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Ein Schloss, so einsam und geheimnisvoll wie sein Besitzer! Als Physiotherapeutin Diana in Cornwall in dem alten Gemäuer ihren neuen Patienten begrüßt, bleibt ihr Herz für einen Moment stehen. Das ist Edward St. Cyr? Ihm soll sie nach seinem Autounfall wieder auf die Beine helfen? Diana bebt. Denn nicht nur, dass sie dem zynischen, aber gefährlich attraktiven Edward schon einmal begegnet ist, sie fühlt auch, sein Körper ist ebenso verletzt wie seine Seele. Kein Wunder, dass der unnahbare Aristokrat keine Gefühle zeigen kann … aber warum küsst er sie dann so verführerisch?


  • Erscheinungstag 20.12.2016
  • Bandnummer 0026
  • ISBN / Artikelnummer 9783733709716
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Das ist alles, was ich dir geben kann, sagte er. Keine Hochzeit. Keine Kinder. Alles, was ich dir bieten kann, ist … das. Und dann küsste er mich, federleicht, bis es mir den Atem verschlug und ich in seinen Armen zitterte. Bist du einverstanden?

Ja, flüsterte ich, meine Lippen an seinen. Ich wusste kaum, was ich sagte. War mir des Versprechens, das ich gab, kaum bewusst, oder dessen, was es mich kosten könnte. Zu sehr war ich in jenem Moment gefangen, der die Welt in ein wirbelndes Licht aus Millionen von Farben tauchte.

Jetzt, zwei Monate später, hatte ich gerade die Neuigkeit erfahren, die alles änderte.

Als ich die herrschaftliche Treppe in seiner Londoner Villa hinaufging, schlug mir das Herz bis zum Hals. Ein Baby. Ich umklammerte das Eichengeländer, während meine unsicheren Schritte von den Wänden widerhallten. Ein Baby. Ein kleiner Junge mit Edwards Augen? Ein bezauberndes kleines Mädchen mit seinem Lächeln? Der Gedanke an das süße kostbare Baby, das ich bald in meinen Armen halten würde, zauberte ein träumerisches Lächeln auf meine Lippen. Dann fiel mir mein Versprechen wieder ein.

Meine Hände verkrampften sich. Würde er glauben, dass ich irgendwie absichtlich schwanger geworden war? Um ihn gegen seinen Willen zum Vater zu machen?

Nein. Das würde er nicht. Das konnte er nicht.

Oder doch?

Oben war es kalt und dunkel. Wie in Edwards Herz. Denn unter seinem sinnlichen Charme war eine Seele aus Eis. Das hatte ich immer gewusst, egal, wie sehr ich versucht hatte, mir etwas vorzumachen.

Hatte ich den größten Fehler meines Lebens begangen?

Bei unserem Schlafzimmer angelangt, stieß ich langsam die Tür auf.

„Du hast mich warten lassen.“ Edwards Stimme, die aus der Dunkelheit kam, klang gefährlich. „Komm ins Bett, Diana.“

Komm ins Bett.

Die Hände zu Fäusten geballt, trat ich ins Dunkel.

1. KAPITEL

Vier Monate zuvor

Ich verging innerlich.

Nachdem ich stundenlang auf dem Rücksitz der Limousine gesessen hatte, die Heizung voll aufgedreht, fühlte sich die Luft drückend heiß an. Ich ließ das Fenster herunter, um einen tiefen Zug frische Luft und Regen einzuatmen.

„Sie werden sich den Tod holen“, sagte der Fahrer säuerlich. Fast die ersten Worte, die er überhaupt gesprochen hatte, seit er mich in Heathrow abgeholt hatte.

„Ich brauche frische Luft“, sagte ich entschuldigend.

Er schnaubte, dann murmelte er etwas vor sich hin. Ich setzte ein Lächeln auf und sah aus dem Fenster. Zerklüftete Berge warfen einen dunklen Schatten auf die einsame Straße, umgeben von einem düsteren Moor, über dem feuchte Nebelschwaden hingen.

