Eine Leidenschaft so groß wie Texas

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Ohne Erinnerung erwacht sie nach einem Unfall im Krankenhaus, und ein gut aussehender Mann an ihrem Bett behauptet, sie sei Victoria, seine Frau … Dabei könnte sie schwören, dass sie Wade Masters noch nie gesehen hat! Das gemeinsame Leben auf seinem Anwesen in Texas wird zu einer Bewährungsprobe. Manchmal scheint Wade sie heiß zu begehren, dann behandelt er sie kühl und distanziert. Wenn bloß ihr Gedächtnis endlich zurückkehren würde! Aber in welch gefährliches Spiel sie unwissentlich verwickelt ist, merkt sie erst zu spät …


  • Erscheinungstag 16.04.2019
  • Bandnummer 2077
  • ISBN / Artikelnummer 9783733724887
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Sie wacht auf!“

Zuerst schien alles in Nebel getaucht. Dann jedoch wurde ihr Blick klarer, und sie schaute in die schönsten Augen, die sie je gesehen hatte. Sie wurden von dunklen Wimpern umrahmt, und in den braunen Iris schimmerten goldene Pünktchen.

Es war unmöglich, den Blick abzuwenden.

Sie hätte ihn auch gar nicht abwenden wollen. Denn es kam ihr vor, als stellten diese Augen ihre einzige Verbindung zum Leben dar. Und sie wollte leben.

Nach einer Weile konnte sie das Gesicht des Mannes mit den faszinierenden Augen erkennen. Hohe Wangenknochen, sinnliche Lippen, ein kantiges, von dunklen Bartstoppeln bedecktes Kinn.

Auf der anderen Seite ihres Betts – ja, sie lag in einem Bett – schob sich die Gestalt eines Mannes in weißem Kittel in ihr Blickfeld.

„Ich bin Dr. Meadows, Ihr Neurologe“, sagte er mit gedämpfter Stimme.

Sie wollte sich zu ihm umdrehen – und bemerkt, dass ihr Kopf fürchterlich schmerzte.

„Vor zwei Tagen hatten Sie einen Autounfall, bei dem Sie sich einige Verletzungen zugezogen haben. Bis auf eine schwere Gehirnerschütterung waren zum Glück alle ungefährlich.“ Der Arzt zog eine kleine Taschenlampe aus der Kitteltasche und leuchtete ihr rasch in beide Augen.

Sie zuckte zusammen.

„Gut“, murmelte er, griff nach einem Klemmbrett und blätterte ein paar Seiten um, ehe er sich eine Notiz machte. „Können Sie mir Ihren Namen nennen?“

„Natürlich, ich …“ Verwirrt verstummte sie. Ich kann doch unmöglich meinen Namen vergessen haben. Die Kopfschmerzen wurden schlimmer. „Ich weiß nicht …“ Panik erfasste sie.

„Kennen Sie diesen Gentleman?“ Der Doktor wies auf den Fremden mit den schönen Augen.

Sie musterte noch einmal eingehend das ernste, von dichtem braunem Haar umgebene Gesicht des Mannes, das einen starken Charakter verriet. Er sah umwerfend aus. Aber er rief keinerlei Erinnerungen bei ihr wach. Schwach schüttelte sie den Kopf.

„Ich bin Wade“, sagte der Unbekannte. Auch seine Stimme klang faszinierend. „Wade Masters, dein Mann.“

Mein Mann? Ich bin verheiratet? Das müsste ich doch wissen!

Wade Masters schien ihre Gedanken zu erraten. Er warf Dr. Meadows besorgt einen Blick zu.

Zutiefst verunsichert hob sie eine Hand und presste sie an ihre Schläfe. Wieso konnte sie sich nicht an diesen unglaublich attraktiven Mann erinnern? Warum fehlte ihr jede Erinnerung an die eigene Hochzeit?

