den Formulierungen feilen. Dani hatte ihre Feuerprobe als geschickte Dolmetscherin bestanden. Außerdem mussten ihre roten Wangen, ihre durch die Umarmung etwas in Unordnung geratene Frisur und ihre glänzenden Augen selbst Ilana überzeugen, nicht nur eine kompetente Übersetzerin, sondern auch eine verliebte Frau vor sich zu haben.

Das befürchtete Desaster war abgewandt, und der Abend versprach, der Höhepunkt seiner bisherigen Karriere zu werden. Erleichtert atmete Lucas einmal tief durch und lehnte sich entspannt zurück.

Caroline, die bei Tisch Ilana gegenübersaß, betrachtet deren Gesicht. Die von zu vielen Schönheitsoperationen maskenhaft starren Gesichtszüge der Russin verstärkten das Gefühl der Unwirklichkeit, unter dem sie immer noch litt.

Es war wie im Film. Zwei mächtige Männer der internationalen Finanzwelt, eine schöne Frau mit schillernder Persönlichkeit, die mit dem einen verheiratet war, jedoch den anderen begehrte – und sie, die unbedeutende Caroline Hamilton, als Puffer dazwischen.

Doch bisher hatte sie ihre Aufgabe eigentlich besser gemeistert, als sie zu hoffen gewagt hätte. Lucas in die Lippe zu beißen war natürlich ein Fehler gewesen, der ihr leicht zum Verhängnis hätte werden können. Doch wie hatte es dieser von sich selbst überzogene Lucas Vieira auch nur wagen können, sie derart leidenschaftlich zu küssen und sie obendrein seine Erregung unmissverständlich spüren lassen?

Und dann die Dreistigkeit, ihre Abwehrreaktion als extravagantes Liebesspiel hinzustellen! So wütend sie auf Lucas auch war, musste sie andererseits seine Geistesgegenwart und sein durch nicht zu erschütterndes Selbstbewusstsein bewundern.

Gedankenverloren trank sie einen Schluck Champagner.

Lucas und ihr war es jedenfalls gelungen, Ilana zu überzeugen. Das hatte diese ihr beim Händewaschen anvertraut.

„Zuerst habe ich es nicht für möglich gehalten.“ Ilana sah Caroline im Spiegel an. „Sie sind einfach nicht der Typ, den er als Geliebte bevorzugt.“

„Mag sein, aber ich bin es“, antwortete sie ruhig. „Sonst stünde ich schließlich nicht hier.“

Insgeheim dagegen bewunderte Caroline Ilana Rostow für deren Menschenkenntnis. Denn in der Tat war sie, Caroline, weder Lucas’ Typ, noch passte sie in dieses Restaurant der Schönen und Reichen, unter denen sie bereits etliche aus den Medien bekannte Persönlichkeiten entdeckt hatte.

Alle schienen Lucas zu kennen. Man hatte ihm zugelächelt, die Männer freundlich, die Frauen begehrlich, und ihr selbst hatte so manch neidischer Seitenblick gegolten. Wäre Lucas Vieira wirklich der Mann an ihrer Seite, hätte sie jetzt stolz sein dürfen. Aber es war nur eine Farce, auch wenn Lucas die Rolle des Liebhabers noch so überzeugend spielte.

Die Männer verhandelten zäh über die noch strittigen Formulierungen. Ilana übersetzte für Leo und sie für Lucas, was ihr keinerlei Schwierigkeiten bereitete.

Lediglich wenn er sich mit einer Frage direkt an sie wandte oder sich vorlehnte, um sie besser zu hören, geriet sie etwas aus dem Konzept, denn er kam ihr dabei gefährlich nahe. Sie wusste, sie brauchte sich nur etwas zu bewegen, und schon würde sie die dunklen Bartstoppeln, die sich an seinem Kinn zu zeigen begannen, auf ihrer Wange spüren.

Selbst als die beiden Männer Einigkeit erzielt hatten und zur Feier die zweite Flasche Champagner bestellt wurde, ließ ihre Anspannung nicht nach. Lucas umwarb sie weiterhin nach allen Regeln der Kunst. Er streichelte ihr Haar, nahm zärtlich ihre Hand, legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie an sich – wahrscheinlich aus reiner Gewohnheit, weil er alle seine Begleiterinnen so behandelte.

Trotzdem erschauerte sie unter seinen Berührungen.

„Ist dir kalt, Sweetheart? Soll ich dir mein Jackett umhängen?“

Das Jackett, das seine Körperwärme und seinen Duft ausstrahlte? Nie im Leben!

„Oder rück einfach etwas näher, dann wärme ich dich.“

In seinen dunkelgrünen Augen lag ein Ausdruck, den sie nicht zu deuten vermochte. Versuchte Lucas Vieira, ernsthaft mit ihr flirten?

„Danke, das ist wirklich nicht nötig.“

Er lächelte sie an, ihr Herz setzte einen Schlag aus, und ihr Körper kribbelte bis in die Spitzen ihrer Zehen.

„Dani, ist wirklich alles in Ordnung?“

„Ganz bestimmt.“ Tapfer erwiderte sie sein Lächeln. „Ich bin nur unschlüssig, was ich bestellen soll.“

„Dann lass mich dein Menü zusammenstellen, Darling.“

„Danke, wie lieb von dir.“ Was blieb ihr schon anderes übrig, als auf sein Angebot einzugehen?

Er nahm ihre Hand und küsste sie. „Zwei Mal danke hintereinander! Ich bin ein ausgemachter Glückspilz.“

Die Rostows lächelten verständnisvoll, und das war auch gut so, schließlich galt das ganze Theater allein ihnen. Carolines Kopf schwirrte, und sie wäre am liebsten gegangen, ihren Übersetzungsjob hatte sie erfolgreich beendet, und auch Ilana hatte sie in die Schranken verwiesen. Die schöne Russin unternahm keinen Versuch mehr, sich an Lucas heranzumachen.

Caroline hörte gar nicht zu, als der Ober kam, um die Bestellung aufzunehmen, sondern hing ihren Gedanken nach. Der Deal war perfekt, und zwanzig Milliarden Dollar hatten den Besitzer gewechselt. Zwanzig Milliarden Dollar! Ein solcher Betrag überstieg Carolines Vorstellungsvermögen. Lucas dagegen hatte über die astronomische Summe weniger Aufhebens gemacht als Dani über die versprochenen fünfhundert Dollar.

Dieser Abend war schon eine Erfahrung. Obwohl Caroline wusste, dass alles nur ein Täuschungsmanöver war, fragte sie sich insgeheim immer wieder, wie es wohl sein mochte, Lucas’ wirkliche Geliebte zu sein, mit ihm nach Hause zu gehen, von ihm entkleidet zu werden, seine Hände und Küsse zu spüren, mit ihm ins Bett zu sinken …

Die Vorspeise wurde serviert, und obwohl Caroline den ganzen Tag fast nichts gegessen hatte und hungrig war, brachte sie kaum einen Bissen hinunter. Beim Hauptgericht, so lecker es auch aussah, erging es ihr nicht anders. Ihr Magen schien zu streiken.

„Lucas …“ Gehörte dieses atemlose, dünne Stimmchen wirklich ihr? „Lucas, ich …“

Er blickte ihr in die Augen, nickte verständnisvoll und küsste wieder ihre Hand. „Leo“, unterbrach er dann seinen Geschäftspartner, der gerade einen nicht enden wollenden Witz erzählte: „Dani ist erschöpft, ihr müsst uns leider entschuldigen.“

Obwohl Lucas dabei höflich lächelte, klangen seine Worte kompromisslos und arrogant, auch in Leonid Rostows Ohren. Solche Behandlung war er nicht gewohnt, und seine Stirn rötete sich.

Unbeeindruckt zog Lucas sein Handy aus der Tasche und wies seinen Chauffeur an, vorzufahren. Als Leo anbot, die Rechnung zu bezahlen, winkte er nur ab. „Das geht auf meine Kosten“, meinte er und bestellte noch eine Flasche Champagner.

„Für dich und Ilana, macht euch noch einen schönen Abend.“

Ehe Caroline wusste, wie ihr geschah, zog Lucas sie vom Stuhl hoch, legte ihr den Arm um die Taille und führte sie aus dem Lokal.

„Wirklich alles in Ordnung?“, erkundigte er sich noch einmal.

„Ja.“ Sie schluckte. „Ich bin lediglich etwas abgespannt, der Tag war sehr lang und aufregend für mich.“

Er zog sie noch enger an sich, und Caroline erschauerte.

„Du bist völlig übermüdet und frierst“, stellte er fest, zog sein Jackett aus und hängte es ihr um, ehe sie sich wehren konnte.

Wie sie es befürchtet und doch ersehnt hatte, hüllte es sie in eine Mischung aus Lucas’ Duft und Körperwärme ein, die ihr zu Kopf stieg. „Nein, Lucas, ich …“

„Ich möchte dich wärmen“, widersprach er rau, zog sie am Revers des Jacketts an sich und tat das, was er schon die ganze Zeit hatte tun wollen. Er neigte den Kopf und küsste sie.

„Dani!“, meinte er rau, als er ihr eine Pause zum Durchatmen gab.

Caroline seufzte, stellte sich auf die Zehenspitzen, nahm entschlossen sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn mit brennendem Verlangen.

4. KAPITEL

Lucas half Caroline beim Einsteigen in seine schwarze Limousine. Nachdem er den Fahrer angewiesen hatte, ihn nach Hause zu bringen, schloss er die Trennscheibe und zog das Rollo herunter.

„Komm zu mir“, bat er rau.

Ohne zu zögern, rückte Caroline ganz nah an seine Seite und legte den Kopf zurück, damit er sie besser küssen konnte. Die Dunkelheit, das leise Brummen des Motors und die intime Nähe zu Lucas machten sie ganz benommen. Fast kam es ihr so vor, als träumte sie. Das Erlebnis war so überwältigend, dass Caroline die innere Stimme, die sie vor diesem Mann warnte, einfach ignorierte.

„Das wollte ich schon den ganzen Abend“, sagte er ihr leise ins Ohr, „dich in meine Arme ziehen und küssen. Dani, du hast mich verhext.“

„Lucas, ich …“

„Fühlst du dich bedrängt?“ Er lehnte sich zurück, um ihr in die Augen sehen zu können.

Sie erwiderte seinen Blick und suchte nach Worten. Sie musste ihm erklären, wer sie wirklich war, Caroline und nicht Dani.

„Soll ich aufhören?“, fragte er. „Möchtest du das?“

„Nein.“ Sie schüttelte den Kopf. „Bitte nicht … mach weiter.“

Lucas zog sie wieder an sich und küsste sie mit einer Leidenschaft, die ihr auch den letzten Rest Verstand raubte.

Lucas schien mitten zwischen den Sternen zu wohnen.

Caroline blickte sich in dem Penthouse um. Vor der verglasten Front befanden sich keine Gardinen, das Mondlicht fiel silbern in den Raum, und ein riesiges Dachfenster gab den Blick in den klaren Nachthimmel frei.

Während der Privataufzug sie nach oben gebracht hatte, hatte Lucas ihr Gesicht mit Küssen bedeckt, jetzt hob er Caroline hoch. Er trug sie über die Schwelle seines Schlafzimmers, setzte sie jedoch gleich neben der Tür wieder ab.

Er streichelte ihre Brüste und zeichnete mit dem Daumen die Knospen nach, die sich deutlich durch die dünne Seide ihres Kleides zeigten. Caroline stöhnte vor Lust.

„Dani!“ Er drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand, küsste sie heiß und schob ihren Rock hoch.

Caroline spürte seine Hände auf der Haut, erschauerte und gab sich der Berührung vorbehaltlos hin. Sie hörte, wie Lucas etwas auf Spanisch oder Portugiesisch sagte, das sie nicht verstand. Es interessierte sie auch nicht. Sie wollte weiter nichts, als ihn spüren … ganz nah … ganz tief …

Fieberhaft knöpfte sie sein Hemd auf, während er ihr den Slip abstreifte. Er umfasste ihren Po und drückte sie gegen seine Erektion. Caroline stöhnte.

„Leg die Beine um meine Hüften“, forderte er sie mit vor Erregung dunkler Stimme auf.

Ohne das geringste Zögern kam sie seinem Wunsch nach und hielt den Atem an, als er eine Hand von ihr löste, um den Reißverschluss seiner Hose zu öffnen.

Dann versank alles um sie her, und sie spürte nur noch Lucas, tief, heiß und besitzergreifend. Ein so perfektes Gefühl hatte sie sich in ihren kühnsten Fantasien nicht vorstellen können, nichts, was sie bisher erlebt hatte, reichte auch nur entfernt an diese Erfahrung heran.

„Lucas … Lucas …“

Von ihren Empfindungen völlig überwältigt, schrie sie auf, als sie seinen Höhepunkt spürte. Alles um sie herum drehte sich, sie schien sich von der Erde zu lösen und zu den Sternen zu schweben und sich in der Unendlichkeit aufzulösen – dann wurde es still.

Lucas wusste nicht, wie lange Dani und er reglos verharrten. Sie hatte die Beine immer noch um seine Hüften geschlungen, und er drückte sie fest an sich. Beide waren sie erhitzt und atmeten stoßweise.

Waren Stunden vergangen, Minuten oder lediglich Sekunden? Er, der sich so viel auf seine Finessen im Liebesspiel einbildete, hatte jeglichen Maßstab verloren. Sein Verhalten war rücksichtsloser gewesen als das eines brünstigen Tieres.

An Verhütung hatte er nicht den geringsten Gedanken verschwendet. Es war unfassbar. Selbst mit sechzehn, beim ersten Mal, war er nicht so naiv gewesen, das Risiko von Schwangerschaft und Geschlechtskrankheit einzugehen.

Dani hatte den Kopf gegen seine Brust gelehnt. Wahrscheinlich, um ihn nicht anblicken zu müssen. Verständlich.

„Dani.“ Er küsste zärtlich ihr Haar. „Bitte sieh mich an.“

Sie schüttelte den Kopf. „Bitte … bitte lass mich los.“

Sie klang panisch, und vorsichtig setzte er sie zu Boden. „Sweetheart, ich weiß, ich habe dich überfallen, ich …“

Sie ließ ihn nicht ausreden. „Nein!“ Sie schüttelte den Kopf.

Lucas sah, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. Sie weinte ganz leise, was alles noch schlimmer machte. Er nahm sie liebevoll in die Arme.

„Ich habe dir wehgetan. Ich war zu schnell, zu grob.“

„Nein“, widersprach sie ihm zum zweiten Mal und streichelte seine Wange. „Es ist etwas anderes, ich … ich …“

Er brachte sie zum Schweigen, indem er ihr den Finger auf die Lippen legte, und wiegte sie wie ein kleines Kind, bis er spürte, wie sie langsam ruhiger wurde.

„Alles ist meine Schuld“, tröstete er sie. „Bitte, bitte verzeih mir meine Unbeherrschtheit.“

Caroline lachte brüchig. „Lucas, du verstehst mich nicht.“

Es war zwecklos, es ihm erklären zu wollen. Sie musste mit den Tatsachen allein fertig werden: Sie hatte Sex mit einem Fremden gehabt! Anstatt mit Lucas über Gefühle zu sprechen, wäre es besser, ihre Rolle bis zum bitteren Ende zu spielen. Für ihn war sie Dani Sinclair, und das sollte auch so bleiben, denn ihre Wege würden sich nie wieder kreuzen.

„Ich bin gesund, Sweetheart.“

„Wie bitte?“ Caroline schreckte aus ihren Gedanken auf.

„Ich bin gesund, Dani“, wiederholte er geduldig. „Trotzdem hätte ich ein Kondom benutzen sollen.“

Zu ihrem Ärger errötete sie.

„Und du …“ Lucas zögerte, und sie errötete noch tiefer.

„Keine Angst, ich auch“, antwortete sie schnell. Wie hätte es auch anders sein sollen, wenn sie schon seit über drei Jahren nicht mehr mit einem Mann zusammen gewesen war?

„Das meinte ich nicht. Ich wollte wissen, ob du die Pille nimmst.“

„Ja.“ Dass sie dies auf Anraten ihrer Ärztin tat, die sie wegen ihrer unregelmäßigen Periode behandelte, brauchte sie ihm ja nicht zu erzählen.

„Gut. Sollte trotzdem etwas passiert sein …“

„Es ist garantiert nichts passiert!“ Caroline wusste nicht, ob sie über diese aberwitzige Unterhaltung, die mit ihren eigentlichen Ängsten überhaupt nichts zu tun hatte, lachen oder weinen sollte.

Wie hatte sie nur in eine derart fatale Situation geraten können?

Hier stand sie, Caroline Hamilton, lehnte mit dem Rücken an der Wand, trug nur noch eine Sandalette – die andere war irgendwie abhandengekommen – und der Slip hing ihr zerrissen um den Knöchel. Wie sollte sie sich nur einigermaßen elegant aus der Affäre ziehen? Wäre es überzeugend, ungerührt den zweiten Schuh zu suchen, Lucas kühl zuzunicken und den Raum zu verlassen, als sei nichts Besonderes geschehen?