In der Dämmerung sah die schwarze Silhouette einer fernen Klippe vor der roten Sonne über dem Meer aus wie ein Geisterschloss. Ich konnte das Klirren der Schwerter längst vergangener Schlachten fast hören, das Gebrüll blutrünstiger Sachsen und Kelten.

„Penryth Hall, Miss.“ Die ruppige Stimme des Fahrers war durch Wind und Regen kaum zu hören.

Penryth Hall? Mit angehaltenem Atem blickte ich zur fernen Klippe. Es war gar keine optische Täuschung. Das Schloss war wirklich da, von verstreuten Lichtern erleuchtet, ein geisterhafter Schatten über dem dunkelroten Meer.

Als wir näher kamen, betrachtete ich die Festungsmauer mit ihren Zinnen. Das Gebäude sah nicht unbedingt so aus, als könnte man darin wohnen, wenn man nicht gerade ein Vampir war. Dafür hatte ich also die Sonne Kaliforniens verlassen.

Blinzelnd ließ ich mich in den Ledersitz sinken und versuchte meine zitternden Hände zu beruhigen. Der Duft des Regens überdeckte den süßen, leicht fauligen Geruch von Herbstlaub, verwesendem Fisch und Meeressalz.

„Um Himmels willen, Miss, jetzt reicht es aber mit dem Regen.“

Der Fahrer drückte einen Knopf, und mein Fenster schloss sich vor der frischen Luft, während der Geländewagen über die Straße holperte. Mit einem Kloß im Hals blickte ich auf das Buch, das noch aufgeschlagen auf meinem Schoß lag. Private Krankenpflege: Wie man professionellen Abstand wahrt und unmoralische Avancen seines Arbeitgebers abwehrt, wenn man den Patienten zu Hause betreut. In der wachsenden Dunkelheit waren die Worte nur noch Schatten. Bedauernd klappte ich das Buch zu, bevor ich es vorsichtig in meiner Handtasche verstaute.

Ich hatte es auf dem Flug von Los Angeles bereits zweimal gelesen. In jüngster Zeit waren zu dem Thema, wie man als persönliche Physiotherapeutin einem zurückgezogenen Tycoon half, von einer Verletzung zu genesen, nicht viele Ratgeber veröffentlicht worden. Das einzige, was ich gefunden hatte, war ein zerfleddertes Buch von 1959, das ich gebraucht gekauft hatte – und bei näherer Betrachtung entpuppte es sich sogar als ein Nachdruck von 1910. Geschrieben von einer gewissen Mrs. Warreldy-Gribbley. Doch es musste reichen. Ich war zuversichtlich, dass mir das Buch helfen würde. Büchern halfen immer.

Es waren die Menschen, die ich oft nicht durchschaute.

Zum zwanzigsten Mal, fragte ich mich, wie mein neuer Arbeitgeber sein mochte. War er alt, schwach, gebrechlich? Und warum ließ er mich aus sechstausend Meilen Entfernung einfliegen? Die Stellenvermittlung in L. A. hatte sich, was die Einzelheiten anging, bedeckt gehalten.

„Ein wohlhabender britischer Tycoon“, hatte man mir gesagt. „Vor zwei Monaten bei einem Autounfall verletzt. Er kann kaum laufen. Er hat nach Ihnen gefragt.“

„Warum? Kennt er mich?“ Meine Stimme bebte. „Oder meine Stiefschwester?“

Schulterzucken. „Die Anfrage kam von einer Londoner Vermittlung. Offenbar waren die Physiotherapeuten in England ungeeignet.“

Ich lachte ungläubig. „Alle?“

„Mehr darf ich nicht verraten. Außerdem müssen Sie eine Verschwiegenheitsklausel unterschreiben. Und sich damit einverstanden erklären, auf unbestimmte Zeit auf seinem Anwesen zu wohnen.“

Bis vor drei Wochen hätte ich so einem Job nie zugestimmt. Seitdem hatte sich eine Menge geändert.

