Ein Weihnachtsmärchen

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Wer ist der Unbekannte, der in einer Dezembernacht vor ihrer Tür liegt? Elinor bringt es nicht übers Herz, ihn der Kälte zu überlassen. Ohne auf ihren Ruf zu achten, schafft die junge Witwe ihn in ihr Cottage - nicht ahnend, dass damit ein Weihnachtmärchen seinen Anfang nimmt.


  • Erscheinungstag 26.11.2014
  • ISBN / Artikelnummer 9783733764500
  • Seitenanzahl 88
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL
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Northumberland, England, Dezember 1816

„Brennt meine Wunschkerze noch, Mama?“

Zärtlich küsste Ellie ihre kleine Tochter. „Ja, Liebling, sie ist noch nicht ausgegangen. Und jetzt hör auf, dir Sorgen zu machen, und schlaf. Die Kerze steht unten auf der Fensterbank, genau da, wo du sie aufgestellt hast.“

„Sie leuchtet hinaus ins Dunkle, damit Papa sie sieht und weiß, wo wir sind.“

Ellie zögerte. Mit rauer Stimme erwiderte sie: „Ja, mein Liebling. Papa wird wissen, dass wir hier sind, im Warmen.“

Amy kuschelte sich unter die fadenscheinigen Laken und die ausgeblichene Steppdecke. „Und morgen früh wird er mit uns frühstücken.“

Ellies Kehle war wie zugeschnürt. „Nein, Liebling. Papa wird nicht kommen. Das weißt du doch.“

Amy runzelte die Stirn. „Aber morgen ist doch mein Geburtstag, und du hast gesagt, dass Papa dann kommt.“

Tränen verschleierten ihr die Augen, als Ellie ihrer Tochter mit der abgearbeiteten Hand sanft über die Wange strich. „Nein, Liebling, das war letztes Jahr. Und du weißt, warum Papa damals nicht gekommen ist.“

Langes Schweigen trat ein. „Weil ich letztes Jahr keine Kerze ins Fenster gestellt habe?“

Ellie war entsetzt. „O nein! Nein, mein Liebling, mit dir hatte das gar nichts zu tun, wirklich nicht!“ Sie schloss das kleine Mädchen in die Arme, drückte es fest an sich und strich ihm über die glänzenden Locken, bis sie sich so weit gefasst hatte, dass sie wieder sprechen konnte. „Liebling, dein Papa ist gestorben, deswegen ist er nicht nach Hause gekommen.“

„Weil er den Weg nicht gesehen hat, weil ich ihm keine Kerze hingestellt habe.“

Das Elend in der Stimme ihrer Tochter zerriss Ellie schier das Herz. „Nein, meine Süße. Mit der Kerze hatte das gar nichts zu tun. An Papas Tod war niemand schuld.“ Das stimmte nicht. Hartley war von eigener Hand gestorben, aber Spielsucht und Freitod waren hässliche Themen für ein kleines Kind.

„Und jetzt hör auf damit“, meinte Ellie so entschieden, wie sie konnte. „Morgen ist dein Geburtstag, dann bist du vier Jahre alt, ein großes Mädchen. Und weißt du was? Weil du so ein braves Mädchen warst und Mama so schön geholfen hast, habe ich morgen früh eine wunderbare Überraschung für dich. Aber nur, wenn du jetzt gleich einschläfst.“

„Eine Überraschung? Was für eine Überraschung denn?“, erkundigte sich Amy eifrig.

„Wenn ich es dir sage, wäre es doch keine Überraschung mehr. Und jetzt schlaf ein.“ Sie begann ein Wiegenlied zu summen, um ihre Tochter zu beruhigen.

„Ich weiß, was die Überraschung ist“, murmelte ihre Tochter schläfrig. „Papa kommt zum Frühstück.“

Ellie seufzte. „Nein, Amy, Papa ist seit über einem Jahr tot. Das weißt du doch, warum beharrst du so darauf?“

„Es ist eine besondere Kerze, Mama. Das hat die Dame gesagt. Eine Wunschkerze. Sie bringt uns Papa zurück, du wirst schon sehen.“ Sie lächelte und kuschelte sich tiefer in ihre Decken.

