Ein Happy End zum Fest der Liebe?

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Draußen tobt ein eisiger Schneesturm, aber die Küsse im Cottage sind glühend heiß! Das Wiedersehen mit Jasper, Viscount Darlton, weckt in Tori verbotene Gefühle. Vor fünf Jahren hatte sie mit dem attraktiven Adligen einen sinnlichen One-Night-Stand. Doch dann trennten sich ihre Wege. Ihre Zukunftspläne waren einfach zu unterschiedlich. Aber nun müssen sie die Nacht unter einem Dach verbringen, in einem Bett! Während draußen die Welt im Schnee versinkt, erwacht in Tori eine süße Hoffnung: Gibt es für sie beide eine zweite Chance zum Fest der Liebe?


  • Erscheinungstag 15.12.2020
  • Bandnummer 252020
  • ISBN / Artikelnummer 9783733714604
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Tori Edwards schaute hinauf zu den Zinnen und Schornsteinen von Stonebury Hall. Welcher Aristokrat des achtzehnten Jahrhunderts war wohl auf die Idee gekommen, in dieser abgelegenen Gegend am nordwestlichen Rand des Nationalparks North York Moors ein Haus mit Festungsmauern zu bauen? Gegen wen hatte er geglaubt sich verteidigen zu müssen?

Die Antwort stand sicher in der Mappe, die Tori bei ihrer Ankunft erhalten hatte. Doch ihre Finger waren taub vor Kälte, deshalb hatte sie noch nicht in den Infos geblättert.

Toris Arbeitgeber, der Earl von Flaxstone, hatte das Anwesen gekauft, ohne vorher mit ihr, seiner Stellvertreterin, zu sprechen. Seltsam genug. Ihre Aufgabe war es nun herauszufinden, wie Stonebury Hall zu einem weiteren, lukrativen Unternehmen des Earls werden könnte.

Vielleicht sollte ich drinnen weitermachen, wo es hoffentlich etwas wärmer ist, dachte sie und schaute wieder zu den Zinnen hinauf, die so grau waren wie der Dezemberhimmel. Das ganze Gebäude machte einen schroffen, wenig einladenden Eindruck. Drinnen würde es vermutlich nicht viel anders sein.

Doch es führte kein Weg daran vorbei: Sie musste sich die Räume ansehen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob das Haus als Hotel, Geschäftszentrum oder vielleicht als Restaurant mit Teestube infrage kam. Oder als Hofladen mit Café, falls das dazugehörige Land ertragreich genug war. So viele Möglichkeiten.

Diesmal könnte es tatsächlich Toris Entscheidung sein, was aus diesem Ort werden sollte. Ihr eigenes Projekt – und ihre Chance, dem Earl zu beweisen, wie gut sie ihren Job beherrschte und dass sie bereit war für mehr: mehr Verantwortung, mehr Herausforderungen, mehr Unabhängigkeit. Mehr Leben.

„Das Haus ist kleiner, als es auf der Webseite schien.“ Die vornehme Stimme von Jasper, Viscount Darlton, dem einzigen Sohn des Earls, hörte Tori schon im Flur, kaum dass sie das Haus betreten hatte, und seine Worte waren an sie gerichtet: „Komm und sieh dir die Küche an.“

Er ging voraus, ohne sich zu vergewissern, ob sie ihm folgte. Typisch, dachte sie, Jasper erwartet immer, dass Frauen ihm auf Abruf zur Verfügung stehen. Dennoch folgte sie ihm. Nicht wegen seines selbstsicheren Auftretens oder seines guten Aussehens, sondern weil es ihr Job war. Außerdem wollte sie die Küche selbst sehen. Vielleicht konnte sie aus diesem Haus einen spannenden Ort für kulinarische Genüsse machen …

„Oh.“ Sie schaute sich in dem Raum um. In einem normalen Gebäude wäre er einfach eine schöne Bauernküche gewesen, mit Platz für einen großen Esstisch.

„Siehst du?“ Jasper fuhr mit der Hand über den abgenutzten Holztisch. „Dies sieht mehr nach einem Privathaus aus als nach einem kommerziell nutzbaren Anwesen.“

Ein Ort kann beides sein, dachte Tori, doch sie sagte nichts. Denn dieser Satz hätte mehr über ihre Vergangenheit verraten, als sie Jasper oder irgend jemandem sonst in ihrem neuen Leben anvertrauen wollte. Sie hatte Jasper schon einmal zu nahe an sich herangelassen. Diesen Fehler wollte sie nicht wiederholen.

