Ein unmoralisches Angebot

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Für eine leichtlebige junge Dame hält Guy, Viscount Renshaw, die entzückende Sarah Sheridan. Und als er sie auf einem Ball in einem verschwiegenen Winkel entdeckt, reißt sein leidenschaftliches Begehren ihn dazu hin, sie stürmisch zu küssen. Verzaubert von den erregenden Zärtlichkeiten des Viscounts vergisst Sarah die Etikette. Sie lässt sich von ihren Gefühlen überwältigen und erwidert seine heißen Küsse. Doch jäh erwacht sie aus dem Taumel der Sinne, als der Mann, der sie schon lange fasziniert, ihr ein äußerst unmoralisches Angebot macht


  • Erscheinungstag 28.10.2008
  • Bandnummer 10
  • ISBN / Artikelnummer 9783863499785
  • Seitenanzahl 256
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL
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Mr. Julius Churchward, Repräsentant der angesehenen Londoner Anwaltskanzlei gleichen Namens, war imstande, eine Vielzahl von Mienen aufzusetzen, unter denen er je nach Natur der Mitteilung, die er seinen aristokratischen Klienten zu machen hatte, die Auswahl traf. Er befleißigte sich einer mitfühlenden, wenngleich ernsten Miene, wenn er die Neuigkeit bekannt zu geben hatte, dass die Höhe eines Erbes beträchtlich kleiner als erwartet ausfiel. Seine Miene war mitfühlend, wenngleich bedauernd, wenn es um das Vorhandensein illegitimer Nachkommen und Treuebruch ging. Schließlich konnte er noch eine für alle Zwecke genügende betrübte Miene aufsetzen, wenn die genaue Natur des anliegenden Problems unklar war. Auf diese dritte Möglichkeit hatte er jetzt zurückgegriffen, während er in Bath vor der Tür von Lady Amelia Fentons schmuckem Haus stand. Er kannte nämlich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, den Inhalt des Schreibens nicht, das er übergeben musste.

Tags zuvor war er von London hergereist, hatte die Nacht in Newbury im „Star and Garter“ verbracht und die Fahrt im Morgengrauen fortgesetzt. Eile war geboten, weil er die Reise im Winter hatte unternehmen müssen, noch dazu kurz vor Weihnachten. Die Morgensonne erwärmte die Sandsteine, aus denen die Häuser in der Brock Street errichtet worden waren, doch die Winterluft war kühl. Mr. Churchward fröstelte in seinem Mantel und hoffte, Miss Sarah Sheridan, Lady Fentons Gesellschafterin, möge nicht mehr beim Frühstück sein.

Ein adrett gekleidetes Hausmädchen öffnete ihm und geleitete ihn in den Salon, den er von einem Besuch vor drei Jahren noch gut in Erinnerung hatte. Bei diesem Besuch hatte er Miss Sheridan die enttäuschende Nachricht übermitteln müssen, ihr Bruder Frank habe ihr kein nennenswertes Erbe hinterlassen. Er dachte an einen weiteren, fünf Jahre zurückliegenden Besuch, bei dem er die noch deprimierendere Neuigkeit verkündet hatte, Lord Sheridan habe seiner Tochter nur einen kleinen Geldbetrag vererbt, durch den sie vor völliger Armut bewahrt wurde. Sie hatte diese Mitteilung mit Fassung ertragen und erwidert, sie habe nur wenige materielle Wünsche. Durch ihre Einstellung hatte sie seine Bewunderung errungen.

Mr. Churchward war sich Miss Sheridans misslicher Lage sehr bewusst. Eine Dame von ihrer Herkunft sollte seiner Meinung nach nicht als Gesellschafterin arbeiten, selbst nicht bei einer so wohlwollenden Verwandten wie ihrer Cousine. Er war überzeugt, dass Lady Fenton viel zu großzügig war, um Miss Sheridan je das Gefühl zu geben, nur eine arme Verwandte zu sein. Trotzdem fand er es unpassend, dass Miss Sheridan bei ihr beschäftigt war. Da sie jung und recht hübsch war, hatte er jahrelang gehofft, sie werde eine gute Partie machen. Inzwischen waren jedoch drei Jahre verstrichen, und sie hatte noch immer nicht geheiratet.

Traurig schüttelte er den Kopf und wartete. Er bemühte sich, niemanden zu bevorzugen. Das wäre sehr ungehörig gewesen, da er so viele hoch stehende Klienten hatte. In Miss Sheridans Fall machte er jedoch eine Ausnahme.

Die Tür ging auf, und Sarah betrat mit ausgestreckter Hand, ganz so, als sei er ein guter Freund und nicht der Überbringer möglicherweise schlechter Nachrichten, den Salon.

„Mein lieber Mr. Churchward! Wie geht es Ihnen, Sir? Das ist ein unerwartetes Vergnügen!“

Er war sich dessen nicht so sicher. Der Brief, den er bei sich hatte, schien schwer in seinem Portefeuille zu wiegen. Aber im hellen Tageslicht schienen solche Gedanken töricht zu sein. Der Salon war vom lichten Schein der Wintersonne erfüllt, der voll auf Miss Sheridan fiel. Sie war jedoch eine Frau, deren Gesicht und Figur selbst im unschmeichelhaftesten Licht noch bezaubernd wirkten. Sie hatte einen frischen, rosigen Teint, und das schlichte Musselinkleid brachte ihre schlanke Gestalt gut zur Geltung.

„Wie geht es Ihnen, Miss Sheridan? Ich hoffe, Sie befinden sich bei guter Gesundheit?“

Mr. Churchward nahm Platz und räusperte sich. Es erstaunte ihn, dass er nervös war. Er war so nervös, dass er keine Lust hatte, über das Wetter oder die Reise zu reden. Er machte das Portefeuille auf und nahm das einfache weiße Couvert heraus.

