Ein Mann wie du

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Muss ihr schärfster Rivale im Job Robert Devlin unbedingt so umwerfend nett und sexy sein? Zum Glück lenkt ihre erfolgreiche künstliche Befruchtung Kelly ein wenig von den Gedanken an ihn ab. Bis sie illegal den Namen des Samenspenders herausfindet: R. Devlin!


  • Erscheinungstag 16.11.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733786953
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Das Kaninchen ist tot.“

Das war seit Langem für Kelly Ross ein Geheimcode, und sie sank auf den cremefarbenen Sessel in ihrem Managerbüro. Obwohl sie gehofft hatte, diese Worte von ihrer Freundin Dr. Ellen Chase zu hören, war es dennoch ein Schock.

„Kelly, bist du noch dran?“, fragte Ellen.

Kelly richtete sich auf und umfasste energisch den Hörer. „Ja, mir geht es gut. Ich bin nur ein bisschen überwältigt.“

„Ich hätte es dir hier in der Klinik sagen sollen, aber da ich weiß, wie beschäftigt du bist und wie sehr du auf die Nachricht wartest, habe ich mich über diese Regel hinweggesetzt. Allerdings solltest du von nun an dein Tempo etwas drosseln, Frau Vizepräsidentin.“

„Noch habe ich den Posten nicht“, widersprach Kelly.

Sie drehte sich mit ihrem Sessel vom Fenster weg und betrachtete den Raum. Die blau gemusterte Tapete griff die Farben des blauen Sofas und den Cremeton der Sessel auf. Der dunkle Schreibtisch aus Mahagoni verriet die hohe Position, die Kelly in der Firma innehatte. Allerdings wollte Kelly keinen einschüchternden Schreibtisch. Jeder Besucher sollte erkennen, dass Machtspielchen ihr nichts bedeuteten.

Carlyle Industries war eine sehr traditionelle Firma, die nach den beiden Söhnen des Gründers, Carl und Lyle, benannt war, jedoch nach keiner seiner vier Töchter. In so einer Umgebung war es für Kelly nicht leicht gewesen, aber sie hatte sich mit Fleiß und Ideen durchgesetzt. Sie war jetzt Marketingleiterin der Western Division, und auf ihrem Weg zur stellvertretenden Geschäftsführerin hatte sie nur einen ernsthaften Konkurrenten. Doch sie war sicher, bald schon die Marketingleitung des gesamten Konzerns zu übernehmen, der als drittgrößter Anbieter der Branche galt.

„Kelly, wieso sagst du denn nichts?“

Ellens Worte unterbrachen sie in ihren Tagträumen. Sie legte eine Hand auf den Bauch und unterdrückte den Drang, in ihrem Büro umherzutanzen. Auch ihr zweiter Traum würde wahr werden.

„Ellen, du bist die beste Ärztin der Welt“, sagte sie ernsthaft und sah auf ihren Terminkalender. „Wann soll ich wieder zu dir kommen?“

Ellen schlug einen Termin in zwei Monaten vor, an dem Kelly bereits zu einer Besprechung über Produkttests nach Dallas wollte. „Kein Problem“, versicherte sie dennoch. Von nun an würde sie einiges in ihrem Leben umstellen müssen. Aber im Moment fühlte sie sich zu allem in der Lage. Sie bedankte sich noch einmal bei Ellen und legte auf.

Übermütig streckte sie die Arme aus, gab sich mit dem Fuß Schwung und drehte sich mit ihrem Sessel im Kreis. „Juchu!“, rief sie. Ihr war bewusst, dass sie sich nicht wie eine Managerin verhielt, doch im Moment war ihr das egal.

„Hat Anderson seine Entscheidung bekannt gegeben?“, fragte Jennifer Givens von der Tür aus. Ihr belustigter Tonfall verriet Stil, wie alles an Jennifer. Kelly fühlte sich bei Jennifers Eleganz manchmal an Grace Kelly erinnert. Von Anfang an hatte sie Jennifer gemocht und bewundert, und sie hatten sich schnell angefreundet.