Ihr fehlte einfach Danis Erfahrung!

„Dani!“

„Nenn mich bitte nicht so!“ Sie schluckte, denn eine Sekunde lang war sie versucht gewesen, ihm die ganze Wahrheit gestehen. „Ich … ich mochte diesen Namen noch nie leiden“, erklärte sie deshalb hastig.

Er lächelte. „Er passt auch überhaupt nicht zu dir, Dani klingt unweiblich und ist viel zu burschikos für dich.“

„Nein. Aber …“ Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie konnte ihm ihre Erschöpfung nicht länger verheimlichen. „Ich muss jetzt gehen.“

„Sweetheart, du weinst, und das meinetwegen.“ Er schloss sie in die Arme. „Mein Verhalten ist unentschuldbar.“

„Nein, ich habe es provoziert.“ Sie streichelte seine Wange. „Ich bin dir einfach in deine Wohnung gefolgt wie eine … eine …“

„Sprich bitte nicht weiter.“ Er wiegte sie wie ein kleines Kind, bis er merkte, wie ihre Anspannung allmählich nachließ. „Wir haben beide nichts zu bereuen, ganz im Gegenteil.“

Er legte ihr die Hand unters Kinn und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. „Für mich war das eben eine ganz neue, eine unglaubliche Erfahrung. Und wenn du nicht ebenso empfunden hast, ist das allein meiner Ungeduld zuzuschreiben.“

Sie errötete. „Auch für mich ist ein kleines Wunder geschehen.“

„Das beruhigt mich.“ Er küsste sie zärtlich. „Trotzdem kann es noch schöner werden, glaub es mir.“ Er schluckte. „Ich möchte dich nackt sehen.“

Lucas’ Stimme klang rau.

„Ich möchte dich ausziehen, dich berühren, dich küssen – überall.“ Sein nächster Kuss war leidenschaftlich und fordernd. „Lass uns den Rest der Nacht nutzen, um uns besser kennenzulernen.“

Carolines Herz klopfte zum Zerspringen. Was sollte sie tun, vor Lucas fliehen oder sich ihm hingeben? Als er ihre Hand nahm und die Innenfläche zärtlich mit den Lippen streifte, war es ihr klar. Sie reckte sich, zog Lucas’ Kopf zu sich herunter und erwiderte den Kuss.

Behutsam begann er, sie zu entkleiden, er nahm sich ganz bewusst Zeit, wie er es von Anfang an hätte tun sollen. Jede Geste, jede Berührung war ein Zeichen seiner Zuneigung. Sanft ließ er die Hände über ihren Körper gleiten und bedeckte Haar und Nacken mit unzähligen Küssen, während er den Reißverschluss ihres Kleides öffnete, um es ihr von den Schultern zu streifen.

Als auch der BH folgte, hielt Caroline den Atem an. Lucas reizte die Knospen ihrer Brüste mit den Daumen, bis sie leise und sehnsuchtsvoll stöhnte. Lucas musste seine ganze Willenskraft aufbieten, um Caroline nicht ein zweites Mal viel zu schnell zu nehmen.

Er dachte an seine Vorsätze, ließ die Hände langsam und beherrscht tiefer kreisen und streichelte die zarte Haut ihres Bauches. Dann erst glitten seine Finger zwischen ihre Schenkel, um Besitz von der empfindlichsten Stelle ihres Körpers zu ergreifen.

Caroline rang nach Atem und versuchte instinktiv, sich der Berührung zu entziehen. Doch Lucas ließ sich nicht abweisen, unbeirrt setzte er das erotische Spiel fort, bis Caroline glaubte, zerfließen zu müssen.

„Lucas, Lucas … Ich …“ Leise schrie sie auf und sank an seine Brust. Triumphierend hob er sie hoch, um sie zum Bett zu tragen.

Durch das Dachfenster ergoss sich Mondlicht über Carolines zierliche Gestalt. Auf Lucas wirkte sie fast überirdisch schön, viel hinreißender, als er es sich schon den ganzen Abend in seiner Fantasie ausgemalt hatte. Ihr auf dem Kissen ausgebreitetes Haar glich gesponnenem Gold.

Caroline war eine wundervolle Frau, und sie gehörte ihm.

Er liebte sie zärtlich und ohne Hast, wie er es ihr versprochen hatte. Er streichelte ihre Brüste, nahm die Brustwarzen zwischen die Lippen, um sofort darauf leidenschaftlich ihren Mund zu küssen.

„Lucas!“

Sie seufzte und bog sich ihm entgegen. Lucas jedoch hielt sich immer noch zurück, so schwer es ihm auch fiel. Erst als sie zum zweiten Mal seinen Namen rief, machte er der süßen Qual ein Ende.

Schnell sprang er aus dem Bett und entledigte sich seiner Kleidung. Als Carolines Augen sich bei seinem Anblick weiteten, nahm er ihre Hand und führte sie zu sich – sich unter ihrer Berührung weiter zu beherrschen, kostete ihn eine fast übermenschliche Kraft.

Zu seinem Glück konnte auch Caroline ihr Begehren nicht länger zügeln, sie zog Lucas an den Schultern zu sich und küsste ihn voller Verlangen. Gemeinsam fanden sie ihren Rhythmus der Liebe, der immer wilder wurde, bis für sie die Welt in einer alles verzehrenden Flamme versank.

Es dauerte lange, bis Lucas die Augen wieder öffnete. Caroline hatte sich neben ihm zusammengerollt wie ein zufriedenes Kätzchen. Fast erwartete er, ein leises Schnurren zu hören. Was konnte sich ein Mann nach der Liebe Schöneres vorstellen?

Er zog ihr die Decke über die Schultern, damit sie nicht fror. „Schlaf“, meinte er und küsste ihre Stirn. Er spürte, wie ihr Atem langsamer und gleichmäßiger wurde, und empfand tiefen Frieden.

Dieses Ende des langen Tages erstaunte Lucas. War er am Morgen noch überzeugt gewesen, für längere Zeit nicht in der Lage zu sein, eine Beziehung einzugehen, lag er am Abend bereits wieder entspannt und glücklich in den Armen einer Frau! Wie war das möglich?

Er war zu müde, um dieser Ungereimtheit weiter auf den Grund zu gehen. Es war bereits halb vier, es blieben ihm also lediglich drei Stunden Schlaf, bis der Wecker klingelte.

„Dani?“, fragte er. „Wäre es dir recht, wenn ich dich in Zukunft Danielle nenne?“

Seine bezaubernde Übersetzerin war jedoch bereits eingeschlafen und blieb ihm die Antwort schuldig.

Sofort nach dem Aufstehen würde er sich nach ihrem vollen Vornamen erkundigen, auch nach ihrer Adresse. Des Weiteren interessierte ihn, was es außer ihm noch für Männer in ihrem Leben gab. Einen Nebenbuhler würde er nicht dulden, das war klar. Andererseits wollte er keine verbindliche Beziehung, wollte sich nicht einengen lassen.

Lucas sah den Widerspruch und ahnte Probleme, doch für heute war er zu müde, um weiter darüber nachzudenken. Morgen war auch noch ein Tag.

Als Lucas drei Stunden später aufwachte, musste er feststellen, dass er sich gewaltig geirrt hatte. Dani Sinclair war spurlos verschwunden.

5. KAPITEL

Caroline öffnete die Augen. Schlagartig hellwach, wusste sie sofort, wo sie sich befand. Wie hätte es auch anders sein können, schließlich war ihr eigenes Bett knapp halb so breit, sie besaß keine seidene Bettwäsche – und sie schlief stets allein.

Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als ihr Blick auf Lucas fiel, der ihr selbst im Schlaf besitzergreifend den Arm um die Taille gelegt hatte. Wie ein Film liefen die Geschehnisse der vergangenen Nacht noch einmal vor ihrem inneren Auge ab: die Küsse im Fahrstuhl, Sex an der Wand und im Bett. Ja, Sex, denn Liebe hatte Lucas mit keinem Wort erwähnt.

Wie hatte sie sich für diesen One-Night-Stand nur hergeben können? Sie verachtete sich für das, was sie getan hatte, es war einfach unentschuldbar, denn Lucas hatte sie noch nicht einmal zu verführen brauchen. Ein Kuss hatte gereicht, und statt Lucas eine Abfuhr zu erteilen, hatte sie sich ihm regelrecht an den Hals geschmissen!

Um sich einigermaßen zu beruhigen, atmete sie erst einige Male tief durch, dann befreite sie sich behutsam aus Lucas’ Umarmung. Einen Moment schien es, als würde er aufwachen, doch glücklicherweise murmelte er lediglich einige unverständliche Worte und rollte sich auf die andere Seite.

Erleichtert schlüpfte Caroline aus dem Bett, suchte ihre Sachen zusammen und zog sich lautlos an. Es dauerte etwas, ehe sie herausgefunden hatte, wie man den Fahrstuhl bedienen musste, und ihre Nervosität stieg. Erst als die Türen lautlos zur Seite glitten, und sie das Foyer betrat, wich ihre Anspannung.

Doch bereits nach zwei Schritten war es um ihre Erleichterung wieder geschehen. Als sie sich in einer verspiegelten Säule erblickte, erstarrte sie. Das durfte nicht wahr sein! Ihr Make-up war verschmiert, ihr Haar fiel ihr unordentlich ins Gesicht, und ihr Kleid war völlig zerknittert. Jeder musste auf den ersten Blick erkennen, was sie die Nacht getrieben hatte.

„Guten Morgen, Miss“, begrüßte sie der Portier in seiner untadeligen blauen Uniform und lächelte ihr vom Tresen aus zu. Anscheinend fand er nichts dabei, morgens eine Frau in zweifelhaftem Zustand aus Lucas’ privatem Lift kommen zu sehen.

Caroline riss sich zusammen, erwiderte den Gruß freundlich und bat ihn, ihr ein Taxi zu bestellen. So, wie sie aussah, traute sie sich nicht auf die Straße. Dem Taxifahrer schien ihr übernächtigtes Aussehen nicht aufzufallen, oder er hielt sie schlichtweg für das, was sie in Wahrheit auch war: ein leichtes Mädchen.

Erst als sie endlich ihre Wohnungstür hinter sich geschlossen hatte, atmete Caroline erleichtert auf. Sie hatte wirklich Glück gehabt, denn weder auf der Straße noch im Treppenhaus war ihr jemand begegnet. Hastig streifte sie Danis Kleid und Schuhe ab und konnte gar nicht schnell genug ins Bad kommen. So viel Duschgel sie auch benutzte und so heiß sie das Wasser auch aufdrehte, sie konnte die Erinnerung an das, was sie getan hatte, nicht abwaschen.

Die vergangenen Stunden ließen sich nicht aus dem Gedächtnis löschen, denn Caroline hatte die erste perfekte Liebesnacht ihres Lebens erlebt. Es gab nur einen Makel, sie, Caroline Hamilton, hatte sich rückhaltlos einem Fremden hingegeben …

Lucas erwachte durch ein leises, vertrautes Geräusch.

Der Fahrstuhl!

Ruckartig setzte er sich auf. Der Platz neben ihm war leer, und lediglich seine eigenen Kleidungsstücke lagen noch vor dem Bett verstreut.

Dani war verschwunden.

Nachdenklich ließ er sich zurück aufs Kissen fallen und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Er sollte froh darüber sein, wie sie sich verhalten hatte, denn es war die eleganteste Lösung. Keine Notwendigkeit, Konversation zu machen, keine Verpflichtung, Kaffee zu kochen, kein peinlicher Abschied.

Er stand auf und ging unter die Dusche.

Obwohl Dani Sinclair zu nichts Nein gesagt hatte, war sie auf anrührende Art schüchtern gewesen. Ob sie wohl jetzt von Gewissensbissen geplagt wurde? Dani war ihm ein Rätsel. Obwohl sie ihm alles gestattet hatte, war ihr Mangel an Erfahrung offensichtlich gewesen.

Eigentlich entsprachen scheue Frauen überhaupt nicht seinem Typ, doch es war ein ganz besonderer Reiz gewesen, Dani in die Geheimnisse der Erotik einzuweihen.

Lucas musste an den Moment denken, als er die zarten Knospen ihrer Brüste liebkost hatte, bis sie sich aufrichteten. Dani hatte leise aufgeschrien und ihn aus großen Augen erstaunt angesehen, als sei das eine völlig neue Erfahrung für sie. Und später, als er die Hand zwischen ihre Schenkel hatte gleiten lassen …

Genug! Energisch stellte Lucas das Wasser von heiß auf kalt. Er konnte sich nicht länger erlauben, an die vergangene Nacht zu denken, dazu standen zu viele wichtige Besprechungen in seinem Terminkalender.

Der Tag ließ sich nicht gut an.

Lucas war kaum in der Lage, der morgendlichen Konferenz mit seinen Abteilungsleitern konzentriert zu folgen. Als Lehre daraus sagte er die Verabredung zum Mittagessen mit einem wichtigen, aber komplizierten Geschäftspartner lieber ab.

Stattdessen blieb er am Schreibtisch sitzen, starrte Löcher in die Luft und brütete über einem Rätsel, das ihm unlösbar schien.

Warum hatte Dani Sinclair die Flucht ergriffen?

Wie konnte eine Frau nach einer solchen Nacht spurlos verschwinden, ohne wenigstens ihre Telefonnummer oder Adresse zu hinterlassen? Nicht, dass er Dani wiedersehen wollte, das würde seinen Seelenfrieden zu sehr gefährden, doch er schuldete ihr noch die tausend Dollar für den Abend mit den Rostows.

So peinlich es auch sein mochte, ihr nach allem, was zwischen ihnen passiert war, Geld zu geben, Dani hatte perfekt gedolmetscht und ihre Rolle gekonnt gespielt. Vertrag war Vertrag, alles, was später geschehen war, blieb unberührt davon.

Davon ganz abgesehen, fühlte er sich durch ihr Verhalten in seinem Stolz verletzt. Frauen servierten einen Lucas Vieira nicht kaltschnäuzig ab, selbst eine Dani Sinclair nicht. Dani. Sie mochte diesen Spitznamen ebenso wenig wie er – wie sie wohl mit vollem Vornamen hieß?

Die Frage war lächerlich, weil sie nichts mit seinem eigentlichen Problem zu tun hatte. Weshalb war Dani spurlos verschwunden, und weshalb musste er ständig an sie denken?

Das Summen der Sprechanlage schreckte ihn aus seinen Gedanken auf. „Mr Vieira? Jack Gordon ist hier und möchte sie sprechen“, meldete sich Elise.

Jack Gordon? Lucas kniff die Lippen zusammen. Sosehr er diesen Mann auch ans Ende der Welt wünschte, er war ihm verpflichtet. Außerdem wusste nur er die Adresse, an die er Danis Scheck schicken konnte.

„Er soll kommen.“

Anzüglich lächelnd betrat Jack den Raum. „Na, wie ist der Abend gelaufen?“, erkundigte er sich. „Dani ist wirklich eine Klasse für sich, oder?“

„Dani war ausgesprochen erfolgreich, ich benötige …“

„Sie ist ein echtes Wahnsinnsweib, scharf und intelligent obendrein. Was will ein Mann mehr?“ Jack lachte.

Lucas, der ihm am liebsten den Hals umgedreht hätte, zwang sich zur Ruhe und lächelte kühl.

„Ich bin heute Morgen sehr beschäftigt, Jack, trotzdem wollte ich mich noch einmal persönlich für die Vermittlung bedanken. Außerdem benötige ich die Adresse von Ms Sinclair.“

„Die Adresse?“ Jack stutzte, lächelte dann jedoch verständnisvoll. „Ah, ich verstehe, der Abend verlangt nach einer Wiederholung.“

Lucas musterte ihn mit undurchdringlicher Miene. „Es hat sich keine passende Gelegenheit ergeben, Ms Sinclair ihr Honorar auszuhändigen.“

Jack zog erstaunt die Brauen hoch. „Welches Honorar?“

„Die tausend Dollar für das Dolmetschen. Außerdem steht ihr ein Bonus zu. Was nimmt sie normalerweise? Ich hätte selbst fragen können, aber …“

„Dani ist eine Professionelle der Spitzenklasse und nicht billig. Sie nimmt zehntausend Dollar den Abend.“

„Wie bitte? Habe ich mich verhört?“

„Ja, sie verlangt astronomische Preise, aber dafür lassen ihre Dienste keine Wünsche offen, das werden Sie ja wohl festgestellt haben.“

Lucas war zumute, als hätte ihn jemand in die Magengrube geboxt. „Keine Übersetzerin verdient zehntausend Dollar den Abend!“

„Übersetzerin?“ Irritiert sah Jack seinen Boss an. „Danis einmalige Qualitäten liegen auf einem anderen Gebiet – wovon Sie sich ja augenscheinlich bereits überzeugt haben.“

Lucas wollte es unumwunden hören. „Jack, womit verdient Dani Sinclair zehntausend Dollar den Abend?“

Auf Jacks Stirn bildeten sich kleine Schweißperlen. „Dani ist … aber das wissen Sie doch … Dani ist ein Callgirl.“

„Ein Callgirl?“

„Ja, sie tut das, was sie für Sie getan hat, für jeden, der es sich leisten kann. Aber sie ist wirklich jeden Cent wert, das müssen Sie doch zugeben.“

Blitzschnell kam Lucas hinter seinem Schreibtisch hervor und versetzte Jack einen Kinnhaken. Jack ging in die Knie und hielt sich die Hand vor den blutenden Mund. Lucas hätte ihn am liebsten am Kragen gepackt und vor die Tür geworfen, beherrschte sich jedoch im letzten Moment.

