Ein Chirurg lernt die Liebe

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Ehe ja - aber bitte keine Gefühle! Chirurg Tanner Locke hat eine genaue Vorstellung von seiner künftigen Frau. Sie soll ihn auf seinem beruflichen Weg unterstützen - und sein Herz in Ruhe lassen. Doch Whitney bringt diesen Vorsatz auf höchst erotische Art ins Wanken …


  • Erscheinungstag 09.01.2021
  • ISBN / Artikelnummer 9783751505277
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Tanner Locke brauchte die Hilfe einer Heiratsvermittlerin.

Whitney Thomasons Hand hatte ein wenig gezittert, als sie vor zwei Tagen den Telefonhörer auflegte. Das war ein unerwarteter Gruß aus der Vergangenheit. Warum sollte jemand wie Tanner ihre Hilfe benötigen? Vor einer Stunde hatte er ihr eine Textnachricht geschickt, in der er sie bat, sich mit ihm auf einem kleinen Flugplatz außerhalb von San Francisco zu treffen.

Als professionelle Heiratsvermittlerin musste sie schon manches Mal Zugeständnisse machen, jeder Kunde war anders, aber bisher hatte noch niemand verlangt, dass sie ihn in der Dämmerung auf einem Flugplatz traf. Ihm sei etwas dazwischengekommen, sodass er nicht in ihr Büro kommen könne, schrieb er. Er würde es wirklich zu schätzen wissen, wenn sie zum Flugplatz käme.

Sie hatte nur zugestimmt, weil sie wusste, welchen gesellschaftlichen Status er hatte. Und obwohl sie den Flugplatz nicht kannte, ließ sie sich darauf ein. Den Dr. Tanner Locke als Kunden zu haben war bestimmt nicht schlecht fürs Geschäft. Aus moralischen Gründen war es sicher nicht angebracht, den Namen zu veröffentlichen, aber sie könnte immerhin sagen, einer der wichtigsten Mediziner der Stadt würde zu ihren Klienten zählen. Vielleicht verschaffte er ihr ein paar neue Kunden. Allein dafür lohnte der Weg zu diesem Flugplatz.

Er war der „Mr. Big“, als sie Studenten an der Berkeley-Universität waren, und alle Mädchen hatten ein Auge auf ihn geworfen, sie auch. Aber sie war sicher nie sein Typ. Er bevorzugte große, blonde, attraktive Mädchen, sie war dagegen ein wenig pummelig, dunkelhaarig und unscheinbar. Aber immerhin kannte sie jetzt schon sein Beutemuster.

Sie hatte Tanners Namen in den vergangenen Jahren öfter in der Zeitung gelesen. Er hatte sich inzwischen einen Namen als Chirurg, speziell auf dem Bereich der Herztransplantationen, gemacht. Also warum hatte ein so gut aussehender und erfolgreicher Mann Schwierigkeiten, die passende Frau zu finden? Whitney verdrehte die Augen. Warum wohl? Alle Kunden hatten dieselben Schwierigkeiten. Sie hatten schlicht keine Zeit, die Spreu vom Weizen zu trennen, und ihre Aufgabe war es, Menschen mit demselben gesellschaftlichen Status zusammenzubringen.

Sie bog auf das Gelände des Flugplatzes ein. Noch ein paar Minuten bis zu ihrem Treffen. Würde er sie erkennen? Warum sollte er? Sie hatte eher zu den Studenten gehört, die den Hörsaal füllten, mehr nicht. Außerdem hatte sie sich seitdem sehr verändert. Sie hatte inzwischen acht Kilo abgenommen. Außerdem war es lange her, dass sie in Tanners Gegenwart rot geworden war. Herrje, sie kannte ihn ja nicht mal wirklich.

Sie parkte auf dem Parkplatz vor einem einstöckigen Betonklotz und stellte den Motor ab. Ein glänzender weißer Jet stand auf dem Asphalt vor dem Terminal. Einige Männer wuselten sehr beschäftigt herum. Wollte Tanner irgendwohin fliegen? Ein Wochenende auf Hawaii vielleicht?

