Eine Braut muss her!

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Sorglos lebt Russell Chancellor, Lord Hadleigh, seit Jahren in den Tag hinein. Für seinen herrischen Vater ein unerträglicher Zustand, dem jetzt ein Ende bereitet werden soll: Innerhalb von drei Monaten muss Russell sich eine Braut suchen - andernfalls droht ihm die Enterbung! Gezwungen diesem massiven Druck nachzugeben, nimmt Russell die Einladung der Markhams an, die unbedingt ihre flatterhafte Tochter Anjelica unter die Haube bringen möchten. Doch als er auf dem feudalen Landsitz überraschend Mary Wardour wieder sieht, hat er keine Augen für Anjelica. Wie vor Jahren, als beide eine zarte Romanze verband, fühlen sie, dass sie füreinander geschaffen sind. Aber - genau wie damals - passt ihre Verbindung überhaupt nicht in die Pläne seines Vaters. Niemals wird er seine Zustimmung geben...


  • Erscheinungstag 14.12.2012
  • Bandnummer 0382
  • ISBN / Artikelnummer 9783954460335
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

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1. KAPITEL

Kurz vor Tagesanbruch war Russell Chancellor, Viscount Hadleigh, aus dem “Coal Hole” kommend, daheim eingetroffen, wütend auf sich selbst, weil er zu viel getrunken und beim Spiel zu hohe Einsätze gewagt hatte. Mit dröhnendem Schädel begab er sich zu Bett, wurde jedoch schon kurze Zeit später von seinem Kammerdiener geweckt.

“Zum Teufel, was fällt Ihnen ein, Pickering?” herrschte er ihn an. “Sie wissen doch, dass ich erst vor einer Stunde nach Haus gekommen bin!”

“Ja, Mylord”, erwiderte Paul. “Ihr Vater hat mich jedoch vor knapp fünf Minuten zu sich kommen lassen und mir aufgetragen, Ihnen auszurichten, er habe etwas Dringendes mit Ihnen zu besprechen. Er wünscht, dass Sie ihn unverzüglich in seinem Arbeitszimmer aufsuchen.”

“Ach, will er das?”, fragte Russell mürrisch und stand ächzend auf. “Haben Sie eine Ahnung, worum es geht?”

“Nein, Sir. Er war jedoch …” Verlegen hielt Pickering inne.

“Was war er? Um Himmels willen, Mann, haben jetzt auch Sie sich die lästige Angewohnheit meines Vaters zu eigen gemacht, mitten im Satz aufzuhören?”

“Nein, Sir. Ich wollte sagen, er war mehr als sonst über den Klatsch verärgert, der ihm zu Ohren gekommen ist.”

Nach dieser unerfreulichen Mitteilung stöhnte Russell auf. Das aufbrausende Temperament des Vaters war in Gesellschaft weidlich bekannt. Verdrossen machte Russell Morgentoilette und ließ sich von Pickering das Krawattentuch binden.

Beim Verlassen des Ankleidezimmers erblickte er sich im Pilasterspiegel und fand, er mache keineswegs den Eindruck, imstande zu sein, sich jetzt vom Vater eine Moralpredigt anhören zu können. Er sah eher danach aus, als sei er auf dem Weg zu seiner eigenen Beerdigung.

Es verdross ihn, dass er, obwohl er dreißig Jahre alt war, vom Vater immer noch wie ein unreifer Junge behandelt wurde.

Ein Lakai machte ihm die Tür zum Arbeitszimmer auf, und voll böser Vorahnungen betrat er den Raum, in dem der Vater sichtlich erzürnt auf und ab ging.

“Da bist ja endlich, Russell! Mein Gott, wenn du so weitermachst, wird man dir deinen liederlichen Lebenswandel bald ansehen! Ich staune immer wieder aufs Neue, wie sehr du dich von Richard unterscheidest!”

Russell wusste zur Genüge, dass der Vater, in dessen Augen er ein Versager war, den Zwillingsbruder ihm vorzog.

“Ich frage mich, warum du mich zu dieser frühen Stunde herzitiert hast, nur um mir etwas mitzuteilen, was mir sattsam bekannt ist”, erwiderte er verstimmt.

Nach dieser ungebührlichen Bemerkung lief das Gesicht des Vaters rot an.

“Du bist unverschämt, Russell! Ich habe genug von dir! Du kümmerst dich um nichts anderes als dein Vergnügen! Mir graust es bei der Vorstellung, was aus dem Gut werden soll, wenn ich nicht mehr lebe und du mein Nachfolger geworden bist. Es ist zwar kein fest vererblicher Besitz, aber du weißt, dass es in unserer Familie Sitte ist, dass er an den ältesten Sohn fällt. Ich frage mich jedoch, ob das …”

“Was fragst du dich, Vater? Ich würde gern den ganzen Satz hören.”

