Ein kleiner Schritt ins große Glück

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Gray ist bereit, seine geliebte Emma für immer auf Händen zu tragen, ihr die Welt zu Füßen zu legen. Aber zunächst will Emma von einem Heiratsantrag nichts wissen. Denn obwohl sie Gray seit ihrer Kindheit kennt und sie sogar eine Zeit lang ein Paar waren, hat sie ihn vor sechs Monaten aus ihrem Leben verbannt! Damals hat sich Gray, der nicht nur ein leidenschaftlicher Liebhaber, sondern auch ein überaus geschickter Unternehmer ist, die Fabrik ihres Großvaters angeeignet. Egal was Gray ihr als Erklärung bietet: Emma ist überzeugt, dass er berechnend ist. Ob es ihm jetzt endlich bei der Hochzeit von gemeinsamen Freunden gelingt, Emmas Herz zu erobern?


  • Erscheinungstag 07.09.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733727499
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

PROLOG

Seattle, Washington

„Sie dürfen sich jetzt an das Amorkomitee wenden.“

Gray Shaw trat in den Lichtkegel, der die Dunkelheit des Raumes durchbrach. Er musste sich die Augen beschatten, als er zu den sechs, nur umrissartig zu erkennenden Komiteemitgliedern sah, die an einem langen Konferenztisch saßen. Eine Person meinte er zu erkennen und fragte schließlich: „Bist du das, Shadoe?“

Ein Seufzen war zu hören, bevor ein Mann mit besonders tiefer Stimme sagte: „Du sollst uns nicht mit Namen anreden. Weißt du denn nicht, dass wir ein Geheimbund sind?“

Gray zuckte die Schultern. „Da dein Rufname eigentlich nicht ‚Shadoe‘ ist, bleibt deine Anonymität doch gewahrt. Wenn ich natürlich anstatt deines Zweitnamens ‚Shadoe‘ ‚Ted‘ zu dir sagen würde, wäre es etwas an…“

„Verdammt, Gray!“

„… dann hättest du wirklich einen Grund, sauer auf mich zu sein. Außerdem seid ihr doch Mitglieder eines Eheanbahnungskomitees und nicht Terroristen, die die Regierung stürzen wollen. Warum also diese Geheimniskrämerei?“ Er verstummte einen Moment, bevor er fortfuhr: „Verstehen Sie das, Mrs. Smith?“

Wieder war ein Seufzen aus der Dunkelheit zu hören, diesmal von Shadoes Mutter Adelaide, die dem Komitee vorsaß. „Wie hast du überhaupt von uns erfahren, Gray?“

„Shayde hat’s dir erzählt, stimmt’s?“, mischte sich Shadoe ein. „Seitdem wir ihn mit Tess zusammengebracht haben, hat er den Verstand verloren. Obwohl ich nicht weiß, ob er überhaupt mal so etwas wie Grips besessen hat.“

Das klang ganz nach älterem Bruder, und Gray unterdrückte ein Lächeln. „Shayde ist einfach verliebt.“

„Wenn die Liebe so etwas mit einem anstellt, kann ich gut darauf verzichten.“

„Lass das, Ted!“, sagte seine Mutter, bevor sie den anderen Komiteemitgliedern etwas zuraunte, woraufhin diese den Raum verließen. Danach schaltete sie das Licht ein. „So ist’s besser, findest du nicht auch, Gray? Dieser ganze Mantel-und-Degen-Quatsch ist ja recht amüsant, aber sinnlos, da du ohnehin weißt, wer wir sind.“

„Bleibt nach wie vor die Frage, woher er diese Kenntnis hat?“, meinte Shadoe. „Wer hat dir von uns erzählt?“

Gray schüttelte den Kopf. „Da solltest du mich aber besser kennen, als davon auszugehen, ich würde so etwas ausplaudern. Natürlich kannst du dir deinen Teil denken, aber die Quintessenz wird immer sein, dass ich Bescheid weiß und eure Hilfe brauche.“

„Es geht um Emma Palmer, nicht wahr?“, fragte Adelaide und wartete erst gar nicht Grays Bestätigung ab. „Ich fürchte, du möchtest, dass wir zwischen euch eine Liaison arrangieren.“

„Soll das heißen, Sie wollen meine Bitte ablehnen?“

Adelaide zögerte. „Sagen wir, wir sind bereit, über deinen Antrag nachzudenken. Aber ich kann dir nichts versprechen.“

