Ein Prinz – und doch kein Gentleman

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Als Prinz Alexander nach dem Sturz von seiner Luxusjacht in einer Strandhütte erwacht, kann er sich an nichts mehr erinnern. Er weiß nur, die hinreißende Schönheit, die ihn aus den Wellen gerettet hat, raubt ihm den Atem. Mit jedem Tag begehrt er die aparte Forscherin mehr, und mit jeder Nacht, die er Josephine auf der paradiesischen Mittelmeerinsel in seinen Armen hält, wird ein Leben ohne sie unvorstellbarer. Doch als Alexanders Gedächtnis wiederkehrt, scheint eine gemeinsame Zukunft undenkbar, denn auf ihn wartet nicht nur ein Thron, sondern auch eine standesgemäße Braut …


  • Erscheinungstag 16.07.2019
  • Bandnummer 2397
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712327
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

Prinz Alexander Julius Alberici hatte gewusst, dass sein Leben sich ändern würde. Wegen seiner Hochzeit mit Prinzessin Danielle Ende Juni musste er nach Aargau zurückkehren. Nach der Trauung und dem Empfang war eine zweiwöchige Hochzeitsreise geplant. Danach könnte er endlich zusammen mit seiner Frau nach Paris zurückfliegen, wo er einer internationalen Umweltschutzorganisation vorstand, die fragile Ökosysteme nachhaltiger gestalten wollte.

Seine Arbeit war seine Passion. Danielle wollte ihn dabei unterstützen, was bei einer arrangierten Ehe ein Vorteil war. Bei der Verlobung hatte sie zugestimmt, dort zu leben, wo Alexander lebte. Beide wussten natürlich, dass ihr Lebensmittelpunkt das Inselkönigreich sein würde, sobald Alexander als Nachfolger seines Vaters den Thron bestieg.

Bis dahin – so dachten alle – würden aber noch viele Jahre vergehen. Schließlich war sein Vater ein starker, athletischer Mann und ein mächtiger König. Doch dann wurde er seine Erkältung einfach nicht los. Gegen den hartnäckigen Husten halfen auch keine Antibiotika. Mitte April stand die Diagnose fest: Lungenkrebs. König Bruno Titus Alberici blieben nur noch wenige Monate. Es war unfassbar.

Alexander hatte seinem Vater nie nahegestanden. König Bruno wurde zwar von seinem Volk verehrt, doch im Privatleben war er kalt und nachtragend. Trotzdem konnte sich Alexander die Welt ohne seinen kämpferischen, kompromisslosen Vater nicht vorstellen. Bruno regelte seinen Tod nun ebenso entschlossen, wie er sein Leben geregelt hatte, ohne Emotionen oder Schwäche. Es sollte keine Änderungen im Leben oder Protokoll des Palastes geben. Alexanders für Ende Juni geplante Hochzeit wurde nicht vorverlegt. Der Gesundheitszustand des Königs wurde geheim gehalten. Das Volk sollte nichts erfahren, solange es nicht unbedingt erforderlich war – also erst nach König Brunos Tod.

Wie immer unterstützte Alexanders Mutter, die Königin, ihren Mann. Seit dem Tag der Eheschließung erfüllte sie ihre Pflicht. Nun musste ihr Sohn seine Pflicht erfüllen, indem er heiratete und einen Thronfolger zeugte, damit die Monarchie weiterbestehen konnte.

Alexander konnte sich einfach nicht entspannen. Er fühlte sich schuldig, weil er eine Schiffsreise unternahm, während sein Vater zu Hause immer schwächer wurde. Aber seine Eltern hatten darauf bestanden, dass er an Bord ging, um den Schein zu wahren. Ruhelos öffnete er die Schiebetür seiner Kabine, ging hinaus auf den Balkon und schaute auf das Meer hinaus. Diese Reise sollte der letzte Höhepunkt sein, bevor die Hochzeitsvorbereitungen richtig losgingen. Gerard, Prinz Alexanders bester Freund, hatte eine einwöchige Kreuzfahrt durch die Ägäis und das Ionische Meer organisiert. Dass der Zustand seines Vaters sich so schnell verschlechterte, machte Alexander Sorgen. Daher hatte er die Planung seinen Freunden überlassen, die sich ohnehin viel mehr auf dieses womöglich letzte gemeinsame Abenteuer freuten als er selbst. Nun wünschte er jedoch, er hätte sich wenigstens die Gästeliste zur Prüfung vorlegen lassen.