Ellie runzelte die Stirn. Ohne ihr Wissen hatte Amy ein halbes Dutzend Eier und etwas Milch bei einer Zigeunerin gegen eine dicke rote Kerze eingetauscht. Von wegen Wunschkerze! Wohl eher eine sündhaft teure Weihnachtskerze. Und auch schädlich, wenn die alte Frau Amy eingeredet hatte, sie könne ihr den Vater zurückbringen.

Die wenigen Erinnerungen, die Amy an ihren Vater hatte, waren idealisierte Märchen. Die Wahrheit war für ein kleines Mädchen einfach zu schmerzlich. Hart war nie ein aufmerksamer Vater oder Ehemann gewesen. Sir Hartley Carmichael hatte sich einen Sohn gewünscht – einen Erben. Das kleine, lebhafte Mädchen mit den dunklen Locken und den strahlend blauen Augen hatte ihn nicht interessiert, war für ihn nutzlos, wie er immer wieder betonte – manchmal sogar in Amys Beisein.

Ellie sah auf ihre schlafende Tochter, und ihr schwoll das Herz. Für sie gab es auf der Welt nichts Kostbareres als ihr Kind. Sie nahm den Kerzenleuchter und begab sich in ihr Zimmer, wo sie sich hastig auskleidete, in ihr warmes Flanellnachthemd schlüpfte und ins Bett kletterte.

Sie wollte schon die Kerze ausblasen, als ihr einfiel, dass unten im Fenster auch noch eine brannte. Das war nicht nur gefährlich, sondern auch eine Verschwendung. Kerzen waren teuer. Sie konnte es sich nicht leisten, eine nutzlos herunterbrennen zu lassen. Zumindest ohne praktischen Nutzen. Sie dachte daran, wie das frisch gewaschene Gesicht ihrer Tochter vor Hoffnung gestrahlt hatte, als sie die Kerze auf die Fensterbank stellte. Ellies Kehle war wie zugeschnürt. Trotzdem stand sie auf, zog die Schuhe wieder an und warf sich ein Schultertuch um. Glückliche Kinderträume konnte sie sich einfach nicht leisten.

Sie war schon halb die Treppe hinunter, als plötzlich lautstark an die Tür ihres Cottages geklopft wurde. Sie erstarrte und wartete ab. Die bittere Dezemberkälte kroch an ihr hoch, doch sie bemerkte es kaum.

Wieder wurde an die Tür gehämmert. Es klang, als trommelte eine Faust gegen die Tür. Ellie regte sich nicht, wagte kaum zu atmen. Hinter ihr spürte sie einen Luftzug, und dann flüsterte eine leise, verängstigte Stimme: „Ist das der Squire?“

„Nein, Liebling. Geh wieder ins Bett“, sagte Ellie leise und ruhig.

Ein kleines, warmes Händchen stahl sich in ihre Hand und umfasste sie fest. „Deine Hand ist ja ganz kalt, Mama.“ Wieder ertönte das Gehämmer. Ellie bemerkte, wie ihre kleine Tochter vor Angst zusammenfuhr.

„Es ist doch der Squire“, wisperte Amy.

„Nein“, widersprach Ellie entschieden. „Er schreit doch immer herum, wenn ich ihm nicht aufmache, nicht wahr?“ Ihre Tochter packte sie noch einmal fester und schien sich dann etwas zu beruhigen. „Warte hier, Liebling, ich sehe mal nach, wer da ist.“

Sie schlich die verbleibenden sechs Stufen hinunter, bis sie die Haustür sehen konnte, die sie mit einem soliden Holzbalken fest verrammelt hatte. Ellie hatte bald herausgefunden, dass das Türschloss allein wenig Eindruck auf ihren Vermieter machte.

Amys Wunschkerze warf einen flackernden Lichtschein durch den dunklen Raum.

Wieder wurde an die Tür geklopft, nicht mehr so laut diesmal. Eine tiefe Stimme rief: „Hilfe!“

„Das muss Papa sein!“, quietschte Amy hinter ihr plötzlich. „Er hat meine Kerze gesehen, und jetzt kommt er endlich zu uns!“ Sie schlüpfte an Ellie vorbei und rannte zur Tür.

„Nein, Amy, warte!“ Ellie folgte ihr, fiel beinah die Treppe hinunter, um ihre Tochter daran zu hindern, Wer-weiß-wen hereinzulassen.