“Ich frage mich, ob das ein weise Regelung ist”, antwortete Jack frostig. “Und weil ich Zweifel habe, stelle ich dir ein Ultimatum. Ich verlange von dir, dass du heiratest und eine Familie gründest. Folglich wirst du dich von deiner Mätresse trennen, und zwar umgehend, falls möglich, noch heute Vormittag. Ich erwarte von dir, dass du dich mit einer anständigen jungen Dame vermählst, jemandem, der so ist wie Veronica. Bei der Wahl seiner Gattin hat dein Bruder den richtigen Weitblick gezeigt, etwas, das ich, was deine Entscheidungen betrifft, von dir nicht behaupten kann! Solltest du dich weigern, mir zu gehorchen, lasse ich unverzüglich meine Anwälte herkommen und verfüge in meinem Testament, dass Richard bis auf den Titel alles erbt. Desgleichen würde ich dir deine Apanage streichen. Das würde bedeuten, dass du dir deinen Lebensunterhalt verdienen müsstest. Ich fordere von dir, dich endlich deiner Pflichten zu besinnen und aufzuhören, mir Schande zu machen. Daher setze ich dir nun eine Frist von drei Monaten, innerhalb derer du eine Frau geheiratet haben musst, die unserem Namen Ehre macht und dir Söhne schenken wird.”

Russell fühlte das Blut aus den Wangen weichen und warf scharf ein: “Ist Richard über dieses Gespräch informiert? Er hat doch bereits einen Sohn.”

“Natürlich habe ich ihm nichts davon gesagt!”, antwortete Jack erregt. “Es ist unangebracht, ihn von meiner Entscheidung in Kenntnis zu setzen, ehe du die Möglichkeit hattest, dich zu beweisen. Und was seine und deine Nachkommen angeht, so muss ich dich wohl nicht darauf hinweisen, dass ich großen Wert auf möglichst viele Enkel lege, da die Sterblichkeitsrate bei Säuglingen so hoch ist.”

Russell entsann sich, dass der Bruder ihm gegenüber geäußert hatte, er lebe ständig im Schatten des Erstgeborenen. In Wirklichkeit lagen die Dinge ganz anders, denn Richard wurde ihm vorgezogen. Der ruhmreich aus dem Krieg zurückgekehrte, ernste, sachliche und pflichtbewusste Richard, der bereits einen Stammhalter vorzuweisen hatte, war der Lieblingssohn.

“Ich wünschte, ich wäre der Zweitgeborene, von dem längst nicht so viel erwartet würde”, platzte Russell verbittert heraus.

“Es ist deine angeborene Leichtfertigkeit, über die ich mich beklage! Ich erwarte von dir, dass du dich meinen Wünschen fügst oder die Konsequenzen auf dich nimmst. Ich korrespondiere seit einiger Zeit mit einem Freund, General Markham, dessen Tochter, sein einziges Kind, ihn eines Tages beerben wird. Wir hoffen, dass Miss Angelica und du ein Paar werdet. In der nächsten Woche hat er anlässlich einer Gesellschaft Hausgäste eingeladen, und ich möchte, dass du ihn besuchst, damit du seine Tochter kennenlernst. Ich unterstelle, du hast begriffen, wie dringend die Angelegenheit geworden ist. Ich bin nicht gewillt, dir deinen losen Lebenswandel noch länger nachzusehen. Ich will keine wortreichen Versicherungen von dir hören, sondern endlich erleben, dass du Fakten schaffst. Mehr habe ich dir nicht zu sagen. Du kannst jetzt gehen. Ich will dich erst dann wiedersehen, wenn du alles so geregelt hast, wie ich es von dir verlange.”

Der Vater setzte sich und begann zu schreiben. Schweigend wandte Russell sich ab und verließ den Raum.

“Ach, verdammt und zugenäht!” fluchte Russell so laut, dass etliche Passanten in der Bruton Street ihn erstaunt anschauten.

Je mehr er über sein Anliegen nachdachte, desto unbehaglicher fühlte er sich. Gewiss, in der letzten Zeit hatte er wiederholt daran gedacht, die Beziehung zu Miss Fawcett abzubrechen, jedoch vorgehabt, das Ende langsam herbeizuführen, sodass die Trennung für sie kein allzu großer Schock sein würde.

Der Vater hatte ihm jedoch kompromisslos ein Ultimatum gestellt, das er nicht ignorieren konnte, es sei denn, er war willens, mittellos auf der Straße zu stehen. Er haderte mit sich und hielt sich vor, er hätte mutiger sein und ihm sagen sollen, er solle sich zum Teufel scheren. Er hätte sich von ihm lossagen sollen und versuchen müssen, es aus eigener Kraft zu etwas im Leben zu bringen. Aber leider hatte er keinerlei Fachkenntnisse, auf die er dabei hätte zurückgreifen können. Und der Dienst in der Armee war ihm als dem älteren der beiden Söhne vom Vater untersagt worden. Auch die Leitung des Gutes in Northumberland war ihm nicht übertragen worden, da diese Aufgabe ein Verwalter wahrnahm. Ironisch hatte der Vater hinzugesetzt, er habe nicht vor, den sehr tüchtigen Mr Shaw zugunsten eines unerfahrenen, inkompetenten Mannes seiner Pflichten zu entheben.

Verbittert dachte Russell daran, dass der Vater nicht zum ersten Mal entscheidend in sein Leben eingegriffen hatte. Schon vor dreizehn Jahren war das der Fall gewesen. Gewiss, es hatte einen Anlass dafür gegeben, doch wäre der Vater damals entgegenkommender gewesen, hätten die Dinge sich sicherlich anders entwickelt.

