Eine hinreißende Gegnerin

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Nur einer kann gewinnen – im Streit um das Sorgerecht für die Zwillinge. Ihre attraktive Tante Rachel oder Ford Sullivan: Elitesoldat, durchtrainiert, sexy. Während eines Blizzards sitzen die Rivalen in Rachels Haus fest, und langsam bahnt sich eine ganz neue Lösung an …


  • Erscheinungstag 05.03.2022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751513937
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Rachel Adams befand sich im Kriegszustand. Und der Feind war ihr zahlenmäßig überlegen. Die Hände in die Hüften gestemmt, musterte sie zwei pausbäckige Engelchen mit haselnussbraunen Augen, die von Kopf bis Fuß mit Babylotion beschmiert waren.

„Cody Anthony Adams“, ermahnte Rachel den uneinsichtigen zehn Monate alten Jungen, „wenn du deine Hände nicht bei dir behalten kannst, muss ich mir eben was überlegen, wenn ich euch zum Schlafen hinlege.“

Der Anblick des schmierigen Durcheinanders war beinahe zu viel für Rachel. Ihre Nerven waren durch die Erschöpfung sowieso schon zum Zerreißen gespannt. Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen, und ermahnte sich, dass sie nun eine Mutter war. Dass es nicht ganz freiwillig geschehen war, war nicht wichtig. Sie hatte geschworen, ihrer Nichte und ihrem Neffen, die ihre Eltern verloren hatten, ein Zuhause zu bieten.

Aber Junge, sie musste noch eine ganze Menge lernen.

Sie hatte bereits herausgefunden, dass Kinder – genau wie Tiere – Angst spüren konnten.

Wie wenig Zeit sie doch gehabt hatte, um die Schwester zu trauern, die sie kaum gekannt hatte.

Stattdessen hatte Rachel gelernt, dass jederzeit das Chaos über sie hereinbrechen konnte. Buchstäblich. Wiederholt. Und wenn sich nicht alles außerhalb Codys Reichweite befand, dann auch ausgesprochen erfinderisch. Normalerweise nutzte er für seine Schmierereien Essen – Fruchtgelee, Bananen, Kartoffeln und alles andere, was er erreichen konnte, sobald sie ihm den Rücken zuwandte. Er malte wahnsinnig gern mit den Fingern. Und sein Lieblingsziel war seine Schwester.

Igitt, igitt, igitt.

Mit Gummihandschuhen und einer Ladung Feuchttüchern bewaffnet, machte sie sich an die Arbeit und säuberte Körper, Finger und Zehen. Und Haare. Beide Babys brauchten dringend ein Bad. Sie nahm sich vor, das Kinderbettchen noch weitere zehn Zentimeter von der Wickelkommode abzurücken.

Plötzlich wurde es ihr bewusst: Das musste Liebe sein. Wenn Nachsicht über Abscheu und Erschöpfung siegte, wenn Zuneigung über allem anderen stand, dann konnte es keine andere Erklärung geben.

Irgendwann in den vergangenen sechs Tagen hatte sie sich verliebt. Und es war eine gewaltige Liebe, größer als alles andere, was sie jemals erlebt hatte.

Das Gefühl erschreckte sie.

Eines war sicher: Falls der zweite Vormund der Kinder sich jemals dazu herablassen sollte, bei ihr aufzukreuzen, würde sie mit allen Mitteln kämpfen, um ihre Nichte und ihren Neffen zu behalten.

„Es stimmt, meine Kleinen. Jetzt werdet ihr mich nicht mehr los. Ich bin von ganzem Herzen und unwiderruflich hin und weg von euch. Und ich werde euch behalten. Ich verspreche euch, dass ihr immer wissen werdet, dass ihr geliebt seid. Ihr müsst euch keine Sorgen darüber machen, dass ihr hier nur geduldet werdet oder aus reinem Pflichtbewusstsein bei mir seid. Wir sind jetzt eine Familie“, flüsterte sie mit einem Kloß im Hals.