„Aber es ist Papa, Mama. Es ist Papa“, sagte Amy und versuchte, den schweren Balken anzuheben.

„Still!“ Ellie riss ihre Tochter an sich. „Es ist nicht Papa, Amy. Papa ist tot.“

Das Cottage lag isoliert, ein Stück ab von der Landstraße und hinter einem Birkenwäldchen verborgen. Weiter die Straße hinunter befand sich der „Angel“, ein einsamer Gasthof, der die zwielichtigsten Gestalten anzog. Zweimal hatte man Ellie bisher nach Hause verfolgt … Bei dieser Räuberhöhle um die Ecke würde sie nachts niemals einem Fremden die Tür öffnen.

Die tiefe Stimme rief wieder: „Hilfe.“ Es klang schwächer diesmal. Ein paar Mal schlug er noch an die Tür, beinahe halbherzig. Oder ihn verlassen die Kräfte, dachte Ellie plötzlich. Sie biss sich auf die Lippe und drückte ihre Tochter an sich. Vielleicht war es auch ein Trick, um sie nach draußen zu locken.

„Wer ist da?“, rief sie. Von draußen kam keine Antwort, nur ein dumpfer Schlag. Dann war alles still. Ellie wartete einen Moment, trat dabei unschlüssig von einem Fuß auf den anderen. Dann traf sie eine Entscheidung. „Wenn es ein böser Mann ist, dann lauf in dein Zimmer und sperr dich ein, wie ich es dir gezeigt habe, ja?“

Amy nickte. Ihr herzförmiges Gesichtchen war bleich. Ellie ging in die Küche und nahm die schwerste Bratpfanne, die sie besaß. Zurück im Flur, drehte sie den Schlüssel im Schloss um und entfernte den Balken. Sie hob die Pfanne, holte tief Luft und riss die Tür auf.

Schneeregen wehte herein, und sie erschauerte. Sie linste in die Dunkelheit. Kein Mensch zu sehen. Nichts zu hören. Die Pfanne immer noch drohend erhoben, tat sie vorsichtig einen Schritt nach draußen und sah sich um. Vor ihrer Tür entdeckte sie irgendetwas Großes, Dunkles.

Es war ein Mann, der ganz still dalag. Sie beugte sich über ihn und berührte sein Gesicht. Kalt. Gefühllos. Ihre Finger trafen auf etwas Nasses, Warmes, Klebriges. Blut. Er blutete am Kopf. Er lebte noch, würde aber nicht mehr lange durchhalten, wenn sie ihn draußen in der Kälte liegen ließ. Sie warf die Pfanne zu Boden, packte ihn bei den Schultern und zog. Er war sehr schwer.

„Ist er tot, Mama?“ Amy hatte sich wieder nach unten geschlichen.

„Nein, Liebling, aber verletzt. Wir müssen ihn nach drinnen in die Wärme schaffen. Sei so lieb und hol mir den Vorleger vom Kamin, ja?“

Amy huschte davon und kam kurz darauf mit einer abgenutzten dünnen Matte zurück. Ellie legte sie so dicht wie möglich neben die leblose Gestalt und schob und zerrte dann, bis der Mann endlich auf den Vorleger gerollt war. Dann zog sie mit aller Kraft. Amy half, so gut sie konnte. Zoll um Zoll glitt der Mann in ihr Cottage und schließlich in das kleine Wohnzimmer.

Ellie verrammelte die Tür und entzündete eine Laterne. Ihr unerwarteter Gast trug weder Rock noch Mantel – nur ein Hemd und Breeches. Und keine Schuhe, lediglich ein Paar schmutzige, lehmverkrustete Strümpfe. Obwohl Dezember war und es draußen Graupel und Eis regnete.

Der Fremde blutete heftig aus einer Wunde am Hinterkopf. Ein Schlag von hinten, der Schlag eines Feiglings. Man hatte ihm alles genommen, sogar seinen Rock und seine Stiefel, und ihn in der bitteren Kälte seinem Schicksal überlassen. Ellie wusste, wie es war, alles zu verlieren. Entschlossen legte sie dem Mann die Hand auf die Brust: Sie würde ihn nicht sterben lassen.

