Ein Boss zum Träumen

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Weihnachten steht vor der Tür, doch Shana ist nicht nach Feiern zumute. Wie soll sie ihrer Tochter mit ihren bescheidenen Mitteln bloß ein schönes Fest bereiten? Da erweist sich der attraktive Landon Kincaid als Retter in der Not: Er stellt die dankbare Shana als seine Haushälterin an. Allerdings wohnt sie noch nicht mal bei ihm, als bereits erste Gerüchte über ihre vermeintliche Affäre mit dem Boss auftauchen …


  • Erscheinungstag 30.08.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783745753455
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Shana Callahan hoffte schon lange nicht mehr auf das große Los in ihrem Job. An diesem Morgen jedoch flatterten seltsamerweise Schmetterlinge in ihrem Magen. Sie presste sich die Hand auf den Bauch, als sie mit dem Aufzug in dem Bürohaus mitten im Stadtzentrum von Sacramento in den zweiten Stock fuhr.

Der Lift schien sich in Zeitlupe zu bewegen. Unentwegt gingen ihr die Worte ihrer Chefin durch den Kopf. „Es handelt sich um eine längerfristige Anstellung, Shana. Und zwar in Chance City.“

Chance City – der Ort, an dem sie aufgewachsen, aus dem sie mit achtzehn Jahren geflohen und in den sie nach zehn weiteren Jahren zurückgekehrt war. Zurück nach Hause.

Keine langen Fahrten mehr nach Sacramento, bloß um für ein paar Tage oder eine Woche einen Job anzunehmen. Keine Sorgen mehr, dass ihr Auto unterwegs schlappmachen könnte. Keine Angst vor Regen oder Nebel oder Verkehrsunfällen, die sie viel Zeit kosteten.

Wenn man tatsächlich einmal länger als zehn Minuten brauchte, um quer durch Chance City zu kommen, dann nur, weil man unterwegs anhielt, um mit einem Bekannten zu plaudern.

Natürlich gab es in diesem kleinen Ort auch eine Vermittlungsagentur – „Stets zu Diensten“ hieß sie. Wer etwas suchte oder anbot, klebte einen Zettel ans Schwarze Brett in der Kneipe, wo die meisten geschäftlichen Transaktionen geregelt wurden.

Die Aufzugtüren glitten auseinander. Shana folgte den Hinweisschildern zu den Räumen der noblen Vermittlungsagentur, die von den Klienten spöttisch auch „Frauen zur Miete“ genannt wurde. Julia Swanson war die Chefin, eine ebenso elegante wie selbstbewusste Frau.

„Hallo, Shana“, wurde sie von Missy, der Empfangsdame, begrüßt. „Gehen Sie bitte schon in Julias Büro. Sie wird gleich bei Ihnen sein.“

Das Büro strahlte die Noblesse seiner Besitzerin aus: gedeckte Farben, kostbare Möbel. Ihre Auftraggeber schätzten das vornehme Ambiente. Hinter dem Schreibtisch hing das Firmenmotto in Goldbuchstaben an der Wand: Wenn Sie Wert legen auf persönliche Zuwendung …

Shana setzte sich auf einen Stuhl, obwohl sie lieber auf und ab gelaufen wäre. Aus den Schmetterlingen in ihrem Magen war inzwischen ein Eisklumpen geworden. Nervös klopfte sie mit dem Fuß auf den Boden.

„Guten Tag, Shana.“ Julia stand im Türrahmen. „Wie fühlen Sie sich?“

Hoffnungsvoll. Verängstigt. Aufgeregt. „Gut danke. Ich bin schon ganz gespannt.“

Julia lächelte. „Bereit für Ihr Gespräch?“

„Ja.“ Shana erhob sich. „Können Sie mir schon etwas erzählen?“

„Mir ist es lieber, wenn das mein Klient tut.“

Sie verließen das Büro und gingen in den Konferenzraum, der zwei Türen weiter lag. Bisher hatte Shana mit ihren potenziellen Arbeitgebern immer in deren Büros gesprochen. In diesem Raum, in dessen Mitte ein großer Tisch mit vielen Stühlen stand, hatte sie noch keiner interviewt. Vor allem niemand aus Chance City. Das machte sie noch nervöser.

