Ein Mann, ein Baby – eine Familie?

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Liebe? Saras Ehe mit dem reichen Arzt Grant Smythe ist eine rein geschäftliche Abmachung! Er bekommt das Sorgerecht für seine Halbschwester, sie hat keine Geldsorgen mehr. Doch leider ist Grant so umwerfend attraktiv, dass Sara sich trotzdem heimlich nach ihm verzehrt …


  • Erscheinungstag 11.05.2019
  • ISBN / Artikelnummer 9783733746551
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Dr. Grant Smythe warf einen Blick in die Wiege. Sein Vater und seine Stiefmutter waren erst gestern beerdigt worden, und schon hatte das Kindermädchen gekündigt. Sein Vater würde sich ohnehin im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass Grant in sein Haus eingezogen war und die Verantwortung für seine kleine Halbschwester übernommen hatte. Grant war sich ziemlich sicher, dass sein Vater niemals vorgehabt hatte, ihm überhaupt von ihr zu erzählen.

Grant tigerte in der Eingangshalle hin und her. Wo ist das neue Kindermädchen? Wann kommt diese Frau endlich?

Im Operationssaal warteten sie auf ihn. Die Leber, die er transplantieren sollte, konnte nicht viel länger aufbewahrt werden.

Das Baby jammerte, und Grant strich sich die Haare aus dem Gesicht. Er hatte es seinem Vater nie recht machen können. Das hier war sein allerletzter Triumph, ein niederträchtiger Scherz.

Aus dem Jammern wurde ein Weinen. Wo war …? Wie hieß sie noch? Sydney? Sara? Sharon?

Das Baby gab einen entschlossenen lauten Schrei von sich. Was hatte es nur? Seit seinem Studium hatte er mit Babys nichts mehr zu tun gehabt, und selbst da hatte das Praktikum in der Kindermedizin nur wenige Wochen gedauert.

Grant sah sich das kleine Gesicht an, das sich gerade erneut zu einem Schrei verzog. Er war so wütend, dass er dieses Bündel nicht einmal beim Namen nennen wollte. Doch er sollte die Probleme, die er sein Leben lang mit seinem Vater gehabt hatte, nicht an einem unschuldigen Säugling auslassen. „Lily“, flüsterte er.

Ihr Mund schloss sich, und sie sah Grant konzentriert an.

Das Mädchen war wunderhübsch. Sie hatte so viel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter Evelyn – der Frau, die er einmal hatte heiraten wollen. Lily hätte seine Tochter sein können. Zumindest, bis er Evelyn seinem Vater vorgestellt hatte.

Das Handy klingelte und Grant hoffte, dass es das Kindermädchen war. Doch dann erkannte er Leons Stimme. Leon war sein bester Freund und Anwalt. Als Grant sich entschlossen hatte, das Sorgerecht für Lily zu übernehmen, hatte er sich an Leon gewandt.

Er kam direkt zur Sache. „Scheint so, als ob die Armsteads es ernst meinen.“

„Ich wusste überhaupt nicht, dass Evelyn Familie hat. Sie hat ihren Onkel und ihre Tante nie erwähnt.“

„Tja, aber es gibt sie. Willst du ihnen Lily nicht doch überlassen? Du weißt schließlich gar nicht, wie man ein Kind aufzieht. Sie könnten sie adoptieren, aber wir könnten es ja so einrichten, dass du die Kontrolle über ihren Treuhandfonds behältst.“

Grant konnte immer noch nicht glauben, dass bei der Beerdigung plötzlich dieses Paar aufgetaucht war. Sie hatten gesagt, sie seien die Familie seiner Stiefmutter und dass sie das Sorgerecht für Lily verlangen würden.

Aber Lily sollte bei ihm bleiben, auch wenn er keine Ahnung hatte, warum ihm das so wichtig war. Ob er immer noch meinte, seinem Vater etwas beweisen zu müssen? Er hatte den Großteil seines Lebens damit verbracht, sich mit ihm zu bekämpfen. Grant schluckte. So schlimm es zwischen ihnen auch gewesen war – nun war sein Vater für immer gegangen.