Das war wenigstens kein glattes Nein, und Gray atmete auf. „Zögern Sie, weil Sie der Meinung sind, wir würden kein gutes Paar abgeben? Oder haben im Augenblick andere zu stiftende Beziehungen Vorrang?“

„Weder noch“, antwortete Shadoe anstelle seiner Mutter. „Manchmal lehnen wir einen Auftrag ab, weil wir der Meinung sind, wir sollten uns nicht einmischen.“

Adelaide nickte. „Manchmal ist es besser, der Natur ihren Lauf zu lassen.“

Darauf wusste Gray kein Gegenargument. Aber er brauchte die Hilfe des Komitees, und so versuchte er es mit einer anderen Taktik. „Bei Tess und Shayde war es doch auch sinnvoll, sich einzumischen.“

„Ja, aber weder Tess noch Shayde wusste, dass wir dahinter stecken“, gab Adelaide zu bedenken. „Das funktioniert in der Regel am besten.“

Bei dem Gedanken, dass das Komitee ihm womöglich seinen Beistand verweigerte, wurde Gray ganz anders, und er fragte verzweifelt: „Wollen Sie mir denn nicht helfen, Mrs. Smith?“

„Das kommt ganz darauf an. Lass mich dir erst noch einige Fragen stellen.“ Adelaide kam näher und sah Gray durchdringend an. „Warum brauchst du unsere Hilfe? Warum kannst du Emma nicht allein für dich gewinnen?“

Damit hatte sie einen wunden Punkt getroffen. Wäre es nicht um Emma gegangen, hätte Gray niemals in Erwägung gezogen, das Amorkomitee um Hilfe zu bitten. Aufgrund seiner Kinderstube hatte er immer Wert auf seine Privatsphäre gelegt und war stolz gewesen, in allen Bereichen allein klarzukommen. Jemanden um Hilfe bitten zu müssen tat weh. Aber damit kam er zurecht. Doch die Vorstellung, Emma womöglich allein nicht zurückgewinnen zu können, brachte ihn beinah um den Verstand.

Unwillkürlich biss Gray die Zähne zusammen. Emma war immer sein einziger Lichtblick gewesen, und das ging bis in seine Kindheit zurück. In seiner eiskalten, harten Jugend war sie wie ein Frühlingshauch gewesen, auch wenn sie das ganze Gegenteil von ihm darstellte. Wo er sich nach Ordnung sehnte, brauchte Emma Chaos. Wo er rechts ging, ging sie links. Aber durch sie wusste er erst, was es hieß, zu leben.

Deshalb sagte Gray schließlich: „Ich brauche eure Hilfe, weil Emma und ich in letzter Zeit nicht mehr so viel Kontakt zueinander haben.“ Das war eine grobe Untertreibung, eigentlich hatten sie gar keinen Kontakt mehr.

„Nun …“, begann Adelaide, „… demnach zu urteilen, was ich bisher über Emma erfahren habe, will sie nach links, wenn du lieber den rechten Weg einschlagen würdest.“

Gray lächelte. „Das trifft es, würde ich sagen.“

„Aber dann ist es doch einfach: Beim nächsten Mal gehst du einfach nach links.“

Gray tat, als überliefe ihn ein Schauder. „Wenn Sie Emma so gut kennen würden wie ich, Mrs. Smith, würden Sie etwas Derartiges nicht vorschlagen.“

„Ist es denn so schlimm?“

„Schlimmer.“

„Warum willst du sie dann unbedingt haben?“

„Ganz einfach“, antwortete Gray ruhig, „weil ich sie liebe, und zwar seitdem sie den Windeln entwachsen ist.“

Adelaide warf ihrem Sohn einen Blick zu, bevor sie nickte und wieder zu Gray gewandt erklärte: „In Ordnung, mal sehen, was wir tun können. Aber ich sollte dich vor einem Problem warnen, das sich dir stellen wird, noch bevor diese Sache vorbei ist.“

„Und was wäre das?“

„Du wirst bereuen, uns um Hilfe gebeten zu haben, und dir wünschen, du hättest Emma allein für dich gewonnen.“

„Bestimmt nicht. Das habe ich schon versucht, ohne dass es mich weitergebracht hätte.“ Er reichte Adelaide und Shadoe die Hand. „Danke für eure Hilfe. Ihr braucht nur zu sagen, was ihr dafür haben wollt, und es gehört euch.“ Er dachte kurz nach, bevor er hinzufügte: „Ich hätte noch eine letzte Bitte.“

Erstaunt zog Adelaide eine Augenbraue hoch. „Reicht es denn nicht, dass wir dich mit Emma zusammenbringen?“

Gray zuckte die Schultern. „Es ist nur eine Kleinigkeit und erfordert überhaupt keine Mehrarbeit.“

„Worum geht’s?“, fragte Shadoe.