„Entschuldigen Sie meine Direktheit, Madam, doch man hat mich gebeten, Ihnen diesen Brief auszuhändigen. Die Art, wie man dieses Ansinnen an mich gerichtet hat, war ziemlich ungewöhnlich, aber vielleicht möchten Sie erst den Brief lesen, ehe ich weitere Erklärungen abgebe.“ Peinlich berührt wurde er sich bewusst, dass er schwafelte. Miss Sheridans große, schöne Augen waren auf ihn gerichtet und drückten leichte Verwunderung aus.

Sie nahm den Brief an sich und seufzte leicht.

„Aber er ist …“

„Von Ihrem verstorbenen Bruder. Ja, Madam.“ Mr. Churchward bediente sich seiner für alle Zwecke geeigneten ernsten Miene, war jedoch überzeugt, lediglich den ängstlichen Gesichtsausdruck eines Menschen aufgesetzt zu haben, der eine Situation nicht vollständig in der Hand hat. „Vielleicht lesen Sie, was Lord Sheridan Ihnen geschrieben hat.“

Miss Sheridan machte keine Anstalten, den Brief zu öffnen. Mit gesenktem Kopf betrachtete sie die ihr vertraute Handschrift, und das Sonnenlicht ließ die unter der Haube hervorlugenden Strähnen ihres Haars golden und bernsteinfarben schimmern.

„Kennen Sie den Inhalt dieses Briefs, Mr. Churchward?“

„Nein, Madam, ich kenne ihn nicht.“ Der Anwalt hatte leicht vorwurfsvoll geklungen, ganz so, als sei von Lord Sheridan ein schwerer Fauxpas begangen worden, indem er ihn nicht in den Inhalt des Schreibens eingeweiht hatte.

Sarah betrachtete einen Moment lang sein Gesicht und ging dann langsam zum Schreibtisch. Mr. Churchward hörte, wie sie den Umschlag mit einem Brieföffner aufschlitzte, und war erleichtert. Bald würde man das Schlimmste wissen.

In dem kleinen Raum herrschte Stille. Mr. Churchward konnte von der Küche her Stimmen und das Klirren von Geschirr hören. Er schaute sich um und sah die Bücherregale an, die mit Bänden, an die er sich von Blanchland her erinnerte, voll gestellt waren. Es waren Werke, die Sir Ralph Covell achtlos aus dem von Lord Sheridan, seinem Großcousin, geerbten Haus geworfen und die Miss Sheridan sehr gern in ihr neues Heim mitgenommen hatte.

Sie schwieg lange, ging schließlich zu dem Ohrensessel, der vor dem Kamin Mr. Churchwards Fauteuil gegenüberstand, und setzte sich. Der Brief fiel ihr auf den Schoß. Dann schaute sie dem Anwalt in die Augen.

„Ich glaube, ich sollte Ihnen Franks Brief vorlesen, Mr. Churchward.“

„Gern, Madam.“ Erwartungsvoll sah er sie an.

„Meine liebe Sarah“, begann sie in trockenem Ton. „Wenn du diesen Brief erhältst, bin ich tot. Du musst mir einen Gefallen tun. Es tut mir leid, dass ich dich darum bitten muss, altes Mädchen. Aber ich habe mehr Vertrauen zu dir als zu sonst jemandem. Also, es geht um Folgendes. Ich habe eine Tochter. Ich weiß, das überrascht dich, und ich bedauere, dass ich dir nichts von ihr erzählt habe. Ehrlich gesagt, habe ich gehofft, dass du das nie erfahren wirst. Natürlich wusste Vater Bescheid. Er hat auch die üblichen Arrangements getroffen. Da weder er noch ich noch am Leben sind, braucht das Kind jemanden, an den es sich Hilfe suchend wenden kann. Deshalb habe ich an dich gedacht. Mr. Churchward wird dir den Rest erzählen. Ich kann dir nur danken und sagen, Gott schütze dich. Dein dich liebender Bruder Frank.“

Miss Sheridan seufzte. Mr. Churchward seufzte. Jeder von ihnen dachte in seiner Weise an den unbekümmerten Frank, Lord Sheridan, der so bedenkenlos ein Kind in die Welt gesetzt, vielleicht fröhlich Vorkehrungen für dessen Zukunft getroffen, aber der Sache nicht die notwendige Aufmerksamkeit gewidmet hatte. Mr. Churchward konnte sich vorstellen, wie Lord Sheridan einen solchen Brief an ihn abgeschickt hatte, bevor er sich in einem weiteren verrückten Versuch, ein Vermögen zu erwerben, der Ostindien-Gesellschaft angeschlossen hatte.

„Mr. Churchward, können Sie mehr Licht in diese geheimnisvolle Angelegenheit bringen, wie Frank das andeutet?“

Miss Sheridan hatte ihn aus den Gedanken gerissen. Er seufzte ein weiteres Mal. „Ich gestehe, Madam, dass ich über Miss Merediths Existenz Bescheid wusste. Ihr verstorbener Vater … Vor siebzehn Jahren kam Lord Sheridan zu mir und bat mich, Regelungen für ein Kind zu treffen. Ich dachte …“

„Sie haben angenommen, es sei sein Kind, nicht wahr?“, fragte Sarah ruhig. Mr. Churchward hätte schwören können, dass er einen Moment lang ein belustigtes Aufflackern in ihren Augen sah, einen Ausdruck, der bei einer jungen Dame, nachdem sie Kenntnis von einem Fehltritt in ihrer Familie erlangt hatte, ganz sicher unangebracht war.

„Nun, ich glaubte …“Verlegen hielt er inne, weil er wusste, wie gefährlich es für einen Anwalt war, Vermutungen zu äußern.