Normalerweise führte Whitney die Kennenlern-Gespräche an einem angenehmen und neutralen Ort. Einem Café oder Park. Dort, wo die Kunden nicht ihre stressige Arbeit im Nacken hatten und wo sie sich ein wenig entspannen konnten. Sie hatte festgestellt, dass die Menschen es sehr gern mochten, wenn sich alles um sie drehte, doch wenn es dann ans Eingemachte ging, ans Persönliche, waren sie plötzlich nicht mehr so gesprächig. Männer zum Beispiel verrieten ihr nicht einmal die Hälfte dessen, was sie wissen wollte. Und je erfolgreicher sie waren, desto unsicherer waren sie in der Wahl ihrer potenziellen Partnerin.

Als sie plötzlich die Sirene eines Krankenwagens hörte, blickte sie in den Rückspiegel. Das Geräusch verstummte abrupt, als das Fahrzeug auf das Gelände fuhr und im normalen Tempo bis zu dem Jet fuhr. Eine Gruppe Männer in grünen Kitteln stieg aus.

Was war da los?

Einer der Männer löste sich aus der Gruppe und kam auf sie zu. Das musste Tanner sein. Es war Jahre her, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er hatte sich verändert. Seine Schultern waren breiter geworden, und sein Gesicht hatte seine Jugendlichkeit verloren, seine Züge waren markanter geworden. Er war immer noch ein extrem gut aussehender Mann. Vielleicht attraktiver denn je. Mit weit ausholenden Schritten kam er auf sie zu, und sein Gang verriet, dass er sich auf seinem Terrain sehr sicher fühlte.

Sie stieg aus dem Auto, schloss die Tür und wartete.

„Whitney?“

Er erkannte sie nicht. Sollte sie jetzt erleichtert oder enttäuscht sein? Sie streckte ihre Hand aus, als er eine Armlänge von ihr entfernt war. „Whitney Thomason.“ Tanner nahm ihre Hand, zog Whitney an sich und umarmte sie.

Was machte er da?

Ihr Gesicht wurde in seine Achselhöhle gedrückt. Er roch nicht nach Desinfektionsmittel und Krankenhaus, eher sauber, warm und männlich. Sie war so überrascht, dass ihre Hand auf seiner Taille leicht zitterte. Er ließ sie so schnell wieder los, wie er sie an sich gezogen hatte. Tanner schaute über seine Schulter. „Machen Sie einfach mit. Nur Vornamen, keine Titel bitte.“

Sie sah, wie die anderen hinter ihm zu ihnen rüberschauten. Es schien eher eine verdeckte Operation zu sein als ein zwangloses Kennenlern-Treffen. Sie trat einen kleinen Schritt zurück. „Okay, ich bin Whitney.“

„Ich bin Tanner. Mir wäre es wichtig, dass das alles unter uns bleibt.“ Seine dunklen Augen sahen sie beschwörend an.

„Ich verstehe. Ich kann Ihnen versichern, dass ich sehr diskret bin.“ Die meisten wollten keinen Wirbel machen. Sie wollten auf keinen Fall, dass jemand mitbekam, dass sie in ihrem Leben Hilfe benötigten oder dass jemand denken könnte, sie würden es nicht selbst hinbekommen. Was auch immer ihre Gründe waren, Whitney respektierte ihre Wünsche. Aber warum traf er sich dann mit ihr inmitten seiner Kollegen? „Warum dann hier?“, fragte sie und nickte in Richtung der Gruppe am Flugzeug.

„Ich wusste nicht, dass ich ein Herz bekommen würde, und ich dachte, wir könnten uns auf dem Weg treffen.“

„Ein Herz bekommen?“

„Ich bin Herzchirurg, ich transplantiere Herzen, und wir müssen jetzt eines abholen.“

„Oh.“ Ach, so war das.

Er blickte wieder über die Schulter, als der Motor des Flugzeuges startete. „Also, was benötigen Sie von mir?“

Er wollte es hier und jetzt machen?