Rachel zog die Gummihandschuhe aus und strich mit den Fingern durch Codys dunkles, dichtes Haar. Immer wieder suchte sie in den Zügen der Zwillinge nach Merkmalen ihrer Schwester. Und tatsächlich bemerkte sie gelegentlich diesen einen bestimmten, vertrauten Gesichtsausdruck. Das dunkle Haar und ihre Augen mussten sie jedoch vom Vater haben, da Crystal braune Augen und hellbraunes Haar gehabt hatte.

Crystal hatte Augen und Haare ihres Vaters, während Rachel dagegen eher nach ihrer Mutter kam. Das weißblonde Haar trug sie kurz, und ihre Augen schienen sich nicht entscheiden zu können, ob sie blau oder grün waren.

Ein unvermutetes Klopfen an der Tür riss Rachel aus ihren Grübeleien.

Sie spürte eine jähe Anspannung. „Wer kann das sein?“

Sich erschöpft eine Haarsträhne aus den Augen pustend, betrachtete sie die nackten Babys. Sollte sie das Klopfen einfach ignorieren? Wer auch immer es war – er hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können.

Jolie begann zu weinen. In der einen Woche, die die Zwillinge jetzt bei ihr waren, hatte Rachel bereits herausgefunden, dass es Cody nichts ausmachte, nackt zu sein – ganz im Gegensatz zu Jolie.

Da sie eigentlich eine Einzelgängerin war, die Tiere und Pflanzen den meisten Menschen vorzog, bekam Rachel nicht oft Besuch. Nicht einmal von ihren Nachbarn. Doch wer auch immer gerade an die Tür klopfte meinte es ernst, denn er machte sich schon wieder bemerkbar.

Nachdem sie die Zwillinge ins Kinderbettchen gelegt und sichergestellt hatte, dass sich nichts in Codys Reichweite befand, machte Rachel sich auf den Weg zur Tür und mahnte sich selbst, dass sie keine Einzelgängerin mehr war. Durch den Türspion sah sie einen Mann, der sich halb abgewandt und die Hände tief in die Taschen seiner dunklen Jacke geschoben hatte.

Hm. War es möglich, dass der Mann Ford Sullivan war, der zweite Vormund der Zwillinge? Er war Mitglied einer Spezialeinheit der Navy – ein SEAL, wie man diese Elite-Soldaten nannte, die an Krisenherde auf der ganzen Welt geschickt wurden. SEAL war eine Abkürzung, angelehnt an die Einsatzorte der Einheit: Sea, Air, Land, also Meer, Luft und Land. Laut seines kommandierenden Offiziers war Sullivan, der den Spitznamen „Mustang“ trug, im Ausland gewesen, als die Zwillinge ihre Eltern verloren hatten. Aber der Offizier hatte auch erklärt, dass Ford Sullivan Kontakt aufnehmen würde, sobald er von seinem Einsatz zurück sei.

Was Rachel betraf, konnte er getrost wegbleiben.

Sie öffnete die Tür einen Spalt breit.

Der Mann wirkte größer und muskulöser, als der Blick durch den Spion es hatte erahnen lassen. Viel größer. Und viel muskulöser. Er trug Jeans und eine Lederjacke, hatte eine dunkle Sonnenbrille auf und schwere Bikerboots an. Ein Bartschatten schimmerte in seinem Gesicht. Seine Haltung ließ keinen Zweifel daran, dass er ein Mann war, mit dem man sich besser nicht anlegte. Die Schneeflocken, die vom grauen Winterhimmel fielen, blieben auf seinen breiten Schultern und seinem dunklen Haar liegen.

Dieser Mann wirkte nicht nur grimmig – er wirkte gefährlich.

Da sie eine Schwäche für gute Actionfilme hatte, lief Rachel beim Anblick dieses großen, finsteren, bedrohlichen Mannes unvermutet und ungewollt eine Gänsehaut über den Rücken.