Russell sah das Haus vor sich, in dem Miss Fawcett wohnte, und verlangsamte die Schritte. Ihm widerstrebte die Vorstellung, ihr mitteilen zu müssen, dass er die Beziehung, die er ohnehin hatte abbrechen wollen, so abrupt beenden würde. Der Vater hatte ihn jedoch dazu genötigt, sodass er nun vollendete Tatsachen schaffen musste.

Zu seiner Überraschung sah er eine Kutsche vor dem Eingang stehen und Miss Fawcetts Pagen Reisetaschen im Gepäckfach unterbringen. Erstaunt ging er schneller, eilte die Freitreppe hinauf und betrat das Vestibül. “Caroline!”, rief er laut. Da weder sie noch der Butler zu sehen waren, wiederholte er ungeduldiger: “Caroline!”

Eine Weile später erschien sie auf dem oberen Treppenpodest und kam langsam, zum Ausgehen gekleidet, die Stufen herunter.

“Du?”, fragte sie befremdet. “Ich war der Meinung, du hättest längst vergessen, dass ich hier lebe. Hast du eine Ahnung, wie lange dein letzter Besuch bei mir bereits zurückliegt?”

Russell fühlte sich in die Defensive gedrängt. Der Tag hatte schlecht begonnen, und es sah ganz danach aus, dass noch mehr Ärger bevorstand. Caroline würde sich gewiss nicht dadurch beschwichtigen lassen, dass er ihr eine beträchtliche Abfindung zu zahlen gedachte.

“Nein”, antwortete er knapp. “Aber ich weiß, dass ich dich vernachlässigt habe.” Er war froh, dass er zusammenhängend gesprochen hatte, denn wenn er aufgeregt war, stotterte er manchmal wie in der Kindheit.

“Wie wahr!”, erwiderte Caroline mit kaltem Lächeln. “Nun, ich enthebe dich der Notwendigkeit, dich je wieder bei mir einfinden zu sollen. Ich bin deine Unbeständigkeit leid und habe daher beschlossen, dich zu verlassen. An sich wollte ich dir das brieflich mitteilen, doch zum Glück ist das jetzt nicht mehr erforderlich.”

“Du willst mich verlassen?”, murmelte Russell betroffen.

“Ja!”, bestätigte Caroline kühl. “Mir ist seit einiger Zeit aufgefallen, dass du meiner überdrüssig geworden bist, aber nicht wusstest, wie du mir das zu verstehen geben sollst. Ich habe mich auf die Beziehung zu dir eingelassen, weil ich dich liebe. Natürlich war mir klar, dass du mich nicht heiraten wirst, aber du hattest mir versichert, ledig bleiben zu wollen. Ich war so einfältig, dir zu glauben, und habe mir eingeredet, wir könnten wie Mann und Frau zusammenleben, bis wir alt und grau sind. An meinen Gefühlen für dich hat sich nichts geändert, doch ich mag keine Belastung für dich sein. Vor einiger Zeit habe ich einen wohlhabenden Kaufmann kennengelernt, der willens ist, eine ehrbare Frau aus mir zu machen. Wir werden in der nächsten Woche heiraten. Und komm nicht auf den Gedanken, mich durch Geschenke zurückhalten zu wollen. Zum Abschied möchte ich dir nur noch sagen, dass ich hoffe, du wirst nie so unter einer aussichtslosen Liebe leiden müssen, wie ich das getan habe. Wir haben schöne Zeiten miteinander verbracht, aber nun muss ich fort. Die Kutsche ist abfahrbereit. Lebe wohl, Russell. Ich wünsche dir viel Glück.”

“Nein, auf diese Weise sollten wir uns nicht trennen!”

“Hattest du vor, mich zu verstoßen, statt von mir verlassen zu werden?”

“Nein”, behauptete er wider besseres Wissen.

Caroline strich ihm leicht über die Wange und sagte weich: “Denk manchmal an mich.”

Rasch wandte sie sich ab und verließ das Haus.

Er sah sich vor vollendete Tatsachen gestellt, fühlte sich jedoch nicht wohl. Jetzt war er zum zweiten Mal von einer Frau verlassen worden. Verärgert dachte er daran, dass der Vater und Caroline ihm, jeder auf seine Weise, deutlich vor Augen gehalten hatten, welche Schwächen er hatte. Nun blieb ihm, damit er sich die Gunst des Vaters nicht restlos verscherzte, nichts anderes übrig, als nach Markham Hall zu reisen und dort einer – wie er gehört hatte, achtzehnjährigen – jungen Dame, die er nicht zur Gattin haben wollte, den Hof zu machen.

Bei der Heimkehr stellte Russell fest, dass der Vater das Haus verlassen hatte. Daher konnte er ihn nicht davon in Kenntnis setzen, dass die Liaison mit Miss Fawcett beendet war. Nicht wissend, was er mit sich anfangen sollte, begab er sich zum Arbeitszimmer, um den Sekretär zu fragen, wann sein Vater zurückkehren würde. Mr Graves war jedoch auch nicht anwesend. Schon im Begriff, die Tür zu schließen, bewog ihn die Neugier, den Raum zu betreten, zu Mr Graves’ vor einem Fenster stehenden Schreibtisch zu gehen und sich die darauf liegenden Schriftstücke anzusehen.