Der Arzt rief nach einer Krankenschwester und wandte sich ihr noch einmal zu. „Machen Sie sich keine Sorgen, Mrs. Masters. Bald werden Sie so gesund sein, dass Sie nach Hause können. Nach einem Unfall wie dem Ihren kommt es häufig vor, dass das Gedächtnis eine Weile versagt. Aber Ihre Erinnerung wird zurückkehren. Ihr eigener Name und auch alles andere wird Ihnen wieder einfallen.“

„Wann wird das sein?“ Eine einzelne Träne rann ihr über die Wange.

„Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, denn jeder Mensch reagiert anders. Vielleicht wird von einem Moment auf den anderen alles wieder da sein. Es ist aber auch möglich, dass Ihr Gedächtnis nach und nach Einzelheiten aus Ihrer Vergangenheit zusammensetzt wie ein Puzzle. Mit etwas Glück brauchen Sie kaum Geduld aufzubringen. Es gibt jedoch Menschen, die erst nach Wochen oder Monaten die Folgen einer schweren Gehirnerschütterung überwinden.“

Wochen oder Monate ohne Erinnerung? Wie sollte sie das aushalten? Ein tiefer Seufzer entrang sich ihrer Kehle. Die Kopfschmerzen waren jetzt beinahe unerträglich.

Der Neurologe widmete sich noch einmal den Blättern auf dem Klemmbrett. „Wir haben einige Tests mit Ihnen gemacht, Mrs. Masters“, erklärte er und blätterte in seinen Unterlagen. „Die Ergebnisse sind sehr ermutigend. Die Schwellung im Gehirn ist deutlich zurückgegangen. Vielleicht können wir schon morgen entscheiden, wann Sie nach Hause dürfen.“

Eine Krankenschwester betrat den Raum, machte sich am Infusionsständer zu schaffen, schenkte ihr ein Lächeln und verschwand wieder.

„Die vertraute Umgebung zu Hause und die Gesellschaft Ihres Manns könnten durchaus eine heilsame Wirkung haben“, bemerkte Dr. Meadows.

Mein Mann. Sie richtete den Blick auf den gut aussehenden Fremden. Er trug einen hervorragend geschnittenen Anzug. Und sogar seine Krawatte wirkte irgendwie … edel. Unvorstellbar, dass sie mit ihm verheiratet war! Dennoch stellte sie sich unwillkürlich vor, wie es sich anfühlen mochte, von seinen kräftigen, gepflegten Händen berührt zu werden.

Dann bemerkte sie den goldenen Ehering, der am Ringfinger seiner linken Hand funkelte, und plötzlich hatte sie Angst. Irgendetwas hier stimmte ganz und gar nicht.

„Wir schaffen das gemeinsam“, sagte Wade Masters und beugte sich ein wenig zu ihr herunter. Und dann griff er tatsächlich nach ihrer Hand. „Ich weiß, dass du wieder völlig gesund wirst.“

Sie schluckte. „Wer bin ich?“

„Victoria Masters“, antwortete er, als er sich aufrichtete.

Er ist so selbstbewusst. Und so unglaublich attraktiv. Jetzt erst nahm sie den unaufdringlichen, aber teuren Duft seines Rasierwassers wahr. Auch die gleichmäßige Bräune seiner Haut, die durch das weiße Hemd betont wurde, war ihr vorher nicht aufgefallen. Erneut ging ihr Blick zu seinem Gesicht. Das Faszinierendste waren zweifellos seine Augen.

Wade lächelte. Sein Mund wirkte dadurch noch sinnlicher. Die goldenen Pünktchen in seinen Augen schienen zu tanzen. Er war ein gefährlicher Mann. Einer, vor dem jede Frau sich in Acht nehmen musste. Es würde ihm leichtfallen, Verlangen und Leidenschaft zu wecken. Sie musste vorsichtig sein.