Ihre Hoffnung schwand, als der Mann sich von seinem Stuhl erhob. Er war groß, muskulös, hatte stahlblaue Augen und mittelbraunes Haar – und war ein alter Bekannter. Landon Kincaid. Shana hatte ihn vor einem Jahr zum ersten Mal gesehen und von Anfang an nicht leiden können. Er hatte nämlich versucht, ihre Schwester dem Mann abspenstig zu machen, für den sie seit jeher bestimmt war.

„Hallo, Shana“, begrüßte er sie jetzt, ohne ihr die Hand zu reichen.

„Kincaid.“ Sie klang abweisend.

„Dann lasse ich Sie beide jetzt mal allein.“ Julia schloss die Tür hinter sich.

Eine Weile starrte Shana auf die geschlossene Tür und versuchte, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Schließlich drehte sie sich zu ihm um. „Damit wäre die Sache ja wohl erledigt.“

„Wieso?“

„Nun ja, jetzt, wo du weißt, dass ich die Kandidatin bin …“

„Ich habe ausdrücklich nach dir gefragt.“ Kincaid deutete auf einen Stuhl.

Sie runzelte die Stirn. „Warum?“

„Weil du genau die Fähigkeiten besitzt, auf die es mir ankommt.“

Verwirrt rieb sie sich die Schläfen. „Wieso hast du mich dann nicht direkt angesprochen? Wir haben uns doch vor vier Tagen bei Aggies Thanksgiving-Party gesehen.“

„Weil du Nein gesagt hättest.“ Er setzte sich. „Jetzt weißt du wenigstens, dass es mir wirklich ernst mit meinem Angebot ist.“

„Warum sollte ich einen anständigen Job ausschlagen? Du kennst meine Situation. Ich suche schon seit Langem eine Arbeit in der Stadt. Du hättest dir die Vermittlungsgebühren sparen und mir mehr zahlen können. Wir hätten beide etwas davon gehabt.“

„Du hättest abgelehnt“, sagte er lächelnd.

„Nur, weil wir uns nicht besonders grün sind? Wohl kaum.“

Er lehnte sich zurück und betrachtete sie aufmerksam. „Offenbar hat Julia dir nicht alles erzählt.“

„Ich weiß nur, dass es in Chance City und für länger ist.“

„Also nicht, dass es eine Arbeitsstelle mit Unterkunft ist?“

Verblüfft starrte sie ihn an. „Nein. Außerdem habe ich eine Wohnung, vielen Dank.“ Warum erwähnte sie das? Ihm gehörte das Haus, in dem sie ein Apartment im ersten Stock gemietet hatte.

„Nicht mehr. Das heißt, bald nicht mehr. Ich brauche nämlich eine Wohnung für Dylan. Dein Apartment wäre genau das Richtige für ihn.“

Mit einem Satz war Shana auf den Füßen. „Du setzt mich vor die Tür? Ich habe eine Tochter, die siebzehn Monate alt ist. Wo sollen Emma und ich denn hin?“

„Zu mir.“

Sie traute ihren Ohren nicht. Das konnte doch nicht wahr sein! Was sollten die Leute von ihr denken, wenn sie in das Haus eines alleinstehenden Mannes zog? Gerade fing man wieder an, sie ernst zu nehmen und zu respektieren, nachdem sie vor ein paar Jahren einfach von zu Hause abgehauen war. Glücklicherweise war der Ärger darüber inzwischen verraucht.

Wenn sie mit Kincaid unter einem Dach lebte, ging das Getuschel sofort wieder von vorn los. Sie wollte gehen. „Das war reine Zeitverschwendung. Für beide von uns.“

Er schaffte es, vor ihr an der Tür zu sein und legte die Hand auf die Klinke, um sie am Hinausgehen zu hindern.

Ihr Herz machte einen Sprung, als sein Oberkörper ihre Schulter streifte. Sie war verletzt, aufgebracht und … noch etwas, über das sie lieber nicht nachdenken wollte. „Sei nicht kindisch, Kincaid.“

„Bitte hör mich an.“

Shana kämpfte gegen die Tränen der Enttäuschung und Wut an. Auf keinen Fall wollte sie vor ihm Schwäche zeigen.

