Eine Braut für den spanischen Playboy

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Sechs Wochen hat er Zeit: Nur wenn Rafael bis dann verheiratet ist, überlässt sein Großvater ihm das Milliardenunternehmen der Casillas. Aber woher soll der spanische Playboy so schnell eine Ehefrau nehmen? Die nach einer kurzen Scheinehe zur Scheidung bereit ist? Das Schicksal kommt ihm zu Hilfe, als die hübsche Juliet mit ihrem Lieferwagen seinen teuren Sportwagen rammt. Die junge alleinerziehende Mutter ist in größter finanzieller Not, und Rafael macht ihr ein skrupelloses Angebot: fünf Millionen Pfund für ihr Ja - garantiert ohne Liebe?


  • Erscheinungstag 17.12.2019
  • Bandnummer 2419
  • ISBN / Artikelnummer 9783733712655
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Politikergattin in flagranti mit spanischem Millionär erwischt!

Stirnrunzelnd blätterte Rafael Mendoza-Casillas durch die Zeitschriften auf seinem Schreibtisch. Die gesamte Regenbogenpresse brachte ähnlich lautende Schlagzeilen, und sogar angesehenere Zeitungen hatten das Thema inzwischen aufgegriffen. Es schien, als läge es im öffentlichen Interesse, von seiner Affäre mit Michelle Urquhart zu berichten.

Die Story machte nicht nur im Vereinten Königreich die Runde, nein. Überall in Europa zierte ein Foto des Erben von Spaniens größter Einzelhandelskette die Titelseiten, wie er an der Seite der attraktiven Mrs. Urquhart ein Londoner Luxushotel betrat. Ein zweites Foto zeigte ihn und Michelle, wie sie das Hotel am nächsten Morgen durch den Hinterausgang verließen.

Man kann nur darüber spekulieren, wie Europas reichster Playboy und die Frau des Ministers die Stunden dazwischen verbracht haben!

Er las gerade den Artikel, der in einem besonders billigen Schmierblatt erschienen war, als sein Handy zu vibrieren begann. Ohne hinzusehen, nahm er das Gespräch an – und musste das Telefon kurz darauf von seinem Ohr weghalten.

„Dieses Mal bist du zu weit gegangen, Rafael!“, brüllte Hector Casillas aufgebracht. „Heute sollte unsere neue Rozita Brautmoden-Kollektion eigentlich in aller Munde sein. Stattdessen ist es deine Affäre mit einer verheirateten Frau, die alle Schlagzeilen beherrscht. Du hast das Ansehen der Casillas-Group beschmutzt.“

„Ich wusste nicht, dass Michelle verheiratet ist“, entgegnete Rafael gelassen, als sein Großvater kurz innehielt, um nach Luft zu schnappen.

Nicht, dass ihr Familienstand ihn besonders interessiert hatte. Das war allein ihre Sache, und er fühlte sich nicht für die Konsequenzen ihrer Entscheidungen verantwortlich. Davon abgesehen war sein Ruf auch nicht unbedingt tadellos.

Hätte er allerdings gewusst, dass Michelles Mann eine Person des öffentlichen Lebens war … Nun, dann hätte er es sich vermutlich zweimal überlegt, mit ihr ins Bett zu gehen. Vor allem, da es in dem Nachtclub, in dem er sie aufgegabelt hatte, nicht an schönen Frauen gemangelt hatte. Rafael brauchte nur mit dem Finger zu schnippen, und schon umschwirrten sie ihn wie ein Schwarm Schmetterlinge.

Nein, Michelle war den ganzen Ärger definitiv nicht wert gewesen.

Mit einem unterdrückten Seufzen lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und beobachtete, wie der Wind den Regen gegen die Fenster seines Büros im Hauptsitz der Casillas Group in der Londoner Canary Wharf peitschte.

Die Casillas Group war ein weltweit operierender Bekleidungshersteller, und neben Rozita besaß das Unternehmen noch mehrere weitere Top-Marken.

Rafael konnte seinen Großvater förmlich vor sich sehen, wie er hinter seinem wuchtigen Schreibtisch im Arbeitszimmer seines Familiensitzes in Valencia saß. Nicht selten hatte der alte Mann ihn zu sich zitiert, um ihn über seine größeren und kleineren Fehltritte zu belehren und ihn daran zu erinnern, dass er zum Teil ein Gitano war.