„Normalerweise benötige ich ungefähr eine Stunde für die Informationen, damit ich wirklich den Typ Frau finde, der am besten zu Ihnen passt.“

Tanner schaute zu seinen Kollegen, die gerade das Flugzeug beluden. „Ich habe keine Stunde, um mich zu unterhalten. Ich habe einen Patienten, der dringend ein neues Herz braucht.“

„Dann schlage ich vor, dass wir den Termin verschieben.“ Whitney war im Begriff, die Autotür zu öffnen.

„Ich möchte es aber jetzt hinter mich bringen. Ich habe bald ein wichtiges Gespräch mit dem Klinikvorstand, und es wird Zeit, dass ich unter die Haube komme. Ich muss eine Frau finden. Und bei meinem Arbeitspensum weiß ich wirklich nicht, wann ich wieder Zeit haben werde, mich mit jemandem zu unterhalten.“ Aus seiner Stimme klang die pure Verzweiflung, und sie war sicher, dass das nicht häufig der Fall war. „Ich stelle mir eine Frau vor, die auf sich aufpassen kann, sich in Gesellschaft bewegen kann, die Mutter meiner Kinder sein möchte und die natürlich auch meiner Karriere förderlich ist.“

Wirklich? Das war alles? So etwas wie Liebe hatte er gar nicht erwähnt. Das müsste man ändern. „Das sind ganz ordentliche Anforderungen. Ich muss meine Kunden schon ein bisschen kennen, damit ich weder seine Zeit noch die der potenziellen Partnerin verschwende.“

„Hey, Tanner!“ Der Mann, der als Letzter das Flugzeug besteigen wollte, rief nach ihm. „Wir müssen los, das Herz wartet auf uns.“

Tanner schaute wieder zu ihr. „Der Patient wartet seit Monaten auf dieses Herz. Ich muss dafür sorgen, dass er es so schnell wie möglich bekommt. Ich habe gehört, dass Sie die Beste in der Stadt sind. Zeigen Sie, was Sie können, ich bin sicher, dass Sie jemanden für mich finden werden. Hier sind meine Kontaktdaten.“ Er gab ihr eine Visitenkarte. „Rufen Sie mich an, sobald Sie fündig geworden sind. Und bleiben Sie bitte stehen. Ich werde Ihnen jetzt einen Kuss auf die Wange geben, wegen der Jungs“, er nickte Richtung Flugzeug. „Die sollen glauben, dass Sie meine Freundin sind.“ Bevor Whitney auch nur protestieren konnte, streifte er mit seinen Lippen ihre Wange und lief zum Flugzeug.

Der Mann hatte Nerven.

Minuten später sah Whitney, wie das Flugzeug abhob und am nächtlichen Himmel verschwand. Irgendwie war der Tanner, den sie an der Uni aus der Ferne so verehrt hatte, an diesem Abend zu einem Normalsterblichen geworden. Und dennoch kannte sie weder den neuen noch den alten Tanner. Wenn sie nun eine Frau für ihn finden würde, nähme er sich dann wirklich Zeit für sie, oder war ihm nur daran gelegen, dass sie die Liste seiner Anforderungen erfüllte? Whitneys Bestreben war, Liebende zusammenzubringen, aber davon hatte Tanner nichts gesagt. Und es würde auf keinen Fall noch mal körperlichen Kontakt zwischen ihnen geben. Sie arbeitete stets seriös und professionell.

Tanner schaute aus dem Fenster und sah die Frau noch immer neben ihrem kleinen praktischen Kompaktwagen stehen. Sie sah aus wie eine Heiratsvermittlerin. Schlicht gekleidet. Ihre Kleidung war nicht sexy oder aufreizend, eigentlich hätte man ihr Outfit sogar in die Kategorie unsympathisch einordnen können. Ihr Haar war im Nacken zusammengebunden. Er küsste normalerweise keine Fremden, aber sie hatte er geküsst.

Die kleine Miss Heiratsvermittlerin hatte die zarteste Haut, die er je auf seinen Lippen gespürt hatte. Sie war nicht wie die Frauen, die er sonst attraktiv fand, dennoch fand er ihre ernsthafte und zielstrebige Art interessant. Normalerweise waren die Menschen ihm gegenüber nicht so bestimmend. Kannte er sie irgendwoher? War sie eine Angehörige einer seiner Patienten? Aber sie hatte nichts dergleichen erwähnt. Eigentlich konnte er sich Gesichter gut merken.