„Die Schlussfolgerung lag auf der Hand“, sagte Sarah freundlich, „insbesondere da mein Bruder damals kaum älter als achtzehn Jahre gewesen sein kann.“

„Junge Männer stoßen sich die Hörner ab.“ Mr. Churchward machte eine nichtssagende Geste. Plötzlich fiel ihm auf, wie unschicklich es war, über eine solche Angelegenheit mit einer jungen, ledigen Dame zu reden. Er räusperte sich betreten und schob die Brille höher auf die Nase. Er bedauerte, dass es notwendig war, Miss Sheridan restlos zu informieren, doch daran ging kein Weg vorbei. Das Beste war, sich so geschäftlich wie möglich zu geben.

„Ich glaube, Madam, das Kind wurde bei einer Familie untergebracht, die in einem Dorf in der Nähe von Blanchland wohnt. Der verstorbene Lord Sheridan hat zu seinen Lebzeiten eine Jahresapanage an einen Dr. John Meredith gezahlt und ihm in seinem Testament einen Legat ausgesetzt. Dr. Meredith ist im letzten Jahr gestorben. Seine Witwe und Tochter lebten damals noch in der Nähe von Blanchland.“

„Ich erinnere mich an Dr. Meredith“, warf Sarah nachdenklich ein. „Er war sehr freundlich und hat mich behandelt, als ich die Masern hatte. Ich glaube, er hatte eine Tochter, ein hübsches Kind, das sieben oder acht Jahre jünger ist als ich. Es wurde in ein Mädchenpensionat gegeben. Ich entsinne mich, dass alle Leute sagten, Dr. Meredith müsse noch andere Einkünfte haben.“ Sie hielt inne und lächelte schwach, weil das die Finanzen des Doktors umgebende Geheimnis jetzt gelöst war.

Das Hausmädchen brachte Erfrischungen, eine Kanne Kaffee für Mr. Churchward und starken Tee für Miss Sheridan. Dadurch wurde das Gespräch unterbrochen, sodass der Anwalt Gelegenheit hatte, das Thema zu wechseln.

„Ich entschuldige mich dafür, Miss Sheridan, dass ich Sie mit einer derartigen Neuigkeit überrascht habe …“

„Oh, Sie müssen sich nicht entschuldigen, Mr. Churchward.“ Sarah lächelte herzlich. „Das alles ist doch nicht Ihre Schuld. Franks Brief habe ich entnommen, dass Sie sich mit mir in Verbindung setzen sollten, falls Miss Meredith Hilfe benötigte.

Wie kann ich ihr behilflich sein?“

Mr. Churchward machte eine unglücklich wirkende Miene. Er griff wieder nach dem Portefeuille und holte einen zweiten Brief heraus, der kleiner war als der erste. Das Papier war auch von schlechterer Qualität und die darauf erkennbare Handschrift kindlich gerundet. „Dieses Schreiben habe ich vor drei Tagen erhalten, Miss Sheridan. Bitte.“

Wieder las Sarah den Text laut vor: „Sehr geehrter Herr, ich schreibe Ihnen, weil ich dringend auf Hilfe angewiesen bin und nicht weiß, an wen ich mich sonst wenden könnte. Von meiner Mutter habe ich gehört, dass der verstorbene Lord Sheridan ihr Ihre Anschrift gab und sie anwies, sich mit Ihnen in Verbindung zu setzen, falls sie oder ich dringend auf Hilfe angewiesen sind. Bitte, kommen Sie zu mir nach Blanchland, damit ich Ihnen meine Schwierigkeiten schildern und Ihren Rat einholen kann. Ihre ergebene Olivia Meredith.“

Nach dem Verlesen des Briefes trat Stille ein. Mr. Churchward war sich bewusst, dass er eigentlich hätte erleichtert sein können, da uneheliche Kinder betreffende Maßnahmen und Schwierigkeiten, die durch diese Kinder entstanden, in den Zuständigkeitsbereich des Kirchenvorstehers fielen. Nie zuvor hatte er sich jedoch in einer Situation befunden, die dadurch entstanden war, dass ein auf Abwege geratener Bruder die jüngere Schwester um Hilfe für sein uneheliches Kind gebeten hatte. Lord Sheridan war ein liebenswürdiger Mensch gewesen, aber von Natur aus gedankenlos und unbekümmert. Er hatte seine Schwester eindeutig in eine sehr peinliche Lage gebracht.

„Miss Meredith erwähnt nicht, welcher Art ihre Schwierigkeiten sind“, fuhr Sarah bedächtig fort. „Und zu der Zeit, als mein Bruder diesen Brief schrieb, konnte er nicht wissen, welche Art Hilfe Miss Meredith benötigen würde.“

„Ich bin sicher, er befand sich in einer für ihn sehr schwierigen Lage, Madam.“ Mr. Churchward machte immer noch eine missbilligende Miene. „Er wollte für das Kind das Richtige tun, ohne jedoch zu wissen, was das sein würde.“

Sarah rümpfte die Nase. „Ich befürchte, ich kann nicht mehr folgen, Mr. Churchward. Können wir die Sache noch einmal von vorn besprechen? Ich lasse mehr Kaffee und Tee kommen.“

Wenig später wurden die Kanne und Sarahs Tasse neu gefüllt, dann zog das Hausmädchen sich wieder zurück.