Nach ihrer ersten Arbeitswoche hatte Jennifer sie zum Einkaufsbummel und zum Essen in Chicagos bester Einkaufsstraße eingeladen. Die männlichen Mitarbeiter trafen sich hin und wieder im Golfclub im Oak Park, in dem Frauen nicht zugelassen waren, und Jennifer hatte scherzhaft gemeint, Kelly und sie sollten sich eben auf typisch weibliche Weise miteinander bekannt machen. Als Jennifer ihr dann ein rotes Designer-Jackett geschenkt hatte, das genau ihrer Vorliebe für leuchtende Farben entsprach, war eine ewige Freundschaft geboren.

Kelly wusste nicht, was sie ohne die ausgeglichene Jennifer gemacht hätte. Oftmals verrannte sie sich, weil sie zu viele Dinge auf einmal tun wollte. Aber Jennifer brachte sie immer wieder zum Wesentlichen zurück.

Genau dafür war Jennifer bei Carlyle auch zuständig. Sie war die Konzernsprecherin und sorgte sowohl innerhalb der Firma als auch nach außen hin für ein gutes Klima und Image. Sie hatte veranlasst, dass der Konzern einen Wohltätigkeitsfonds einrichtete, und zusammen mit ihr hatte sie Anderson davon überzeugt, dass die Firma ihre Mitgliedschaft im Golfclub kündigte, da dieser nur Männern Zutritt gewährte.

Über Jennifers Privatleben machte Kelly sich allerdings Sorgen. Trotz ihrer eher kühlen Ausstrahlung besaß Jennifer ein großes Herz, und sie hatte viel Liebeskummer hinter sich. Seit ihrer letzten unglücklichen Affäre mit einem verheirateten Mann konzentrierte sie sich ganz auf ihre Karriere und hatte den Traum von einer glücklichen Liebe aufgegeben.

Erwartungsvoll sah Jennifer sie an. „Darf man dir gratulieren?“

„Ja, aber nicht wegen meiner Beförderung. Anderson hat sich noch nicht zwischen Devlin und mir entschieden.“ Kelly suchte nach den richtigen Worten und benutzte dann denselben Code, mit dem Ellen es ihr mitgeteilt hatte. Jennifer war schließlich eingeweiht. „Das Kaninchen ist tot.“

Jennifer wurde bleich. „Du bist tatsächlich schwanger“, flüsterte sie erschrocken und schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht fassen, dass du es wirklich getan hast.“

Kelly reichte ihr ein Glas Wasser, das Jennifer sofort austrank. Noch nie hatte sie ihre Freundin so durcheinander erlebt.

„Tut mir leid, ich verhalte mich nicht sehr nett.“ Jennifer stellte das Glas weg und breitete die Arme aus. „Herzlichen Glückwunsch.“

Dankbar ließ Kelly sich umarmen, obwohl sie nachdenklich wurde. Wenn sogar Jennifer so entsetzt auf ihre Ankündigung reagierte, wie würden sich dann erst ihre Familie, ihre Mitarbeiter oder ihr Chef, Larry Anderson, verhalten?

Kein Grund zur Sorge, sagte sie sich. Eine alleinerziehende Mutter wurde schon lange nicht mehr ausgestoßen – schon gar nicht, wenn sie selbstständig, erfolgreich und vernünftig war. Und mit sechsunddreißig wurde es höchste Zeit, dass sie ein Kind bekam. Sie war zwar verlobt gewesen, aber das hatte sich wieder zerschlagen, sodass sie sich zu dieser verantwortungsvollen Entscheidung gezwungen gesehen hatte. Verantwortungsvolle Entscheidung, das gefiel ihr. Diesen Ausdruck würde sie benutzen, wenn sie die Neuigkeit Larry Anderson mitteilte.

Beim Gedanken an ihren Chef wurde ihr jedoch wieder etwas mulmig.