Sehr vorsichtig, denn er würde sie schon bald mitnehmen in sein Haus. Ihr gemeinsames Haus, ihr Heim …

Nachdenklich schaute er sie an, und erschrocken stellte sie fest, dass ihr das Blut in die Wangen stieg. Sein Lächeln vertiefte sich, als könnte er ihre Gedanken lesen. Verlegen wandte sie den Blick ab.

Es war der Arzt, der ihrer Verwirrung ein Ende bereitete. „Ich verabschiede mich jetzt, Mrs. Masters. Bitte, machen Sie sich keine unnötigen Sorgen. Ruhen Sie sich aus. In ein paar Stunden sehe ich noch einmal nach Ihnen.“

„Danke.“ Sie spürte deutlich, wie ihre Lider schwer wurden. Das musste am Mittel liegen, das die Krankenschwester ihr gegeben hatte. „Ich …“ Das Sprechen bereitete ihr Probleme.

„Morgen“, hörte sie Dr. Meadows wie von weither sagen, „dürfen Sie aufstehen und ein wenig herumgehen. Auf Hundertmeterläufe müssen Sie allerdings noch mindestens eine Woche lang verzichten.“

„Hmm …“

„Auf Wiedersehen, Mr. Masters. Wenn Sie Fragen haben, rufen Sie mich einfach an. Meine Visitenkarte haben Sie ja.“

„Danke, Doktor.“

Der Neurologe verließ den Raum.

Es kostete Victoria große Anstrengung, die Augen offen zu halten. Der Fremde – ihr Ehemann – stand neben ihrem Bett. Dass sie nun mit ihm allein war, ließ ihre Haut kribbeln. Es war ein angenehmes und zugleich beunruhigendes Gefühl. Warum konnte sie sich nicht an ihn erinnern? Nichts an ihm kam ihr auch nur im Entferntesten vertraut vor. Weder seine Stimme noch sein attraktives Gesicht oder die breiten Schultern und das selbstbewusste Auftreten. Sein Benehmen war untadelig. Er war höflich und unglaublich sexy. Dennoch war da etwas, das sie irritierte.

Ja, jetzt wurde es ihr klar. Er wirkte so kühl und unbeteiligt. Warum war er so … so unnahbar? Sie hatte hundert Fragen an ihn, doch sein Verhalten lud sie nicht ein, auch nur eine einzige zu stellen. Er hatte kurz ihre Hand genommen, aber er hatte ihr keinen Kuss gegeben. Nicht einmal auf die Wange. Tatsächlich kam es ihr so vor, als habe der Arzt mehr Mitgefühl mit ihrer Situation gezeigt als ihr Mann. Das war beunruhigend.

Victoria war benommen und schwach. Dennoch stellte sich ihr unweigerlich die Frage, wieso sie einen so gefühlskalten Mann wie Wade Masters geheiratet hatte. Es fühlte sich irgendwie falsch an.

Vielleicht benahm er sich aber auch nur so zurückhaltend, weil er begriff, wie unangenehm es für sie war, dass sie sich nicht an ihn und ihre Ehe erinnerte. Das wäre allerdings sehr rücksichtsvoll. Dennoch erschien es ihr wahrscheinlicher, dass sein Verhalten die Folge von Eheproblemen war. Diese Probleme konnte sie in ihrer jetzigen Lage nicht lösen. Sie musste warten, bis ihre Erinnerung zurückkehrte – was hoffentlich bald geschehen würde.

Sie wollte noch einmal das Gesicht ihres Mannes mustern, doch ihr fehlte die Kraft dazu. Das Letzte, was sie spürte, war, dass der Schmerz in ihrem Kopf verschwand. Dann sank sie, betäubt vom Beruhigungsmittel, das man ihr verabreicht hatte, in tiefen Schlaf.