„Bitte, Shana.“

„Na gut“, murmelte sie nach einer Weile. „Aber nur wegen Julia. Ich möchte ihr nicht erzählen, dass ich den Job abgelehnt habe, ohne zu wissen, um was es geht.“

Kincaid trat zur Seite, ohne Shana aus den Augen zu lassen. Befürchtete er vielleicht, dass sie doch noch weglief?

Mit hocherhobenem Kopf ging sie zu ihrem Stuhl zurück, setzte sich und verschränkte die Arme. Herausfordernd sah sie ihn mit ihren grünen Augen an.

Kincaid verkniff sich ein Grinsen. Ihr Zorn passte nicht so recht zu ihrem geschäftsmäßigen Äußeren – Rock, Jacke und hohe Absätze. Normalerweise trug sie Stiefel, Jeans und T-Shirts, die die Rundungen ihrer schlanken Figur betonten. Und der Pferdeschwanz, zu dem sie ihr blondes Haar gebunden hatte, war auch neu.

Am liebsten hätte er sich neben sie gesetzt. Doch etwas Distanz war ihr vermutlich lieber. Deshalb nahm er auf der anderen Seite des Tisches Platz. „Ich sage dir am besten gleich, was ich will. Zurzeit brummt mein Laden. Ich kann mich kaum noch persönlich um all meine Kunden kümmern.“

„Deswegen hast du doch Dylan eingestellt.“

„Vor allem, weil er das Gefühl haben sollte, seinen Platz gefunden zu haben. Er ist gerade mal achtzehn. Ich muss ihm noch eine Menge beibringen. Das kostet Zeit. In der Zwischenzeit kann ich mich um nichts anderes kümmern. Und jetzt kommst du ins Spiel.“

„Inwiefern?“

„Sarah McCoy ist im September aufs College gegangen. Zwei Jahre lang hat sie sich um meinen Haushalt gekümmert. Ich habe noch immer keinen vollwertigen Ersatz für sie gefunden.“

„Um dein Haus zu putzen, muss ich doch nicht bei dir wohnen.“

„Es geht um mehr als bloß Putzen. Es geht auch ums Aufräumen. Ich hasse Unordnung. Die Wäsche stapelt sich. Und zum Kochen habe ich auch keine Zeit …“

„Das sind doch ganz normale Hausarbeiten. Dafür brauche ich höchstens einen Tag pro Woche. Wenn das eine Art Gefälligkeitsjob für mich sein soll …“

„Ich brauche Hilfe“, unterbrach Kincaid sie. Natürlich war sie auf den Job angewiesen, auch wenn sie es niemals zugeben würde.

Ihre Schwester Dixie, mit der er recht gut befreundet war, hatte es ihm erzählt. Dixie lebte zwar derzeit auf der anderen Seite der Erdkugel, aber Aggie McCoy hielt sie auf dem Laufenden, was ihre Schwester anging. Sie hatte ihr berichtet, wie knapp Shana bei Kasse war, dass sie jeden Cent zweimal umdrehen musste und trotzdem auf keinen grünen Zweig kam.

Deshalb hatte Dixie ihn umgehend angerufen und gefragt, ob er Shana irgendwie helfen konnte. Geld würde sie niemals von ihm nehmen, aber wenn er einen Job für sie hätte …?

„Also eine Art Beschäftigungstherapie?“, hatte Kincaid gefragt.

„So darf es auf keinen Fall aussehen. Und sag ihr ja nicht, dass du es ihr zuliebe tust. Dann lehnt sie nämlich sofort ab und klappt zu wie eine Auster. Obwohl sie eigentlich an ihr Kind denken sollte, um das sie sich ja auch noch kümmern muss. Geh also sehr diplomatisch vor. Und versprich mir, ihr niemals zu sagen, dass ich es war, die dich um Hilfe gebeten hat.“

„Das ist die Abmachung, Shana.“ Er sah sie kühl an. „Renovierungen sind mein eigentlicher Job, aber dazu kommen noch zweiunddreißig Häuser, nicht nur in Chance City, sondern auch im Umland, um die ich mich kümmern muss. Dafür habe ich so gut wie keine Zeit. Die Mieter kommen und gehen. Die Häuser müssen auf Vordermann gebracht werden.“ Er holte kurz Luft.