Dadurch, dass er Jack demütigte, änderte er nichts an den Tatsachen. Dani war eine Prostituierte. Er hatte die Nacht mit einer Frau verbracht, die sich an jeden verkaufte. Lucas sah Rot, und das Blut rauschte ihm in den Ohren.

So verkommen Jack auch sein mochte, war es doch Dani, die seine Wut verdiente.

„Stehen Sie auf!“

„Aber bitte schlagen Sie mich nicht mehr!“

„Stehen Sie endlich auf!“

„Lucas … Mr Vieira, ich weiß, ich hätte Ihnen reinen Wein einschenken sollen! Ich … ich hatte jedoch Angst, Sie würden sonst nicht anbeißen.“

„Sie wollten mir nicht helfen, Mr Gordon, Sie wollten mich lächerlich machen!“

Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, das bewies ihm Jacks Gesichtsausdruck. Er holte eine Packung Papiertaschentücher aus der Schublade und legte sie neben dem Notizblock auf den Schreibtisch. „Schreiben Sie die Adresse auf!“, befahl er. „Und dann holen Sie sich Ihre Papiere und verschwinden. Ich will Sie in meiner Firma nicht mehr sehen.“

„So?“ Jacks Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. „Haben Sie sich das auch richtig überlegt? Wenn ich diese Geschichte an die Presse verkaufe …“

„Tun Sie das, und Sie werden nicht lange genug leben, um sich an dem Geld auch nur einen Tag zu erfreuen.“

„Sie würden nicht wagen, mich …“

Als Lucas nur höhnisch lachte, verstummte Jack. Er hatte das Spiel verloren, das zeigte ihm ein Blick in Lucas’ Augen.

Freitag war für Caroline der schönste Wochentag. Hatte sie während des Semesters lediglich morgens ein Seminar, gehörte ihr während der Ferien der Tag sogar ganz.

Heute jedoch konnte sie ihre Freizeit nicht genießen, ständig verfolgten sie die Erinnerungen an die vergangene Nacht. Um ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben, konzentrierte sie sich auf die Frage, wie sie an ihr Geld kommen sollte – Dani vorher anrufen oder unangemeldet bei ihr erscheinen?

Sie entschied sich für Letzteres, obwohl sie sich nicht sicher war, ob sie die Adresse richtig im Kopf hatte. Als sie das Haus gefunden hatte, wuchsen ihre Zweifel, denn es handelte sich um eine luxuriöse Wohnanlage in einem der elegantesten Viertel New Yorks.

Doch sie hatte sich nicht geirrt, sie fand Danis Namen und klingelte.

„Caroline? Was willst du denn hier?“, fragte Dani und sah sie überrascht an.

Caroline kam sich völlig deplatziert vor. Sie trug Jeans, ein weißes T-Shirt und Turnschuhe, ihre Kommilitonin dagegen ein scharlachrotes Minikleid mit schwarzen Lacklederstiefeln, die bis zum Knie reichten und unglaublich hohe Bleistiftabsätze besaßen. Das dunkelbraune Haar fiel Dani glänzend auf die Schultern, und ein perfektes Make-up ließ ihre Lippen noch verführerischer und ihre Augen noch geheimnisvoller erscheinen.

„Ich …“ Caroline schluckte. „Ich bekomme noch das versprochene Geld von dir.“

„Ah, natürlich. Komm bitte rein, ich habe allerdings nicht viel Zeit, ich bin verabredet.“ Zielstrebig ging sie in das Wohnzimmer der unglaublich geräumigen Wohnung und nahm ihre Handtasche von dem roten Designersofa. „Fünfhundert?“, fragte sie und suchte nach der Geldbörse.

Caroline nickte nur. Sie war immer noch verwirrt, keine der anderen Studentinnen lebte auch nur annähernd so feudal!

„Wahnsinn“, meinte sie und konnte den Blick nicht von einem echten Orientteppich lösen.

Dani drehte sich zu ihr um. „Gefällt es dir hier?“

„Deine Wohnung ist ein Traum.“

„Ein Traum, den auch du dir erfüllen könntest.“

„Ich?“ Caroline lachte. „Ich spiele kein Lotto.“

Dani lächelte. „Das brauchst du auch nicht, du brauchst nur den richtigen Job. Wenn du es ernst meinst, Caroline, wird Geld niemals wieder ein Problem für dich sein. Ich könnte dir beim Einstieg helfen, dich mit den richtigen Leuten bekannt machen, mit dir die passende Garderobe aussuchen.“

Caroline war irritiert. „Bietest du mir eine Chance als Model an?“

Danis Lächeln wandelte sich in helles Lachen. „Model? So könnte man es auch nennen.“

„Danke für dein Angebot, Dani, aber dazu fehlt mir das Talent. Ich …“ Caroline unterbrach sich, weil es an der Tür klingelte.

Dani verdrehte die Augen. „Das ist ja zum Verrücktwerden! Schon wieder Besuch, und ich habe doch gar keine Zeit. Hier!“ Sie drückte Caroline ein Bündel Geldscheine in die Hand. „Nimm das Geld und geh.“

War es überhaupt richtig, Bezahlung für die vergangene Nacht anzunehmen? Für Caroline fühlte es sich plötzlich falsch an. Sie musste schlucken, und ihr Magen zog sich nervös zusammen. „Ich … ich muss unbedingt zur Toilette“, brachte sie mühsam hervor.

„Am Ende des Flurs, links.“ Dani wies ihr mit dem Kopf die Richtung. „Aber beeil dich bitte, ich muss jetzt wirklich los.“

Caroline schloss die Tür hinter sich ab. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Was hatte sie nur getan? Sie hatte alles falsch gemacht, alles. Es war nicht richtig, das Geld anzunehmen, sie musste es zurückgeben, sie …

Litt sie schon unter Wahnvorstellungen?

Sie hörte nämlich eine unverwechselbare, männliche Stimme – die von Lucas Vieira! Ohne lange zu überlegen, öffnete sie Tür und eilte auf den Flur.

„Natürlich bin ich Dani Sinclair!“, sagte Dani gerade, den Kopf herausfordernd in den Nacken gelegt. „Aber wer bitte sind Sie?“

„Lucas Vieira. Nie im Leben sind Sie Dani Sinclair!“

„Dass ich nicht lache! Ich werde wohl wissen, wer ich bin!“

„Lucas?“ Caroline trat entschlossen näher, und er sah auf.

„Dani?“, fragte er.

Sein verstörter Blick sprach Bände, und Dani lachte. „Jetzt verstehe ich! Sie sind der Typ von letzter Nacht und halten Caroline für mich.“

Lucas’ Irritation wich blanker Wut. „Was geht hier vor sich?“

Caroline schluckte. „Ich kann es dir erklären. Ich bin Caroline Hamilton. Eigentlich erhielt Dani den Auftrag, doch sie hatte einen anderen Termin. Deshalb bat sie mich, deine … deine Dolmetscherin zu sein.“

„Nicht nur meine Dolmetscherin.“ Lucas lächelte verzerrt. „Du solltest auch vorgeben, meine Geliebte zu sein, so wie es mit Jack Gordon abgesprochen war.“

„Von einem Jack Gordon habe ich noch nie etwas gehört. Es war Dani, die mir den Job vermittelt hat.“

„Du wusstest also nicht, dass es auch zu deinen Aufgaben gehörte, meine Partnerin zu spielen?“

„Doch, das hat mir Dani gesagt. Deshalb wollte ich den Job auch erst nicht annehmen, aber ich … ich brauche dringend Geld.“

Verächtlich blickte er auf die Geldscheine, die Caroline immer noch in der Hand hielt. „So ist das also!“

Caroline streckte sich stolz. „Ja, so ist das. Fünfhundert Dollar mögen für dich ein Trinkgeld sein, für mich dagegen …“

Lucas fuhr herum und betrachtete Dani mit blitzenden Augen. „Fünfhundert Dollar? Das ist alles, was Sie von dem mit Gordon ausgehandelten Preis an Caroline abgeben?“

„Ich selbst habe bisher von niemandem auch nur einen einzigen Cent erhalten“, erwiderte Dani kühl. „Alles, was mir die Sache bisher eingebracht hat, ist Ärger.“

„Was für ein ausgehandelter Preis? Was hat dieser Jack Gordon damit zu tun? Ich verstehe überhaupt nichts.“ Caroline stellte sich direkt vor Lucas, der offensichtlich außer sich vor Empörung war. „Lucas, für mich sind fünfhundert Dollar ein Vermögen, ich bin auf das Geld dringend angewiesen.“ Ihre Stimme bebte. „Sonst hätte ich einen solchen Auftrag niemals angenommen.“

Verächtlich musterte er sie von Kopf bis Fuß. „So? Es war also etwas völlig Neues für dich?“

Sie verstand ihn nicht. Was wollte er nur von ihr? Mit fragendem Blick sah sie ihn an. „Ja, das war es.“

„Gestern soll dein erster Auftritt gewesen sein? Das soll ich dir glauben?“

Caroline legte den Kopf zurück. „Du tust, als hätte ich etwas Verwerfliches getan. Und was ist mit dir? Du warst es doch, der das Spiel geplant und finanziert hat, nur weil du es gewollt hast, habe ich die Rolle übernommen.“

Lucas presste die Lippen zusammen. Was Caroline ihm vorwarf, entsprach den Tatsachen. Er hatte sie unter anderem dafür bezahlt, seine Geliebte zu spielen. Alles, was nach dem Essen passiert war …

… war lediglich vorgetäuscht gewesen. Mit fremden Männern ins Bett zu gehen, war Carolines Geschäft. Sie war ein Callgirl, eine Prostituierte. Und er hatte wirklich einen Moment lang geglaubt, einer ganz besonderen Frau begegnet zu sein. Was war er nur für ein Idiot!

Er konnte sich kaum beherrschen vor Zorn. Am liebsten hätte er diese Caroline Hamilton kräftig durchgeschüttelt. Doch er wahrte Disziplin, holte betont langsam Kugelschreiber und Scheckbuch aus dem Jackett und füllte zwei Formulare aus. Das Erste reichte er Dani.

Sie blickte erst auf die Summe, dann auf Lucas.

„In voller Höhe bezahlt“, meinte er kühl.

„Ja, Mr Vieira.“ Sie lächelte. „Lucas.“

„Und für Sie, Ms Hamilton“, meinte er ungerührt und hielt Caroline den zweiten Scheck hin.

„Wofür?“, fragte sie verständnislos.

„Es ist das, was ich dir für letzte Nacht schuldig bin.“

„Du bist mir überhaupt nichts schuldig!“ Sie war feuerrot geworden.

„Aber sicher“, belehrte er sie ungeduldig. „Genau tausend Dollar, denn so war es mit Jack Gordon verabredet.“

„Nein.“ Statt den Scheck anzunehmen, verschränkte Caroline die Hände hinter dem Rücken. „Ich will dein Geld nicht.“

„Ein Deal ist ein Deal, ich halte mich an die Bedingungen.“

„Lucas!“ Carolines Stimme bebte. „Was du auch denken magst, ich …“

„Du brauchst das Geld“, unterbrach er sie, „und ich habe letzte Nacht bekommen, was ich brauchte.“

Caroline sah ihn an, als hätte er ihr sie geohrfeigt. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Ihr Anblick rührte sein Herz, und am liebsten hätte er sie in die Arme genommen, getröstet und geküsst.

Doch das wäre ein Fehler gewesen, denn ihre Gefühle waren nicht echt. Caroline war lediglich eine Schauspielerin, wenn auch eine verdammt gute. Einmal hatte sie ihn getäuscht, ein zweites Mal würde ihr das nicht gelingen.

Um ein Ventil für seine Emotionen zu finden, packte er sie an den Schultern, zog sie an sich und küsste sie heftig. Caroline machte sich steif und hob die Hand wie zum Schlag und zögerte einen Moment und überlegte es sich anders. Zärtlich ließ sie die Finger über seine Wange gleiten und öffnete nachgiebig die Lippen.

Lucas fluchte. Er stieß Caroline von sich, warf ihr den Scheck vor die Füße und stürmte aus der Wohnung.

6. KAPITEL

Widerstreitende Gefühle kämpften in Lucas. Die Gedanken an Caroline Hamilton ließen ihn nicht los. Wie ein Grünschnabel war er auf ihre Tricks hereingefallen, hatte sie für eine faszinierende Frau gehalten und mit ihr geschlafen.

In seiner derzeitigen Verfassung ins Büro zu gehen, wusste er, wäre fatal. Im Moment war er kaum in der Lage, logisch zu denken. So fuhr er ins Fitness Studio und trainierte, bis der Schweiß in Strömen floss. Doch seine Laune besserte sich dadurch auch nicht. Er musste ein anderes Mittel wählen.

Er nahm sein Handy und blätterte sein privates Telefonbuch durch. Es waren etliche Nummern von Frauen dabei, die ihn bewunderten und an einer Affäre mit ihm interessiert waren. Er entschied sich für eine kurvige Brünette, verabredete sich mit ihr und bestellte einen Tisch in einem Nobelrestaurant. Es wäre doch gelacht, wenn es ihm nicht gelingen würde, Caroline Hamilton aus seinem Gedächtnis zu streichen.

Doch der Plan ging nicht auf. Lucas war geistig abwesend, gab nur einsilbige Antworten und merkte selbst, was für ein schlechter Gesellschafter er war. Sofort nach dem Espresso entschuldigte er sich mit der Begründung, bereits am frühen Morgen einen wichtigen Termin zu haben.

Der Samstag verlief nicht besser. Wieder Fitness Studio und nachmittags ein Dauerlauf durch den Central Park. Abends stand eine Wohltätigkeitsgala auf dem Programm, die er an der Seite einer aufregenden, langbeinigen Rothaarigen verbrachte. Er begleitete sie bis vor ihre Haustür und verabschiedete sich von ihr – mit einem Händedruck!

So konnte es mit ihm wirklich nicht weitergehen, und so verabredete er sich am Sonntag mit einer bekannten Schauspielerin zum Brunch. Bereits nach einer Viertelstunde stand sie vom Tisch auf.

„Lucas, ich gehe. Du bist mit deinen Gedanken irgendwo, aber nicht bei mir, für dich existiere ich überhaupt nicht.“

Als letztes Mittel blieb ihm sein Wochenendhaus in Marthas Vineyard. Er rief seinen Piloten an und ließ sich dorthin fliegen. Es war ein stürmischer Tag, die Wellen des Atlantiks trugen Schaumkronen und der Strand war menschenleer. Das passt zu meiner Stimmung, dachte Lucas grimmig.

Warum nur konnte er sich Caroline nicht aus dem Kopf schlagen?

Gewiss, sie war der Traum eines jeden Mannes, aber sie war durch und durch verlogen. Obwohl er Caroline für die Art, wie sie ihr Geld verdiente, hasste, kreisten seine Gedanken nur um sie. Keine der Schönheiten, mit denen er sich die letzten Tage getroffen hatte, hatte ihm auch nur die geringste Gefühlsregung entlocken können.

Er wusste genau, würde Caroline hier am Strand vor ihm stehen und sich so willig wie an jenem Abend an ihn schmiegen, würde er ihr auf der Stelle die Kleider vom Leib reißen und sie im Sand lieben.

Lucas fluchte. Doch Carolines Hingabe war nicht echt, die Bereitschaft, die sie in seinen Armen gezeigt hatte, entsprang der hohen Kunst einer Edelnutte.

Caroline war nicht nur eine gute, sie war eine hervorragende, eine überzeugende Schauspielerin. Sie hatte so getan, als wäre er der Erste gewesen, dem sie sich ohne Einschränkungen hingegeben hatte, und er hatte es geglaubt. Er war von ihrer Unerfahrenheit in Liebesdingen überzeugt gewesen.

Wie hatte er sich nur so täuschen können?

Da waren ihm Frauen wie Elin schon lieber. Sie wollten einfach nur Sex mit einem mächtigen und berühmten Mann, um das Aufsehen zu genießen, das sie als seine Auserwählte erregten. Schmuck, Geschenke und am richtigen Ort zur richtigen Zeit gesehen werden, waren ihr Ziel. Diese Frauen waren ihm lieber, denn sie waren wenigstens ehrlich.

Stimmte diese These wirklich?

Die Wolken, eben noch grau, wurden plötzlich fast schwarz, über dem Atlantik zuckten Blitze, und Regen prasselte vom Himmel. Innerhalb von Minuten war Lucas bis auf die Haut durchnässt, und er lief nach Hause, um sich umzuziehen.

Auch dieser Ausflug hatte nichts gebracht, auch hier, fernab von New York, kreisten seine Gedanken ständig um Caroline. Lucas bestellte ein Taxi und ließ sich wieder zum Flugplatz bringen.