Das korrekte englische Wort für Gitano war Roma. Und das bedeutete, dass Rafael ein Außenseiter war.

„Wieder einmal hast du die Familie, und was noch viel schlimmer ist, das Unternehmen, in ein schlechtes Licht gerückt“, erklärte Hector eisig. „Deine Mutter hat mich gewarnt, dass du die Charakterschwächen deines Vaters geerbt hast. Als ich dich aus den Armenvierteln rettete und in unsere Familie aufnahm, geschah dies in der Erwartung, dass du eines Tages meine Nachfolge antreten würdest. Immerhin bist du mein Enkel. Aber ich muss immer wieder feststellen, dass du zu viel von deinem Vater in dir hast. Und dass du nun auch den Namen Casillas trägst, ändert nichts daran, wer du wirklich bist.“

Rafael presste die Lippen zusammen. Er sollte inzwischen daran gewöhnt sein. Immerhin ließ sein Großvater keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass durch seine Adern nicht das blaue Blut der spanischen Aristokratie floss.

Sein Vater, Ivan Mendoza, war ein zwielichtiger Drogenhändler gewesen, und die Affäre seiner Mutter mit ihm eine kurzzeitige Rebellion gegen die jahrhundertealten Traditionen und Denkweisen der Casillas. Sie war reumütig wieder in den Schoß der Familie zurückgekehrt und hatte Rafael und seine kleine Schwester bei Ivan in einem berüchtigten Armenviertel am Stadtrand von Madrid zurückgelassen.

„Jedenfalls kann es so nicht weitergehen“, schimpfte sein Großvater weiter. „Ich habe eine Entscheidung getroffen: Du musst heiraten – und zwar schnell!“

Rafael blinzelte. Sicher hatte er Hector nur falsch verstanden? „Abuelo …“, versuchte er zu beschwichtigen.

„Der Vorstand erwartet sonst, dass ich Francisco zu meinem Nachfolger benenne.“

Rafaels Magen zog sich schmerzhaft zusammen. „Du würdest einem Grünschnabel die Verantwortung übertragen? Die Casillas Group ist ein globales Unternehmen mit einem Jahresumsatz in Milliardenhöhe. Frankie wäre damit völlig überfordert.“

„Dein Halbbruder ist zwanzig und wird nächstes Jahr sein Universitätsstudium abschließen. Aber was noch viel wichtiger ist: Er lässt seine Hosen an!“

Rafael schluckte hart. „Hat meine Mutter dir das eingeredet? Sie hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie denkt, ihr zweiter Sohn sei der einzig wahre Casillas und solle das Unternehmen erben.“

„Niemand hat mir irgendetwas eingeredet. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen“, schnappte Hector. „Aber ich teile die Bedenken der Vorstandsmitglieder und der Aktionäre, dass dein schlechter Ruf und dein häufiges Erscheinen in der Presse sich negativ auf das Unternehmen auswirken. Unser CEO sollte ein Mann mit starken Prinzipien und ein Verfechter von traditionellen Werten sein. Ich bin bereit, dir noch eine Chance zu geben, Rafael. Bring Anfang Mai deine Frau zu meinem achtzigsten Geburtstag mit, und ich werde von meinem Amt als Präsident und Geschäftsführer zurücktreten und dich zu meinem Nachfolger ernennen.“

„Ich will aber nicht heiraten“, knurrte Rafael zornig.

„In dem Fall wird dein Halbbruder an meinem achtzigsten Geburtstag sein Erbe antreten.“

Dios! Dein Geburtstag ist in sechs Wochen. Wie soll ich in so kurzer Zeit eine Frau zum Heiraten finden?“

„Nichts ist unmöglich“, entgegnete Hector. „In den vergangenen achtzehn Monate wurden dir mehrere spanische Frauen aus guten Familien vorgestellt, die allesamt eine geeignete Ehefrau für dich abgegeben hätten. Wenn du wirklich daran interessiert bist, mein Nachfolger zu werden, dann wirst du mir eine Braut präsentieren, und wir feiern zusammen meinen Geburtstag und deine Verlobung.“

Ohne ein weiteres Wort, beendete Hector das Gespräch, und Rafael schleuderte sein Handy fluchend auf den Tisch. Der alte Mann war vollkommen verrückt geworden. Dummerweise schaffte Rafael es nicht wirklich, sich das einzureden, denn er wusste es besser. Sein Großvater war ein scharfsinniger Geschäftsmann durch und durch, und die Rolle des CEO wurde schon seit Generationen an den erstgeborenen Sohn weitergereicht, seit Rafaels Ur-Ur-Urgroßvater die Firma vor einhundertfünfzig Jahren gegründet hatte.