„Außerdem brauche ich jemanden für die Büroarbeit – Buchhaltung und Steuererklärung und der ganze Kram. In einer Kiste sammle ich sämtliche Abrechnungen und Belege für das laufende Jahr. Die müssen geordnet werden. Wärst du dazu imstande?“

„Im Rechnen war ich schon immer gut.“

Das beantwortete seine Frage nicht wirklich. „Deinen Lohn zahlt die Agentur. Darüber hinaus biete ich dir Kost und Logis sowie eine zusätzliche Summe, wenn du dich um mein Haus kümmerst – und konsequenterweise um mein Leben.“ Er unterdrückte einen Seufzer. Dixie hatte ihn gewarnt, dass sie sich sperren würde.

„Ehrlich gesagt wollte ich niemals so viel arbeiten. Dabei habe ich schon mehr Aufträge abgelehnt als angenommen. Aber jetzt, wo Dylan bei mir arbeitet, ist das etwas anderes.“

„Inwiefern?“

„Er muss auf möglichst vielen Gebieten Erfahrungen sammeln, damit er eine vollwertige Arbeitskraft wird – und irgendwann selbstständig arbeitet. Um Nebensächlichkeiten wie Kochen und Saubermachen kann ich mich da nicht auch noch kümmern.“ Kincaid sah ihr in die Augen, die immer noch feindselig blickten.

„Das Beste habe ich dir allerdings noch gar nicht erzählt – das Beste für dich, wie ich meine. Ich weiß, dass du gern als Raumausstatterin arbeiten würdest. Es geht nicht nur darum, nach dem Renovieren die Möbel wieder aufzustellen. Du könntest die Kunden bei der Einrichtung ihrer Häuser beraten, ihnen Vorschläge machen. Du wärst der kreative Teil der Firma, und ich würde deine Ideen umsetzen. Wir wären ein prima Team.“

Endlich sah sie interessiert aus. Die tiefe Falte zwischen ihren Augenbrauen verschwand allmählich. „Inneneinrichtungen für Wohnungen und Büros?“, fragte sie.

Kincaid nickte und hoffte, dass seine nächsten Worte sie endgültig überzeugen würden. „Dieser Teil der Arbeit wäre ausschließlich deine Sache. Und du behältst das Geld, das du dabei verdienst.“ Dieses Angebot konnte sie unmöglich ablehnen. Dessen war er sich bewusst.

„In ein oder zwei Jahren hast du vielleicht genug Geld beisammen, um dir eine eigene Wohnung zu leisten. Ganz zu schweigen davon, dass du dir einen Kundenstamm aufbauen könntest – das hast du ja bis heute nicht getan.“

„Warum tust du das?“

Einer der Gründe, warum er Dixies Bitte erfüllte, lag in seiner Vergangenheit. Er dachte kaum noch darüber nach, und auch jetzt erwähnte er nur das Nötigste.

„Mit sechzehn musste ich zusehen, auf eigenen Beinen zu stehen, um aus einem ziemlichen Schlamassel herauszukommen. Im Gegensatz zu dir hatte ich nicht für ein kleines Kind zu sorgen, aber trotzdem war der Weg zum Erfolg ziemlich steinig. Ich habe es weitgehend allein geschafft, wenn mir auch hier und da jemand geholfen hat, um die ersten Jahre zu überleben. Wenn ich mich jetzt um Dylan kümmere, mache ich einiges damit wieder gut – und wenn ich dir einen Gefallen tun kann.“

Er beugte sich zu ihr. „Du hast deinen Stolz, Shana. Das weiß ich. Aber er sollte dir nicht im Weg stehen, wenn sich eine Gelegenheit bietet.“ Auch er hatte lange Jahre seinen Stolz gehabt.

