Ein Brief von Matthew

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Fleur Gilbert und Matthew Hanover haben heimlich geheiratet! Aber die Hoffnung, dass ihre Liebe die alte Fehde zwischen ihren Familien beenden würde, zerbrach nach nur einer schicksalhaften Nacht ...Sechs einsame Jahre liegen seitdem hinter Fleur. Nie hat sie aufgehört, an Matthew zu denken, und immer, wenn sie den kleinen Tom ansieht, wird ihr Herz schwer. Weiß Matthew überhaupt, dass er einen Sohn hat? Als sie endlich einen Brief von ihm erhält, schlägt ihr Herz höher. Doch Matthew schreibt nichts von Liebe und Sehnsucht - er will Tom ...


  • Erscheinungstag 11.03.2007
  • Bandnummer 1566
  • ISBN / Artikelnummer 9783862958849
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

BIANCA erscheint 14-täglich im CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20354 Hamburg, Valentinskamp 24

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Anzeigen:

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© 2006 by Liz Fielding

Originaltitel: „The Five-Year Baby Secret“

erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London

in der Reihe: TENDER ROMANCE

Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: BIANCA

Band 1566 (8/1) 2007 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg

Übersetzung: Susann Willmore

Fotos: mauritius images

Veröffentlicht als eBook in 07/2011 - die elektronische Version stimmt mit der Printversion überein.

ISBN: 978-3-86295-884-9

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Der Verkaufspreis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:

JULIA, ROMANA, BACCARA, MYSTERY, MYLADY, HISTORICAL

www.cora.de

PROLOG

Fleur Gilbert blieb zögernd auf den Stufen zum Eingang des Standesamtes stehen. So hatte sie sich ihren Hochzeitstag nicht vorgestellt.

Eigentlich hätte sie diesen Morgen mit ihrer Mutter über all die Dummheiten, die sie je gemacht hatte, lachen und weinen sollen. Ihre Freundinnen hätten da sein müssen, die Mädchen, die sie ihr ganzes Leben lang gekannt hatte. Besonders vermisste sie Sarah, und sie wünschte sich ein Sträußchen von Brautjungfern in Rüschenkleidern.

In der Dorfkirche, wo ihre Eltern wie Generationen Gilberts vor ihnen geheiratet hatten, sollten die Glocken für sie läuten.

Sie sollte Weiß tragen, ihr Vater sollte an ihrer Seite sein und ihr versichern, dass sie die schönste Braut sei, die es je gegeben habe. Mit Tränen in den Augen sollte er sie einem Mann zur Frau geben, der bestimmt nicht gut genug für sie war.

Stattdessen heiratete sie Matthew Hanover, und ihre Hochzeit war völlig anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie wusste, dass Matt recht hatte. Sie konnten nur standesamtlich heiraten. Aber durch ihre intensive, fast perfekte Liebe, die sie völlig von der Außenwelt abgeschnitten hatte, war sie auf die Realität des heutigen Tages nicht vorbereitet gewesen.

„Du willst es dir doch nicht noch einmal überlegen, oder?“, fragte er. Sie blickte zu dem Mann auf, den sie liebte, und hoffte einen seligen Moment lang, er würde das Ganze von ihrem Standpunkt aus sehen. Vielleicht war ihm ja in letzter Minute klar geworden, wie wenig dieser Tag ihren Träumen entsprach.

Er lächelte und wollte mit diesem Scherz wohl überspielen, wie nervös er selbst war.

„Nein“, sagte sie. „Nein, natürlich nicht.“

Sein Lächeln war unsicher. „Mir wäre wohler, wenn du etwas überzeugter klingen würdest.“

Sie schüttelte den Kopf und schmiegte sich an ihn.

Als sie Matthew Hanover zum ersten Mal getroffen und ihn angesehen hatte, ohne dabei an seinen Namen zu denken, hatte sie gewusst, dass er der Richtige war. Der einzige Mann in ihrem Leben. Daran hatte sich nichts geändert.