Grant blickte zu Lily hinab. „Was wissen wir denn über diese Leute?“

„Laut eines vorläufigen Berichts des Jugendamts sind die Armsteads für eine Adoption einfach perfekt geeignet.“

„Im Gegensatz zu mir“, sagte Grant. „Was ist mit dem Lebensstil, den ich ihr bieten kann?“

„Ganz ehrlich, das spielt keine Rolle.“

„Was spielt denn dann eine Rolle?“

Leon seufzte. „Das Gericht findet es gut, wenn das Kind zu einem Paar kommt. Wenn du verheiratet wärst – das wäre etwas ganz anderes. Du bist schließlich ihr engster Verwandter und du hast Geld und die Möglichkeit, sich um sie zu kümmern. Da würde sich selbst der konservativste Richter überzeugen lassen.“

„Das heißt also, ich brauche eine Frau“, sagte Grant trocken.

„So ist es“, erwiderte Leon.

Sara Marcum konnte immer noch nicht glauben, dass sie diesen Job angenommen hatte. Sie lenkte ihr hochbetagtes Auto auf die geschwungene Auffahrt der zweistöckigen Villa in Highland Park, dem vornehmsten Viertel von Chicago. Der Rasen war wie manikürt, und jeder Grashalm schien ordentlich aufrecht zu stehen.

Kim, eine Freundin, die als Krankenschwester in der Klinik arbeitete, hatte ihr berichtet, dass Dr. Smythe verzweifelt nach einem Kindermädchen suchte. Sie hatte ihr die Adresse gegeben und Sara gebeten, sofort dorthin zu fahren. Das Problem war nur, dass Sara eigentlich nichts mit Babys am Hut haben wollte.

„Du hast so ein großes Herz, Sara. Du bist genau die Richtige, um dem armen Kerl zu helfen“, hatte Kim resolut gesagt. „Es ist doch nur vorübergehend, und er zahlt gut.“

Sara hatte bis vor Kurzem als Krankenschwester im Hospiz gearbeitet, wusste aber nicht, ob sie so etwas noch einmal machen wollte. Sie hatte diese Arbeit geliebt, bis ihr Lieblingspatient, Mr. Elliott, gestorben war. Es hatte Wochen gedauert und ihm viele Qualen bereitet. Nach seinem Tod hatte Sara entschieden, dass es Zeit für eine Veränderung war.

Sie wollte sich zwar gern erholen, brauchte aber natürlich auch Geld. Sie und ihr Vater mussten schließlich essen und ein Dach über dem Kopf haben. Nur deshalb hatte sie nun zugesagt, als Kindermädchen zu arbeiten.

Ihr Handy klingelte, während sie noch über die Auffahrt rollte. „Hallo, Dad.“

„Wir haben ein Problem, mein Mädchen.“ So nannte ihr Vater sie immer noch, auch wenn sie längst erwachsen war.

„Was denn jetzt schon wieder?“ Die ständigen Gläubiger raubten ihr jede Energie.

„Mr. Cutter war gerade hier. Er wirft uns raus.“

Sie umklammerte das Lenkrad. „Was? Das kann er doch nicht machen!“

„Anscheinend doch. Er hat schon jemanden für die Wohnung gefunden.“

„Ich habe ihm doch gesagt, dass ich ihm die Miete so bald wie möglich nachzahle. Ich habe doch vor ein paar Wochen erst für einen ganzen Monat bezahlt.“ Sie wollte schreien! Würde sich das nie ändern?