Der Montag begann schon besser.

Lucas fühlte sich ruhiger, seine Sekretärin war aus dem Urlaub zurück, und endlich schmeckte der Kaffee wieder wie Kaffee. Jack Gordons Gesicht brauchte er auch nicht mehr zu sehen, ohne Zeugnis und mit einer Abfindung von sechs Monatsgehältern war er endgültig nach Hause geschickt worden.

Etliche Besprechungen standen an, und Lucas war stolz, sich wenigstens zeitweise wieder auf andere Dinge als auf Caroline konzentrieren zu können. Ebenso wie Jack Gordon würde auch sie bald Geschichte sein, davon war er überzeugt.

Nach einem kurzen Mittagsimbiss am Schreibtisch rief er seinen Rechtsanwalt an, um mit ihm noch an einigen Formulierungen in dem Vertrag mit Rostow zu feilen. Mitten im Gespräch hatte Lucas plötzlich eine Einsicht. Was sein Rechtsanwalt zu ihm sagte, drang nicht länger in sein Bewusstsein.

Lucas dachte an Jack Gordon. Der hatte einen Denkzettel erhalten, doch was war mit Caroline? Ihre Lügen waren ungesühnt geblieben. Ihr den Scheck vor die Füße zu werfen, war lediglich eine theatralische Geste gewesen.

Es half nichts, sich etwas vorzumachen. Bevor Carolines Schuld nicht hundertprozentig und unwiderlegbar bewiesen war, würde er sie auch nicht vergessen können.

„Lucas, Mann, hörst du mir überhaupt zu?“, drang die Stimme seines Rechtsanwalts wie durch dicken Nebel zu ihm.

„Ja, es tut mir leid, ich bin zwischendurch abgelenkt worden. Ted, kannst du mir einen Privatdetektiv empfehlen?“

Einige Stunden später besaß Lucas mehr Daten über Caroline, als er ursprünglich beabsichtigt hatte, denn eigentlich war es ihm lediglich um die Adresse gegangen. Caroline war vierundzwanzig und in einer Kleinstadt im Staate New York geboren worden. Sie hatte ein Grundstudium in Französisch absolviert und schrieb gerade an ihrer Doktorarbeit in Slawistik.

In dem Bericht, den ihm der Detektiv gefaxt hatte, stand nichts über Carolines Doppelleben, was Lucas nicht weiter erstaunte. Clever, wie sie war, würde sie nichts davon aktenkundig werden lassen.

Als er die Adresse las, lächelte er bitter. Ihre Wohnung lag in einem angesagten und entsprechend teuren Viertel New Yorks. Viele seiner Freunde und Bekannten wohnten dort in ehemaligen Speichern und alten Fabrikhallen, die mit viel Geld zu hypermodernen Wohnungen umgebaut worden waren.

Für eine Studentin wären die Mieten unerschwinglich gewesen, eine Frau, die dem ältesten Gewerbe der Welt nachging, konnte sich den Luxus locker leisten. Selbst er, Lucas Vieira, mit dem bisher noch jede Frau freudig und freiwillig ins Bett gegangen war, hatte für ihre Dienste bezahlt.

Weil die Straßen New Yorks um diese Zeit stets verstopft waren, verzichtete Lucas auf ein Taxi und machte sich zu Fuß auf den Weg.

Die Straße, in der Caroline wohnte, überraschte ihn. Sie gehörte nämlich zu den wenigen, die noch nicht saniert waren. Die Häuser waren noch das, was sie schon immer gewesen waren: Mietskasernen für die Ärmsten unter den Industriearbeitern.

Die Mülltonnen am Straßenrand quollen über, die Fenster starrten vor Schmutz, und die Wände waren mit Graffiti besprüht. Das heruntergekommene Haus, in dem Caroline wohnte, bildete keine Ausnahme.

Ein Polizeiauto parkte vor dem Eingang.

Ob er wollte oder nicht, Lucas musste an seine Jugend als Straßenkind in Rio denken, und sein Puls beschleunigte sich. Energisch betrat er das Haus, dessen Tür zu seiner Verwunderung offen stand – in diesem sozialen Umfeld bestimmt keine gute Idee.

Im Treppenhaus roch es nach Essen und schlimmeren Dingen. Kurz vor dem Aufgang hing eine Tafel mit den Namen der Bewohner. Caroline war als Hamilton verzeichnet, sehr vernünftig, wie er fand, denn ohne Vornamen konnte keiner ihr Geschlecht erraten.

Lucas stieg die knarrende Treppe hoch, um das Apartment G im dritten Stock zu finden. Es war ihm unbegreiflich, wie eine kultivierte Frau wie Caroline hier leben konnte. Geldmangel wäre die einzig überzeugende Erklärung gewesen, doch das traf in diesem Fall nicht zu. Caroline konnte für ihre Gefälligkeiten Höchstpreise verlangen.

Er runzelte die Stirn. Aber warum hatte sie dann von ihm lediglich tausend Dollar für eine ganze Nacht gefordert? Er war über die gängigen Honorare nicht orientiert, aber die Summe erschien ihm einfach lächerlich.

Im dritten Stock angekommen, blieb er auf dem Absatz stehen. Die Tür zu Carolines Apartment befand sich direkt vor ihm, doch er zögerte. Sein Instinkt für Gefahr hatte in all den Jahren nicht gelitten und warnte ihn. Der Polizeiwagen, die offene Haustür, die unnatürliche Stille …

Lucas stürmte nach vorn, drückte mit der ganzen Hand auf den Klingelknopf und hämmerte dann mit den Fäusten gegen das Türblatt.

„Caroline! Caroline.“

Sie öffnete die Tür, und erschrocken trat er einen Schritt zurück. Caroline war nur ein Schatten ihrer selbst. Sie trug ein billiges Sweatshirt, das Haar hing ihr wirr in die Stirn, ihre Wangen waren erschreckend blass und die Augen rot und verweint.

„Darling! Was um Himmels willen ist passiert?“ Unwillkürlich öffnete er die Arme, und im Nu lag sie an seiner Brust.

„Lucas, o Lucas …“

Wut und Rachegelüste waren vergessen und jeder vernünftige Gedanke wie ausgelöscht. Liebevoll drückte er Caroline an sich, tröstete sie auf Portugiesisch und streichelte ihr beruhigend den Rücken, denn sie zitterte wie Espenlaub.

„Sweetheart, was ist geschehen?“

„Ein Mann … ein Mann …“

„Sir?“ Aus einem Zimmer traten zwei uniformierte Polizisten. „Wer sind Sie, und was wollen Sie hier?“ Der größere der beiden trat auf ihn zu.

„Ich bin Lucas Vieira, ein guter Freund von Ms Hamilton, und möchte sie besuchen“, antwortete er, ohne Caroline loszulassen. „Was geht hier vor?“

„Ein Einbruch über die Feuerleiter.“ Der Beamte trat zur Seite und gab den Blick auf die zerbrochene Scheibe und die Glasscherben auf dem ausgetretenen Linoleum frei.

Lucas sah nur noch rot. „Caroline!“ Er legte ihr die Hände auf die Schultern. „Wer war das?“

„Ein fremder Mann.“

„Hat … hat er dir etwas getan?“

„Nein, er hat mich nicht berührt.“ Sie rang nach Atem. „Ich war im Bad und hörte das Klirren … Ich dachte, die Katze hätte ein Glas umgeworfen, und lief in die Küche … Dann sah ich den Mann durchs Fenster steigen … Ich schrie vor Panik, immer wieder, bis mein Nachbar an die Wand klopfte … Das macht er immer, wenn er meint, ich sei zu laut.“

Caroline verlor die Fassung. Sie schluchzte krampfhaft, legte den Kopf an Lucas’ Schulter und begann, hemmungslos zu weinen.

„Der Eindringling ergriff die Flucht, und Ms Hamilton rief uns an“, beendete der kleinere Polizist den Bericht.

„Die Beamten waren wirklich sofort zur Stelle“, brachte Caroline unter Tränen hervor.

„Vielen Dank“, sagte Lucas, und das war keine Floskel.

„In letzter Zeit wird hier auffallend häufig eingebrochen. Es scheint sich immer um denselben Täter zu handeln, ich wünschte, wir hätten ihn geschnappt.“

Lucas nickte. „Haben Sie noch Fragen an Ms Hamilton?“

„Im Moment nicht, aber vielleicht später.“

Lucas ließ Caroline los, holte eine Visitenkarte aus dem Jackett und schrieb seine Privatnummer auf die Rückseite. „Hier können Sie Ms Hamilton erreichen.“

„Lucas! Ich …“, wollte Caroline widersprechen, doch er ließ sie nicht zu Wort kommen.

„Noch einmal herzlichen Dank.“ Lucas schüttelte beiden Beamten die Hand und schloss die Tür erst, als sie im Treppenhaus verschwunden waren.

Er blieb einen Moment stehen und atmete tief durch. Caroline würde ihm nicht freiwillig folgen, das war ihm klar, und er sah eine harte Auseinandersetzung auf sich zukommen. An seiner Verachtung für sie hatte sich nichts geändert, doch kein Mann von Ehre konnte eine Frau in einer derartigen Situation allein lassen – das jedenfalls redete er sich ein.

„Nimm nur das Allernotwendigste mit, mein Fahrer wird den Rest später holen“, befahl er.

„Lucas, du hast mich nicht ausreden lassen. Ich komme nicht mit, ich bleibe hier.“

„Das verbietet allein schon die Vernunft, du kannst unmöglich allein in der ungesicherten Wohnung bleiben, der Typ kann jeden Moment zurückkehren.“

Aufsässig sah Caroline ihn an. „Sollte ich mich entschließen, Schutz zu suchen, werde ich mich an Freunde wenden“, antwortete sie schließlich steif.

„Zum Beispiel an Jack Gordon?“

„Nein, denn diesen Herrn kenne ich nicht, das habe ich dir bereits gesagt.“

„Oder an Dani Sinclair?“

Carolines Augen blitzten. „Dani zählt nicht zu meinen Freunden! Wir sitzen an der Uni im selben Seminar, das ist alles.“

Und verdient euer Geld auf dieselbe Weise, dachte Lucas bitter. Aber das Thema würde er zu einem anderen Zeitpunkt anschneiden.

„An wen willst du dich wenden, Caroline?“

„Tschüss, Lucas, geh und kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten.“

„Vor wenigen Minuten warst du noch ganz anderer Meinung.“

„Vor wenigen Minuten war ich völlig durch den Wind. Ich hatte den ganzen Tag niemanden außer einem Einbrecher und zwei Polizisten gesehen und hätte mich selbst Quasimodo an den Hals geworfen, wäre er zur Tür hereingekommen.“

„Was für ein Kompliment für mich, Sweetheart.“

Caroline verschränkte die Arme. „Also dann tschüss“, wiederholte sie entschlossen.

Er lächelte unbeeindruckt. „Du kommst mit mir, Caroline, ich lasse dir keine Wahl. Ich bin stärker als du und würde dich notfalls gewaltsam aus dem Haus tragen. Überleg es dir gut, ob du nicht lieber freiwillig und auf eigenen Füßen die Treppe hinuntergehen möchtest.“

„Also gut, der Klügere gibt nach.“ Herausfordernd sah sie ihn an. „Aber ich bleibe nur eine Nacht, bilde dir bloß nicht ein, ich hätte Interesse an … an …“

„An was?“ Er nahm sie wieder in die Arme. „Daran?“

Lucas küsste sie so lange, bis sie ihren Widerstand aufgab und seine Zärtlichkeiten erwiderte.

„Au!“ Erschrocken fuhr Lucas herum. Eine Katze von der Größe eines Cockerspaniels hing ihm an der Wade.

Caroline lachte. „O je, das ist Oliver!“ Sie bückte sich und nahm ihren Kater auf den Arm. Das große, knochige und abgrundtief hässliche Tier blickte Lucas aus bernsteinfarbenen, bösartig funkelnden Augen an. „Ich habe ihn halb verhungert von der Straße aufgelesen, und jetzt gehört er mir“, erklärte sie stolz.

Oliver begann zu schnurren und rieb seinen Kopf an Carolines Kinn. „Armer kleiner Liebling“, meinte sie. „Du bist ja völlig verschreckt.“

„Verschreckt? Er hat bestimmt Tollwut.“ Lucas zog das Hosenbein hoch und untersuchte seine Wade. „Die Haut ist heil geblieben, was für ein Glück. Dieses Tier ist eine hinterhältige Bestie.“

Sie drückte den Kater fester an sich. „Nein, er hat Angst vor Menschen, nur vor mir nicht, weil ich ihn vor dem Verhungern gerettet habe. Er liebt mich und wollte mir helfen, weil er dachte, du tust mir weh.“

Lucas verdrehte die Augen. „Wie ich die Sache sehe, weigerst du dich, ihn hier allein zurückzulassen.“ Er zog sein Handy hervor. „Einer meiner Freunde ist Vorsitzender im Tierschutzverein, er kann uns bestimmt sofort einen Heimplatz vermitteln.“

Carolines Augen wurden schmal. „Oliver kommt weder in einen Käfig noch in ein Tierheim, wo er wahrscheinlich sowieso nur getötet wird. Oliver bleibt bei mir.“

„Caroline sei vernünftig, eine Katze …“

„Du hast gehört, was ich gesagt habe. Entweder wir kommen beide mit oder bleiben beide hier.“

„Caroline …“

„Wieso bist du überhaupt hierhergekommen?“ Sie reckte sich kampfeslustig. „Unser Zusammentreffen bei Dani hat meinen Bedarf an deiner Gesellschaft für den Rest meines Lebens gedeckt.“

„Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun“, behauptete er.

„Und ob! Dort hast du mich wie ein Stück Dreck behandelt, und hier spielst du dich als der strahlende Ritter auf, der seine Angebetete vor dem Drachen retten will.“

„Mag sein, dass ich in Danis Wohnung einfach überreagiert habe.“ Vielleicht stimmte das wirklich, denn es war ja nicht Carolines Schuld, wenn Jack Gordon ihm ihren eigentlichen Beruf verschwiegen hatte. Dass Caroline außerdem eine erstklassige Dolmetscherin war, stand außer Zweifel.

„Also gut“, lenkte er ein. „Ich habe es satt, noch länger Zeit zu verschwenden. Pack deine Sachen, und die Katze nehmen wir mit.“

„Okay, aber ich kann nicht gleichzeitig packen und Oliver halten.“ Sie drückte ihm den Kater in den Arm. „Halte du ihn solange.“

Lucas sah Oliver an, und ein drohend knurrender Oliver sah Lucas an. Lucas fühlte sich veranlasst, einen letzten, wenn auch verzweifelten Versuch zu unternehmen. „Ich glaube, Haustiere sind in meiner Wohnanlage nicht erlaubt.“

Caroline lachte spöttisch. „Und das aus dem Mund von Lucas Vieira! Du bist doch der Letzte, der sich um Vorschriften kümmert. Wenn es dir einfiele, würdest du dir eine Boa Constrictor halten, ohne dich um Verbote zu scheren.“

Natürlich hatte sie ihn durchschaut. Sein Problem war ein ganz anderes. Er verstand einfach nicht, weshalb Menschen sich Haustiere hielten. Wieso hängten sie ihr Herz an ein Lebewesen, das irgendwann sterben würde, wenn es nicht schon vorher weglief? Haustiere kosteten Geld und viel Zeit, seiner Meinung nach eine Verschwendung, weil sie keine Gegenleistung erbrachten.

Unter den gegebenen Umständen war es jedoch sinnlos, mit Caroline darüber zu diskutieren. Außerdem war er ihr keine Rechenschaft über seine Ansichten schuldig.

„Beeil dich!“, befahl er barsch.

Caroline warf den Kopf in den Nacken und ging in ihr Schlafzimmer.

Mit der einen Hand versuchte Lucas, den immer noch knurrenden Oliver in Schach zu halten, mit der anderen bediente er das Handy, um seinem Fahrer mitzuteilen, wann und wo er ihn abholen sollte.

Gerade hatte er das Gespräch beendet, als Caroline wieder erschien, eine vollgestopfte Reisetasche in der Hand – und eine Topfpflanze unter dem Arm.

„Es ist ein Farnkraut“, erklärte sie, bevor Lucas auch nur den Mund öffnen konnte. „Und ja, auch das habe ich auf der Straße gefunden. Ich nehme es mit, weil es viel Pflege braucht.“

Lucas enthielt sich eines Kommentars. Seiner Meinung nach war die Biotonne der einzig passende Ort für das welke Gebilde.

Stolz ging Caroline an Lucas vorbei und brachte es trotz des Gepäcks fertig, die Tür allein zu öffnen.

„Du wirst es nicht verstehen.“ Sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu. „Aber ich kann nichts und niemanden leiden sehen.“

Lucas folgte ihr, den sich wie wild gebärdenden Oliver im Arm. Gleichzeitig fragte er sich, ob diese Lebensmaxime wohl auch für ihn galt.