Wade Masters, der noch immer neben Victorias Bett stand, rührte sich nicht, sondern betrachtete sie nachdenklich. Als man ihm telefonisch mitgeteilt hatte, dass seine Frau in einen Autounfall verwickelt worden war, hatte er seinen geschäftlichen Aufenthalt in London sofort abgebrochen, um nach Hause zurückzukehren. Er hatte mit allen behandelnden Ärzten gesprochen und sie gebeten, ihn zu kontaktieren, sobald damit zu rechnen war, dass sie das Bewusstsein zurückerlangte. Er hatte unbedingt dabei sein wollen.

Darauf, dass sie unter Amnesie litt und sich weder an ihren Namen noch an den Unfall oder sonst irgendetwas aus ihrem Leben erinnern konnte, war er nicht vorbereitet gewesen. Schockiert hatte er bemerkt, wie viel Angst ihr das machte. Sie hatte ihn angeschaut, als wäre er ihr Rettungsanker. Und seltsamerweise war bei ihm der Wunsch erwacht, ihr zu helfen.

Dieses ungewohnte Mitgefühl musste damit zusammenhängen, dass Victoria sich völlig anders verhielt als sonst. Ihre Arroganz und ihre kalte abweisende Art waren verschwunden. Sie hatte dem Arzt weder Unfähigkeit vorgeworfen noch versucht, ihm ihren Willen aufzuzwingen. Möglicherweise lag das nur daran, dass sie Schmerzen hatte und unter dem Einfluss von verschiedenen Medikamenten stand. Andererseits hatte sie sich nie zuvor durch irgendetwas davon abhalten lassen, ihre Mitmenschen herumzukommandieren.

Wade runzelte die Stirn. Nein, ein paar Blutergüsse, eine gebrochene Rippe und eine Gehirnerschütterung würden nicht ausreichen, um Victorias Verhalten so drastisch zu ändern. Es musste mehr dahinterstecken. Was hatte aus einer selbstsüchtigen und fordernden Frau ein Wesen gemacht, das sich nicht schämte, Furcht zu zeigen?

Widerstrebend gestand er sich ein, dass die neue Victoria bedeutend sympathischer war. Nicht nur ihr ungewohntes Benehmen, auch ihr verändertes Aussehen fand er anziehend. Ohne Make-up und mit wirrem Haar erschien sie ihm schöner und faszinierender als je zuvor.

Schade, dass dies alles von kurzer Dauer sein würde. Zweifellos würde die alte Victoria sich bald wieder bemerkbar machen. Vielleicht sollte er die Krankenschwestern bitten, sie von Spiegeln fernzuhalten, bis er sie nach Hause holen durfte. Sie wäre entsetzt, wenn sie die blauen Flecken in ihrem Gesicht sähe. Ihr Aussehen war ihr so wichtig. Ja, sie würde sicher einen Wutanfall bekommen, wenn sie in den Spiegel schaute.

Es war an der Zeit zu gehen und seinen Anwalt zu kontaktieren. Vielleicht konnte Dave Renner, der die Scheidungsdokumente bereits vorbereitet hatte, ihm einen guten Rat geben. Der Anwalt wusste genau, worum es ging.

Schon bei seiner Vermählung mit Victoria war klar gewesen, dass es sich um eine zeitlich befristete Ehe handeln würde. Er hatte das Ende ungeduldig herbeigesehnt, aber natürlich konnte er seine Frau nicht auf die Straße setzen, solange sie sich nicht vollkommen von dem Unfall erholt hatte.

Wade unterdrückte einen Seufzer. Wann würde er endlich frei sein von der Frau, die nur auf dem Papier seine Gattin war?

Nie hatte er ihr etwas Schlechtes gewünscht. Und selbstverständlich würde er dafür sorgen, dass es ihr an nichts fehlte, bis sie gänzlich genesen war. Es gab allerdings ein Problem. Victoria war eine perfekte Lügnerin. Tatsächlich hatte er sie genau deshalb zur Frau gewählt. Er hatte geglaubt, sie würde die Rolle seiner Gattin sehr gut spielen. Diese Aufgabe hatte ihr eine Menge Vorteile gebracht. Vorteile, die sie nur ungern aufgeben würde. Womöglich würde sie deshalb noch jahrelang so tun, als hätte sie ihr Gedächtnis verloren.