Finanziell konnte sie sich das Kind leisten. Sogar zwei oder mehr. Sie selbst kam aus einer großen Familie und fand das Dasein eines Einzelkinds zu einsam. Besonders, wenn nur ein Elternteil dazugehörte. Sollte alles gutgehen, wollte sie noch ein zweites Kind bekommen. Als sie jedoch Jennifers ungläubigen Blick auf ihren noch flachen Bauch sah, wollte sie das im Moment lieber nicht erwähnen.

Ein Baby! Ein süßes, duftendes Baby mit winzigen Händen und Füßen. Es würde auf ihrem Arm einschlafen und beim Aufwachen nach seiner Mommy rufen.

Sie konnte kaum glauben, dass das wahr wurde.

Das Baby war ihr so wichtig wie der berufliche Erfolg. In siebeneinhalb Monaten würde es so weit sein. Dann wurde sie, Kelly Ross, Mutter.

Sie konnte sich die beste medizinische Versorgung und das beste Kindermädchen leisten. Ihre Eltern lebten zwar nicht weit entfernt, aber die beiden wollten in die City ziehen, und sie gönnte ihnen ihr eigenes Leben.

Nein, sie würde es allein schaffen. Und jetzt stand sie dicht davor, sich auch ihren zweiten Traum zu erfüllen. Den Posten in der Geschäftsleitung. Lediglich Robert Devlin, der Marketingleiter der Eastern Division, stand ihr dabei im Weg. Er war ihr stärkster Konkurrent, doch sie vertraute auf ihre Fähigkeiten und ihr Team. Devlin war mehr Ansporn als Abschreckung.

„Oh Kelly.“ Jennifer schniefte. „Ich freue mich ja so für dich.“ Dann brach sie in Tränen aus.

Erst ein Mal hatte sie ihre Freundin weinen sehen. Das war vor zwei Jahren gewesen, als Jennifer als erste Frau in die Geschäftsleitung von Carlyle Industries aufgenommen wurde. Den ganzen Tag über hatte sie nach außen hin gelassen gewirkt. Erst abends, als Jennifer mit ihr zu Hause auf den Erfolg anstieß, hatte sie losgeheult, und sie hatte gleich mitgeweint.

Dass Jennifer jetzt im Büro weinte, warf sie förmlich um. Angesichts dieser heftigen Reaktion ihrer Freundin wurde ihr nun wirklich klar, was sie getan hatte.

Als Single durch künstliche Befruchtung schwanger zu werden war womöglich die dümmste, verrückteste Idee, die sie jemals gehabt hatte. Sie malte sich Larry Andersons entsetztes Gesicht und Robert Devlins selbstzufriedenen Ausdruck aus. Ihre Mutter würde schlichtweg fassungslos reagieren.

Andererseits war ihr Wunsch nach einem Kind einfach zu mächtig geworden. Vor einem halben Jahr hatte Todd sich von ihr getrennt. Sie konnte sich noch genau an seine Worte erinnern. Er sagte, er würde sie schätzen, respektieren und sogar lieben. Selbst ihre Ziele und Lebenseinstellungen würden zueinanderpassen. Aber ihm sei klar geworden, dass er sie nicht über alle Maßen und voller Leidenschaft liebe, und bei der Vorstellung eines Lebens ohne sie würde er nicht vor Kummer sterben. Aber genau nach so einer verzehrenden Liebe würde er sich sehnen.

Sie war sprachlos gewesen. Nicht weil es sie schrecklich betrübte, dass Todd sie verließ. Er hatte recht, ihre Beziehung war angenehm, aber nicht überwältigend leidenschaftlich gewesen. Nein, es hatte sie lediglich überrascht, dass Todd so romantisch war.

Er sehnte sich nach Leidenschaft, und sie musste zugeben, dass sie ein wahrhaft loderndes Feuer nicht miteinander erlebt hatten. Der Sex war befriedigend, aber nicht atemberaubend gewesen.