Der Range Rover beschleunigte, als wir uns dem Schloss am Rand der Klippe näherten. Wir fuhren unter einem mit Wein bewachsenen Tor hindurch, um das sich gusseiserne Seeschlangen wanden, in den Hof. Der Wagen hielt an. Von allen Seiten umgaben uns graue Steinmauern.

Einen Moment lang saß ich still und umklammerte die Handtasche in meinem Schoß.

„Vergleichen Sie Ihr Dasein mit dem eines Teppichs“, flüsterte ich leise vor mich hin, Mrs. Warreldy-Gribbley zitierend. „Seien Sie leise und rücksichtsvoll und duldsam, und nehmen Sie es nicht übel, wenn man einmal auf Sie tritt.“

Die Tür des Geländewagens öffnete sich. Ein großer Regenschirm erschien, der von einer älteren Frau gehalten wurde. „Miss Maywood?“ Sie rümpfte die Nase. „Hat ja lang genug gedauert.“

„Äh …“

„Ich bin Mrs. MacWhirter, die Haushälterin“, sagte sie. „Hier entlang, bitte.“

„Danke.“ Während ich aus dem Wagen stieg, sah ich zu dem moosbewachsenen Schloss hinauf. Es war der erste November. Aus der Nähe sah Penryth Hall sogar noch gespenstischer aus.

Ich fröstelte, als kalte Regentropfen mir an Haar und Jacke herunterliefen. Vor mir wedelte die Haushälterin stirnrunzelnd mit dem Schirm.

„Miss Maywood?“

„Verzeihung.“ Ich trat einen Schritt vor und schenkte ihr den Versuch eines Lächelns. „Bitte, nennen Sie mich doch Diana.“

Sie bedachte mein Lächeln mit einem verächtlichen Blick. „Der Meister wartet schon seit Ewigkeiten auf Sie.“

„Meister …“ Ich schnaubte bei dem Wort, dann sah ich ihren humorlosen Gesichtsausdruck und räusperte mich. „Oh. Richtig. Tut mir furchtbar leid. Mein Flug hatte Verspätung …“

Sie schüttelte missbilligend den Kopf. „Mr. St. Cyr wünscht, dass Sie sofort in sein Büro kommen. Hier entlang.“

Ich folgte ihr, müde und missmutig. Meister, dachte ich gereizt. Was war das hier, Sturmhöhe? – Den Roman meine ich, nicht die sehr freie Drehbuch-Adaption, die mein Stiefvater letztes Jahr zu einer TV-Serie verarbeitet hatte, mit einem Schmollmund-Starlet als Cathy und so heißen Sexszenen, dass Emily Brontë sich wahrscheinlich heute noch im Grab umdrehte. Aber die Serie war ein großer Erfolg, was wieder einmal nur bewies, dass ich genauso naiv war, wie Howard mir immer vorwarf. „Sieh den Tatsachen ins Auge, Süße“, hatte er freundlich gesagt. „Was die Leute interessiert, ist Sex. Sex und Geld.“

Hier war ich also, sechstausend Meilen von zu Hause entfernt, allein in einem unheimlichen Schloss.

Und selbst hier, zwischen den alten Rüstungen und Wandteppichen, entdeckte ich einen schicken modernen Laptop. Ich hatte mein Handy und mein Tablet extra in Beverly Hills gelassen. Auf meiner Stirn bildete sich eine Schweißperle. Ich würde nicht nachsehen, was drüben los war, ich würde …

„Hier herein, Miss.“ Mrs. MacWhirter führte mich in ein äußerst maskulin wirkendes Zimmer mit dunklen Holzmöbeln und einem Feuer im Kamin. Ich war darauf gefasst, einem alten, gebrechlichen Herrn gegenüberzutreten. Doch es war niemand da. Stirnrunzelnd drehte ich mich zur Haushälterin um.

„Wo ist …?“

Sie war verschwunden. Ich stand allein in den flackernden Schatten des Arbeitszimmers. Ich wollte gerade wieder gehen, als ich eine Stimme aus den Tiefen der Dunkelheit hörte.