„Es ist gemütlich“, sagte sie. „Ich sehe immer noch viel Potenzial. Ich schau mir mal die anderen Räume an.“

Eigentlich wollte sie das allein tun. Doch Jasper folgte ihr und hielt mit seiner Meinung nicht zurück. Zu Toris heimlichem Ärger stimmte diese oft mit ihren eigenen Ansichten überein. Das gefiel ihr nicht. Der Erbe des Earls war nach seiner fünfjährigen Abwesenheit von Flaxstone nicht weniger nervig oder hartnäckig geworden. Oder reagierte sie nur zu empfindlich?

Kaum zu glauben, dass sie eine Nacht lang angenommen hatte, in ihm stecke mehr als nur der verwöhnte Playboy, den er allen anderen vorspielte. Wie dumm von ihr!

„Das hier wäre ein tolles Schlafzimmer“, verkündete Jasper, als sie das obere Stockwerk erreicht hatten. Er ging quer durch den Raum zu dem großen Fenster, das breit genug war, um davor ein komfortables Sofa aufzustellen. „Sieh dir nur diesen Ausblick über das Moor an.“

Tori wollte nicht. Sie wusste, wie das Moor aussah. Schließlich war sie hier in der Gegend aufgewachsen. Ich bin viel glücklicher, seit ich von hier weg bin, versicherte sie sich für den Fall, dass der bloße Anblick der Landschaft Sehnsucht hervorrufen sollte.

In dem Cottage auf dem Anwesen des Earls südlich von York war das Leben viel angenehmer. Es war richtig gewesen, von hier fortzugehen. Egal, welche Folgen das gehabt hatte. Das musste sie sich immer wieder bewusst machen. Besonders zu dieser Jahreszeit, wenn die Versuchung so groß war, hierher zurückzukehren.

„Die Wolken sehen ziemlich bedrohlich aus.“ Jasper schaute zum grauen Himmel hinauf. „Ist Schnee angesagt? Es soll ja weiße Weihnachten geben.“

„Das wäre toll für die Weihnachtsausstellung auf dem Landgut“, meinte Tori. Für sie ging es zu dieser Jahreszeit vor allem um Einkünfte und Absatzchancen. Und das war besser so.

„Ich dachte eher an Schneeballschlachten.“ Mit einem gefährlichen Grinsen im Gesicht drehte Jasper sich zu ihr um.

Tori verdrehte die Augen. „Dein Vater hofft auf eine besonders erfolgreiche Veranstaltung dieses Jahr.“

Als sie den Earl erwähnte, verschwand Jaspers Lächeln. Interessant.

Warum war der Viscount Darlton nach Flaxstone zurückgekehrt, nach fünf langen Jahren? Nicht zum ersten Mal fragte sich Tori das, als sie sich gemeinsam die restlichen Räume in der oberen Etage ansahen und dann wieder in die große Eingangshalle zurückkehrten. Vor seiner Abreise war Jasper ein typischer aristokratischer Playboy gewesen, entspannt, selbstsicher, einer, der sich wie selbstverständlich vom Leben nahm, was es ihm bot. Stets hatte er die schönsten Frauen nach Flaxstone Hall gebracht. Und keine davon zwei Mal.

Er war ein unverbesserlicher Frauenheld gewesen und hatte Tori als Herausforderung betrachtet. Warum hätte er sonst Zeit damit verschwendet, mit ihr zu flirten, wenn er stattdessen all diese reichen Schönheiten verführen konnte?

Auch nach seiner Rückkehr nach Flaxstone hatte Jasper sich nicht sehr verändert. Dennoch war da etwas Neues, Dunkles an ihm, das Tori nicht ganz verstand. Es nagte an ihr, dass sie nicht wusste, was sich geändert hatte. Sie wusste ja nicht einmal, warum er überhaupt gegangen war.