Es war ihr Lächeln. Es war das hübscheste Lächeln, das er je gesehen hatte, es erreichte ihre Augen. Hoffentlich war es die richtige Entscheidung gewesen, sie anzurufen. In der Klinik ging das Gerücht um, dass er gute Chancen auf den Chefarztposten hatte, wenn Dr. Kurosawa in den Ruhestand ging. Und es war klar, dass ein verheirateter Kandidat lieber gesehen wurde als ein Junggeselle. Er hatte schon versucht, die Dienste eines Datingportals im Internet in Anspruch zu nehmen, aber er brachte es nicht über sich, seinen Namen einzutippen.

Er hatte auch gar keine Zeit, die Profile potenzieller Frauen zu durchforsten. Allein der Gedanke an diese Speed-Dates machte ihn geradezu krank. Ihn störte auch, dass diese Datingportale sicher nicht gut für seinen Ruf waren. Er wollte auf gar keinen Fall, dass irgendjemand wusste, dass er Profis engagieren musste, um eine Frau zu finden. Aber jetzt hatte er es getan. Er wollte nun mal Chefarzt werden.

Verabredungen waren nie ein Problem für ihn, aber bisher war keine dabei gewesen, die seinen Anforderungen genügte. Er war nicht an einer Romanze interessiert, er wollte eine Beziehung, in der beide dieselben Ziele verfolgten. Eine unbeteiligte Person könnte ihm sicher dabei helfen, die Frau zu finden, die dasselbe wollte wie er. Man musste es wie ein Geschäft betrachten, mit allen Vor- und Nachteilen. Er wusste nur, dass Liebe nicht der entscheidende Faktor war.

Er hatte oft genug miterlebt, was das mit Menschen machen konnte. Seine Mutter hatte seinen Vater sehr geliebt, aber er hatte nicht dasselbe empfunden. Und so war er mehr unterwegs gewesen als zu Hause. Jedes Mal, wenn er ging, flehte sie ihn an zu bleiben. Wenn er wieder mal verschwunden war, verfiel sie in Depressionen, und als sie feststellte, dass er immer zurückkam, wurde sie geradezu manisch, kaufte sich ein neues Kleid und brachte Stunden damit zu, sich hübsch zu machen. Aber sein Vater blieb nie lang. Er verließ seine beiden Söhne, die das Unglück ihrer Mutter mit ansehen mussten, und am Ende ließ er sich dann scheiden.

Tanner hatte sich geschworen, niemals eine solche Beziehung zu führen. Seine Karriere erforderte seine ganze Aufmerksamkeit. Und er brauchte eine Frau an seiner Seite, die imstande war, damit umzugehen. Vielleicht konnte ihm die Heiratsvermittlerin dabei helfen, eine solche Frau zu finden. Wenn diese Frau mit allem, was er zu bieten hatte, ausgenommen der Liebe, leben konnte, würde sie die Richtige für ihn sein.

„Hey, Tanner“, der Nierenspezialist klopfte auf seinen Arm. „Wer war diese Frau, mit der du dich unterhalten hast? War das ein heißes Date, das wir da unterbrochen haben?“

Er zuckte mit den Schultern. „Nur eine Frau, die ich getroffen habe.“

„Du weißt, dass du unter die Haube musst. Der Klinikvorstand will, dass seine Mitglieder abends zu ihren Familien heimfahren. Ich kenne den Freund eines Freundes, der eine Schwester hat, sehr hübsch, habe ich gehört.“

„Mir geht’s gut, Charlie.“

Er grinste. „Ich wollte es nur gesagt haben.“

Tanner war es leid, dass Familie und Freunde sich anscheinend für ihn verantwortlich fühlten. Alle wollten, dass ihre Töchter und Cousinen einen Arzt abbekamen. Er schaute zu der Krankenschwester, die neben Charlie saß. Sie waren ein paar Mal ausgegangen, aber es hatte nicht gefunkt. Tanner würde künftig auch keine Frauen mehr aus dem Team daten. Er wollte zu jemandem nach Hause kommen, der nichts mit dem adrenalinlastigen Alltag einer Klinik zu tun hatte. Er wollte eine Frau, bei der er sich entspannen konnte und mit der er seine Ruhe hatte. Er erwartete von Whitney Thomason, dass sie genau eine solche Person für ihn fand.