„Haltet mich über eure Fortschritte auf dem Laufenden.“ Unbeabsichtigterweise klang es fast wie ein Befehl.

„Tut mir leid, aber das ist nicht üblich“, antwortete Adelaide. „Dabei läuft man zu sehr Gefahr, die Sache negativ zu beeinflussen.“

„Aber ich will doch auch, dass es mit mir und Emma klappt. Könnt ihr denn nicht einmal eine Ausnahme machen? Ich weiß, dass ihr die anderen Komiteemitglieder per E-Mail auf dem Laufenden haltet. Da braucht ihr mir doch nur eine Kopie zu schicken.“

Als Shadoe das hörte, sagte er leise: „Wenn ich Shayde erwische, kann er was erleben.“ Laut erklärte er dann: „Unsere Kunden sollten eigentlich nicht wissen, wie wir arbeiten.“

„Aber ich weiß es nun einmal. Bitte“, sagte Gray dann, „es ist mir wirklich unheimlich wichtig.“

Shadoe neigte den Kopf. „Hm, ich denke darüber nach.“

„Danke, das weiß ich zu schätzen.“ Gray war kein Mann vieler Worte und verabscheute Small Talk. Er hatte Shadoe und seiner Mutter gesagt, was er wollte, und die beiden hatten zugestimmt. Jetzt sollte er sich besser auf den Rückweg nach San Francisco machen, bevor sie es sich anders überlegten. Deshalb nickte er den beiden noch einmal zu und verließ den Raum.

Sobald sich die Tür hinter ihm schloss, ließ sich Adelaide auf den nächstbesten Stuhl sinken und sagte: „Das ist nicht gut, ganz und gar nicht.“

„Glaubst du wirklich, es wird ihm leid tun, dass er auf uns zugekommen ist?“, fragte Shadoe.

„Zweifellos.“

„Aber warum?“

„Weil er sich nie sicher sein wird, ob ihn seine Frau aus Liebe geheiratet hat oder weil wir sie mit irgendwelchen Tricks dazu gebracht haben.“

„Schließlich ist Gray auf uns zugekommen“, meinte Shadoe und zuckte die Schultern.

„Das stimmt, aber er ist nicht der Einzige gewesen, der uns in dieser Sache angesprochen hat.“ Seine Mutter sah zu ihm auf. „Auch Emmas beste Freundin Tess wollte, dass wir für ihre beiden Freundinnen einen Lebenspartner finden. Wenn es nicht Vorrang gehabt hätte, Tess mit deinem Bruder zusammenzubringen, hätten wir längst jemanden für Emma und Raine gehabt. Wie viele Anfragen liegen uns jetzt Emma betreffend vor? Drei?“

„Vier, und dabei will jeder, dass wir sie mit Gray zusammenbringen. Die Leute können sich doch nicht alle täuschen, oder?“

„Wahrscheinlich nicht.“ Adelaide trommelte mit den Fingerspitzen auf den Konferenztisch. „Aber ich fürchte, diese Aktion wird kniffliger als angenommen.“

„Denkst du etwa, wir könnten scheitern?“, fragte Shadoe ungläubig. „Bisher haben wir noch nie versagt.“

Den Einwand tat seine Mutter mit einer Handbewegung ab. „Für alles gibt es ein erstes Mal. Selbst für so etwas Unwahrscheinliches wie einen Misserfolg des Amorkomitees.“

„Ach was, wie viele Beziehungen haben wir bisher erfolgreich gestiftet? Dreihundertdreiundzwanzig? Damit liegen wir noch vor den Leuten, die diese Aschenputtelbälle arrangieren.“

„Aber nur mit einer einzigen Beziehung, und der Vorsprung wäre dahin, wenn die Sache zwischen Gray und Emma nicht klappen sollte.“

„Das klappt schon!“

„Wenn mir bloß etwas einfallen würde, wie …“ Adelaide verstummte, bevor sie ihren Sohn lächelnd ansah.

