Ein Prinz für Norah

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Dem Inselreich Sapphan steht eine Traumhochzeit bevor. Der Thronfolger Prinz Philippe will die bildschöne Norah zur Frau nehmen. Allerdings ist die mehr als überrascht: Zwar geht damit für sie ein Traum in Erfüllung - aber er hätte sie ja wenigstens mal fragen können!


  • Erscheinungstag 05.04.2015
  • ISBN / Artikelnummer 9783733787301
  • Seitenanzahl 128
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Den Palast musste man sehen, um es zu glauben. Norah Kelsey blieb bewundernd stehen, während ihre junge Begleiterin in einen weiteren malerischen Innenhof voraneilte. „Talay Rasada, könntest du das Tempo bitte etwas mäßigen, damit ich mir alles in Ruhe ansehen kann?“

Norah kam sich ein wenig wie im Märchen vor, obwohl sie von einem früheren Besuch auf Sapphan wusste, dass die Wirklichkeit anders aussah. Doch das gehörte der Vergangenheit an. Im Moment genoss Norah es, das Inselkönigreich mit den Augen des jüngsten Mitglieds der Königsfamilie zu sehen.

Talay drückte ihr liebevoll den Arm. „Ich bin froh, dass du mitgekommen bist, Norah. Ich hatte solche Angst, alle würden mich anstarren.“

„Wie du gemerkt hast, ist das nicht der Fall“, versicherte ihr Norah. Wegen ihrer Narben fühlte sie sich gehemmt, obwohl das unsinnig war. Das geschickte Make-up, das Norah sich für sie ausgedacht hatte, verdeckte die Narben völlig. „Wenn du wieder im Internat bist, übst du das Schminken noch ein bisschen, nicht wahr?“, fragte Norah.

Talay setzte eine feierliche Miene auf. „Klar. Bis die Narben verblasst sind. Das wird in ein paar Monaten sein, hat der Chirurg gesagt. Er fand es prima, dass du mich begleitest. Du würdest mir guttun, hat er gesagt.“

Norah wehrte verlegen ab. „Das verdankst du deinem Großvater. Es war seine Idee. Er liebt dich abgöttisch.“

„Das weiß ich. Er ist mein bester Freund …, neben dir natürlich.“

Talay ahnte nicht, wie schmeichelhaft das für Norah klang. Leon Rasada war der rangälteste Staatsmann des Herrscherhauses Rasada. Trotz seiner Achtung gebietenden Erscheinung war er ein sanfter, weiser Mann. Von Talay wusste Norah, dass Leon sich seiner Enkelin rührend angenommen hatte, nachdem ihre Eltern bei dem Flugzeugunglück ums Leben gekommen waren, von dem das Mädchen die Narben zurückbehalten hatte.

Trotz seiner Trauer um Sohn und Schwiegertochter war Leon mit Talay nach Australien geflogen, um sie dort von Spezialisten behandeln zu lassen.

Im Krankenhaus war Norah den beiden zum ersten Mal begegnet. Als kosmetische Therapeutin half sie jungen Leuten wie Talay, ihre Narben zu überdecken und besonders vorteilhafte Züge zur Geltung zu bringen. Glücklich und gerührt hatte Norah miterlebt, wie Talay im Lauf der Sitzungen aufgeblüht war.

Das Mädchen hatte sich auf den Steinrand eines Teiches gesetzt und ließ die Finger spielerisch durch das kühle Wasser gleiten. „Du kannst ganz hierbleiben, wenn du möchtest.“

Norah antwortete nicht sofort. Anfangs hatte sie gezögert, Talay nach Sapphan zu begleiten, weil sie befürchtete, die unvermeidliche anschließende Trennung könnte das Mädchen seelisch wieder aus der Bahn werfen. „Darüber haben wir doch schon gesprochen, Tal. Du weißt, dass ich hier nur Urlaub machen kann. Wenn ich nicht nach Sydney zurückkehre, werde ich eines Tages keine eigene Klinik eröffnen können, um anderen Mädchen wie dir zu helfen.“

„Du könntest doch hier eine Klinik aufmachen. Auf Sapphan gibt es genug Mädchen zu behandeln, und mein Onkel würde bestimmt die Schirmherrschaft über die Klinik übernehmen, wenn ich ihn darum bitte.“

Genau deswegen konnte Norah nicht bleiben. Der Letzte, dem sie verpflichtet sein wollte, war Talays Onkel Philippe Rasada, der Herrscher von Sapphan, der in Kürze zum König gekrönt werden sollte.