7. KAPITEL

Caroline saß neben Lucas auf der Rückbank der Limousine. Das Farnkraut hatte sie auf den Boden gestellt, Oliver hielt sie auf dem Schoß.

„Wir müssen unbedingt noch in einen Supermarkt oder ein Zoogeschäft“, meinte sie plötzlich. „Oliver benötigt noch etliche Dinge.“

Lucas schloss die Augen. Alles, was Oliver brauchte, war seiner Meinung nach ein Platz im Tierheim. Da er es jedoch für zwecklos hielt, mit Caroline darüber zu streiten, nickte er schicksalsergeben und wies seinen Fahrer entsprechend an.

Als das Auto auf dem Parkplatz eines großen Drogeriemarkts hielt, wollte Caroline den Kater Lucas in den Arm legen. „Hier, nimm ihn. Ich beeile mich auch.“ Wieder gab Oliver diesen eigenartig kehlig und drohend klingenden Laut von sich.

„Lass nur, ich gehe schon.“ Im Nu war Lucas ausgestiegen. „Sag mir nur, was du brauchst.“

Lucas konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal einen Supermarkt betreten hatte, wenn er einkaufen ging, dann nur in gediegene Läden der Luxusklasse. Sich das, was er benötigte, selbst zusammenzusuchen und anschließend auch noch an der Kasse Schlange zu stehen, waren Dinge, die er schon lange nicht mehr gewohnt war.

Als er sich – mit zwei Katzentoiletten, diversen Dosen und einem Sack Trockenfutter schwer beladen – dem Auto näherte, stieg der Chauffeur sofort aus, um ihm zu helfen, die Einkäufe im Kofferraum zu verstauen.

Caroline, die ihn schon von Weitem hatte kommen sehen, drehte ihr Fenster runter. „Und wo ist das Katzenstreu?“

Katzenstreu!

Lucas sah aus, als wolle er jeden Moment explodieren, und der Fahrer hüstelte diskret. „Soll ich gehen, Sir?“

Doch Lucas marschierte bereits wieder Richtung Supermarkt. Diesmal wusste er wenigstens, in welchem Gang er Streu fand, an der Kasse allerdings musste er noch länger warten als beim ersten Mal, was seine Laune nicht verbesserte.

Zurück im Auto, atmete er erst einmal tief durch. Es lag ihm auf der Zunge, Caroline zu fragen, ob er am nächsten Delikatessenladen anhalten und ihrem Liebling auch noch Kaviar kaufen sollte, entschied sich jedoch dagegen. Wahrscheinlich würde sie lediglich erfreut nicken.

Einige Stunden später stand Lucas in seinem Wohnzimmer und beobachtete, wie im Central Park die Lampen angingen. Wie hatte ihm das nur passieren können? Anstatt wie beabsichtigt mit einer Lügnerin abzurechnen, hatte er sich in eine absolut peinliche Lage manövriert.

Nicht nur seine durchgestylte und mit allem nur erdenklichen Komfort eingerichtete Zwölfzimmerwohnung schien durcheinandergeraten zu sein, sondern sein ganzes Leben.

Alle Türen mussten plötzlich offen gelassen werden, weil Oliver es nicht gewohnt war, im Zimmer eingesperrt zu werden. Zudem stand nun mitten in seinem Luxusbad, zwischen Chrom, Marmor und Edelhölzern, eine Katzentoilette aus rotem Plastik. In Carolines Zimmer befand sich ein zweites dieser hässlichen Teile und wurde in seiner Schäbigkeit nur von dem vertrockneten Farn auf dem Fensterbrett übertrumpft.

In der Küche, auf den speziell für ihn entworfenen italienischen Fliesen, standen zwei seiner teuersten, handbemalten japanischen Teeschalen. In einer befand sich Wasser, in der anderen eine übel riechende Masse, die im krassen Gegensatz zu den verführerischen Versprechungen auf dem bunten Dosenetikett stand.

„Teeschalen?“, hatte er lediglich gefragt, als er die beiden edlen Stücke auf dem Fußboden sah.

„Ja, du hast nämlich vergessen, Näpfe zu kaufen.“

Die Antwort, sie habe unterlassen, ihn damit zu beauftragen, verkniff er sich lieber. Fasziniert beobachtete er, wie zärtlich Carolines feingliedrigen Hände Olivers struppiges Fell streichelten. Doch statt die Liebkosung zu genießen, machte sich der Kater gierig über die Schale mit dem abscheulichen Inhalt her. Wie konnte ein Tier nur so dumm sein?

„Wo soll ich schlafen?“, fragte sie unvermittelt.

Lucas schluckte. Wie gern hätte er Caroline sein Schlafzimmer angeboten und sie am liebsten auch gleich eigenhändig ins Bett gebracht! Aber das kam nicht infrage, Caroline hatte ihn belogen und führte ihn an der Nase herum. Sie schien an der Armutsgrenze zu leben, was als mildernder Umstand gelten mochte. Außerdem besaß sie ein gutes Herz, denn sie hatte einer verhungernden Katze und einer halb verdorrten Pflanze, an denen höchstwahrscheinlich schon Hunderte von New Yorkern achtlos vorbeigegangen waren, ihre Liebe und Fürsorge geschenkt.

Doch das änderte nichts an den Tatsachen. Caroline verkaufte sich an Männer. Eine solche Frau konnte er nicht achten – aber dazu zwang ihn ja auch keiner.

Lucas verließ den Platz am Fenster und ging stattdessen ruhelos im Zimmer auf und ab. Nach einer ganzen Weile blickte er irritiert auf, weil es blendend hell war. Wie er entdecken musste, hatte er sämtliche Lampen eingeschaltet, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Wo sollte das bloß noch mit ihm enden? Er fluchte leise, ging in die Bibliothek und zog die Tür hinter sich zu. Er ließ sich in seinen Lesesessel fallen, genoss die Dunkelheit und starrte vor sich hin.

Schon immer ehrlich zu sich selbst, rechnete er schonungslos mit sich ab. Es führte kein Weg darum herum, verantwortlich für seine missliche Lage war allein er selbst.

Nur weil er sie ausdrücklich darum gebeten hatte, war Caroline in sein Leben getreten. Aus durchaus eigennützigen Gründen hatte er sie beauftragt, beim Essen mit den Rostows eine bestimmte Rolle zu spielen. Auch befand sich Caroline nur deshalb in seinem Penthouse, weil er darauf beharrt hatte. Doch welcher Mann hätte eine Frau in einer ungesicherten Wohnung zurückgelassen? Der Einbrecher hätte jederzeit wieder zurückkehren können.

Und nur ein Unmensch hätte es über sich gebracht, hart mit einer Frau ins Gericht zu gehen, die außer sich vor Angst war. Mit einer Frau, die Schutz und Trost in seinen Armen gesucht hatte.

Er hatte sich korrekt verhalten, er hatte das Richtige getan. Trotzdem ließ er sich die Kontrolle über sein Leben nicht aus der Hand nehmen. Er lehnte es strikt ab, sich länger in Angelegenheiten verwickeln zu lassen, die ihm gegen den Strich gingen.

Caroline musste aus seiner Wohnung und damit aus seinem Leben verschwinden. Er kannte genug Makler, ein Anruf, und das Problem war gelöst. Doch ob sie sich eine bessere Wohnung leisten konnte?

Lucas, für mich sind fünfhundert Dollar ein Vermögen, ich bin auf das Geld dringend angewiesen. Sonst hätte ich einen solchen Auftrag niemals angenommen, ich habe nämlich etwas Derartiges noch nie getan.

Er hatte ihre Worte noch genau im Ohr. Sie hatten überzeugend geklungen, doch entsprachen sie der Wahrheit?

Lucas lächelte grimmig. Was ging ihn das überhaupt an? Für ihre Finanzen war Caroline selbst verantwortlich. Als Kompromiss würde er für einige Monate … für ein ganzes Jahr … die Miete übernehmen.

Und wenn er sich damit lächerlich machte? Dann tat er das eben. Dem Selbstbewusstsein eines Lucas Vieira konnte eine solche Lappalie nichts anhaben.

Er knipste die Schreibtischlampe an, blätterte in der Lederkladde mit wichtigen Telefonnummern und rief einen Makler an, mit dem er schon häufig Geschäfte gemacht hatte. Es war zwar schon spät am Abend, aber das war ihm egal. Jeden zu jeder Zeit unbehelligt stören zu dürfen, gehörte zu den Privilegien eines reichen und mächtigen Mannes.

Das Gespräch war kurz. Er suchte ein Apartment für eine gute alte Bekannte, so um die fünfzig. Ruhige Lage, Aufzug, Portier und Alarmanlage. Mietkosten spielten in dem Fall keine Rolle.

Er stellte das Telefon zurück auf die Station und atmete erleichtert auf. Caroline würde er von der Wohnung nichts erzählen, bevor der Mietvertrag nicht unterschrieben war. Warum sollte er sie beunruhigen?

Die Zeit schleppte sich nur so dahin.

Sosehr Lucas auch hoffte, dass sich auf der oberen Etage etwas regte, es blieb still. Eine faszinierende Frau wohnte bei ihm, trotzdem fühlte er sich allein. Eigentlich war er natürlich erleichtert, dass Caroline seine Privatsphäre respektierte …

… trotzdem könnte sie sich ja wenigstens mal bei ihm melden. Was war zum Beispiel mit Essen? Er hatte nachmittags lediglich eine Tasse Kaffee getrunken und sein Magen knurrte. Auch Caroline musste doch mittlerweile Hunger verspüren.

Ob sie auf ein Zeichen von ihm wartete? Sollte er bei ihr klopfen und sie bitten, mit ihm in der Küche eine Kleinigkeit zu essen? Sie konnten natürlich auch ausgehen, vielleicht in sein Lieblingsrestaurant an der Ecke, das Elin nie gemocht hatte, weil sie es nicht elegant genug fand und man hier keine Prominenz traf.

Caroline würde die anheimelnde Atmosphäre, die blanken Holztische und der Kerzenschein bestimmt gefallen. Sie würde ihm gegenübersitzen und sich allein auf ihn konzentrieren, so wie sie es beim Essen mit den Rostows getan hatte. Lucas schnaubte verächtlich. Caroline machte eben alles, aber auch alles, worum ein Mann sie bat.

Der Beweis dafür war ihr Verhalten beim ersten Treffen. Vom Foyer ins Restaurant, vom Restaurant in den Fahrstuhl, vom Fahrstuhl an die Wand, von der Wand ins Bett – kein Problem für Caroline Hamilton.

Über sich selbst entsetzt, schlug sich Lucas vor die Stirn. Wann würde es ihm endlich gelingen, den Teufelskreis seiner Gedanken zu durchbrechen? Solange er keine anständige Mahlzeit im Bauch hatte, bestimmt nicht.

Seine Haushälterin hatte heute ihren freien Tag gehabt und deshalb nichts vorbereitet, doch das war kein Problem. In der wohlgefüllten Gefrierkombination befand sich alles, was man brauchte, um auf die Schnelle etwas Leckeres auf den Tisch zu zaubern.

Ohne sich die Mühe zu machen, die Küchenbeleuchtung einzuschalten, ging er zum Kühlschrank. Vor dem Kochen erst einmal ein kühles Bier. Er öffnete die Tür und nahm sich eine Flasche – um gleich darauf zu fühlen, wie sie seinen Fingern entglitt, weil er plötzlich stolperte. Olivers Attacke hatte ihn völlig unvorbereitet getroffen: Lautlos war er aus der Dunkelheit aufgetaucht und ihm von hinten gegen die Beine gerannt.

Das Glas zerschellte auf den Fliesen, und das aufgeschäumte Bier ergoss sich über Lucas’ Hose und Schuhe, spritzte an die Kühlschranktür und bis an die makellos weiße Wand.

Katze und Mensch starrten sich an. Es war schwer zu sagen, wer von beiden den größeren Schreck bekommen hatte, doch Lucas fasste sich auf alle Fälle schneller. Drohend hob er die Faust.

„Du Bestie! Ich habe genug, es reicht mir, endgültig!“

„Was ist denn hier los?“

Das Licht ging an, und Caroline stand im Türrahmen. Ihre Frisur war auf der einen Seite ganz platt gedrückt. Sie trug immer noch den unförmigen Jogginganzug und blinzelte ihn aus müden Augen an.

Sie hatte also die ganze Zeit seelenruhig geschlafen, stellte Lucas aufgebracht fest.

Und wie sah sie überhaupt aus? Sie glich nicht länger einem verführerischen Model auf dem Titelbild eines Modemagazins, sie war unattraktiv angezogen und hätte sich dringend zurechtmachen müssen.

Weshalb verspürte er dann das kaum zu beherrschende Verlangen, sie in die Arme zu ziehen und bis zur Bewusstlosigkeit zu küssen?

Caroline erblickte die Scherben und das vergossene Bier. „Oh! Hat Oliver …?“ Sie schluckte. „Lucas, es ist wirklich nicht seine Schuld. Er ist total verängstigt, er …“

„Oliver, Oliver, Oliver! Ist er denn das einzige Lebewesen, das dir etwas bedeutet?“, schrie er sie wütend an.

Caroline wurde aschfahl im Gesicht, und aus ihren Augen sprach Angst. Doch es war ihm egal, denn auch er hatte Angst. Angst, dass er verrückt wurde und dass sich sein wohlgeordnetes Leben in Chaos auflöste.

„Erzähl mir bitte, was geschehen ist.“ Sie sprach zu ihm wie zu einem verstörten Kind, das es zu beruhigen galt.

„Das kann ich dir genau sagen!“ Glas knirschte unter seinen Schuhsohlen, als er auf sie zuging. „Ich habe dich engagiert, damit du für mich dolmetschst, und du … du hast …“

„Ich habe was?“, fragte sie verständnislos.

„Du hast … du hast …“ Er wusste nicht mehr, was er sagen wollte.

„Caroline!“ Er packte ihre Schultern so heftig, dass sie das Gleichgewicht verlor und gegen ihn fiel. Dann küsste er sie leidenschaftlich, nahm ihr Gesicht in beide Hände, zwang sie, die Lippen zu öffnen – bis Caroline feststellte, dass er sie zu nichts zwingen musste. Sie genoss und erwiderte jede seiner ungestümen Zärtlichkeiten.

Sie hatte sich auf die Zehen gestellt, die Hände unter sein Hemd geschoben, und seufzte voller Verlangen. „Lucas … Lucas …“

Er stöhnte, umfasste ihren Po und zog sie so nah an sich, dass sie seine Erregung spüren musste.

„Lucas, das können wir nicht tun …“

„Wir können es und müssen es.“

„Es ist falsch!“

„Dann befehle mir aufzuhören, Sweetheart. Sprich die Worte aus, und ich lasse dich los.“

„Stopp!“ Carolines Stimme war kaum hörbar. Während sie das Wort äußerte, streiften ihre Lippen warm und zärtlich seine, und sie wich nicht den kleinsten Schritt zurück.

Lucas legte ihr die Hände auf die Schultern. „Ich will dich. Ich begehre dich, wie ich noch nie eine Frau begehrt habe, ich begehre dich mit einer Ausschließlichkeit, die ich auch von dir erwarte, verstehst du mich? Du sollst nur mir gehören, Lucas Vieira! Ich dulde keine Verstellung, keine Affären nebenbei. Solltest du damit nicht einverstanden sein …“

„Lucas, spar dir deine Worte, ich fühle auch so!“ Sie legte ihm die Arme um den Nacken, und er hob sie hoch, um sie in sein Schlafzimmer zu tragen und auf das Bett zu legen.

„Hör mir zu“, meinte er rau und setzte sich neben sie. „Ich würde gern solange mit dir spielen, bist du mich anflehst, dich endlich zu nehmen.“ Er schob die Hand unter ihr Sweatshirt und reizte die Spitzen ihrer Brüste, bis sie leise aufschrie und sich ihm entgegenbog. „Aber ich bin einfach nicht dazu in der Lage, ich brauche dich zu dringend – es tut mir leid.“

„Komm, komm schnell.“ Im Liegen streifte sie sich Hose und Oberteil ihres Jogginganzugs ab und warf sie achtlos auf den Boden.

Ihre Unterwäsche war alles andere als raffiniert, Slip und BH waren brav geschnitten und aus weißer Baumwolle. Für Lucas war Caroline dennoch die Verführung in Person. Sie war so unbeschreiblich schön.

Er flüsterte ihr portugiesische Koseworte ins Ohr, streifte ihr auch die letzten beiden Kleidungsstücke vom Körper, zog sich dann auch aus und legte sich neben sie.

Caroline war von seiner Erregung fasziniert. Ihre Augen wurden dunkel und ihr Atem beschleunigte sich. Sie rief seinen Namen und zog ihn auf sich.

„Caroline!“ In einer einzigen, kraftvollen Bewegung kam er zu ihr.

„Lucas!“ Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie war für ihn geschaffen, nur für ihn, sie wollte ihn, und sie gehörte ihm.

Er beschleunigte den Rhythmus, Caroline schrie auf, Lucas warf den Kopf in den Nacken, und gemeinsam erreichten sie das Ziel ihrer Sehnsucht.