„So!“, sagte Sarah so sachlich wie möglich. „Rekapitulieren wir alles. Mein verstorbener Bruder hat bei Ihnen einen Brief hinterlegt, der mir zugestellt werden sollte, falls seine uneheliche Tochter Hilfe benötigt. Ich nehme an, er hat versucht, dafür zu sorgen, dass sie im Falle seines Todes nicht ohne Freunde dasteht.“

„Ich vermute, Sie haben recht, Madam.“

„Bis vor drei Tagen, als sie diesen Brief von ihr erhielten, hat es kein Hilfeersuchen gegeben?“

Mr. Churchward schüttelte den Kopf. „Jeder Kontakt mit Dr. Meredith und dessen Familie kam nach dem Tod Ihres Vaters zum Erliegen, Madam. Ich glaube, Lord Sheridan hat den Leuten einen Geldbetrag vermacht, damit es dem Kind in Zukunft an nichts fehlte.“ Mr. Churchward bekam schmale Lippen, als er daran dachte, dass es sich um eine nicht unbeträchtliche Summe handelte. „Wieso Miss Meredith es für angebracht hielt, sich jetzt mit mir in Verbindung zu setzen …“

„Die Hilfe, die sie braucht, muss nicht finanzieller Natur sein“, warf Sarah ruhig ein. „Und ungeachtet ihrer illegitimen Geburt ist sie meine Nichte, Mr. Churchward.“

„Sehr richtig, Madam.“ Der Anwalt seufzte. Er kam sich zurechtgewiesen vor. „Die ganze Sache ist sehr ungewöhnlich, und ich bin nicht sehr glücklich damit. Ich finde es äußerst unpassend, dass Sie nach Blanchland zurückkehren sollen!“

Erneut hatte der Anwalt den Eindruck, dass in Miss Sheridans Augen ein belustigter Ausdruck stand. „Frank verlangt in der Tat sehr viel von mir, Mr. Churchward.“

„Ja, das tut er, Madam“, stimmte er heftig zu. Er erschauerte bei dem Gedanken, dass Sir Ralph Covell, der Cousin des verstorbenen Lord Sheridan, Blanchland Court nach dessen Tod geerbt hatte. In den danach folgenden drei Jahren hatte Sir Ralph das Anwesen zu einer berüchtigten Lasterhöhle gemacht, wo man um hohe Einsätze spielte, wilde Saufgelage veranstaltete und ausgelassene Orgien. Von Jahr zu Jahr waren die Gerüchte schlimmer geworden. Für Mr. Churchward war es unvorstellbar, dass Miss Sarah Sheridan, diese ehrbare unverheiratete Dame und Säule der Gesellschaft von Bath, je den Fuß an einen derartigen Ort setzte.

„Wohnt Sir Ralph noch immer in Blanchland, Miss Sheridan?“, fragte Mr. Churchward und befürchtete, die Antwort bereits zu kennen.

„Ja, ich glaube.“ Der freundliche Ton war aus Miss Sheridans Stimme verschwunden. „Die Geschichten über die Sittenlosigkeit, die in Blanchland herrscht, bedrücken mich sehr. Das Haus ist viel zu charmant, um durch solch verwerfliches Treiben entweiht zu werden.“

Mr. Churchward räusperte sich. „Genau aus diesem Grund wäre es sehr unangebracht, wenn Sie dorthin zurückkehren, Miss Sheridan. Hätte Ihr Bruder geahnt, was sein Cousin auf dem Besitz treibt, dann hätte er dieses Ansinnen bestimmt nie an Sie gerichtet! Vielleicht können Sie Miss Meredith durch einen Mittelsmann beraten lassen.“

Er hielt inne, weil Miss Sheridan aufgestanden war. Sie ging zum Fenster und starrte in die Ferne. Die kahlen, den Platz säumenden Bäume warfen schwankende Schatten auf die Straße. Eine Kutsche rollte vorbei.

„Vielleicht könnte jemand in Blanchland Ihre Interessen vertreten“, schlug Mr. Churchward erneut vor, da Miss Sheridan auf seine letzte Bemerkung nicht reagiert hatte. Er hoffte inständig, sie möge nicht ihn bitten, dieser Mittelsmann zu sein. Seine Gattin würde das nie zulassen. Miss Sheridan schüttelte jedoch den Kopf.

„Nein, Sir. Ich befürchte, Frank hat mir diese Aufgabe aufgebürdet, und daher muss ich sie erledigen. Natürlich lasse ich mich gern von Ihnen beraten, sobald ich weiß, welcher Art Miss Merediths Probleme sind. Ich denke, es wird sehr leicht sein, Miss Meredith aufzusuchen und herauszufinden, wie ich ihr behilflich sein kann.“

Mr. Churchward schämte sich, weil er ungemein erleichtert war. Miss Sheridan strahlte trotz ihrer jungen Jahre eine derartige Entschlossenheit aus, dass es ihm schwergefallen wäre, mit ihr zu argumentieren. Unerklärlicherweise hatte er dennoch Schuldgefühle. Umständlich schob er seine Unterlagen zusammen und dachte plötzlich an die Neuigkeit, die er noch mitteilen musste. Sein Gesicht wurde noch länger.

„Ich muss Ihnen sagen, Madam, dass ich mir die Freiheit gestattet habe, Miss Meredith eine Botschaft zu schicken, in der ich ihr den Erhalt ihres Briefes bestätigte. Zufällig ist mir mein Bote auf dem Weg hierher begegnet. Er war in Blanchland und befand sich bereits auf dem Rückweg nach London.“

Mr. Churchward schwieg. Sarah zog die Augenbrauen hoch. „Ja, und?“

Er machte ein unglückliches Gesicht. „Leider hat er Miss Meredith nicht angetroffen. Man hat sie zuletzt vor zwei Tagen gesehen, als sie sich dem Haupteingang von Blanchland Court näherte. Seither fehlt jede Spur von ihr. Sie ist verschwunden.“

Auf der Rückfahrt nach London entsann sich Mr. Churchward, dass er vergessen hatte, Miss Sheridan von dem dritten Brief zu erzählen, der im Auftrag von Lord Sheridan an den Earl of Woodallan geschickt werden sollte. Seine Stimmung, die nach der Abreise aus Bath sehr niedergeschlagen gewesen war, besserte sich ein wenig. Lord Woodallan war Miss Sheridans Patenonkel und ein durch und durch vernünftiger Mensch. Mr. Churchward fand es bedauerlich, dass Lord Sheridan auf den Gedanken gekommen war, seine Schwester in eine derart peinliche Situation zu bringen. Zumindest hatte er jedoch so viel Geistesgegenwart bewiesen, sich an einen Mann von Lord Woodallans Format zu wenden, damit dieser Miss Sheridan unterstützte. Mr. Churchward beugte sich vor und überlegte, ob er den Kutscher anweisen solle, umzukehren und nach Bath zurückzufahren. Dann erblickte er jedoch den nach Maidenhead zeigenden Wegweiser und lehnte sich seufzend zurück. Er war müde und wollte nach Haus. Schließlich würde Miss Sheridan ohnehin bald erfahren, dass Lord Woodallan in die Sache verwickelt war.