Wäre sie egozentrischer, als sie es war, dann hätte sie angenommen, dass er all das nur getan hatte, um ihr das Leben zur Hölle zu machen. Aber das war Unsinn, dazu war sie einfach zu unwichtig für ihn. Außer in jener einen Nacht, bevor er Flaxstone verlassen hatte. Damals hatte er nur an sie allein gedacht, während er ihren nackten Körper mit Küssen bedeckte und ihren Namen flüsterte, in einer Dunkelheit, die sie beide einhüllte.

Doch an diese Nacht wollte sie nicht denken. Das war noch etwas, das sie vergessen wollte. Sie hatte es damals schon besser gewusst, und jetzt erst recht.

„Ich glaube, wir haben gesehen, was wir sehen müssen“, sagte Jasper zu dem Makler, der in der eisigen Eingangshalle auf sie gewartet hatte. „Stimmt’s, Tori?“

Sie hätte ihm gern widersprochen, einfach aus Prinzip, doch es fiel ihr nichts Vernünftiges ein, und es war kalt. Also nickte sie nur.

„Ich fahre.“ Während sie über die kiesbedeckte Einfahrt zu ihrem Geländewagen gingen, streckte Jasper die Hand nach dem Autoschlüssel aus.

Tori umklammerte die Schlüssel in ihrer Manteltasche. „Ich kann fahren.“

„Das weiß ich. Du hast uns ja hergefahren. Deshalb bin ich jetzt dran“, erklärte Jasper übertrieben geduldig.

Als Tori zögerte, seufzte er. „Hast du Angst, dass ich einen Unfall baue? Oder dich in einen abgelegenen Gasthof entführe und dich zum Abendessen einlade? Ehrlich gesagt komme ich um vor Hunger. Also könnte das passieren.“

Kommt auf den Gasthof an. Aber das konnte sie ihm auch nicht sagen. Widerwillig gab sie ihm die Schlüssel.

„Danke.“ Jasper strahlte sie an, entspannt und selbstsicher. Es war das Lächeln eines Mannes, der es gewohnt war, dass ihm die Welt zu Füßen lag. Und das ärgerte sie noch mehr.

„Los“, sagte sie, öffnete die Beifahrertür und stieg ein. „Ich will nach Hause.“ Und zwar nach Flaxstone, wo sie die Vergangenheit vergessen konnte. Nicht an einem anderen Ort auf dem Weg, wo einmal ihr Zuhause gewesen war.

Wenn sie wieder sicher in ihrem hellen, abgelegenen Cottage war, konnte sie vielleicht endlich aufhören, an die eine Nacht zu denken, die sie mit Jasper verbracht hatte. Und all das vergessen, was mit dem kleinen, gemütlichen Gasthof zu tun hatte, den sie einmal ihr Zuhause genannt hatte.

Jasper setzte sich auf den Fahrersitz und schaltete die Heizung ein. Es war frostig hier draußen – so frostig wie der Empfang seines Vaters, als er vor knapp einer Woche nach Flaxstone zurückgekehrt war. Und das hätte Jasper nicht für möglich gehalten.

Offensichtlich hatte der Earl in seiner aristokratischen Herrlichkeit entschieden, dass der Riss, der die Familie durchzog, allein die Schuld seines Sohnes war und nicht das Resultat seines eigenen Verhaltens. Jasper hatte in den letzten fünf Jahren reichlich Zeit gehabt, darüber nachzudenken, und war zu der Erkenntnis gekommen, dass sein Vater immer seinen Willen durchgesetzt hatte. Zum Teufel mit den Folgen für alle anderen.

Eines konnte der Earl nicht einfach einfordern: den Respekt seines Sohnes. Den hatte er vor fünf Jahren verloren, als Jasper die Wahrheit entdeckt hatte. Und bisher hatte sein Vater sich nicht im Mindesten bemüht, diesen Respekt zurückzugewinnen. Doch heute wollte Jasper nicht mehr an seinen Vater denken. Er hatte getan, weshalb er hergekommen war.

Eigentlich hatte Jasper nicht nach England zurückkehren wollen. Er war glücklich mit dem Leben, dass er sich in den USA aufgebaut hatte. Mit dem Ruf, den er erlangt hatte, und der Arbeit, die er geleistet hatte. Doch dann hatte sein Vater ihm eine E-Mail geschickt. Da Jasper im Ausland sei, wolle er seinen anderen Sohn ebenfalls als Erben legitimieren. Der Titel gehörte nach dem Gesetz Jasper und Flaxstone ebenfalls, doch über das Unternehmen, das Geld und die Immobilien konnte der Earl frei entscheiden.