Ihr Vater hatte immer hart gearbeitet, um über die Runden zu kommen, doch seit seinem Unfall war es mit den Finanzen nur noch schwieriger geworden. Er bekam lediglich eine Rente, denn die Firma hatte es so hingebogen, dass er für die Explosion verantwortlich gemacht wurde. Das hatte zur Folge, dass sie ihm keine Entschädigung zahlen mussten. Dazu kam der Kredit, den Sara hatte aufnehmen müssen, um ihre Ausbildung als Krankenschwester abzuschließen. Inzwischen war er abbezahlt, aber sie kämpften immer noch ums Überleben.

„Das habe ich ihm auch gesagt, aber es ist ihm egal. Er will, dass wir bis Ende der Woche ausziehen.“

Sara stöhnte. Eigentlich war gerade alles einigermaßen in Ordnung gewesen. Sie hatte ein bisschen gespart und sogar überlegt, ein kleines Haus zu kaufen. Doch dann war ihr Vater auf einen Werbeanruf hereingefallen. Er war allein zu Hause und einsam – und somit das ideale Opfer für einen Trickbetrüger. Und schon war das wenige Geld, das ihr Vater hatte, in ein Stück Land in Florida investiert, das es überhaupt nicht gab. Das, was sie selbst gespart hatte, ging für die Arztrechnungen ihres Vaters drauf. Selbst mit dem neuen Job würden sie kaum den Kopf über Wasser halten können.

„Ich muss auflegen, Dad. Mach dir keine Sorgen, mir fällt schon was ein.“

Als sie aus dem Auto stieg, stand plötzlich ein großer Mann neben ihr, der ganz verkrampft ein winziges Baby im Arm hielt. „Sie sind zu spät.“

Sara zuckte zusammen und blickte ihn an. Das Baby fing an zu weinen.

„Tut mir leid“, sagte er dann. „Ich werde im Operationssaal erwartet. Kommen Sie bitte rein?“

Er eilte zurück ins Haus und ließ die Tür für sie geöffnet. Das Jammern des Babys klang nun gedämpfter, doch Sara konnte es kaum mit anhören. Sie schlug die Autotür hinter sich zu und folgte den beiden. Im Flur blieb sie stehen, der Mann drückte ihr das Kind in den Arm. „Nehmen Sie es bitte? Ich muss wirklich los.“

Sara griff nach dem Baby. Der Kloß in ihrem Hals wurde größer. Sie hatte Kim doch gesagt, dass sie das hier nicht konnte, aber Kim hatte nicht lockergelassen. Kleine Kinder riefen in ihr eine Angst wach, zu viel Nähe zuzulassen. Dieser furchtbare Schmerz, der nie schwächer zu werden schien. Sara sah dem Baby ins Gesicht, ach das war ein Fehler. „Los?“

„Ich komme später wieder“, erwiderte Dr. Smythe. „Alles, was Sie brauchen, finden Sie in der Küche oder oben im Kinderzimmer.“

„Aber …“

„Keine Zeit.“ Er griff nach dem Schlüssel auf dem Flurtisch und eilte zur Tür.

Sara lief ihm nach und rief: „Sie können doch nicht einfach gehen.“

„Keine Zeit zu reden.“

„Mir egal, ob wir aus unserer Wohnung rausgeworfen werden oder nicht, aber Sie zahlen mir nicht genug, um mir einfach das Kind in den Arm zu drücken und zu verschwinden. Kommen Sie zurück!“

„Wir reden nachher.“ Und weg war er. Die große Tür schloss sich mit einem dumpfen Ton.

Ungläubig stand Sara im Flur und sah auf das unglückliche Baby. Er hatte es ihr einfach so gegeben. Sie hingegen hatte damals ihr Baby gar nicht loslassen können, damals, als sie die Leihmutterschaft übernommen hatte. Aber der Vertrag war klar und deutlich gewesen.

Hier stand sie nun. Sie seufzte. Nun musste sie sich wohl um das Kind kümmern, denn sie konnte es schließlich nicht allein lassen. Wenn der arrogante Arzt zurückkam, würde sie ihm sagen, dass diese Vereinbarung so nicht funktionierte. Auch wenn sie sich dann immer noch etwas einfallen lassen müsste, was sie und ihren Vater anging. Vielleicht könnte sie Mr. Cutter überzeugen.

