Ein Mann für erregende Stunden

– oder –

 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Caitlin ist begeistert, für ein Wochenende die Geliebte des gutaussehenden FBI-Agenten Sean Maddox zu spielen...


  • Erscheinungstag 02.08.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779283
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Geh nach Hause, Maddox, der Fall hat sich erledigt.“

Special Agent Sean Maddox nahm seinem Partner Thomas Hall den Brief aus der Hand und zerknüllte ihn ärgerlich. „Zwei Monate Ermittlungen sind zum Teufel, nur weil ein Richter seine Hormone nicht unter Kontrolle hat!“

„Hör mal, auch die hohen Herren brauchen dann und wann eine kleine Entspannung“, lenkte Thomas ein, aber damit kam er bei Sean schlecht an.

„Entspannung nennt er das?“ zischte dieser wütend. Der Fall rann ihm durch die Finger, und Sean fühlte sich dafür verantwortlich. Er hatte Alicia Reyes versprochen, ihren Kidnapper dingfest zu machen. Sie war doch noch ein Kind, genauso klein und zerbrechlich wie seine Schwester damals, als er – der ältere Bruder – zu ihrem alleinigen Beschützer geworden war.

Aber je länger der richterliche Entscheid zu den wichtigen Indizien auf sich warten ließ, desto rapider schwanden seine Chancen, den Marquez-Fall zu lösen. Wie es aussah, würde der Widerling tatsächlich ungeschoren davonkommen.

„Verdammt!“ fluchte Sean.

Special Agent Thomas Hall rückte seine Brille zurecht. Thomas war die Gelassenheit in Person, während Sean eher aufbrausend war.

„Wir haben keinerlei Beweise dafür, dass Richter Rossini eine Affäre hatte. Deshalb schreibt er ja auch wörtlich in seinem Kündigungsschreiben, allein das Gerücht hätte schon gereicht, um seiner Familie irreparablen Schaden zuzufügen. Das ist der Grund, weshalb er seinen Posten aufgibt und sich nach Roanoke zurückzieht“, erklärte Thomas.

„Was hat er denn gedacht? Glaubte er allen Ernstes, ein Inselurlaub mit seiner Sekretärin würde niemanden stutzig machen? Wir haben das ganze Wochenende herumgesessen und auf ihn gewartet.“ Sean warf den zerknüllten Brief auf seinen Schreibtisch, auf dem sich die Akten türmten. „Hätte er sich denn nicht wenigstens erst nach Abschluss des Falles in den Ruhestand versetzen lassen können?“

Sean wusste nur zu gut, wie sehr Gerüchte und berufsbedingte Trennungen einer Familie zusetzen konnten. Die Ehe seiner Eltern war daran zerbrochen, dass seinem Vater die Karriere bei der Army über alles ging. Nicht einmal die Geburt von Seans kleiner Schwester Sabrina hatte Roland Maddox in England gehalten.

Sean erinnerte sich, wie sehr er auf seine Mutter eingeredet hatte, mit ihnen nach Nebraska zu ziehen, damit sie wenigstens ihre Familie in der Nähe hatte, wenn der Vater über Monate fort war. Jahrelang hatte er geglaubt, seine Mutter würde schrecklich unter der Trennung leiden, bis er dann herausfand, dass ihre wöchentlichen Fahrten zum College-Kurs einzig dem Professor galten, mit dem sie sich in einem Hotel traf.

Von da ab wandelte sich sein Mitleid zusehends in Wut, die sich noch steigerte, als er in der London Times ein Foto seines Vaters mit seiner Adjutantin im Arm entdeckte. Zu jenem Zeitpunkt war Sabrina gerade in der dritten Klasse gewesen.

Sein Vater versuchte nicht einmal, die Affäre zu vertuschen. Zwischen den Eltern flogen die Fetzen, und Seans Mutter warf ihrem Mann vor, nicht so diskret gewesen zu sein wie sie. Sean hatte sich mit Sabrina mehr und mehr in den Hintergrund zurückgezogen, während seine Eltern sich eine zweijährige Scheidungsschlacht lieferten.