Am nächsten Morgen, nach einer 24-Stunden-Schicht, war der Patient, der eigentlich schon an der Himmelspforte gestanden hatte, über dem Berg. Das lebensrettende Geschenk der Herztransplantation faszinierte Tanner sehr, und es würde ihn immer faszinieren. Er empfand tiefe Demut, dass er ein Teil dieses Geschenkes sein konnte. Glücklicherweise hatte er es geschafft, im Flugzeug ein paar Stunden zu schlafen. Jetzt musste er noch die Morgenvisite machen, und dann wollte er nach Hause und schlafen. Er klopfte an die Tür von Zimmer 223 und öffnete die Tür behutsam. „Mr. Vincent?“

„Kommen Sie herein.“ Die Stimme des Mannes klang kraftvoll. Tanner trat ein und ging zum Bett. „Wie fühlen Sie sich heute, Mr. Vincent?“

„Nun, ich müsste lügen, wenn ich sagte, dass ich keine Schmerzen hätte.“

Tanner lächelte. Die Transplantation war gerade einmal eine Woche her. „Ja, das gehört leider dazu. Aber es sollte mit jedem Tag besser werden.“ Tanner blickte sich um. „Mrs. Vincent ist nicht da?“

„Nein, sie hat einen Friseurtermin. Sie verpasst ihre Friseurtermine nicht gern.“ Er klang ein wenig resigniert. „Aber sie wird wohl gleich hier sein.“

„Es ist geplant, dass Sie morgen nach Hause können. Die Krankenschwestern haben einiges mit Ihnen und Ihrer Frau zu besprechen.“

„Cindy mag kein Blut und diesen ganzen Krankenhauskram.“

„Sie wird Ihnen aber bei der Pflege helfen müssen, oder Sie müssen jemand anders aus der Familie finden. Sie könnten auch einen Pflegedienst engagieren.“ Die Art, wie Mrs. Vincent um sich selbst kreiste, konnte Tanner nicht ausstehen. Sie war so mit sich selbst beschäftigt, dass sie mit der Pflege ihres Mannes mit Sicherheit überfordert wäre. Sie erinnerte ihn sehr an seinen Vater.

„Ich werde Sie jetzt abhören, Mr. Vincent.“ Tanner nahm das Stethoskop, das er um seinen Hals hatte, und hörte die Brust des Mannes ab. Er vernahm einen starken, gleichmäßigen Ton, der vor der Transplantation nicht zu hören gewesen war.

„Können Sie sich aufrecht hinsetzen, Mr. Vincent?“ Der Patient zog sich in seinem Haltegriff hoch, bis er saß. Tanner hörte gerade die Lunge ab, als eine platinblonde Frau zur Tür hereinkam. Als sie Tanner sah, blieb sie überrascht stehen. „Hallo, Dr. Locke“, sagte sie mit sirupsüßer Stimme.

Tanner hatte Mrs. Vincent nur wenige Male gesehen, doch jedes Mal stellten sich seine Nackenhaare auf. Und diesmal war es nicht anders. Sie war gut zwanzig Jahre jünger als ihr Mann und auffällig unpassend gekleidet für eine Ehefrau, deren Mann dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen war. In ihrem knappen Top und den viel zu engen Hosen schlenderte sie zum Bett und lehnte sich vor. Ihr Ausschnitt entblößte, was eigentlich nur ihr Mann sehen sollte. Seine Mutter hatte auf ähnliche Art versucht, seinen Vater zu halten, und Tanner fühlte sich dabei äußerst unwohl.

„Hallo, Süße, schön, dass du da bist.“ Mr. Vincent sah sie verliebt an.