Sarah hatte zwei sehr hübsche, für das Mieder von Amelias Ballrobe bestimmte Bänder erstanden und verließ soeben das Blumengeschäft mit einem Strauß Treibhausrosen. Es war ihr nicht gelungen, sosehr sie sich auch bemüht hatte, die Ereignisse der letzten Stunde zu vergessen. Sie hatte eine siebzehnjährige Nichte! Dabei war sie erst vierundzwanzig Jahre alt! Ihr um elf Jahre älterer Bruder hatte früh angefangen, sich mit Frauen abzugeben. Er hatte stets ein Auge für die hübschesten gehabt. Und wer war Olivias Mutter? Sarah blieb an der Straßenecke stehen. Olivias Mutter war sicher nicht die steife Gattin des Arztes. Mrs. Meredith war immer so auf Schicklichkeit bedacht.

Sarah wurde sich bewusst, dass sie Überlegungen anstellte, die sich nicht gehörten. Sie war überzeugt, dass Mr. Churchward, nachdem er ihr die unangenehme Neuigkeit mitgeteilt hatte, schockiert über ihren Mangel an Empfindsamkeit gewesen war. In Gedanken versunken, gelangte sie auf den Bürgersteig und prallte unversehens mit jemandem zusammen. Die Rosen wurden ihr aus der Hand gerissen und blieben verstreut auf dem Kopfsteinpflaster der Straße liegen. Sie verlor das Gleichgewicht und wäre gestürzt, hätte jemand ihr nicht geistesgegenwärtig den Arm um die Taille gelegt und sie gestützt.

„Ich bitte um Entschuldigung, Madam!“, sagte der Mann. „Das war arg ungeschickt von mir!“

Sarah fand, dass er unnötig langsam den Arm von ihrer Taille fortzog. Er drehte sich um und wollte die weit verstreuten Rosen aufheben. Es war jedoch zu spät. Eine in rascher Fahrt heranrollende Kutsche zermalmte sie unter den Rädern.

„Oh nein!“ Sarah hockte sich hin und versuchte, einige weniger ramponierte Blumen zu retten, sah jedoch, dass auch die Blüten dieser Rosen abgeknickt und die Stiele zerquetscht waren. Amelia würde wütend sein. Die roten Rosen hätten am nächsten Abend der Blickfang ihrer Tischdekoration sein sollen. Der Blumenhändler hatte sie ihr für diesen Anlass aufgehoben. Von ganzem Herzen wünschte sich Sarah, sie hätte sie beim Floristen gelassen und ihn beauftragt, sie mit den anderen Blumen anzuliefern. Sie hatte sich jedoch darauf gefreut, mit dem roten Farbfleck durch die winterliche Stadt zu laufen. Traurig betrachtete sie die ruinierten Rosen.

„Bitte, kommen Sie zur Vernunft, Madam! Sie werden ebenfalls überfahren, wenn Sie auf der Straße hocken bleiben!“

Dieses Mal hatte die Stimme des Herrn beträchtlich unhöflicher geklungen. Er nahm Sarah fest am Ellbogen und zog sie hoch.

Sie wich einige Schritte von ihm ab und starrte ihn wütend an. „Ich danke Ihnen für Ihre Besorgnis, Sir! Wie schade, dass Sie nicht früher an die Gefahr gedacht haben, ehe meine Rosen dieses Schicksal erleiden mussten!“

Der Gentleman erwiderte nichts, sondern zog nur etwas fragend eine Augenbraue hoch. Sein nachdenklicher Blick ruhte sehr direkt auf Sarah. Er musterte sie von Kopf bis Fuß, hielt die Augen einen Moment lang auf ihr gerötetes Gesicht gerichtet und ließ dann den Blick auf ihrer durch die praktische Pelisse verhüllte Figur verweilen. Verärgert reckte sie das Kinn. Sie hatte zweifellos wenig Erfahrung im Umgang mit Männern. Es fiel ihr jedoch nicht schwer, in diesem Mann einen Frauenhelden zu sehen und den Ausdruck in seinen Augen dementsprechend zu interpretieren.

Er war hoch gewachsen und hatte eine athletische Figur, die durch den eleganten Schnitt seiner in dieser Qualität in Bath selten zu sehenden Garderobe perfekt zur Geltung gebracht wurde. Sarah erinnerte sich an Amelias Beschreibungen der in der Hauptstadt verbrachten Jahre sowie der unglaublich gut aussehenden Herren dort, die sich auf ihren Bällen und Abendgesellschaften eingefunden hatten, und war überzeugt, dass die Sachen des Herrn aus London stammten. Das volle Haar des Mannes wurde vom Winterwind zerzaust. Der blonde Farbton stand in starkem Kontrast zu den braunen, sie derart aufdringlich musternden Augen. Ein leichtes Lächeln lag um seinen Mund, als er die Wut in Sarahs Augen und die Zornesröte ihrer Wangen bemerkte.

„Ich kann mich nur noch ein weiteres Mal bei Ihnen entschuldigen, Madam“, sagte er leichthin. „Ich war so von den Schönheiten dieser Stadt in Bann geschlagen …“ Der Ausdruck in seinen Augen wirkte noch belustigter. „… dass ich auf nichts anderes geachtet habe.“

Gegen ihren Willen erwiderte Sarah flüchtig sein Lächeln, unterdrückte es jedoch sogleich. Der Gentleman hatte etwas an sich, dem sie überraschenderweise nicht widerstehen konnte. Vielleicht war es sein undefinierbarer Charme, oder, was gefährlicher gewesen wäre, eine ebenso unerwartete wie verwirrende Affinität. Er strahlte eine sorglose Selbstsicherheit und Kraft aus, die ihn zu etwas Besonderem machten. Sarah wusste, dass Bath voller Invaliden war, und daher empfand sie es beinahe als schockierend, jemanden zu sehen, der so vital wirkte.