Beim Gedanken an ihn überlief Norah ein Schauer. Hauptsächlich seinetwegen hatte sie Leons Bitte abgelehnt, Talay zu begleiten, obwohl sie das Mädchen sehr ins Herz geschlossen hatte. Leon hatte seine ganze Überredungskunst aufwenden müssen, um Norah schließlich doch zu der Reise zu bewegen.

„Ein Jammer, dass du nicht bis zu Onkel Philippes Krönung dableiben kannst.“ Talay steigerte sich in ihre Begeisterung hinein, als würde sie von ihrem Lieblingspopstar sprechen. „Er wird ein Traumkönig. Schon als Prinz ist er umwerfend“, setzte sie hastig hinzu, „aber als König wird er einsame Klasse! Wenn du ihn kennenlernst, findest du das bestimmt auch.“

Nur die Überlegung, dass Philippe Rasada während ihres Besuchs vollauf mit den Vorbereitungen für die Krönung beschäftigt sein würde, hatte Norah letztlich umgestimmt. Diesem Mann wollte sie auf keinen Fall nochmals über den Weg laufen. Bei der Vorstellung verspannte sich alles in ihr. „Ich habe deinen Onkel schon kennengelernt“, gestand sie betont sachlich.

Talay sah sie erstaunt an. „So? Und wann war das?“

„Nur ganz kurz …, vor fünf Jahren … bei einem offiziellen Empfang. Bestimmt hat er das längst vergessen. Damals war ich als Model zu Aufnahmen hier. Zum Schluss wurde unsere Gruppe in den Palast eingeladen.“

Talay lächelte schalkhaft. „Bei deinem Aussehen kann ich mir gut vorstellen, dass du ein Model warst. Warum hast du das eigentlich aufgegeben?“

„Aus verschiedenen Gründen.“ Der Hauptgrund war Talays angebeteter Onkel Philippe gewesen. Sein Aussehen verkaufen, hatte er es genannt und damit ungeahnt ins Schwarze getroffen. Norah war gegen den Willen ihrer Eltern Model geworden, die für eine ernst zu nehmende Ausbildung gewesen waren und ihr ihren Bruder David, einen erfolgreichen Arzt, ständig als nachahmenswertes Beispiel vor Augen gehalten hatten. Als sie bei ihrer Familie kein Verständnis gefunden hatte, war die Clique für sie zu einer Art Ersatzfamilie geworden, wenn auch zu einer reichlich fragwürdigen.

Alain Montri, ein entferntes Mitglied der Königsfamilie und Adjutant des Prinzen, war damals Kontaktmann zwischen dem Modeteam und dem Palast gewesen. Bald hatte er vor allem Norah all seine Aufmerksamkeiten zukommen lassen, und sie war naiv genug gewesen, ihn zu ermutigen. Er hatte sie offenbar für so erfahren gehalten, wie sie sich gegeben hatte, und anfangs hatte sie seine Bemühungen als schmeichelhaft empfunden …

Bis zu dem Empfangsabend im Königspalast. Norah hatte bemerkt, dass der Prinz sie abschätzig beobachtete, und fühlte sich an die Einstellung ihrer Eltern erinnert. Aus Trotz benahm sie sich während des Festes Alain und einigen anderen Männern gegenüber noch auffälliger.

Unwillkürlich fragte Norah sich, wie sie reagieren würde, falls der Prinz sie zum Tanzen aufforderte, aber er tat es nicht. Durch seine verächtliche Art fühlte sie sich kritisiert und gab sich im Lauf des Abends immer aufreizender.