Die Jacht war groß, neu und äußerst luxuriös. Sie verfügte über zwei Pools, einen Sportplatz, eine Disco und ein Kino. Doch all der Luxus konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie auf dem Schiff gefangen waren. Was nicht schlimm wäre, wenn alle gut miteinander auskämen. Dummerweise hatte Gerard nicht verhindert, dass Alexanders Cousin Damian Anton Alberici in Begleitung erschien.

Mit Claudia – Alexanders Exfreundin. Ihre Trennung vor sechs Monaten war sehr bitter gewesen. Alexander war überrascht und peinlich berührt, als er herausfand, dass Damian nun mit Claudia liiert war. Aber warum brachte er sie mit an Bord? Das machte die Situation doch für alle unangenehm.

Am liebsten wäre Alexander wieder nach Hause zurückgekehrt. Dabei war es dort auch nicht gerade angenehm. Sein Vater baute gesundheitlich rasant ab. Seine Mutter wurde mit der tödlichen Diagnose nicht fertig. Die Bediensteten des Palastes, die zur Geheimhaltung verpflichtet waren, schlichen bedrückt und nervös durch die Räume. Dennoch zeigte niemand, was in ihm vorging. Alle erfüllten ihre Pflicht.

Je eher die Hochzeit stattfand, desto besser. Prinzessin Danielle Roulet und er passten gut zueinander. Sie war schön, wohlerzogen und beherrschte mehrere Sprachen, was für die zukünftige Königin von Aargau sehr wichtig war. Außerdem war sie gebildet und elegant. Es war keine Liebesheirat, aber ihre Ehe würde erfolgreich sein. Sie beide kannten ihre Pflichten und ihre Verantwortung. Am entscheidendsten aber war, dass die Hochzeit dem Volk von Aargau einen Grund zum Feiern bot. Das war gut, wenn bald ein neuer Herrscher übernehmen musste.

Wenn er die Jacht doch bloß verlassen und zu seiner Familie zurückkehren könnte. Sie brauchten ihn, auch wenn seine Eltern das Gegenteil behaupteten. Alexander fand an diesem letzten Ausflug als Junggeselle so gar keinen Gefallen.

1. KAPITEL

Josephine wünschte, die Jacht würde endlich verschwinden. Das Mittelmeer war riesengroß. Allein in Griechenland gab es Hunderte von Inseln. Seit zwei Tagen lag die Luxusjacht nun schon vor der Bucht ihrer winzigen Insel Kronos. Jo hatte genug von den endlosen Partys, der lauten Musik und dem schrillen Gelächter.

Am Vormittag waren die Partyzecher mit ihrem lauten Schnellboot sogar auf die Insel gekommen. Jo hatte sich am oberen Ende der Bucht versteckt und zugesehen, wie sie ihren Strand in Beschlag nahmen. In ihren knappen Bikinis sahen die jungen Frauen atemberaubend aus. Die Männer waren schlank, durchtrainiert und sehr attraktiv. Während die Frauen in den Wellen herumplanschten, sonnten sich die Männer am Strand. Auch hier ging die Party weiter. Es gab viel Alkohol und andere Dinge, bei denen Josephine angewidert die Nase rümpfte. Nur einer der Männer trank nicht, rauchte nicht und hatte auch keinen Sex am Strand. Oft saß er allein, manchmal umringten ihn die anderen. Er war eindeutig der Mittelpunkt der Gruppe.

Jo beobachtete die Eindringlinge auf ihrem Strand aus reiner Neugier und mit ein wenig Verachtung. Sie pflegten eindeutig den verwöhnten, dekadenten Lebensstil der Privilegierten und derer, die in diese elitären Kreise eingeladen wurden. Ihr Vater sagte immer, sie verurteile solche Menschen nur, weil sie nie dazugehören würde. Das mochte stimmen. Aber sie nutzte viel lieber ihren Verstand und half ihrem Vater, einem der weltweit führenden Vulkanologen, bei seiner Arbeit. Ihr alter Herr erforschte Griechenlands Vulkane, deshalb lebten sie hier mitten in der Ägäis.