„Ich kenne diesen Gesichtsausdruck, Chefin.“ Shadoe seufzte. „Er bedeutet Trouble.“

„Allerdings“, bestätigte seine Mutter. „Ich habe einen Plan, aber wenn wir die Sache unter Dach und Fach bringen wollen, brauche ich dazu meinen besten Mann als Aufreißer.“

Shadoe lächelte betreten. „Meinst du damit etwa mich?“

„Ja, Sweetheart!“, sagte seine Mutter, und ihre braunen Augen strahlten.

„Was ich für ein Glück habe! Die Beziehung mit den geringsten Aussichten auf Erfolg darf ich anzetteln.“

„Wir können uns schließlich nicht alle die Rosinen aus dem Kuchen picken. Aber mein Plan ist so verrückt, dass er womöglich funktionieren wird.“ Sie beugte sich näher zu ihm und sagte im Flüsterton: „Also, ich hätte gern, dass du …“

1. KAPITEL

Betr.: Emma Palmer, Update zur Verkupplungsaktion

An: Komitee@Amorkomitee.com

Von: Shadoe@Amorkomitee.com

CC.: “Mr. Trouble” Gray–Shaw@Galaxies.net

An alle Mitglieder: Der Bericht vom Samstag wird wahrscheinlich einen Tag später kommen. Ich schicke Euch eine E-Mail, sobald ich Gelegenheit dazu habe.

Emma reist am Samstagmorgen zu Tess Lonigans Hochzeit. Tess war unsere letzte Heiratskandidatin – das nur, falls bei einigen von Euch das Gedächtnis nachlässt. Sie heiratet meinen jüngeren Bruder und Mitaufreißer Shayde. He, Seth, ich hoffe, Du bekommst die E-Mail, bevor Du Dich auf den Weg zur Hochzeit machst. Ich hätte da einige interessante Insiderinformationen Deine Schwester betreffend. Die Geschichte hier hat sie Dir bestimmt noch nie erzählt. Anscheinend haben sie und Raine Featherstone (unsere nächste Kandidatin) die Ferien oft bei Emma in Palmersville verbracht. Bei einem dieser Besuche hat Emma mit Tess gewettet, dass die nicht im „Nugget Creek“ baden könnte, ohne erwischt zu werden. Der örtliche Spanner, ein Typ namens Billy Sheraton, hat auch sein Bestes getan, aber Raine hat eine Katze auf ihn angesetzt. (Und bevor Ihr jetzt bei mir auf dem Handy anklingelt, sage ich Euch lieber gleich, dass ich nicht herausgefunden habe, wie Raine die Katze dazu gebracht hat, ihr zu gehorchen. Die Bewohner in und um Palmersville sprechen auf jeden Fall von der Katze heute noch als „Raines Geschenk“. Also quält mich nicht mit Fragen, die ich nicht beantworten kann. Oh, da hätte ich noch einen besseren Einfall: Ihr könnt Gray deswegen löchern. Er möchte ja unbedingt am Werdegang unserer Aktion beteiligt sein.

Jetzt aber zurück zum Thema. Emmas Zeitplan für Samstag sieht so aus: Ganz früh am Morgen fährt sie mit dem Auto nach San Francisco. Das dauert ungefähr eine Stunde. Dann nimmt sie das Flugzeug nach Seattle, um dort im King’s-Crown-Hotel einzuchecken. Sobald sie das erledigt hat, geht sie zum Probeeinmarsch in die Kirche. Danach wollen die drei Freundinnen sich noch einmal richtig verwöhnen lassen mit Ganzkörpermassage, Maniküre, einem Termin bei der Visagistin und beim Starfriseur. Die Trauung soll abends um neunzehn Uhr stattfinden, und wenn Seth oder Adelaide nicht vorher einige Minuten erübrigen können, werde ich Euch so bald wie möglich von der Hochzeit berichten. Wenn man bedenkt, dass das halbe Amorkomitee bei den Feierlichkeiten zugegen sein wird, müssen die anderen einfach ihre Neugier bekämpfen. Dafür bekommt ihr die Informationen auch aus erster Hand.

Schritt Nummer eins des Plans der Chefin ist eingeleitet. Da sollte eigentlich nichts schief gehen. (Und, nein, Gray, ich sage dir nicht, wie Adelaides Plan aussieht.)