Sie ging über die schwarz-weißen Fliesen und betrat das Wohnzimmer. Sie hatte noch nie einen Raum gesehen, der weniger für ein Kind geeignet war als dieser. Dicke weiße Sofas und Sessel auf einem weichen weißen Teppich. Das Kind sollte besser niemals Saft zu trinken bekommen.

Herrje, sie wusste nicht einmal, ob das Kind ein Mädchen oder Junge war. Und wie es hieß. Prompt kreischte es erneut.

Sie musste es bestimmt wickeln, füttern und dann schlafen legen. Irgendwo war das Kinderzimmer, aber jetzt würde auch erst einmal die Küche reichen. Dort würde sie hoffentlich etwas zu essen finden. Es war gut, sich auf die praktischen Aspekte zu konzentrieren.

Sara griff nach einer Tasche, in der sich vermutlich Windeln befanden, und ging den breiten Flur hinab. Die Küche war großzügig geschnitten und hatte riesige Fenster, durch die sie einen Swimmingpool sehen konnte. Der Garten war grün und makellos, wie der Rasen vor dem Haus. Genau so hätte sie sich ihre Traumküche ausgemalt. Sie hatte von den Smythes gehört und welchen Status sie in der Gemeinde hatten, aber solchen Reichtum hatte sie sich nicht vorgestellt. Das Baby weinte wieder und Sara schaukelte es auf und ab.

Sie stellte die Windeltasche auf einen Barhocker und ging in der Küche herum. In einer Ecke fand sie eine Babyschale. Sie setzte das Kind hinein, ließ es auf dem Boden stehen und machte sich auf die Suche nach Babynahrung. Auf der Arbeitsfläche stand nichts, aber als sie den Kühlschrank öffnete, fand sie eine ganze Reihe vorbereiteter Flaschen. Sie nahm eine heraus, stellte die Schale auf die Arbeitsfläche, brachte die Flasche in der Mikrowelle auf die richtige Temperatur und begann, das Baby zu füttern.

Sein Gesichtsausdruck entspannte sich, während es zufrieden an der Flasche sog. Jetzt war zumindest einer von ihnen beiden glücklich. Sara fühlte einen Stich im Herzen. Wie es wohl gewesen wäre, Emily so lächeln zu sehen?

Grant streckte seine Arme aus und wartete, bis die Assistentin ihm den grünen Kittel übergezogen und am Rücken zugeknotet hatte.

Hatte er den Verstand verloren? Er wusste überhaupt nichts über Babys, und nun war da eins in seinem Schoß gelandet. Noch verwunderter war er, dass er darum kämpfen wollte, es zu behalten.

Grants Teenagerjahre waren weder für ihn noch für seinen Vater einfach gewesen, und die Scheidung seiner Eltern hatte es noch schlimmer gemacht. Sein Vater hatte seine Mutter verlassen, und die Trennung hatte Mom zerstört. Es war so schwer für sie gewesen, dass Grant befürchtet hatte, sie müsse in die Psychiatrie eingewiesen werden. Da der Vater mit der Scheidung alle Verantwortung abgab und Grants älterer Bruder in Kalifornien in einer Kommune lebte, fiel es Grant zu, sich um seine Mutter zu kümmern. Zum Glück hatte er sie überzeugen können, sich Hilfe zu holen. Heute lebte sie in Florida, und es ging ihr wieder gut.

Dem Vater hatte die schlechte Beziehung zu seinem Sohn offensichtlich noch nicht gereicht, denn letztendlich entschied er sich auch noch, Evelyn zu heiraten, die Frau, in die Grant verliebt gewesen war. In den letzten Jahren hatte er mit den beiden nur wenig Kontakt gehabt. Sein Vater hatte es immer wieder versucht, aber Grant konnte ihm nicht vergeben. Als er dann erfuhr, dass er und Evelyn ein Baby bekommen hatten, war er nur noch enttäuschter – ja, regelrecht angewidert gewesen.

