Ein Prinz für Schwester Aubrey

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Überrascht erkennt Schwester Aubrey, wer ihr neuer Boss in der Klinik in Venedig ist: Prinz Enzo! Vor zwei Monaten hat sie eine unvergessliche Liebesnacht mit ihm verbracht. Sofort prickelt es sinnlich, doch - anders als sie - scheint er nicht erfreut über ihr Wiedersehen …


  • Erscheinungstag 17.10.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751535991
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Aubrey Henderson hielt das Gesicht in die Brise und atmete tief den unverwechselbaren Duft der Lagune ein. Lächelnd genoss sie den Anblick der glanzvollen Kulisse, die mit leuchtenden Farben und historischer Architektur von bewegter Geschichte erzählte.

Venedig.

War es nicht wundervoll, dass sie hier einen Job ergattert hatte? Sie war schon einmal hier gewesen, zwei Tage nur, bevor sie als Krankenschwester in Rom angefangen hatte, doch jene Stunden waren bis heute unvergesslich geblieben.

Einschließlich ihrer heimlichen und sicher unklugen, aber überwältigenden Affäre mit Enzo Affini. Allein schon bei dem Gedanken an die Nacht mit ihm schlug ihr dummes Herz schneller. Gleichzeitig versetzte es ihr jedes Mal wieder einen kleinen Stich, dass er nichts von sich hatte hören lassen, nachdem sie sich damals in den frühen Morgenstunden getrennt hatten. Hätte er sie in Rom nicht wenigstens anrufen können? Zumal er ja wusste, dass sie um diese Zeit nach Venedig zurückkehren würde!

Es war nicht ausgeschlossen, dass sie sich hier über den Weg liefen. Die Vorstellung ließ ihre Nerven flattern, und gleichzeitig ärgerte sie sich darüber.

Mach dich nicht lächerlich, schimpfte sie mit sich. Besser, sie konzentrierte sich darauf, warum sie in die Lagunenstadt gekommen war. Es hatte nicht das Geringste mit einem atemberaubenden italienischen Prinzen zu tun, der an seinen letzten One-Night-Stand keinen Gedanken mehr verschwendete.

Nein, sie war hier, um ihre Freundin Shay zu unterstützen, die vor Kurzem Enzos Bruder Dante geheiratet hatte. Aubrey freute sich darauf, in der Klinik zu arbeiten und die Gesellschaft für den Erhalt bau- und kunsthistorischer Schätze zu besuchen, der sie im Gedenken an ihre Mutter hohe Spendensummen gestiftet hatte.

Ihre Mom war von Venedig und seiner Geschichte schon immer begeistert gewesen. Ihre Flugangst und die Scheu vor großen Menschenansammlungen hielten sie jedoch davon ab, die Stadt zu besuchen. Stattdessen „adoptierte“ sie zusammen mit ihrer Tochter ein Fresko, indem sie vor ihrem Tod verfügte, für dessen Restauration aufzukommen. Aubrey wollte sich das Wandgemälde ansehen. Es würde eine traurige Erfahrung sein und wundervoll zugleich, weil ihre Mutter als Denkmalschützerin von New England aus über den großen Teich hinweg wirkte. Der Gedanke entlockte Aubrey ein Lächeln und drängte Enzo Affini endgültig in den Hintergrund.

Du wirst nicht mehr an ihn denken. Punkt.

Beschwingt lief sie durch steinerne Passagen, an farbenfrohen Häusern vorbei, über zahlreiche pittoreske Brücken, dann über eine piazza zu der Klinik, in der sie die nächsten vier Monate arbeiten würde.

Als sie die breite Glastür öffnete, ertönte ein feiner Glockenton. Drinnen, an einem spartanisch wirkenden Empfangstisch, saß eine sympathisch aussehende Frau mittleren Alters. Aubrey hatte gehört, dass die meisten Venezianer fließend Englisch konnten, aber sicher freuten sie sich darüber, wenn jemand sich bemühte, ihre Sprache zu sprechen. Und ein bisschen hatte sie ja schon gelernt!

„Buongiorno. Mio nome è Aubrey Henderson. Sono qui … per lavorare.“

Sie suchte nach Worten, gab es bei der freundlich amüsierten Miene ihres Gegenübers jedoch auf. Wahrscheinlich war ihre Aussprache katastrophal!