„Meine Entscheidung, dich zu heiraten, steht fest. Mir ist nur ein bisschen mulmig, wenn ich daran denke, dass wir unseren Familien erzählen müssen, was wir getan haben.“

„Was können sie schon tun? In einem Monat sind wir nicht mehr in Longbourne.“

„Wenn du meinst.“

„Was auch immer passiert, wir werden zusammen sein, Fleur, als Mann und Frau.“ Er legte seine Hand beschützend auf ihre. „Daran kann niemand etwas ändern, auch unsere Familien nicht.“

1. KAPITEL

„Ist die Post gekommen?“, fragte Seth Gilbert seine Tochter.

Fleur bückte sich, um die Rechnungen, die Kataloge und die übrige Post, die auf der Matte verstreut waren, aufzuheben, und rief nach oben: „Tom, wenn du nicht in zwei Minuten unten bist, hole ich dich.“

„Nun mal langsam, Mädchen. Wenn der Junge ein paar Minuten zu spät zur Schule kommt, bedeutet das nicht das Ende der Welt.“

Sie legte die Post auf den Küchentisch, an dem ihr Vater saß. „Vielleicht nicht. Aber für uns kann es das Ende sein, wenn ich zu spät zu dem Termin mit der neuen Filialleiterin der Bank komme. Wenn wir den Stand auf der Chelsea-Flower-Show wirklich buchen wollen, brauchen wir sie auf unserer Seite.“

Bestimmt fiel ihm auf, wie unsicher sie klang. Denn er hörte mit dem Sortieren der Briefe auf und sagte so entschlossen wie schon lange nicht mehr: „Ja, Fleur, das wollen wir wirklich.“

Das machte den heutigen Termin noch viel bedeutsamer. Sie schloss die Augen und versuchte, ihre Nervosität unter Kontrolle zu bringen.

Der bisherige Filialleiter war ihnen immer sehr gewogen gewesen, doch dann war er in den Ruhestand versetzt worden. Für die Gilberts hätte der Zeitpunkt nicht schlechter sein können. Brian hatte gewusst, wie schwierig das Gartenbaugeschäft war, hatte ihre Erfolge mit ihnen gefeiert und sie geduldig in den schwierigen letzten sechs Jahren unterstützt. Er hatte ihnen Raum zum Atmen gegeben, die Chance, sich finanziell zu erholen.

Fleur wünschte sich, sie hätte mehr tun können, als die Blumenbänke der Bank zu erneuern, um ihn für sein Vertrauen zu belohnen. Selbst wenn bis zur Blumenschau alles nach Wunsch verlief, stellte das Ganze ein großes Risiko dar. Sie war sich nicht sicher, ob ihr Vater bei seiner angegriffenen Gesundheit dem Stress gewachsen war, Zierpflanzen von bester Qualität an einem ganz bestimmten Tag im Mai zu liefern. Aber da sie ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen konnte, blieb ihr nur der Versuch, ihm die finanziellen Sorgen vom Hals zu halten. Leider hatte Delia Johnson, die neue Filialleiterin, sie prompt zu einem „Gespräch“ ins Büro eingeladen.

Fleur befürchtete, ihre Glückssträhne könnte vorbei sein. Sie war überzeugt, dass Mrs. Johnson es sich zum Ziel gesetzt hatte, alle Kunden, deren Konten im Minus waren, abzuservieren. Das machte sie an diesem Morgen auch so gereizt.

Sie musste in Topform sein, um die Filialleiterin davon zu überzeugen, dass es sich für die Bank lohnen würde, ihnen den Kredit einzuräumen, den sie für die Teilnahme an der bedeutendsten Gartenbauausstellung der Saison brauchten.

„Mach dir keine Sorgen“, sagte ihr Vater beruhigend, „das kriegst du schon hin. Du hast zwar meinen grünen Daumen und die Schönheit deiner Mutter geerbt, aber glücklicherweise übertriffst du uns beide an Geschäftstüchtigkeit.“ Er lächelte, als er bemerkte, wie viel Mühe sie sich mit ihrem Aussehen gemacht hatte. „Du siehst wirklich hübsch aus.“

Fleur wusste, wie sie aussah. Schließlich musste sie tagtäglich mit ihrem Spiegelbild leben. Weil sie weder die Zeit noch das Geld für einen Friseur oder teure Kosmetika aufbrachte, war die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter weniger ausgeprägt, als sie hätte sein können. Aber schließlich war sie auf die harte Tour gezwungen gewesen, sich ums Geschäft zu kümmern, als man sie ins kalte Wasser gestoßen hatte. Schwimmen oder untergehen, das war die Alternative gewesen. Noch immer strampelte sie sich ab. Es war ihr nicht möglich gewesen, nach diesem schrecklichen Jahr, in dem ihre Welt – ihrer aller Welt – zusammengebrochen war, wieder an ihr altes Leben anzuknüpfen.