Zu Josephines Aufgaben gehörte es, seine Forschungsergebnisse zu dokumentieren. Ohne ihre Hilfe hätte er die vielen Resultate gar nicht erzielen können. Das gab er selbst zu. Nach Feierabend widmete sie sich ihrer wahren Leidenschaft, dem Zeichnen und Malen. Sie hatte nur noch wenig Zeichenpapier und Leinwand übrig, aber in zehn Tagen würde ihr Vater zurückkehren und ihr neues Material mitbringen. Das tat er immer.

An diesem Nachmittag hatte sie ihr Skizzenbuch mit zu den Felsen oberhalb der Bucht genommen, um den Mann zu zeichnen, der ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Er schien nicht von dieser Welt mit seinen dichten dunklen Haaren und seinen geraden schwarzen Augenbrauen über den hellen Augen – blau oder grau, sie war sich nicht sicher. Auch aus der Ferne sprachen seine Gesichtszüge die Künstlerin in ihr an: sein markantes Kinn, die hohen Wangenknochen, die vollen, festen Lippen. Mit dem Kohlestift in der Hand musterte sie das Gesicht, das sie gezeichnet hatte. Seine Züge waren fast zu perfekt, die Unterlippe etwas voller als die Oberlippe. Wenn sie doch nur näher an ihn herankönnte, damit sie die Farbe seiner Augen erkennen konnte.

Noch faszinierender war die Art, wie er auf dem Stuhl saß. Die breiten Schultern gestrafft, das Kinn erhoben, unbeweglich. Er strömte Macht und Kontrolle aus. Josephine blickte von ihrem Zeichenblock auf, um ihr Werk mit dem Original zu vergleichen. Ja, sie hatte seinen drahtigen, muskulösen Körper und die harte Linie seines Kiefers gut getroffen, doch sein Ausdruck war nicht ganz richtig. Gerade der hatte sie fasziniert. Sie hatte ihn immerzu ansehen müssen. War er gelangweilt oder unglücklich? Warum wirkte er, als wäre er lieber ganz woanders und nicht an diesem Strand zusammen mit diesen Leuten?

Er war ihr ein Rätsel. Eines, das sie gern lösen wollte. Plötzlich erhob er sich. Sofort standen auch alle anderen auf, packten ihre Sachen zusammen und gingen zum Boot. Gut, dachte sie und klappte ihren Zeichenblock zu. Dennoch war sie irgendwie enttäuscht, als das Schnellboot den mysteriösen Besucher wieder zur Jacht zurückbrachte. Dies war der faszinierendste Mann, den sie je gesehen hatte. Und nun war er fort.

Am Abend überprüfte Josephine noch einmal die Geräte in der Hütte und war gerade auf dem Weg ins Haus, als sie von der Bucht her laute Stimmen hörte, wie bei einem Streit. Sie ging zum Strand und lauschte.

Wie immer war die Jacht hell erleuchtet, und laute Musik klang herüber. Auf dem obersten Deck sah sie Paare, die sich unterhielten und tranken. Andere befanden sich auf dem Deck darunter und wieder andere am hinteren Ende der Jacht im Schatten.

Die Schiffsmotoren brummten, und die Jacht bewegte sich. Josephine tat es leid, dass der geheimnisvolle Mann abreiste. Aber sie war froh, dass der Lärm und die schreckliche Musik endlich aufhörten. Plötzlich hörte sie vom hinteren Ende der Jacht einen unterdrückten Schrei und sah, wie jemand über Bord ging. Genau dort, wo zuvor Leute im Schatten gestanden hatten.

Sie lief ans Wasser, um nachzuschauen, ob die Person wieder an die Oberfläche kam. Aber nichts geschah. Josephine konnte nicht einfach dastehen, während da draußen jemand ertrank. Schnell zog sie ihr Strandkleid aus, tauchte unter den Wellen hindurch und schwamm zu dem Punkt, wo die Jacht die letzten zwei Tage geankert hatte. Sie tauchte und versuchte, in der Dämmerung etwas zu erkennen, aber alles war so dunkel. Nicht weit von ihr fiel das Korallenriff steil ab, und das tiefe Gewässer begann. Josephine suchte weiter. Ihre Lungen brannten. Sie wollte gerade aufgeben und an die Oberfläche zurückkehren, als sie plötzlich Stoff spürte und etwas Warmes. Ein Brustkorb, Schultern. Starke breite Schultern. Ein Mann.