Todd hatte sie hin und wieder noch mal angerufen, doch jetzt hatte sie schon seit einigen Wochen nichts mehr von ihm gehört. Nur zufällig waren sie sich manchmal über den Weg gelaufen, da sie mehrere gemeinsame Freunde hatten. Nach der Trennung hatte sie natürlich auch über ihre Beziehung nachgedacht und erkannt, dass sie sich eigentlich nur danach sehnte, Mutter zu werden.

Nachdem sie sich das einmal eingestanden hatte, hatte sie beschlossen, Mutter zu werden. Zum Glück arbeitete eine Freundin von ihr, Ellen Chase, in einer Klinik für künstliche Befruchtung. Irgendwann war sie dann in diese Klinik gegangen.

Und jetzt war sie schwanger.

Am liebsten wäre sie sofort nach Hause gefahren, um ein Kinderzimmer einzurichten. In Rosa oder Blau? Oder eine neutrale Farbe? Sollte sie nach dem Geschlecht ihres Babys fragen?

Es klopfte an der Tür. Ohne auf eine Antwort zu warten, kam der letzte Mensch herein, den sie jetzt sehen wollte.

„Ich habe hier die Werbeetats für das nächste Quartal, und Ihre Angaben sind so überzogen, dass ich dachte …“ Robert Devlin blickte von den Ausdrucken auf und sah erst in Jennifers tränenüberströmtes Gesicht und dann zu Kelly, die eher belustigt wirkte.

Er legte die Unterlagen auf den Couchtisch, setzte sich neben Jennifer und griff nach ihrer Hand. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er.

Verwirrt sah Jennifer zu Kelly, bevor sie auf Roberts Hand blickte, die mit ihrer verschränkt war. Behutsam zog sie ihre Hand zurück, strich glättend über ihre Hose und schlüpfte wieder in die Rolle der beherrschten Geschäftsfrau. Als sie den Blick hob und in Devlins besorgtes Gesicht sah, hatte sie sich wieder vollkommen unter Kontrolle.

„Vielen Dank.“ Ganz kurz drückte sie seine Hand und ließ sie wieder los. „Kelly hat mir freudige Neuigkeiten mitgeteilt, und ich bin ein bisschen übermüdet. Deshalb habe ich mich zu einem Ausbruch hinreißen lassen.“

Rasch blickte Devlin zu Kelly.

„Schauen Sie mich nicht so besorgt an, Devlin.“ Kelly beugte sich vor und griff nach dem Ausdruck. Devlins Leben schien nur aus Zahlen, Entwürfen und Verkaufsberichten zu bestehen. Es überraschte sie, dass er überhaupt Mitgefühl für Jennifer zeigte. Andererseits war Jennifer eine unwiderstehliche Schönheit. Selbst Devlin konnte das nicht kaltlassen.

„Es ging um etwas rein Privates“, erklärte sie. „Keine Bange, der Posten in der Geschäftsleitung ist noch nicht vergeben.“

„Das ist nicht fair, Kelly. Robert wollte nur nett sein“, tadelte Jennifer sie milde.

Über Devlin waren Jennifer und sie sich nie einig. Seltsamerweise hielt Jennifer ihn für einen warmherzigen, großzügigen Menschen und behauptete, sie, Kelly, würde ihn falsch einschätzen.

Dabei kannte sie solche Leute wie Devlin nur zu gut. Er war genauso ehrgeizig wie sie, und soweit sie wusste, hatte er überhaupt kein Privatleben. Wenn sie Überstunden machte, was oft geschah, arbeitete Devlin ebenfalls länger. Besonders ärgerte sie sich darüber, dass er auch noch blieb, wenn sie schließlich ging.

Er konnte Projekte hervorragend beurteilen, aber er wirkte immer sehr kühl. Niemals lächelte er. Während sie in einer Sitzung alle mit ihrem Charme und ihrer spritzigen Art für sich einnahm, saß er nur reglos da, um anschließend gnadenlos auf Schwachpunkte hinzuweisen.