Da fällt mir noch ein zu erwähnen, dass Gray Shaw tatsächlich an den Feierlichkeiten teilnehmen wird. Ich habe diesbezüglich Anfragen bekommen. Wenn man den Gerüchten Glauben schenken will, wird er sogar Emmas Begleiter. (Und, stimmt das, Gray?)

Shadoe, außerordentlicher Amorkomiteeaufreißer mit Bericht aus Palmersville, Kalifornien (wobei ich versuche, unerkannt zu bleiben)

Na, vielleicht ist das heute ja gar nicht der schlimmste Tag meines Lebens, dachte Emma Palmer, als sie im dreiunddreißigsten Stockwerk des King’s-Crown-Hotels stand und die Nummer auf dem Zettel in ihrer Hand mit der an der Zimmertür vor sich verglich. Aber wenn etwas schief ging, dann kam meist noch etwas anderes dazu. Deshalb verglich sie die Zimmernummer sicherheitshalber ein zweites Mal mit der Zahl auf dem Stück Papier. Es war die Gleiche. Jetzt brauchte sie nur noch anzuklopfen. Das war doch einfach oder nicht? Na ja, eher nicht. Sie schnitt ein Gesicht, weil sie eigentlich gar nicht mit dem Mann sprechen wollte, der ihr dann öffnen würde.

Es war schon schlimm genug, dass sie den Probeeinmarsch in die Kirche anlässlich der Hochzeit ihrer besten Freundin verpasst hatte, weil bei ihrem Flug kurz vor dem Start noch technische Probleme aufgetreten waren. Aber sie hatte auch an den anderen spaßigen Sachen nicht teilnehmen können, die für die Zeit vor der Trauung geplant gewesen waren. Gekrönt wurde das Ganze durch das Verschwinden ihres Gepäcks und einer Bitte, die ihr Großvater in letzter Minute geäußert hatte. Wenn das so weiterging, schaffte sie es wahrscheinlich nicht einmal zur Trauung, und das würde ihr Tess nie verzeihen.

Nun, da war es wohl besser, so schnell wie möglich anzuklopfen und einige Notlügen parat zu haben, nach dem Motto: Ich habe ja schon Monate nicht mehr an dich gedacht! und Meine Güte, wie die Zeit vergeht, wenn man sich mit anderen Männern trifft! Diese Aussagen würde sie dann mit Blicken unterstreichen, die deutlich machen sollten: Du interessierst mich überhaupt nicht mehr, und ganz bestimmt bringst du mich emotional nicht mehr aus dem Gleichgewicht.“ Dem würde sie dann noch eins draufsetzen, indem sie ganz gegen ihr eigentliches Wesen keine Gefühlsausbrüche bekam, nicht noch um einen letzten Kuss bettelte und Gray unter keinen Umständen zum Bett drängte, um ihn nach allen Regeln der Kunst zu verführen. Wenn sie diese kleinen Spielregeln beachtete, brachte sie vielleicht nicht nur die fünf Minuten in seinem Zimmer, sondern auch die nächsten beiden Tage unbeschadet hinter sich.

Emma atmete tief durch. Sie musste nur jedwede Reaktion auf Gray unterdrücken – besonders in sexueller Hinsicht – und ihm die kalte Schulter zeigen. Das wäre doch ein Klacks! Auch wenn ihr das bisher nie gelungen war, würde sie es diesmal schaffen. Schließlich war sie nicht mehr zwanzig, sondern schon dreißig Jahre alt – reif und erfahren. Na, wenigstens konnte sie dieses eine Mal so tun, als ob sie es wäre.

Emma hatte die Hand bereits erhoben, ließ sie aber noch einmal sinken. Verdammt! Eigentlich wollte sie gar nicht anklopfen. Sie wollte hier überhaupt nicht stehen, geschweige denn, sich mit Gray über ihr letztes Zusammentreffen unterhalten.