8. KAPITEL

Langsam kehrte Caroline in die Realität zurück und spürte Lucas immer noch auf sich liegen. Sie seufzte und küsste seine Schulter.

Er murmelte etwas, das sie nicht verstand, sie jedoch nicht weiter störte. Caroline brauchte keine Worte, denn dieser Moment war vollkommen, so wie er war. Sie fühlte, wie stark Lucas’ Herz pochte und sein Gewicht sie auf das angenehm kühle Laken drückte.

Auch Lucas kam zu sich, er streifte ihre Schläfe mit den Lippen und ließ die Hand über ihre Hüfte gleiten. „Ich bin zu schwer für dich.“ Mit diesen Worten ließ er sich zur Seite rollen und streckte sich neben ihr aus. Caroline kuschelte sich an ihn.

„Das war … das war …“, begann er.

„Ja“, antwortete sie. „Genau das war es.“

Er lachte und küsste ihren Scheitel. „Ich war wieder einmal zu schnell.“

„Nein, du warst perfekt.“

„Du warst perfekt – zusammen sind wir perfekt.“ Lucas zog sie noch enger an sich.

Carolines Herz machte einen kleinen Sprung. Sie drehte den Kopf etwas, damit sie sein Gesicht sehen konnte, sie fand es so schön, so sexy. Sie hätte es ihm am liebsten gesagt, zögerte jedoch. Wahrscheinlich wäre Lucas überhaupt nicht begeistert, als schöner Mann bezeichnet zu werden.

Sie lächelte ihn an, er lächelte zurück und küsste sie so innig, dass es ihr die Kehle zuschnürte.

„Sweetheart“, fragte er besorgt. „Wirklich alles in Ordnung? Ich bin über dich hergefallen wie ein …“

„Lucas, es war einfach wunderbar! Es war genau so, wie ich es mir erträumt habe, seit … seit …“

„Seit jener Nacht?“ Er drehte sich auf den Bauch und hob den Kopf, damit er ihr in die Augen schauen konnte.

Sie nickte stumm, und er schwieg eine ganze Weile. Dann zeichnete er mit dem Finger die Konturen ihrer Lippen nach. „Und warum bist du mir dann weggelaufen?“

„Ich bin nicht weggelaufen, ich bin lediglich nach Hause gegangen.“

„Du bist weggelaufen, Caroline, mitten in der Nacht hast du dich davongestohlen, noch nicht einmal deine Telefonnummer hast du mir aufgeschrieben. Das Einzige, das von dir blieb, waren Erinnerungen, die mich nicht mehr losließen. Ein zweites Mal entkommst du mir nicht.“

Sie blickte ihm in die Augen, die sie noch nie so dunkel gesehen hatte und in denen eine Botschaft stand, die sie beben ließ. „Nein?“, brachte sie mühsam hervor.

„Nein!“

Lucas hatte recht, sie würde bleiben – diese Nacht. Mit der Morgendämmerung würde auch die Vernunft zurückkehren, und sie würde die Zukunft planen müssen. Aber nicht jetzt. Jetzt existierte nur Lucas, seine Hand auf ihrer Brust, sein Bein zwischen ihren Schenkeln.

Caroline wurde von Oliver geweckt.

Sein Miauen klang erstaunlich zart für den stolzen und zernarbten Sieger zahlreicher Straßenkämpfe – aber vielleicht wusste sie einfach zu wenig über Gewinnertypen. Vielleicht dienten Stolz und Arroganz auch nur als Maske, hinter der man die eigene Verletzlichkeit verbarg.

Das war jedoch ein anderes Thema, Oliver hatte im Moment wahrscheinlich ein viel handfesteres Problem, nämlich einen leeren Fressnapf.

„Ich komme ja schon“, flüsterte sie ihm zu.

Wie nach ihrer ersten gemeinsamen Nacht gab sie sich auch jetzt alle Mühe, Lucas beim Aufstehen nicht zu wecken. Diesmal jedoch allein aus dem Grund, seinen dringend benötigten Schlaf nicht zu stören.

Auch war sie beim Aufwachen nicht mehr schockiert darüber gewesen, in Lucas’ Bett zu liegen – jedenfalls nicht sehr.

Wieder hatte sie sich ihm rückhaltlos hingegeben, obwohl es ihr nur Leid bringen würde. Ihre Beziehung zu Lucas war ohne jede Perspektive, denn er und sie lebten in zwei unterschiedlichen Welten. Die Begegnung an jenem Abend mit den Rostows war lediglich eine Laune des Schicksals, eine Verkettung von Zufällen gewesen.

Als sie sich bei Dani dann ein zweites Mal getroffen hatten, war ihr Lucas völlig fremd und verändert erschienen. Hatte er da sein wahres Gesicht gezeigt? Er war außer sich vor Wut gewesen, hatte sie mit einer Verachtung behandelt, als hätte sie ein Verbrechen begangen. Natürlich, sie war ihm weggelaufen, aber das …

„Miau.“ Oliver zeigte Ungeduld.

Caroline griff zu dem seidenen Bettüberwurf, faltete ihn und verknotete die Enden nach Art eines Sarongs über der linken Schulter. Oliver folgte ihr dicht auf den Fersen, Licht brauchte sie nicht, denn es war schon hell genug, die Treppenstufen zu erkennen.

Caroline fiel die zerschlagene Bierflasche wieder ein, und so setzte sie den Kater auf einen Küchenstuhl, suchte Handfeger und Kehrblech und fegte die Scherben sorgsam zusammen.

„Jetzt kannst du dich nicht mehr verletzen, mein kleiner Liebling“, meinte sie, als sie den Deckel des Abfalleimers schloss. Als hätte er sie verstanden, sprang Oliver vom Stuhl.

Wasser war noch genügend vorhanden, trotzdem spülte Caroline die Schale aus und füllte sie neu. Die Teeschale mit dem Futter war bis auf den letzten Krümel leer. Auch sie wurde gewaschen, bevor Caroline Trockenfutter einschüttete.

Doch anstatt sich darüber herzumachen, gähnte Oliver nur. „Fühlst du dich etwa einsam, mein kleiner Liebling? Hast du mich deshalb geweckt?“ Caroline nahm ihn auf den Arm und setzte sich mit ihm auf das weiße Ledersofa im Wohnzimmer, das bestimmt mehr gekostet hatte, als sie in ihrem gesamten Leben jemals verdient hatte.

Der Kater rollte sich auf ihrem Schoß zusammen und schnurrte.

„Alles ist gut.“ Liebevoll streichelte sie seinen zernarbten Kopf. „In mir hast du deinen Menschen gefunden. Ich werde dich nie wieder allein lassen.“

Oliver wurde immer schwerer und sein Schnurren immer leiser, bis er schließlich einschlief. Caroline lehnte sich zurück und legte den Kopf gegen die Lehne.

Ähnlich glücklich und zufrieden wie Oliver auf ihrem Schoß war sie in jener ersten Nacht in Lucas’ Armen eingeschlafen. Nachdem sie sich zwei Mal leidenschaftlich geliebt hatten, hatte er sie an sich gezogen, und sie hatte sich so ausgeglichen, so erfüllt und unbeschreiblich gut gefühlt, wie sie es noch nie erlebt hatte.

Sie war selig gewesen, hatte sich geborgen gefühlt, diese altmodischen Worte schienen ihre seelische Verfassung am treffendsten zu beschreiben. Wie hätte sie auch anders in einem fremden Bett, neben einem fremden Mann so tief und fest schlafen können? Erst nach dem Aufwachen war ihr die Ungeheuerlichkeit ihres Tuns bewusst geworden: Sie hatte Sex mit einem wildfremden Mann gehabt!

Caroline schloss die Augen.

Mit seiner Behauptung, sie sei an jenem Morgen vor ihm geflohen, hatte Lucas natürlich genau ins Schwarze getroffen. Nach dem, was in der Nacht geschehen war, hätte sie sich geschämt, ihm morgens in die Augen blicken zu müssen.

Und nun war es schon wieder passiert. Obwohl sie immer noch nicht mehr als am ersten Abend über ihn wusste, hatte sie sich ihm leidenschaftlich hingegeben. Lucas stellte sie vor ein Rätsel. Sie verstand nicht, weshalb er sie bei Dani fast wie eine Kriminelle behandelt, sie nach dem Überfall jedoch zärtlich getröstet und bei sich aufgenommen hatte.

Ein eisiger Schreck durchzuckte sie. War auch ihr das Schicksal bestimmt, das ihre Mutter durchlitten hatte?

Schon seit Jahren bemühte sie sich, diese Erinnerungen aus dem Gedächtnis zu streichen. Mama in ihrem hübschen, kleinen Vorstadthaus. Mama, glücklich, strahlend und aufgeregt, überzeugt davon, diesmal endlich den Richtigen gefunden zu haben.

Meistens nur Wochen, manchmal jedoch auch Monate später die ersten untrüglichen Zeichen. Die Affäre näherte sich dem Ende. Immer ging es von den Männern aus, sie kamen seltener, gingen nicht ans Telefon und täuschten dringende Termine vor, wenn Mama sie zum Essen einladen wollte.

Für Caroline waren die Zeiten zwischen zwei Männern die schönsten, denn dann war ihre Mutter ganz für sie da. Sie brauchte nicht mehr lange Stunden vor dem Fernseher zu verbringen, weil ihre Mutter mit dem aktuellen Liebhaber ausgegangen, oder, was Caroline noch schlimmer fand, im Schlafzimmer verschwunden war.

Ihre Mutter begriff den sich stets wiederholenden Lauf der Dinge nie. Jedes Mal verstand sie die Welt nicht mehr, wenn sie auf diese Art abserviert wurde. Caroline dagegen verstand, was geschah, zog ihre Lehren daraus und fasste für die Zukunft gewisse Vorsätze.

Sie würde sich nie mit dem Typ Mann einlassen, auf den ihre Mutter stets von Neuem hereingefallen war. Die Liebhaber ihrer Mutter waren stets erfolgreiche und arrogante Männer gewesen, die taten, als gehöre die Welt allein ihnen. Sie, Caroline, würde es sich sehr gut überlegen, bevor sie sich einem Mann hingab, und dann würde sie ihm auch nur ihren Körper geben, nicht ihre Seele. Bestimmt würde sie später einmal einen Mann haben wollen, was jedoch in ihrem Kopf und ihrem Herzen vorging, das sollte ihr Geheimnis bleiben.

Von diesen drei Vorsätzen hatte sie jetzt zwei gebrochen. So bedauerlich das auch war, ihr Seelenleben war dabei glücklicherweise nicht zu Schaden gekommen. Sie war auf der sicheren Seite, ganz bestimmt …

„Caroline?“

Das Licht ging an. Sie öffnete die Augen, Oliver sträubte das Fell, sprang von ihrem Schoß und ergriff die Flucht.

„Sweetheart, was machst du hier allein im Dunkeln?“

Nur mit Boxershorts bekleidet, stand Lucas mitten im Zimmer. Sein Haar war zerzaust, und an seinem Kinn zeigten sich schwarze Bartstoppeln. Carolines Herz klopfte. Lucas war so schön, und noch schöner war es, in seinen Armen zu liegen und von ihm geliebt zu werden.

„Ich dachte, du wärest mir schon wieder entwischt.“ Er ging zu ihr, um sie zu küssen. „Diesmal hätte ich dich garantiert verfolgt.“

„Und … und weshalb nicht damals?“

Nachdenklich runzelte er die Stirn. Eine ausgezeichnete Frage.

Natürlich hatte ihm sein dummer Stolz im Weg gestanden. Einer Frau, die ihn versetzt hatte, lief ein Lucas Vieira nun einmal nicht hinterher.

Dann standen Jack Gordons Bemerkungen im Raum, von denen er nicht wusste, ob oder in welchem Umfang sie der Wahrheit entsprachen. Caroline selbst danach zu fragen, war ihm unmöglich.

War sie wirklich eine mit allen Wassern gewaschene Professionelle, wie Jack Gordon ihm hatte weismachen wollen? Er hatte mit Caroline die schönste Liebesnacht seines Lebens verbracht, doch wie stand es um sie? War sie lediglich eine begnadete Schauspielerin, oder war er wirklich der erste Mann gewesen, dem sie ihren Körper so rückhaltlos geschenkt hatte?

Aufgrund seiner Menschenkenntnis glaubte er eher Caroline als Jack Gordon. Die Intimitäten, die sie ihm gestattete, waren neu für sie, das sagte ihm sein Instinkt. Carolines Unerfahrenheit konnte unmöglich gespielt sein.

Wie aus weiter Ferne hörte er ihre Stimme.

„Lucas, ich habe dich etwas gefragt! Das letzte Mal hast du mich einfach gehen lassen. Warum lag dir diesmal so viel daran, dass ich mit dir komme? Das ergibt für mich keinen Sinn.“

Nein, dachte Lucas, für mich auch nicht, und genau das ist mein Problem. Trotz aller Bedenken und Vorbehalte fühlte er sich unwiderstehlich zu Caroline hingezogen. Er begehrte sie. In Wahrheit war er auch nicht deshalb zu ihr in die Wohnung gekommen, um sie zur Rede zu stellen, sondern weil er Caroline wiedersehen und sie in seiner Nähe haben wollte.

„Vielleicht gibt es dafür keine logische Erklärung.“ Er reichte ihr die Hände und zog sie auf die Füße. „Wichtig ist nur eins: Jetzt sind wir zusammen.“ Er sah ihr an, dass sie immer noch bedrückt war, und versuchte, sie aufzumuntern. „Du und ich und ein eifersüchtiger Kater, der in einer dunklen Ecke schreckliche Pläne ausheckt, wie er sich meiner möglichst schnell und effektiv entledigen kann.“

Caroline lachte, wie er es gehofft hatte.

„Du tust dem armen Kerl unrecht. Gib ihm zwei Tage, und er wird auch dich in sein Herz geschlossen haben. Du wirst sehen, wenn ich dann ausziehe …“

„Du ziehst nicht aus!“

„Natürlich nicht heute, erst wenn ich ein anderes Apartment gefunden habe“, erklärte sie ernst.

Er setzte sich neben sie aufs Sofa und zog sie auf den Schoß. „Lass uns das Thema bitte ein andermal diskutieren“, bat er leise. „Ich möchte lieber etwas über dein bisheriges Leben erfahren.“

Froh, nicht nach den Plänen für die Zukunft gefragt zu werden, war sie bereit, über die Vergangenheit zu berichten.

„Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen“, begann sie, und Lucas gelang es gerade noch rechtzeitig, Erstaunen vorzutäuschen, denn über diesen Punkt war er ja bereits durch den Detektiv informiert.

„Es handelt sich um die Sorte Stadt, in der bereits bei der Geburt der spätere Lebensweg vorgezeichnet ist. Der Sohn des Rechtsanwalts studiert Jura, die Tochter besucht entsprechende Schulen und Institute, um später eine perfekte Ehefrau und Mutter abzugeben.“ Caroline lächelte ironisch.

„Meine Mutter arbeitete am Fließband des ansässigen Traktorenwerks, damit war mein Platz in der Gesellschaft klar. Als ich mich in der Schule für den Französischkurs eintrug, ließ mich der Vertrauenslehrer zu sich kommen. Er wollte mich dazu bringen, statt Französisch doch lieber einen Kurs in Kosmetik oder Feinmechanik zu belegen. Was sollte eine Akkordarbeiterin mit Fremdsprachen anfangen?“

Lucas überlegte sich ernsthaft, den Namen des Typen herauszufinden, um sich persönlich an ihm für diese Unverschämtheit zu rächen. Er ließ sich jedoch nicht anmerken, was hinter seiner Stirn ablief.

„Aber du wolltest nicht in die Fabrik“, vermutete er.

„Genau, ich wollte etwas anderes – ich wollte höher hinaus.“

Lucas nickte. „Du hast dem Vertrauenslehrer also gesagt, er solle sich zum Teufel scheren.“

Ihr Lächeln ließ ihn erahnen, wie Caroline als Teenager ausgesehen haben musste, auffallend hübsch, eigensinnig und entschlossen.

„Mich so drastisch auszudrücken, hätte ich damals nie gewagt, doch in der Sache hast du recht.“ Sie wurde ernst. „Wenn ich eins in meiner Jugend gelernt habe, dann das: Es ist sinnlos, von anderen etwas zu erwarten. Wenn man etwas möchte, muss man die eigenen Ellenbogen gebrauchen.“

Also hatte Caroline die gleichen bitteren Erfahrungen gemacht wie er. Wie ungerecht das Leben war, ein Mädchen wie Caroline hätte es verdient gehabt, sorglos und behütet aufzuwachsen.

„Und in Französisch hast du dich als Genie entpuppt“, sagte er laut.