Das machte ihr nichts aus, aber sein Mangel an Gefühlen störte sie. Doch auch wenn sie sich noch solche Mühe gab, sie konnte ihm keinerlei Regung entlocken. Er stellte ihren härtesten Konkurrenten dar, doch ihre Arbeitsweise war vollkommen unterschiedlich. Sie führte ihr Team, indem sie jeden begeisterte und motivierte. Er dagegen analysierte alles, suchte Schwachstellen und forderte von seinen Mitarbeitern höchsten Einsatz. Während sie sich auf Eingebungen verließ, rechnete er nach und ging immer vorsichtig vor. Er machte sie damit verrückt, aber sie brachte ihn überhaupt nicht aus dem Gleichgewicht. So etwas war sie einfach nicht gewohnt.

Sie vermutete, dass es zwischen Devlin und ihr ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Stelle in der Geschäftsleitung gab. Benson und Silver wahren wohl abgeschlagen, lediglich Diamente hatte noch eine Chance.

Beim Gedanken an ihre zukünftige Position wurde Kelly wieder ganz aufgeregt. Kaum ein Kunde war sich bewusst, wie viele Fertiggerichte, Haushaltsartikel und Reinigungsmittel von Carlyle Industries hergestellt wurden. Der Konzern verfolgte das Ziel, dass jeder Mensch vom Müsli am Morgen bis zur Zahnpasta abends ausschließlich Produkte von Carlyle benutzte. Bald schon würden sie auch mit Babykost auf den Markt drängen. Carlyle wollte beim Umsatz den Spitzenplatz einnehmen, und sie arbeitete mit daran, dieses Ziel zu erreichen.

Jennifer stand auf, und sofort erhob sich auch Devlin. Solche Höflichkeit war bei ihm selbstverständlich. Devlin, der immer alles richtig machte.

„Ich muss noch eine Pressemitteilung fertigstellen, also lasse ich euch beide in Ruhe streiten“, sagte Jennifer auf dem Weg hinaus.

„Wir streiten uns nicht“, widersprach Kelly.

„Dann setzt euch eben lautstark auseinander.“

Jennifer machte sich immer über Devlin und sie lustig, was sie sich nicht erklären konnte.

„Unsinn, Jennifer. Miss Ross und ich mögen in einigen Punkten unterschiedlicher Ansicht sein, aber wir suchen immer einen Kompromiss“, sagte Devlin.

„Da sprechen Sie nur für sich“, wandte Kelly sofort ein und sah auf den Ausdruck. „Bei den zukünftigen Werbeetats lässt sich kein Kompromiss finden.“ Sie mochte kaum glauben, dass er den Etat tatsächlich kürzen wollte.

„Lächerlich. Sie haben selbst Ihre übersteigert geschätzten Ausgaben noch überschritten.“

Devlin zog seine Brille hervor, setzte sie auf und blätterte zur dritten Seite. Kelly hatte oft bemerkt, dass er die Brille wie eine Waffe benutzte. Wenn er sie aufsetzte, ging es um ein ernstes Problem, und wenn er damit gestikulierte, war er wütend. Eitelkeit konnte sie ihm hingegen nicht vorwerfen. Er kleidete sich in Maßanzüge und weiße Hemden mit dezenten Krawatten. Sein Aussehen war ihm offenbar ziemlich egal. Er kaufte einfach immer das Teuerste. Jennifer hatte einmal gesagt, sie fände ihn attraktiv, doch das sah sie anders. Er war zwar nicht hässlich, hatte aber nicht die Ausstrahlung und den Stil der Männer, die Kelly anziehend fand.

„Hier. Silvers Schätzungen sind viel geringer.“ Devlin unterbrach ihre Überlegungen.

„Das kommt daher, weil Silver sich erhofft, damit einen guten Eindruck zu machen. Man muss Geld ausgeben, um es zu verdienen“, stellte sie klar.