Hector Casillas einziger Nachkomme war seine Tochter gewesen, also stand Rafael, der älteste Enkel, in der Erbfolge an nächster Stelle. Doch er wusste, dass viele der Vorstandsmitglieder und Verwandten dagegen waren, einem Außenseiter – denn das war er für sie – die Zügel zu überlassen.

Hectors höhnische Worte klangen in seinen Ohren wider. Wenn du wirklich so daran interessiert bist, mein Nachfolger zu werden …

Rafaels Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, in dem nicht ein Funke Humor lag. Seit er ein schmächtiger Zwölfjähriger gewesen war, der zuerst bittere Armut und dann unglaublichen Reichtum erfahren hatte, gab es nichts, was er mehr wollte. Zum Nachfolger seines Großvaters ernannt zu werden, war sein Traum, seine Obsession. Und er war entschlossen, all seinen Kritikern zu beweisen, dass er dieser Rolle gewachsen und würdig war. Allen voran seiner Mutter und ihrem zweiten Ehemann, Alberto Casillas, einem Cousin zweiten Grades. Von daher war ihr gemeinsamer Sohn Francisco ein Casillas durch und durch.

Wie die meisten Adelsfamilien legten die Casillas großen Wert auf Traditionen und wollten unter sich bleiben.

Doch der Einzelhandel war immerzu im Wandel, und die Zukunft lag im Online-Marketing – ein Thema, mit dem sich Rafael sehr viel besser auskannte als die meisten Vorstandsmitglieder. Er verstand, dass die Casillas Group auf Innovationen und neue Technologien setzen musste, um weiterhin die Position des Markführers halten zu können.

Sein Großvater war ein hervorragender Geschäftsführer gewesen, aber jetzt war es an der Zeit für frisches Blut.

Aber nicht das Blut eines Gitano, spottete eine leise innere Stimme. In ferner Vergangenheit hatte er wie ein streunender Hund am Straßenrand um Essen gebettelt. Und wie ein Hund hatte er gelernt, den Fäusten seines Vaters auszuweichen.

Mit einem Kopfschütteln schob Rafael die düsteren Erinnerungen an seine Kindheit beiseite und widmete sich stattdessen der Gegenwart. In Gedanken ging er die Liste der potenziellen Bräute durch, die sein Großvater erwähnt hatte. Als seine Mutter die Töchter verschiedener spanischer Elitefamilien zum Abendessen einlud und darauf bestand, dass Rafael teilnahm, hatte er bereits geahnt, dass etwas im Busch war. Aber er hatte den Köder nicht geschluckt, und er beabsichtigte auch nicht, es jetzt noch zu tun – ganz gleich, was für ein Ultimatum Hector ihm auch stellte.

Er musste heiraten, aber seine Braut würde er selbst wählen. Und es wird ganz sicher keine Liebesheirat werden, dachte er zynisch.

Ein Psychologe würde vermutlich schlussfolgern, dass er deshalb Schwierigkeiten damit hatte, Vertrauen zu fassen und Verpflichtungen einzugehen, weil seine Mutter ihn verlassen hatte, als er sieben Jahre alt gewesen war. In Wahrheit hatte er ihr längst verziehen, dass sie ihn damals im Stich gelassen hatte. Was er ihr nicht verzeihen konnte, war, dass sie dasselbe auch mit seiner damals noch nicht einmal zweijährigen Schwester getan hatte.

Sofias Leid war für ihn schwerer zu ertragen gewesen als die Gleichgültigkeit seines Vaters – oder dessen Schläge.