Sie hoffte inständig, dass er nur ein Autofahrer war, dem das Benzin ausgegangen war.

„Ja?“ Ganz bewusst fragte sie ihn nicht, ob sie ihm helfen könne. Und sie lächelte auch nicht. Sie hatte gelernt, dass ein Lächeln Menschen nur dazu veranlasste zu verweilen, wenn sie doch meistens lieber allein sein wollte.

„Rachel Adams?“ Sein tiefer Bariton brachte die eisige Luft zum Schmelzen.

„Ja.“ Unruhig verlagerte sie das Gewicht von einem Bein auf das andere.

„Crystal Adams war Ihre Schwester?“

So viel dazu, dass er möglicherweise nur irgendein liegen gebliebener Autofahrer war. Sie straffte die Schultern und blickte ihn wachsam an. „Ford Sullivan, nehme ich an?“

Zustimmend neigte er den Kopf. „Ja. Ich bin gekommen, um die Zwillinge zu holen.“

Unwillkürlich stellten sich Rachel die Nackenhaare auf. Als Sullivan ihre Wohnung betreten wollte, legte sie instinktiv ihre Hand auf seine Brust.

„Moment mal! Ich kenne Sie nicht. Und bisher gefällt mir auch nicht, was ich höre.“

Sullivan wich keinen Zentimeter zurück, doch er verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Sie spürte, wie seine Muskeln unter ihren Fingern zuckten. All das waren stumme Warnzeichen – er war stark, und er war entschlossen. Mit einem Griff in seine Jacke zog er seine Brieftasche hervor. Wortlos zeigte er ihr seinen Militärausweis.

„Ich habe eine sehr lange Autofahrt hinter mir, Lady, und es ist ziemlich kalt hier draußen.“

Sie wollte nicht, dass er in ihr Haus kam. Nicht, wenn er davon sprach, ihr die Zwillinge wegzunehmen. Nicht, wenn sie die Zwillinge selbst behalten wollte. Doch er hatte Rechte, die sie nicht ignorieren konnte.

Zögerlich trat sie zur Seite und ließ ihn hinein. Sein kommandierender Offizier hatte erklärt, dass Sullivan ein ehrenhafter Mann sei. Genau. Seine Ecken und Kanten waren so ausgeprägt, dass sie beinahe das Gefühl hatte, sich daran zu schneiden, als er an ihr vorbeiging.

Da sie unbewusst die Luft angehalten hatte, atmete sie nun tief durch und schloss die Tür. Beim Anblick des Mannes, der vor dem Kamin stand, presste sie die Kiefer aufeinander. Sein imposanter Körper ließ ihr Wohnzimmer mit einem Mal viel kleiner erscheinen, als es eigentlich war.

Und auch viel unordentlicher, als ihr bewusst gewesen war. Mit den Babys hatten unzählige Dinge Einzug in ihr Haus gehalten. Und viele Bedürfnisse. Aufzuräumen war ein Luxus, der direkt nach Schlafen und Duschen kam.

Jolies Weinen aus dem Schlafzimmer erinnerte Rachel daran, wo sie vorhin stehen geblieben war. Ein grimmiges Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Gerade hatte sie noch darüber nachgedacht, dass sie sich im Kriegszustand befand, und hier stand ein Krieger.

Er wollte die Babys? Sie wusste, wie er helfen konnte.

„Ich bin so froh, dass Sie da sind.“ Als hätte sie die Verachtung nicht bemerkt, mit der Sullivan sich in ihrem Zuhause umsah, hakte sie sich bei ihm unter und zog ihn mit sich ins Schlafzimmer. „Die Zwillinge brauchen dringend ein Bad.“

Sie musste ihm zugute halten, dass er nicht mit der Wimper zuckte. Er nahm seine Sonnenbrille ab, hinter der stechend blaue, kühle Augen zum Vorschein kamen. Zusammen mit seiner Lederjacke warf er die Brille aufs Bett.