„Emma ist siebzehn Monate alt“, erwiderte sie zögernd. „Das ist eine ziemlich stressige Zeit – für Mütter, meine ich. In dem Alter machen Kinder viel Krach und viel Unordnung.“

„Das klappt schon“, beruhigte er sie – und sich selbst. „Wie du weißt, ist mein Haus sehr groß.“

„Das weiß ich eben nicht. Ich war nämlich noch nie da. Ich kenne auch niemanden, der jemals dort eingeladen war.“

„Das soll in Zukunft anders werden.“ Mit seinem Einsiedlerleben war er jahrelang zufrieden gewesen, doch in letzter Zeit dachte er immer öfter darüber nach, dass es nach neunzehn Jahren, die er hier bereits lebte, Zeit war, die Stadt und ihre Bewohner näher kennenzulernen und nicht nur die wenigen aus seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Es käme auch Dylan zugute.

„Wenn du mir hilfst, wird sich das ändern“, wiederholte er. „Ich habe noch nicht einmal einen Weihnachtsbaum aufgestellt. Vielleicht könnte das deine erste Aufgabe werden. Emma würde es bestimmt auch gefallen, oder?“

Damit hatte er eine Saite in Shana zum Klingen gebracht. Ihr Gesichtsausdruck änderte sich, wurde weicher. Sie war nicht länger die verärgerte, stolze Frau, als die sie den Raum betreten hatte. Ihre Tochter würde einen Tannenbaum haben. Es gab ein paar Dinge, die es wert waren, seinen Stolz zu vergessen. „Ja“, sagte sie leise. „Das würde ihr gefallen.“

„Außerdem hätte sie ihr eigenes Zimmer. Im Moment teilt ihr euch doch wohl das Schlafzimmer, stimmt’s? Also, was hältst du davon?“

Ein langes Schweigen entstand. Schließlich sagte sie: „Ich muss darüber nachdenken.“

Verblüfft sah er sie an. Dabei war er sich seiner Sache doch so sicher gewesen …

„Wie lange brauchst du dafür?“, wollte er wissen. Hatte sie überhaupt eine Wahl? Eine preiswerte Wohnung zu finden war fast unmöglich. Warum zögerte sie noch?

Sie stand auf. „Ich komme heute Abend bei dir vorbei – wenn du zu Hause sein solltest.“

„Jederzeit nach sieben Uhr.“ Er folgte ihr zu Tür und öffnete sie.

Ohne ein weiteres Wort stapfte sie aus dem Haus. Nicht einmal von Julia verabschiedete sie sich.

Nachdenklich klopfte Kincaid an Julias Tür.

Sie winkte ihn herein. „Alles klar?“

„Sie denkt darüber nach.“

Julia zog die Augenbrauen hoch. Dann lächelte sie. „Ich habe ihre Tatkraft immer bewundert.“

„Was Sie Tatkraft nennen, nenne ich Dickköpfigkeit.“

„Ich habe schon vermutet, dass da zwei eigenwillige Charaktere aufeinanderprallen.“

„Das kann man wohl sagen. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber bei ihr war es Abneigung auf den ersten Blick.“

„Warum wollten Sie dann ausgerechnet sie haben? Und auch noch in Ihrem Haus?“

Ja, warum eigentlich? Zunächst einmal hatte er Dixie einen Gefallen erweisen wollen. Außerdem sollte Dylan eine eigene Wohnung bekommen. Nicht zuletzt hatte er auch Verständnis für Shanas Situation.

„Ich denke, sie wird bald für sich allein sorgen können, aber fürs Erste braucht sie jemanden, der sie unterstützt. Ich habe die Möglichkeit dazu.“ Zum Abschied schüttelte er Julia die Hand. „Ich rufe Sie an, wenn sie sich entschieden hat.“

„Gern.“

Er nahm die Treppe zur Tiefgarage. Es hatte zu regnen begonnen. Shana würde über rutschige Straßen zu der kleinen Stadt am Fuß einer Hügelkette fahren müssen und sicherlich länger brauchen als die Stunde, die die Fahrt normalerweise dauerte. Ihr Wagen war die reinste Schrottkiste. Hoffentlich überstand er den Trip. Kincaid verdrängte den Gedanken an das, was ihr möglicherweise zustoßen konnte, setzte sich ins Auto und fuhr los. Vielleicht holte er sie auf der Strecke ein.