Vorhin – dessen war er sich sicher – hatte sie ihm jedoch nichts vorgespielt. Ihre Angst war echt gewesen, aber wie würde sie sich verhalten, wenn ihre Erinnerung zurückkam? Zweifellos würde sie tun, was für sie am vorteilhaftesten war.

Den Entschluss, zu heiraten, hatten sie beide aus reinen Vernunftgründen getroffen. Victoria ging es darum, in den besten Kreisen von Dallas zu verkehren. Er wiederum wollte sich den Status zunutze machen, den ein verheirateter Mann im Geschäftsleben genoss. Die Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass man Männern, die eine Familie hatten, mehr Vertrauen entgegenbrachte.

Zunächst funktionierte das eheliche Arrangement wunderbar. Doch leider begann Victoria etwa sieben Monate nach der Hochzeit, sich mit verschiedenen Männern in der Öffentlichkeit zu zeigen. Ihre Eskapaden wurden in den Klatschspalten der Zeitungen erwähnt. Und das war nun wirklich überhaupt nicht gut für sein Ansehen in der Geschäftswelt. Also bat er sie, diskreter zu sein.

„Du hast doch nicht etwa angenommen, ich würde wie eine Nonne leben?“, hatte sie spöttisch gefragt. Zornig hatte er entgegnet, sie solle besser nicht vergessen, dass sie letztendlich nur eine bezahlte Angestellte war. Victoria hatte mit den Schultern gezuckt und ihr Verhalten nicht im Geringsten geändert.

Er musste sich von ihr scheiden lassen, so viel stand fest, doch das war unmöglich, solange sie unter Amnesie litt.

Wade verließ das Krankenhaus. In Gedanken machte er eine Liste der Dinge, die es zu erledigen galt. Seit seiner Rückkehr aus London hatte er noch keine Gelegenheit gefunden, sich mit seinen Brüdern in Verbindung zu setzen. Also würde er Cole und Chance anrufen, die auf dem Familienbesitz der Masters in Calico Springs lebten. Anschließend würde er sich bei Victorias Mutter Corinne melden, um ihr mitzuteilen, dass es ihrer Tochter besser ging.

Corinne hatte es bisher nicht für nötig erachtet, Victoria zu besuchen, obwohl sie über deren Unfall informiert worden war. Soweit er wusste, hatte sie auch nicht mit dem Krankenhaus telefoniert, um sich nach Victorias Zustand zu erkundigen.

Kein Wunder, dass die Tochter dieser Frau zu einem selbstsüchtigen egozentrischen Wesen herangewachsen ist, dachte Wade.

2. KAPITEL

Am Nachmittag des nächsten Tages schob ein Pfleger einen Rollstuhl in ihr Krankenzimmer.

Victoria war bereit zum Aufbruch. Wade hatte ihr ein paar bequeme Kleidungsstücke mitgebracht, die sie zu ihrer Erleichterung ohne fremde Hilfe anziehen konnte. All die Blumen, die sie von Menschen bekommen hatte, deren Namen ihr nichts sagten, waren auf ihren Wunsch hin an die Patienten verteilt worden, die niemanden hatten, der an sie dachte. Nun wartete sie nervös darauf, nach Hause gebracht zu werden.

Schweigend schritt Wade neben dem Rollstuhl her, in dem sie Platz genommen hatte, um sich vom Krankenpfleger zum Ausgang schieben zu lassen. Als sie aus dem Krankenhaus kamen, seufzte Victoria zufrieden auf. Wie gut die Sonne tat. Und wie schön der sattgrüne Rasen und die blühenden Blumen waren.

Dann bemerkte sie die wartende champagnerfarbene Stretchlimousine, neben der ein livrierter Chauffeur und ein sportlich wirkender Mann standen.