Jolie hörte sofort auf zu schreien und starrte Sullivan an. Rachel konnte es ihr nicht verdenken. Unter weicher schwarzer Baumwolle zeichneten sich wohlgeformte, muskulöse Schultern und harte Bauchmuskeln ab. Seine Arme waren stark und sonnengebräunt. Er verbreitete mehr Hitze im Raum als der Kamin.

Etwas, das ihr eigentlich nicht hätte auffallen sollen. Trotzdem – sie spürte es, als sie sanft über Jolies Kinn wischte.

„Was ist passiert?“, fragte er, als er an das Kinderbettchen trat.

Rachel empfand ein seltsames Vergnügen daran, ihm von Codys kleiner Angewohnheit zu erzählen.

Er hob eine seiner dunklen Augenbrauen. „Sie sollten öfter nach ihnen schauen.“

„Wow, warum bin ich da nicht von selbst drauf gekommen?“ Idiot. Sie nahm Jolie auf den Arm. „Nehmen Sie Cody. Zum Badezimmer geht es hier entlang.“

Beim Anblick der gebrauchten Handtücher und des überquellenden Wäschekorbes und Mülleimers zuckte Rachel zusammen. Der halbe Inhalt ihres Apothekerschränkchens lag im Waschbecken verstreut. Und – sie erschrak – war das eine Gabel?

Ohne auf das Durcheinander oder ihre Verlegenheit zu achten, beugte sie sich vor, um das Badewasser einzulassen. Als das Wasser warm wurde, steckte sie den Stöpsel ein. Sie kniete sich auf ein Handtuch, das noch vom letzten Bad der Zwillinge zusammengefaltet vor der Wanne lag. Dann setzte sie Jolie behutsam in das warme Wasser.

Sullivan kniete sich neben sie. Er war ihr so nahe, dass sein Arm ihre Schulter streifte, als er Cody in die Wanne ließ. Rachel wich zurück, als hätte sie sich an heißem Wasserdampf verbrüht.

Sie sprang auf. „Passen Sie auf die Babys auf, ich hole saubere Handtücher.“

„Sauber wäre gut“, knurrte er und bemühte sich nicht, den Spott in seiner Stimme zu verbergen.

Überrascht wandte sie sich um, um ihn darauf anzusprechen, doch seine gesamte Aufmerksamkeit galt den Zwillingen. Sie schwankte kurz, ob sie sich beruhigen und es vergessen oder ihn auf seine Sorge um den Zustand des Haushaltes ansprechen sollte.

Einerseits war das Haus tatsächlich in einem chaotischen Zustand. Andererseits hatte sie sich in den vergangenen sechs Tagen ganz allein um ihre Schützlinge gekümmert. Wie konnte er es wagen, sie zu verurteilen?

Sie hätte gern gesehen, wie er es besser machte.

Nein, sie wandte sich ab, um die Handtücher zu holen, das stimmte nicht. Denn das hätte bedeutet, dass er die Zwillinge bekam. Und sie musste sich um sie kümmern, für sie da sein, weil sie für ihre Schwester nicht da gewesen war.

Wenn er glaubte, dass sie den Platz einfach frei machen und ihm erlauben würde, die Zwillinge mitzunehmen, hatte er sich getäuscht.

„Woher kannten Sie Crystal?“, fragte sie, als sie zurückkam und an die Badewanne trat.

In möglichst großem Abstand zu Sullivan ließ Rachel sich auf dem Boden nieder. Sie sah ihn an. Und als hätte sie nicht bemerkt, dass das fröhliche Spiel der Zwillinge sein T-Shirt durchnässt hatte, sodass der Stoff sich eng an seine beeindruckende Brust schmiegte, wandte sie den Blick wieder ab.

Hiiiih!“, kreischte Cody vergnügt, patschte mit beiden Händchen ins Wasser und spritzte alle nass. Jolie zuckte zurück. Die plötzliche Bewegung brachte sie ins Rutschen. Rachel wollte nach ihr greifen, doch Sullivan kam ihr zuvor und packte Jolie mit starken, geschickten Händen.