Sie packte ihn unter dem Kinn und betete, dass sie genug Kraft haben würde. Sie brauchte dringend Luft. Mit aller Kraft zog sie ihn nach oben. Nie zuvor war sie so entschlossen geschwommen. Sie war praktisch im Ozean aufgewachsen, war immer geschwommen und tief getaucht, hatte Unterwasserhöhlen erforscht und das Riff. Kleine Punkte tanzten vor ihren Augen, doch sie kämpfte weiter. Sicher war es Schicksal, dass sie da war, als er über Bord ging. Sie sollte ihn retten.

Endlich tauchte sie auf, schnappte nach Luft und zog seinen Körper mit letzter Kraft auf den feuchten festen Sand hinauf, weit weg von der Brandung. Dann rollte sie ihn auf die Seite, damit das Wasser aus Mund und Nase ablaufen konnte. Erst als sie ihn wieder auf den Rücken drehte, erkannte sie, wen sie da gerettet hatte. Es war dieser wunderschöne, nachdenkliche Mann, der sie so fasziniert hatte.

Schon vor Jahren hatte ihr Vater ihr beigebracht, wie man jemanden wiederbelebte. Sie erinnerte sich an das Wesentliche. Beherzt kniff sie dem Mann die Nase zu, atmete fünfmal kräftig in seinen Mund und führte dreißig Herzdruckmassagen durch. Dann legte sie das Ohr an seinen Mund und lauschte. Nichts. Erneut atmete sie zweimal kräftig in seinen Mund und wiederholte die Herzdruckmassage. Wieder lauschte sie und beobachtete seinen Brustkorb, um ein Lebenszeichen zu entdecken.

Atme, atme. Du musst leben! Sie betete und wiederholte die Prozedur immer wieder. Als sie fast keine Hoffnung mehr hatte, hob sich plötzlich sein Brustkorb, wenn auch nur ein wenig. Entschlossen blies Jo erneut zweimal in seinen Mund. Diesmal spürte sie, wie er ausatmete, und sah, wie seine Brust sich deutlich hob und senkte. Sein Atemzug war rau und mühevoll, aber er lebte.

Tränen traten ihr in die Augen. Mit zitternden Händen strich sie sich die langen, nassen Haare hinter die Ohren. Sie hatte ihn wirklich gerettet. Doch was jetzt? Er brauchte ärztliche Hilfe, aber ihr Funkgerät war kaputt. Ihr Vater würde bei seiner Rückkehr sicher ein neues mitbringen, doch bis dahin würden noch Tage vergehen. Normalerweise machte es ihr nichts aus, von der Außenwelt abgeschnitten zu sein. Sie war schon wochenlang ohne jegliche Kommunikation ausgekommen. Aber was sollte sie nun tun?

Sie runzelte die Stirn und blickte auf das Meer hinaus. Die Bucht war leer, die Jacht nur noch ein kleiner leuchtender Punkt am Horizont. Warum hatte niemand bemerkt, dass er über Bord gegangen war? Wie konnten sie einfach ohne ihn weiterfahren?

Sanft strich sie ihm das Haar aus dem Gesicht. Erst da bemerkte sie das Blut an seiner Schläfe. Er hatte eine klaffende Wunde an der Stirn. Offenbar hatte er sich verletzt, bevor er über Bord fiel oder gestoßen wurde. Sie hatte laute Stimmen gehört, einen Streit. Das hatte ihre Aufmerksamkeit erregt, ebenso wie das Brummen der Schiffsmotoren. Es sah aus, als hätte ihn jemand niedergeschlagen. Aber warum?

Blinzelnd schlug er die Augen auf. Sein Kopf schmerzte. Alles tat weh. Er wollte sich aufrichten, doch die Welt um ihn herum schwankte und drehte sich. Wieder blinzelte er. Warum ist alles so verschwommen? Fast, als wäre er unter Wasser. Doch durch den Nebel sah er eine Frau, die sich mit besorgter Miene über ihn beugte. Er versuchte, sich zu erinnern. Kenne ich die Frau? Wenn ja, woher?