In diesem Augenblick hörte sie, wie sich die Tür hinter ihr öffnete. „Nein, wenn das nicht Emma Palmer ist!“, rief daraufhin eine ältere Frau und klang sehr verwundert. „Ich habe ja gehofft, dich hier zu treffen, aber dass es im Hotelflur sein würde, hätte ich nicht gedacht.“

Emma setzte ein breites Lächeln auf und drehte sich um. „Hallo, Widow Bryant, ich wusste ja gar nicht, dass Sie auch nach Seattle kommen würden!“ Widow Bryant hatte bereits mit fünfundzwanzig Jahren ihren Mann verloren und wurde seitdem in Palmersville von allen nur „Widow – Witwe – Bryant“ genannt. Fünfzig Jahre später hatte sich an ihrem Status nichts geändert.

Auf Emmas Bemerkung hin nickte die alte Frau wie ein Vögelchen. Alles an ihr erinnerte irgendwie an einen Vogel, von den schmalen, klauenartigen Händen bis hin zu ihrem daunenartigen weißen Haar. „Tess hat mich zu ihrer Hochzeit eingeladen, hat sie dir denn nichts davon erzählt?“

Da machte es klick bei Emma. „Stimmt ja, ihr habt irgendwann angefangen, euch zu schreiben, nachdem Raine und Tess wieder einmal die Ferien bei mir verbracht hatten.“

Die Witwe nickte. „Wir sammeln beide Gelder für wohltätige Zwecke. Ohne Tess wäre es mir nie gelungen, meinen Unterricht für Analphabeten aus dem Boden zu stampfen.“

„Das ist Tess, wie sie leibt und lebt.“

Widow Bryant neigte sich ein wenig näher zu Emma und gestand ihr im Flüsterton: „Ich wollte erst gar nicht zu der Hochzeit kommen.“ Dabei spähte sie vorsichtig über die Schulter, und Emma musste ein Lächeln unterdrücken. Hatte die alte Dame Angst, Tess könnte sie hören? „Du weißt doch, wie ungern ich Bootsy allein lasse.“

Seit Edgar Bryants Tod waren seine Witwe und ihre jeweilige Katze, die immer „Bootsy“ hieß, unzertrennlich. Bei ihrer derzeitigen handelte es sich um einen jungen, rauflustigen Kater, der in den meistbesprochenen Skandal Palmersvilles verwickelt worden war – dem berüchtigten Nacktbadezwischenfall. Irgendwie war der getigerte Kater seinem Frauchen an jenem Tag entwischt, wobei sich sein Timing als glückliche Fügung erweisen sollte.

Mit Ausnahme einer Person hatten alle Beteiligten das Zusammentreffen genossen. Bootsy hatte ausnahmsweise einmal auf Tour gehen dürfen. Tess hatte die Nacktbadewette mit Emma gewonnen, ohne dass es all zu viele peinliche Nachwirkungen gegeben hätte. Raine hatte wieder einmal ihr erstaunliches Talent im Umgang mit Tieren bewiesen und Bootsy dem jungen Billy Sheraton auf den Hals gehetzt. Und Billy – die Ausnahme – hatte seine gerechte Strafe in Form von vier Katzenkrallenstriemen auf dem Po erhalten. Aber wenigstens hatte ihn das von seinen voyeuristischen Anwandlungen geheilt.

„Ich nehme an“, sagte Emma jetzt, „Sie haben Bootsy schließlich doch zu Hause gelassen, um an Tess’ Hochzeit teilzunehmen?“

„Um ehrlich zu sein, stand letzte Woche so ein netter Bericht über dieses Hotel in der Zeitung, und der hat schließlich den Ausschlag für mein Kommen gegeben. Gleich nachdem ich ihn gelesen hatte, habe ich Ellie angerufen und gefragt, ob sie Bootsy nicht übers Wochenende zu sich nehmen würde. Ellie ist die Besitzerin von Bootsys Mom ‚Buttercup‘.“

„Das hatte ich ja ganz vergessen!“

„Nein, das hast du nicht. Du hattest einfach nie so einen Bezug zu Tieren wie Raine.“ Die alte Frau lächelte mitfühlend. „Aber das macht nichts, meine Liebe, wir mögen dich trotzdem.“

Emma kam plötzlich ein Gedanke, und sie runzelte die Stirn. „Ich bin erstaunt, dass Sie überhaupt ein Zimmer bekommen haben, Widow Bryant. Das Hotel ist doch schon seit Monaten ausgebucht.“

„Ich hatte Glück, in letzter Minute hat jemand storniert.“ Sie neigte den Kopf. „Oder womöglich ist die Person gar nicht gekommen, was meinst du?“