„Nicht nur in Französisch, ich war überhaupt eine glänzende Schülerin, und so ist es mir gelungen, ein Stipendium zu gewinnen – ausgerechnet in New York.“

„Und New York war ganz anders, als du erwartest hattest. Ein anderer Lebensstil, höhere Ansprüche und teure Vergnügungen – und alles kostete sehr viel mehr als gedacht. Das Stipendium erwies sich als äußerst knapp bemessen.“

Täuschte sie sich, oder klang seine Stimme plötzlich kalt? „Allerdings, zu Hause …“

„Zu Hause war dir die Studienbeihilfe astronomisch hoch erschienen, in New York musstest du das Gegenteil erkennen. Ohne etwas hinzuzuverdienen, konntest du dich nicht über Wasser halten.“

„So ist es gewesen.“

„Und dann hast du dir einen Nebenjob gesucht.“

Jetzt zweifelte Caroline nicht länger, Lucas verurteilte sie. Hatte er von ihrer Tätigkeit als Serviererin in einem Imbiss erfahren? Machte sie das für ihn nicht gesellschaftsfähig?

„Um zu überleben, muss man manchmal über den eigenen Schatten springen“, antwortet sie gefasst. „Ein Mann wie du mag das nicht verstehen, aber …“

Mit einem leisen Fluch zog Lucas sie an sich und küsste sie, bis ihr ganz schwindelig wurde. Caroline war so hilflos und süß!

Gerade ihm, Lucas Vieira, stand es nicht zu, den Stab über eine Frau wie sie zu brechen. Auch er hatte überleben wollen, auch er war in seiner Kindheit nicht zimperlich gewesen, er hatte gestohlen und reichen Touristen ihre Börse aus der Tasche gezogen. Wer wusste, was im Laufe der Jahre noch an Straftaten hinzugekommen wären, hätte nicht zufällig jener Sozialarbeiter seinen Weg gekreuzt.

Caroline hatte recht. Wenn man überleben wollte, war man zu gewissen Dingen einfach gezwungen.

Außerdem war das alles Schnee von gestern, es spielte keine Rolle mehr. Er würde dafür sorgen, dass Caroline ihr altes Leben nicht wieder aufnahm. Sie würde es auch dann nicht tun, wenn sie wieder ihrer eigenen Wege ging, weil ihre Beziehung sich totgelaufen hatte. Das war im Moment zwar unvorstellbar, aber aus Erfahrung wusste er, der Zeitpunkt würde kommen.

Lucas schwor sich, für Carolines Sicherheit zu sorgen. Er würde ihr eine Wohnung schenken und ihr dank seiner Beziehungen zu einer erstklassigen Anstellung verhelfen. Mit seiner Empfehlung würde er sich nicht blamieren, dessen war er sich sicher, Caroline war eine begabte, willensstarke und trotzdem charmante Frau, die eine blendende Karriere machen würde.

Wahrscheinlich würde er sie zwingen müssen, seine Hilfe anzunehmen, aber letzen Endes würde er sie davon überzeugen können, dass alles andere unvernünftig war.

Doch das alles war noch zu lange hin, um sich bereits jetzt den Kopf darüber zu zerbrechen. Im Moment waren sie zusammen, und das war alles, was zählte.

„So, und jetzt haben wir beide etwas übereinander erfahren“, versuchte er, das Gespräch zu beenden und lächelte betont sorglos.

„Das stimmt nicht“, widersprach sie. „Ich weiß nicht mehr über dich als vorher auch.“

„Doch! Vor der ersten Tasse Kaffee bin ich morgens ungenießbar, das ist eine neue Erfahrung für dich.“

Caroline fiel auf das Täuschungsmanöver nicht herein. Lucas richtete eine Mauer um sich auf, über die er sie nicht blicken ließ. Herauszufinden, wie es hinter dieser Mauer aussah, verschob sie auf später. Im Moment war sie zufrieden damit, seine Nähe genießen zu dürfen. So küsste sie seine Nasenspitze und zwinkerte ihm zu.

„Wenn das so ist, mache ich dir schnellstens einen Kaffee.“

Beim Aufstehen löste sich der Knoten ihres improvisierten Sarongs und entblößte ihre Brüste. Im Nu packte Lucas ihre Handgelenke, und hilflos musste Caroline mit ansehen, wie der seidene Überwurf raschelnd zu Boden glitt. Nackt stand sie vor ihm.

In Bruchteilen einer Sekunde war die Stimmung umgeschlagen. Lucas’ Stimme vibrierte vor Leidenschaft.

„Caroline du bist so schön, so unbeschreiblich schön …“

Lange sah er sie einfach nur an, dann zog er sie an sich, und Caroline spürte sein heftiges Verlangen.

Dass sie die Macht besaß, ihn derart zu erregen, erregte sie – und dass sie ihn gleich in sich fühlen würde, erregte sie noch mehr. Sie schob die Hand in seine Boxershorts und streichelte ihn.

Lucas hielt den Atem an. „Caroline, weißt du eigentlich, was du da tust?“

Anstelle einer Antwort legte sie ihm die Hände auf die Hüften und streifte langsam die Shorts nach unten.

„Caroline, ich …“

Sie ließ ihre Finger spielen, und er stöhnte. Caroline genoss die Erfahrung, noch nie zuvor hatte sie einen Mann so berührt, hatte noch nicht einmal den Wunsch verspürt, es zu tun. Bei Lucas jedoch wollte sie alles erkunden, wollte genau wissen, wie er sich anfühlte, wie er schmeckte und welche Zärtlichkeiten ihn verrückt machten.

Sie kniete sich hin und küsste ihn.

Lucas bebte, legte den Kopf in den Nacken und griff ihr mit beiden Händen ins Haar. Dann zog er Caroline hoch und drückte sie mit dem Rücken auf das weiße Sofa.

Er fiel auf sie, und in wildem Taumel erreichten sie gleichzeitig den Höhepunkt.

Nur langsam kehrte Lucas in die Realität zurück. Was Caroline getan hatte, war unbeschreiblich erotisch gewesen – mit wie vielen Männern sie dieses raffinierte Spielchen wohl schon geübt haben musste? Ihm wurde flau.

Er schob sie von sich, griff den seidenen Bettüberwurf und bedeckte sie damit.

„Lucas?“ Abrupt setzte sie sich auf.

Sich in seiner derzeitigen Verfassung ein Lächeln abzuringen, fiel ihm extrem schwer. „Ich hole dir jetzt einen Bademantel, und dann frühstücken wir.“ Er war überzeugt, fröhlich und unbeschwert geklungen zu haben.

Als er mit dem Bademantel über dem Arm zurückkehrte, musste er erkennen, dass er sich getäuscht hatte. Caroline hatte das Tuch wieder über der Schulter verknotet und sich hingesetzt. Mit ausdrucksloser Miene sah sie ihn an.

„Caroline, Sweetheart …“

„Lucas, was ist los mit dir? Habe ich etwas getan, das dir nicht gefällt? War es … war es …“ In ihren Augen schimmerten Tränen, und ihre Mundwinkel zuckten.

Wie konnte er nur so verblendet gewesen sein, ihr Erfahrungen zu unterstellen, die sie ganz offensichtlich nicht besaß? Lucas war wütend über sich.

Er drückte sie an sich und küsste ihre Lider. „Habe ich es dir nicht gesagt, Darling? Vor meinem Morgenkaffee bin ich einfach ungenießbar.“ Er küsste und liebkoste sie, bis er fühlte, wie sich ihre innere Anspannung langsam legte.

„Als Wiedergutmachung werde ich dir das beste Frühstück zaubern, das du je gegessen hast! Keiner backt so köstliche Waffeln wie ich, und niemand kann sie so kunstvoll mit Ahornsirup verzieren!“

Die Aufmunterung war ihm gelungen. Caroline lächelte wieder. „Eingebildet bist du wohl überhaupt nicht?“

„Wie sollte ich? Ich koche nämlich auch den besten Kaffee der Welt.“

„Und was bleibt mir bei solch einem Meisterkoch dann noch zu tun übrig?“ Sie legte den Kopf schräg und sah ihn erwartungsvoll an.

„Du hast einen enorm wichtigen Auftrag.“ Mit übertriebenem Ernst sah er sie an. „Durch deine Anwesenheit musst du meiner bescheidenen Küche Glanz verleihen.“

„Das ist in der Tat eine äußerst verantwortungsvolle Aufgabe.“ Caroline lachte.

„Ja, und schwierig obendrein“, bestätigte er feierlich. „Doch du wirst deine Pflicht mit Bravour meistern.“

Genau, wie er es mit Bravour meistern würde, nicht immer wieder über Carolines Doppelleben nachzugrübeln. Wenn man Erfolg haben wollte, musste man in der Lage sein, die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen, dieser Grundsatz hatte schon immer zu seiner Lebenseinstellung gehört.

Wer man einmal gewesen war, spielte keine Rolle. Wichtig war, was man aus sich gemacht hatte.

9. KAPITEL

Nach dem Duschen zogen sich Lucas und Caroline Bademäntel an – Caroline hatte sich einen von Lucas geliehen – und gingen in die Küche.

Lukas machte Kaffee und bereitete Waffeln zu, so wie er es versprochen hatte, und Caroline, die sich nicht nur bedienen lassen wollte, sorgte für Rührei mit Schinken. Sie sagte, noch nie so leckere Waffeln gegessen zu haben, er erklärte, noch nie hätten ihm Rühreier mit Schinken so gut geschmeckt.

„Danke, Sir“, erwiderte sie und schlug gespielt verschämt die Augen nieder. „Dies Kompliment macht fast all die Stunden wett, die ich in einer Frittenküche verbracht habe – ich betone fast.“

„Was soll ich unter einer Frittenküche verstehen?“

„Bei deinem Lebensstil wird dir das ein Geheimnis bleiben müssen.“

Lucas tat naiv. „Du meinst, ein Restaurant wie das, vor dem wir uns getroffen haben, besitzt keine solche Küche?“

Caroline war Lucas dankbar. Keiner von ihnen hatte bisher die erste Begegnung im Foyer angesprochen, und Lucas tat es jetzt ohne jede Peinlichkeit, als wäre es ein Date wie jedes andere gewesen.

„Mit Sicherheit nicht.“ Sie lachte leise und biss in ihre Waffel, wobei etwas Ahornsirup an ihren Lippen hängen blieb.

Sofort beugte Lucas sich vor, um den kleinen Tropfen abzulecken. Überrascht hielt Caroline den Atem an, und Lucas vertiefte die spielerische Zärtlichkeit zu einem leidenschaftlichen Kuss.

„Ahornsirup“, erklärte er anschließend. „Er wäre dir sonst auf den Bademantel getropft.“

„Wie ausgesprochen fürsorglich von dir.“ Sie lächelte. „Dafür möchte ich mich bedanken.“ Sie schob ihm die Hände ins Haar, zog seinen Kopf zu sich und ließ ihre Lippen liebevoll über seine gleiten, bevor sie ihn mit einer Sinnlichkeit küsste, die ihm den Atem raubte. Nach einer kleinen Ewigkeit hob sie den Kopf und sah ihn an.

Wie Lucas es liebte, wenn sie ihn so anblickte! Ihre Wangen waren zart gerötet und der Mund von seinen Küssen leicht geschwollen.

„Unsere Waffeln werden kalt“, meinte sie leise.

Lucas war das egal, seinetwegen konnten sie zu Eis erstarren. Und wie Caroline aussah, stand ihr der Sinn im Moment auch nicht nach Essen …

„Guten Morgen, Mr Vieira.“

Erschrocken blickte Caroline sich um, und Lucas verdrehte die Augen. Seine Haushälterin! Er hatte ihr Kommen völlig vergessen.

Mrs Kennelly lächelte freundlich. Ihrem Gesicht war nicht zu entnehmen, was sie davon hielt, ihren Boss zusammen mit einer Frau am Frühstückstisch vorzufinden. Erst jetzt wurde Lucas bewusst, dass es wirklich eine Premiere war. Bisher hatten die Frauen, mit denen er die Nacht verbracht hatte, gleich nach dem Aufstehen die Wohnung verlassen, oder er war mit ihnen, wenn es ein Wochenende war, zum Brunch in ein angesagtes Lokal gegangen.

In seiner eigenen Küche gemütlich mit einer Frau gefrühstückt hatte er bisher noch nie.

Da er spürte, wie unangenehm Caroline die Situation war, nahm er ihre Hand und drückte sie ermutigend.

„Guten Morgen, Mrs Kennelly. Caroline, darf ich dir Mrs Kennelly, meine Haushälterin, vorstellen?“

Caroline errötete vor Verlegenheit, was er so entzückend fand, dass er sie am liebsten geküsst hätte. Das wäre natürlich das Unvernünftigste überhaupt gewesen, denn es hätte Carolines Verwirrung noch gesteigert. So beschränkte er sich darauf, ihre Hand noch fester zu fassen.

„Guten Morgen, Miss.“ Mrs Kennelly lächelte freundlich.

Caroline zögerte nur kurz, dann hob sie selbstbewusst den Kopf.

„Es freut mich, Sie kennenzulernen, Mrs Kennelly“, meinte sie lächelnd.

„Miss Hamilton wird für die nächste Zeit hier wohnen“, erklärte Lucas.

„Das glaube ich nicht.“ Caroline schüttelte den Kopf. „Lucas, ich …“

Ohne ihre Hand loszulassen, stand Lucas auf und zog Caroline an seine Seite. „Lass uns woandershin gehen, Sweetheart“, unterbrach er sie. „Hier stehen wir Mrs Kennelly nur im Weg.“

Caroline wäre am liebsten vor Scham im Boden versunken. Wie sollte sie sich nur verhalten? Doch anscheinend war sie die Einzige, die die Situation als peinlich empfand. Sowohl Mrs Kennelly als auch Lucas wirkten ausgesprochen locker.

Für Mrs Kennelly schien eine Frau in Lucas’ Bademantel kein ungewohnter Anblick zu sein, und Lucas schien nichts dabei zu finden, seiner Haushälterin die Frau vorzustellen, mit der er gerade die Nacht verbracht hatte.

„Komm, Caroline“, forderte er sie noch einmal auf, da sie reglos neben ihm stand und abwesend vor sich hinblickte.

Caroline schreckte aus ihren Gedanken auf. „Natürlich, sofort, doch das Geschirr steht noch auf dem Tisch, und die Pfanne muss …“

Mrs Kennelly lachte nur. „Machen Sie sich darüber keine Sorgen, Miss, das ist meine Aufgabe.“

Nach außen hin verhielt sich Caroline souverän. Sie überließ Lucas weiterhin ihre Hand und folgte ihm bereitwillig aus der Küche, die Treppe hinauf, den Flur entlang bis in sein Schlafzimmer.

Ihr Inneres dagegen befand sich in Aufruhr. Das Erscheinen der Haushälterin hatte schlagartig ihre Traumwelt zerstört, hatte ihr gezeigt, wie fehl am Platz sie in diesem Penthouse war. Sie hatte hier nichts zu suchen, sie gehörte hier nicht her. Durch ihre Gefühle für Lucas hatte sie sich zu einer Riesendummheit hinreißen lassen.

Lucas schloss die Tür und ließ ihre Hand los. Mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, musterte er sie durchdringend.

„Lucas …“

Er zog die eine Braue hoch, und Caroline schluckte. Mit dieser winzigen Geste gelang es ihm immer wieder, ihr Herz zum Schmelzen zu bringen.

„Meine Haushälterin ist anscheinend echt abgebrüht, was man von dir nun wirklich nicht behaupten kann“, stellte er unvermittelt fest. „Sie hat bei dem unverhofften Zusammentreffen nicht mit der Wimper gezuckt, während du am liebsten im Erdboden versunken wärest.“

War sie so leicht zu durchschauen? „Ich … ich war einfach überrascht.“

„Was du nicht sagst!“ Er lächelte ironisch.

„Du findest das vielleicht amüsant …“

„Ich finde es – interessant“, korrigierte er sie.

An Lucas’ Kinn zuckte ein kleiner Muskel, und Caroline musste sich beherrschen, die Stelle nicht zu küssen. Sie musste Lucas gegenüber unbedingt einen kühlen Kopf bewahren, aber woran dachte sie? An Sex! Sie begriff sich selbst nicht.

„Dann nenn es interessant, dadurch wird die Sache auch nicht besser. Du findest die Situation nämlich einfach nur lustig.“

„Da irrst du gewaltig, Sweetheart. Ein Mann, dem erst beim Eintreten seiner Haushälterin auffällt, dass er zum ersten Mal in seinem Leben mit einer Frau in seiner Küche gefrühstückt hat, findet diese Erkenntnis alles andere als witzig.“

Erstaunt sah Caroline ihn an. „Ich soll die Erste gewesen sein?“

„Ja. Ob du es glaubst oder nicht, ich habe es noch nie zuvor getan.“ Er öffnete die Arme und kam auf sie zu. „Und ich bin verwirrt.“

Sein leidenschaftlicher Blick ließ ihr Herz höher schlagen. „Was verwirrte dich?“, fragte sie mühsam.

„Du, ich, alles.“

Er schüttelte verzweifelt den Kopf, zog sie an sich und küsste sie, bis sie nach Atem rang.

„Lucas … nicht …“

Er löste den Gürtel ihres Bademantels, der ja eigentlich ihm gehörte. Ihm allein. Der Stoff glitt ihr von der Schulter und Lucas betrachtete Caroline in ihrer Nacktheit. Sie war so schön, so voller natürlicher Würde, wie sie ganz ruhig stehen blieb und ihn ansah, anstatt den hektischen Versuch zu machen, ihre Blöße zu bedecken.