Tatsächlich kam ihr Wagen nach einer Viertelstunde in Sicht. Kincaid fluchte leise, als er sah, dass sie sich strikt an das Tempolimit hielt. Auf dieser Strecke war das überhaupt nicht nötig. Es war nicht das Einzige, was ihn irritierte.

Von Anfang an waren sie sich nicht grün gewesen. Dennoch bewunderte er sie dafür, wie verbissen sie darum kämpfte, auf eigenen Füßen zu stehen. Und Menschen, die sich aufrichtig bemühten, musste man helfen. Das hatte er sich fest vorgenommen, nachdem er selbst in dieser Situation gewesen war und andere ihm geholfen hatten.

Er war gespannt, wie sich ihre Beziehung entwickeln würde.

Diese rein geschäftliche Beziehung , wie er sich immer wieder einredete.

Eisern hielt Shana sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Alle paar Sekunden schaute sie in den Rückspiegel in der Hoffnung, dass Kincaid sie endlich überholen und in Ruhe lassen würde. Sie musste über viele Dinge nachdenken. Dass er an ihrer Stoßstange klebte, irritierte sie kolossal.

Wenn er sich als Boss ebenso verhielt, würde sie den Job ablehnen. Sie brauchte keinen Aufseher, um ihre Arbeit zu erledigen.

An der Ausfahrt zu Chance City lagen ihre Nerven blank. Kurz entschlossen fuhr sie an den Straßenrand und hielt an.

Kincaid parkte unmittelbar hinter ihr. „Hast du Probleme mit deinem Wagen?“ Er kam zu ihr, als sie ausstieg.

Sie stemmte die Fäuste in die Hüften. „Warum folgst du mir?“

Überrascht sah er sie an. „Folgen? Ich habe dasselbe Ziel und ich dachte mir, es sei unhöflich, dich zu überholen.“

Stimmte das, oder wollte er sie nur besänftigen?

„Bist du sauer auf mich, Shana?“

Die Art und Weise, wie er seine Stimme senkte, fast vertrauensvoll, hätte sie um ein Haar aus der Fassung gebracht. Sie riss sich zusammen. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mich aus meiner Wohnung wirfst.“

„Genau genommen ist es die Wohnung deiner Schwester.“

Sie runzelte die Stirn. „Dafür mache ich in ihrem Schönheitssalon sauber.“

„Aber wer zahlt die Miete?“

„Dixie. Ihr Name steht schließlich auf dem Mietvertrag.“

„Glaubst du, dass du mit den paar Stunden Arbeit die Miete wettmachst?“

„Das hat sie mir gesagt.“ Sie wandte den Blick ab und schien nachzurechnen. „Wahrscheinlich nicht“, murmelte sie schließlich. Ein weiterer Gefallen, für den sie sich eines Tages würde revanchieren müssen.

Er schwieg.

„Würdest du mich wirklich auf die Straße setzen?“, fragte sie.

Er holte tief Luft. „Shana, ich biete dir die Chance für einen Job, den du immer schon haben wolltest. Ich biete dir ein Heim mit einem Garten für deine Tochter und die Gelegenheit, genug Geld zu verdienen, um dir in naher Zukunft ein eigenes Haus leisten zu können.“

Abwehrend hob er die Hand, als sie etwas erwidern wollte. „Nein, ich würde dich nicht auf die Straße setzen, denn dann würde Dixie kein Wort mehr mit mir reden. Aber warum willst du diese Chance nicht wahrnehmen?“

Da war sie also – die Wahrheit. „Du tust das also wegen Dixie?“

Er fuhr sich durchs Haar. Bereits jetzt bedauerte er seine Entscheidung. „Ich tue das, weil ich Hilfe brauche – und weil du dafür genau die Richtige bist.“

„Was werden die Leute sagen, wenn ich in deinem Haus wohne?“

„Ist das wirklich wichtig?“

„Ja. Dir sollte es auch wichtig sein.“

„Ich geb’s auf.“ Er machte auf dem Absatz kehrt und ging zu seinem Wagen zurück. „Vergiss es.“