„Ist das dein Wagen, Wade?“, fragte sie ungläubig.

Wade nickte.

„Und dieser Mann … Ist das dein Bodyguard?“

Neuerliches Nicken.

„Oh! Ich bin noch nie in einem solchen Auto gefahren.“

„Doch, das bist du. Aber da du dich nicht daran erinnerst, solltest du es so genießen, als wäre es wirklich das erste Mal.“

Er half ihr beim Aufstehen und stützte sie, bis sie sicher und bequem in der Limousine saß, dann stieg er auf der anderen Seite ein. Der Chauffeur rutschte hinters Steuer, der Bodyguard nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Und schon fuhren sie los.

Victoria holte tief Luft. Das alles konnte nur ein Traum sein. Der Wagen war unglaublich komfortabel. Der schwache Ledergeruch der Sitze vermischte sich mit dem maskulinen Duft von Wades Rasierwasser. Es war … berauschend.

„Soll ich die Heizung ein wenig höher stellen?“, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. Alles kam ihr so fremd vor, so unwirklich. „Wir sind in der Nähe von Dallas, nicht wahr“, stellte sie nach einem Blick aus dem Fenster fest.

„Du erinnerst dich an Dallas?“

„Ja, ich erkenne die Skyline.“ Sie runzelte die Stirn. „Wo haben wir uns kennengelernt, Wade? Und wie lange ist das her?“

„Vor ein paar Jahren schon sind wir uns auf einer Party begegnet.“

„Hmm …“ Sie musterte ihn. Er war so sexy, und er schien sehr, sehr reich zu sein. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, aber dass er ihr Ehemann war, konnte sie sich noch immer nicht vorstellen.

Zu gut, um wahr zu sein, ging es ihr durch den Kopf. Dann beschloss sie, die Situation so lange wie möglich zu genießen.

„Bestimmt hast du mich bei dieser Party auf der anderen Seite des Raums gesehen und dich sofort in mich verliebt“, neckte sie ihn. „Ein typischer Fall von Liebe auf den ersten Blick.“

Er lächelte amüsiert. „Du hast mich beeindruckt – was du im Übrigen immer noch tust.“

Victoria biss sich auf die Unterlippe, um nicht laut herauszulachen. Dass sie sich mit einem Mal so leicht und unbeschwert fühlte, lag sicher an dem Medikament, das sie am Morgen erhalten hatte.

Sie bemühte sich, wieder ernst zu werden. „Wie lange sind wir schon verheiratet?“

„Neun Monate.“

„So kurz? Vielleicht kann ich mich deshalb nicht an dich erinnern.“

Er ging auf ihren scherzhaften Ton ein. „Möglich, aber nicht wahrscheinlich.“

Natürlich hatte er recht. Einen Mann wie Wade Masters vergaß man nicht. „Was machst du beruflich?“, erkundigte sie sich.

„Ich arbeite in unserem Familienunternehmen.“

„Ah … Ihr seid Pizzabäcker und dies ist euer Lieferwagen.“

Er hob die Augenbrauen und lachte. „Du hast es erraten. Tatsächlich sind wir in mehreren Bereichen aktiv: Viehwirtschaft, elektronische Geräte, Heimwerkermärkte und vermutlich auch Pizzabäckereien. Hast du Hunger?“

„Ich weiß nicht … Es kommt darauf an, was du mir anzubieten hast.“

Sein Blick drückte Erstaunen aus.

Victoria errötete, als ihr die Doppeldeutigkeit ihrer Worte bewusst wurde. Ein heißer Schauer überlief sie. Dieser Mann war tatsächlich zum Anbeißen. Ja, er machte ihr Appetit auf Sex. Viel mehr sehnte sie sich jedoch danach, ihr Gedächtnis zurückzuerlangen. Wenn sie wenigstens wüsste, wie es dazu gekommen war, dass sie geheiratet hatten. Sie spürte, dass da etwas nicht stimmte.