Aber er war zu schwach. Er schloss die Augen und versank erneut in der Dunkelheit. Nach einer Weile wurde er von einem hämmernden Schmerz in seinem Kopf wieder geweckt. Vorsichtig öffnete er die Augen.

Sanftes Licht fiel in das Zimmer. Da war eine Frau. Sie trug ein weites weißes Kleid. Der durchscheinende Stoff umspielte ihre nackten Beine. Ihr Haar war lang und wellig und reichte ihr fast bis zur Taille. An dem kleinen quadratischen Fenster blieb sie stehen und sah nachdenklich hinaus.

Ist sie ein Engel? Vielleicht bin ich ja tot und im Himmel – dabei verdiene ich es nicht, in den Himmel zu kommen. Merkwürdiger Gedanke, aber wahr. Er wollte sich aufsetzen, doch sofort wurde ihm übel. Stöhnend ließ er den Kopf wieder auf das Kissen sinken. Nein, er war nicht tot. Sonst würde ihm nicht alles so wehtun.

Die engelhafte Frau musste sein Stöhnen gehört haben, denn sie drehte sich um und kam zu ihm. Sie war jung und wunderschön! Sie konnte nicht real sein. Vielleicht hatte er ja Fieber und halluzinierte. Als sie sich neben ihn kniete, tauchten die Sonnenstrahlen sie in ein helles Licht und betonten ihr langes goldbraunes Haar, ihre sanft geschwungenen Brauen, die hohen Wangenknochen und vollen Lippen.

Endlich kommt er zu sich. Josephine ging zu ihm und kniete sich neben das Bett. „Hallo“, sagte sie auf Englisch, bevor ihr einfiel, dass Englisch wahrscheinlich nicht seine Muttersprache war. Am Strand hatten sich die meisten auf Französisch unterhalten, einige sprachen Italienisch. „Wie fühlen Sie sich?“, fragte sie auf Französisch.

Er blinzelte und versuchte, sich zu konzentrieren. Seine Augen waren leuchtend blau – ein interessanter Kontrast zu seinen langen dichten schwarzen Wimpern.

Sie wechselte ins Italienische. „Wie geht es Ihnen?“

Er zog die Augenbrauen zusammen und fragte dann auf Italienisch: „Chi sei?“ Wer sind Sie?

„Josephine“, antwortete sie, als er langsam die Hand hob und seinen Kopf berührte, wo sich auf der Wunde Schorf gebildet hatte. „Vorsicht“, fügte sie auf Italienisch hinzu. „Sie haben sich verletzt. Es hat endlich aufgehört zu bluten.“

„Was ist passiert?“

„Sie waren auf einer Jacht und sind über Bord gegangen.“

„Eine Jacht?“, wiederholte er auf Italienisch.

„Ja. Sie waren mit Freunden zusammen.“

„Wo bin ich?“, fragte er leise. Seine Stimme klang tief und rau.

„Auf Kronos. Einer kleinen Insel vor Anafi“, antwortete sie.

„Kenne ich nicht.“

„Anafi ist sehr klein, und Kronos ist noch kleiner. Es ist eine Privatinsel, eine Forschungsstation der Internationalen Stiftung für Vulkanologie …“ Sie verstummte, als sie bemerkte, dass er nicht wirklich zuhörte. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. „Haben Sie Schmerzen?“

Er nickte. „Mein Kopf“, presste er mühsam hervor.

Sie legte die Hand auf seine Stirn. Zum Glück fühlte er sich jetzt kühler an. „Sie hatten letzte Nacht Fieber, aber es scheint vorbei zu sein.“ Sie zog die Hand zurück und musterte ihn. „Ich möchte gern versuchen, ob Sie etwas Wasser bei sich behalten. Wenn ja, können wir es mit Suppe …“

„Ich habe keinen Hunger. Ich möchte nur etwas gegen die Schmerzen.“

„Ich habe Tabletten, die gegen die Kopfschmerzen helfen sollten. Aber erst müssen Sie etwas essen. Sonst bekommen Sie Magenprobleme wegen der Medikamente.“

Er sah sie an, als hätte er nicht verstanden. Vielleicht glaubte er ihr ja nicht, denn sein Blick verfinsterte sich, und er presste die Lippen zusammen, wodurch sein markantes, nun mit dunklen Bartstoppeln übersätes Kinn betont wurde. Schon von Weitem war er attraktiv gewesen, aber aus der Nähe wirkte er einfach umwerfend. Sein schwarzes Haar und die dunklen Brauen bildeten einen imposanten Kontrast zu seinen leuchtend blauen Augen. Seine Züge waren prägnant, wie gemeißelt.