Ihrem Vater fehlte jedes Interesse an den Finanzen der Firma. Außerdem hatte Fleur entdecken müssen, dass ihre Mutter ihre finanziellen Rücklagen als ihr persönliches Sparschwein benutzt hatte. Das hatte sie völlig aus der Bahn geworfen und ihr das Gefühl gegeben, sie kämpfe allein und auf verlorenem Posten.

Auch jetzt hatte ihr Vater sich bereits wieder der Post zugewandt. Er hielt in der Hand einen Umschlag, auf dem Fleur das Logo der Hanovers erkannte.

„Geben sie denn nie auf?“, fragte sie, froh darüber, ein passendes Ziel für ihren Ärger gefunden zu haben.

An jedem anderen Morgen hätte sie sich um die Post gekümmert und den Brief als Erstes aussortiert. Sie hätte ihren Vater vor der Belästigung durch diese hasserfüllte Frau beschützt, deren einziges Bestreben offensichtlich darin bestand, sie in den Bankrott zu treiben und sie aus dem Geschäft, aus dem Dorf, am liebsten vom Erdboden zu verjagen.

„Eher würde ich das Land an eine Wohnungsbaugesellschaft verkaufen, bevor ich es Katherine Hanover überlasse“, sagte sie.

„Schön wär’s. Aber da Katherine im Gemeinderat sitzt, wird niemand die Erlaubnis bekommen, auf unserem Land zu bauen“, erwiderte ihr Vater ruhig, denn er verlor niemals die Beherrschung.

Fleur wäre es lieber gewesen, er würde es einmal tun. In Wut geraten. Schreien. Seinen Gefühlen Luft machen. Aber er sagte nie etwas Schlechtes über diese Frau. Wenn sie ihm immer noch leid tut, verschwendet er sein Mitgefühl an die Falsche, dachte sie.

„Außer, sie will es für sich selbst“, bemerkte sie bitter.

Dort, wo ihr Land endete, stand eine wundervolle alte Scheune, die immer nur als Speicher benutzt worden war.

Man hätte sie perfekt zu einem jener luxuriösen Landhäuser umbauen können, wie sie in den Hochglanzmagazinen groß herausgebracht wurden. Ein Verkauf hätte einen Großteil ihrer finanziellen Probleme gelöst.

Aber der Gemeinderat, angestachelt von Katherine Hanover, hatte beschlossen, sie unter Denkmalschutz zu stellen. Sie hatten den Gilberts nicht nur die Genehmigung für den Umbau verweigert, sondern ihnen auch noch eine Strafe angedroht, falls sie die Scheune verfallen ließen.

„Vielleicht sollte ich in die Lokalpolitik gehen“, sagte Fleur seufzend. „Dann könnte ich wenigstens dafür sorgen, dass die Hanovers keine Stimme mehr bekommen.“

„Wann willst du das machen, in deiner Freizeit?“, fragte ihr Vater und lächelte, was selten vorkam.

„Ich könnte dafür das Bügeln aufgeben“, erwiderte sie und war froh, ihn aufgeheitert zu haben. „Das wäre zwar ein Opfer, aber ich könnte es tun.“

„Klingt schon besser. Einen Moment lang hatte ich Angst, du würdest umkippen.“

„Was, ich? Niemals!“

Doch als er sich jetzt wieder dem Brief zuwandte, verschwand sein Lächeln, als ob er nicht mehr die Kraft dazu hätte. Es war ihm durch den nicht enden wollenden Strom von Verrat, Kummer und finanziellen Sorgen ausgetrieben worden. Das gab Fleur einen Grund – wenn sie ihn überhaupt gebraucht hätte –, die Hanovers noch mehr zu hassen.