Behutsam hielt er sie fest, setzte sie wieder aufrecht hin und brachte sie zum Lachen. Trotz seiner offensichtlichen Unzufriedenheit mit den Zuständen wirkte er ruhig und gelassen.

„Crystal kannte ich kaum.“ Während er Jolies Bäuchlein wusch, beantwortete er endlich Rachels Frage. „Jedenfalls nicht so gut. Tony Valenti war mein Freund. Wir haben zusammengearbeitet.“

„Der Vater der Zwillinge?“

„Ja.“

„Er war auch ein SEAL?“

„Ja.“ Ein kurzes Schweigen folgte. „Er hat mir mal das Leben gerettet.“

„Ich verstehe.“ Ja, das tat sie. Und es war nicht gut. Als ehrenwerter Mann fühlte er sich so nur noch stärker verpflichtet, die Zwillinge zu sich zu holen. Er schuldete es seinem verstorbenen Freund.

Eine Stunde später waren die Babys gebadet, umgezogen und satt und zufrieden. Rachel setzte Jolie in den Laufstall und gab ihr ein paar Bauklötze zum Spielen. Widerwillig musste sie zugeben, dass mit zwei weiteren hilfreichen Händen alles viel leichter gewesen war. Und es war schneller gegangen. Allein hätte sie vermutlich doppelt so lange gebraucht.

Sie wandte sich zu Sullivan um, der mit Cody auf dem Sofa saß. Der kleine Junge blickte zu ihm hoch und warf ihm ein Lächeln zu, bei dem seine beiden unteren Zähne aufblitzten. Der Mann strich sachte mit einem Finger über die Wange des Babys und ließ den Kleinen dann auf seinem Knie hüpfen.

Cody streckte seinen Arm aus und packte eine Handvoll dunkler Haare. Vorsichtig befreite Sullivan sich.

Offensichtlich hatten die beiden schnell eine Beziehung zueinander aufgebaut.

Rachel verschränkte die Arme vor der Brust und leugnete, dass Sullivans Behutsamkeit im Umgang mit dem Baby sie berührte. Sie ging zum anderen Ende des Sofas und begann, die saubere Wäsche zusammenzufalten, die sich in der Ecke türmte.

„Was haben Sie hinsichtlich der Zwillinge vor?“, wollte sie wissen.

Angesichts ihrer direkten Frage hob er eine Augenbraue. „Ich habe vor, den Wunsch meines Freundes zu erfüllen, sie mit nach San Diego zu nehmen und sie dort aufzuziehen.“

Ihr Herz zog sich schmerzlich zusammen, als er mit diesen Worten ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigte. „Gut. Und was ist mit mir?“

„Ganz einfach: Ich möchte, dass Sie mir das Sorgerecht überschreiben.“

Einfach?“ Sie hatte das Gefühl, an dem Wort zu ersticken. „Wie können Sie das Baby im Arm halten und behaupten, dass es einfach wäre?“

Er runzelte die Stirn und rückte den Kleinen auf seinem Schoß zurecht. Cody legte seinen Kopf in den Nacken und sah dem Mann ins Gesicht. Wieder herrschte diese Bindung zwischen ihnen, die ohne Worte auskam.

Eindringlich sah Sullivan sie an. „Ich verstehe, dass es nicht leicht für Sie ist. Aber es ist das Beste so.“

„Sie verstehen überhaupt nichts, Sullivan. Ich habe meine Schwester schon einmal enttäuscht. Das wird nicht noch mal passieren. Ihr letzter Wunsch war es, dass ich die Kinder zu mir nehme. Und das werde ich auch tun.“

Einen Moment lang betrachtete er sie, bevor er seinen Kopf neigte. „Ihre Schwester wollte nie, dass die Kinder bei Ihnen aufwachsen.“

Rachel hob so abrupt den Kopf, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht bekommen. Es hätte nicht schmerzhafter sein können, wenn Sullivan sie tatsächlich geschlagen hätte.