Sein Hemd war klatschnass und fühlte sich eiskalt an, und auch er war beängstigend kalt. Rasch ging sie in die Küche und formte aus einem sauberen Tuch eine Kompresse. Zurück bei dem Verletzten, band sie sie ihm so fest um den Kopf, wie sie es wagte, um das Blut zu stillen.

„Wir müssen ihm die nassen Sachen ausziehen“, sagte sie zu Amy. „Sonst erfriert er noch. Kannst du mir ein paar Handtücher aus dem Schrank unter der Treppe bringen?“ Das Kind lief davon, während Ellie dem Mann das Hemd, Unterhemd und die nassen, dreckigen Strümpfe auszog.

Er war schwer verprügelt worden. Auf seiner aufgeschürften Haut zeigten sich erste blaue Flecken. Daneben entdeckte sie dunkelrote halbkreisförmige Abdrücke, als wäre er getreten worden, und an der Schulter den Abdruck eines Absatzes. Sorgfältig tastete sie seine Rippen ab und dankte Gott, dass sie anscheinend verschont geblieben waren. Seine Kopfverletzung war das Schlimmste. Aber er würde wohl überleben, solange er sich keine Lungenentzündung zuzog.

Amy brachte die Tücher, und Ellie rieb ihm sorgfältig mit einem harten Handtuch die breite Brust, den Bauch und die Arme ab. Ihr Mund wurde trocken. Bisher hatte sie nur einen Mann mit nacktem Oberkörper gesehen. Aber dieser Mann hier war ganz anders als ihr Ehemann.

Hartleys Brust war schmal und knochig gewesen, weiß und haarlos, sein Bauch weich, seine Arme waren bleich, glatt und elegant. Dieser Mann hatte einen breiten, harten Brustkorb. Sie ertastete dicke Muskelstränge, im Augenblick zwar entspannt, aber nichtsdestotrotz stark und fest. Auf der goldbraunen Haut spross ein Dreieck aus dunklem lockigen Haar, das sich nach unten zu einem schmalen Streifen verjüngte. Sie versuchte nicht darauf zu achten, während sie ihn mit dem Handtuch abrubbelte, um die Durchblutung anzuregen, damit seine Glieder wieder warm wurden.

Wie sauber er ist, stellte sie überrascht fest. Er verströmte nicht den säuerlichen Geruch, den sie immer mit Hartley verband. Dieser Mann roch nach gar nichts – höchstens nach ein wenig Seife, frischem Schweiß und … Leder? Pferde? Was es auch war, es war nicht unangenehm.

Trotz seiner Muskeln war er hager. Sie konnte jede Rippe zählen. Und sein Bauch war flach, fast nach innen gewölbt. Auf seiner Haut entdeckte sie viele kleine Narben, meist älteren Datums. Vielleicht ein Mann, der sein Leben im Kampf verbracht hatte. Sie blickte auf seine Hände. Nicht die weichen weißen Hände eines Gentleman. Sie waren stark, braungebrannt und zerschrammt, die Knöchel blutig und geschwollen. Vermutlich war er ein Landarbeiter oder dergleichen. Das würde seine Muskeln erklären und warum er so dünn war. Jedenfalls war er kein reicher Mann. Seine Kleidung war von guter Qualität, aber alt und abgetragen. Das Hemd war mehrmals unbeholfen geflickt worden, ebenso seine Breeches.

Seine Breeches. Kalt und nass klebten sie ihm am Körper. Sie würde sie ihm ausziehen müssen. Zögernd griff sie nach dem Hosenbund, schluckte, hielt inne, als ihr Amys Anwesenheit bewusst wurde. „Lauf nach oben, mein Liebes, und hol mir von meinem Bett eine Decke und den warmen Ziegelstein.“

Amy trabte davon, und Ellie atmete tief durch. Du bist durchaus vertraut mit der männlichen Anatomie, machte sie sich Mut, während sie die durchweichte Hose aufknöpfte. Sie war schließlich verheiratet gewesen. Allerdings war dieser Mann nicht ihr Ehemann.

Sie packte die Hose und zog sie ihm über die Hüften, rollte ihn dabei von einer Seite auf die andere, während sie ihm die Breeches langsam vom Leib schälte. Das nasse schwere Leder klebte widerspenstig an seinem eiskalten Körper. Endlich war es vollbracht. Keuchend setzte sie sich zurück. Er war nackt. Mit großen Augen starrte sie ihn an, konnte den Blick einfach nicht abwenden.