Auf Dauer fiel es ihr jedoch zunehmend schwerer, etwas vorzutäuschen, das sie nicht war, und schließlich flüchtete sie in den von Blütenduft erfüllten Garten. Ihr wurde erst bewusst, dass Alain ihr aufgelauert hatte, als er plötzlich vor ihr stand, ihre Proteste mit leidenschaftlichen Küssen erstickte und sie mit sich ins Gebüsch zerrte.

Vergebens versuchte Norah, sich zu wehren. Alain Montri riss sie zu Boden, und ihr war bewusst, was mit ihr geschehen würde. Hilflos sank sie in sich zusammen und hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden, als es in den Büschen knackte und ein zorniger Redeschwall auf Sapphanisch erscholl.

Blitzschnell verschwand Alain in der Dunkelheit. Norah blieb gebrochen und schluchzend auf dem Boden liegen und zupfte ihre zerrissene Kleidung zurecht.

Nie würde sie Philippe Rasadas angewiderten Gesichtsausdruck vergessen. Hoch aufgerichtet stand der Prinz vor ihr. „Bedecken Sie sich, und stehen Sie auf“, befahl er.

Zitternd gehorchte Norah und erhob sich auf unsicheren Beinen. Obwohl die Nachtluft warm war, schauderte sie. „Ich bin ja so froh, dass Sie vorbeigekommen sind, Königliche Hoheit.“

Er zog verächtlich die Brauen hoch. „Das bezweifle ich stark.“

Norah glaubte, sich verhört zu haben. „Wie bitte?“

„Ich bezweifle, dass Sie froh über die Störung Ihrer Liebesbegegnung sind. Bei Ihnen mögen andere Sitten herrschen, aber als Gast hätten Sie immerhin so viel Anstand besitzen müssen, die Moralbegriffe unseres Landes zu respektieren.“

Unter Philippe Rasadas durchdringendem Blick wich Norah unwillkürlich zurück. „Sie denken doch hoffentlich nicht etwa, ich hätte das gewollt?“

„Was soll ich sonst denken? Die aufreizende Kleidung und Ihr Verhalten weisen Sie als Verführerin aus.“

„Verführerin? Das klingt ja mittelalterlich. Ich dachte, Sapphan sei ein fortschrittlicher Staat.“

„In den entscheidenden Dingen des Lebens sind wir fortschrittlich.“ Er kniff die Augen zusammen. „Und traditionsbewusst.“

Norah überlegte blitzschnell. Der Prinz wusste offenbar nicht, dass der Angreifer sein Adjutant gewesen war. Und sie konnte sich vorstellen, wie Philippe reagieren würde, wenn sie es ihm sagte. Dann stand ihr Wort gegen Alain Montris, und sie war sicher, wem der Prinz glauben würde – erst recht, nachdem er ihr soeben unmissverständlich klargemacht hatte, was er von ihr hielt.

Um ihm zu zeigen, dass sie sich von ihm nicht einschüchtern ließ, richtete Norah sich zu ihrer vollen Größe auf. Doch obwohl sie als Model nicht gerade klein war, reichte sie dem Prinzen knapp bis zur Schulter.

„Ich bedaure, dass Sie eine so schlechte Meinung von mir haben“, erwiderte sie keineswegs entschuldigend. „Aber meine Kleider und Posen gehören nun mal zu meinem Beruf …, genauso wie es zu Ihren Aufgaben gehört, Schwerter und Orden zu tragen. Das muss aber noch lange nichts mit dem Charakter zu tun haben.“

Damit spielte Norah auf den Auftritt des Prinzen am Vortag bei einer offiziellen Zeremonie an, bei der er eine pompöse Uniform und ein Schwert getragen hatte.

Philippe lächelte ironisch. „Das entschuldigt jedoch noch lange nicht das hier.“ Er deutete auf Norahs zerrissenes Kleid.