„So, wie geht es dem Patienten denn heute?“, gurrte sie, ohne ihren Mann anzusehen.

„Er kann nach Hause, sobald Sie beide wissen, worauf es bei seiner Pflege ankommt.“ Tanner legte das Stethoskop wieder um seinen Hals.

„Ich bin nicht sicher, ob ich das kann. Ich bin ja keine Krankenschwester. Ich bin nicht so gut in diesen Sachen … Blut und so.“ Sie warf ihm ein breites, rot geschminktes Lächeln zu. Tanner ging zur Tür. „Ich bin sicher, dass Ihnen die Krankenschwestern alles Nötige zeigen werden, damit Sie das hinkriegen.“

„Cindy, Süße, wir werden das gemeinsam meistern.“ Ihr Mann nahm ihre manikürte Hand und warf ihr einen flehenden Blick zu. Diesen Blick kannte Tanner von seiner Mutter, wenn sein Vater wieder für Wochen verschwinden wollte.

„Ich werde den Krankenschwestern Bescheid geben.“ Tanner verließ das Zimmer. Die Ehe, die die Vincents führten, war exakt das, was er nicht wollte. So einseitig. Tanner hatte Angst, dass er zu sehr wie seine Mutter war. Man legte dem anderen sein Herz zu Füßen, und der trampelte dann darauf herum. Eine Beziehung sollte auf gegenseitigem Respekt beruhen, nur so konnten beide Partner auf Dauer glücklich sein. Und mit einer professionellen Heiratsvermittlerin würde er genau so eine Partnerin finden. Als er Whitney seine Liste an Anforderungen genannt hatte, konnte er an ihrem Blick sehen, dass sie etwas mehr erwartet hatte.

Whitney hatte die letzten zwei Tage damit verbracht, die Datenbank nach einer Partnerin zu durchforsten, die zu Tanner passen könnte. Sie hatte bereits fünf Namen, die interessant für ihn waren. Jetzt musste sie mit ihm einen Termin vereinbaren, und dann konnte es losgehen.

Sie nahm die Visitenkarte, die er ihr gegeben hatte, und legte sie auf den Schreibtisch. Warum konnte Tanner keine Frau finden? Und was hatte es mit dieser leidenschaftslosen Liste an Anforderungen auf sich? In diesem Punkt hatten sie wirklich nichts gemeinsam. Sie suchte nach der wahren Liebe. Dieser Liebe, die ein Leben lang hielt, egal, was passierte. Dieser „Bis dass der Tod uns scheidet“-Liebe, wie sie sie von ihren Eltern und Großeltern kannte. Auf dieser Idee fußte ihr Geschäftskonzept.

Sie glaubte daran, dass ihre Klienten genau das haben sollten. Einmal dachte sie, sie hätte sie gefunden. Diese Liebe. Mit dem frischen Diplom in der Tasche hatte sie einen Job in einem Unternehmen angetreten. Dort traf sie Steve. Er war der erste Mann, der sich für sie interessierte, und sie war außer sich vor Glück. Sie gingen ein Jahr lang miteinander und planten dann ihre Hochzeit.

Zwei Wochen vor der Trauung hatte er sie dann angerufen und ihr gesagt, er habe jemand anders gefunden. Es stellte sich heraus, dass es eine hübsche und sehr schlanke Frau war. Whitney war am Boden zerstört. Der ganze Kummer, der sie in ihrer Jugend gequält hatte, war plötzlich wieder da. Um den Schmerz ertragen zu können, stürzte sie sich in Arbeit. Immer wenn sie allein war und der Schmerz zurückzukommen drohte, ging sie laufen. Irgendwann begann sie, sich für gesunde Ernährung zu interessieren, und änderte ihre Lebensweise. Und sie wurde immer schlanker. Männer begannen, sich für sie zu interessieren, doch ihr Vertrauen war am Boden. Sie wollte einen Mann, der sie als Mensch wollte und nicht ihr gutes Aussehen.