„Ich bin Krankenschwester der United World Wide Health Association und fange heute hier an.“

„Willkommen bei uns, wir haben Sie schon erwartet. Und lassen Sie uns Englisch sprechen, ja?“ Die Frau lächelte.

„Gern.“ Erleichtert erwiderte Aubrey das Lächeln. „Ich versuche gerade, Italienisch zu lernen, aber es scheint noch nicht so gut zu klappen.“

„Eine Sprache zu lernen, braucht Zeit, doch im Umgang mit unseren Patienten werden Sie viel aufschnappen. Ich bin Nora, fragen Sie mich jederzeit, wenn Sie etwas brauchen, ? Kommen Sie.“ Sie stand auf und deutete auf die Tür hinter ihr. „Ich zeige Ihnen, wo Sie Ihre Sachen lassen können. Wir sind ein kleines Team, und wie Sie sicher wissen, arbeiten täglich immer nur ein Arzt und eine Krankenschwester zusammen. Manchmal kann es da ziemlich hektisch werden. Unser Klinikleiter ist heute hier und wird Sie herumführen. Da er gerade bei einem Patienten ist, kann ich Sie nicht bekanntmachen. Stellen Sie sich selbst vor, wenn Sie ihn sehen? Ich kann meinen Platz hier nicht verlassen.“

„Natürlich, kein Problem.“ Aubrey folgte Nora einen hell erleuchteten Flur entlang.

Alles wirkte modern und makellos sauber.

Nora öffnete einen Wandschrank. „Hier können Sie Ihre Sachen unterbringen. Ihre Schwesternkleidung hängt schon da. Der Doktor müsste bald bei Ihnen sein.“

„Danke.“

Aubrey wollte schon ihre Handtasche einschließen, als sie sich fragte, ob sie nicht die Uniform anziehen sollte. Bestimmt würde sie sofort anfangen zu arbeiten, oder?

Sie überlegte, ob sie zur Rezeption zurückgehen sollte, um sich bei Nora zu erkundigen, verwarf die Idee jedoch wieder. Falls sie heute nur eine Einführung bekam, konnte sie sich schnell wieder umziehen. Und wenn es gleich mit der Arbeit losging, war sie wenigstens bereit.

In einem Badezimmer zog sie sich um. Als sie sich im Spiegel betrachtete, musste sie schmunzeln. Die Kleidung wirkte ein bisschen altmodisch im Vergleich zu dem, was Krankenschwestern heutzutage in den USA trugen. Die Räume waren jedoch hochmodern eingerichtet. Aubrey widerstand der Versuchung, Schubladen aufzuziehen und Schranktüren zu öffnen. Sicher war es höflicher zu warten, bis man sie dazu aufforderte.

Eine knappe Viertelstunde verstrich, ohne dass sie jemanden zu Gesicht bekam. Mit jeder Minute fühlte sie sich unbehaglicher. Vielleicht sollte sie sich doch mit dem Schrankinhalt vertraut machen? Dann wäre sie vorbereitet.

Kaum hatte sie einen Schrank geöffnet, ertönte eine tiefe Stimme hinter ihr.

Buongiorno. Sie sind sicher die neue Schwester aus den USA?“

Schuldbewusst fuhr sie zusammen, schlug die Tür zu und drehte sich mit einem strahlenden Lächeln um.

Ihr blieb fast das Herz stehen, als sie sah, wer vor ihr stand.

Enzo Affini. Der Mann, der sich immer wieder in ihre Gedanken schlich, seit sie nach Venedig zurückgekommen war. Der Mann, dessen Hände und Lippen auch die intimsten Stellen ihres Körpers berührt hatten. Der Mann, dem es nach ihrer leidenschaftlichen Liebesnacht nicht in den Sinn gekommen war, sie auch nur einmal anzurufen.

Aubrey nahm kaum den älteren Herrn neben ihm wahr, weil Enzo sie mit seinen dunklen Augen intensiv betrachtete. Sekundenlang wagte sie kaum Luft zu holen.

Enzo erholte sich schneller von dem Schock als sie, trat neben sie und entnahm etwas dem Schrank, den sie kurz zuvor geöffnet hatte. Danach sprach er mit dem älteren Herrn und ging mit ihm den Flur hinunter Richtung Empfang.