Er wollte es den Casillas nicht nur für sich selbst zeigen, sondern auch für seine Schwester. Er würde CEO werden und der Frau, die mit ihm ein temporäres Arrangement zu treffen bereit war, einen großzügigen finanziellen Anreiz bieten.

Sobald ich mein Ziel erreicht habe, gibt es keinen Grund mehr für mich, an einer ungewünschten Ehe festzuhalten, dachte Rafael, nahm seine Aktentasche und seinen Autoschlüssel und verließ das Büro.

Seine Assistentin blickte auf, als er an ihrem Schreibtisch vorbeiging. „Ich bin auf dem Weg zu meinem Zehn-Uhr-Termin. Gegen Mittag sollte ich wieder zurück sein“, informierte er sie. „Sollte mein Großvater noch einmal anrufen, sagen Sie ihm bitte, dass ich für den Rest des Tages nicht zu sprechen bin.“ Er hatte die Tür fast erreicht, als er noch einmal innehielt. „Oh, und Philippa – sorgen Sie doch bitte dafür, dass die verdammten Zeitungen aus meinem Büro verschwinden.“

Dieser Tag konnte unmöglich noch schlimmer werden.

Juliet ließ ihr Handy auf den Beifahrersitz des Vans fallen und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Nicht weinen, sagte sie zu sich selbst. Sie hatte nicht geweint, als sie ihre Eltern bei einem Autounfall verloren hatte, und auch nicht, als sie das Tanzen hatte aufgeben müssen. Was sonst sollte schrecklich genug sein, um ihre Tränen zu rechtfertigen?

Und dennoch. Der Tag hatte schon katastrophal begonnen, als sie im Briefkasten das Schreiben einer australischen Anwaltskanzlei vorgefunden hatte. Aus dem Text ging hervor, dass Bryan beabsichtigte, das Sorgerecht für Poppy einzuklagen. Bei dem Gedanken krampfte sich ihr Magen schmerzhaft zusammen. Sie durfte ihre Tochter nicht verlieren. Poppy war ihr Lebensinhalt, und auch wenn es als alleinerziehende Mutter nicht leicht war, würde sie um ihr kleines Mädchen kämpfen, koste es, was es wolle. Bryan brauchte nicht zu glauben, dass sie ihm Poppy einfach so überlassen würde – einem Vater, der bisher keinen Funken Interesse an ihr gezeigt hatte!

Doch der Tag war mit zunehmender Dauer leider auch nicht besser geworden. Und gerade hatte ihre Geschäftspartnerin Mel angerufen und ihr mit den Neuigkeiten den letzten Rest gegeben.

Sie war am Ende.

Juliet beobachtete, wie der Regen über die Windschutzscheibe strömte, und blinzelte gegen die aufsteigenden Tränen an. Ihr kleiner Cateringservice – Lunch To Go – mochte vor dem Ruin stehen, aber die Kunden hatten für ihre Sandwiches und Wraps bezahlt, und sie durfte sie nicht enttäuschen. Und wenn sie noch länger auf dem Parkplatz hinter dem Büroturm der Casillas Group in der Canary Wharf stand, würde genau das geschehen.

Sie atmete tief durch, startete den Motor und legte den Sicherheitsgurt an, ehe sie den Fuß auf das Gaspedal drückte. Doch anstatt vorwärts zu fahren, ruckte der Van nach hinten. Sie hörte einen Knall und das Klirren von Glasscherben, die auf den Asphalt fielen.

Einen Augenblick lang war Juliet vollkommen verwirrt und begriff nicht, was gerade geschehen war. Doch als sie in den Rückspiegel schaute, wurde ihr klar, dass sie mit einem anderen Wagen zusammengestoßen war, als dieser gerade aus seiner Parklücke schwenkte.

Und es war nicht irgendein Wagen, wie sie zu ihrem Entsetzen feststellen musste.

Der schnittige dunkelgraue Lamborghini war eines der teuersten Autos überhaupt, hatte Danny, die Parkplatzwächterin, ihr erzählt. Sie hatte Juliet erlaubt, mit ihrem Van auf diesem Platz zu parken, der eigentlich ausschließlich für die Führungskräfte der Casillas Group reserviert war.

Ihr Tag war gerade noch einmal um einiges schlimmer geworden.

