Ein Prinz für Dornröschen

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Ein Mann und eine Frau - gestrandet in der Wildnis Australiens. Trotzdem hat die zarte Grace keine Angst, denn sie vertraut ihrem Boss, dem berühmten Regisseur Mitchell Wentworth. Und sie erlebt ein erotisches Abenteuer, das sie nie vergisst!


  • Erscheinungstag 14.07.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733758189
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Grace Robbins griff in ihre große Reisetasche und zog zögernd ihre schwarze Spitzenwäsche heraus. Nervös spielte sie mit der zarten Zierkante. Wie, um alles in der Welt, sollte sie Marias unerhörten Vorschlag in die Tat umsetzen?

„Das Problem ist, dass du von Natur aus prüde bist“, teilte Grace ihrem Spiegelbild mit. Es behagte ihr gar nicht, sich vor einem Mann zur Schau zu stellen. Sie seufzte. Vielleicht sollte sie einfach einen Schritt nach dem anderen tun. Sie war schon in die Wohnung ihres Freundes gekommen, ohne dass er es wusste. Wenn sie jetzt diese Wäsche unter ihrer Kleidung anziehen würde, könnte sie später noch entscheiden, ob sie den verrückten Plan, den ihre Freundin ausgeheckt hatte, weiterverfolgen wollte.

Als sie die Wäsche angezogen hatte, hielt Grace inne und betrachtete sich in dem hohen Spiegel. Der Effekt ihres Körpers im Türrahmen, mit nur einem Hauch sinnlicher schwarzer Spitze bekleidet, war erstaunlich. Vielleicht hatte Maria doch recht. Auch Henry würde überrascht sein.

Grace schnitt dem Spiegel ein Gesicht und versuchte, eine sexy Pose einzunehmen. Sie sah lächerlich aus. Sie probierte eine andere, zurückhaltendere Pose. ‚Du meine Güte‘, dachte Grace, ‚was versuche ich da? Das bin ich einfach nicht.‘ Die femme fatale war einfach nicht ihre Rolle. Grace sah auf die Uhr und entschied, dass sie noch genügend Zeit hatte. Henry würde frühestens in einer Stunde zurückkommen. Sie musste die Angelegenheit ruhig und vernünftig überdenken.

Ruhig und vernünftig? Sie war seit Tagen nicht imstande, einen logischen Gedanken zu fassen. Das war alles Mitch Wentworth’ Schuld! Der neue Chef hatte sie in eine dumme Lage gebracht!

In den letzten zwei Wochen hatte schon der Gedanke daran, dass Mitch Wentworth kommen würde, um die Firma zu übernehmen, jede vernünftige Idee aus Grace’ ansonsten eher klarem Kopf verbannt. Und es waren vor allem Grace’ Wut und ihre Verärgerung über diesen Mann, die Maria auf diese dumme Idee gebracht hatten.

Beim Mittagessen hatte es angefangen. Maria hatte die Ellbogen auf den Tisch in der Cafeteria gestützt und sich zu Grace hinübergelehnt. „Meine Güte“, hatte sie geseufzt, „hör endlich auf, dich über Mitch Wentworth aufzuregen, und konzentriere dich auf die positiven Seiten. Unser neuer Boss ist ein toller Typ! Er wird bald kommen, um Tropicana Films zu übernehmen, und weil du seine Assistentin bist, wirst du mit ihm zusammenarbeiten. Hast du sein Foto auf der Titelseite von Movie Mag gesehen?“

Aus ihrer riesigen Handtasche zog Maria ein Hochglanzmagazin und warf es auf den Tisch.

„Natürlich habe ich es gesehen“, erwiderte Grace und zog angewidert die Nase kraus. „Ich habe einen Blick auf sein selbstgefälliges Lächeln geworfen, und dann wollte ich schon meine Kündigung einreichen, und zwar fix.“

„Selbstgefällig?“ Maria blinzelte ungläubig. „Nun komm schon, er hat doch ein süßes Lächeln! Mitch ist der Spitzenkandidat auf der Liste der G. D. U!“

„Wie bitte?“

„Groß, dunkelhaarig und unmöglich zu kriegen.“

Grace schob die Zeitschrift beiseite. „Ich bin sicher, dass es in seinem Fall bedeutet: Groß, dunkelhaarig und unsympathisch!“