Aubrey sank gegen den Schrank, die Hand aufs Herz gepresst. Schaffte sie es zu verschwinden, bevor er wiederkam? Aber was würde das bringen? Sie wollte hier in Venedig arbeiten. Konnte sie etwas dafür, dass er ausgerechnet in dieser Klinik Arzt war?

Langsam richtete sie sich auf, während sie versuchte, das innere Zittern zu überwinden.

Da kam er auch schon zurück. Aubrey straffte die Schultern und sah ihm entgegen, um eine professionelle Miene bemüht. Sein Gesichtsausdruck war ein völlig anderer als damals in jenen frühen Morgenstunden, als sie sich getrennt hatten. Seine Augen waren voller Wärme gewesen, die sinnlichen Lippen zu einem sanften Lächeln verzogen.

Jetzt hingegen wirkte sein Mund hart, und zwischen seinen dunklen Brauen grub sich eine strenge Falte in die Haut.

„Welch eine Überraschung, Aubrey“, sagte er kühl. „Woher wusstest du, dass ich hier arbeite?“

Sie hätte schon blind und taub sein müssen, um nicht zu merken, dass er absolut nicht erfreut war, sie zu sehen! Es tat weh, doch dann gewann Ärger die Oberhand. Was wollte Enzo andeuten? Hielt er sie für eine Stalkerin?

„Ich wusste es nicht. Ich wusste nicht einmal, dass du Arzt bist. Du hast es praktischerweise nicht erwähnt.“

„Du wusstest, dass Dante Arzt ist.“

„Ach, und daraus muss ich schließen, dass du auch einer bist? So wie du von der Restauration der alten Gebäude hier gesprochen hast, dachte ich, du bist Architekt oder Bauunternehmer. Du dagegen wusstest, dass ich Krankenschwester bin.“ Außerdem hatte sie anderes im Sinn gehabt als die Frage, womit er sich seinen Lebensunterhalt verdiente. Doch das sagte sie nicht. Anscheinend hatte er die magische Anziehung zwischen ihnen längst vergessen … wie es zwischen ihnen geknistert hatte, wie sie kaum die Hände voneinander lassen konnten.

Enzo Affini gefiel es anscheinend gar nicht, dass sie in seiner Klinik aufgekreuzt war!

Damit war auch klar, dass er nie vorgehabt hatte, sich bei ihr zu melden, wenn sie wieder in Venedig war. Aubrey wusste nicht, auf wen sie mehr wütend sein sollte: auf ihn oder auf sich selbst, weil sie so enttäuscht war.

„Ich dachte, du arbeitest mit Shay zusammen im Krankenhaus.“

„Dein Irrtum.“ Sie hob das Kinn und fixierte ihn mit festem Blick. Es gelang ihr sogar, nicht zusammenzuzucken, als er sie ansah wie etwas, das aus dem Kanal gekrochen war.

Schließlich seufzte Enzo resigniert und schob die Hände in die Taschen seiner Anzughose, die genauso perfekt saß wie die Jeans, die Aubrey ihm bei ihrer letzten Begegnung buchstäblich vom Leib gerissen hatte. Auch das Hemd unter dem offenen weißen Arztkittel verriet, was für ein athletischer Körper sich darunter verbarg. Ein Körper, den sie in allen glorreichen Einzelheiten hatte bewundern dürfen.

Mistkerl!

„Aubrey, wir hatten … eine nette Zeit. Aber das hier ist problematisch.“

Nett? Der beste Sex ihres Lebens war für ihn nur … nett gewesen?

„Wieso?“, fragte sie, ihr Tonfall eine einzige Herausforderung. Insgeheim kochte sie vor Wut. „Was wir hatten, liegt längst hinter uns. Jetzt haben wir eine rein professionelle Beziehung, was für mich überhaupt kein Problem ist.“

„Hör zu.“ Er fuhr sich mit der Hand durch das schwarz glänzende Haar. „Ich halte es für besser, dass wir uns etwas anderes überlegen.“

Etwas anderes. Aufsteigende Panik fegte ihren Ärger hinweg. Nora hatte gesagt, dass er die Klinik leitete. Konnte er sie einfach vor die Tür setzen? Im Krankenhaus waren keine Stellen frei. Wenn sie nun in ganz Venedig keinen Job fand?