Den ersten Affären folgten bald neue, und dabei vergaßen die Eltern ihre beiden Kinder vollkommen.

Nein, seine Eltern waren ein Beispiel dafür, dass Beziehungen nichts als Leid und Ärger brachten. Und Sean hatte daraus die Lehre gezogen, sich auf keine dauerhafte Beziehung einzulassen. Er vertraute keiner Frau außer seiner Schwester, die er einmal wöchentlich anrief. Bei allen anderen wusste er, dass sie ihn über kurz oder lang bitter enttäuschen würden.

So war es ihm auch mit Elise ergangen. Acht Monate, zwei Wochen und zwei Tage hatte es gedauert, bis er wach wurde. Elise war anfangs von seiner Dienstmarke und seiner Waffe fasziniert gewesen. Sie hatte es genossen, mit einem „echten Helden“ zusammen zu sein. Doch nachdem der erste Reiz verflogen war – und Sean dachte schon fast daran, sich dauerhaft zu binden –, hatte sie sich wieder ihrer College-Liebe zugewandt.

Nachdem er sie zufällig gesehen hatte, wie sie mit ihrem Verflossenen in einem Restaurant turtelte, war er heilfroh gewesen, wenigstens die Arbeit zu haben, die ihm Halt gab. Und das seit mittlerweile acht Jahren.

Sein Blick fiel auf die Scherzkarte, die ihm Sabrina aus Stanford geschickt hatte, wo sie studierte, und Sean lächelte. Seine Schwester war die einzige Frau, auf die er sich verlassen konnte, auch wenn sie sich gern über sein Singledasein lustig machte.

„Gute Neuigkeiten?“ riss Thomas ihn aus seinen Gedanken.

„Nichts Besonderes, nur eine Karte von Bree“, erwiderte Sam, der sich lebhaft vorstellen konnte, wie Sabrina grinsend den Text auf der Rückseite verfasst hatte. „Sie wird demnächst ins Ausland reisen, um an einem Studienprojekt teilzunehmen.“

„Und? Wie kommst du damit klar?“

Sean zuckte mit den Schultern. Er hatte sich jahrelang um seine kleine Schwester gekümmert, und es fiel ihm bis heute schwer, sich damit abzufinden, dass sie erwachsen war und im Rahmen ihrer Doktorarbeit in Archäologie rund um den Globus reiste.

Der Gedanke an seine Schwester als kleines Mädchen erinnerte ihn wieder an das andere kleine Mädchen, und sein Lächeln verflog. Er packte die Karte in die oberste Schreibtischschublade.

„Womit ich allerdings nicht klarkomme, ist die Tatsache, dass ein Kidnapper auf Grund eines juristischen Formfehlers ungestraft bleibt.“

Er rieb sich das stoppelige Kinn. Seit gestern war er nicht zum Rasieren gekommen, weil Thomas und er zu sehr damit beschäftigt gewesen waren, die Beweise im Entführungsfall zusammenzutragen. Alicia war zwar wieder bei ihrer Familie, aber ihr Entführer kam vielleicht nie vor Gericht, weil sie keinen richterlichen Durchsuchungsbefehl hatten.

„Wir waren so kurz davor gewesen, Marquez festzunageln. Es darf nicht wahr sein, dass die Beweise nicht zählen, bloß weil wir beim Betreten des Hauses keinen Durchsuchungsbefehl vorgezeigt haben. Immerhin hatten wir ihn, als wir den Schrank öffneten und die Seile mit den Haarproben fanden.“

„Tja, wem sagst du das?“ meinte Thomas achselzuckend, stand auf und zog seinen Schlips zurecht. Sean hatte seinen längst abgelegt und irgendwohin gepfeffert. „Aber solange uns Rossini nicht erlaubt, die Beweise zu benutzen, können wir Marquez gar nichts anhängen.“

Er ging hinüber zum Garderobenständer in der Ecke des kleinen Büros und zog sein Jackett an. Dann griff er in die eine Tasche, holte ein kleines Päckchen heraus und warf es Sean zu. „Hier. Du weißt doch noch, dass heute der 29. Mai ist, oder?“

Sean fing das Päckchen auf und sah es sich an.