„Kommen Sie doch näher.“

Erschrocken sah ich mich um. Auf einem kunstvoll geknüpften Teppich vor dem Kamin saß ein riesengroßer wuscheliger Hirtenhund, der mit heraushängender Zunge hechelte und mich mit schiefem Kopf musterte.

Erlitt ich gerade einen Nervenzusammenbruch, wie meine Freundin Kristin vorhergesagt hatte?

„Benötigen Sie eine Sonderaufforderung, Miss Maywood?“ Die Stimme klang jetzt gereizt. „Treten Sie näher, sagte ich. Ich möchte Sie sehen.“

Erst da begriff ich, dass die tiefe Stimme nicht aus dem Jenseits kam, sondern von dem Ledersessel mit der hohen Rückenlehne vor dem Kamin. Oh. Mit brennenden Wangen ging ich darauf zu.

Und erstarrte.

Edward St. Cyr war weder alt noch gebrechlich. Nein. Der Mann auf dem Stuhl mit der hohen Rückenlehne war äußerst attraktiv. Sein durchtrainierter Körper strahlte Stärke aus, ja sogar Gefahr. Wie ein wilder Tiger – im Käfig …

„Sie sind Edward St. Cyr?“, flüsterte ich, unfähig, den Blick abzuwenden. Ich schluckte. „Mein neuer Arbeitgeber?“

„Das“, sagte er kühl, „sollte doch offensichtlich sein.“

Sein Gesicht war markant, zu zerfurcht, um auf konventionelle Art schön zu sein. Hübsch war er nicht. Sein Kinn war kantig, und seine gebogene Nase oben ein bisschen schief, als wäre sie einmal gebrochen gewesen. Seine Schultern waren breit, sein rechter Arm hing in einer Schlinge. Sein linkes Bein war steif ausgestreckt, der Fuß ruhte auf einem Schemel. Er sah aus wie ein Boxer, ein Rausschmeißer, vielleicht sogar ein Gangster.

Bis man in seine Augen sah. Unglaublich blau, hoben sie sich von seiner olivfarbenen Haut ab, die Farbe eines mondlichtgetränkten, mitternächtlichen Ozeans. Gequälte Augen von unsäglicher Tiefe, blau wie ein Gletscher, der sich über dem Eismeer erhebt.

Seine Seele ist verletzter als sein Körper, dachte ich unvermittelt.

Dann verschloss sich sein Gesichtsausdruck, wurde sarkastisch und leer, der Blick aus seinen blauen Augen nur noch skrupellos und zynisch. Hatte ich mir nur eingebildet, darin Gefühle gesehen zu haben?

„Warten Sie“, hauchte ich. „Ich kenne Sie, nicht wahr?“

„Wir sind uns einmal begegnet, auf der Party Ihrer Schwester letzten Juni.“ Seine sinnlichen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Freut mich, dass Sie sich erinnern.“

„Madison ist meine Stiefschwester“, korrigierte ich ihn automatisch. Im flackernden Licht des Feuers ging ich näher an den Sessel heran. „Sie waren damals sehr unhöflich.“

Unsere Blicke begegneten sich. „Aber hatte ich unrecht?“

Meine Wangen brannten. Ich war Madisons Assistentin gewesen und daher gezwungen, auf ihrer schicken Party zu erscheinen. Es gab einen DJ und Kellner und etwa hundert Gäste aus der Filmbranche – Schauspieler, Regisseure, reiche Möchtegern-Produzenten. Normalerweise hätte ich mich gedrückt. Doch diesmal genoss ich es, weil ich meinen neuen Freund im Schlepptau hatte. Ich war so stolz, als ich Jason Madison vorstellte. Dann, später, beobachtete ich die beiden von der anderen Seite des Raumes.

Eine sarkastische britische Stimme hinter mir sagte: „Er wird Sie für Madison verlassen.“

Ich drehte mich um und sah einen auf geheimnisvolle Weise attraktiven Mann mit kalten blauen Augen. „Verzeihung?“

„Ich habe Sie zusammen hereinkommen sehen. Wollte Ihnen nur den Schmerz ersparen.“ Spöttisch prostete er mir mit seinem Martini-Glas zu. „Sie sind keine Konkurrenz für Madison, und das wissen Sie.“

Es war ein Dolchstoß in mein Herz gewesen.