Anscheinend fand er an seinem unehelichen Sohn mit der Haushälterin mehr Gefallen als an Jasper. Von diesem Sohn hatte Jasper durch Zufall erfahren – vor fünf Jahren. Er war der Grund, weswegen er Flaxstone und England verlassen hatte.

Sein bester Freund Felix.

Jasper war nicht des Geldes, des Unternehmens oder der Immobilien wegen zurückgekommen. Er wollte seinen Ruf schützen, und besonders den seiner Mutter. Ihretwegen hatte er Tori begleitet.

Stonebury Hall wäre das perfekte Heim für seine Mutter, sollte es Jasper nicht gelingen, seinen Vater davon abzubringen, diese Sache öffentlich zu machen. Jasper war sich nicht einmal sicher, ob seine Mutter von Felix wusste. Oder ob sein Vater sie informieren würde, bevor er es der ganzen Welt erzählte. Seine Mutter, so liebenswert und liebevoll sie auch war, hatte – soweit Jasper es beurteilen konnte – immer in ihrer eigenen Welt gelebt. Sie konnte wunderbar Kirchenfeste eröffnen, Weihnachtspartys veranstalten und ihre kleine Welt in England so erhalten, wie sie schon vor fünfzig Jahren gewesen war. Aber sie hatte sich nie den Veränderungen in der Welt angepasst und schien dies auch nicht zu wollen.

Doch nun betrafen die Veränderungen sie alle höchstpersönlich.

Der Earl meinte, es sei heute nichts Ungewöhnliches, dass sein unehelicher Sohn in seinem Haus großgeworden war, während dessen Mutter noch für ihn arbeitete. Es würde niemand interessieren, dass der Junge, mit dem Jasper zusammen aufgewachsen war und dessen Geburtstag nur sechs Wochen vor Jaspers lag, tatsächlich sein Halbbruder war. Dass Jaspers Vater ihn und alle anderen sein ganzes Leben lang belogen hatte. Aber Jasper war anderer Meinung.

Für ihn war es ein Schock gewesen. Er hatte im Büro seines Vaters zufällig einen Blick auf ein Dokument geworfen. Es war das aktualisierte Testament seines Vaters, in dem er festlegte, was er jedem seiner Söhne hinterlassen wollte.

Allein die Mehrzahl hatte Jasper tief verletzt. Als sein Vater ihm dann alles erzählte und ihm selbst klar geworden war, dass Felix schon länger wusste, wer sein Vater war, hatte ihn das völlig aus der Bahn geworfen. Und nun wollte der Earl Felix legitimieren und ihm die Verantwortung für einige der Landgüter übertragen, da – wie er es ausdrückte – sein anderer Sohn sich ja von der Familie abgewandt hätte.

Für die Medien wäre das ein gefundenes Fressen. Davor wollte Jasper seine Mutter unbedingt schützen. Sie brauchte einen Rückzugsort, wo sie sich vor den Medien und vor ihrem Mann für eine Weile verstecken konnte – oder für immer. Stonebury Hall wäre der perfekte Ort dafür.

Nun musste er nur noch den Earl von seinem Plan überzeugen. Sein Vater war zwar derjenige, der über die Investitionen entschied und den Immobilienbestand erweiterte. Doch die Aufgabe, diese Immobilien zu dem zu machen, was sie sein sollten, um Einkünfte zu erzielen, überließ er anderen.

Genau mit dieser Arbeit, einem riesigen Investmentprojekt, hatte Jasper in Amerika sein Geld verdient. Er könnte aus Stonebury Hall alles machen, was seine Mutter brauchte. Ein Heim, vielleicht mit einem kleinen Geschäft, das ihr ein Einkommen sichern und Ablenkung bieten konnte. Vielleicht eine Teestube, oder Stallungen, falls die Koppel auf der Rückseite des Hauses groß genug war. Er musste sich die Daten noch einmal ansehen.

Und dann musste er seinen Vater überzeugen. Sicher würde der Earl verstehen, dass seine Frau einen Rückzugsort brauchte, sobald die schmutzige Wahrheit über ihn und ihre Ehe öffentlich bekannt wurde.