„Herzlichen Glückwunsch“, sagte Thomas.

Sabrinas Geburtstagskarte war zu früh gekommen, weil sie selbst schon unterwegs war, und seitdem hatte Sean gar nicht mehr auf das Datum geachtet. Thomas dagegen vergaß solche Dinge nie.

„Vielen Dank“, meinte Sean und entfernte Band und Geschenkpapier. „Was ist das?“

Es war ein kleines schwarzes Notizbuch, das mehrere Namen und Telefonnummern enthielt. „Noelle. Kris. Cassie. Sue. Sherry. Mary Ann“, las er verwundert.

„Ich dachte, seit Elise ist genug Zeit vergangen, in der du um alle Frauen einen Bogen gemacht hast. Also habe ich dir mal die Namen und Nummern von sechs sehr aufgeschlossenen jungen Damen aufgeschrieben, die frei und ungebunden sind. Sie haben sich alle bereit erklärt, dich kennen zu lernen, was mich – wie ich in aller Bescheidenheit anmerken darf – einiges an Überredungskunst gekostet hat.“ Thomas schob einen Aktenstapel beiseite und setzte sich auf die Schreibtischkante. „Wie alt bist du jetzt? Dreißig?“

„Zweiunddreißig.“

„Na, dann solltest du dich ranhalten. Du bist Spitze in deinem Job, Sean, aber dir ist hoffentlich klar, dass der Papierkram und deine Dienstmarke dich nachts nicht warm halten. Warum versteckst du dich hinter deiner Arbeit? Du siehst gut aus, bist durchtrainiert und hast auch noch diesen tollen James-Bond-Akzent.“

Sean lehnte sich zurück. Das Thema gefiel ihm zwar nicht besonders, aber er hörte Thomas trotzdem geduldig zu. Keiner von ihnen wäre damals, als sie Partner wurden, auf den Gedanken gekommen, dass sie tatsächlich einmal richtige Freunde werden könnten. Sie waren vollkommen unterschiedlich. Thomas war groß und schlaksig, hatte dunkles Haar und erinnerte an Gregory Peck als Atticus Finch in Wer die Nachtigall stört. Sean hingegen kam eher als Stuntman für Arnold Schwarzenegger infrage. Sein mittelblondes Haar sah immer leicht zerzaust aus, während Thomas Wert auf eine tadellose Frisur legte. Thomas war der Intellektuelle, Sean vertraute vor allem seinem Instinkt.

Aber sie verstanden sich bestens und vertrauten einander blind. Und nur darauf kam es an.

„Soweit ich feststellen kann, trägst du auch keinen Ehering“, erwiderte Sean. „Und du bist ebenfalls zweiunddreißig.“

Thomas stand auf und ging zur Tür. „Stimmt, aber ich habe heute Abend eine Verabredung. Ich schaffe es eben, meine Arbeit zu erledigen und die Damen glücklich zu machen.“ In der offenen Tür drehte er sich noch einmal um. „Wir können in dem Marquez-Fall nichts mehr tun. Nur noch hoffen, dass uns ein anderer Richter die Genehmigung erteilt, die Beweise zu benutzen.“

Sean würde die Hoffnung nicht so schnell aufgeben. Alicia Reyes hatte es schließlich auch nicht getan, als sie gefangen gehalten wurde. Er griff nach ihrer Akte und öffnete diese. „Wir müssen doch irgendeinen anderen Ansatzpunkt haben.“

Thomas schüttelte den Kopf. „Geh nach Hause oder verabrede dich mal wieder mit einer Frau. Feier deinen Geburtstag, wie immer du willst, aber tu zur Abwechslung mal etwas für dich. Der Fall läuft uns nicht weg. Morgen ist auch noch ein Tag.“

Sean musste ihm wohl oder übel Recht geben. Außerdem war er erschöpft. Die Vorstellung, allein in seiner Wohnung zu hocken, war allerdings wenig verlockend.