Er fand einen kleinen Stapel von Rechnungen und sonstigen, die Geschäftsführung betreffenden Unterlagen vor. In Oxford hatte er gemerkt, dass er mathematisch begabt war. Seine Altersgenossen hatten Mathematik langweilig gefunden und sich lieber amüsiert, statt zu lernen. Er hingegen war von Zahlen stets fasziniert gewesen und entsann sich noch gut, dass Dr. Beauregard … Nein, es war besser, nicht an ihn zu denken, und erst recht nicht an Mary, dessen Tochter.

Wissbegierig nahm er die Rechnungen zur Hand, rechnete im Kopf die Aufstellungen nach und stellte verblüfft fest, dass er zu anderen Ergebnissen als den unter dem Strich genannten kam. Erneut machte er die Probe aufs Exempel, doch in allen Fällen blieb das von ihm errechnete Ergebnis das gleiche. Verwundert starrte er die Unterlagen an, hörte plötzlich die Tür aufgehen und drehte sich um.

“Oh, Pardon, Mylord”, sagte Edwin Graves überrascht. “Wollten Sie zu Ihrem Vater oder zu mir?”

“An sich suche ich meinen Vater”, antwortete Russell ernst. “Ich habe mir jedoch diese Aufstellungen angesehen und muss Ihnen nun einige Fragen stellen.”

“Ja, bitte, Sir?”

“Ich bin auf etliche Diskrepanzen gestoßen, Mr Graves, über die ich mit Ihnen reden muss.”

Edwin wusste sehr gut, dass der Earl of Bretford seinen Ältesten nicht sonderlich schätzte. Es fiel ihm stets schwer, Lord Hadleigh gegenüber nicht zu zeigen, dass er mit dessen Vater einer Meinung war.

“Auch ich habe die Abrechnungen überprüft, Sir”, erwiderte er in leicht spöttischem Ton. “Unstimmigkeiten sind mir indes nicht aufgefallen. Ich befürchte, Sir, Sie haben sich geirrt.”

“Ich bin gegenteiliger Ansicht”, sagte Russell scharf.

Diesen Ton hatte Edwin ihn noch nie anschlagen gehört.

“Sie werden die Freundlichkeit haben …”, fuhr Russell streng fort.

“Ich bin sehr beschäftigt, Mylord”, fiel Edwin ihm ungehörigerweise ins Wort. Er war nicht willens, sich nochmals mit den Schriftstücken zu befassen. “Ich habe die Rechnungen sehr sorgfältig überprüft und keinen Fehler entdeckt. Verzeihen Sie, aber wenn Sie anderer Meinung sind, dann sollten Sie die Angelegenheit Ihrem Vater vortragen. Ich versichere Ihnen jedoch, dass er volles Vertrauen zu mir hat. Meine Arbeit wird stets von ihm und Mr Shaw kontrolliert, und bis jetzt hat es nie einen Anlass zu Beanstandungen gegeben.”

Einen Moment lang fühlte Russell sich versucht, den impertinenten Sekretär am Kragen zu packen und zu schütteln. Lediglich der Gedanke, dass der Vater bestimmt für Mr Graves Partei ergreifen werde, hielt ihn davon ab, den Wunsch in die Tat umzusetzen. Er nahm sich jedoch vor, mit dem Vater über die Angelegenheit zu sprechen, wenngleich er ahnte, dass die Unterredung kein zufriedenstellendes Ergebnis zeitigen würde. Auch der Vater würde sich weigern, ihm zuzuhören, und seine Einwände als Hirngespinste abtun.

Beim Abendessen war der Vater bemerkenswert leutselig gewesen, und zwar in einem Maße, dass Russell glaubte, die seiner Überzeugung nach unstimmigen Abrechnungen zur Sprache bringen zu können.

Er beugte sich vor und sagte: “Zufälligerweise habe ich heute die Eddington Court betreffenden Kostenaufstellungen gesehen und bin der Meinung, dass sie in einigen Punkten nicht akkurat sind. Mit deiner Erlaubnis würde ich sie gern …”

Jäh hielt er inne, weil das Gesicht des Earls plötzlich vor Zorn rot anlief. Schon als Kind hatte er sich hilflos gefühlt, wenn der Vater in Rage geraten war, und daran hatte sich bis jetzt nichts geändert.

“Wieso redest du nicht weiter, Russell?”, fragte Jack ungehalten. “Was gibt es so Wichtiges, dass du glaubst, mich beim Portwein damit belästigen zu müssen? Sprich dich aus!”

“Ich möchte, dass du mir gestattest, nach Eddington zu fahren und dort nach dem Rechten zu sehen. Meines Wissens bist du nie dort gewesen, und von unserer Familie hat sich auch sonst niemand da aufgehalten. Ich meine, dass es an der Zeit ist, dass jemand von uns das jetzt tut. Da du aufgrund deiner politischen Tätigkeit verhindert bist und Richard sich zurzeit mit der Umstrukturierung seines geerbten Anwesens befasst, schlage ich vor, dass ich nach Eddington reise.”