„Mach ihn nicht auf“, riet sie ihm. „Wirf ihn in den Müll. Ich zerreiße ihn, und er kommt in den Kompost zu den anderen.“

„Es gab noch andere Briefe?“

Ertappt zuckte sie die Schultern. „Ein paar. Nichts, was zu lesen sich gelohnt hätte.“

„Verstehe. Nun, mit diesem Brief kannst du tun, was du willst. Schließlich ist er an dich gerichtet“, sagte er und reichte ihr den Umschlag. „Sieht so aus, als wäre er persönlich abgeliefert worden.“

„Persönlich?“ Sie griff danach, fröstelte plötzlich und zog die Hand zurück. „Warum sollte Katherine Hanover an mich schreiben?“

„Vielleicht glaubt sie, du könntest mich davon abhalten, ihre Briefe wegzuwerfen. Vielleicht hat sie das Vertrauen in die Post verloren und den Brief daher selbst vorbeigebracht. Oder vielleicht bietet sie dir ja auch einen Job an.“

„Ach ja. Das wird es sein.“

„Wenn sie mit dem Geschäft expandieren will, braucht sie mehr Personal.“

„Sie hat doch überhaupt keinen Platz, um zu expandieren.“ Da ihr Besitz von drei Seiten aus durch Straßen begrenzt wurde, bräuchte sie das Land der Gilberts, um ihr Reich zu vergrößern. „Und überhaupt, wozu sollte sie mich brauchen? Ich bin Gartenbauspezialistin, keine Verkäuferin von Rasenmähern. Die Hanovers züchten keine Pflanzen mehr, seit …, seit …“

Oh, verdammt!

„Seit deine Mutter mit Phillip Hanover davongelaufen ist?“, beendete er den Satz für sie. „Du kannst es ruhig sagen, Fleur. Es ist passiert und lässt sich nicht mehr rückgängig machen.“

„Nein.“

In Wirklichkeit war es nicht die ehebrecherische Mutter und ihr ebenso untreuer Liebhaber, sondern die Erinnerung an dessen Sohn, die sie kalt erwischt hatte. Offensichtlich steckte es in den Genen der Hanovers, dass sie ihre Frauen verließen. Einen kurzen Moment lang fühlte Fleur sich Katherine sehr verbunden.

Das brachte sie schnell wieder zu sich.

Katherine Hanover war eine rachsüchtige, verachtenswerte Frau. Fleur war fest entschlossen, nicht so zu werden wie sie.

Aber es war viel besser, wenn ihr Vater glaubte, sie wolle seine Gefühle schützen, als dass er die Wahrheit erriet.

„Katherine Hanover hat keine Verwendung für mich, Dad. Nicht, seit sie das Land ihres Mannes asphaltiert und ihr Geschäft in einen riesigen Supermarkt für Gartenbedarf verwandelt hat.“

„Stimmt. Aber sie hat in der Lokalzeitung Anzeigen geschaltet, in denen sie Hilfskräfte für das Wochenende sucht. Vielleicht glaubt sie, du könntest das Geld gebrauchen.“

„Wie kommt sie nur darauf?“ Wegen ihres grauen Kostüms, das sie für die Beerdigung ihrer Mutter gekauft und zum x-ten Mal gebügelt hatte? Oder wegen ihrer schwarzen Halbschuhe, die nur deshalb so lange gehalten hatten, weil sie praktisch nie ausging?

„Vielleicht möchte sie dir demonstrieren, wie viel Geld sie verdient.“

„Glaubst du wirklich?“, fragte Fleur. Der neue Mercedes, die Designerkleider, die Schuhe, um die jede Frau im Dorf sie beneidete, war das nicht schon Demonstration genug?