„Die Hälfte der Frauen in der Filmbranche würde sich darum reißen, deinen Job zu bekommen, nur um dieselbe Luft atmen zu dürfen wie Mitch Wentworth.“

„Das reicht!“ Grace seufzte. „Auch von Henry höre ich nur noch, was für ein Glück ich habe, dass ich für den großen Mitch Wentworth arbeiten darf.“

„Henry?“ Maria schnipste triumphierend mit den Fingern. „Jetzt hab ich’s! Nicht Wentworth ist dein Problem. Es ist dein Freund Henry! Das hätte ich mir denken können.“

Grace verdrehte die Augen. „Ich habe den Fehler begangen, ihm die Handlung von Wentworth’ nächstem Film New Tomorrow zu erzählen, und nun verbringt Henry die Nächte damit, irgendwelche Computeranimationen zu entwerfen, die Wentworth seiner Meinung nach unbedingt brauchen wird.“

„Und somit hat er keine Zeit mehr für dich?“

„Genau.“

Grace hatte Henry kennengelernt, als sie gerade von Sydney nach Townsville gezogen war, und es war schön gewesen, jemanden zu haben, der ihr alles zeigte. Aber während der letzten vierzehn Tage hatte sein Wunsch, Grace’ neuen Boss zu beeindrucken, überhand genommen, und in gleichem Maße hatte ihre Begeisterung für Henry nachgelassen.

Grace’ Erfahrungen mit Männern hatten sie sehr vorsichtig werden lassen. Noch immer quälten sie Erinnerungen an Roger die Ratte, der ihr das Herz gebrochen hatte. Nach dieser niederschmetternden Erfahrung brauchte es nicht mehr viel, um sie davon zu überzeugen, dass es in der Berufswelt nur so wimmelte von Männern, die oberflächlich betrachtet zwar großartig, aber so mit ihrem eigenen Ego beschäftigt waren, dass sie über Frauen hinwegtrampelten und sie mit dem Gefühl zurückließen, gebraucht und missbraucht worden zu sein.

Deswegen war sie mit Henry ausgegangen. Er sah nicht so gut aus, hatte jedoch andere Vorzüge, die Grace im Augenblick mehr schätzte. Er war gebildet, ernst und vor allem zuverlässig.

Grace zuckte die Schultern. „Ich denke nicht, dass Henry nicht interessiert ist. Nur lässt er sich leicht … ablenken.“

„Ablenken? Was kann einen wirklichen Mann von deinen langen Beinen und deinen grünen Augen ablenken, ganz zu schweigen von dem, was zwischen beidem liegt?“

Grace lachte kurz auf. „Computer.“

Maria stöhnte und warf den Kopf zurück. Eine Weile sah sie an die Decke der Cafeteria. Dann senkte sie den Blick. „Ihr beide habt aber schon etwas miteinander, oder?“

Grace fühlte sich unwohl. Sie fuhr sich mit den Fingern durch das dichte dunkelblonde Haar. „Das kommt schon noch, da bin ich sicher. Ich habe Henry wirklich … nun … sehr gern. Es ist nur eine Frage des … des Zeitpunktes.“

„Zeitpunktes?“ Maria schüttelte missbilligend den Kopf. „Mein liebes Mädchen, die Antwort ist klar und eindeutig: Du wirst Henry vergessen und höhere Ziele anvisieren.“

„Höhere Ziele? Wie viel höhere? Was meinst du?“

„Mitch Wentworth natürlich. Du könntest dir den neuen Chef schnappen. Du hast sicherlich alles, was man dafür braucht.“ Maria sah an ihrem etwas rundlichen Körper herab und seufzte. „Wenn ich nur nicht so gern Schokolade essen würde.“

Grace sprang auf. „Der neue Chef? Verflixt noch mal, Maria, wo bleibt denn da die Loyalität? Denk doch mal daran, was er unserem alten Boss, George Hervey, angetan hat. Der Ärmste wurde durch diese Übernahme doch einfach aufs Abstellgleis geschickt. Wentworth stürmt Tropicana Films und erwartet, dass alle sofort ‚Ja Chef! Nein, Chef!‘ sagen.“

Grace setzte sich wieder hin. „Danke, dass du mir zugehört hast, aber du bist wirklich auf dem Holzweg. Ich ertrage nicht einmal den Gedanken, dass ich für diesen Mann arbeiten muss … Ich werde endgültig mit Henry zusammenbleiben.“