Würdevoll warf sie den Kopf zurück und begegnete Philippes Blick. „Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen.“

„Nicht einmal einen Namen, Miss Kelsey? Wollen Sie niemanden beschuldigen, Sie zu vergewaltigen versucht zu haben?“

„So, wie Sie es hinstellen, würde mir ohnehin niemand glauben.“

In Philippes Blick lag fast so etwas wie widerstrebend gezollte Achtung. „Kein Wunder, dass der Mann davongelaufen ist, wenn Sie ihm mit so scharfer Munition gekommen sind wie mir.“

Norah lächelte verbittert. „Es ist eine schlechte Gewohnheit von mir, mich zu verteidigen, wenn ich angegriffen werde.“

„Sie behaupten also, er hätte Sie angegriffen?“

Stolz warf Norah den Kopf zurück, sodass ihr blondes Haar sie wie ein Heiligenschein umflorte. „Ich behaupte nicht, dass er mich angegriffen hat. Er hat es getan.“

Wieder nahmen Philippes Züge den verächtlichen Ausdruck an, und er schnippte mit den Fingern. „So? Dann nennen Sie mir bitte einen Namen, Miss Kelsey.“

„Sie würden mir ebenso wenig glauben, wie Sie mir nicht abnehmen, dass ich mit dem Mann nichts zu tun haben wollte.“

„Was soll ich dann denken, wenn Sie sich weigern, seinen Namen zu nennen?“

„Denken Sie, was Sie wollen …, Königliche Hoheit.“ Norah sprach den Titel in einem Ton aus, der ganz und gar nicht respektvoll klang.

Philippe Rasadas nächste Frage traf sie unvorbereitet. „Wie alt sind Sie?“

„Einundzwanzig, falls das etwas zur Sache tut“, erwiderte Norah irritiert.

Er legte ihr die Finger unters Kinn und hob es leicht an, sodass sie gezwungen war, ihn anzublicken. „Sie sehen älter aus. Liegt das vielleicht am Make-up?“

Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte Philippe ein blütenweißes Taschentuch mit einem Monogramm hervorgezogen und wischte ihr den kräftigen Lippenstift ab.

Die Berührung weckte seltsame Gefühle in Norah, und sie wusste nicht, ob sie ihren Zustand genießen oder wütend sein sollte. „Hören Sie auf! Sie mögen ein Prinz sein, aber Sie sind auch nicht besser als …“

In Philippes Augen blitzte es auf, als sie den Namen gerade noch rechtzeitig für sich behielt. „Das war ja fast ein Geständnis“, stellte er fest. „Aber vielleicht gibt es einen anderen Weg, Ihnen den Namen zu entlocken.“ Philippe beugte sich über sie und presste seine Lippen auf ihre.

Elektrisierende Ströme durchzuckten Norah, und alles schien plötzlich ganz langsam abzulaufen. Wie in Trance kostete sie jede Empfindung aus …, den Druck seiner Hände auf ihren Schultern, die Wärme, die sie durchflutete, die Art, wie sein Mund fordernd und gebend mit ihrem verschmolz, bis sie ein nie gekanntes Verlangen verspürte.

In den betäubenden Ingwergeruch, der den dunklen Garten erfüllte, mischte sich der herb-männliche Duft des Rasierwassers des Prinzen und hatte eine berauschende Wirkung auf Norah.

All diese Empfindungen reihten sich seltsam unwirklich, wie in Zeitlupe aneinander, sodass Norah jede für sich durchleben und auskosten konnte. Die Welt schien sich erst wieder normal zu drehen, als der Prinz Norah freigab und zurücktrat. „Das scheint mir so etwas wie ein Geständnis gewesen zu sein“, bemerkte er trocken.

Norah wusste, was er meinte. Die Anspielung, wie leicht sie zu haben sei, machte sie wütend, gleichzeitig schämte sie sich ihrer willigen Hingabe. „Ich nehme an, dass es auf Sapphan ein Schwerverbrechen ist, dem Prinzen zu sagen, er soll sich zum Teufel scheren?“

Er lachte spöttisch. „Das Sexkätzchen entpuppt sich als Tigerin mit Krallen? Schade, dass Sie sie nicht eher ausgefahren haben, um den unerwünschten Freier in die Flucht zu schlagen.“

„Ich hab’s ja getan“, sagte Norah müde, „aber es hat nichts geholfen. Kann ich jetzt zu meinem Hotel zurückkehren, Königliche Hoheit?“

„Philippe genügt“, erklärte er in samtigem Ton, „da wir uns ja inzwischen ausgiebig miteinander bekannt gemacht haben.“ Er streifte sein weißes Abendjackett ab und legte es Norah um die Schultern.