„Nein, Dad, so dumm ist sie nicht“, sagte Fleur und griff nach dem Brief. Es ärgerte sie, dass sie sich selbst aus der Entfernung durch diese Frau einschüchtern ließ. „Stell dir nur vor, wie viel Chaos ich an einem geschäftigen Wochenende anrichten könnte.“ Bevor sie den Brief öffnen konnte, schlug die Uhr im Flur drei Mal. „Oh, Mist!“, rief Fleur aus und stopfte den Brief in ihre Tasche. „Tom!“

Ein fünfjähriges Energiebündel stürmte die Treppen herunter, gefolgt von einem Hund. Mit breitem Lächeln sagte der Junge: „Bin schon fertig!“

Bei seinem Anblick schlug Fleur das Herz bis zum Hals. Tom hatte das Haar glatt gebürstet und versucht, sich ohne ihre Hilfe die Krawatte zu binden. Sie saß ziemlich schief, außerdem hatte er seine Schuhe vertauscht.

„Ich hab mich ganz allein angezogen.“

„Gut gemacht, Schatz“, erwiderte sie mit erstickter Stimme. Dann hob sie ihn hoch und drückte ihn ungeachtet der Eile so fest, bis er protestierend zu schreien begann und sie ihn wieder absetzte. Für ihren Geschmack wurde ihr kleiner Junge viel zu schnell groß.

Einer der Schuhe fiel zu Boden, und Fleur hob ihn lachend auf. Dann setzte sie Tom auf den Küchentisch, half ihm dabei, seine Kleidung in Ordnung zu bringen, und fuhr ihm durchs Haar, bis es sich wieder lockte.

„Nicht, Mum!“, sagte er und sprang vom Tisch. „Locken sind doof.“

„Entschuldige!“ Sie schlug sich die Hand vor den Mund und wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. „Hast du alles?“

„Mappe für Stifte, Schulbücher, Schuhe für drinnen und Geld fürs Mittagessen“, zählte er mit den Fingern auf.

„Genial! Willst du noch einen Apfel für die Pause?“ Fleur stopfte ihn in seine Tasche und vergewisserte sich, dass er auch nichts vergessen hatte. „So, beeil dich. Gib Grandpa noch einen Kuss, während ich deinen Mantel hole.“

Matthew Hanover stand an seinem Schlafzimmerfenster und wartete darauf, dass Fleur erscheinen würde. Er hatte sie fast sechs Jahre lang nicht mehr gesehen. Das letzte Mal in ihrer Hochzeitsnacht, als sie durch das Summen ihres Handys gestört worden waren.

Er hatte das verdammte Ding genommen und es eigentlich abschalten wollen, um die Außenwelt so weit wie möglich auszuschließen. Aber Fleur hatte auf dem Display gesehen, wer der Anrufer war. Beide hatten gewusst, dass ein Anruf von ihrem Vater mitten in der Nacht nur eines bedeuten konnte: Ärger.

Und Ärger hatte es tatsächlich gegeben.

Hilflos hatte Matthew zusehen müssen, wie die Freude und das Lachen aus ihrem Gesicht verschwunden waren, als sie die Nachricht hörte, dass ihre Mutter bei einem Unfall schwer verletzt worden war und es keine Zeit zu verschwenden galt.

Er hatte sie angefleht, sie ins Krankenhaus fahren zu dürfen, er wollte unbedingt an ihrer Seite sein. Schließlich waren sie jetzt ein Paar. Verheiratet. Aber Fleur hatte sich nur einen Moment lang an ihn geklammert, war dann einen Schritt zurückgetreten und hatte sich, außerstande, ihm in die Augen zu sehen, von ihm abgewandt. „Bitte, Matt. Nicht jetzt. Mein Vater hat schon genug zu ertragen.“

Er hatte sie gehen lassen, weil ihr Kummer so groß war. Weil er irrtümlicherweise geglaubt hatte, dies sei nicht der richtige Moment, um zu kämpfen. Er hatte sie gehen lassen nach einem Kuss. Hatte versucht, den Schmerz nicht an sich heranzulassen, als sie seinen Ring von ihrem Finger streifte. Dann hatte er gesagt: „Ruf mich an. Lass mich wissen, was passiert.“

Als ob er in einem dunklen Winkel seines Bewusstseins damals schon gewusst hätte, dass ihm das Schicksal entglitt, war er an den warmen Ort zurückgekehrt, wo sie gelegen hatten. Er hatte ihren Duft tief eingeatmet und auf ihren Anruf gewartet.