„Es sei denn, man ist pleite, bevor es zum Verdienen kommt. Ich habe eine neue Analyse vorgenommen. Wenn wir Ihre Ausgaben um vierzig Prozent kürzen, erreichen wir immer noch schätzungsweise fünfundachtzig Prozent Ihrer angepeilten Verkäufe.“

„Vierzig Prozent! Das ist unmöglich!“

„Viel Spaß euch beiden“, erklang Jennifers belustigte Stimme von der Tür.

Flüchtig blickte Kelly auf und winkte ihr zu. Der einzige Spaß, den sie sich im Moment vorstellen konnte, bestand darin, die Papiere zu zerreißen und die Schnipsel auf Devlins Kopf regnen zu lassen.

2. KAPITEL

Robert Devlin nahm die Brille ab und legte sie akkurat neben seinen Stift auf den Tisch im Sitzungsraum. Behutsam strich er über die polierte Tischplatte aus Eichenholz. Niemand in der Firma ahnte, dass Carlyle Industries für ihn ein Zuhause und Familienersatz bedeutete. Hier fühlte er sich aufgenommen und respektiert. Er wusste viel über die Angestellten, und wo immer er konnte, half er ihnen, weil er sich für sie verantwortlich fühlte.

Außer für Kelly Ross. Sie war völlig unvermittelt in der Firma aufgetaucht und hatte leider sofort alle für sich eingenommen. Ihr war einfach nicht klar, wie wichtig Tradition und Regeln waren. Sie musste doch erst alles gründlich erlernen, bevor sie etwas zu verändern anfing. Selbstverständlich war es nötig, auf Trends zu reagieren und sich hohe Ziele zu setzen, aber so etwas brauchte Zeit. Man sollte den Vorstand nicht ständig vor den Kopf stoßen. Man musste Kompromisse eingehen.

Verärgert sah Devlin auf die Uhr. Einmal in der Woche trafen sich alle Abteilungsleiter um neun Uhr, um sich abzusprechen und Unstimmigkeiten zu klären, bevor daraus ernste Probleme entstehen würden. Als er vor fünf Jahren bei der Firma anfing, hatte er als Erstes diese Treffen angeregt.

Alle saßen bereits auf ihren Plätzen. Silver, Benson und Swinson. Jennifer Givens lächelte ihm zu, als sie seinen Blick bemerkte. Daneben saßen Lipp und Diamente. Nur Kelly Ross fehlte. Devlin runzelte die Stirn. Sie war bereits mehr als zehn Minuten zu spät, und er wollte sich ihretwegen nicht länger aufhalten lassen.

Harold Silver, ein dünner Mann mit grauem Haar, beugte sich zu ihm und flüsterte: „Bei der Besprechung am Mittwoch hat sie sich auch verspätet.“

Eric Benson lächelte säuerlich. „Sieht aus, als verliere unsere Sternschnuppe allmählich den Glanz. Seit vier Wochen reicht sie ihre Berichte zu spät ein.“

Er sprach leise, damit Jennifer ihn nicht hörte, und Devlin fragte sich, wieso ihm nie zuvor aufgefallen war, wie sehr Benson mit seiner hohen, fliehenden Stirn und der zuckenden Nase einer Ratte ähnelte.

„Außerdem scheint der Konkurrenzdruck ihren Nerven zu schaden.“ Benson rückte etwas näher, und Devlin lehnte sich zurück, so weit sein Stuhl das zuließ. „Gestern Morgen hat meine Sekretärin Gina im Waschraum mitbekommen, dass Kelly sich übergeben hat.“

Silver und Benson lächelten boshaft, wodurch sie in Devlins Achtung noch weiter sanken. Normalerweise kümmerte er sich nicht um Silver und Benson, doch im Rennen um den Posten in der Geschäftsleitung kannten die beiden keine Grenzen.

Kelly dagegen, die in ihrer mitreißenden Art glaubte, jede Situation mit Charme meistern zu können, und die damit tatsächlich Erfolg hatte, gab ihm ständig zu denken.