Sein Duft, der von dem teuren Stoff ausging, hüllte sie ein, und sie hätte ihn am liebsten tief eingeatmet. Das sind die Nachwirkungen des Überfallschocks, versuchte Norah sich einzureden. Sie wandte sich ab, um zum Palast zu gehen, doch der Prinz hielt sie zurück. „Wohin wollen Sie?“

„Jemand vom Team bringt mich zum Hotel zurück“, antwortete sie steif.

„Nicht in diesem Aufzug.“ Philippe schnippte mit den Fingern, und ein großer dunkelhäutiger Muskelmann tauchte aus der Dunkelheit auf. Norah spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Sie hätte sich denken können, dass der Prinz hier draußen nicht unbewacht herumlief. „Keine Sorge, Alec ist verschwiegen“, versicherte Philippe. „Er wird Sie in meinem Wagen zurückbringen.“

Auf dem Heimflug versuchte Norah, das Kapitel Sapphan aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Die Arbeit in der feuchttropischen Hitze war sehr anstrengend gewesen, und Alain Montris Überfall und der Kuss eines arroganten Prinzen, der sie für eine unmoralische Verführerin hielt, waren Erfahrungen, die sie besser vergaß.

2. KAPITEL

Der letzte Ort, an den Norah je hatte zurückkehren wollen, war der berühmte Perlenpalast in der Hauptstadt Andaman. Aber, so sagte Norah sich, sie würde den Prinzen sowieso nicht zu Gesicht bekommen. Von Leon wusste sie, dass Philippe Rasadas Terminkalender durch die Vorbereitungen für die Krönungsfeierlichkeiten förmlich überquoll.

Im Übrigen würde es ihr in dem riesigen Palast nicht schwerfallen, ihm aus dem Weg zu gehen. Die Anlage wirkte auf Norah wie eine Stadt – ein verwirrendes Labyrinth mit über hundert Räumen, die zu Pavillons zusammengefasst waren.

Norah war im Jadepavillon untergebracht worden. Daran anschließend befand sich der Prinzessinnenpavillon, in dem Talay wohnte, wenn sie nicht im Internat war. Dahinter schloss sich der Wassertorpavillon mit den Gemächern des Prinzen und zahlreichen Flügeln für Gäste und Bedienstete an. Allein im großen Ballsaal hätten mehrere Familien Platz gefunden.

Dennoch schwelgte hier kein reicher Herrscher im Luxus, während sein Volk darbte. Voller Stolz hatte Talay Norah berichtet, dass die Sapphaner durch den Tourismus und umfangreiche Gewinnung von Perlen, denen das Perlenkönigreich seinen Namen verdankte, es in diesem Teil der Welt zu einem der höchsten Lebensstandards gebracht haben.

Norah ließ den Blick zu Talay schweifen, die sich träge in der Spätnachmittagssonne rekelte. „Ich werde dich vermissen, wenn du wieder im Internat bist, Tal.“

„Am liebsten würde ich überhaupt nicht wieder hingehen. Wenn ich wie du Model werde, brauche ich doch gar nicht zu studieren, oder?“

„Ein ungebildetes Model nimmt niemand ernst, auch wenn es noch so attraktiv ist.“ Kurz nach der Rückkehr nach Australien hatte sie sich am College eingeschrieben, um Schönheitstherapie zu studieren, dabei waren ihr die Erfahrungen als Model sehr zustattengekommen. In ihrem neuen Leben hatte es auch eine katastrophale Liebesbeziehung gegeben, doch daran wollte Norah lieber nicht denken. Colin Wells gehörte der Vergangenheit an …, genau wie Philippe Rasada.

Talay nickte widerstrebend. „Vielleicht hast du recht. Ich glaube, ich studiere doch lieber. Also denk an die arme paukende Tal, während du die letzten Tage deines Besuchs hier genießt.“

„Ja, das werde ich. Und jetzt solltest du lieber zu Ende packen.“

Talay umarmte Norah und versprach, vor ihrem Aufbruch sich noch verabschieden zu kommen.