Sie sind keine Konkurrenz für Madison, und das wissen Sie. Blond und unglaublich schön zog meine Stiefschwester, die ein Jahr jünger war als ich, Männer an wie Honig Bienen.

Ich starrte den Mann an, der vor mir stand, bevor ich auf dem Absatz kehrtmachte. „Sie wissen nicht, wovon Sie reden.“

Doch er hatte recht behalten.

Madison sorgte dafür, dass Jason in ihrem neuen Film eine Rolle bekam. Als ihre Assistentin war ich am Set in Paris jeden Tag dabei. Dann bat sie mich, nach L. A. zurückzufliegen, um der Journalistin einer Hochglanzzeitschrift ihr Haus in den Hollywood Hills zu zeigen und ihr zu erzählen, wie es war, ein „Mädchen von nebenan“ zu sein, das Madison Lowe als Stiefschwester hatte, einen halb prominenten Produzenten als Stiefvater und Nachwuchsstar Jason Black als Freund. „Wir brauchen die Publicity“, hatte Madison behauptet.

Doch die Journalistin hörte kaum zu, als ich sie durch Madisons verschwenderisch eingerichtetes Haus führte und über meine Stiefschwester und Jason sprach. Bis sie plötzlich mit der einen Hand auf ihren Ohrstöpsel drückte, laut auflachte und sich mit einem bösartigen Funkeln in den Augen zu mir umdrehte. „Faszinierend. Aber interessiert es Sie nicht, was die beiden heute in Paris getrieben haben?“ Dann hatte sie mir Live-Aufnahmen der beiden gezeigt, halb nackt und betrunken unter dem Eiffelturm.

Das Video wurde eine internationale Sensation, zusammen mit dem Clip meines dummen Gesichts.

In den vergangenen drei Wochen hatte ich mich im Haus meines Stiefvaters vor den Paparazzi verschanzt.

Ich war nach Cornwall geflohen, um alldem zu entkommen.

Als ich nun meinen neuen Arbeitgeber ansah, durchlief mich ein Schauer, der mich bis ins Mark erschütterte. „Haben Sie mich deshalb engagiert? Um sich an meinem Unglück zu weiden?“

Edward sah mich kalt an. „Nein.“

„Dann weil ich Ihnen leidtue.“

„Hier geht es nicht um Sie.“ Seine dunkelblauen Augen funkelten im Schein des Feuers. „Hier geht es um mich. Ich brauche eine gute Physiotherapeutin. Die beste.“

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. „Es muss in Großbritannien doch Hunderte guter Physiotherapeuten geben …“

„Nach vier habe ich aufgegeben“, sagte er säuerlich. „Die erste taugte nichts. Dumm wie Stroh. Als ich vorsichtig ein bisschen konstruktive Kritik übte, hat sie gekündigt.“

„Vorsichtig?“

„Die zweite hat ständig gekichert und taugte ebenfalls nichts. Am zweiten Tag hab ich sie rausgeschmissen, als ich sie dabei erwischte, wie sie versuchte, am Telefon meine Story an die Presse zu verkaufen…“

„Warum sollte die Presse an Ihrer Story interessiert sein? Hatten Sie denn keinen Unfall?“

Fast unmerklich kniff er die Lippen zusammen. „Die Einzelheiten sind der Öffentlichkeit nicht bekannt, und so soll es auch bleiben.“

„Glück gehabt“, sagte ich bei dem Gedanken an die Medienattacke auf mich selbst.