„Enzo, warum können wir nicht …“

„Dr. Affini?“ Nora eilte den Flur entlang, gefolgt von einem etwa siebenjährigen Jungen. Blut tropfte aus seiner zerrissenen Hose und hinterließ eine dunkelrote Spur auf dem Fußboden. „Benedetto Rossi ist mit dem Fahrrad gestürzt. Ich habe versucht, seinen Vater und seine nonna anzurufen, aber niemanden erreicht. Ich probiere es gleich noch einmal.“

„Danke, Nora.“ Enzos grimmige Miene machte einem warmen Lächeln Platz, als er sich an den Jungen wandte. „Bist du wieder zu schnell in die Kurve gerast?“, fragte er auf Englisch.

Benedetto antwortete mit einem italienischen Wortschwall und gestikulierte dabei heftig. Enzo legte ihm beruhigend die Hand auf die Schultern und führte ihn in ein Untersuchungszimmer, den Kopf leicht gesenkt, während er dem Jungen aufmerksam zuhörte. Aubrey folgte ihnen. Enzo mochte sie vielleicht nicht hierhaben, aber vielleicht konnte sie ihm beweisen, dass er sie brauchte.

„Komm, setz dich.“ Enzo hob das Kind auf die Liege. „Und sprich bitte Englisch. Dein papà möchte, dass du die Sprache übst. Die nette Schwester hier ist Amerikanerin, für dich also die beste Gelegenheit. So, und jetzt sehe ich mir mal dein Bein an, okay?“

Benedetto nickte und holte hörbar tief Luft, als Enzo vorsichtig das zerfetzte Hosenbein hochrollte. Darunter kam eine große blutende Schürfwunde zum Vorschein. Es sah zwar nicht so aus, als würde sie genäht werden müssen, aber noch waren Knochenbrüche nicht auszuschließen.

Zeit für Aubrey, an Ort und Stelle zu beweisen, wie sehr sie der Klinik nutzen konnte. Bevor Enzo sie zur Tür hinauskomplimentierte, weil sie „netten Sex“ mit ihm gehabt hatte!

Sie schluckte ihren Ärger, ihre Sorgen und auch die Kränkung hinunter und öffnete Schubladen, fand schließlich, was sie zur Blutstillung brauchte. Anschließend wusch sie sich gründlich die Hände und zog Handschuhe an.

„Da hast du dir ja eine fiese Schramme geholt“, sagte sie und lächelte Benedetto an, um ihn zu beruhigen. Und sich selbst auch, wie sie sich eingestand. Sie war froh, dass Enzo das Kind aufgefordert hatte, Englisch zu sprechen, sonst hätte sie kaum ein Wort verstanden. „Du scheinst ein tapferer Junge zu sein. Ist dein Fahrrad in Ordnung?“

„Nein.“ Er machte wieder ein ängstliches Gesicht. „Das Rad ist verbogen und der Reifen platt. Papà wird böse sein.“

„Bestimmt nicht, wenn er sieht, dass du verletzt bist.“

„Doch.“ Mit großen Augen blickte er Enzo an. „Und nonna auch. Ich sollte Brot und seppioline kaufen, aber ich wollte erst noch mit Lucio spielen. In seiner Straße bin ich dann mit dem Rad hingefallen.“

„Mach dir keine Sorgen.“ Enzo richtete sich auf und schenkte ihm ein Lächeln, das er sich zur Patientenberuhigung patentieren lassen sollte. Obwohl es bei ihr nicht wirken würde … oder jedenfalls anders. Aubrey fand es unglaublich aufregend! „Zuerst stoppen wir die Blutung, und dann röntgen wir dein Bein, um nachzuschauen, ob nichts gebrochen ist. Gut, dass dein papà das letzte Mal die nötigen Papiere unterschrieben hat, dass ich dich behandeln darf.“

„Röntgen?“ Tränen stiegen dem Kleinen in die Augen. „Glaubst du, mein Bein ist gebrochen?“

„Nein, aber ich möchte ganz sichergehen, dass das nicht der Fall ist.“ Enzo tätschelte ihm die Schulter und fügte nach einem Seitenblick auf Aubrey, die gerade die Wunde säuberte, hinzu: „Wie ich sehe, hast du das im Griff. Ich hole das Röntgengerät.“