Vielleicht war diese Ankündigung ja nur eine List, um mich wieder nach England zurückzubringen, dachte Jasper, während er den Wagen vorsichtig über eine enge Nebenstrecke lenkte, bis er endlich eine Straße erreichte, auf der zwei Autos gefahrlos an einander vorbeifahren konnten. Ein geschickter Plan, der an meinen Stolz oder meine Gier appellieren soll. Droht Vater deshalb, mein Erbe, meine Verantwortung und meinen Status auf Felix zu übertragen?

Das bewies nur, wie wenig sein Vater ihn kannte. Dank seiner lukrativen Karriere und einigen klugen Investitionen mit dem Erbe seiner Großeltern besaß Jasper heute ein eigenes Vermögen. Er war stolz auf seine Karriere und das Leben, das er sich aufgebaut hatte. Die Verantwortung für Flaxstone konnte Felix gern übernehmen. Ein Leben frei von Erwartungen – abgesehen von seinen eigenen – wäre äußerst angenehm.

Aber Jasper konnte nicht zulassen, dass seine Mutter diese Demütigung allein durchstehen musste. Sollte sein Vater tatsächlich an die Öffentlichkeit gehen, musste Jasper für sie da sein. Er musste sie schützen und an einen Ort wie Stonebury Hall bringen, weit weg von dem ganzen Rummel.

Nun denke ich ja doch wieder an meinen Vater.

Jasper schüttelte den Kopf und konzentrierte sich auf die Straße, den immer dichter fallenden Schnee und die Frau, die neben ihm saß. Er musste zugeben, dass die eine Zeile über Tori in der E-Mail seines Vaters zu seinem Entschluss beigetragen hatte, nach Hause zurückzukehren. Es überraschte ihn, dass sie nach all den Jahren immer noch für seinen Vater tätig war. Und die Bemerkung, dass Felix bei den Immobiliengeschäften eng mit ihr zusammenarbeitete, hatte ihn wieder an die eine gemeinsame Nacht mit ihr erinnert.

Die Nacht, nachdem er das Testament seines Vaters gefunden und bevor er seinen Vater damit konfrontiert und die ganze entsetzliche Wahrheit erfahren hatte.

Jasper hatte das Land verlassen, ohne noch einmal mit Tori zu sprechen. Sein Verhalten war schäbig gewesen, das wusste er. Andererseits hatte sie ihre gemeinsame Nacht offenbar bereut. Schon früh am nächsten Morgen hatte sie sich heimlich aus ihrem eigenen Cottage geschlichen, nur um ihm aus dem Weg zu gehen. Er war nicht allein schuld.

„Sollen wir die langweilige oder die schöne Route nach Hause nehmen?“, fragte er mit einem fröhlichen Grinsen, obwohl er keinerlei Fröhlichkeit verspürte.

Tori schaute überrascht von ihrem Handy auf. Das Schweigen während der Autofahrt hatte sie bisher überhaupt nicht gestört, was keine Überraschung war. Tori Edwards war sehr verschlossen, fand Jasper. Ganz anders als die anderen Frauen, mit denen er sonst ausging. Na ja, zumindest meistens.

Er lächelte, als er sich an die eine Nacht erinnerte, in der er ihre Schutzmauern durchbrochen und die wahre Frau dahinter entdeckt hatte.

Tori hat mehr Festungsmauern als Stonebury Hall. Jasper dachte zurück an die Zeit, bevor sein Leben auf den Kopf gestellt wurde. Für ihn und Felix war es ein Spiel gewesen, zu versuchen, Toris Schutzwälle zu durchbrechen. Etwas an ihr hatte ihn gereizt. Er wollte ihr unbedingt eine Reaktion entlocken, etwas von ihrer wahren Persönlichkeit entdecken. Es war ihm nicht entgangen, dass er ausgerechnet in der Nacht Erfolg gehabt hatte, als er sich verwundbarer fühlte als je zuvor.

Vielleicht lag es daran, dass er so viel über seinen Vater nachgedacht hatte, vielleicht aber auch am Schnee und der Enge des Wagens. Plötzlich wollte Jasper herausfinden, ob er diese Schutzmauern noch einmal durchbrechen konnte, wenn auch nur für einen kleinen Moment.