Seine dunklen Augen funkelten. „Da haben Sie wohl recht.“ Er blickte auf seinen Arm in der Schlinge, auf sein Bein. „Ich kann schon wieder laufen, aber nur mit Krücke. Deshalb habe ich nach Ihnen schicken lassen. Machen Sie mich gesund.“

„Was war mit den anderen beiden?“

„Welche anderen beiden?“

„Sie sagten, Sie hätten vier Physiotherapeuten ausprobiert.“

„Oh. Die dritte war eine Zuchtmeisterin mit Raubvogelgesicht.“ Er zuckte die Schultern. „Allein ihr Anblick nahm mir jeden Lebenswillen.“

Verstohlen sah ich an meiner Strickjacke hinunter, meinen vernünftigen Clogs und der weiten Kakihose, die vom Nachtflug ganz zerknittert war, und fragte mich, ob auch mein Anblick seinen Lebenswillen auf die Probe stellte. Ich blickte wieder auf und reckte das Kinn. „Und die vierte?“

„Ach, na ja.“ Seine Mundwinkel zuckten. „Eines Abends tranken wir zu viel Wein und fanden uns im Bett bei einer ganz anderen Art Therapie wieder.“

Meine Augen weiteten sich. „Sie haben Sie gefeuert, weil sie mit Ihnen geschlafen hat? Sie sollten sich schämen.“

„Ich hatte keine Wahl“, sagte er gereizt. „Sie hat sich über Nacht von einer anständigen Physiotherapeutin in eine heiratswütige Klette verwandelt. Ich habe sie dabei erwischt, wie sie überall auf die Krankenberichte Mrs. St. Cyr kritzelte und Herzchen und Blümchen darum herum malte.“ Er schnaubte. „Also bitte.“

„Sie Ärmster“, sagte ich sarkastisch. Dann neigte ich den Kopf und strich mir über die Wange. „Oder warten Sie. Vielleicht sind Sie ja das Problem.“

„Es gibt kein Problem“, sagte er ruhig. „Jetzt wo Sie hier sind.“

Ich verschränkte die Arme. „Ich verstehe es immer noch nicht. Warum ich? Wir sind uns nur einmal begegnet, und da hatte ich die Physiotherapie längst an den Nagel gehängt.“

„Ja. Um als Assistentin für die weltberühmte Madison Lowe zu arbeiten. Seltsamer Karrieresprung, wenn ich das sagen darf, von Weltklasse-Physiotherapeutin zur Latte-macchiato-Beschafferin für Ihre Stiefschwester.“

„Wer sagt, dass ich Weltklasse war?“

„Ron Smart. Tyrese Carlsen. John Field.“ Er verstummte. „Großartige Athleten, aber berüchtigte Weiberhelden. Ich nehme an, einer von ihnen ist schuld, dass Sie den Beruf aufgegeben haben. Irgendetwas muss Ihnen den Gedanken, Assistentin eines verwöhnten Stars zu werden, plötzlich schmackhaft gemacht haben.“

„Meine Patienten waren alle total professionell“, sagte ich scharf. „Ich habe mich aus einem anderen Grund entschieden, die Physiotherapie aufzugeben.“ Ich wandte den Blick ab.

„Ach kommen Sie, mir können Sie es doch sagen. Wer hat Sie begrapscht?“

„Nichts dergleichen ist passiert.“

„Ich habe mir schon gedacht, dass Sie das sagen würden.“ Süffisant zog er eine Augenbraue hoch. „Das ist der zweite Grund, warum ich Sie wollte, Diana. Ihre Diskretion. Außerdem hat sie ihr Freund mit Amerikas Liebling betrogen. Sie hätten die Story jederzeit verkaufen können. Doch Sie haben nie ein Wort gegen die beiden gesagt. Das nenne ich Loyalität.“

Bei ihm klang ich wie eine Heldin. „Ich tratsche nicht.“

„Sie waren eine der Besten in ihrem Beruf. Einer Ihrer Patienten hat etwas getan, oder? Deshalb haben Sie aufgehört. Ich frage mich, wer …“

„Um Himmels willen!“ Ich explodierte. „Keiner von denen hat irgendwas getan. Ich habe aufgehört, als Physiotherapeutin zu arbeiten, weil ich Schauspielerin werden wollte!“

Schauspielerin. Die Worte klangen im dunklen Arbeitszimmer nach, und ich wünschte, ich hätte sie zurücknehmen können. Meine Wangen brannten. Selbst das Knistern des Feuers schien mich auszulachen.