„Bist du da sicher?“

Plötzlich war Grace davon überzeugt. „Ich muss nur einen Weg finden, Henry von diesem Computer wegzubekommen.“

Maria lächelte plötzlich. „Keine Sorge, meine Liebe. Ich merke schon, wie mir eine glänzende Idee kommt. Wir werden diesem Unsinn, den Henry treibt, ein Ende bereiten. Heute ist die Nacht der Nächte. Bevor unser Mr. Wentworth hier ist, um Henry völlig abzulenken, werden wir ihn aus dem Konzept bringen. Wir werden dafür sorgen, dass Henry dich bemerkt.“

Grace’ Blick fiel auf Mitch Wentworth’ Gesicht auf dem Cover von Movie Mag, und sie stellte ihn sich in ihrem Büro vor. Wenn ihr neuer Chef erst einmal da wäre, würden dieses freche Lächeln, dieser schalkhafte Blick und diese unanständigen Muskeln unmittelbar vor ihren Augen sein.

Maria sah sie durchdringend an, und Grace hatte den Eindruck, dass ihre Freundin genau wusste, was sie störte! Wie, um alles in der Welt, sollte sie jeden Tag ihre Arbeit tun, wenn ein Mann wie Mitch Wentworth in ihrem Büro herumstolzierte?

Er war noch nicht einmal angekommen, und schon zog er alle ihre Gedanken auf sich. Diese erschreckende Erkenntnis hatte Grace dazu bewegt, zu handeln. „Okay, du hast gewonnen“, hatte sie zu Maria gesagt. „Ich werde Henry eine letzte Chance geben. Was für eine Idee hattest du?“

Sich Marias Plan anzuhören war einfach gewesen. Aber nun, als Grace in Henrys Wohnung ihrem Spiegelbild gegenüberstand, sah sie ihre großen, ängstlich blickenden Augen und ihre nervös an der Wäsche nestelnden Finger, und sie wusste, dass sie der Aufgabe, die ihr bevorstand, nicht wirklich gewachsen war. Die Aufgabe war unlösbar. Sie konnte einfach nicht an der Wohnungstür posieren und den Rest des Planes durchführen.

Das Hochgefühl, auf das Mitch Wentworth bei seiner Ankunft in Townsville gehofft hatte, ließ ihn schwindeln. Das muss der Jetlag sein, sagte er zu sich selbst und strich sich müde über die Augen. Ein Flug von San Francisco mit nur wenigen Stunden Aufenthalt in seiner Heimatstadt Sydney, bevor es weiter nach Norden, nach Townsville ging, würde den meisten Reisenden zu schaffen machen. Und wahrscheinlich war es falsch, sich noch eine weitere Herausforderung zu suchen und so spät bei den Tropicana Filmstudios zu erscheinen.

Er war davon ausgegangen, dass er viele Büros leer vorfinden würde. Schließlich war es halb sieben abends, und so war es nicht erstaunlich, dass alle seine Mitarbeiter schon nach Hause gegangen waren. Auch die wunderbare Miss Robbins.

Ihr Name stand an der Bürotür, vor der Mitch Wentworth stehen geblieben war. Grace Robbins. Nach allem, was George Hervey ihm über diese Frau erzählt hatte, über ihre Effizienz, ihre Ergebenheit der Firma gegenüber und ihre erstaunlich zahlreichen Fähigkeiten, hatte Mitch gedacht, dass sie vielleicht, nur vielleicht, dageblieben sein könnte, um ihn kennenzulernen. Und nachdem er ihr seine Flugzeiten gefaxt hatte, war er tatsächlich beinahe davon ausgegangen, dass sie ihn am Flughafen erwarten würde.

Georges Lob war eindeutig zu enthusiastisch gewesen, und seine eigenen Ansprüche waren zu übertrieben, entschied Mitch, als er ihr Büro betrat. Er befand sich wegen New Tomorrow in einer finanziell riskanten Lage. Fast sein gesamtes Geld hatte er investiert, und dieser Film musste ein Kassenschlager werden, er brauchte die Unterstützung der besten Leute. Er hatte Miss Robbins eine Schlüsselrolle in diesem Projekt zugedacht.

Mitch versuchte, seinen Unmut zu verdrängen und vernünftig zu sein. Vielleicht sollte er die Frau nicht gleich verurteilen, nur weil sie nicht da war, wenn er mehr oder weniger unangemeldet in der Stadt auftauchte. Er hatte das Fax erst unmittelbar vor seinem Abflug aus Sydney geschickt, und vielleicht hatte sie ja einen Termin – es gab viele Gründe, nach Hause zu gehen.