“Ich begreife beim besten Willen nicht, Russell, wie du auf den Gedanken kommen kannst, du seist der Richtige, um in Eddington nach dem Rechten zu sehen”, erwiderte Jack frostig.

“Ich bin dein Erbe, Vater, und glaube, nach der Durchsicht von Mr Shaws Abrechnungen allen Grund zu der Annahme zu haben, es sei wichtig, die Angelegenheit vor Ort zu überprüfen.”

Angesichts der Miene des Vaters wusste Russell, dass es sinnlos gewesen wäre, weiter auf ihn einwirken zu wollen.

“Befasse dich mit Dingen, von denen du etwas verstehst”, entgegnete Jack bissig. “Mr Shaw ist, im Gegensatz zu dir, ein fleißiger, ordentlich arbeitender Mann. Er soll sich nicht darüber aufregen müssen, dass du deine Nase in Angelegenheiten steckst, die dich nichts angehen und von denen du keine Ahnung hast. Das ist mein letztes Wort in dieser Sache.”

Wider besseres Wissen fühlte Russell sich versucht, seine Absicht, nach Eddington fahren zu wollen, durchzusetzen. Leider war er bei der genauen Durchsicht der Abrechnungen von Mr Graves gestört worden, sodass er nicht genügend Beweise hatte, um dem Vater vor Augen zu führen, dass seine Behauptung berechtigt war. Zudem war er sich darüber im Klaren, dass der Vater ihm auch dann die kalte Schulter zeigen würde, wenn er ihm stichhaltige Beweise geliefert hätte. Er befürchtete, dass er, wenn er sich weiterhin bei diesem Thema aufhielt, etwas Unverzeihliches äußern würde.

Zum Glück würde er bald eine Weile nicht mehr im Haus sein, obwohl er nicht aus eigenem Antrieb nach Markham Hall fuhr. Solange er jedoch dort war, konnte er eine Zeit lang vergessen, dass der Vater ihn nicht nur nicht schätzte, sondern sogar verachtete.

Mary schaute auf, als jemand an die Tür klopfte. “Herein!”, rief sie und fragte sich verstimmt, ob sie nie einen Nachmittag ungestört verbringen könne.

Mit ernster Miene betrat Marcus den Raum und verkündete: “Lady Leominster möchte Ihnen die Aufwartung machen, Madam.”

Innerlich stöhnte Mary auf. Ausgerechnet die Patentante, mit der jetzt zu reden sie gewiss nicht die Absicht hatte, war zu Besuch gekommen.

Sie erhob sich, wartete, bis der Butler die Baronin in den Salon gebeten hatte, und sagte dann aufgesetzt fröhlich: “Guten Tag, Tante Viola. Bitte, nimm Platz.”

Viola setzte sich und erwiderte: “Ich bin überrascht, mein Kind, dass du an einem so schönen Tag daheim bist. Gleichviel, ich will umgehend zur Sache kommen. Da ich meine, dass du dich viel zu selten in der Öffentlichkeit sehen lässt, habe ich meinen Vetter Godfrey, der in der nächsten Woche eine große Gesellschaft gibt, gebeten, dich dazu einzuladen. Nein, nein! Widersprich mir nicht! Ich finde, es ist höchste Zeit, dass du einen attraktiven Mann kennenlernst und wieder heiratest! Du bist noch keine dreißig Jahre alt, sehr hübsch und obendrein vermögend. Es gibt genügend Herren, die froh wären, dich zur Gattin zu haben.”

“Gott bewahre!”, erwiderte Mary erschüttert. “Ich habe nicht die Absicht, mich ein zweites Mal zu vermählen.”

Die Ehe mit Henry Wardour war, obwohl der Vater ihn für sie ausgesucht und sie vor ein Fait accompli gestellt hatte, trotz des beträchtlichen Altersunterschiedes glücklich gewesen.

“Ich kann mir nicht vorstellen, dass du dir freiwillig jemanden wie Henry Wardour, einen Dekan, zum Mann ausgesucht hättest”, fuhr Viola kopfschüttelnd fort. “Und noch weniger verstehe ich, warum du dich damit beschäftigst, seine Arbeit fortzusetzen”, fügte sie hinzu und wies dabei auf die sich auf dem Sekretär häufenden Papiere. “Es ist gut und schön, wenn ein alter Eigenbrötler sich mit einer so trockenen Materie wie der Mathematik befasst, aber ein attraktiver junger Mann hat bestimmt anderes im Sinn und würde auch dich gewiss schnell auf andere Gedanken bringen. Und dieser Punkt ist meiner Meinung nach ein Grund mehr, der Einladung meines Cousins Folge zu leisten.”

Der einzige Grund, dessentwegen Mary bereit gewesen wäre, sich nach Markham Hall zu begeben, war ihr Wunsch, die ihr lästige Patentante nach der Zusage loszuwerden. Sie wollte sich so schnell wie möglich wieder der unterbrochenen Arbeit widmen.