Auf dem College hatte sie schon einige Paare verkuppelt, die tatsächlich lange zusammenblieben, einige heirateten sogar. So hatte sich Whitney den Ruf einer guten Heiratsvermittlerin erarbeitet. Als die Firma, für die sie gearbeitet hatte, Stellen abbaute, beschloss sie, für andere den richtigen Partner zu finden, wenn sie es schon nicht für sich selbst konnte. Eine professionelle Heiratsvermittlung zu gründen war einfach der logische Schritt.

Die eigenen Enttäuschungen brachten sie nicht davon ab zu glauben, dass jeder Mensch den Richtigen finden konnte. Was war also in Tanners Leben passiert, dass er nicht daran glaubte? Konnte sie ihn überzeugen, dass auch er seine Liebe finden konnte? Aber dafür bezahlte er sie nicht. Er wollte die bestmögliche Partnerin, und ihre Aufgabe war es, diese Person zu finden. Ihr Job war nicht, ihn von der Liebe zu überzeugen.

Sie wählte seine Nummer, und nach dem zweiten Klingeln ging er ran. „Locke.“

„Hier ist Whitney Thomason.“

„Wer?“

„Whitney Thomason von der Heiratsvermittlung.“

„Ah. Ja. Warten Sie bitte eine Minute.“

Sie wartete und hörte, wie er jemandem Anweisungen gab. Selbst bei den knappen Sätzen klang seine Stimme sehr angenehm. Irgendwie warm und geschmeidig. Die Art von Stimme, die eine Frau gerne im Ohr hatte, wenn der Mann sie in der Nacht in die Arme zog. Himmel, so etwas sollte sie nicht von einem neuen Kunden denken!

„Ich habe nur ein paar Sekunden. Was kann ich für Sie tun?“

Sie hatte Verständnis für viel beschäftigte Menschen, aber er hatte ja wohl ihre Hilfe angefordert. „Ich habe ein paar Vorschläge für Sie. Wir sollten uns zusammensetzen, damit wir sie durchgehen können, um im nächsten Schritt ein Treffen zu arrangieren.“

„Treffen? Ich habe weder Interesse an Treffen, noch habe ich Zeit für Teepartys.“

Deswegen war er wohl auch allein. Er wollte anscheinend nicht viel in eine Beziehung investieren. „Ein Treffen ist aber notwendig, um herauszufinden, ob es passt.“

„Können Sie das nicht herausfinden?“ Er klang ein wenig genervt. Vielleicht war er immer noch der selbstsüchtige Typ, der er auf der Universität gewesen war.

„Tanner, ist das Ihr Ernst?“ Ihre Stimme hatte jetzt einen scharfen Unterton bekommen. „Sie müssen schon etwas Zeit investieren, wenn Sie die Frau fürs Leben finden wollen. Vielleicht sind Sie doch noch nicht bereit.“

Zuerst war da eine Pause, dann ein resigniertes Seufzen. „Was muss ich tun?“

„Können wir uns um sechs Uhr im Café Lombard treffen?“

„Ich werde da sein.“ Es machte Klick, und das Gespräch war beendet. Hatte sie ihn wütend gemacht? Ihre Zeit war genauso wertvoll wie seine. Tanner hatte sie um Hilfe gebeten. Er musste ihr also schon ein wenig entgegenkommen, wenn sie die perfekte Frau für ihn finden sollte. Sollte das Gespräch im Café nicht fruchten, würde sie ihn bitten, sich woanders Hilfe zu holen.

Das Café Lombard lag am Ende der Lombard Street, die berühmt dafür war, die kurvigste Straße der Welt zu sein. In jeder Kurve blühten bunte Blumen, was fürs Auge sehr schön war, zum Autofahren eher weniger.

Als Tanner um Punkt sechs dort ankam, sah er Whitney auf der Terrasse sitzen. Ihr schulterlanges Haar war wieder sittsam zu einem Zopf im Nacken gebunden. Sie trug eine schlichte Bluse, die die Kurven ihres Körpers kaum erahnen ließ. Dazu trug sie eine schwarze Hose und flache Schuhe. Sie hatte nichts Extravagantes an sich, sie sah eher aus, als wollte sie auf gar keinen Fall beachtet werden.