Sein Blick schweifte durch das Büro. Er konnte zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht viel daraus schließen. Ihr Computer war natürlich heruntergefahren. Es lagen Stapel von Faxen auf ihrem Schreibtisch, aber er wollte nicht schnüffeln. Zumindest müllte sie ihren Schreibtisch nicht mit persönlichem Kram oder Familienfotos zu. Das fand Mitch gut. Er mochte es, wenn sein Team Beruf und Privatleben auseinanderhielt.

Sein Blick fiel auf die letzte Ausgabe von Movie Mag, die auf der Schreibtischkante lag. Stirnrunzelnd nahm Mitch die Zeitschrift in die Hand. Jemand hatte einen dicken schwarzen Marker genommen und das Cover bemalt. Sein Foto wurde von einem Hitler-Bärtchen und einem riesigen schwarzen Brillengestell verunstaltet. Einige seiner Zähne waren schwarz angemalt, es sah lächerlich aus, als ob er Zahnlücken hätte.

Mitch atmete tief ein. Langsam rollte er die Zeitschrift zusammen und steckte sie nachdenklich in seine Manteltasche.

Als er durch das leere Gebäude zurückging, spürte er den Jetlag noch deutlicher. Mitch hatte gerade die Glastüren am Eingang des Studios erreicht, als er auf einen hohen, dunklen Schatten draußen aufmerksam wurde. Ein junger Mann gestikulierte wie wild, deutete auf sich und dann auf Mitch. Ein Hoffnungsschimmer. War irgendein eifriger Angestellter zurückgekommen, um ihn zu begrüßen? Aber nein – die Mitarbeiter hatten alle einen Schlüssel.

Mitch öffnete die Tür, und der Mann kam auf ihn zu und streckte die Hand aus. „Mr. Wentworth?“

Mitch nickte. „Guten Abend.“

„Henry Aspinall. Ich muss sagen, es ist mir eine große Ehre. Oh Mann, das ist wirklich ein Glück, dass ich Sie hier treffe, Mr. Wentworth, Sir. Ich habe den ganzen Nachmittag versucht, Grace anzurufen, um ihre Ankunftszeit zu erfahren, und …“

Mitch unterbrach seinen begeisterten Wortschwall. „Grace? Grace Robbins? Sie kennen sie?“

„Klar.“ Henry nickte. „Ich habe sie zu Hause nicht erreicht, und da hab ich gedacht, dass sie noch hier sein muss.“

„Nein, hier ist niemand, nicht einmal Miss Robbins.“

„Oh, nun, macht nichts.“ Henry lächelte. „Ich wollte ja ohnehin Sie treffen. Haben Sie meine E-Mails erhalten?“

Mitch strich sich über eine Augenbraue und verfluchte die Müdigkeit, die sein Gehirn vernebelte. „Aspinall, Aspinall …“ Er musste sich ins Gedächtnis zurückrufen, ob das jemand wirklich Wichtiges war oder nur ein lästiger Fan.

Henry nutzte sein Zögern. „Grace hat mir von New Tomorrow erzählt, und ich habe einige Computergrafiken entworfen, die man sehr schön in das Hinterland von North Queensland einblenden kann …“

Mitch hob die Hand, um Henrys Redefluss zu stoppen. „Natürlich. Sie haben mein Büro in Los Angeles mit Mails geradezu überschwemmt.“

„Genau, Sir! Möchten Sie die Grafiken sehen?“

„Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir gehen? Ich würde wirklich gern in mein Hotel kommen.“

„Nein, Sir. Kein Problem. Wo haben Sie ein Zimmer? Im Sheraton? Es wäre mir ein Vergnügen, Sie dorthin zu fahren.“

Mitch zuckte die Schultern. Warum sollte er sich nicht hinbringen lassen? Dann brauchte er wenigstens keinem Taxi nachzulaufen. Unter anderen Umständen hätte er Henry Aspinalls Eifer lästig gefunden. Aber heute Abend tat er seinem angekratzten Ego gut. Wenigstens ein Mensch, der sich freute, ihn zu sehen, und der sich über den Erfolg seines Filmes Gedanken machte.