Shana sah ihre Zukunft in sich zusammenstürzen wie ein Kartenhaus. „Nein, warte.“ Sie lief hinter ihm her. „Ich nehme den Job an – unter einer Bedingung.“

„Ach ja?“

Fast hätte sie über seinen sarkastischen Tonfall gelacht. „Du musst anfangen, mit einer Frau auszugehen.“

Schockiert starrte er sie an. „Woher weißt du, dass ich das nicht tue?“

Da war etwas dran – zumal er so schnell geantwortet hatte. „Du musst es ganz offensichtlich tun. Zum Beispiel mit deinem Mädchen samstagabends zum Tanzen gehen. Niemand hat dich jemals in Gesellschaft einer Frau gesehen.“

„Weil ich mein Privatleben nicht an die große Glocke hänge.“

Sie verschränkte die Arme. „Wie dem auch sei. Ich möchte nicht, dass die Leute auf die Idee kommen, wir könnten aus einem anderen als geschäftlichen Gründen unter einem Dach leben.“

„Deshalb soll ich also eine Frau kennenlernen und so tun, als würde ich mich für sie interessieren – selbst wenn das gar nicht der Fall ist?“

Seine Logik irritierte sie, zumal sie kein triftiges Gegenargument hatte. Deshalb sah sie Kincaid nur stumm an. Sie brauchte seine Zusicherung, auch wenn sie nicht wusste, ob sie sich darauf verlassen konnte. Immerhin war er ja auch hinter ihrer Schwester her gewesen …

„Na gut, Shana“, sagte er schließlich. „Ich werde mich mit Frauen verabreden. In aller Öffentlichkeit.“

„Eine reicht aus. Wirkt sogar überzeugender. Dein erstes Date ist am Samstag, nachdem ich bei dir eingezogen bin.“

„Okay.“

Er sagte es so leichthin, als habe er tatsächlich ein Verhältnis.

„Und du musst glücklich dabei aussehen.“

Er lachte. „Wie ich mich in Gegenwart einer Frau verhalte, geht dich nichts an. Jedenfalls werde ich am Samstag tanzen gehen. Mehr kann ich nicht versprechen.“

Sie beschloss, ihn nicht weiter zu drängen. Er war ihr schon mehr entgegengekommen, als sie erwartet hatte. Deshalb streckte sie die Hand aus. „Abgemacht.“

Seine große, warme, schwielige Hand umfasste ihre. Sie hatten sich noch nie zuvor berührt. Es war, als führe ein Blitz durch Shana hindurch. Er war ein starker Mann – genau der Richtige, um sich anzulehnen.

Für Shana kam das jedoch nicht infrage. Nicht hier, nicht heute und nicht morgen. Sie würde ihre Arbeit erledigen und dankbar dafür sein. Dank Kincaid war sie auf niemanden mehr angewiesen.

2. KAPITEL

Shana parkte vor Aggie McCoys Haus, schaltete den Motor aus und atmete tief durch. Seit ihrer Rückkehr in die Stadt vor einem Jahr war Aggie der Fels in ihrem stürmischen Leben geworden. Außerdem war sie der Schlüssel zu Shanas Erfolg. Wenn sie Aggie davon überzeugen konnte, dass ihre neue Tätigkeit eine rein geschäftliche Angelegenheit war, würde sich das in Windeseile in der ganzen Stadt verbreiten und jeglichen Tratsch und Klatsch von vornherein verhindern.

Aggie war neunundsechzig, seit mehr als zwölf Jahren Witwe, hatte acht Kinder großgezogen und inzwischen jede Menge Enkel. Sie kümmerte sich um jeden, der ihr über den Weg lief, egal, ob es sich um Verwandtschaft oder entfernte Bekannte handelte. Außerdem schloss sie Shana jedes Mal, wenn sie sich sahen, so liebevoll in die Arme, wie es ihre eigene Mutter niemals getan hatte.

Shana klopfte zweimal, bevor sie die Haustür öffnete. Der Duft von Äpfeln und Zimt stieg ihr in die Nase. „Jemand zu Hause?“, rief sie.

„Mommy! Mommy!“ Emma kam aus der Küche gelaufen.