Genau in diesem Moment stürmte sie herein, aber mitreißend wirkte sie heute keineswegs. Sie war blass und hatte Ringe unter den Augen. Sie entschuldigte sich für die Verspätung und sprach während der gesamten Sitzung kaum ein Wort.

Dennoch war ihr Charme durchaus spürbar, und sicher gelang es keinem Mann, ihre langen Beine oder ihr schönes Gesicht zu übersehen, obwohl Kelly sich nicht betont aufreizend gab. Er leitete die Sitzung und fragte Kelly ein-, zweimal nach ihrer Meinung. Sie antwortete sachlich, aber auf ihn machte sie einen leicht abgelenkten Eindruck. Erst als Benson mit bissigem Unterton auf Kellys Projekt „Aus Mutters Küche“ zu sprechen kam, war sie hellwach und versicherte ihm lächelnd, es laufe zeitlich alles nach Plan. Als sie Benson nicht weiter in die Schranken verwies, war er fest überzeugt, dass heute etwas nicht mit ihr stimmte.

Kelly verschwand auch wieder als Erste, was allerdings nichts Ungewöhnliches war. Sie hatte ständig Termine.

Robert begleitete Benson zu seinem Büro und fragte ihn nach den Verkaufszahlen der Ostküste.

Benson winkte ab. „Fragen Sie Gina. Leider habe ich keine Ahnung, wo sie die Berichte versteckt. Ich habe im Moment keine Zeit.“

„Danke.“ Er öffnete die Tür zu Bensons Vorzimmer. Benson würde sich jetzt wahrscheinlich, wie so häufig, unter einem Vorwand aus der Firma schleichen, um zum Golfen zu fahren. Als er einen Bleistift zerbrechen hörte, drehte er sich zu Gina um.

„Mist!“, schimpfte sie und sah ihn wütend an.

Robert konnte es manchmal nicht glauben, wie Gina es schaffte, täglich mit jemandem wie Benson zusammenzuarbeiten. „Wie geht es Rose und Jason?“, erkundigte er sich. „Alan Blackwood hat mir erzählt, dass ein Detektiv Ihren Exmann aufgestöbert hat und dass ein Gericht seinen Lohn pfändet, damit Ihre Kinder Unterhalt bekommen.

Gina seufzte und lächelte dann. „Ja, das stimmt.“ Bei ihrem dankbaren Blick wurde er verlegen. „Mr Blackwood hat es sogar geschafft, dass ich rückwirkend Geld erhalten habe. Mit etwas Glück bekomme ich auch bald den Rest. Den brauche ich auch, denn bei Rose steht eine Zahnspange an.“ Verunsichert zögerte sie.

So kannte Robert sie gar nicht. „Was ist denn, Gina?“

„Es ist wegen Mr Blackwoods Rechnung. Ich habe noch keine bekommen. Dabei hat er doch viel Zeit und Arbeit aufgewendet und mehr als mein Pflichtverteidiger erreicht. Aber er sagt, ich schulde ihm kein Geld. Das ist einfach nicht richtig.“ Sie wirkte in ihrem Stolz verletzt.

„Also … es ist so: Alan Blackwood ist ein Freund von mir.“

„Und ich weiß es zu schätzen, dass Sie ihn gebeten haben, mir zu helfen. Aber ich brauche keine Almosen, Mr Devlin.“

„Natürlich nicht, aber wie gesagt, er ist ein guter Freund von mir, und er verdient viel durch die Firmen, die er vertritt. Andere Fälle übernimmt er nur, weil er einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hat.“ Hoffentlich hatte er Gina überzeugt, denn er konnte nur schlecht lügen.

Zweifelnd sah Gina ihn an, sagte aber nichts mehr. Bei Verhandlungen konnte Robert wie ein Zauberkünstler mit Zahlen umgehen, aber in persönlichen Gesprächen war er eher unbeholfen.