„Du hast mich überzeugt“, sagte er und klappte die Akte zu. „Wir werden morgen damit weitermachen, die Welt zu retten.“

„Wenn du willst, lade ich dich auf ein Bier ein“, schlug Thomas vor.

„Ich dachte, du hast schon Pläne für heute Abend.“

„Habe ich auch, aber ich kann sie anrufen und absagen.“

„Auf keinen Fall“, lehnte Sean ab, der kein Spielverderber sein wollte. „Ich komme allein zurecht, schließlich bin ich kein kleiner Junge mehr.“

„Wie du meinst“, sagte Thomas. „Amüsier dich gut. Und ich will morgen einen genauen Bericht, verstanden?“

„Hau bloß ab!“

Nachdem Thomas gegangen war, rieb Sean sich den verspannten Nacken. Vielleicht sollte er den Rat seines Partners befolgen und sich endlich mal wieder amüsieren. Er lebte schon seit Monaten wie ein Mönch.

Möglicherweise war unter den Frauen in dem Notizbuch ja tatsächlich eine, die gern etwas von seinem Geburtstagskuchen wollte. Vor seinem geistigen Auge erschien das unscharfe Bild einer verführerischen Frau, die ihm Schokoladenglasur von den Fingern leckte. Er litt schon unter Entzugserscheinungen!

Was soll’s, dachte er und blickte auf seinen Aktenstapel. Das Beste war wohl doch, sich ein Sixpack Bier zu besorgen und nach Hause zu fahren.

Er krempelte sich die Ärmel herunter, stand auf und wollte gerade sein Jackett holen, als die Tür aufgerissen wurde.

„Hall. Maddox.“

„Chief?“ Der einzige Mann, der noch mehr Überstunden als Sean machte, war Chief John Dillon. Und der tiefen Falte auf seiner Stirn nach zu urteilen, ging die Arbeit jetzt erst richtig los. „Was gibt’s?“

„Ist Hall schon weg?“

„Es ist nach fünf.“

„Dann sehen Sie sich das hier mal an“, sagte Dillon und drückte Sean ein Fax in die Hand. „Das ist gerade reingekommen. Der Botschafter von San Isidro, Ramon Vargas, wurde heute Morgen in seiner Hotelsuite in Washington tot aufgefunden.“

Sean überflog den Text. „Die örtliche Polizei bittet uns um Hilfe?“

„Nun, man fürchtet diplomatische Konsequenzen. Angeblich ist der Botschafter in der Badewanne ertrunken, aber an seinen Unterarmen waren Blutergüsse, und sein Hals weist Würgemale auf.“

„Trotzdem verstehe ich nicht, warum wir eingeschaltet werden“, sagte Sean. In diesem Augenblick fiel sein Blick auf die letzte Zeile. „Verflixt und zugenäht! Wie verlässlich ist die Information?“

„Sie kommt von einem Informanten, den wir für sehr zuverlässig halten“, sagte Chief Dillon. „Und ich glaube ebenso wenig an einen Zufall wie Sie.“

„Vargas kam direkt von einem Kurzurlaub auf Pleasure Cove Island?“

„Da klingelt’s bei Ihnen, was?“

Sean ging an seinen Schreibtisch und blätterte in seinen Papieren. „Bingo.“ Er überflog die Daten von Richter Rossini. „Sie waren beide letztes Wochenende auf der Insel.“

Dann zog er einen Hochglanz-Flyer aus dem Papierstapel und las den Text laut vor:

Gönnen Sie sich ein angenehmes und erlebnisreiches Wochenende auf Pleasure Cove Island. Wir garantieren für Ihre Sicherheit. Die Fähre legt um 17.00 Uhr am New-Harbor-Dock ab und bringt Sie direkt zu meinem Inseldomizil. Wir machen Ihre wildesten Fantasien wahr. Selbstverständlich können Sie sich auf unsere absolute Diskretion verlassen.