Sehr seltsam war, dass er ihr irgendwie bekannt vorkam. Die Kombination blonden Haars mit dunklen Augen war sehr ungewöhnlich und erinnerte Sarah an jemanden. Sie blieb stehen und war sich nicht bewusst, dass sie den Herrn anstarrte. Ihr fiel auch nicht auf, dass der belustigte Ausdruck in seinen Augen sich geändert hatte und nachdenklich geworden war.

„Ich bitte um Entschuldigung, Sir, aber sind wir uns schon ein Mal begegnet?“ Sie furchte leicht die Stirn. „Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.“

Zu spät merkte sie, dass er ihre Frage missverstehen konnte. Sie hatte laut gedacht und biss sich verärgert auf die Unterlippe.

Die Augenbrauen des Herrn wurden leicht hochgezogen. „Sie schmeicheln mir, Madam. Ich würde sagen, wir könnten sehr gute Freunde sein, wenn Sie das möchten.“ Die Stimme des Mannes hatte etwas ironisch geklungen.

Die Farbe kehrte in ihre Wangen zurück. Jäh hielt Sarah an, ungeachtet der neugierigen Blicke, die andere Passanten in der Milsom Street ihr zuwarfen.

„Das war nicht meine Absicht, Sir! Ich würde kaum versuchen, in einer so ungebührlichen Form jemandes Bekanntschaft zu machen, erst recht nicht die eines Herrn, der zweifellos ein Roué ist! Ihre Vermutungen gereichen Ihnen nicht zur Ehre! Guten Tag, Sir!“

Sarah machte auf dem Absatz kehrt und ließ ihn stehen, doch im Nu war er vor ihr.

„Warten Sie!“ Er legte ihr die Hand auf den Arm, um sie aufzuhalten. „Entschuldigen Sie, Madam! Ich hatte nicht die Absicht, Sie zu kränken!“

Vielsagend sah sie auf seine Hand, die er daraufhin sofort zurückzog. „Ich habe gedacht, es sei genau das, was Sie beabsichtigten, Sir!“

„Nein, wirklich nicht!“ Er hätte ehrlich zerknirscht gewirkt, wäre da nicht der Ausdruck belustigter Bewunderung in seinen Augen gewesen. „Ich hatte ganz etwas anderes im Sinn.“ Er hielt inne, weil die Dame ihn wütend anschaute. „Sie müssen mir gestatten, dass ich mich für meine schlechten Manieren entschuldige, Madam! Und was die Rosen angeht …“ Er lächelte verlegen, als er die ramponierten Blumen in Sarahs Hand sah. „Ich hoffe, es wird einfach sein, Ihnen neue zu besorgen.“

Diesen Satz hatte er so ausgesprochen wie jemand, der nie irgendwelche Schwierigkeiten gehabt hatte, zwei Dutzend rote Rosen für seine neueste Maitresse zu finden und zu bezahlen. Sarah merkte, dass es ihr schwerfiel, ihm weiterhin böse zu sein, brachte es aber dennoch fertig, eine strenge Miene aufzusetzen, auf die sie stolz war.

„Ich befürchte, das waren die letzten Rosen, die man kaufen konnte, Sir“, sagte sie frostig. „Sie wurden für mich aufgehoben. Und selbst wenn es noch welche gäbe, könnte ich es mir kaum leisten, in Bath herumzulaufen und in unschicklicher Weise zu versuchen, alle Blumen aufzukaufen! So, und nun bin ich sicher, dass Sie mich entschuldigen werden!“

Der Mann schien nicht begriffen zu haben, dass sie ihn los sein wollte, obwohl sie überzeugt war, dass er ihre Aufforderung absichtlich überhörte. Er schloss sich ihr an, als hätte sie ihm das erlaubt.

„Ich hoffe, Sie wurden bei dem Unfall nicht verletzt, Madam?“ Noch immer hatte ein belustigter Unterton in seiner Stimme mitgeschwungen. „Es war gedankenlos von mir, mich nicht früher danach erkundigt zu haben. Vielleicht sollte ich Sie nach Haus begleiten, damit ich sicher sein kann, dass Sie bei gutem Befinden sind.“

Nach diesem anmaßenden Vorschlag zog Sarah die Augenbrauen hoch. Sie überlegte, wie direkt sie sein müsse, um den Herrn endlich loszuwerden. Aber das würde schwierig sein, weil ein Teil von ihr sich zu ihm hingezogen fühlte. Sie war jedoch nicht gewohnt, mit fremden Herren auf der Straße ein Gespräch zu beginnen. Außerdem war ein solches Benehmen gefährlich, ganz gleich, wozu sie durch ihre gegensätzlichen Gefühle geneigt war. Dieser Mann war ganz eindeutig ein Frauenheld und hatte bereits zu erkennen gegeben, dass er die Situation ausnutzen wollte.

„Es ist unnötig, Sir, dass Sie mich begleiten. Ich fühle mich sehr gut und werde bald zu Hause sein!“

„Für eine Dame schickt es sich ganz und gar nicht, ohne Begleitung durch die Gegend zu wandern“, sagte der Gentleman leichthin. „Und die ehrenwerten Matronen von Bath würden ein solches Betragen gewiss nicht billigen!“

Erneut fühlte Sarah sich zu einem Lächeln aufgelegt. Der Mann war unverschämt, doch es fiel ihr überraschend schwer, ihm zu widerstehen.