Als sie auf die Straße traten, hüpfte Henry vor Aufregung den Bürgersteig entlang. „Meine Wohnung liegt auf dem Weg. Ich habe alles vorbereitet. Ich könnte ihnen schnell zeigen, …“

Mitch nickte. „In Ordnung.“

Zu Mitchs großer Erleichterung parkten sie schon fünf Minuten später vor einer Reihe niedriger Häuser. Die Autotür quietschte, als Mitch ausstieg, um Henry in die Wohnung zu folgen. Nachdem er einen kleinen Moment gesessen hatte, war seine Müdigkeit zurückgekehrt. Er würde diesen Besuch so kurz wie möglich halten. Er wollte nur noch eines: in raschelnde, saubere Hotellaken kriechen und drei Tage lang schlafen.

„Das ist merkwürdig“, sagte Henry, als sie durch den schmalen Vorgarten gingen, „ich erinnere mich nicht, dass ich das Licht angelassen habe.“

Er lächelte Mitch ein wenig verwirrt zu und suchte an seinem Schlüsselbund nach dem Haustürschlüssel. Aber der Schlüssel erreichte das Schlüsselloch nicht.

Als ihre Schritte auf dem Pflaster ertönten, flog die Haustür auf.

„Überraschung!“

Helles Licht erleuchtete die Türöffnung, in der ein wunderschönes, kaum bekleidetes Wesen stand. Der Blick der Frau war auf Henry gerichtet.

Mitch stand ein wenig hinter Henry, im Schatten. Er war zu erstaunt, um sich bewegen oder sprechen zu können.

Eine Göttin, groß und mit dunkelblondem Haar, posierte vor ihnen, bekleidet mit nur einem Hauch von schwarzer Spitzenwäsche. Sie war absolut atemberaubend. Ihre helle Haut schimmerte samten, und ihre weiblichen Kurven waren perfekt – zarte Schlankheit und üppige Fülle in genau den richtigen Proportionen.

Mitch blinzelte, aber dann machte er ganz große Augen, um nichts zu verpassen. Und er bemerkte dieses „Etwas“, in ihren Augen, das nicht ganz zum Bild der Verführerin passte. War es Furcht, Verlegenheit? Der geneigte Kopf und die leicht hängenden Schultern erinnerten ihn an ein kleines Mädchen, das ehrgeizige Eltern ins Rampenlicht geschubst hatten. Diese Frau hatte den Körper einer Sirene und die Haltung eines verletzlichen Kindes.

„Was, um alles in der Welt, tust du da?“, schrie Henry.

Seine Stimme ließ sie am Türrahmen zusammensinken wie eine Marionette, deren Fäden man durchtrennt hatte. Aber dann fiel ihr Blick auf Mitch, und sie erwachte sofort wieder zum Leben.

„Oh nein“, stöhnte sie und sah Mitch voller Entsetzen an. Sie schlug die Arme vor der Brust zusammen. „Oh nein! Oh nein!“

Im nächsten Moment wurde die Tür zugeschlagen.

2. KAPITEL

„Grace! Was ist nur in dich gefahren?“

Zitternd vor Entsetzen drehte Grace sich um. Henrys rotes Gesicht war wutverzerrt.

„Ist dir klar, was du da gerade getan hast?“, schrie er. „Weißt du, wer …?“, flüsterte er plötzlich panisch. „Das da draußen ist Mitch Wentworth!“

„Ich weiß, ich weiß“, jammerte Grace. Ihre Blicke schossen durch den Raum auf der Suche nach irgendeinem Kleidungsstück. Warum tat sich nicht ein großes schwarzes Loch auf, um sie zu verschlingen?

„Wie konntest du mir das antun, Grace? Was wird er nun denken?“ Henry fluchte und lief zurück zur Haustür. Grace flüchtete ins Schlafzimmer.

„Er ist weg!“, hörte sie Henry brüllen. „Wentworth ist schon gegangen.“

Erleichtert ließ sie sich aufs Bett sinken. Was für ein Glück! Mit zittrigen Händen zog sie ein T-Shirt über den Kopf.