Er überquerte die Straße und ging auf sie zu. Da blickte sie auf. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als sie ihm zuwinkte. Er setzte sich zu ihr an den Tisch.

„Aber Sie schnappen jetzt nicht wieder nach mir?“, fragte sie und schob einen Stuhl zwischen sie beide.

„Nein, außer, Sie bitten mich darum. Ich muss mich wirklich entschuldigen, aber ich wollte nicht, dass die Kollegen mir unnötig Fragen stellen. Es war einfacher, so zu tun, als wären Sie meine Freundin.“

„Verstehe. Was möchten Sie essen und trinken? Das geht heute auf mich.“

„Ich bin fast am Verhungern, aber ich kann das selbst übernehmen.“

Der Kellner kam an ihren Tisch. „Ich nehme den Salatteller und ein Wasser, bitte“, sagte Whitney.

„Und ich nehme das Steaksandwich mit Pommes und eine große Cola.“ Der Kellner schrieb mit und ging wieder.

Whitney verzog ihren Mund.

„Was?“, fragte Tanner.

„Cola? Ich hätte Sie eher für einen Biertypen gehalten.“

„Bin ich auch, aber ich habe Bereitschaft.“ Er beugte sich vor und verschränkte seine Arme auf dem Tisch. „Entschuldigen Sie bitte, dass ich am Telefon so kurz angebunden war. Aber ich habe im Moment sehr viel zu tun und stehe ein wenig unter Druck.“

Sie lächelte. „Das verstehe ich. Ich versuche, es kurz zu machen.“

„So, was müssen Sie denn jetzt von mir wissen?“

„Ich habe einige interessante Kandidatinnen gefunden. Ich möchte Ihnen ihre Profile zeigen und wissen, was Sie darüber denken. Und dann mache ich mit Ihrer Favoritin einen Termin aus.“ Whitney schob einen rosa Ordner über den Tisch. Rosa ist wohl die passende Farbe für eine Heiratsvermittlung, dachte Tanner. Er öffnete den Ordner und sah die persönlichen Daten der Frau. Er schaute Whitney an. „Kein Foto? Ich weiß vorher nicht, wie sie aussehen?“

„Nicht, bevor Sie sie nicht treffen. Ich denke, eine langlebige Beziehung sollte nicht nur auf dem Aussehen fußen. Ich möchte, dass meine Klienten unter die Oberfläche schauen.“

„Interessant.“

Sie schien an dem Konzept der wahren Liebe bis ans Lebensende festzuhalten, aber er hatte vor langer Zeit aufgehört, an Märchen zu glauben. Er blätterte sich durch den Ordner. Die Frauen schienen ganz interessant zu sein, aber einige von ihnen hatten ihr eigenes Geschäft. „Diese Frauen sind offenbar nicht darauf aus, sich um Kinder oder gesellschaftliche Anlässe zu kümmern.“

„Sie haben mir versichert, sich auf einen anderen Lebensentwurf einzulassen, wenn es der Richtige ist.“

„Haben Sie mit ihnen über mich gesprochen?“ Ihm gefiel der Gedanke wohl nicht, wie ein Stück Ware betrachtet zu werden, andererseits tat er umgekehrt ja nichts anderes. Sie nahm ihm die Profile ab und legte die Mappe zwischen ihnen auf den Tisch. „Sie kennen weder Ihren Namen noch Ihr Aussehen, aber ich habe ihnen schon Informationen über Sie gegeben.“

„So läuft das also.“

„Ja.“ Der Kellner brachte das Essen. Beide schwiegen, bis er wieder gegangen war. Whitney lehnte sich vor und lächelte. „Es ist nicht so schlimm, wie Sie denken. Alle meine Klienten wollen dasselbe. Alle wollen glücklich werden.“

Autor

Susan Carlisle
<p>Als Susan Carlisle in der 6. Klasse war, sprachen ihre Eltern ein Fernsehverbot aus, denn sie hatte eine schlechte Note in Mathe bekommen und sollte sich verbessern. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann sie damals damit zu lesen – das war der Anfang ihrer Liebesbeziehung zur Welt der Bücher....
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