Shana nahm sie auf den Arm und wirbelte sie durch die Luft. Emmas blonde Locken flogen ihr um die Stirn. Das T-Shirt passte perfekt zu ihren grünen Augen, wie sie alle Callahans hatten. „Da ist ja mein Schatz. Hier riecht es aber sehr gut.“

„Äpfel. Mhm.“

„Du bist früh dran.“ Aggie kam in den Flur und wischte sich die Hände an der Schürze ab. „Wie ist es denn gelaufen?“

Shana knuddelte Emma, die mit ihrem Anhänger spielte. „Ich habe den Job. Eine Vollzeitstelle. Mitten in der Stadt.“

„Und wer ist der Boss?“

„Kincaid.“

Aggie zog die schwarzen Augenbrauen hoch. „Was sollst du denn für ihn tun?“

„Ich bin so eine Art Mädchen für alles. Haushälterin, Putzfrau, Bürohilfe, Innenausstatterin …“

„Klingt nach mehr als einer Vierzigstundenwoche.“ Aggie ging in die Küche. „Ich muss den Kuchen aus dem Ofen nehmen.“

Shana folgte ihr. „Mit den vierzig Stunden bin ich mir nicht so sicher. Aber die Arbeit ist ziemlich abwechslungsreich. Außerdem wohne ich bei ihm.“

Aggie drehte sich um, sagte aber nichts. Das war ziemlich ungewöhnlich für sie.

„Es ist für alle eine Win-win-Situation, Aggie. Er will mein Apartment für Dylan, und er braucht eine Haushälterin. Deshalb ziehen Emma und ich bei ihm ein. Mein kleiner Schatz hat zum ersten Mal ein eigenes Zimmer – und einen Garten.“ Sie rieb ihre Nase gegen Emmas, die ihre Händchen auf Shanas Wangen legte und ihr einen nassen Kuss gab. „Er hat übrigens eine Freundin.“

„Wirklich?“ Aggie zog den Apfelkuchen aus dem Ofen und stellte das Blech auf einen metallenen Untersetzer.

Shana kam näher. „Die Leute sollen wissen, dass das alles rein geschäftlich ist. Kannst du das ein bisschen herumerzählen?“

„Unterstellst du mir etwa, Gerüchte zu verbreiten?“

„Ich betrachte das mehr als Schadensbegrenzung. Ich habe hart daran gearbeitet, in dieser Stadt wieder akzeptiert zu werden. Über Kincaid hat es noch nie Gerede gegeben. Das ist für mich eine große Chance. Jetzt kann ich es mir sogar leisten, dich und die anderen Babysitter zu bezahlen.“

„Darüber reden wir ein anderes Mal. Ich freue mich für dich, Liebes. Klingt wie die Lösung all deiner Probleme. Typisch Kincaid. Er muss hellseherische Fähigkeiten haben. Genau im richtigen Moment hat er sein Angebot auf den Tisch gelegt – als du es am dringendsten gebraucht hast.“

Sie musterte Shana mit einem seltsamen Blick, als ob sie etwas wüsste, von dem Shana keine Ahnung hatte. „Die Dinge geschehen nun mal, wenn es so weit ist. Hast du das nicht immer selbst gesagt?“

„Genau – und dass es auf die Sekunde ankommt.“

„Bitte, Aggie! Erzähl allen Leuten, dass es wirklich rein geschäftlich ist!“

„Ich versuche es, aber du weißt, dass sie sich trotzdem das Maul zerreißen, wenn sie Lust darauf haben. Würde mich nicht wundern, wenn sie sogar Wetten auf euch abschließen. Du weißt doch, wie die Leute sind.“

„Wenn sie erst mal Kincaids Freundin sehen, werden sie still sein.“

Autor

Susan Crosby
Susan Crosby fing mit dem Schreiben zeitgenössischer Liebesromane an, um sich selbst und ihre damals noch kleinen Kinder zu unterhalten. Als die Kinder alt genug für die Schule waren ging sie zurück ans College um ihren Bachelor in Englisch zu machen. Anschließend feilte sie an ihrer Karriere als Autorin, ein...
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