„Dr. Smythe! Wir warten auf Sie!“

Grant drückte sich mit den Schultern durch die Schwingtüren in den Operationsbereich. Auf dem Tisch wartete schon der Patient. „Entschuldigt die Verspätung“, sagte Grant in den Raum. Dann fragte er den Anästhesisten: „John, alles bereit?“

„Patient ist stabil“, antwortete John.

Grant stellte sich neben Jane. Sie hatte nur noch wenige Monate, bis sie ihre Ausbildung zur Transplantationschirurgin abgeschlossen haben würde. „Wo ist die Leber?“

„Noch 30 Minuten“, antwortete Jane.

Er nickte. „Gut, dann machen wir den Herrn so weit fertig, dass er für seine neue Leber bereit ist.“

Hier im Operationssaal hatte Grant die Kontrolle. Hier machte er das, was er am besten konnte. Er mochte die Ordnung. Draußen, im echten Leben, war es schwieriger. Es geschah so viel Unerwartetes. Als Grant erfahren hatte, dass sein Vater sein Testament nach Lilys Geburt nicht geändert hatte, konnte er es kaum glauben. Da sein Bruder nicht verfügbar war, war Grant derjenige gewesen, auf den die Verantwortung für Lily übergegangen war. Er konnte seine kleine Schwester schließlich nicht in ein Kinderheim geben, und an Evelyns Tante und Onkel wollte er sie auch nicht weiterreichen. Lily war seine Aufgabe.

„Doktor Smythe, das Organ ist da.“

Nun musste es schnell gehen, und Grant konzentrierte sich darauf, die beschädigte Leber zu entfernen und die neue einzusetzen. Die Blutgefäße des Patienten waren abgetrennt und das alte Organ entfernt. Grant sah sich die neue Leber an. „Sieht gut aus. Legen wir los.“ Vorsichtig positionierte er das neue Organ an der freien Stelle und begann, die Blutgefäße zu verbinden.

Das Telefon an der Wand klingelte. Er arbeitete weiter.

„Dr. Smythe, für Sie.“

Er runzelte die Stirn. „Wer ist es?“

Die Krankenschwester fragte nach und rief ihm zu: „Eine Frau, die sagt, dass sie Ihr Kindermädchen ist.“

„Was zum Teufel“, murmelte er. Lauter sagte er: „Ich kann gerade nicht sprechen.“

Die Krankenschwester gab die Nachricht weiter. „Sie ist ziemlich hartnäckig.“

Er schnaufte. „Jane“, sagte er zu seiner Kollegin, „bitte schau nach Blutungen, und dann kannst du anfangen, ihn zu schließen.“

Er hörte seine Kollegen verwundert murmeln. Es war mehr als untypisch für ihn, im Operationssaal einen Anruf entgegenzunehmen. Während eines chirurgischen Eingriffs duldete er keine Unterbrechungen.

Nur mit Mühe hinderte er sich daran, der Krankenschwester den Hörer aus der Hand zu reißen. „Was ist?“, fauchte er ins Telefon. „Ich bin mitten in einer Operation.“

Am anderen Ende herrschte Stille. Schließlich sagt eine Stimme: „Hier ist Sara Marcum. Tut mir leid, ich wusste nicht, dass sie mich bis in den OP durchstellen würden.“

Das stimmte ihn ein wenig versöhnlicher. „Jetzt bin ich ja hier. Was ist los?“

„Es ist schon spät, und ich weiß nicht, ob ich die Nacht über bleiben soll. Darauf bin ich nicht vorbereitet. Mein Vater erwartet mich zu Hause.“