Emma dämmerte, wieso die Frau noch ein Zimmer bekommen hatte, und erklärte zwischen zusammengebissenen Zähnen: „Die Person ist nicht rechtzeitig gekommen und hat vergessen, das Zimmer schon einmal vorab mit ihrer Kreditkarte klarzumachen. Wenn natürlich das Flugzeug der betreffenden Person pünktlich gelandet und ihr Gepäck nicht verloren gegangen wäre, und wenn sie nicht drei Stunden gebraucht hätte, um während der Samstagnachmittag-Rushhour vom Flughafen zum Hotel zu gelangen, wäre das Zimmer nicht weg gewesen.“

„Und ich hätte es nicht bekommen.“ Widow Bryant strahlte. „Mein Edgar hat immer gesagt, ich hätte teuflisches Glück.“

Emma nickte verdrießlich. „Ja, ich auch, aber was mich betrifft, ist das, glaube ich, etwas Schlechtes.“

Die Witwe zeigte auf die Tür hinter Emma. „Dann ist das also dein Zimmer, und wir sind Nachbarn, wie schön!“

Emma unterdrückte ein Stöhnen und sagte dann zögerlich: „Nein, es ist Grays Zimmer. Grandpa hat mich gebeten, Gray vor der Hochzeit noch eine Mitteilung zukommen zu lassen.“

„So, so!“ Die alte Frau lächelte wissend. „Na, die Entschuldigung ist wohl so gut wie jede andere, hm?“

Großartig! dachte Emma. Einfach großartig! Zweifellos wüsste bald ganz Palmersville, dass sie zwar nicht rechtzeitig zu Tess’ Probekircheneinmarsch gekommen war, dafür aber vor Grays Hotelzimmer gestanden hatte. Von dort wäre es nicht weit in sein Zimmer, und ruckzuck würde behauptet, sie wäre mit ihm ins Bett gegangen. Natürlich würden die Leute nicht aus Bosheit klatschen. Nein, die Bewohner von Palmersville waren nicht so. Die Geschichte würde einfach von Mal zu Mal ein wenig ausgeschmückt. Und um dem sofort einen Riegel vorzuschieben, sagte Emma jetzt: „Es ist nicht so, wie Sie denken, Widow Bryant.“

„Das ist es nie, meine Liebe, und ehe man sich’s versieht, ist man verheiratet und hat drei Kinder am Rockzipfel hängen. Ich habe mich auch mit Klauen und Zähnen dagegen gewehrt, aber mein Edgar war einfach unwiderstehlich.“

„Na, ich kann Gray problemlos widerstehen.“

„Gut, wenn eine Frau noch Kampfgeist zeigt!“ Die Witwe hielt beide Daumen hoch. „Du kannst dir ruhig einreden, dass du gegen ihn immun bist, wenn du dich dann besser fühlst. Aber lass mich dir einen letzten Rat geben, bevor ich gehe. Euch bleibt nur noch gut eine Stunde bis zu Tess’ Trauung. Also treibt es mit dem Geknutsche nicht zu weit, sonst kommt ihr zu spät. Und dann bin ich nicht die Einzige, die eins und eins zusammenzählt.“

Nein, nein, nein und nochmals nein! dachte Emma und sagte erschrocken: „Bitte ziehen Sie nicht falsche Schlüsse, und das sollte auch niemand anders tun. In diesem Fall ergibt eins und eins nämlich drei.“

„Nur, wenn ihr keine Verhütungsmittel benutzt.“ Die Witwe hatte wieder die Stimme gesenkt. „Unten in der Lobby gibt es eine Minidrogerie mit allem, was man so braucht. Aber da ich Gray kenne, hat er bestimmt für alle Eventualitäten vorgesorgt. Buchhalter sind so.“

Emma spürte, wie sie rot wurde. „Sie verstehen immer noch nicht, was ich meine, Mrs. Bryant.“

„Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit, um mit dir zu plaudern, aber ich muss mich beeilen.“ Die alte Dame überprüfte, ob sie ihre Zimmertür auch abgeschlossen hatte, und wandte sich dann noch einmal an Emma. „Ehrlich gesagt, erstaunt mich, dass ihr beide wieder zusammen seid. Ich dachte, das zwischen euch wäre ein für alle Mal vorbei.“