Da Norah sich rastlos fühlte, beschloss sie, die Kunstgalerie des Palastes zu besuchen, von der Talay ihr wiederholt vorgeschwärmt hatte. Die Säle beherbergten eine Sammlung von nahezu dreitausend kostbaren Stücken einheimischer und europäischer Kunst.

Die Galerie zu finden, war leichter gesagt als getan. Trotz Talays Wegbeschreibung verlief Norah sich hoffnungslos in den gewundenen Gängen und Höfen und landete schließlich in einem von Mauern umgebenen Garten, der von mächtigen altrömischen Terrakottastatuen beherrscht wurde.

Als Norah merkte, wo sie sich befand, überlief sie ein kalter Schauder. Es war der Garten, in dem Alain Montri sie überfallen hatte.

Ein Rascheln hinter sich ließ Norah herumfahren, und sie konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dasselbe schon einmal erlebt zu haben. Am Eingang zum Garten stand Philippe Rasada.

Die Abendsonne fiel auf seine markanten Züge und ließ den Blick seiner dunklen Augen noch eindringlicher erscheinen. Irgendwie wirkte er auf Norah jetzt noch größer und athletischer als vor fünf Jahren. Und wieder konnte sie sich der Ausstrahlung nicht entziehen, die von diesem Mann ausging. Verlegen schwieg sie, während er sie kritisch betrachtete.

Sein forschender Blick ließ Norah erschauern, und es kostete sie all ihre Willenskraft, ihm ins Gesicht zu sehen. Zum ersten Mal fielen ihr das Grübchen an seinem kantigen Kinn und die feinen Linien um die Augen auf. Waren es Lach- oder Sorgenfältchen? Philippe Rasada schien ein Mann zu sein, der Gefühlsregungen nicht zeigte.

Norah riss sich zusammen. Vermutlich erinnerte der Prinz sich nicht einmal an sie. „Guten Abend, Königliche Hoheit“, versuchte sie sich selbstsicher zu geben. „Entschuldigen Sie, dass ich hier eingedrungen bin, aber ich habe mich verlaufen.“

„Nicht zum ersten Mal, Miss Kelsey.“ Seine Stimme klang so dunkel und kraftvoll, wie Norah sie in Erinnerung hatte.

Ihr wurde unbehaglich zumute. Philippe Rasada erinnerte sich also an sie. Und er schien keineswegs überrascht zu sein, sie hier anzutreffen. Es war fast, als ob … Norah verdrängte den Gedanken. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, gehe ich.“

Doch Philippe kam den schmalen Weg entlang auf sie zu. „Als wir uns beim letzten Mal hier begegnet sind, hatten Sie es nicht so eilig, fortzukommen.“

Norah dachte an den Kuss und griff sich unwillkürlich an die Lippen, ließ die Finger jedoch hastig wieder sinken. „Bitte …, Leon fragt sich vermutlich schon, wo ich bleibe.“

„Leon wird sich freuen, wenn er hört, dass Sie mit mir zusammengetroffen sind. Das hat er schließlich so geplant.“

Norah war verwirrt. „Wie meinen Sie das? Leon wollte nur, dass ich Talay helfe, mit ihren Unfallnarben fertig zu werden, das ist alles.“

„Aber Sie wissen doch sicher, dass Talay nicht der einzige Grund für Ihr Hiersein ist.“

Jetzt begriff Norah, worauf Philippe hinauswollte. „Natürlich ist sie der einzige Grund“, betonte sie kühl. „Sie müssten am allerbesten wissen, dass ich sonst niemals hierher zurückgekommen wäre.“

Wieder betrachtete Philippe sie mit versteinerter Miene. „Nein? Dann lügen Sie, Miss Kelsey.“

„Dessen haben Sie mich schon einmal beschuldigt, Königliche Hoheit“, erwiderte Norah spitz. „Ich habe damals jedoch ebenso wenig gelogen wie heute.“