Daran hatte Grant gar nicht gedacht, als er aus dem Haus gerannt war. „Ja, Sie müssen über Nacht bleiben. Jede Nacht. Wenn Sie es heute schaffen, verspreche ich Ihnen, dass ich Ihnen morgen eine ausführliche Liste mit all Ihren Aufgaben gebe. Jetzt muss sich aber wieder zu meinem Patienten.“

„Ich habe auch meine eigenen Aufgaben. Aber gut, heute Nacht bleibe ich hier bei Ihrem Baby, bis Sie nach Hause kommen.“

„Vielen Dank.“ Er hängte auf. Was konnte sie meinen? Was konnte wichtiger sein als das Baby oder eine Transplantation, mit der er ein Leben rettete? Kurz hielt er inne. Hatte sie nicht vorhin gesagt, dass ihr die Wohnung gekündigt worden war? Wie dem auch sei, erst musste er sich jetzt um den Leberpatienten kümmern und dann würde er schnell nach Hause fahren. Er konnte es sich wirklich nicht leisten, noch ein Kindermädchen zu verlieren.

Als er zum Operationstisch zurückkehrte, trafen ihn die fragenden Blicke seiner Kollegen. Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe ein Baby bei mir aufnehmen müssen und habe ein neues Kindermädchen. Können wir diesen Patienten jetzt schließen und auf die Intensiv bringen?“

Sara legte auf. Dr. Smythe war nicht glücklich über Ihren Anruf gewesen, aber was war ihr übrig geblieben? Er war so schnell verschwunden. Wenn sie wirklich aus der Wohnung geworfen wurden, brauchte sie sein Geld, aber sie würde sich nicht unhöflich behandeln lassen.

Jetzt musste sie erst einmal das Kinderzimmer finden. Sara nahm das Baby vorsichtig in die Arme, warf sich die Windeltasche über die Schulter und ging die breite Wendeltreppe ins Obergeschoss hinauf. Sie lief den Flur entlang und blickte in alle Räume. Am Ende, gegenüber dem großen Schlafzimmer, fand sie schließlich ein kleines Stück Himmel. Die Wände waren blassrosa gestrichen – ein Mädchen also. Genau so hatte ihr eigenes Zimmer ausgesehen, damals, als ihre Mutter sie verlassen hatte. Über der schneeweißen Wiege mit einem rosafarbenen Vorhang stand in weißen Buchstaben „Lily“ an der Wand. Ein hübscher Name.

Wenn Lily älter wurde, würde sie sich dann auch fragen, ob ihre Mutter gegangen war, weil sie etwas falsch gemacht hatte?

Sara blickte auf Lily hinab, die sie mit großen Augen beobachtete. Sie sah auch aus wie eine Lily – eine Lilie. Nun wusste Sara also, wie das Baby hieß, doch ein Name führte auch dazu, dass sie eine Persönlichkeit bekam. Man stellte eine engere Beziehung zu dem Kind her. Davor wollte Sara sich doch eigentlich hüten.

Der freundliche Raum passte perfekt. Sara ging vorsichtig über den weichen Teppich, der dem im Untergeschoss ähnelte, und legte das Baby ins Bettchen.

Dr. Smythe hatte nur an sich selbst gedacht, als er ihr das Kind übergeben hatte. Die Welt der Medizin in Chicago war klein, und sie hatte schon von diesem jungen dynamischen Arzt gehört, der schwierige Operationen so kompetent und präzise durchführte, wie sonst kaum jemand. Dennoch … Einfach zu verschwinden, das zeugte von Egoismus und sogar Nachlässigkeit. Wahrscheinlich hatte Sara wohl auch deswegen gerade an ihre Mutter gedacht. Sie hatte nämlich immer das Gefühl gehabt, dass sie – die Tochter – der Grund gewesen war, warum ihre Mutter gegangen war.