Doch als sein Handy eine halbe Stunde später geklingelt hatte, war es nicht Fleur, die sich meldete. Es war seine Mutter gewesen, die ihm mitteilte, dass sein Vater gestorben war. Dass Jennifer Gilbert ihn umgebracht hatte.

Die Eingangstür vom Haus der Gilberts wurde geöffnet, und ein Hund, eine Promenadenmischung aus einem Collie und etwas anderem, stürmte auf den Landrover zu. Plötzlich war Fleur da, jeder Zoll eine Geschäftsfrau in einem maßgeschneiderten grauen Kostüm, das dunkelrote Haar zu einem Knoten hochgesteckt.

Einen Moment lang stand sie nur da, die etwas abgegriffene Tasche in der Hand, mit hängenden Schultern, als wäre sie erschöpft von der Bürde, die sie tragen musste. Er war froh darüber. Sie verdiente es zu leiden.

Dann drehte sie sich um, als ein kräftiger kleiner Junge an ihr vorbeistürmte. Instinktiv presste Matthew die Hände gegen die Scheibe, als könnte er hinausgreifen und den Jungen berühren.

Wie hatte sie ihm das vorenthalten können?

Wie hatte sie ihm seinen Sohn verschweigen können?

Wenn irgendeine anonyme Person ihm nicht einen Zeitungsausschnitt mit einem Foto von dem Krippenspiel geschickt hätte, das zu Weihnachten in der Schule aufgeführt worden war, hätte er es nie erfahren.

Ein Blick hatte genügt, um zu wissen, dass Thomas Gilbert sein Sohn war. Aber ihn jetzt leibhaftig vor sich zu sehen, war etwas ganz anderes. Der Schmerz brannte wie Feuer in ihm, als Fleur die Tür des Landrovers öffnete. Sie half dem kleinen Jungen ins Auto und lachte über eine Bemerkung von ihm.

Es war unmöglich, dass sie seinen Brief bereits gelesen hatte. Denn sonst hätte sie bestimmt nicht gelächelt.

Wenn er nur einmal nach Hause gekommen wäre. Wenn er nicht immer das Thema gewechselt hätte, sobald seine Mutter mit einer ihrer üblichen Klagen über die Gilberts anfing …

Wenn, wenn, wenn …

Aber es hatte keinen Zweck, der Vergangenheit nachzuhängen. Es hatte Zeit gebraucht, bis er sich von seinen geschäftlichen Verpflichtungen in Ungarn hatte freimachen, bis er das Tagesgeschäft an seinen Stellvertreter hatte übergeben können. Jeder Tag war ihm wie ein Jahr erschienen.

Die Versuchung, einfach zu verschwinden, den ersten Flug zurück nach England zu nehmen, war fast nicht zu ertragen gewesen. Aber zuerst hatte er alles regeln müssen. Er hatte verhindern wollen, dass ihn irgendwelche SOS-Rufe davon abhalten konnten, das zu tun, was zu tun war.

Jetzt war er da, und er würde dafür sorgen, dass sie für jedes einzelne der fünf Jahre, die er versäumt hatte, zahlen musste.

Fleur schickte den Hund zurück ins Haus und ging um den Wagen herum zur Fahrertür. Plötzlich blieb sie stehen, als ob sie ein Geräusch vernommen hätte. Ein schwacher Sonnenstrahl fiel auf ihr Gesicht, als sie den Kopf hob und über den Grenzzaun hinausblickte, der das Land der Gilberts von dem der Hanovers trennte. Sie sah in seine Richtung, zu dem Fenster, wo er stand. Einen Herzschlag lang dachte Matthew, sie könnte ihn sehen, ihn spüren, während er sie beobachtete.

Aber nach einem kurzen Moment drehte sie sich um, zog den engen Rock hoch und ließ sich hinter dem Steuer des Rovers nieder.