“Also gut, ich bin einverstanden”, sagte sie widerstrebend. “Ich habe jedoch nicht vor, allzu lange in Markham Hall zu bleiben.”

“Ich bin entzückt, dass du eingewilligt hast”, äußerte Viola zufrieden. “Ich werde Godfrey mitteilen, dass du kommst und deine alte Bekanntschaft mit ihm und seiner Familie erneuerst. Du erinnerst dich doch an seine Gattin und seine Tochter, nicht wahr?”

“Ja, natürlich”, antwortete Mary. Sie entsann sich sehr gut des Balls, der aus Anlass des gesellschaftlichen Debüts von General Markhams Tochter veranstaltet worden war. Sie hatte an dem Fest nur teilgenommen, weil sie von der Tante dazu gedrängt worden war. Miss Angelica hatte einen sehr schlechten Eindruck auf sie gemacht, weil sie die meiste Zeit mürrisch und verdrossen gewesen war. Im Stillen bedauerte sie den armen Mann, den Miss Angelica eines Tages heiraten würde.

“Ich will dich nicht länger aufhalten”, sagte Viola und erhob sich. “Außerdem möchte ich noch zu meiner Nichte Phoebe, um sie zu bewegen, ebenfalls Gast bei Godfrey zu sein. Auch sie weiß nämlich nicht, was gut für sie ist”, setzte sie dramatisch seufzend hinzu.

Mary stand auf, läutete dem Butler und verabschiedete sich dann höflich von der Patentante. Erleichtert sah sie die Tür sich hinter der Baronin schließen, sank seufzend in den Sessel zurück und dachte daran, dass ihr nun ein anstrengender, kostbare Zeit raubender Aufenthalt in Markham Hall bevorstand.

2. KAPITEL

Markham Hall war ein eindrucksvolles, aus der Tudor-Zeit stammendes Anwesen, von dem es hieß, dass einst Königin Elizabeth während der Regierung ihrer Schwester Mary hier geweilt hatte. Es gab zwar keine schriftlichen Aufzeichnungen darüber, dass sie tatsächlich hier gewohnt hatte, aber ihr Porträt, das sie als junges Mädchen darstellte, hing als Blickfang in der Halle.

Mehrere Kutschen standen vor dem schmiedeeisernen Tor, hinter dem ein offenes, von den drei Flügeln des Hauses umgebenes Geviert lag. Da es leicht regnete, brachten die zahlreichen Dienstboten die Gepäckstücke in großer Hast ins Haus. Zwei Lakaien kamen mit Schirmen zu dem Wagen geeilt, in dem Mary mit ihrer Zofe Jennie und Miss Elizabeth Truman, ihrer Gesellschafterin, saß. Einer von ihnen öffnete den Wagenschlag, half Mary beim Aussteigen und geleitete sie zur Haustür.

Die ihr zugewiesenen Räume lagen zum Park, in dem auf einer kleinen Anhöhe eine künstliche Ruine in Form eines Turms zu sehen war. Der Ort wurde Peters Platz genannt, nach einem berühmten Jägersmann, der vor zweihundert Jahren in dieser Gegend gelebt hatte.

Mary machte sich frisch, ließ sich von Jennie umkleiden und setzte sich dann im Boudoir erschöpft auf die Chaiselongue. Kaum hatte sie Platz genommen, wurde an die Tür geklopft, und auf ihr Geheiß kamen der Butler und ein den Teewagen schiebender Lakai ins Zimmer.

“Lady Markham meinte, nach der langen Reise würden Sie sicherlich gern eine Erfrischung zu sich nehmen”, sagte Geoffrey höflich.

“Danken Sie Lady Markham in meinem Namen”, erwiderte Mary freundlich. “Das ist sehr aufmerksam von ihr.”

“Sollten Sie etwas benötigen, Madam, zögern Sie bitte nicht zu läuten. Mrs Marsden, die Haushälterin, wird sich umgehend um Ihre Wünsche kümmern”, verkündete Geoffrey und bedeutete Whalley, den Damen Tee einzuschenken. “Das Dinner wird ziemlich spät serviert, Mrs Wardour”, erklärte er dann. “Selbstverständlich wird zum Essen geläutet. Sie werden gebeten, sich dann im Stuart-Salon einzufinden. Sir Godfrey und seine Gattin hoffen, dass Sie den Aufenthalt hier genießen werden”, fuhr der Butler fort. “Sie freuen sich darauf, Sie wiederzusehen.”

Er verbeugte sich und verließ mit Whalley das Boudoir. “Ich bin beeindruckt”, sagte Elizabeth staunend. “Wenn meine frühere Herrin irgendwo zu Besuch weilte, war nicht immer alles so entgegenkommend arrangiert.”

Mary empfand die Zuvorkommenheit der Dame des Hauses als etwas Selbstverständliches, auch wenn sie persönlich weniger Wert auf Förmlichkeit legte. Sie hatte sich Arbeit mitgebracht, bezweifelte indes, dass sie die Zeit finden werde, sich damit zu befassen.

Der heiße Tee tat ihr gut, und auch das servierte Gebäck war vorzüglich. Nachdem sie sich gestärkt hatte, bemerkte sie plötzlich, dass es nicht mehr regnete und die Sonne durch die Wolken gebrochen war.