In einem Schrank fand Sara einen Stapel Windeln. Das Wickeln war im Nu erledigt. Während ihrer Studienzeit hatte sie in einem Kinderkrankenhaus ausgeholfen und später jungen Eltern gezeigt, wie Babys gewickelt wurden. Damals hatte sie die Arbeit mit Kindern noch genossen.

Lily ruderte mit Armen und Beinen, als Sara sie hochnahm und zu einem Schaukelstuhl ging, von dem aus sie in den Garten blicken konnte. Direkt vor dem Fenster stand eine große Eiche. Welch ein idyllischer Ort für ein kleines Kind.

Nun gut, eine Weile würde Sara sich um die körperlichen Bedürfnisse der Kleinen kümmern. Die emotionalen Bedürfnisse musste ihr Vater erfüllen, Sara würde dem Kind nicht zu nahe kommen. Als Lily schließlich in ihrem Bettchen lag, entschied sich Sara, im angrenzenden Schlafzimmer zu übernachten. Der Tag war anstrengend gewesen, und sie schlief schnell ein.

Es war Mitternacht, als Grant nach Hause zurückkam. Die Operation war gut verlaufen, und jetzt wünschte er sich nur noch ein weiches Bett und ein paar Stunden Schlaf. Während seiner Fahrt hinaus nach Highland Park hatte er überlegt, was er tun konnte, um permanent das Sorgerecht für Lily zu bekommen. Sollte er wirklich heiraten, nur um das Kind zu behalten? Er konnte den Gedanken nicht ausstehen, sie zu verlieren, aber solch eine drastische Entscheidung fällte man nicht einfach so. War er wirklich die beste Wahl, um ein Kind aufzuziehen? Hätte sein Vater sich gefreut, wenn er gewusst hätte, dass Grant Interesse an Lily zeigte?

Grant wusste nur eins: Er würde sich besser um Lily kümmern als sein Vater um ihn. Lily sollte niemals das Gefühl haben, unzureichend zu sein oder nicht geliebt zu werden, wenn sie einen Fehler machte. Sie würde wissen, dass er sie immer unterstützte.

Seit sein Vater gestorben war, war Grant noch nicht wieder zur Ruhe gekommen. Vielleicht waren es ja nur seine verwirrten Gefühle, die ihm seine Entscheidungen diktierten, aber keine rationalen Überlegungen. Dachte er, dass er seinen toten Vater glücklich machen könnte, wenn er sich um Lily kümmerte, oder wollte er sich an Evelyn rächen, weil sie ihn so schlecht behandelt hatte?

Doch die Gründe waren gar nicht wichtig: Er wollte Lily behalten, und wenn es bedeutete, dass er heiraten musste, dann würde er es tun. Allerdings eignete sich keine der Frauen, mit denen er in letzter Zeit ausgegangen war, für einen solchen Schritt. Selbst wenn er eine von ihnen überzeugen könnte, würde sie nur sein Geld ausgeben und sich mehr um ihr eigenes Äußeres kümmern als um Lily.

Grant parkte auf einem der drei Parkplätze im Carport auf der Rückseite des Hauses. Er schloss die Tür zur Küche auf. Stille. Eine Lampe unter den Schränken brannte. Wann hatte jemand zum letzten Mal Licht brennen lassen, weil er nach Hause kam?

Er nahm sich ein Glas und ging zum Kühlschrank. Als er sich gerade Milch eingegossen hatte, stürmte das Kindermädchen herein, einen Regenschirm umklammernd, als wollte sie ihn angreifen.

Grant zuckte zurück. Die Milch spritzte über die Arbeitsfläche und tropfte auf den Boden. Er zog eine Grimasse. „Verdammt, Sie haben mich fast zu Tode erschrocken.“

„Was meinen Sie, wie es mir ging? In diesem riesigen Haus aufwachen und eine Tür klappern hören?“

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich spät nach Hause komme.“

„Und das sollte ich Ihnen glauben? So, wie Sie vorhin verschwunden sind?“

Grant senkte den Kopf. Das hatte er verdient. „Ich muss mich entschuldigen.“ Er sah sie an. „Tut mir leid.“

Sie hatte große braune Augen, und ihr schulterlanges Haar war verstrubbelt. Sie trug das gleiche T-Shirt wie vorhin und dazu Jeans. Die meisten Frauen, die er kannte, hätten sich nie im Leben unfrisiert gezeigt. Diese Frau war anders.