„Oh, Fleur“, sagte er mit leiser Stimme. „Wie konntest du nur?“

Fleur ließ Tom am Schultor heraus, als gerade die Klingel ertönte. Er lief zu seinen Klassenkameraden, ohne sich nach ihr umzuschauen. Kichernd stellten sie sich in der Schlange an und schubsten einander dabei. Erst kurz vor der Tür drehte er sich noch einmal um und sah sie an. Ihr Herz setzte einen Schlag lang aus, weil er sie so sehr an seinen Vater erinnerte. Alles an ihm, die Art, wie er den Kopf drehte, wie er die Hand hob, sie dann aber wieder zurückzog, erinnerte sie an Matthew.

Die Ähnlichkeit schien mit den Jahren immer stärker zu werden. Auch andere aus dem Dorf schienen sie zu bemerken. Glücklicherweise wirkte Tom nach außen hin wie ein echter Gilbert mit seinem hellen roten Haar, das mit den Jahren noch dunkler werden würde, und den grünen Augen. Bis jetzt hatte noch niemand sie auf die Ähnlichkeit zwischen ihm und Matthew angesprochen, aber das konnte nur eine Frage der Zeit sein.

Wenn Katherine Hanover je vermuten würde …

Ach, warum zog sie nicht einfach weg von hier?

Fleur betrachtete das glänzende blaugoldene Schild am Ortsrand, das weithin sichtbar war.

Hanovers – Alles für Ihren Garten.

Eigentlich hatte sie damit kein Problem, aber warum gerade hier? Es wäre so viel vernünftiger gewesen, Katherine wäre mit ihrem Geschäft auf die andere Seite von Maybridge gezogen. Dort gab es ein richtiges Gewerbegebiet mit allem, was dazugehörte – Kaufhäuser, Supermärkte und ein komplettes Unterhaltungsangebot. Außerdem war dort mehr als genug Platz, um zu expandieren. Es musste die Bitterkeit der Frau doch nur verstärken, direkt neben der Familie wohnen und arbeiten zu müssen, die sie für alles Unglück verantwortlich machte, das ihr je zugestoßen war.

Aber natürlich hatte das Ganze mit Vernunft nichts zu tun.

Wenn zwei Familien fast zweihundert Jahre lang Rivalen in der Liebe und Konkurrenten im Geschäft gewesen waren, würde es immer das oberste Ziel sein, den Gegner zu treffen. Fleur kam es allerdings so vor, als hätten die Hanovers ihrer Familie in den letzten Jahren genug Schaden zugefügt, um ihren Hunger nach Rache zu stillen.

Sie fand direkt vor der Bank einen Parkplatz – bestimmt ein gutes Omen –, überprüfte ihr Aussehen noch einmal im Spiegel, stieg dann aus dem Auto und überquerte die Straße.

„Du lieber Himmel, Fleur, ich habe dich kaum erkannt“, sagte die Dame hinter der Rezeption.

„Wirklich? Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“, fragte sie.

Sie schminkte sich eigentlich nur selten, aber heute wollte sie die neue Filialleiterin mit ihrem Auftritt als Geschäftsfrau beeindrucken. Sie hatte sich das Haar hochgesteckt und das verhasste graue Kostüm mit einem alten Seidentuch aufgepeppt.

Nervös spielte sie mit einem der Ohrringe. Sie waren aus Silber und mit einem kleinen Amethyst in der Mitte verziert. Matt Hanover hatte sie ihr anstelle eines Rings geschenkt, als er ihr zum ersten Mal einen Heiratsantrag gemacht hatte. Aber sie hatte gemeint, es sei dafür noch zu früh. Damals war sie erst achtzehn gewesen und hatte noch drei Jahre College vor sich gehabt.

Er hatte gerade seinen Abschluss gemacht und wollte in einem anderen Teil Englands arbeiten. Daher war Fleur nichts anderes übrig geblieben, als auf ihn zu warten. Doch sie hatte die Ohrringe als Zeichen genommen, dass er es ernst meinte. Außerdem waren sie nicht besonders teuer gewesen. Sie konnte sie offen tragen, ohne dass ihre Mutter sie deshalb einem Kreuzverhör unterzog.

Eines Tages, hatte er ihr versprochen, würde er ihr Diamanten schenken. Sie hatte gelacht und gesagt, solange sie ihn hätte, bräuchte sie keine Diamanten. Die Ohrringe hatte sie Tag und Nacht getragen, sie war sich seiner Liebe so sicher gewesen.

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