Henry platzte herein. „Du hast mich ruiniert! Ist dir das klar? Ich werde Wentworth nie mehr dazu bewegen können, dass er sich meine Grafiken ansieht.“ Er fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. „Ich hatte Mitch Wentworth hier, Grace, hier bei mir zu Hause. Er wollte sich meine Grafiken ansehen. Heute! Du dummes Ding! Du hast alles verdorben!“

Grace schauderte. „Es tut mir leid, Henry. Wie hätte ich wissen können, dass du ihn mitbringst? Ich wusste nicht mal, dass er in Townsville ist.“ Mit fahrigen Bewegungen zog sie ihre Jeans an. Sie wollte nur noch fort. Und sie würde nie mehr zurückkommen!

„Sicher kannst du ihm deine Ideen ein anderes Mal vorstellen“, meinte Grace. „Es tut mir leid, dass mein Plan so ein Flop war. Ich dachte, es wäre eine gute Idee …“ Aber das dachte sie nun nicht mehr. Eine Welle von Scham überflutete sie. Sie hatte nie deutlicher das Gefühl gehabt, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.

Henry schüttelte den Kopf. „Ich dachte, du wärst schlau. Aber das hier war das Dümmste, was ich je gesehen habe.“

Eines ist sicher, versprach sich Grace im Stillen: Henry wird so etwas nie wieder zu sehen bekommen. Sie sprang auf, nahm ihre Reisetasche und sagte: „Ich stör dich hier nicht länger.“ Sie drängte ihre Tränen zurück und lief an Henry vorbei aus dem Zimmer.

Bitte, bitte, bitte, mach, dass er mich nicht wieder erkennt.

Als Mitch Wentworth am nächsten Morgen ihr Büro betrat, beugte Grace sich gerade über ihren Computer und betete wie nie zuvor.

Sie wollte gern in Sack und Asche Buße tun. Sie konnte auch für einen wohltätigen Zweck spenden. Oder auch beides. Alles. Solange nur ihr Chef sie nicht mit der erniedrigenden Situation an Henrys Haustür in Verbindung brachte.

Sie hatte sich an diesem Morgen sehr große Mühe gegeben, ganz anders auszusehen als am Abend zuvor. Aber ob es reichte? Grace zweifelte daran, dass Haargel und ein steifer Haarknoten ihr Äußeres wirklich geändert hatten. Und wie hilfreich war das dicke Brillengestell, das sie sich von ihrer Nachbarin geliehen hatte? Ihr einziger Trost war, dass Mitch sie gestern Abend nur sehr kurz gesehen hatte. Und sicher verbarg das weite, glanzlos braune Kleid ihre Figur, oder doch nicht?

Was an der Tür bei Henry geschehen war, war äußerst peinlich, aber mit einer gehörigen Portion Glück wusste Mitch Wentworth nicht, dass sie mit Henry Aspinall zu tun hatte – oder mit dem Flittchen, das ihn gestern Abend an der Tür empfing.

Doch als Mitch nun auf sie zukam, straffte sie die Schulter, als würde sie sich auf einen Angriff vorbereiten.

„Guten Morgen. Ich nehme an, ich habe das Vergnügen mit Miss Robbins?“ Mit seinen dunklen Augen sah er sie prüfend an, zeigte jedoch kein Zeichen des Wiedererkennens.

Ja! Erleichterung überkam Grace, aber sie konnte noch kein Lächeln zu Stande bringen. „Guten Morgen, Mr. Wentworth.“ Grace stand auf und streckte die Hand aus, um ihn zu begrüßen. Sein Handschlag war, wie vorherzusehen, fest und stark.

Meine Güte, war er groß! Und so breitschultrig. Sie war auf die gute Figur, auf das dichte dunkle Haar vorbereitet gewesen, auch auf diese Augen, die nur zum Verführen geschaffen schienen, und schon gestern Abend hatte sie bemerkt, dass er groß war. Aber nun, in ihrem Büro, beanspruchte er viel zu viel Raum. Man konnte seiner faszinierenden männlichen Ausstrahlung nicht entkommen, diesen Blicken, denen instinktiv zu misstrauen Grace gelernt hatte.

„Man hat Sie sehr empfohlen. George Hervey hat mir geradezu überschwänglich von Ihnen berichtet.“

Sie lächelte schwach.

Mitch erwiderte ihr Lächeln nicht. „Aber das ist natürlich nun Vergangenheit. Bei mir müssen Sie sich neu beweisen.“

Mich neu beweisen?

Trotz ihrer Nervosität brachte ein Anflug von Trotz Grace’ Wangen zum Glühen. Da haben wir’s schon! Der blutrünstige Pirat übernimmt das Ruder!