Als er ihr in die Augen sah, beschleunigte sich ihr Puls. „Es ist schon fast einen Tag her, seit ich Sie aus dem Meer gezogen habe …“

„Wie bin ich hierhergekommen?“, unterbrach er sie.

„Mit Ihrer Jacht …“

„Das mit der Jacht verstehe ich nicht.“ Er runzelte die Stirn und versuchte erneut, sich aufzusetzen. Dabei stöhnte er auf und fluchte leise. „Wann war ich auf der Jacht?“

„Die letzten paar Tage. Vielleicht auch mehr als eine Woche.“ Sie setzte sich zurück und musterte ihn. „Erinnern Sie sich nicht?“

Er schüttelte den Kopf.

„Woran erinnern Sie sich denn?“

Er dachte einen Moment nach und zuckte dann verärgert mit den breiten sonnengebräunten Schultern. „An nichts.“ Seine Stimme klang hart, seine Aussprache war klar. Er strömte Autorität und Anspannung aus.

Mit großen Augen sah sie ihn an. „Sie wissen nicht, wer Sie sind? Wie Sie heißen? Wie alt Sie sind?“

„Nein. Aber ich weiß, dass ich dringend auf die Toilette muss. Können Sie mir den Weg zeigen?“

Am Abend bereitete Josephine ein leichtes Abendessen vor und unterhielt sich mit ihrem Gast, während sie gegrilltes Gemüse und Hühnchen mit Zitronen-Knoblauch-Sauce auf die Teller füllte. Sie hatte Mühe, ihre Besorgnis wegen seines totalen Erinnerungsverlustes zu verbergen. „Ich denke, Sie sind Italiener“, sagte sie und trug die Teller zu dem kleinen rustikalen Tisch, der als Raumteiler zwischen Wohnzimmer und Küche diente. „Auf diese Sprache haben Sie reagiert.“

„Ich fühle mich nicht wie ein Italiener.“ Er zog eine Grimasse. „Kann man seine Nationalität überhaupt spüren?“

„Ich weiß nicht“, antwortete sie und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. „Würde ich an einem mir unbekannten Ort aufwachen, würden mich fremde kulturelle Gepflogenheiten sicher verwirren.“

„Erzählen Sie mir von den Leuten, mit denen ich zusammen war.“

„Sie waren alle in Ihrem Alter. Einige der Mädchen schienen jedoch jünger. Sie sahen alle sehr gepflegt aus. Wohlhabend.“ Sie zögerte. „Privilegiert.“

Er schwieg.

„Jeder schien sich gut zu amüsieren. Außer Ihnen. Ich weiß nicht, ob Sie gelangweilt waren oder Ihnen etwas Sorgen bereitete“, fügte sie hinzu, „doch Sie haben sich oft von den anderen ferngehalten. Und die ließen Ihnen Ihren Freiraum. Deshalb nahm ich an, dass Sie so eine Art Anführer waren.“

„Anführer?“, fragte er spöttisch. „Von was? Einer Diebesbande? Von Piraten? Schuljungen in den Ferien?“

„Den Spott können Sie sich sparen“, erwiderte sie und erhob sich. Doch er hielt sie am Handgelenk fest.

„Gehen Sie nicht.“

Seine Haut fühlte sich so warm an. Josephine lief ein heißer Schauer über den Rücken. Sie war erschöpft, weil sie die ganze Nacht und den ganzen Tag über ihn gewacht und sich um ihn gesorgt hatte. Nun war es wieder Abend, und sie war unendlich müde. „Ich versuche nur, Ihnen zu helfen“, sagte sie und zog ihre Hand weg.

„Tut mir leid. Bitte, setzen Sie sich. Bleiben Sie.“ Seine Worte waren höflich, sein Ton jedoch befehlsgewohnt.

Josephine runzelte die Stirn, setzte sich aber wieder und nahm die Gabel in die Hand. Doch sie war viel zu müde zum Essen.