Alte Schuldgefühle kamen hoch und drohten, ihr den Atem zu rauben. Entschlossen schob sie sie beiseite. Sie und Crystal hatten die Vergangenheit hinter sich gelassen, als ihre Eltern vor drei Jahren gestorben waren. Crystal war damals zu Rachel gezogen. Und als Crystal dann ausgezogen war, um zur San Diego State University zu gehen, hatten sie per Telefon und E-Mail Kontakt gehalten.

Rachel war die einzige Familie, die Crystal noch geblieben war. Trotz all ihrer Unsicherheit und Erschöpfung in der letzten Woche hatte Rachel sich daran festgehalten, dass ihre Schwester ihr genug vertraut hatte, um Jolie und Cody ihrer Obhut zu übergeben.

Sie ertappte sich dabei, wie sie sich über die Arme strich, als wollte sie die plötzliche Kälte vertreiben. Als sie Sullivans Blick auf sich spürte, ballte sie unwillkürlich die Hände zu Fäusten.

„Warum sagen Sie so etwas Abscheuliches?“, wollte sie wissen.

„Hören Sie, ich weiß nur, was Tony mir erzählt hat. Crystal hat es nicht gepasst, dass Tony sein Testament aufgesetzt und einen Vormund für die Zwillinge eingesetzt hat, ohne mit ihr darüber zu reden. Also hat sie ihr eigenes Testament geschrieben und Sie als Sorgeberechtigte eingetragen.“

„Was nur beweist, dass sie wollte, dass die Kinder zu mir kommen.“ Tief in ihrem Innern löste sich bei diesem Gedanken etwas.

„Nein, Sie waren nicht mehr als ein Druckmittel. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber Tony wollte seine Kinder niemandem anvertrauen, der vor dem Leben und der Verantwortung davonläuft und beziehungsunfähig ist.“

Alles in Rachel schrie danach, seine Behauptungen abzustreiten, sich gegen die ganze Situation zu wehren. Doch die Situation war da. Er war da, hier in ihrem Wohnzimmer. Und so wie es aussah, würde er nicht so einfach verschwinden.

„Ich glaube Ihnen nicht. Wenn das ein Scherz sein soll, ist er äußerst geschmacklos.“

„Kein Scherz.“ Er zögerte, und sie konnte praktisch sehen, wie er mit sich haderte. Zu viele Informationen weiterzugeben gehörte offenbar nicht zu seinem Job. „Das wäre mehr als übel. Hören Sie, ich habe eine große Familie, die fest zusammenhält. Tony war Teil dieser Familie. Er wollte, dass die Zwillinge diese Zusammengehörigkeit ebenfalls erleben.“

Sullivan beugte sich vor, um seine Jacke zu nehmen und ein paar Papiere aus der Tasche zu ziehen. Er reichte sie Rachel. „Ich habe hier notariell beglaubigte Unterlagen, die Sie unterzeichnen müssen, um das Sorgerecht auf mich zu überschreiben.“

Argwöhnisch senkte sie den Blick und betrachtete die Papiere, die er ihr entgegenhielt. Sie wollte sie nicht nehmen, wollte nicht glauben, dass er die Wahrheit über die Motive ihrer Schwester gesagt hatte. Doch sie hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass es nichts brachte, sich selbst zu belügen.

Oder der Realität nicht ins Auge zu blicken.

Er sah sich in dem unaufgeräumten Zimmer um. „Es ist doch offensichtlich, dass Sie der Sache nicht gewachsen sind.“

„Das ist lächerlich.“ Sie ignorierte die Unterlagen und nahm ein paar winzige Latzhosen, die sie wieder und wieder zusammenfaltete. „Ich bin nicht überfordert. Ich brauche nur Zeit, um mich an die Situation zu gewöhnen.“

Er stand auf und setzte Cody zu Jolie in den Laufstall. „Und während Sie sich an die Situation gewöhnen, leiden die Zwillinge.“

Die Wut, die unter der Oberfläche geschwelt hatte, seit sie diesem undankbaren Kerl die Tür geöffnet hatte, brach mit einem Mal hervor. Rachel stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn zornig an.