Er räusperte sich. „Setzen Sie sich. Wir können ja reden, während ich dieses Chaos hier beseitige.“

„Es ist spät. Sind Sie nicht müde?“

„Hundemüde. Aber ich weiß nicht, ob Sie am Morgen noch da sind.“ Er versuchte es mit einem charmanten Lächeln. „Außerdem habe ich Angst, dass Sie mit dem Regenschirm auf mich losgehen.“

Sie sah den Schirm an, als hätte sie vergessen, dass sie ihn in den Händen hielt. Dann blickte sie ihn an. „Na gut, aber nur ein paar Minuten. Lily wacht bestimmt bald wieder auf.“

Sein Vater und Evelyn hatten Lily nach seiner Großmutter benannt. Grant hatte Evelyn einmal anvertraut, dass er seine Tochter eines Tages so nennen wollte. Das war nur ein weiteres Beispiel dafür, dass ihr und seinem Vater Grants Gefühle vollkommen egal gewesen waren. Er hatte sich geschworen, so schnell niemandem mehr zu vertrauen. Bei allen Frauen, mit denen er nach Evelyn zusammengewesen war, war er vorsichtig gewesen und hatte nur wenig über sich selbst verraten. So konnte er wenigstens nicht verletzt werden.

Grant hatte seinen Vater immer beeindrucken wollen – als Kind, aber auch als Erwachsener. Er hatte immer das Richtige tun wollen, aber nichts schien gut genug gewesen zu sein. Er hatte es gehasst, dass ihm die Meinung seines Vaters so wichtig war. Vielleicht war sein Wunsch, Lily aufzuziehen, nur ein weiterer Versuch, seinem Vater zu beweisen, dass er gut genug war. So eine Ironie.

Das Kindermädchen – wenn er sich nur erinnern könnte, wie sie hieß – hängte den Regenschirm an eine Stuhllehne und setzte sich. Dann blickte sie ihn erwartungsvoll an.

Grant griff nach einem Lappen und wischte die Milch auf. Kim hatte ihm den Namen am Telefon gesagt, doch als er nach Stift und Papier hatte greifen wollen, hatte Lily zu weinen begonnen.

Er warf den Lappen in die Spüle und setzte sich auf den Stuhl am Tischende. „Tut mir leid, aber ich weiß einfach nicht mehr, wie Sie heißen.“

Sie zog die fein gezupften Augenbrauen hoch. „Nur damit ich das richtig verstehe: Sie sind sich nicht einmal sicher, dass ich diejenige bin, die Sie erwartet haben? Was, wenn ich Lily entführt hätte? Sie hätten der Polizei nicht einmal meinen Namen sagen können.“ Sie beugte sich vor und wurde lauter. „Hoffentlich kümmern Sie sich besser um Ihre Patienten.“

Okay, auch das hatte er verdient, aber er war ein guter Arzt und weigerte sich, diesen Zweifel an seiner Professionalität hinzunehmen. „Meine Patienten sind mir wichtiger als alles andere.“

„Das bezweifle ich auch nicht. Das haben Sie heute Nachmittag ja deutlich unter Beweis gestellt.“

Autor

Susan Carlisle
<p>Als Susan Carlisle in der 6. Klasse war, sprachen ihre Eltern ein Fernsehverbot aus, denn sie hatte eine schlechte Note in Mathe bekommen und sollte sich verbessern. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann sie damals damit zu lesen – das war der Anfang ihrer Liebesbeziehung zur Welt der Bücher....
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