Ihr Gastgeber

Douglas Fairchild

„Das Inseldomizil ist ideal für alle, die reich und mächtig sind“, fügte Chief Dillon hinzu. „Zumindest für diejenigen Reichen und Mächtigen, die einen Ort suchen, an dem sie machen können, was und mit wem sie es wollen. Fairchild verspricht Anonymität, deshalb gibt es keine Telefonverbindung zum Anwesen. Außerdem schottet er es gegen die Presse ab. Für Notfälle hat er seine eigene Krankenschwester auf der Insel. Wer einmal da ist, kann nicht weg, bevor die Party nicht vorbei ist.“

„Ein Abenteuerspielplatz für betuchte Leute mit seltsamen Gelüsten. Glauben Sie, dass Fairchild seine Gäste erpresst?“

„Entweder das, oder seine Gästeliste ist doch nicht so anonym, wie er sagt.“

Seans Ehrgeiz war geweckt. Wenn er einen Beweis fände, dass Richter Rossini erpresst und zum Rücktritt gezwungen worden war, dann könnte er den Alicia-Reyes-Fall noch einmal aufrollen und Marquez endlich hinter Gitter bringen.

„Darf ich mir diese Insel mal ansehen?“ fragte er.

Dillon grinste. „Ich hatte sogar gehofft, dass Sie mich darum bitten. Nehmen Sie sich morgen frei und fahren Sie hin. Ich sorge dafür, dass Sie eine Einladung bekommen. Sie müssen sich nur noch eine Begleiterin suchen.“

„Heißt das, ich werde nicht mit einer unserer Agentinnen reisen?“

„Genau. Sie haben weniger als vierundzwanzig Stunden, Maddox“, sagte Dillon. „Nehmen Sie Ihre Freundin mit. Erzählen Sie ihr meinetwegen, Sie hätten die Reise gewonnen. Außerdem werden Sie sich natürlicher verhalten, wenn Sie mit einer Frau dort sind, die Sie gut kennen. Und da Sie ja keine offiziellen Ermittlungen durchführen, sehe ich auch kein erhöhtes Risiko. Also, rufen Sie Ihre Freundin an. Ich werde Hall morgen früh informieren. Er hält von hier aus den Kontakt zu Ihnen. Und nun sollten wir keine Zeit verlieren.“

„Jawohl, Sir“, sagte Sean, aber Chief Dillon hörte es nicht mehr, denn er war schon wieder aus dem Büro geeilt.

Sean stand einen Moment lang da und dachte nach. Wen konnte er bitten, mit ihm nach Pleasure Cove Island zu reisen – in ein Feriendomizil, wo man erwartete, dass die Paare ausschweifenden Vergnügungen nachgingen?

Elise kam nicht infrage. Vielleicht … wie hieß sie noch gleich? Oder die Blonde? „Verdammt.“

Wie es aussah, bescherte ihm sein Leben als einsamer Workaholic ungeahnte Probleme. Er konnte ja schlecht in irgendeine Bar gehen und eine Fremde bitten, spontan mit ihm zu verreisen.

Andererseits verlangte die Pflicht genau das von ihm. Sean nahm das Notizbuch, das Thomas ihm geschenkt hatte. Die Frauen darin waren angeblich bereit, sich mit ihm zu verabreden. Blieb nur noch die Frage, ob eine unter ihnen auch zu mehr bereit war.

2. KAPITEL

Als sie die Tür zu ihrem Apartment öffnete, erkannte Caitlin sofort, dass sie ein Problem hatte.

„Cassie?“ Sie ließ ihre kleine Reisetasche auf den Fliesenboden fallen und lauschte. „Cassie, bist du da?“

Was für ein Chaos aus dreckigem Geschirr, Staub und schmutziger Wäsche. Ihre Mitbewohnerin war zwar nicht gerade die geborene Hausfrau, aber diese Unordnung übertraf doch alles. Typisch, Cassie stürzte sich in irgendwelche Aktivitäten außer Haus, und Caitlin blieb wieder mal die Drecksarbeit.