Caroline war die Weiblichkeit in Perfektion.

Er sagte ihr das auf Portugiesisch, sagte ihr, wie sehr er sie begehrte, und spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte.

„Was … was ist mit Mrs Kennelly?“, fragte sie ängstlich.

Trotz seiner Lust, die ihn jeden Moment zu überwältigen drohte, musste Lucas lachen. „Wir erzählen ihr einfach nichts davon“, meinte er verschwörerisch.

Caroline blickte ihn eine Weile zweifelnd an. „Was für eine prima Idee“, meinte sie schließlich, und endlich wirkte ihr Lächeln wieder echt. Sie legte ihm die Arme um den Nacken. „Liebe mich, Lucas.“

Er trug sie zum Bett und legte sie so hin, dass sich ihr Haar wie ein goldener Schleier über seinem Kissen ausbreitete. Dann warf auch er seinen Bademantel beiseite.

Lucas liebte Caroline so zärtlich und innig, dass sie anschließend weinte. Er hielt sie in seinen Armen, fühlte ihr Herz schlagen, küsste ihr die Tränen fort und streichelte sie – und fragte sich, was mit ihm passiert war.

Lucas musste ins Büro.

Seine Mitarbeiter, Besprechungen, Mails, dringende Telefonate und Berge von Akten warteten auf ihn.

Das jedenfalls sagte er Caroline.

„Natürlich.“ Sie nickte verständnisvoll.

„Natürlich“, wiederholte er feierlich, griff zum Telefon auf dem Nachttisch und rief seine Sekretärin an. Er erklärte ihr, er würde heute nicht ins Büro kommen, sei jedoch notfalls auf seinem Handy zu erreichen.

„Aber benachrichtigen Sie mich bitte wirklich nur in einem dringenden Notfall“, betonte er und machte eine kleine Pause. „Ich habe es mir anders überlegt, benachrichtigen Sie mich einfach gar nicht.“

Als er das Telefon zurückstellte, schüttelte er sich vor Lachen. Er stellte sich seine Sekretärin vor, bestimmt saß sie auf ihrem Stuhl, als habe sie der Schlag getroffen.

„Was ist daran so lustig?“, wollte Caroline wissen.

Lucas streichelte mit der Nase ihren Nabel, und jetzt musste auch Caroline lachen. Er bedeckte ihren Bauch mit unzähligen Küssen und hob dann den Kopf, um ihr ins Gesicht zu sehen.

Er war noch nie im Leben so glücklich gewesen. Diese überraschende Erkenntnis ließ sein Lachen abrupt verstummen.

„Was ist?“, fragte Caroline.

Er konnte ihr nicht antworten, es wäre zu gefährlich gewesen. Anstelle einer Erklärung stand er auf, nahm sie auf die Arme und trug sie zur Tür.

„Lucas … Lucas! Was soll das? Wo willst du mit mir hin?“ Caroline zappelte empört.

Es half ihr nichts, erst in der Duschkabine stellte er sie wieder auf die Füße, dann stellte er sämtliche Düsen an, bis sie unter einem sanften, angenehm warmen Wasserfall standen. Er küsste ihre Brüste und schob ihr die Hand zwischen die Schenkel.

„Lucas“, flüsterte sie.

„Was ist, Sweetheart?“

Sie wusste keine Antwort, jedenfalls keine, die für seine Ohren bestimmt war. So unbeschreiblich glücklich sie sich auch fühlte, wusste sie doch, dass alles nur ein Traum war, aus dem sie möglichst schnell wieder aufwachen musste.

„Leg mir die Arme um den Nacken“, bat er und trat einen Schritt zurück. Er hob sie hoch, sie verkreuzte die Beine hinter seinem Rücken, und alle Fragen, Zweifel und Probleme versanken in Bedeutungslosigkeit.

Caroline säuberte die Katzentoilette und fütterte Oliver.

„Ich bin gleich wieder da, mein Kleiner.“ Sie nahm den Kater auf den Arm und küsste ihn zwischen die Ohren.

Der Fahrer wartete bereits vor dem Haus, um Lucas und Caroline zu deren Wohnung zu bringen.

„Am liebsten würde ich dir verbieten, diese Räume jemals wieder zu betreten!“ Lucas blieb vor der zerkratzten Tür mit dem einfachen Schloss stehen und blickte grimmig. Er bat Caroline um die Schlüssel, schloss auf und ging hinein.

Sie folgte ihm schweigend. Was hätte sie auch antworten sollen?

In ihrem aufgewühlten Zustand hatte sie Lucas gestern versprochen, hier nie wieder einzuziehen – er hatte ihr einfach keine andere Wahl gelassen. Heute, mit klarem Kopf, dachte sie anders darüber.

Sie besaß einfach keine Entscheidungsfreiheit. In Manhattan eine Wohnung zu finden, die sie sich leisten konnte, glich der Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen. Sie hatte ihre Anstellung als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut und das, was sie im Imbiss verdiente. Ihr Geld reichte vorne und hinten nicht. Ganz unabhängig von der Wohnungsfrage würde sie sich nach einem besser bezahlten Aushilfsjob umsehen müssen.

Ihr Plan war folgender: Sie gab sich drei Tage Zeit, in der sie bei Lucas bleiben und nach einer anderen Wohnung suchen würde. Da sie bestimmt keine fand, würde sie weiterhin in ihrem alten Apartment wohnen bleiben.

Lucas erzählte sie von ihren Absichten natürlich nichts. Sie kannte ihn inzwischen gut genug, mit letzter Sicherheit würde er versuchen, sie daran zu hindern.

Alles war noch so, wie sie es verlassen hatte. Nein, nicht ganz, denn der Hausmeister hatte ein neues Fenster mit einem abschließbaren Gitter einsetzen lassen.

„Das sieht doch gut aus“, stellte Caroline fest.

Lucas rüttelte an den Stäben. „Mag sein, doch dein Türschloss ist ein Witz. Jeder Amateur bekommt es im Handumdrehen auf.“

Caroline war klug genug, sich auf keine Diskussion einzulassen. Es war sinnlos, Lucas lebte in einer anderen Welt und Verständnis für ihre Probleme war von einem Mann wie ihm nicht zu erwarten. Schweigend ging sie an den wackeligen Schrank in ihrem winzigen Schlafzimmer und nahm die Kleidungsstücke vom Bügel, die sie brauchen würde, um auf Wohnungssuche zu gehen.

Lucas, der den Inhalt des Schrankes betrachtet hatte, räusperte sich.

„Weißt du, du könntest einfach alles hierlassen, und … na ja, du könntest einfach einen neuen Anfang machen.“

„Nein, das könnte ich nicht.“

Lucas öffnete den Mund, schloss ihn dann jedoch wieder, ohne etwas zu äußern.

Gut so, dachte Caroline. Glaubte er wirklich, sie könne es sich leisten, einfach eine komplett neue Garderobe zu kaufen? Er lebte anscheinend nicht nur in einer anderen Welt, er lebte in einer ganz anderen Galaxie.

Sie legte ein Paar Schuhe und eine Handtasche zu den Sachen auf ihrem Bett. Was fehlte noch?

Die Bücher, die sie gerade durcharbeitete, ihre Skripte und natürlich der Laptop. Nachdem sie ihre Habseligkeiten in einem Rucksack und einem bunten Stoffbeutel verstaut hatte, drehte sie sich um und sah Lucas an.

„Das war schon alles“, meinte sie. „Ich muss nur noch …“

Überrascht über seinen Gesichtsausdruck, verstummte sie. Lucas wirkte wie jemand, der noch nie ein solch primitives Zimmer gesehen hatte. Ihre Wohnung war erbärmlich, das wusste Caroline, doch es war eine Wohnung, die sie sich leisten konnte, ohne von jemandem abhängig zu sein.

„Hast du irgendwelche Probleme?“, fragte sie kühl.

„Es ist eine Schande, wie du hier hausen musst.“ Seine Stimme klang belegt.

Caroline sah ihn herausfordernd an. „Nicht jeder kann im Himmel leben.“

„Im Himmel?“ Er runzelte die Brauen. „Ach, du meinst mein Penthouse.“

„Ja, genau das meine ich. Es mag dich schockieren, aber im wahren Leben …“

„Schlag nicht diesen Ton an!“ In einem Schritt war er bei ihr. „Wenn einer etwas über das wahre Leben weiß, dann ich.“ Er legte ihr die Hände auf die Schultern und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. „Meinst du, mein Reichtum sei mir in die Wiege gelegt worden?“

„Lass mich los!“

„Beantworte meine Frage! Glaubst du das ehrlich?“ Er lachte bitter. „Sagt dir der Begriff Favela etwas?“

„Ja.“ Fassungslos sah sie ihn an. „So nennt man die Slums in Brasilien.“

„Slums? Die sind Gold dagegen, glaub es mir.“

Lucas war nicht nur bewegt, er war regelrecht aufgewühlt. Carolines Wut wich tiefem Mitgefühl.

„Lucas, ich wollte dich nicht aushorchen!“

„Weißt du, wo ich geboren bin? In einer Wellblechhütte. Doch es kam noch schlimmer, denn bald nach meiner Geburt verschlechterte sich unsere Lage und wir mussten die Hütte verlassen. Wir lebten dann auf der Straße, hinter Pappe, die wir auf alte Latten genagelt hatten.“

Lucas sah, wie Caroline erstaunt die Brauen hochzog. War sie über seine Enthüllungen schockiert? Hatte sein harscher Ton sie erschreckt? Warum erzählte er ausgerechnet ihr, worüber er bisher mit noch niemandem geredet hatte? Es war seine Privatangelegenheit. Wen ging es schon an, dass er von seiner Mutter ausgesetzt worden war und sich nur mit Mundraub und Taschendiebstählen hatte durchschlagen können?

Doch plötzlich fühlte er sich versucht, es sich von der Seele zu reden, Caroline zu zeigen, wer er wirklich war. Seine Umwelt kannte ihn nur als den superreichen und mächtigen Lucas Vieira, der sich alles erlauben konnte und den jeder hofierte.

Wie würde Caroline reagieren, wenn sie all die schmutzigen Details seiner Vergangenheit erfuhr? Für wen empfand sie etwas, wer interessierte sie wirklich, Lucas Vieira, der Finanzmogul, oder Lucas Vieira, der Mensch?

Wohin verirrten sich seine Gedanken? Es war verrückt, sich einzubilden, Caroline würde etwas für ihn empfinden. Gewiss, sie mochte ihn, mehr jedoch nicht. Sie war ihm dankbar, weil er ihr aus einer Notlage geholfen hatte, und genoss die körperliche Liebe mit ihm – wenn sie das wirklich genoss. Vielleicht täuschte sie es ja auch nur vor, vielleicht war er von Anfang an auf ein abgekartetes Spiel hereingefallen.

„Lucas?“

Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und sah sie an. „Caroline, du kennst mich nicht, du weißt überhaupt nichts über mich.“

„So ist es“, antwortete sie sachlich und streichelte seine Wange. „Ich weiß nichts über dich, und du weißt nichts über mich.“

Bei ihrer letzten Bemerkung lebten seine Ängste und Befürchtungen sofort wieder auf. „Ja, ich weiß zum Beispiel nicht, warum du hier lebst.“

Sie zog die Hand zurück, als hätte sie sich verbrannt. „Weil ich mir ganz einfach nichts anderes leisten kann. Was ich als Assistentin an der Uni und als Küchenhilfe und Serviererin verdiene, reicht einfach für nichts anderes. Einem Mann, der vorgibt, in Armut aufgewachsen zu sein, müsste das doch klar sein.“

Lucas packte ihre Oberarme. „Ist das alles, was du tust? An der Uni und in einem Imbiss arbeiten?“

„Was soll diese Frage?“

„Ich habe dir tausend Dollar gegeben.“

Röte schoss ihr ins Gesicht. „Ich habe für dich einen Abend lang gearbeitet und dafür tausend Dollar verdient“, erwiderte sie mit erhobenem Kopf.

„Du sagst es.“ Er musterte sie kalt.

„Gibt dir das ein Recht, mich darüber auszuquetschen, was ich mit dem Geld gemacht habe?“

Selbstverständlich nicht, das war ihm bewusst. Er biss sich auf die Lippe, um nicht etwas zu sagen, was er später bereuen musste. Aber er hatte Fragen, viele Fragen. Gestern war er durch den Überfall und Carolines Verstörtheit abgelenkt gewesen, heute entging ihm nichts.

So fiel ihm auf, dass Carolines Möbel vom Sperrmüll und ihre Garderobe aus dem Billigkaufhaus stammten.

Was tat sie mit dem Geld, das sie damit verdiente, sich an Männer zu verkaufen? Falls, und daran musste er sich immer wieder erinnern, falls sie das wirklich tat.

„Lucas.“

Die Summe, die er auf Dani Sinclairs Scheck geschrieben hatte, betrug das Vielfache von dem, was er Caroline gegeben hatte. Und Caroline war ungleich mehr wert als eine Dani Sinclair.

Caroline war alles, was sich ein Mann nur wünschen konnte, im Bett und auch außerhalb. Sie war einfach süß, sie war warmherzig und lustig, sie war fürsorglich, liebevoll und aufregend.

Er liebte, wie sie über seine Sprüche lachte und seine Kochkünste lobte – wie sie in seinen Armen seufzte und sich ihm rückhaltlos hingab. Und dann ihre Anteilnahme am Geschick eines Straßenkaters und eines entsorgten Farnkrauts …

Wie konnte Caroline ein Callgirl sein, eine Dirne? Wie konnte sie einen anderen Mann lieben als ihn? Und damit war er endlich an der Wurzel all seiner Probleme: Er wollte Caroline mit niemandem teilen, er wollte sie ganz für sich allein.

„Lucas, du tust mir weh.“

Erst jetzt bemerkte er, wie fest er ihre Oberarme umklammerte.

Er war auf dem besten Wege, den Verstand zu verlieren!

Erschrocken ließ er die Hände sinken, und Caroline trat einen Schritt zurück. Sanft zog er sie an den Handgelenken wieder zu sich.

„Caroline, Sweetheart, verzeih mir“, flüsterte er, als er ihre Tränen bemerkte.

„Ich verstehe dich nicht, Lucas, was willst du eigentlich von mir?“ Ihre Stimme bebte.

Schweigend blickten sie sich in die Augen, als könnten sie dort die Antwort auf all ihre Fragen finden. Schließlich zog Lucas zärtlich mit dem Daumen die Konturen ihrer Oberlippe nach.

„Ich will dich, Caroline, nur dich.“

Sie reagierte nicht, auch nicht auf seinen Kuss. Er küsste sie wieder, sagte leise ihren Namen. Endlich gab sie nach, schmiegte sich an ihn und erwiderte seine Zärtlichkeiten.

Alles um Caroline schien sich zu drehen. Sie lag in Lucas’ Armen, spürte seine Lippen und erkannte, am Ziel ihrer Träume zu sein.

Irgendetwas hatte sich in diesem Moment geändert, irgendetwas war in ihrem Herzen geschehen.

10. KAPITEL

Genau wie am Vortag rief Lucas auch am Mittwoch seine Sekretärin gleich morgens an.

„Bitte sagen Sie meine Termine alle ab.“

Er hörte sie schlucken.

„Wie Sie wünschen, Mr Vieira.“

Verständlich, dass sie perplex war, denn von dieser Seite kannte sie ihn nicht. Er hatte bisher nur dann zwei Tage hintereinander im Büro gefehlt, wenn er auf Dienstreise oder im Urlaub gewesen war.

Er handelte gegen seine Prinzipien, das wusste Lucas, doch die Umstände zwangen ihn dazu.

Die Semesterferien waren zu Ende, Caroline musste wieder zur Uni. Als wissenschaftliche Hilfskraft besaß sie dort ein kleines Büro – eher ein Kämmerchen, wie sie lachend erklärte. Jedenfalls mussten ihre gesamten Unterlagen, die sie in den Ferien zu Hause gehabt hatte, dorthin zurück. Sie allein und schwer bepackt mit der U-Bahn fahren zu lassen, kam natürlich überhaupt nicht infrage.

Darüber hinaus brauchte er Zeit, um sich eine Strategie zurechtzulegen. Caroline in ihr altes Apartment zurückkehren zu lassen, würde er nicht dulden, aber eine Alternative war ihm noch nicht eingefallen. Bisher war er dem Thema einfach ausgewichen.

Früher oder später würde sie ausziehen müssen, das sah er ein. Auf Dauer Mahlzeiten, Wochenenden und den Feierabend in Carolines Gesellschaft zu verbringen, war für ihn keine Perspektive.

Autor

Sandra Marton
<p>Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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Sandra Marton
<p>Sandra Marton träumte schon immer davon, Autorin zu werden. Als junges Mädchen schrieb sie Gedichte, während ihres Literaturstudiums verfasste sie erste Kurzgeschichten. „Doch dann kam mir das Leben dazwischen“, erzählt sie. „Ich lernte diesen wundervollen Mann kennen. Wir heirateten, gründeten eine Familie und zogen aufs Land. Irgendwann begann ich, mich...
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