Sie beobachtete, wie der Besitzer des Lamborghinis ausstieg und sich bückte, um die vordere Stoßstange zu begutachten. Rafael Mendoza-Casillas, geschäftsführender Direktor der Casillas Group UK, Playboy und Sexgott, wenn man das, was so von der Klatschpresse über ihn geschrieben wurde, glauben durfte.

Juliets Herz hämmerte gegen ihre Rippen, als er sich aufrichtete und geradewegs auf sie zukam. Der grollende Ausdruck auf seinem attraktiven Gesicht riss sie aus ihrer Erstarrung. Sie löste den Sicherheitsgurt, öffnete die Fahrertür und stieg aus.

Sie konnte wirklich nur hoffen, dass der Schaden an seinem Wagen nicht zu groß war. Wenn sie die Versicherung in Anspruch nahm, würde sich die Gebühr im nächsten Jahr erhöhen.

Idiota! Warum sind Sie einfach so rückwärts gefahren? Hätten Sie auch nur einmal kurz in den Spiegel gesehen, hätten Sie bemerkt, dass ich hinter Ihnen parke!“

Seiner Stimme haftete ein unverkennbar spanischer Akzent an, und er klang zornig – und zugleich unglaublich sexy.

Er überragte sie um Längen. Sie war einsfünfundsechzig, die Mindestgröße für Tänzerinnen im corps de ballet – und musste den Kopf in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht sehen zu können.

Seine Augen waren von einem ungewöhnlichen Olivgrün, und in ihnen lag ein wütendes Funkeln. Sein Gesicht … Juliet hatte hin und wieder einmal einen Blick auf ihn erhascht, wenn sie ihre Kunden in den Büros der Casillas Group belieferte. Er hatte nie auch nur in ihre Richtung gesehen, wenn sie auf dem Korridor aneinander vorbeigelaufen waren. Einmal hatte sie vor dem Aufzug gewartet, aus dem er trat, und er hatte sie am Arm gestreift. Der markante Duft seines Aftershaves hatte sie den Rest des Tages begleitet.

„Ich bin keine Idiotin“, murmelte sie, verärgert über seinen überheblichen Tonfall und ihre eigene, völlig unangebrachte Reaktion auf seine Nähe.

Der sintflutartige Regen ließ sein schwarzes Haar platt am Kopf kleben, doch das tat seinem Filmstar-Look keinen Abbruch. Seine Gesichtszüge waren wie in Marmor gemeißelt, die Wangenknochen rasiermesserscharf. Das kantige Kinn war von einem Dreitagebart bedeckt. Ja, es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass er unglaublich attraktiv war.

Und Juliet konnte nicht abstreiten, dass er seine Wirkung auf sie nicht verfehlte.

Er hob eine Braue, offenbar überrascht darüber, dass sie es wagte, ihm zu widersprechen. „Das macht mir allerdings einen anderen Eindruck“, entgegnete er. „Ich hoffe, dass Ihre Versicherung auch für Unfälle auf Privatgrundstücken greift. Das Schild an der Einfahrt weist deutlich darauf hin, dass dieser Parkplatz nur für die leitenden Angestellten der Casillas Group bestimmt ist. Sie befinden sich widerrechtlich hier, und wenn Ihre Versicherung nicht zahlt, können Sie sich über eine saftige Reparaturrechnung über den Schaden freuen, den Sie an meinem Wagen verursacht haben.“

Natürlich würde ihre Versicherung für den Schaden aufkommen – oder?

Erste leise Zweifel schlichen sich bei Juliet ein. Sie schluckte. „Es tut mir wirklich sehr leid. Es war ein Unfall. Ich bin Ihnen doch nicht absichtlich in den Wagen gefahren.“ Panik stieg in ihr auf. „Ich könnte aus eigener Tasche vermutlich nicht einmal eine Schraube an Ihrem Wagen bezahlen.“

Der Regen hatte sie inzwischen komplett durchnässt und tropfte von ihrer Schirmmütze. Sie erinnerte sich, wie aufgeregt und stolz Mel und sie gewesen waren, als sie die roten Kappen und Schürzen mit ihrem Firmenlogo bestellt hatten. Sie waren so voller Hoffnung gewesen, als sie Lunch To Go vor einem Jahr gemeinsam gegründet hatten. Aber jetzt sah es so aus, als würden sie bald bankrottgehen.