„Vielen Dank! Ich bin unendlich dankbar, dass mir jemand eine sinnvolle Aufgabe gibt“, sagte sie in den leeren Raum hinein.

Die letzte Maiwoche hatte Caitlin bei ihrem Vater in Chesapeak Bay verbracht. Als das Schuljahr endete, hatte sie einfach einen Tapetenwechsel gebraucht. Also war sie zu ihrem Vater gereist und hatte nichts anderes getan, als sich beim Krebsfang, Segeln und Plaudern mit ihrem Vater zu entspannen – bis ihr langweilig geworden war.

Daran trafen weder ihren Vater noch die Krebse noch das Segelboot die geringste Schuld. Nein, Caitlin selbst war langweilig. Sie führte ein langweiliges Leben. Ihre aufregendste Neuigkeit war, dass sie endlich einen Friseur gefunden hatte, der ihre Naturkrause in anständige Form zu bringen verstand.

Kein Wunder, dass der pensionierte Brigadegeneral Hal McCormick immer wieder eingedöst war, als sie zusammensaßen. Die zuverlässige, vernünftige Caitlin langweilte einfach jeden Menschen in den Tiefschlaf. Im Gegensatz zu ihren Brüdern, die, wie alle McCormicks, eine Militärlaufbahn eingeschlagen hatten, konnte Caitlin keinen Rang und auch keine tollen Geschichten vorweisen.

Wenn ihre Brüder da waren, döste ihr Vater sicher nie ein.

Caitlin trug ihre Reisetasche ins Schlafzimmer und stellte diese seufzend ab. Während sie mit dem Auspacken begann, holte sie ihr Handy aus der Tasche und tippte die Nummer ihres Vaters ein. Den McCormick-Kindern war immer eingeimpft worden, nach einer längeren Autofahrt anzurufen und zu bestätigen, dass man gut angekommen war.

Beim zweiten Klingeln nahm er ab. „McCormick.“

„Ich bin’s.“

„Wie geht’s meinem Mädchen?“ Seine Stimme klang streng, aber Caitlin wusste, dass er lächelte.

„Alles bestens, Daddy.“

„Keine besonderen Vorkommnisse während der Fahrt?“

Keine besonderen Vorkommnisse. Unter diesem Motto könnte man ihr ganzes Leben zusammenfassen.

„Nein, nichts. Es war schön bei dir.“

„Und ich fand es schön, dich mal wieder hier zu haben.“ Er räusperte sich. Jetzt würde gleich wieder ein väterlicher Rat folgen. „Vergiss nicht, gleich morgen zum Arzt zu gehen. Tut mir Leid, dass dir die Bootsfarbe so zugesetzt hat.“

„Es war nur eine leichte allergische Reaktion, Dad. Und außerdem habe ich alles im Haus, was ich brauche“, beruhigte sie ihn. „Mein Asthma ist in letzter Zeit viel besser geworden. Es geht mir wirklich gut.“

„Als deine Mutter noch lebte, hat sie immer dafür gesorgt, dass du regelmäßig zum Arzt gehst.“

„Damals war ich ein kleines Mädchen, aber inzwischen bin ich siebenundzwanzig, Dad. Ich kann für mich selbst sorgen.“

Sie wusste, dass es zwecklos war. Ihr Vater behandelte sie nach wie vor wie ein Kleinkind – und nicht wie eine erwachsene Frau, die endlich ihre eigenen Entscheidungen treffen wollte, ohne dass sich bei jeder Kleinigkeit eine Horde von Beschützern um sie scharte.

Nachdem sie ihrem Vater versichert hatte, dass ihr Asthmaanfall am Memorial Day harmlos gewesen war, versprach sie ihm, am Wochenende wieder anzurufen.