“Ich gedenke, einen Spaziergang im Park zu unternehmen”, kündigte sie an. “Es ist nicht nötig, dass Sie mich begleiten, falls Sie sich von der Reise erholen möchten.”

“Ja, ich würde gern hierbleiben”, erwiderte Elizabeth ehrlich. “Aber ich lege Ihnen nahe, Jennie mitzunehmen.”

Mary wollte allein sein, um Ruhe zu haben. “Nein, das halte ich für überflüssig. Was sollte mir hier passieren? Ich werde nicht lange fort sein”, fügte sie hinzu und erhob sich.

Sie zog einen Spenzer an, nahm vorsichtshalber einen Regenschirm mit und ging in die Eingangshalle. Nachdem sie sich bei einem Bediensteten erkundigt hatte, wie sie auf dem kürzesten Weg in den Park gelangen würde, begleitete er sie durch das Parterre zum hinteren Ausgang. Sie verließ das Haus und schlenderte auf dem breiten Weg durch den Präsentationsgarten in den Park.

Bewundernd betrachtete sie die über kleine Gewässer führenden Zierbrücken, den geschickt gruppierten Baumbestand und den an einer Seite mit einer Anlegestelle versehenen Teich. Alles, was sie erblickte, gefiel ihr, und sie bereute, dass sie nicht daran gedacht hatte, Skizzenblock und Aquarellfarben von daheim mitzunehmen. Sie genoss den Umstand, weit und breit keinen Menschen zu sehen, setzte sich auf eine Holzbank und betrachtete das sich ihren Augen bietende bezaubernde Bild.

Nach einiger Zeit stand sie mit einem leisen, bedauernden Seufzer auf und schlug einen anderen Weg zum Herrenhaus ein. Als sie sich dem Präsentationsgarten näherte, vernahm sie plötzlich Männerstimmen und war schon im Begriff, umzukehren, als sie eine von ihnen erkannte.

Sie erstarrte innerlich und sagte sich, es könne sich bei dem Herrn unmöglich um Russell handeln.

Dann hörte sie die Herren wieder sprechen und schließlich laut auflachen. Nun war sie überzeugt, sich nicht zu irren, obwohl mittlerweile dreizehn Jahre verstrichen waren, seit sie sich zum letzten Mal mit ihm unterhalten hatte. Dennoch trieb die Neugier sie, unbedingt herausfinden zu wollen, ob ihre Annahme zutraf. Sie wollte ganz sicher sein, damit sie, wenn sie ihm beim Abendessen begegnete, vorbereitet war.

Langsam näherte sie sich dem Spalier, durch das man Zugang zum Garten hatte, sorgsam darauf achtend, von den Leuten auf der anderen Seite der Hecke nicht gesehen zu werden. Vorsichtig lugte sie um die Kante des Spaliers und stellte fest, dass sie recht hatte.

Russell saß inmitten einer kleinen, um einen Tisch gruppierten Schar junger Herren, die gefüllte Weingläser vor sich hatten. Bis auf Peregrine Markham, den Erben des Gastgebers, kannte sie keinen der Anwesenden, die einen recht ausgelassenen Eindruck machten. Dem schallenden Gelächter nach zu urteilen unterhielten die Herren sich offenbar über die Dinge, die nicht für die Ohren einer Dame bestimmt waren.

Unvermittelt erhob sich Mr Markham. Hastig zog Mary sich zurück, um nicht entdeckt zu werden. Sie hatte nicht die Absicht, mit den Männern zu reden, und schon gar nicht mit Lord Hadleigh.

Sie hatte gehofft, ihn nie mehr zu sehen. Hätte sie gewusst, dass er ebenfalls in Markham Hall zu Gast sein würde, wäre sie keinesfalls hergekommen. Durch seine überraschende Anwesenheit aus der Fassung gebracht, wollte sie sich erst sammeln, ehe sie sich gezwungen sah, mit ihm Konversation zu machen. Sie legte großen Wert darauf, ihn nicht merken zu lassen, wie sehr er sie immer noch aus dem inneren Gleichgewicht bringen konnte. Es ärgerte sie, dass allein sein Anblick ihr Herz schneller schlagen ließ, ganz so, als sei es erst gestern gewesen, dass er, nach einem liebevollen Kuss, aus ihrem Leben verschwunden war.

Es war der Kuss eines Verräters gewesen. Die Erinnerung an sein schäbiges Verhalten hatte ihr manche bittere, tränenreiche Stunde verursacht, bis sie schließlich im Verlauf der Jahre nicht mehr an ihn und seine nicht gehaltenen Versprechungen gedacht hatte. Nun erschütterte es sie, dass sie durch seine unerwartete Anwesenheit dermaßen aus dem Lot geraten war.

Gewiss, er hatte sich verändert, war nicht mehr der hübsche schlanke Jüngling, sondern ein Mann, dessen Gesicht nicht mehr den unschuldigen Ausdruck eines Heranwachsenden hatte.

Rasch strebte sie, tief in Gedanken versunken, ins Haus und begab sich in ihr Boudoir.