„Wie können Sie es wagen! Sie haben nicht gelitten. Dann ist in meinem Haushalt eben das eine oder andere ein bisschen liegen geblieben. Na und? Sie haben einen schlechten Tag erwischt. Für gewöhnlich räume ich auf, sobald die Kleinen schlafen, aber gestern Abend musste ich noch arbeiten. Ich hatte eine Deadline für einen Artikel.“

Er deutete auf die Unordnung im Zimmer, und in seinen blauen Augen blitzte Ungeduld auf. „Das ist nicht der Dreck von nur einem Tag. Machen Sie es uns beiden doch nicht so schwer. Überschreiben Sie mir das Sorgerecht. Dann müssen Sie sich nicht an die Situation gewöhnen. Und Sie müssen den beiden auch nicht länger hinterherräumen.“

„Okay. Das reicht!“ Rachel hatte genug. Dreck? Oh, sie hatte sogar mehr als genug.

Eilig stürzte sie in ihr Zimmer und schnappte sich die Wickeltasche. Sie ging zur Wickelkommode und stopfte Windeln, zwei Schlafanzüge, ein Paket Feuchttücher und eine Packung Babynahrung in die Tasche.

„Sie glauben also, dass Sie es besser können?“ Auf ihrem Weg in die Küche stürmte sie an Sullivan vorbei.

„Ich glaube, dass Sie sich beruhigen sollten.“ Sullivan verfolgte ihr Handeln mit ungerührter Miene. Das machte sie nur noch wütender.

Sie riss die Kühlschranktür auf und fluchte unterdrückt, als sie sich einen Fingernagel im Türgriff einklemmte und der Nagel abbrach. Tränen schossen ihr in die Augen, aber sie blinzelte sie fort. Sie war entschlossen, vor diesem kalten Mann, der jeden ihrer Schritte beobachtete – und bewertete –, keine Schwäche zu zeigen.

„Oh, ich bin ganz ruhig.“ Schnell entfernte sie den abgebrochenen Fingernagel und steckte den Finger kurz in den Mund. Mit der Hüfte hielt sie dann die Tür auf, nahm zwei Flaschen aus dem Kühlschrank und legte sie ebenfalls in die rote Wickeltasche.

Wütend funkelte sie ihren Feind an, ging zu ihm und drückte ihm die volle Wickeltasche in die Arme. Fast hoffte sie, dass er sie fallen lassen würde, doch er hatte die Tasche fest im Griff.

„Mir geht es prächtig!“

Adrenalin schoss durch ihren Körper, als sie auf ihrem Weg zum Laufstall an ihm vorbeiging. Dort hob sie Jolie hoch. Aus der Ecke des Laufstalls nahm sie zwei Decken. Eine Decke wickelte sie um Jolie und warf die andere Sullivan zu, der sie inzwischen wachsam beäugte.

„Bringen Sie Cody her.“

„Was geht hier vor, Rachel?“

„Ich tue Ihnen einen Gefallen.“ Als sie ihren Mantel gefunden hatte, zog sie die Wagenschlüssel aus der Tasche und ging zur Tür.

„Werden Sie die Papiere unterschreiben?“

Rachel lachte bitter auf. „Besser als das. Ich werde die Papiere nicht unterschreiben.“

Bei ihrem Geländewagen holte Sullivan sie schließlich ein. Er packte sie am Arm und drehte sie und Jolie zu sich herum. „Wohin wollen Sie?“

Sie befreite sich aus seinem Griff. „Ich gehe nirgendwohin. Sie gehen.“ Sie nahm ihm die Wickeltasche aus der Hand, öffnete die vordere Wagentür und warf die Tasche hinein. „Sie wollen die Zwillinge? Sie können sie haben. Für die nächsten vierundzwanzig Stunden.“

„Wie bitte?“ In seiner Stimme schwang ein scharfer Unterton mit. „Ich bin es nicht gewohnt, mir Befehle erteilen zu lassen.“

„Doch, das sind Sie. Sie sind schließlich in der Navy.“

Das konnte er wohl kaum bestreiten.