„Geht es Papa auch gut?“ Amy kam die Treppe herunter, in den Armen eine zusammengefaltete Decke.

Hastig legte Ellie ein Handtuch über die Hüften des Fremden. „Er ist nicht dein Papa.“

Amy warf ihr einen merkwürdigen Blick zu und lief dann wieder nach oben. Ellie zerrte den Mann zum Kamin. Als Amy mit dem Ziegelstein zurückkehrte, legte Ellie ihn ins Feuer. Sie erhitzte ein wenig Suppe und seihte sie durch ein Musselintuch in die Teekanne.

„Suppe in der Teekanne?“ Amy kicherte.

Ellie lächelte, erleichtert, dass ihre Tochter etwas gefunden hatte, über das sie sich amüsieren konnte. „Das hier wird alles geraume Zeit dauern, also ab mit dir ins Bett, junge Dame.“

„Ach, aber Mama …“

„Der Mann ist morgen früh auch noch da“, meinte Ellie entschieden. „Wir haben schon einen Kranken im Haus – ich will nicht, dass du dich auch noch erkältest. Also, Miss, ab ins Bett.“ Sie küsste ihre Tochter und schob sie zur Tür. Widerstrebend ging Amy nach oben. Ellie verbarg ein Lächeln. Ihr neugieriges kleines Mäuschen würde die ganze Nacht aufbleiben, wenn es könnte.

Sie bereitete eine Kräuterkompresse und legte sie, nachdem sie die Wunde sorgfältig gereinigt hatte, auf die Wunde. Der Mann stöhnte und versuchte den Kopf zu bewegen.

„Still.“ Beruhigend strich sie ihm über die Stirn und hielt dabei die Kräuterkompresse fest. „Es brennt ein wenig, aber es tut Ihnen gut.“ Er sackte wieder in sich zusammen, doch Ellie spürte seine Anspannung, als wäre ein Teil von ihm noch wach. Sprungbereit. Sanft murmelte sie: „Ruhen Sie sich aus. Hier tut Ihnen keiner etwas.“ Langsam entspannte er sich.

Seine Lider flatterten, und dann schlug er die Augen auf. Ellie beugte sich über ihn, wobei sie ihm immer noch den Kopf stützte. „Wie fühlen Sie sich?“

Der Fremde schwieg, starrte sie nur an aus seinen tiefblauen Augen.

Wie ich mich fühle? Als platzte ihm gleich der Kopf. Er blinzelte und versuchte sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren. Hübsch, dachte er unbestimmt. Weiche glatte Haut. Sein Blick nahm die glänzenden dunklen Locken wahr, die ihr über die Schultern fielen.

Wer war sie? Und wo zum Teufel befanden sie sich? Mühsam wandte er den Blick von ihr ab, um sich im Raum umzuschauen. Ziemlich klein … ein Cottage? War er in irgendeinem Pächterhäuschen einquartiert? Mit Verwundeten wurde manchmal so verfahren. Man überließ sie der zweifelhaften Pflege irgendeiner Bauersfrau, während die Kämpfe anderswo weitergingen … Angestrengt versuchte er sich zu erinnern. Hatten sie die Schlacht gewonnen oder verloren? Oder waren sie gar noch mittendrin? Er lauschte. Nein, kein Kanonendonner zu hören.

Sein Blick kehrte zu der Frau zurück. Das Cottage hatte ihm gar nichts verraten. Aber die Frau … Er konnte den Blick nicht von ihr wenden. Ihre Augen blickten weich und besorgt. Auch um ihren Mund – ein sehr hübscher Mund – lag ein besorgter Zug. Besorgt oder vielleicht verängstigt? Er hatte keine Ahnung.

Autor

Anne Gracie
<p>Schon als junges Mädchen begeisterte sich Anne Gracie für die Romane von Georgette Heyer – für sie die perfekte Mischung aus Geschichte, Romantik und Humor. Geschichte generell, aber auch die Geschichte ihrer eigenen Familie ist Inspirationsquelle für Anne, deren erster Roman für den RITA Award in der Kategorie beste Erstveröffentlichung...
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