„Ja, Doktor“, antwortete sie kühl und professionell, starrte dabei auf das verletzte Bein, um nicht in Enzos attraktives Gesicht blicken zu müssen. Der Mann sah einfach verboten heiß aus …

Wenige Minuten später kehrte er zurück und rollte den Apparat zur Liege. „Deine Hose ist hin, Benedetto, und ich schneide sie lieber auf, als sie über die Wunde zu streifen.“

„Was? Und wie soll ich ohne Hose nach Hause kommen?“

„Für solche Fälle haben wir immer Ersatzkleidung hier. Schwester Aubrey findet sicher etwas, das dir passt. Röntgen tut nicht weh, und du kannst dir hinterher sogar ein Bild von deinen Knochen ansehen. Das wird dir gefallen.“

Sanft und behutsam hob Enzo das betroffene Bein an, um die Röntgenplatte unter die Wade zu legen. Aubrey konnte nicht umhin, ihn dafür zu bewundern, wie er mit seinem kleinen Patienten umging. Er brachte das Kerlchen sogar zum Lachen, und die Tränen schienen endgültig versiegt.

Enzo richtete seine dunklen Augen auf sie. „Es wird nicht lange dauern, bis die Bilder entwickelt sind.“

„Ich warte mit dem Wundverband, bis du einen Blick darauf geworfen hast. Und suche eine Hose heraus. Es sei denn, Benedetto, du möchtest die tragen, die ich mitgebracht habe? Mit Blümchen drauf, ist hübsch.“

„Bäh, nein!“, rief er entsetzt aus, fing aber an zu lachen. Also hatte er gemerkt, dass sie nur Spaß gemacht hatte.

Lächelnd zwinkerte Enzo ihr zu, und sofort erinnerte sie sich an ihre erste Begegnung. Genau dieses Lächeln hatte ihr damals den Kopf verdreht.

„Stell dir vor, Aubrey, wie Benedetto in Blümchenhose am Fischmarkt auftaucht“, sagte er schmunzelnd. „Die Fischer werden ihren Spaß haben.“

„Ich will sie nicht tragen, aber ich möchte dich damit mal sehen, Schwester Aubrey! Ich mag Blümchen bei Mädchenkleidung.“

Enzo lachte auf, und Aubrey musste aufpassen, dass sie nicht seine sexy Lippen anstarrte. „Du bist mir einer, Benedetto!“, sagte er sichtlich amüsiert. „Bin gleich wieder da.“

Aubrey wurde ein bisschen leichter ums Herz. Die letzten Minuten hatten bewiesen, wie gut sie zusammenarbeiteten! Sie wollte Venedig auf keinen Fall verlassen, bevor sie nicht herausgefunden hatte, wie mithilfe der Stiftung ihrer Mutter Restaurationsprojekte verwirklicht werden konnten. Außerdem brannte sie darauf, diese einzigartige Stadt zu erkunden.

Es musste doch möglich sein, mit Enzo Affini, mochte er auch noch so charmant sein, professionell umzugehen!

Aubrey unterhielt sich mit dem Jungen, bis Enzo zurückkam. Auch diesmal genügte ein Blick auf seinen Arztkittel und das weiße Hemd darunter, dass sie sich an seinen starken Körper erinnerte, an die glatte, sonnengebräunte Haut und die feinen schwarzen Härchen auf seiner muskulösen Brust. Ihr wurde warm, und sie hätte sich gern eingeredet, dass sie immer noch wütend auf ihn war. Leider fühlte sie sich gefährlich stark zu ihm hingezogen – obwohl er sie verletzt hatte und sie eigentlich auf Distanz gehen wollte. Was war nur mit ihr los?

„Gute Neuigkeiten, Benedetto. Kein Knochen gebrochen.“ Enzos Worte hellten die Stimmung im Raum spürbar auf. „Schwester Aubrey wird dein Bein verbinden, und ich sehe mir mal dein Fahrrad an. Vielleicht kann ich es reparieren. Steht es draußen?“

„Sì.“ Die Augen des Jungen leuchteten auf. „Kannst du das?“

„Zumindest werde ich es versuchen. Aubrey, wenn du fertig bist, legst du bitte eine Tube antibiotischer Salbe bereit, die wir seinem papà nachher mitgeben können? Und im Schrank neben deinem findest du sicher eine Hose, die Benedetto passt.“

„Mache ich, okay.“ Sie blickte ihm nach, und ihre guten Vorsätze lösten sich in Luft auf. Es war aber auch zu verlockend, sein dichtes dunkles Haar zu bewundern, die breiten Schultern und seinen geschmeidigen Gang.