„Ich bin sicher, Sir, Sie sind sich bewusst, dass es weniger zu Klatsch führt, wenn man mich ohne Begleitung durch die Stadt gehen sieht, als wenn man mich in Gesellschaft eines mir vollkommen Fremden bemerkt! Da Letzteres der Fall ist, werde ich allein weitergehen und wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in unserer Stadt!“

Kühl nickte Sarah dem Mann zu und entfernte sich in einer Haltung, die unmissverständlich zu verstehen gab, sie wünsche nicht, dass er ihr folgte.

Er sah die schlanke Gestalt sich zielstrebig entfernen. Ein leicht bedauerndes Lächeln lag um seine Lippen. Er beobachtete, wie sie die Straßenecke erreichte, sah sie kurz mit einem Gentleman, der ihr entgegengekommen war, einige Worte wechseln und stellte erleichtert fest, dass es sich bei diesem Mann um seinen Freund Sir Greville Baynham handelte. In der Erkenntnis, es sei ein glücklicher Umstand, dass in der Gesellschaft von Bath jeder jeden kannte, schlenderte er in dem Moment über die Straße, als sein Freund sich von der Dame verabschiedete.

„Es gut mir leid, alter Junge, dass ich mich verspätet habe!“ Greville grinste Guy, Viscount Renshaw, freundschaftlich an. „Habe ein erstklassiges Gespann gesehen, welches mein Interesse fand. Ich hoffe, du hast dich in meiner Abwesenheit gut amüsiert.“

„Oh, ich wurde gut unterhalten“, erwiderte Guy gedehnt und sah Sarah außer Sicht geraten. Er fand, sie habe eine sehr ansprechende Figur, die gut genug war, um es mit jeder der anerkannten Londoner Schönheiten aufnehmen zu können. Die haselnussbraunen Augen in ihrem ovalen Gesicht waren wundervoll. Guy merkte, dass Greville etwas zu ihm gesagt hatte und geduldig auf seine Erwiderung wartete.

„Ich habe dich nur gefragt, ob du Lust hättest, das Brunnenwasser zu trinken“, sagte sein Freund und schaute ihn irritiert an. „Aber vielleicht gibt es andere Attraktionen, die mehr nach deinem Geschmack sind. Bath ist neuerdings ein ziemlich langweiliger Ort, besonders außerhalb der Saison, aber …“

„So langweilig ist es nicht!“ Nachdenklich richtete Guy die Augen auf den Freund. „Sag mir, wer war die Dame, mit der du soeben geredet hast.“

Greville furchte die Stirn und fuhr sich durch das zerzauste Haar. „Die Dame?“ Seine Miene erhellte sich. „Oh, du meinst Miss Sheridan! Erspar dir die Mühe, Guy, falls du denkst, du könntest einen Flirt mit ihr beginnen! Sie hat nichts für Roués übrig!“

Guy lachte. „Ich glaube dir, obwohl sie angedeutet hat, mit mir bekannt zu sein! Dachte, ich hätte mich in ihr geirrt, bis sie mir dann die kälteste Abfuhr erteilte, die ich je bekommen habe!“ Er furchte leicht die Stirn. „Miss Sheridan, hast du gesagt? Der Name kommt mir tatsächlich bekannt vor. Oh ja, ich erinnere mich an sie! Verdammt will ich sein!“

Greville brach in Lachen aus. „Ach, übertreib nicht so, Guy! Ich glaube nicht, dass du die Dame schon kennengelernt hast!“

„Nein, ich versichere dir das Gegenteil!“ Guy setzte eine triumphierende Miene auf. „Sie ist die Schwester des verstorbenen Lord Sheridan, nicht wahr? Sie ist auch die Patentochter meines Vaters. Obwohl ich sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen habe, muss es sich um sie handeln. In unseren Kindertagen waren wir so gut wie befreundet.“

Greville ließ die Schultern hängen. „Zum Teufel, Guy! So ein verdammtes Pech!“

Guy warf dem Freund einen gequälten Blick zu.

„Bestimmt wolltest du sagen, das sei ein charmanter Zufall! Und da du offensichtlich die Dame kennst, wirst du mir ihre Anschrift nennen können.“

Greville stöhnte auf. „Lass das sein, Guy! Sie ist Lady Amelia Fentons Cousine. Amelia wird mich strangulieren, wenn du versuchst, mit ihrer Cousine zu flirten!“

Guy lächelte. Erst am vergangenen Abend, als sein Freund betrunken gewesen war und sich über die Grausamkeit der Frauen ausgelassen hatte, war ihm eine Menge über Grevilles hoffnungslose Leidenschaft für Lady Fenton zu Ohren gekommen. Er hatte angenommen, die Gesellschaft in Bath werde sich als wenig standesgemäß erweisen, nachdem die Stadt ihren Höhepunkt als eleganter Badeort überschritten hatte, doch nun hatte er den Eindruck, etliche vielversprechende Möglichkeiten in der Stadt zu haben. Greville hatte kein Geheimnis aus der Tatsache gemacht, dass er sich mit der Absicht trug, der hübschen Lady Fenton den Hof zu machen, und außerdem war da jetzt Miss Sheridan.

Guy hatte gleich gemerkt, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte. Es war bedauerlich, dass sein Vater ihr Patenonkel war. Er musste sich eingestehen, dass dadurch die Art von Beziehung ausgeschlossen war, an die er gedacht hatte, sobald er Miss Sheridan gesehen hatte. Nichtsdestoweniger hatte er nun den perfekten Vorwand, die Bekanntschaft mit ihr fortzusetzen, ein Gedanke, der sehr reizvoll war.

„Hatte Miss Sheridan nie den Wunsch zu heiraten?“, erkundigte er sich, laut seinen nächsten Gedanken äußernd.

„Kein Geld“, antwortete Greville lakonisch und schaute ihn voller böser Vorahnungen an. „Hier in Bath versucht jeder, ein Vermögen zu heiraten. Miss Sheridan begleitet Lady Fenton, schreibt deren Briefe und so weiter.“ Angesichts der unwirschen Miene des Freundes hielt er inne.