Das Schweigen dauerte an. Sie spürte, dass er sie musterte. Und es machte sie nervös. Widerstrebend begegnete sie seinem Blick. „Ich dachte, Sie sind hungrig“, bemerkte sie, als sie sah, dass er auch noch nichts gegessen hatte.

„Ich warte auf Sie.“

„Ich habe keinen Appetit mehr.“

„Liegt das an der Gesellschaft?“

Sie lächelte leicht. „Nein. Ich bin nur unendlich müde.“

„Sie waren sicher die ganze Nacht wach und haben sich meinetwegen Sorgen gemacht.“

„Das stimmt, aber Sie haben es geschafft und sind noch hier.“

„Ohne Erinnerung und ohne Namen.“

„Ich könnte ja verschiedene Namen aufzählen, und Sie sagen mir, ob einer davon sich richtig anfühlt.“

„Nein“, entgegnete er nach kurzem Zögern, „ich will meinen richtigen Namen oder gar keinen. Erzählen Sie mir etwas über sich“, drehte er den Spieß um. „Warum sind Sie hier auf dieser offensichtlich verlassenen Insel?“

„Sie ist nicht verlassen. Diese Insel ist eine von fünf Forschungsstationen der Internationalen Stiftung für Vulkanologie. Mein Vater ist Vulkanologe. Wir sollten ein Jahr hier verbringen, aber mittlerweile sind es schon acht.“

„Wo ist er jetzt?“

„Auf Hawaii.“ Sie bemerkte seinen Gesichtsausdruck und fügte hinzu: „Er ist Professor an der Universität von Hawaii. Er wechselt zwischen Lehrtätigkeit und Forschung. Im Moment ist er in Honolulu und hält Vorlesungen, aber Ende des Monats kommt er zurück, also in neun Tagen.“

„Er hat Sie hier ganz allein gelassen?“

Sie straffte die Schultern. „Für mich ist das normal. Ich mag die Einsamkeit. Die Ruhe ermöglicht es mir, meine eigene Arbeit zu tun, was nicht geht, wenn mein Vater hier ist. Dann dreht sich alles um ihn.“

„Und Ihre Mutter?“

„Sie starb kurz vor meinem fünften Geburtstag.“

„Das tut mir leid.“

Sie hob die Schultern. „Ich erinnere mich nicht an sie.“

„Würde sie Ihren Lebensstil hier gutheißen?“

„Sie war auch Vulkanologin und hat auf Hawaii zehn Jahre mit meinem Vater zusammengearbeitet. Ich denke, sie würde es gutheißen. Vielleicht wäre sie enttäuscht, dass ich nicht aufs College gegangen bin, so wie sie. Ich hatte mein Leben lang Privatunterricht, auch im Studium. Mein Vater sagt, ich sei viel weiter als seine Studenten im Aufbaustudium. Allerdings musste ich nie mit anderen konkurrieren. Ich arbeite einfach.“

„Was haben Sie studiert?“

„Ich bin auch Vulkanologin, obwohl ich lieber dort bin, wo Archäologie und Vulkanologie zusammenkommen.“

„Am Vesuv?“

Sie nickte. „Genau. Ich hatte das Glück, zusammen mit meinem Vater am südwestlichen Abschnitt des Vesuvs zu arbeiten, wo Wissenschaftler mithilfe der archäologischen und historischen Daten herausfinden konnten, wo und wie viel Lava in den letzten paar tausend Jahren ausgeworfen wurde. Mich faszinieren nicht nur die untergegangenen Zivilisationen, sondern auch die Macht dieser Vulkane, ganze Landschaften neu zu formen und die Geschichte der Menschheit zu beeinflussen.“

„Hört sich nicht so an, als hätten Sie etwas verpasst, nur weil Sie zu Hause unterrichtet wurden.“

Sie lächelte leicht. „Ich wurde nicht richtig sozialisiert, sagt zumindest mein Vater. Ich fühle mich in Städten und Menschenmengen nicht wohl. Glücklicherweise ist das hier kein Problem.“

„War Ihre Mutter auch Amerikanerin?“

„Frankokanadierin, aus Quebec. Deshalb heiße ich Josephine.“ Ihr Lächeln verschwand, als sie sah, wie er die Lippen zusammenpresste. „Sie werden sich an Ihren Namen erinnern“, sagte sie leise. „Es braucht nur seine Zeit.“

„Sie haben Französisch mit mir gesprochen, richtig?“

„Ich habe mehrere Sprachen ausprobiert. Auf Italienisch haben Sie reagiert, deshalb bin ich bei Italienisch geblieben. Parlez-vous français?