„Bei dem Schnee würde ich vorschlagen, wir bleiben auf der Hauptstraße“, antwortete Tori. Ihre Stimme klang ruhig und desinteressiert. Wenn man nicht genau hinhörte.

Jasper jedoch war das leichte Zittern ihrer Stimme nicht entgangen. Es war ihr nicht egal, und er musste unbedingt herausfinden, warum. Er brauchte eine neue Herausforderung, eine Ablenkung von seiner zerfallenden Familie. Tori Edwards ein wenig aufzutauen war genau der richtige Zeitvertreib für einen verschneiten Nachmittag.

„So schlimm ist der Schnee nun auch wieder nicht“, erklärte Jasper betont gleichgültig. „Auf der Hauptstraße werden sich alle sammeln, die die interessanteren Straßen meiden wollen. Wir könnten eine Abkürzung durchs Moor nehmen und zu Hause sein, bevor der Schnee richtig schlimm wird.“

Tori warf einen Blick aus dem Fenster. Den Wolken nach zu urteilen, würde der Schneefall noch deutlich zunehmen. „Hier im Moor kann das Wetter trügerisch sein.“ Sie biss sich auf die Unterlippe, um die Erinnerungen zu verdrängen. „Auf den Nebenstraßen könnte der Schnee bereits gefährlich hoch liegen.“

„Oder es liegt dort noch gar keiner.“

Das war nicht sehr wahrscheinlich, aber die Hauptstraßen waren bei diesem Wetter sicher voll. Wenn sie es über die weniger befahrenen Straßen quer durchs Moor schafften, wären sie schneller zu Hause. Jedenfalls wenn der Schnee nicht zunahm oder mehr Leute dieselbe Idee hatten oder ein Traktor oder Schafe die Straße blockierten …

Im Leerlauf standen sie an der Kreuzung. Jasper musste sich entscheiden. Jede Minute konnte ein anderer Wagen hinter ihnen auftauchen und hupen. Allerdings machte es Jasper sicher nichts aus, andere Leute aufzuhalten. Tori fragte sich, ob er sich jemals Gedanken über die Gefühle anderer gemacht hatte. Wenn ja, hätte er wohl kaum für fünf Jahre das Land verlassen, nachdem sie miteinander geschlafen hatten, und nie wieder darüber gesprochen.

„Gehst du überhaupt jemals Risiken ein?“, fragte er mit diesem frechen Grinsen, das sie schon einmal in Schwierigkeiten gebracht hatte. Das, eine halbe Flasche Gin, den sie natürlich aus dem Barschrank des Earls entwendet hatten, und ein schlechter Tag, der ihre Verteidigungsmauern ins Wanken gebracht hatte.

„Unnötige Risiken einzugehen ist die größte Dummheit.“

Risiken einzugehen, gehörte zwar zum Geschäft. Aber persönliche Risiken? Nein, davon war sie in der Vergangenheit genug eingegangen. Na schön, sie war genau ein Risiko eingegangen. Aber das hatte gereicht, um ihr eine Lektion zu erteilen.

Ihre Nacht mit Jasper war nur eine zusätzliche Erinnerung daran. Sie hätte es besser wissen müssen. Warum hatte sie sich mit jemandem eingelassen, für den Liebe nur ein Zeitvertreib war? Damals hatte sie sich eingeredet, bei ihr könnte es anders sein. Aber durch sein wortloses Verschwinden hatte Jasper ihr klargemacht, dass sie für ihn genau so unbedeutend war, wie sie immer gedacht hatte. Daran musste sie nicht erinnert werden.

„Dieses Risiko ist nötig“, erklärte Jasper. „Ich bin am Verhungern und will zum Abendessen zu Hause sein.“

„Dein Magen ist kein Notfall.“

„Für dich vielleicht nicht.“ Jasper beugte sich zu Tori hinüber und sah ihr in die Augen. „Machst du dir Sorgen wegen des Schnees? Wenn es zu schlimm wird, kehren wir einfach um. Oder wir suchen den abgelegenen Gasthof auf, von dem ich erzählt habe, und essen gemütlich zu Abend, bis es aufhört zu schneien.“

Tori wandte den Blick ab. Sie wollte nicht daran denken, was dann seiner Meinung nach passieren würde. Jaspers Flirten war immer eine nette Abwechslung gewesen, aber sie durfte sich nicht darauf einlassen. „Daraus wird nichts. Bring uns einfach heil nach Hause, ja?“

„Zu Befehl, Madam.“ Ein Weihnachtslied summend lenkte Jasper den Wagen natürlich auf die Straße, die durch die Moore von Yorkshire führte.