Und zu allem Überfluss wurde sie nun vom attraktivsten Mann, der ihr je begegnet war, angestarrt, als wäre sie etwas, das sich unter den Sohlen seiner maßangefertigten Lederschuhe verfangen hatte.

Mit einem Mal kam alles in ihr hoch, und die Tränen, die sie bis dahin erfolgreich zurückgehalten hatte, liefen über ihre Wangen und vermischten sich mit dem Regen.

„Die Wahrheit ist“, sagte sie mit erstickter Stimme, „dass ich nicht einmal genug Geld habe, um meiner Tochter ein paar billige Sneakers vom Discounter zu kaufen.“

Sie fühlte sich immer noch schuldig, weil Poppy sich bereits Blasen mit ihrem alten Paar gelaufen hatte. Und jetzt kam einfach alles zusammen, und sie hatte das Gefühl, als ob sich ein eisernes Band um ihren Brustkorb legte. Sie atmete, doch der Sauerstoff schien nicht in ihrer Lunge anzukommen.

„Ich kann es mir ganz sicher nicht leisten, die Reparatur Ihres schicken Wagens zu bezahlen. Was soll ich machen, wenn die Versicherung die Zahlung verweigert? Die Bank gibt mir keinen weiteren Kredit mehr und …“

Hysterie verdrängte jeden logischen Gedankenprozess. Seit dem schrecklichen Unfall, bei dem ihre Eltern ums Leben gekommen waren, hatte sie praktisch auf die nächste Katastrophe gewartet.

„Komme ich ins Gefängnis, wenn ich die Reparaturrechnung nicht zahlen kann? Und wer kümmert ich dann um Poppy?“ Schluchzend barg sie das Gesicht in den Händen. „Wenn ich als schlechte Mutter gelte, darf Bryan meine Tochter dann einfach mit nach Australien nehmen? Oh Gott, ich werde Sie kaum noch zu sehen bekommen …“

„Um Himmels willen. So beruhigen Sie sich doch!“, erklärte Rafael Mendoza-Casillas ungeduldig. „Natürlich kommen Sie nicht ins Gefängnis! Ihre Versicherung wird schon für den Schaden aufkommen. Und wenn nicht, dann werde ich die Reparatur aus eigener Tasche bezahlen.“

Juliet spürte keine Erleichterung. Es war einfach alles zu viel. Ihre anderen Probleme schienen noch immer wie ein unüberwindbarer Berg über ihr emporzuragen, und die Tränen wollten einfach nicht aufhören zu fließen.

Rafael fluchte. „Wir müssen raus aus dem Regen, bevor wir noch ertrinken“, knurrte er, packte sie am Arm und führte sie zu seinem Wagen. Dort angekommen, öffnete er die Beifahrertür. „Steigen Sie ein.“ Er wartete, bis sie Platz genommen hatte, dann ging er um den Lamborghini herum und glitt kurz darauf auf den Fahrersitz. Er fuhr sich mit einer Hand durchs tropfnasse Haar, ehe er sich vorbeugte und aus dem Handschuhfach eine Packung Taschentücher hervorholte. „Hier, putzen Sie sich die Nase.“

„Danke.“ Sie tupfte sich die Augen ab und atmete tief durch. Im engen Raum des Fahrzeugfonds war sie sich seiner Nähe mehr als deutlich bewusst. „Ich mache Ihren Sitz nass“, murmelte sie, als sie wieder in der Lage war, richtig zu sprechen. „Es tut mir wirklich leid, dass ich Ihren Wagen angefahren habe, Mr. Mendoza-Casillas.“

„Nennen Sie mich Rafael. Mein Nachname ist ein ziemlicher Zungenbrecher, finden Sie nicht?“ In seiner Stimme schwang ein Hauch von Bitterkeit mit. „Wie heißen Sie?“

„Juliet Lacey.“ Sie nahm an, dass er ihren Namen und ihre übrigen persönlichen Daten brauchte, um den Schaden bei der Versicherung einzureichen.