Schluss damit! Aubrey schlug sich in Gedanken auf die Finger und wandte sich wieder zu Benedetto um. Enzo mochte wunderbar mit seinem kleinen Patienten umgehen und ihm sogar das Rad flicken, um den Jungen glücklich zu machen, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass er ihr mit dem Vorwurf, sie würde ihm nachstellen, unrecht getan hatte.

Bald darauf hatte sie Benedettos Bein fachgerecht bandagiert. „Ich sehe mal nach einer Hose für dich, ja?“, sagte sie lächelnd und verließ das Zimmer.

Im ersten Schrank lag ein ordentlicher Stapel aller möglichen Kleidungsstücke. Nur eine Hose war nicht dabei. Im nächsten fand sie Laufshorts, ein paar T-Shirts und eine graue Jogginghose. Aubrey öffnete weitere Schränke, wurde aber nicht weiter fündig. Also nahm sie die Sporthose, holte ihr Nähetui aus der Handtasche und zeigte Benedetto ihren Fund.

„Etwas anderes kann ich dir leider nicht anbieten. Sie ist viel zu groß für dich, aber ich mache sie passend, so gut es geht, okay?“

„Okay“, antwortete Benedetto skeptisch. „Wie willst du das schaffen? Die ist riesig.“

„Ach, ich habe da so meine Fähigkeiten, junger Mann. Wart’s ab. Kannst du dich mal hinstellen?“

Sie half ihm von der Liege herunter und hielt ihm die Hose in Taillenhöhe an. Die Beine waren einen knappen halben Meter zu lang. Aubrey markierte die richtige Länge, nahm eine Schere aus der Schublade und schnitt alles Überflüssige ab. Danach durchtrennte sie den elastischen Hosenbund, schnitt auch hier großzügig Stoff heraus und nähte ihn wieder zusammen, während Benedetto ihr geduldig zusah.

„Prego!“, verkündete sie zufrieden und hielt ihm die Hose hin. „Schlüpf rein, mal sehen, ob das so geht.“

Als er die Hose anhatte, blickte er an sich hinunter und dann Aubrey an. Mit einem strahlenden Lächeln. „Passt! Ich hätte nicht gedacht, dass du das hinkriegst. Vielen Dank!“

„Gern geschehen. Hier ist auch die Salbe, die Dr. Affini für deinen Dad oder deine nonna am Empfang hinterlegen will. Und jetzt sehen wir mal nach, was er mit deinem Fahrrad gemacht hat.“

Aubrey versuchte, ihrem plötzlichen Herzklopfen keine Bedeutung beizumessen, als sie die piazza betraten, und dafür ihren Ärger auf den Mann heraufzubeschwören, der gerade vor ihnen auf dem Bürgersteig kniete. Den Kopf über das Jungenfahrrad gebeugt, hantierte er mit einem Schraubenschlüssel. Enzo hatte den Arztkittel ausgezogen und die Krawatte zwischen seine Hemdknöpfe geschoben. Die Vormittagssonne zauberte Glanzlichter in sein Haar, während er sich mit leicht zusammengekniffenen Augen auf seine Aufgabe konzentrierte.

„Kannst du es reparieren, Dr. Affini?“ Benedetto klang besorgt und hoffnungsvoll zugleich.

„Es ist so gut wie neu. Damit bist du schnell wie der Wind.“ Enzo erhob sich und pumpte den Reifen auf. Sichtlich zufrieden rieb er sich die Hände und lächelte den Jungen an. „Wie geht’s deinem Bein?“

„Gut, danke. Ich kaufe noch die Sachen für meine nonna, und dann fahre ich gleich nach Hause.“

„Ich gebe dir ein paar Informationen für deinen papà und deine nonna mit, damit sie wissen, wann der Verband gewechselt werden muss, und was noch wichtig ist.“ Er zog ein gefaltetes Blatt aus seiner Tasche und sah Aubrey an. „Hast du die Salbe am Empfang hinterlegt?“

„Ich habe sie Nora gegeben, nachdem wir ihn mit einer neuen Hose ausgestattet hatten.“

Bene. Die …“ Er stutzte, als er die Hose betrachtete, und fing dann schallend an zu lachen.