„Zu Hause erwartet dich eine große Auswahl an … an allem“, sagte Wade. „Du hast die freie Wahl. Bestimmt findest du etwas, das dir gefällt.“

„Glaubst du das wirklich?“

„Oh ja, wir werden all deine Wünsche befriedigen können.“

Unter dem Einfluss der Medikamente hätte sie nicht genau sagen können, welche Wünsche sie überhaupt hegte. Allerdings war ihr bewusst, dass auch Wade Wünsche und Erwartungen haben musste. Würde er sie womöglich in die Arme schließen und versuchen, ihr Verlangen mit leidenschaftlichen Küssen zu wecken, ehe er mit ihr unter die Decke eines riesigen Betts schlüpfte? Würde ihr Körper trotz der Verletzungen durch den Unfall auf seine Liebkosungen reagieren? Würde sie …

Ihr wurde heiß und das Blut stieg ihr in die Wangen. Was war nur mit ihr los? Sie legte die Hände an ihre Schläfen und schloss einen Moment lang die Augen.

Als sie sie wieder öffnete, sah sie, dass Wade sie amüsiert musterte. Zweifellos ahnte er, was in ihr vorging. Nur gut, dass er offensichtlich Humor hatte.

Victoria straffte die Schultern. „Habe ich Geschwister?“ Das schien ihr ein ungefährliches Thema zu sein.

„Nein, soweit ich weiß, bist du ein Einzelkind.“ Er holte ein Handy aus der Tasche und betrachtete das Display. „Ich habe nach deinem Unfall mehrmals mit deiner Mutter telefoniert. Bestimmt würde sie sich freuen, deine Stimme zu hören. Was meinst du? Willst du Corinne anrufen?“

„Meine Mutter heißt Corinne?“

Er nickte.

Corinne … Der Name sagte ihr nichts. Und sie hatte auch keine Erinnerung an ihre Mutter. Doch dann formte sich ein verschwommenes Bild vor ihrem inneren Auge. Eine blonde Frau hielt sie fest an sich gedrückt. Die Frau weinte.

Nun, sie war sich ziemlich sicher, dass diese Frau weder ihre Mutter war noch Corinne hieß. Es war schrecklich, unter Amnesie zu leiden.

Den Rest der Fahrt legten sie schweigend zurück. Victorias Gedanken drehten sich im Kreis. Wie hatte ihr Leben vor dem Unfall ausgesehen? Und wer war Wade Masters? Er machte auf sie nicht den Eindruck eines glücklich verheirateten Mannes. Wie würde er sie behandeln, wenn sie ihr Ziel erreicht hatten? Wo lag dieses Ziel überhaupt? Und warum gab Wade sich so distanziert?

Plötzlich fühlte sie sich unglaublich einsam.

Erst als der Wagen vor einem schweren schmiedeeisernen Tor hielt, erwachte Victoria aus ihren Gedanken.

Das Tor öffnete sich wie von Geisterhand, und der Chauffeur lenkte die Limousine über eine lange geschwungene Straße hinauf zu einem großen Haus auf dem Gipfel eines Hügels. Mit seinen Türmchen erinnerte es sie an eine mittelalterliche Burg.

„Hier wohnst du?“, fragte sie ungläubig.

„Hier wohnen wir.“

Der Chauffeur stoppte den Wagen und öffnete ihr die Tür. Er half ihr beim Aussteigen und dann stand auch schon Wade neben ihr und reichte ihr den Arm.

Sie starrte noch immer die Front des Gebäudes an. „Hoffentlich spukt es hier nicht.“

Wade schüttelte den Kopf. „Ich verspreche dir, dass es hier keine Gespenster gibt. Und wenn du trotzdem Angst hast, werde ich dich beschützen.“

„Hmm …“, murmelte sie abwesend. Dr. Meadows hatte gesagt, dass die vertraute Umgebung ihres Heims ihr helfen würde, ihr Gedächtnis zurückzuerlangen. Tatsächlich vermittelte ihr das große Haus lediglich ein Gefühl der Fremdheit. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sie in einer Burg gelebt hatte.