„Es sei denn, du hast ein heißes Date“, sagte er.

Caitlin lachte. „Keine Sorge, Dad, ich würde mich nie ernsthaft mit jemandem einlassen, den ich dir nicht vorher vorgestellt habe.“

„Das ist auch besser so. Ich will nämlich nicht, dass dir irgendein Charmebolzen den Kopf verdreht und anschließend das Herz bricht.“

„Mir?“ Schön wär’s, dachte sie. „Du weißt doch, dass ich die Vernünftigste von uns allen bin. Vertraust du mir etwa nicht?“

„Natürlich vertraue ich dir, aber du bist nun einmal die Jüngste, und mir steckt noch bis heute der Schreck in den Knochen, als Travis die kleine Katze anschleppte und du plötzlich einen Atemstillstand hattest.“

Damals war Caitlin zehn Jahre alt gewesen, und kein Arzt hatte vorher Asthma bei ihr diagnostiziert. „Schon gut, ich werde mir niemals eine Katze schenken lassen.“

Ihr Vater lachte. „Braves Mädchen.“

Das war sie, ein braves, langweiliges Mädchen. Und sie musste sich immer wieder klarmachen, dass ihr Vater und ihre großen Brüder sie nicht kontrollieren, sondern beschützen wollten, auch wenn es manchmal ziemlich lästig war.

Sie wollte endlich ein aufregendes Leben voller Abenteuer führen, in dem ihr Vater sich nicht dauernd um ihre Gesundheit sorgte oder ihre Brüder sich freigeben ließen, um ihren aktuellen Freund unter die Lupe zu nehmen.

Warum kamen in ihrem Leben keine faszinierenden Menschen vor, ganz zu schweigen von heißem Sex? Das einzig Spannende waren ihre Tagträume von Männern mit ausgefallenen Berufen. Sie träumte von Olympiaathleten, Filmstars, Astronauten und Spionen.

„Ach ja.“

„Was ist denn, Kleines?“ fragte ihr Vater, denn sie hatte unabsichtlich ins Telefon geseufzt.

„Nichts, nichts, Dad. Ich muss jetzt Schluss machen. Hier wartet jede Menge Arbeit auf mich.“

„Verstehe. Ruf mich an, wenn du irgendetwas brauchst.“

Nachdem sie aufgelegt hatte, schüttelte Caitlin nachdenklich den Kopf. Unabhängig sein und Abenteuer erleben, ja? Wie sollte das gehen, ohne ihren Vater und das gesamte Marine-Corps in Alarmbereitschaft zu versetzen?

Keine Chance. Vielleicht sollte sie doch besser bei ihren Büchern bleiben. Sie leistete gute Arbeit, wenn es darum ging, ihren Schülern in Alexandria die Grammatik zu vermitteln. Ihre Klassen brachten die besten Voraussetzungen für die High School mit. Aber was tat sie, um ihr Leben ein bisschen aufregender zu gestalten? Nichts.

Und so, wie das Apartment aussah, würde sie an ihrer Situation in absehbarer Zeit nichts ändern können, denn die nächsten Stunden musste sie wohl oder übel damit verbringen, hinter Cassie her zu räumen.

Sie hob einen Pullover auf, den ihre Mitbewohnerin achtlos auf den Boden hatte fallen lassen. Dann ging sie in den Flur. Auf dem Telefontisch stand ein Fastfood-Karton mit Essensresten auf einem ledergebundenen Buch.

„Cassie!“ schimpfte Caitlin empört. Als sie den Pappkarton hochhob, sah sie ihre Befürchtung bestätigt: Er hatte einen runden Fettfleck auf dem Buchrücken hinterlassen.

Sie warf den Karton in den Müll und blätterte dann in dem Dickens-Roman, der zu ihren Lieblingsbüchern zählte. Wieder las sie die Schlusszeile, bevor sie das Buch zuschlug und an ihre Brust drückte.