Sie schaute ihn an – ein Fehler, denn jetzt konnte sie nicht mehr damit aufhören. Aber wenigstens vertrieb die Hitze, die sein Anblick in ihr verursachte, ein wenig die Kälte aus ihren nassen Klamotten.

„Tut mir leid, dass ich vorhin die Beherrschung verloren habe. Ich wollte Ihnen keine Angst einjagen“, sagte er knapp. „Sie sagten, dass Sie ein Kind haben?“

„Ja, eine dreijährige Tochter.“

Dios, Sie sind doch allerhöchstens … vielleicht neunzehn? Und haben ein dreijähriges Kind?“ Er klang beinahe entsetzt. „Da Sie keinen Ehering tragen, nehme ich an, dass Sie nicht verheiratet sind?“

„Ich bin vierundzwanzig“, korrigiere sie ihn steif. „Und nein, ich bin nicht verheiratet. Poppys Vater wollte mit keinem von uns beiden mehr etwas zu tun haben, als sie geboren wurde.“

„Ist das dieser Bryan, den sie erwähnten?“

„Er ist Poppys Vater, ja. Und jetzt hat er entschieden, dass er das Sorgerecht für sie will. Nach australischem Recht sind beide Elternteile für ein Kind verantwortlich, ganz gleich, ob sie nie verheiratet oder auch nur ein Paar waren. Bryan kann sich die besten Anwälte leisten, und wenn er vor Gericht gewinnt, will er Poppy zu sich nach Australien holen.“ Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sie wischte sie mit einem Taschentuch fort. „Es ist so unfair“, platzte es aus ihr heraus. „Bryan hat Poppy nur ein einziges Mal kurz nach der Geburt gesehen. Er sagte mir damals, dass er an einem Jungen vielleicht mehr interessiert gewesen wäre. Aber mein Wort steht gegen seines, und seine Anwälte verdrehen alles so, dass es aussieht, als hätte ich ihm nicht erlaubt, sein Kind zu besuchen. Dabei bin ich mit Poppy erst zurück nach England, nachdem Bryan klargestellt hat, dass er nichts mit ihr zu tun haben will.“

Juliet hatte keine Ahnung, warum sie Rafael das alles erzählte. Sie kannte ihn nicht, und sie war sicher, dass er sich auch nicht für ihre Probleme interessierte. Aber er hatte irgendetwas an sich, dass ihr das Gefühl gab, sich ihm anvertrauen zu können. Die Worte waren einfach so über ihre Lippen gepurzelt, ehe sie sie zurückhalten konnte.

„Ich habe von meiner Cousine, die in Sydney lebt, gehört, dass Bryan jetzt mit der Tochter eines Milliardärs zusammen ist und sie auch heiraten will. Anscheinend kann seine Freundin keine eigenen Kinder bekommen, und eine niedliche kleine Tochter soll sie vermutlich davon überzeugen, seinen Antrag anzunehmen.“ Juliet biss sich auf die Unterlippe. „Vor achtzehn Monaten musste Poppy vorübergehend in eine Pflegefamilie, weil ich ins Krankenhaus musste. Es war eine sehr liebevolle Familie, die sich wunderbar um sie gekümmert hat. Aber irgendwie bekam Bryan Wind davon und benutzt es jetzt als Beweis dafür, dass Poppy bei ihm besser aufgehoben wäre.“

„Hätte niemand von Ihrer Familie sich um Ihre Tochter kümmern können, während Sie im Krankenhaus waren?“ Aller Ärger war aus Rafaels Stimme verschwunden, und sein spanischer Akzent machte sie ganz kribbelig.

„Meine Eltern sind tot, und meine einzigen anderen Verwandten leben in Australien. Meine Tante und mein Onkel waren sehr freundlich zu mir, nachdem meine Eltern bei einem Unfall ums Leben gekommen sind. Aber sie haben ihr eigenes Leben, und ich will lieber allein zurechtkommen.“

„Warum sind Sie knapp bei Kasse?“ Rafael schaute sie fragend an, und Juliet merkte, wie er ihre Baseballkappe und die Schürze musterte. „Wie es aussieht, haben Sie einen Job. Wofür stehen die Initialen LTG?“