Doch Edward St. Cyr lachte nicht. „Wie alt sind Sie, Miss Maywood?“

Das Brennen auf meinen Wangen wurde stärker. „Achtundzwanzig.“

„Alt für eine Schauspielerin“, bemerkte er.

„Ich träume davon, seit ich zwölf war.“

„Warum haben Sie dann nicht früher damit angefangen? Warum haben Sie so lange gewartet?“

„Physiotherapie gefiel mir“, verteidigte ich mich. „Es gefiel mir, den Menschen zu helfen, gesund zu werden.“

„Warum sind Sie dann nicht Arzt geworden?“

„In der Physiotherapie stirbt niemand.“ Meine Stimme zitterte ein wenig. Ich reckte das Kinn und sagte ganz ruhig: „Es war eine vernünftige Berufswahl. Aber nach all den Jahren …“

„Sehnten Sie sich nach etwas anderem?“

Ich nickte. „Ich habe gekündigt. Doch die Schauspielerei war dann doch nicht so toll, wie ich es mir vorgestellt hatte. Einige Wochen ging ich zu Castings. Dann habe ich es gelassen und wurde stattdessen Madisons Assistentin.“

„Obwohl es Ihr Lebenstraum war, haben Sie es nur ein paar Wochen versucht?“

Den Blick auf meine Füße gerichtet, murmelte ich: „Es war ein dummer Traum.“

Ich wartete, dass er sagte: „Es gibt keine dummen Träume“, oder aufbauende oder mitfühlende Laute von sich gab, wie es die Leute immer taten. Selbst Madison hatte das hinbekommen.

„Wahrscheinlich besser so“, sagte Edward.

Ich hob den Kopf. „Hm?“

Er nickte weise. „Entweder wollten Sie es nicht genug, oder Sie waren zu feige, um dafür zu kämpfen. Auf jeden Fall wären Sie gescheitert. Gut, dass Sie das rechtzeitig eingesehen haben. Jetzt können Sie sich wieder nützlich machen. Indem Sie mir helfen.“

Vor Empörung fiel mir sekundenlang keine passende Antwort ein. Dann funkelte ich ihn an.

„Das wissen Sie doch gar nicht. Vielleicht hätte ich es geschafft. Sie haben vielleicht Nerven …“

„Sie haben Ihr ganzes Leben davon geträumt und schmeißen dann nach zehn Minuten alles hin? Ich bitte Sie. Sie lügen sich selbst in die Tasche. Es ist gar nicht Ihr Traum.“

„Vielleicht doch.“

„Was tun Sie dann hier?“ Er zog die dunklen Augenbrauen hoch. „Wollen Sie es noch mal versuchen? London hat eine blühende Theaterszene. Ich bezahle Ihnen das Zugticket. Ich würde Sie sogar in meinem eigenen Jet nach Hollywood zurückfliegen lassen. Beweisen Sie mir, dass ich Unrecht habe.“ Er neigte den Kopf und sah mich herausfordernd an. „Nutzen Sie Ihre Chance.“

Ich starrte ihn wütend an und hasste ihn dafür, dass er mich durchschaut hatte. Am liebsten hätte ich sein Angebot angenommen und wäre zur Tür hinausmarschiert.

Dann dachte ich an die zermürbenden Castings, die kalten Reptilienaugen der Casting-Agenten, die mich musterten und aussiebten – zu alt, zu jung, zu dünn, zu hübsch, zu dick, zu hässlich. Wertlos. Ich war keine Madison Lowe. Und ich wusste es.

Ich ließ die Schultern hängen.

„Das habe ich mir gedacht“, sagte Edward. „Sie sind also arbeitslos und brauchen einen Job. Perfekt. Zufällig habe ich einen für Sie.“

„Warum ich?“, flüsterte ich mit einem Kloß im Hals. „Das verstehe ich immer noch nicht.“

„Wirklich nicht?“ Er wirkte überrascht. „Sie sind die Beste in Ihrem Job, Diana. Zuverlässig, kompetent. Schön …“

Ich sah ihn scharf an, weil ich vermutete, dass er sich über mich lustig machte. „Schön.“

„Wunderschön.“ Im flackernden Schein des Feuers hielten seine dunkelblauen Augen meinen Blick. „Trotz dieser scheußlichen Klamotten.“

„Hey“, protestierte ich schwach.