„Miss Sheridan ist Gesellschafterin? Bestimmt nicht!“

„So kann man es kaum nennen“, erwiderte Greville, um Lady Fenton in Schutz zu nehmen. „Lady Fenton hat ihre Cousine wirklich gern. Sie sind eher Freundinnen als Arbeitgeberin und Angestellte! Amelia ist das liebenswürdigste Wesen …“

In gespielter Resignation hob Guy die Hände. „Kein Anlass, so heftig zu reagieren, alter Junge! Als Nächstes wirst du mich wohl noch zum Duell fordern! Ich hatte nicht die Absicht, Lady Fentons Großzügigkeit infrage zu stellen. Aber es kommt mir …“ Er hielt einen Moment inne. „… widersinnig vor, mir Miss Sheridan in einer solchen Situation vorstellen zu sollen. Ich frage mich, ob mein Vater Bescheid weiß. Er würde ihr zumindest eine Mitgift anbieten.“

Guy verzog den Mund. „Dachte, es sei etwas anderes, das ihr anzubieten du im Sinn hast, Guy!“

„Ich leugne nicht, dass mir das durch den Kopf gegangen ist“, murmelte der Viscount. „Aber mein Vater würde das nicht billigen! Sag mir, wo würdest du hier ein Blumensträußchen für eine Dame erstehen, wenn alle Rosen in der Stadt ausverkauft sind?“

Greville starrte ihn an, als habe der Freund den Verstand verloren. „Zum Teufel, habe keine Ahnung, wovon du redest, alter Junge! Rosen im Winter?“

„Ich nehme an, dass jetzt nicht die Zeit dafür ist. Würde es möglich sein, jemanden nach Bristol zu schicken, der dort für mich rote Rosen kauft?“

„Mit deinem Geld kannst du alles kaufen“, antwortete Greville neidlos. „Warum du dir allerdings die Mühe machen willst …“

„Eine Aufmerksamkeit für eine Dame“, erklärte Guy.

„Ich vermute, du willst ihre Gunst gewinnen!“, sagte Greville düster. „Nun, ich kann dich nicht davon abhalten! Aber sei gewarnt, Guy! Miss Sheridan ist nicht dumm! Sie wird deinen Plan durchschauen! Und was Amelia angeht, nun, ich möchte nicht in deiner Haut stecken, wenn du dir ihren Zorn zuziehst!“ Sein Blick fiel auf die rote Rose, die Guy von der Straße gerettet hatte und noch immer in der Hand hielt.

„Musst du mit dem Ding herumrennen?“, fragte er spöttisch. „Zum Teufel, Guy! Du siehst wie ein verfluchter Dandy aus!“

2. KAPITEL
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„Sarah! Du kannst nicht nach Blanchland zurück! Ich verbiete es dir! Dein guter Ruf wäre sofort ruiniert, sobald du dort auch nur über die Türschwelle gehst!“

Lady Amelia Fenton, deren Gesicht tiefste Bekümmerung ausdrückte, ließ sich neben der Cousine auf das Sofa fallen. „Außerdem weißt du, dass du das, was Sir Ralph aus dem Haus gemacht hat, von Herzen verabscheust. Du hast gesagt, du willst nie mehr den Fuß hineinsetzen!“

Sarah seufzte und dachte, das einzig Positive an der augenblicklichen Situation sei, dass Amelia dadurch erfolgreich davon abgebracht worden war, über den Verlust der roten Rosen zu jammern. Die Cousine war so lange außer sich gewesen, nachdem sie erfahren hatte, dass ihr künstlerischer Mittelpunkt der Tafel ruiniert worden war, bis Sarah dann beiläufig die Absicht erwähnt hatte, am Tag nach dem Ball nach Blanchland reisen zu wollen.

Amelia stand wieder auf und ging mit energischen Schritten vor dem Kamin hin und her. Es wirkte ein wenig lächerlich, da sie viel zu klein war, um so aufgeregt auf und ab gehen zu können. Alles an ihr war klein, aber perfekt proportioniert, ganz im Gegensatz zu ihrem Vermögen, das groß genug war, um sie zu einer der begehrtesten Partien in Bath zu machen.

Durch Sarahs Miene darauf aufmerksam gemacht, dass sie albern wirkte, setzte sie sich stirnrunzelnd wieder hin. „Ich weiß, du denkst, dass ich mich zum Narren mache, Sarah, aber ich bin wirklich um dein Wohlergehen besorgt!“ Ihre Stimme hatte klein und verletzt geklungen. „Es wird dein Untergang sein, wenn du nach Blanchland fährst, ganz gleich, was du Gegenteiliges sagst!“

Sarah seufzte erneut. „Verzeih mir, Milly! Ich muss nach Blanchland. Frank hat mich darum gebeten …“

„Er ist seit drei Jahren tot!“, entgegnete Lady Amelia unbeirrt. „Meiner Ansicht nach ist es zu viel von dir verlangt, dass du seine Bitten auch noch nach seinem Tod erfüllst.“

Sarah dachte daran, dass ihre Cousine keine Ahnung hatte, wie viel Frank tatsächlich von ihr erwartete, und bemühte sich, sie zu beschwichtigen.

„Ich verspreche dir, dass ich nicht lange fort sein werde. Außerdem bin ich überzeugt, dass Sir Ralph wirklich nicht so schlimm ist wie …“

Autor

Nicola Cornick
<p>Nicola Cornick liebt viele Dinge: Ihr Cottage und ihren Garten, ihre zwei kleinen Katzen, ihren Ehemann und das Schreiben. Schon während ihres Studiums hat Geschichte sie interessiert, weshalb sie sich auch in ihren Romanen historischen Themen widmet. Wenn Nicola gerade nicht an einer neuen Buchidee arbeitet, genießt sie es, durch...
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