Philippe runzelte die Stirn. „Das erste Mal lassen wir beiseite, aber diesmal besteht kein Zweifel. Sie sind zurückgekommen, weil Sie meinen Kuss ebenso wenig vergessen können wie ich Ihren.“

Woher konnte er wissen, wie oft sie in den letzten fünf Jahren an ihn gedacht hatte? Hatte sie sich deshalb von Leon überreden lassen zurückzukehren? Schockiert wurde Norah bewusst, was Philippe gesagt hatte: weil Sie meinen Kuss ebenso wenig vergessen können wie ich Ihren. Dem musste sie sofort einen Riegel vorschieben. „Für mich war er überaus demütigend“, widersprach sie energisch. „Ich wäre niemals hierher zurückgekehrt, wenn ich geahnt hätte, dass wir uns erneut begegnen.“

„Warum haben Sie dann zugelassen, dass Leon Sie im Brautpavillon unterbringt?“

„Aber das hat er nicht. Ich wohne im Jadepavillon …“ Norah sprach nicht weiter, denn plötzlich wurde ihr Verschiedenes klar. Ihr war aufgefallen, dass ihre Suite ungewöhnlich luxuriös ausgestattet war … Norah sah den Prinzen entsetzt an. „Das … kann nicht sein.“

„Wie ich sehe, beginnt es Ihnen zu dämmern“, bemerkte er spöttisch. „Waren Sie wirklich so blind, dass Sie nicht gemerkt haben, was Leon mit Ihnen vorhatte? Er ist verpflichtet, vor meiner Krönung eine Frau für mich zu finden.“

Leon hatte sie – wie ihr jetzt bewusst wurde – sanft, aber beharrlich immer wieder gedrängt, Talay nach Sapphan zu begleiten, obwohl sie der Meinung gewesen war, für das Mädchen in Australien alles getan zu haben. Jetzt schwante ihr, warum er sich so um sie bemüht hatte.

„Nein“, widersprach sie fassungslos. „Das … kann einfach nicht sein.“

„So steht es in unserer Verfassung. Und Sie, meine kleine Wildkatze aus Australien, hat Leon als ideale Braut für mich erkoren.“

Philippes kühler und ironischer Ton traf Norah wie ein Schlag ins Gesicht. Sie richtete sich kerzengerade auf. „Moment mal! Da habe ich ja wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden.“

„Natürlich. Sie dürfen das Brautkleid, die Brautjungfern und die Gäste aussuchen, die Sie einladen möchten.“

„Sie wissen genau, dass ich nicht das … Drumherum meine“, entgegnete Norah gereizt. „Vielen Dank, Königliche Hoheit, aber ich suche mir meinen Ehemann selbst aus.“

Bei der Vorstellung, den Prinzen zu ehelichen, begann ihr Herz zu jagen. Das Ganze war völlig verrückt! Philippe Rasada war der Letzte, den sie heiraten würde.

Einen Augenblick lang betrachtete Philippe sie prüfend. „Es dürfte für eine Frau doch kaum ein erstrebenswerteres Ziel geben, als den absoluten Herrscher eines Staates zu heiraten.“

Oh doch! Eine Liebesehe! „Ich heirate einen Mann und nicht seine Stellung“, erklärte Norah bestimmt. „Bei uns handhabt man diese Dinge anders.“

Philippe lächelte sarkastisch. „Oh ja. Daran erinnere ich mich sogar sehr gut …, ohne Zimperlichkeit, Schamgefühl oder moralische Bedenken.“

Norah spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. „Sie verurteilen mich ohne Beweise, Königliche Hoheit.“

„Wir hatten uns auf Philippe geeinigt. Und ich bilde mir mein Urteil nach dem, was meine Augen und Sinne mir sagen.“

Bei Norah rastete etwas aus. „Sie haben nicht das geringste Recht, sich ein Urteil über mich zu erlauben!“

Philippes dunkle Augen blitzten herausfordernd. „Auf Sapphan habe ich jedes Recht. Nach unseren uralten Gesetzen besitze ich in diesem Königreich alles … und jeden.“

Panik erfasste Norah, aber sie gab sich unbeeindruckt. „Menschen zu besitzen ist barbarisch.“

Autor

Valerie Parv
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