„Lunch To Go ist der Lieferservice, der mir zusammen mit meiner Geschäftspartnerin gehört. Es gibt uns jetzt seit einem Jahr, und unsere Gewinnspanne ist niedrig, während wir noch daran arbeiten, uns einen Namen zu machen.“ Sie atmete tief durch. „Es sah aus, als würde es langsam nach oben gehen. Aber vorhin teilte mir Ihr Personalchef bei einem Treffen mit, dass der Vertrag, den wir mit der Casillas Group haben, zum Ende der Woche ausläuft und nicht verlängert wird. Es wird wohl eine neue Personalkantine eröffnet.“

Rafael nickte. „Als ich die Zentrale in London eröffnete, war es von Anfang an mein Plan, meinen Angestellten ein Restaurant und ein Fitnessstudio zur Verfügung zu stellen. Die Arbeiten haben länger als erwartet gedauert, deshalb bat ich die Personalabteilung, eine vorübergehende Alternative zu suchen.“

„Von dem Restaurant habe ich nichts gewusst“, entgegnete Juliet bedrückt.

„Wird sich das Wegfallen des Auftrags stark auf Ihr Geschäft auswirken?“

„Es wird unsere Umsätze halbieren“, gestand sie nach kurzem Zögern. „Ich dachte, wir könnten vielleicht in anderen Büros um neue Kunden werben, obwohl in der Gegend die Konkurrenz groß ist. Aber dann habe ich kurz nach dem Treffen mit ihrem Personalchef einen Anruf von meiner Geschäftspartnerin Mel erhalten. Sie und ihr Mann wollen aus London wegziehen, und deshalb wird sie die Bäckerei verkaufen, von der aus wir arbeiten. Die Backstube gehört Mel, und ich kann es mir nicht leisten, sie zu kaufen oder ein anderes Objekt zu mieten.“

„Wenn Ihre Firma schließen muss, was tun Sie dann?“

Sie zuckte die Achseln. „Ich werde mich nach einem anderen Job umsehen müssen. Leider habe ich weder irgendwelche Qualifikationen, noch eine Ausbildung, sodass es so gut wie unmöglich sein wird, genug zu verdienen, um für Poppys Betreuung aufzukommen.“

Juliet dachte an ihr BWL-Fernstudium, das sie hatte abbrechen müssen, weil sie die Gebühren für das zweite Jahr nicht mehr hatte aufbringen können. Der Abschluss hätte es ihr erlaubt, einen besser bezahlten Job zu finden, oder ihr zumindest dabei geholfen, Geschäftsstrategien für ihren Lieferservice zu entwickeln.

Aber ohne Mel würde sie es nicht schaffen, weder finanziell noch organisatorisch.

Rafael trommelte mit den Fingern auf dem Lenkrad. Er wirkte nachdenklich. Juliet fiel auf, dass er schöne Hände hatte. Unwillkürlich stellte sie sich vor, wie es sich anfühlen würde, diese Hände auf ihrem Körper zu spüren. Hitze pulsierte durch ihren Körper, und sie blinzelte irritiert.

Bryan hatte ihr das Herz gebrochen, als er ihr an dem Morgen den Laufpass gab, nachdem sie ihm ihre Jungfräulichkeit geschenkt hatte. Und ein zweites Mal einen Monat später, als sie ihm unter Tränen erklärt hatte, dass sie schwanger von ihm war. Die Grausamkeit, mit der er sowohl sie als auch das Baby zurückgewiesen hatte, zwang sie, schnell erwachsen zu werden. Sie hatte sich wie eine Närrin gefühlt, weil sie sich von seinem Charme hatte täuschen lassen – und sich geschworen, diesen Fehler niemals wieder zu begehen.

Als Singlemum blieb ihr keine Zeit, Männer kennenzulernen. Und es war ein Schock, festzustellen, dass sie noch so etwas wie Verlangen und Lust empfinden konnte.

Autor

Chantelle Shaw
<p>Chantelle Shaw ist in London aufgewachsen. Mit 20 Jahren heiratete sie ihre Jugendliebe. Mit der Geburt des ersten Kindes widmete sie sich ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter, ein Vollzeitjob, da die Familie bald auf sechs Kinder und verschiedene Haustiere anwuchs. Chantelle Shaw entdeckte die Liebesromane von Mills &amp; Boon,...
Mehr erfahren