„Doch Sie besitzen andere Qualitäten, die mir wichtiger sind als Schönheit. Kompetenz. Loyalität. Geduld. Intelligenz. Diskretion. Ergebenheit.“

„Bei Ihnen klinge ich wie …“ Ich deutete auf den Hirtenhund auf dem Teppich. Der Hund hob den Kopf und sah mich fragend an.

Edward St. Cyrs Mundwinkel hoben sich. „Wie Caesar? Ja. Genau das brauche ich. Ich bin froh, dass wir uns verstehen. Und in ein paar Monaten, wenn ich wieder laufen kann, haben Sie vielleicht herausgefunden, was Sie wirklich mit Ihrem Leben anfangen wollen. Dann verlassen Sie Penryth Hall mit genug Geld, um tun zu können, was immer Sie wollen. Wieder an die Uni gehen. Sich mit einer eigenen Praxis selbstständig machen. Oder zu Castings gehen.“ Er schüttelte den Kopf. „Egal was.“

„Sie wollen nur, dass ich bleibe.“

„Natürlich.“

Hilflos schüttelte ich den Kopf. „Allmählich fange ich an zu glauben, dass ich mich von Menschen fernhalten sollte.“

Seine Augen glänzten im Schein des Feuers. „Ich verstehe Sie. Besser, als Sie glauben.“

Ich versuchte zu lächeln. „Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Mann wie Sie viel Zeit allein verbringt.“

Er wandte den Blick ab. „Es gibt verschiedene Arten des Alleinseins“, sagte er schroff. „Bleiben Sie. Dann können wir zusammen allein sein.“

Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. „Erzählen Sie mir mehr über Ihre Verletzung.“

Ein Schatten legte sich über sein schönes Gesicht, und er machte wieder dicht.

„Hat die Agentur Sie nicht informiert?“, fragte er knapp. „Autounfall.“

„Man hat mir gesagt, dass sie sich den linken Knöchel gebrochen haben, den rechten Arm und zwei Rippen.“ Ich musterte seinen Körper. „Außerdem die Schulter ausgerenkt, dann erneut ausgerenkt, nachdem Sie wieder zu Hause waren. Ist das bei der Physiotherapie passiert?“

Er machte eine einseitige Bewegung, die ein Schulterzucken darstellen sollte. „Ich war gelangweilt und bin im Meer schwimmen gegangen.“

Er hätte ertrinken können. „Sind Sie verrückt?“

„Ich sagte doch, ich war gelangweilt. Und möglicherweise ein wenig betrunken.“

„Sie sind verrückt“, hauchte ich. „Kein Wunder, dass Sie einen Autounfall hatten. Lassen Sie mich raten. Sie haben ein Straßenrennen veranstaltet. So wie im Film.“

Die Luft in dem dunklen Arbeitszimmer wurde so kalt, dass sie vor Frost fast klirrte. Mit der Hand umklammerte er die Armlehne und ließ sie dann abrupt wieder los.

„Richtig geraten“, sagte er eisig. „Ich bin mit meinem Wagen gegen einen Brunnen gefahren und habe mich am Hang viermal überschlagen. Genau wie im Film.“

Aus Gründen, die ich nicht verstand, war seine Freundlichkeit verpufft. Ich biss mir auf die Lippe. „Was ist wirklich passiert? Was war die Ursache?“

Autor

Jennie Lucas
<p>Jennie Lucas wuchs umringt von Büchern auf! Ihre Eltern betrieben einen kleinen Buchladen und so war es nicht weiter verwunderlich, dass auch Jennie bald deren Leidenschaft zum Lesen teilte. Am liebsten studierte sie Reiseführer und träumte davon, ferne Länder zu erkunden: Mit 17 buchte sie ihre erste Europarundreise, beendete die...
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