Unzählige Male hatte sie in ihrer Fantasie das Ende umgeschrieben und den Helden im letzten Moment von einer beherzten Amerikanerin vor der Guillotine retten lassen. Auf jeden Fall endete ihre Version immer damit, dass Sydney mit ihr in einer kleinen Hütte am Strand von Tahiti landete, wo sie beide glücklich bis an ihr Lebensende waren. Die dazugehörigen Liebesszenen hatten natürlich auch nicht gefehlt.

Caitlin stellte das Buch zurück auf das Hängeregal über dem Tischchen. Verlangte sie wirklich zu viel vom Schicksal, wenn sie sich wünschte, einmal dem langweiligen Trott zu entkommen?

Auf dem Tisch lag ein frankierter Umschlag mit einer Haftnotiz drauf, daneben ein zusammengefaltetes Blatt. Der Scheck für die Miete, den Cassie nicht wie versprochen eingesteckt hatte. Typisch. Caitlin fuhr sich mit den Fingern durch die blonden Locken.

Cassie Kramer war zweifellos ein herzensguter Mensch, aber mit ihrer Impulsivität brachte sie sich und Caitlin häufig in unangenehme Situationen, die Caitlin dann regelmäßig ausbügeln durfte.

Sie las die Notiz, die Cassie in ihrer großen, blumigen Handschrift verfasst hatte. „Entschuldigung wegen des Schecks und der Unordnung. Bin bei Tim.“

Caitlin hatte den Umschlag schon vor ihrer Abreise adressiert und frankiert. Cassie hätte ihn nur noch in den Briefkasten werfen müssen, doch selbst das war dieser Chaotin wohl zu viel gewesen. Und wer war Tim?

Bei Männern hatte Cassie eindeutig die besseren Chancen. Sie war kleiner als Caitlin, hatte üppige Kurven und eine sehr unkomplizierte Art. Männer, die auf ein Abenteuer aus waren, fühlten sich sofort zu ihr hingezogen.

Caitlin hingegen sprach einen vollkommen anderen Männertyp an. Sie war beinahe einsachtzig groß, und man sah ihr an, dass sie ein langweiliger Bücherwurm war.

Cassie konnte stundenlang in verqualmten Bars herumsitzen, während Caitlin schon nach einer knappen Stunde die Augen tränten und ihr die Luft wegblieb. Bis irgendein Mann sie bemerkte, saß sie keuchend da, was niemanden motivierte, sie zum Tanzen aufzufordern.

Oder zu etwas anderem.

Also verbrachte sie ihre Abende in der Bibliothek, wo sich normalerweise keine aufregenden Männer herumtrieben, sondern höchstens nette Studenten, Rentner und Jimmy, der Bibliothekar.

Für die Dinge, die sie sich in ihren einsamen Nächten ausmalte, kam keiner von ihnen infrage. Sie alle führten dasselbe ereignislose, langweilige Leben wie Caitlin.

Glückliche Cassie.

Caitlin las weiter. „Sei ein Schatz und gib Sean den Brief.“

Wer war Sean?

„Er rief an, weil er mich übers Wochenende einladen wollte. Heute Abend kommt er vorbei, um mich abzuholen. Ich hatte schon zugesagt, weil er der Freund eines Freundes ist, dem ich einen Gefallen tun sollte, aber dann ist mir doch etwas dazwischengekommen.“

„Warum hast du nicht gleich Nein gesagt?“ fragte Caitlin das Papier.

„Ich würde mich ja persönlich entschuldigen, aber Tim hat mich überraschend für vier Tage nach Washington eingeladen. Wir sehen uns Montag. Cassie.“

Caitlin legte die Haftnotiz beiseite und nahm das gefaltete Blatt. Sie hoffte bloß, dass Cassie eine halbwegs plausible Entschuldigung für diesen Sean eingefallen war.

Sean,

tut mir Leid, dass ich Dich versetzen muss, aber mir ist etwas dazwischengekommen.

Mach’s gut,

Cassie

Autor

Julie Miller
Mehr erfahren