Die Haustür wurde geöffnet, und mehrere Männer traten aus dem Haus. Zwei waren offensichtlich Wachleute. Der dritte verbeugte sich vor ihr und sagte: „Willkommen daheim, Madam.“

An Wades Seite betrat sie das Foyer, das ihr so geräumig wie eine Bahnhofshalle erschien. Es war allerdings um vieles eleganter. Selbst eine Prinzessin hätte nicht mehr Luxus erwarten können.

Von irgendwoher hatte jemand einen Rollstuhl herbeigebracht. Victoria setzte sich und ließ sich von Wades Assistenten zunächst in einen geschmackvoll eingerichteten Wohnraum und dann in ein Speisezimmer schieben, das mit einem riesigen Tisch und mindestens vierzig Stühlen ausgestattet war.

Vor der geöffneten Tür zur Küche hatte sich das Hauspersonal versammelt, um die heimkehrende Hausherrin zu begrüßen. Victoria winkte den Bediensteten zu. Diese wechselten erstaunte Blicke, ehe sie schließlich zögernd zurückwinkten.

Während sie noch versuchte, sich dieses seltsame Verhalten zu erklären, wurde sie in einen Aufzug geschoben. Die Burg war also mit modernem Komfort ausgestattet, und im Aufzug gab es einen Spiegel. Zum ersten Mal seit dem Unfall sah sie ihr Gesicht.

Victoria erschrak. Ihre Oberlippe war eingerissen, ihr Haar glanzlos. Sie hatte ein blaues Auge und eine ihrer Wangen war von einem Bluterguss entstellt.

Man könnte meinen, ich hätte mich geprügelt.

Vor Entsetzen brachte sie kein Wort heraus. Dann ertönte ein leises Pling, der Fahrstuhl hielt und die Türen öffneten sich. Vor ihr lag ein langer Gang, dessen Marmorboden im Licht der durch die Fenster hereinfallenden Sonnenstrahlen glänzte.

Am Ende des Flurs befand sich ihr Schlafzimmer, ein großer, in Pastelltönen gehaltener Raum. Hübsch und bequem, aber ohne persönliche Note.

„Ich hoffe, das entspricht deinen Bedürfnissen“, sagte Wade.

„Ja, danke.“ Erst jetzt bemerkte sie die durch einen Raumteiler halb verborgene Sitzecke. Bequeme Sessel, ein runder Tisch, ein kleiner Kühlschrank und ein Regal, in dem ein paar Gläser, Karaffen mit Alkohol und einige Bücher standen. Außerdem gab es einen offenen Kamin und eine große Glastür, die auf einen Balkon führte.

Victorias Blick blieb an dem breiten Bett mit dem seidenen Bettzeug hängen. „Schläfst du auch hier?“

Einen Moment lang glaubte sie, einen lüsternen Ausdruck in Wades Augen zu sehen. Doch schon wirkte er wieder so kühl wie eh und je. „Nein, mein Zimmer ist nebenan.“

Widerstreitende Empfindungen regten sich bei ihr. Einerseits war sie erleichtert, dass sie das Bett nicht mit diesem Fremden – so attraktiv er auch war – teilen würde. Andererseits erschien es ihr seltsam, dass ein kaum neun Monate lang verheiratetes Paar getrennte Schlafräume hatte. Das Gefühl, dass es in ihrer Ehe Probleme gab, verstärkte sich.

Vorsichtig erhob sie sich aus dem Rollstuhl und begann, das Zimmer zu erforschen. Besonders eingehend betrachtete sie die Bilder an den Wänden. „Dein Innenarchitekt hat einen guten Geschmack“, stellte sie fest. „Oder hast du selbst die Gemälde ausgesucht?“

Autor

Lauren Canan
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