“War der Spaziergang so anstrengend?” wunderte sich Elizabeth. “Ihr Gesicht ist stark gerötet. Vielleicht war es ein Fehler, nach der ermüdenden Reise so lange im Park zu promenieren.”

Es störte Mary, dass man ihr ansah, wie sehr sie seelisch durcheinander geraten war. “Ich fühle mich sehr wohl”, log sie. “Der Park ist entzückend.”

“Ach, ja? Ich habe schon gehört, dass er sehr sehenswert sein soll. Nun bin ich begierig darauf, ihn meinerseits bald in Augenschein nehmen zu können. Im Moment freue ich mich jedoch mehr auf das Abendessen, da ich sehr hungrig bin.”

Mary konnte ihrer Gesellschafterin nicht zustimmen. Ihr war der Appetit vergangen.

Noch hatte Russell Miss Markham nicht kennengelernt, die er auf Befehl seines Vaters heiraten sollte. Ihren Bruder kannte er jedoch von früheren Begegnungen. Da er ihn nicht mochte, grauste es ihm vor der Vorstellung, ihn zum Schwager zu bekommen.

Der junge Mr Markham war ein Spieler, der nicht verlieren konnte. Russell hingegen machte sich nicht viel daraus, wenn er beim Spiel Pech hatte. Er vergnügte sich nur gelegentlich auf diese Weise, um sich die Langeweile zu vertreiben, und konnte nicht verstehen, dass jemand süchtig danach war, jeden freien Augenblick am Spieltisch zu verbringen. Unwillkürlich überlegte er, ob Sir Godfrey wisse, wie hoch die Verluste seines Sohnes waren, und wie stark dieser dem Alkohol zusprach, um den Kummer über seine Pechsträhnen zu ertränken.

Russell hatte darauf verzichtet, in der gemütlichen Runde mitzuhalten, weil es ihn weitaus mehr amüsierte, die anderen sich bezechenden Herren zu beobachten. Unvermittelt war ihm eine Dame aufgefallen, die am Eingang zum Präsentationsgarten erschienen war, sich jedoch sofort zurückgezogen hatte. Ihr Gesicht hatte er nicht erkannt, jedoch den Eindruck gehabt, es handele sich um eine noch junge Frau.

Irgendwie hatte er bedauert, dass sie sich nicht zu ihnen gesellt hatte, weil durch ihre Anwesenheit der Nachmittag gewiss erfreulicher geworden wäre. Vermutlich hatte der Anblick der lärmenden Herrenrunde sie abgeschreckt und ihn und die anderen Männer des Vergnügens beraubt, mit ihr plaudern zu können.

Derweil er sich von Pickering zum Dinner umkleiden ließ, grübelte er über das vor einiger Zeit mit dem Vater geführte Gespräch über seinen Wunsch nach, bei den nächsten Wahlen für den Bezirk zu kandidieren, in dem Hadleigh lag. Der Vater hatte ihm vorgehalten, dafür sei er noch nicht reif und beständig genug.

Er hatte entgegnet, er halte sich für zuverlässig und sei im Übrigen mittlerweile älter als Granville, der bei seinem Einzug ins Parlament in seinen Zwanzigern gewesen war. In dem Alter, in dem er jetzt war, sei Granville dann bereits Gesandter in Russland gewesen. Er sei jedoch nicht Granville, hatte der Vater schroff erwidert. Daraufhin hatte Russell sich enttäuscht gefragt, warum der Vater eine derart große Abneigung gegen ihn hatte, um ihm die Unterstützung zu verweigern, die andere Erben eines Titels von ihren Vätern erhielten. Das dreizehn Jahre zurückliegende Ereignis konnte doch nicht dazu geführt haben, dass der Vater ihn nicht mehr ernst nahm.

Er hörte es zum ersten Mal zum Dinner läuten, verließ das Ankleidekabinett und begab sich zum Tudor-Salon. Durch die offene Tür des an die Große Halle grenzenden Raums sah er den Hausherrn mit seiner Familie die vor ihm eingetroffenen Gäste begrüßen. Miss Markham war recht hübsch und hatte zum Glück nicht die mindeste Ähnlichkeit mit ihrem Bruder, von dem man nicht behaupten konnte, er sei auch nur im Entferntesten attraktiv. Zögernd betrat Russell den Salon und wurde sogleich vom General in Empfang genommen.

“Wie ich hörte, kennen Sie meinen Sohn”, sagte Godfrey. “Meiner Tochter sind Sie, soweit ich weiß, noch nicht vorgestellt worden.”

Russell nickte, richtete die Aufmerksamkeit auf Miss Markham und fand, sie könne, dem allgemeinen Geschmack entsprechend, als Schönheit bezeichnet werden. Sie hatte blaue Augen, hellblondes Haar und eine hübsche Figur.

Autor

Paula Marshall
Als Bibliothekarin hatte Paula Marshall ihr Leben lang mit Büchern zu tun. Doch sie kam erst relativ spät dazu, ihren ersten eigenen Roman zu verfassen, bei dem ihre ausgezeichneten Geschichtskenntnisse ihr sehr hilfreich waren. Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie fast die ganze Welt bereist. Ihr großes Hobby ist das...
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