Tori kauerte sich in ihren Sitz. Sie hatte nicht nur Angst vor dem Schnee, aber das würde sie Jasper nicht sagen. Diese Moore waren einmal ihr Zuhause gewesen. In den letzten acht Jahren jedoch hatte sie es vermieden, hierherzukommen. Sie hatte sich ein ganz neues Leben aufgebaut, nicht zu weit weg, aber weit genug. Dies war das erste Mal, dass sie sich für den Earl ein Anwesen direkt im Moor hatte ansehen müssen.

Sie kannte die Straße, die Jasper gewählt hatte. Kannte die kleinen Dörfer und Orientierungspunkte entlang des Weges. Der Gasthof lag nicht weit entfernt von der Straße, auf der sie einfach an ihm vorbeibrausen würden. In dem Tal, das sie durchfahren würden, gab es keinen Hinweis mehr auf den Autounfall, bei dem Tyler ums Leben gekommen war und der ihre Zukunft zerstört hatte.

Tyler, der die Liebe ihres Lebens hätte sein sollen. Und sie trug genauso viel Schuld an seinem Tod wie die Felsen, auf die er geknallt war.

All das war Teil eines Lebens, das sie für immer hinter sich gelassen hatte.

Tori schlang den Mantel um sich, weil ihr trotz der Heizung des Geländewagens schrecklich kalt war.

Wäre diese verdammte Fahrt doch nur schon vorüber.

2. KAPITEL

Hm, das funktioniert nicht.

Jaspers Hoffnung, Tori würde sich auf der Fahrt über die landschaftlich schöne Straße quer durch die Moore etwas entspannen, erfüllte sich nicht. Wie sie so auf ihrem Sitz kauerte, den Mantel eng um den schlanken Körper geschlungen, sah sie eher aus wie ein schmollendes Kind.

Vielleicht schmollte sie ja tatsächlich. Als sie noch Kinder waren, hatte Jasper Felix oft so lange geneckt, bis er mit dem Schmollen aufhörte. Aber er wollte nicht an Felix denken. Ganz und gar nicht.

Denk an Tori. Und bau bloß keinen Unfall. Er konzentrierte sich wieder auf die Straße und die Schneeflocken, die immer dichter fielen.

Tori Edwards war ihm ein Rätsel. Eines Tages war sie in seinem Leben aufgetaucht und nicht wieder gegangen. Trotz ihrer einen gemeinsamen Nacht kannte er sie heute nicht viel besser als am Tag ihrer Ankunft.

Nachdem er erfahren hatte, dass Felix sein Halbbruder war, hatte Jasper sich gefragt, ob auch Tori ein uneheliches Kind des Earls sein könnte. Doch diese Sorge hatte sich schnell in Luft aufgelöst. Angesichts ihrer hellen Haut, ihrer dunklen Haare und ihrer leuchtend grünen Augen hätte er es eigentlich gleich wissen müssen. Jasper hatte sein dunkles Haar von seiner Mutter geerbt und die goldbraunen Augen von seinem Vater. Genau wie Felix, wie er viel zu spät bemerkt hatte.

Jasper und Felix waren bald das dritte Jahr an der Universität von Oxford, als Tori, die erst seit einem Jahr auf der Wirtschaftshochschule ging, zum ersten Mal während der Sommerferien für den Earl arbeitete. Er sagte, er hätte sie aus einem abgelegenen Gasthof gerettet, wo ihre Fähigkeiten eindeutig nicht genutzt wurden. Tori hatte dieser Geschichte nie widersprochen. Jasper vermutete jedoch, dass sein Vater gern als Förderer und Wohltäter eines armen Mädchens dastehen wollte.