Ginas Stolz war verständlich, dennoch wollte er ihr helfen. Doch auch als sein Freund konnte Alan natürlich nicht umsonst arbeiten, zumal er eine Familie zu versorgen hatte. Deshalb hatte er ihn gedrängt, wenigstens einen Teil des üblichen Honorars von ihm zu nehmen. Als er ihm auch den Rest bezahlen wollte, hatte Alan sich aufgeregt und ihm gesagt, er sei nicht der einzige Mensch mit einem Gewissen auf der Welt. Woraufhin er ihm erwidert hatte, das sei nicht der springende Punkt, sondern dass er ausgezeichnet verdiene, und da er sich nur wenig leiste, könnte er mit seinem Geld durchaus anderen helfen.

„Benson sagt, Sie hätten die Verkaufszahlen für die Ostküste.“

„Sicher, einen Moment.“ Gina stand auf, ging zum Aktenschrank, bückte sich und öffnete eine Schublade.

Sie war wirklich eine attraktive Frau mit einem offenen, freundlichen Gesicht, und nicht zum ersten Mal fragte Robert sich, wieso ein Mann so eine Frau und seine Kinder einfach zurücklassen konnte und sich seiner Verpflichtung entzog. Das passierte zwar ständig auf der Welt, aber er konnte es sich nicht erklären.

„Brauchen Sie diese Zahlen wirklich, oder war das nur ein Trick?“ Über die Schulter sah Gina zu ihm.

Ahnte sie, dass er ihr auch ein paar Fragen über Kelly Ross stellen wollte? Verlegen murmelte er: „Ein Trick?“

„Um zu sehen, wie ich mich hier bücken muss“, zog sie ihn auf. Er errötete leicht, und sofort sagte Gina: „Seien Sie nicht albern, Mr Devlin. Jeder weiß, dass Sie nicht zu dieser Sorte Männer gehören.“ Sie richtete sich auf und reichte ihm eine Akte. „Hier. Wenn Sie bestimmte Auswertungen wollen, kann ich es ausdrucken lassen.“

Er wusste, dass Gina sich erhoffte, mit verantwortungsvolleren Aufgaben betraut zu werden.

„Danke, das reicht mir.“ Als ihr Lächeln erstarb, fügte er hinzu: „Aber wir stellen gerade ein Team für eine Werbekampagne für unsere Suppen zusammen. Ich werde Sie dafür vorschlagen.“

„Das würden Sie tun? Auf so eine Gelegenheit habe ich gewartet. Vielen Dank.“

Bei ihrem strahlenden Lächeln bekam er ein schlechtes Gewissen wegen seiner Fragen nach Kelly, aber er musste die Wahrheit erfahren. „Wie ich hörte, haben Sie Miss Ross geholfen, als es ihr neulich schlechtging.“

„Ach, das war nichts Ernstes.“

„Hoffentlich kam das nicht vom Essen in der Cafeteria“, hakte er nach.

„Das kann nicht sein, denn ihr war schon früh am Morgen übel. Ich glaube, dass Miss Ross einfach zu viel arbeitet, und als sie bereits um halb acht hier war, hat sie sich wohl übernommen.“

Alle in der Firma wussten, dass Kelly Ross nicht gerade ein Morgenmensch war.

„Bestimmt haben Sie recht. Vielen Dank für die Unterlagen.“ Robert wandte sich zum Gehen.

„Mr Devlin?“

„Ja?“ Er drehte sich noch einmal um.

Einen Augenblick wirkte Gina verunsichert. „Vielen Dank auch – für alles.“ Sie betonte die letzten Worte, und er erkannte, dass er ihr bezüglich des Anwalthonorars nichts hatte vormachen können. „Ohne Ihre Hilfe wüsste ich nicht, was ich jetzt tun sollte. Eins noch, Mr Devlin.“ Gina atmete tief durch. „Dürfte ich Sie Robert nennen? Nicht hier im Büro, aber falls wir uns mal auf der Straße begegnen?“

Autor

Molly Liholm
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