Seine Miene blieb undurchdringlich. Er war zu sehr Krieger, um so leicht klein beizugeben. Doch er straffte unwillkürlich die Schultern. Ein deutliches Zeichen, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte.

Sie hätte sich der Befriedigung, die sie empfand, eigentlich schämen sollen, aber er hatte sie zu sehr gereizt.

„Sie scheinen der Meinung zu sein, dass es leicht ist, sich um zwei Babys gleichzeitig zu kümmern.“ Sie ging um ihn herum, öffnete die hintere Tür, setzte Jolie in den Kindersitz und schnallte sie an. „Gut. Okay. Sie werden Ihre Chance bekommen.“

Sullivan hatte die Haustür offen gelassen. Cody gefiel es nicht, dass er allein im Haus zurückgelassen worden war, und er machte seinem Unmut mit lautem Geschrei Luft. Mit einem verächtlichen Blick in Sullivans Richtung schlug Rachel vor: „Sie könnten damit anfangen, Cody zu holen.“

„Erst, wenn ich begriffen habe, was hier eigentlich los ist.“ Vor ihren Augen verwandelte er sich von der Zivilperson in einen Soldaten. Die Hände kampfbereit am Körper, hatte er das Kinn vorgeschoben, und seine Augen wirkten mit einem Mal kühler als zuvor.

Rachel schloss mit leichtem Nachdruck die Wagentür. Instinktiv wahrte sie Distanz zu ihm, um außer Reichweite seiner sinnlichen, verführerischen Reize zu sein. Was war nur mit ihr los, dass die gefährliche Seite dieses Fremden eine solche Wirkung auf sie hatte?

„Als Erstes müssen Sie lernen, es nicht unnötig zu verkomplizieren, wenn ein Baby schreit.“

Er fuhr sich mit den Fingern durch sein dunkles Haar. „Sie haben recht.“ Er wandte sich um. Kurz darauf kam er mit seiner Jacke unter dem Arm und Cody, der in eine Decke gehüllt war, zurück.

Gut, also bekam Sullivan ein paar Pluspunkte für gesunden Menschenverstand.

Sie wollte Cody nehmen, doch Sullivan hielt ihn fest. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie ihn an.

„Wir müssen uns erst unterhalten“, erklärte er.

„Nein, wir unterhalten uns danach.“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. „Nachdem Sie probiert haben, zwei Babys zu füttern und ihnen die Windeln zu wechseln. Nachdem Sie eine durchwachte Nacht mit dem Versuch verbracht haben, beide gleichzeitig zum Schlafen zu bringen. Nachdem Sie erst gegen Mittag dazu gekommen sind, sich die Zähne zu putzen, und Ihr T-Shirt so verschmiert ist, dass auch Waschen nicht mehr hilft. Dann werden wir reden.“

Das Geräusch seiner mahlenden Kiefer konnte sie über den halben Meter, den sie voneinander entfernt standen, hinweg hören. Er schüttelte den Kopf. „Was sollte mich davon abhalten, die beiden zu nehmen und mit ihnen nach San Diego zu fahren?“

Autor

Teresa Carpenter
<p>Teresa Carpenters Familie lebt seit fünf Generationen in Kalifornien. Auch sie selbst wohnt dort: in San Diego an der Küste. Teresas große Verwandtschaft unterstützt sie in allem und gibt ihr Kraft. Besonders stolz macht es sie, ihre Nichten und Neffen zu beobachten, die allesamt klug, sportlich und für eine strahlende...
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