Mitch begann wieder zu sprechen. Seine tiefe, gedehnte australische Sprechweise mischte sich mit dem amerikanischen Näseln, das er nach vielen Jahren in den USA angenommen hatte. „Ich erwarte hundertprozentiges Engagement und Loyalität.“

„Natürlich, Mr. Wentworth.“

Mitch atmete tief ein, und Grace vermutete, dass ihre sanfte Unterwürfigkeit ihn ärgerte. Aber er fuhr fort: „Sie sind eine wichtige Schlüsselfigur für den Erfolg des New Tomorrow-Projektes. Aber …“, er senkte die Stimme und machte eine kleine dramatische Pause, „… ich bin dieses Projekt. Sie arbeiten nun für mich, Grace Robbins. Wenn Sie an New Tomorrow denken, sollten Sie an mich denken.“

Er war so von sich überzeugt, wie Sie es vermutet hatte! Doch sie konnte auch nicht leugnen, dass sein Projekt sehr aufregend war und dass es sie schon reizte, daran mitarbeiten zu können.

„Ihr Film hat die besten Voraussetzungen“, antwortete sie und wollte noch weitersprechen, aber Mitch langte mit einer Unheil verkündenden Gebärde in seine Tasche und zog etwas hervor, das wie eine Zeitschrift aussah.

Er warf sie auf den Tisch.

Ihr Chef lächelte vom Titelbild zu ihr auf, sein Gesicht von einem Schnurrbart entstellt. Ein dickes Brillengestell. Und geschwärzte Zähne!

Grace hatte das Gefühl, ihr Magen wäre mit Beton gefüllt. Ihre Kritzelei war mit kräftigen Strichen, die ihre Verärgerung ausdrückten, über sein Bild gezeichnet und der deutliche Beweis für die schlechte Laune, die sie nach ihrer mittäglichen Diskussion mit Maria gehabt hatte.

Wie, um alles in der Welt, hat er das gefunden?

Warum konnte es im wirklichen Leben nie wie bei Dreharbeiten zugehen? Wenn nur ein Regisseur ins Büro stürzen und rufen würde „Schnitt! Die Szene gefällt mir nicht. Fangen wir noch mal an, und diesmal lassen wir das mit der Zeitschrift weg …“

Aber nein.

Einige Sekunden lang hoffte Grace, dass sie in Ohnmacht fallen würde. Doch sie hatte kein Glück. Ihre Beine zitterten, gaben jedoch nicht nach. Und Mitch Wentworth stand noch immer vor ihr und fixierte sie mit seinem kalten, unnachgiebigen Blick.

„Offensichtlich haben Sie ein Problem mit mir“, sagte Mitch mit kühler, ausdrucksloser Stimme.

Wo hatte sie noch gehört, dass Angriff die beste Verteidigung sei? Mit einem Finger deutete Grace anklagend auf Mitch. „Sie … Sie haben mir hinterherspioniert!“

Er sah sie schweigend an. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich spioniere nicht, Miss Robbins! Ich habe gestern Abend kurz hier vorbeigeschaut, um mir das Büro anzusehen. Mein Büro! Und ich brauchte nicht die Hilfe eines Spionagedienstes, um zu entdecken, was Sie so offen auf ihrem Schreibtisch haben liegen lassen. Genau hier!“

Grace sah weg. Er wollte sie feuern! Und wenn sie sich in seine Lage versetzte, konnte sie ihm daraus nicht einmal einen Vorwurf machen.

Aber sie liebte ihre Arbeit. In den vergangenen vier Jahren war sie das einzig Wichtige in ihrem Leben gewesen! Sie blickte wieder auf und sah, dass Mitch sie aufmerksam betrachtete.

„Möchten Sie dieses Projekt zu Ende bringen?“

„Was? Oh … wie bitte?“

New Tomorrow. Möchten Sie weiter im Team arbeiten?“

„Ja. Sehr gern. Ich engagiere mich wirklich sehr für New Tomorrow. Ich …“

Autor

Barbara Hannay
Die Kreativität war immer schon ein Teil von Barbara Hannays Leben: Als Kind erzählte sie ihren jüngeren Schwestern Geschichten und dachte sich Filmhandlungen aus, als Teenager verfasste sie Gedichte und Kurzgeschichten. Auch für ihre vier Kinder schrieb sie und ermutigte sie stets dazu, ihren kreativen Neigungen nachzugehen. Doch erst als...
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