Das wurde ja immer schöner! „Wir sind nicht wieder zusammen.“

„Oh, ich verstehe ja, dass ihr es so lange wie möglich geheim halten wollt. Aber das wird natürlich nicht klappen. Du weißt doch, wie sich Neuigkeiten in einer Kleinstadt wie Palmersville verbreiten.“

Emma atmete tief durch. „Ja, das weiß ich.“

„Ach Schätzchen, versteh doch, dass die Leute reden … schließlich kennt ihr euch schon aus dem Sandkasten. Eine Zeit lang waren wir alle ganz schön aufgeregt, bis … Nun, du weißt schon. Danach wussten wir, dass aus eurer Beziehung nichts mehr werden konnte. Manche haben sogar Wetten abgeschlossen, wie die Sache wohl ausgehen würde.“

„Wie bitte?“

„Ich habe ganz schön was verdient, das kann ich dir flüstern.“ Einen Moment sah sie betrübt drein. „Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, dass ich gegen dich gesetzt habe.“

Moment mal, dachte Emma. „Wussten etwa alle, dass Gray und ich …?“ Sie brachte das Wort nicht heraus und versuchte es noch einmal. „Ich meine, dass wir etwas zusammen hatten?“

„Dein Großvater war der Einzige, der nichts davon wusste“, beruhigte die alte Dame sie rasch, „wenn dir das Sorgen macht. Soweit ich weiß, hat dein Großvater nie von eurer Affäre erfahren. Natürlich hat auch niemand gewagt, ihm davon zu erzählen. Wir wussten doch, dass er sich dann Gray vorknöpfen würde. Und nachdem, was sich Gray geleistet hat, will natürlich niemand deinen Großvater aufregen, wo er doch solche Probleme mit seiner Gesundheit hat.“

„Sie verstehen es immer noch nicht“, versuchte Emma die Witwe ein letztes Mal von ihrer falschen Fährte abzubringen. „Es gibt nichts, was man meinem Großvater erzählen könnte. Es ist nichts passiert.“

„Natürlich nicht, meine Liebe. Bleib ruhig bei deiner Geschichte. Man kann ja nie wissen, womöglich glaubt dir jemand.“ Sie tätschelte Emma den Arm. „So, und nun beherzige meinen Rat und fass dich kurz, oder alle wissen gleich, dass ihr wieder was miteinander habt. Dann schneide ich bei der nächsten Wette nicht so gut ab.“ Sie winkte Emma noch einmal zu, sagte: „Bis zur Trauung dann“ und schwebte den Korridor entlang.

Emma machte ihrem Ärger Luft, indem sie leise vor sich hin fluchte. Dem Klatsch, dass Gray und sie wieder zusammen waren, würde sie jetzt keinen Einhalt mehr gebieten können. Blieb nur zu hoffen, dass auch Gray sein Bestes tat, um die Hochzeitsgäste vom Gegenteil zu überzeugen. Das dürfte ja wohl nicht so schwierig sein. Wieder hob sie die Hand und klopfte diesmal tatsächlich an die Tür – allerdings heftiger als beabsichtigt, um ihre Aggressionen loszuwerden, obwohl Gray dafür besser geeignet gewesen wäre als die Tür.

Emma wollte gerade wieder anklopfen, da wurde geöffnet, und Gray sagte zur Begrüßung: „Dachte ich mir doch, dass du es bist. Kein Mensch poltert so gegen eine Tür.“

Jetzt musste sich Emma entscheiden, wie sie vorgehen wollte. Dabei hatte sie zwei Möglichkeiten: Sie konnte ihren Stolz herunterschlucken und sich Gray in die Arme werfen oder tatsächlich ihre Wut an ihm auslassen, wohl die geeignetere Variante, denn sonst landeten sie garantiert gemeinsam im Bett und kamen zu spät zur Hochzeit.

„Das ist alles deine Schuld!“, verkündete sie deshalb.

„Ich freue mich auch, dich wiederzusehen“, erklärte er spöttisch. „Aber bitte komm doch herein, und mach es dir bequem.“

Autor

Day Leclaire
<p>Day Leclaire lebt auf der Insel Hatteras Island vor der Küste North Carolinas. Zwar toben alljährlich heftige Stürme über die Insel, sodass für Stunden die Stromzufuhr unterbrochen ist, aber das ansonsten sehr milde Klima, der Fischreichtum und der wundervolle Seeblick entschädigen sie dafür mehr als genug. Day interessiert sich seit...
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