„Was ist?“ Aubrey fuhr die Krallen aus. Machte er sich etwa über ihre Nähkünste lustig? „Ich habe nichts anderes gefunden, deshalb habe ich eine Männerhose passend gemacht.“

„Das sehe ich. Sie steht dir ausgezeichnet, Benedetto. Sehr gut.“ Enzo drückte ihn väterlich an sich. „Flitz los, mein Junge, und komm morgen wieder, dann sehe ich mir dein Bein noch einmal an. Sag deiner nonna oder deinem papà, dass sie mich vorher gern anrufen können, falls sie Fragen haben.“

„Okay. Papà ist bestimmt nicht sauer, weil mein Rad wieder in Ordnung ist. Danke!“

Aubrey beobachtete, wie der Junge vorsichtig aufstieg und langsam davonradelte.

„Jetzt passt er gut auf“, meinte sie lächelnd.

„Nicht mehr lange, da bin ich sicher.“ Amüsiert blickte Enzo sie an. „Gut, dass du die Hose gekürzt hast, sonst hätte sie sich in der Kette verfangen und den nächsten Sturz verursacht.“

„Warum hast du dich eigentlich über meine Näharbeit lustig gemacht?“

„Habe ich nicht. Ich musste nur lachen, weil es meine Hose war.“

Aubrey blieb fast der Mund offen stehen. „Was? Sie lag in dem Schrank, in dem ich nachsehen sollte. Mit einer Shorts und T-Shirts und …“ Die sorgfältig aufeinandergelegten Kleidungsstücke vor Augen, ging ihr plötzlich ein Licht auf. Warum war ihr nicht gleich aufgefallen, dass sie alle in einer Größe waren – im Gegensatz zu dem Sammelsurium im Nachbarschrank? Ihre Wangen wurden heiß. So viel dazu, sich hier unentbehrlich zu machen! „Es tut mir leid, wirklich leid. Ich dachte …“

„Aubrey.“ Er legte den Zeigefinger auf ihre Lippen. „Alles in Ordnung. Manchmal, wenn es in der Klinik ruhig ist, gehe ich laufen. Dafür habe hier ich ein paar Sportklamotten liegen. Damit hast du Benedetto gerettet. Unter uns gesagt, sein Vater hat etwas altmodische Erziehungsansichten und kann sehr streng werden, wenn der Junge Fehler macht. Es ist gut, dass er nicht in blutverschmierter, zerrissener Hose und mit einem kaputten Fahrrad zu Hause auftauchen muss.“

„Und seine Mutter?“

„Sie ist vor einigen Jahren gestorben.“

Ihr zog sich das Herz zusammen. Wie furchtbar, so jung die Mutter zu verlieren! Aubrey hatte ihre Mutter siebenundzwanzig Jahre lang gehabt, und es erschien ihr nicht annähernd genug. „Armes Kerlchen“, sagte sie leise. „Gut, dass du sein Rad repariert hast.“

„Und dir danke, dass du ihm zu einer Hose verholfen hast. Wir Venezianer kümmern uns umeinander.“

Natürlich schloss sie das nicht ein, weil sie keine Venezianerin war, doch es fühlte sich trotzdem so an, als meinte er sie auch damit.

Was sie daran erinnerte, wie sehr sie sich wünschte, die nächsten Monate in dieser Stadt verbringen zu können. Enzo Affini dagegen hatte ihr vorhin deutlich klargemacht, dass er sie als Mitarbeiterin der Klinik nicht haben wollte.

„So.“ Aubrey straffte die Schultern und sah ihm in die Augen. „Wir hatten uns über meinen Job und meine Zukunft hier unterhalten. Aber ich sage dir gleich, dass ich nicht gehen werde.“

„Nein?“ Seine Mundwinkel zuckten amüsiert, doch dann tauchte wieder die steile Falte zwischen den Brauen auf. „Und wenn der Direktor der Klinik, also meine Person, dir sagt, dass er darauf besteht? Dass er dir woanders in Italien eine Stelle besorgt?“

„Ich habe schon zwei Monate in Rom gearbeitet. Und ich bin nach Venedig gekommen, weil ich hier sein möchte. Habe ich dir nicht gerade bewiesen, wie gut wir zusammenarbeiten?“

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