„Oui.“

„Und Englisch?“, fragte sie und wechselte erneut die Sprache. „Verstehen Sie mich?“

Er nickte. „Ja.“

„Wie gut sprechen Sie es?“, fragte sie weiter auf Englisch, um ihn zu prüfen. „Haben Sie Schwierigkeiten, mir zu folgen?“

„Nein. Es ist genauso wie mit Italienisch.“

Er hatte fast keinen Akzent. Sein Englisch war fließend, seine Aussprache eher amerikanisch als britisch. Wahrscheinlich war er irgendwann in den USA zur Schule gegangen. „Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir uns weiter auf Englisch unterhalten?“

„Nein.“

„Sollten Sie aber Kopfschmerzen dadurch bekommen oder …“

„Kein Grund zur Sorge. Mir geht es gut.“

Sie wollte widersprechen, ließ es dann aber. Dieser Mann schien es gewohnt zu sein, das letzte Wort zu haben. Wer war er? Und warum strahlte er auch jetzt eine gewisse Macht aus?

„Erzählen Sie mir mehr über die Leute, mit denen ich auf der Jacht war“, bat er. „Erzählen Sie mir alles, was Sie wissen.“

„Das werde ich, sobald Sie etwas gegessen haben.“

„Ich habe keinen Hunger mehr.“

„Merkwürdig. Meine Erinnerung scheint auf einmal auch zu verschwinden.“

Missmutig sah er sie an. „Das ist nicht lustig.“

„Stimmt. Aber Sie haben eine Menge hinter sich und müssen wieder zu Kräften kommen. Da ich für Ihre Pflege verantwortlich bin …“

„Ich mag es, verhätschelt zu werden.“

„Und ich verhätschele niemanden. Essen Sie, und ich erzähle Ihnen alles. Wenn nicht, können Sie gern die beleidigte Leberwurst spielen. Ich habe Besseres zu tun, als mich mit Ihnen zu streiten.“

Er hob die Brauen und presste die Lippen aufeinander. Ganz offensichtlich gefiel ihm die Situation nicht. Doch dann nahm er die Gabel, aß einen Bissen und dann noch einen. Bald hatte er den Teller leergegessen. Einmal hob er den Kopf und sah sie an. „Das schmeckt übrigens gut. Sehr gut.“

„Danke.“

„Haben Sie das gekocht? Wie?“

„Ich habe eine Gefriertruhe und benutze den Röstofen draußen, um die Kartoffeln zu rösten und zu backen. Den Rest mache ich auf dem Herd.“

„Röstofen?“

„Darin kann man auch wunderbar Fladenbrot und Pizza machen. Ich habe das Kochen im Röstofen in Peru gelernt. Ich habe Peru geliebt. Mein Vater liebte den Stratovulkan.“ Bei der Erinnerung daran, wie aufgeregt er gewesen war, als der Sabancaya Asche spuckte und den Berg erzittern ließ, lächelte sie. Ohne die Frauen im Dorf wäre Josephine sich selbst überlassen gewesen. Sie nahmen Vater und Tochter auf und lehrten Josephine das Kochen. Als Gegenleistung passte Josephine auf die Kinder auf, damit die hart arbeitenden Mütter mal eine Pause bekamen.

„Wo haben Sie sonst noch gelebt?“

„Washington State, Hawaii, Peru und Italien. Letzteres aber nur sehr kurz, und dann hier. Hier sind wir jetzt am längsten.“

„Waren alle Orte so abgelegen wie dieser?“

Autor

Jane Porter
Bereits in der Grundschule schrieb Jane ihr erstes Manuskript: Es war 98 Seiten lang und wurde von einem Jungen in ihrer Klasse zerrissen. Jane weinte, der Junge musste die zerrissenen Seiten zusammenkleben und kam mit einer Verwarnung davon, während Jane fürs Schreiben im Unterricht bestraft wurde und so lernte, dass...
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