Wahrscheinlich hatte der Earl Tori einfach eingestellt, weil sie gut in ihrem Job war. Den ganzen Sommer hatte sie hart gearbeitet und sich in das Geschäft des Gutes Flaxstone eingearbeitet. Sie hatte Geschäftsleute betreut, die für ein Teambuilding in den Wäldern angereist waren, hatte sich um die Paintball-Anlage und die Gokart-Strecke gekümmert, Geburtstagspartys für pferdebegeisterte kleine Mädchen veranstaltet, Tee und Kaffee im Hofcafé serviert und sogar Wanderungen über das Gut Flaxstone und hinauf zu den Ruinen des alten Herrenhauses geführt, das seit drei Jahrhunderten zerfiel. Sie übernahm jeden Job und wusste bald mehr über die Verwaltung des Unternehmens als viele der langjährigen Angestellten.

Der Earl hatte die Zeichen der Zeit für den britischen Landadel früh erkannt und sein aristokratisches Erbe – das Gut Flaxstone – in ein Unternehmen verwandelt. Nachdem Flaxstone als kommerzielles Unternehmen schwarze Zahlen schrieb, hatte er sein Augenmerk auf die Anwesen im Land gerichtet, deren Besitzer nicht so vorausschauend gewesen waren, hatte diese aufgekauft und mit ihnen dasselbe getan. Jasper vermutete, dass Tori in den fünf Jahren seiner Abwesenheit dabei eine große Rolle gespielt hatte.

Doch als sie zum ersten Mal auf das Gut kam, war sie einfach ein Mädchen zum Flirten gewesen. Eine Herausforderung, weil sie auf seine Annäherungsversuche nicht reagierte, und ein Rätsel, weil er sie überhaupt nicht dazu bringen konnte, sich zu öffnen. Felix und er hatten sich den ganzen ersten Sommer bemüht, Löcher in ihre Fassade zu schlagen. Sie hatten sie an den langen Sommerabenden geneckt, ihr alle möglichen Fragen gestellt und sogar versucht, sie betrunken zu machen. Sie war damals neunzehn, er und Felix knapp einundzwanzig. Es schien ganz natürlich, dass sie viel Zeit miteinander verbrachten, auch wenn Tori bei den Angestellten untergebracht war und sie beide im Herrenhaus wohnten.

Zur Weihnachtszeit im selben Jahr war sie zurückgekommen, hatte die Verkaufsstände für den Weihnachtsmarkt organisiert und die Weihnachtsbäume und die Treppe in der großen Halle geschmückt. Jasper hatte sich gefragt, warum sie die Feiertage nicht zu Hause verbrachte. Später hatte er das Gefühl, dass sie gar kein Zuhause hatte.

Nun war Flaxstone ihr Zuhause. Als Tori ihren Abschluss in der Tasche hatte, war der Earl so von ihren Leistungen begeistert gewesen, dass er ihr das Cottage zur Verfügung gestellt und ihr eine Vollzeitstelle angeboten hatte.

Zwei Jahre später, in dem Sommer, als er die Wahrheit über Felix herausfand, war es Jasper endlich gelungen, ihr nahe zu kommen. Wenn auch nur für eine Nacht.

Das war die Nacht, nachdem er das Testament seines Vaters gefunden und von einem zweiten Sohn erfahren hatte, von dem er noch nie zuvor gehört hatte. Sein Vater war damals auf Geschäftsreise gewesen. Jasper wollte dieses Gespräch nicht am Telefon führen und beschloss, bis zur Rückkehr seines Vaters am nächsten Tag zu warten. Geduld war jedoch nie seine Stärke gewesen.

Felix war an dem Tag mit einem Mädchen, einer Aushilfe für den Sommer, ausgegangen. Daher hatte er sich nicht mit ihm gemeinsam betrinken können. Dann entdeckte er Tori, die gerade Wimpel an dem Kaffeestand am Eingang zu den Gärten anbrachte.

Autor

Sophie Pembroke
<p>Seit Sophie Pembroke während ihres Studiums der englischen Literatur an der Lancaster University ihren ersten Roman von Mills &amp; Boon las, liebte sie Liebesromane und träumte davon, Schriftstellerin zu werden. Und ihr Traum wurde wahr! Heute schreibt sie hauptberuflich Liebesromane. Sophie, die in Abu Dhabi geboren wurde, wuchs in Wales...
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