Eine Nacht in Venedig

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Mit jedem Tag, den Jill in der Nähe des galanten Gianni di Destinos verbringt, wächst ihre Hoffnung. Als Sekretärin des vornehmen Venezianers hat sie ihr Herz an ihn verloren. Dieser Mann ist einfach ein Traum! Doch Jill muss fürchten, dass er ein schöner Traum bleibt.


  • Erscheinungstag 19.07.2017
  • ISBN / Artikelnummer 9783733779153
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

„Sind Sie bereit, diesen Mann zu Ihrem rechtmäßig angetrauten Ehemann zu nehmen?“

Ein Schauer rann Jillian über den Rücken, als sie den ernsten Worten lauschte, die sie für immer an Rinaldo Marsala binden würden. Einen Mann, den sie kaum kannte. Beging sie einen furchtbaren Fehler?

Rinaldo stieß sie sanft in die Seite. Jillian wurde bewusst, dass er und der Priester auf ihre Antwort warteten. Sie blickte sich um, suchte nach einem Ausweg, nach einem Grund, die Zeremonie nicht zu vollziehen.

Die alte Kirche an einem der kleineren Kanäle von Venedig war beinahe leer. Jillian kannte niemand sonst in der Stadt. Rinaldo hatte weder Familie noch Freunde zu der Hochzeit eingeladen. Nur wenige Leute, die zu früh zur Abendmesse erschienen waren, saßen in den Bänken. Unter ihnen befand sich eine junge Frau mit einem Baby im Arm. Sie musste später hereingekommen sein, denn Jillian hatte sie zuvor nicht bemerkt.

Als Rinaldo sie erneut anstieß, gab sie fast unhörbar leise ihr Jawort.

„Weiß irgendjemand einen Grund, warum dieser Mann und diese Frau nicht den heiligen Bund der Ehe eingehen sollten?“, fragte der Priester.

Es war nur eine Formalität, deshalb reagierten alle überrascht, als die Frau mit dem Baby aufstand und mit schriller Stimme verkündete: „Ich weiß einen sehr guten Grund! Rinaldo hat versprochen, mich zu heiraten. Dies hier ist sein Kind!“ Sie hielt das Baby hoch, das zu weinen begann, als ihre Worte von den antiken Mauern widerhallten.

Nach einem Augenblick des schockierten Schweigens begannen alle gleichzeitig durcheinanderzureden: die fremde Frau, Rinaldo, der Priester und die wenigen Zuschauer. Alle außer Jillian. Sprachlos starrte sie Rinaldo an, während er von allen Seiten Anschuldigungen abwehrte.

Schließlich wurde ihm ihr Schweigen bewusst. Er nahm ihre Hände in seine und drückte sie bestimmt. „Es tut mir so leid, dass Maria unsere Hochzeit stören muss.“

„Du kennst sie? Sie ist nicht irgendeine Verrückte, die nur zufällig hier ist? Sagt sie etwa die Wahrheit? Bist du der Vater ihres Babys?“

„Nun, es ist ein bisschen kompliziert. Bitte vertrau mir. Wenn du nur etwas Geduld hast, wird sich gewiss alles klären.“

Fassungslos starrte Jillian ihn an. „Das kann doch nicht dein Ernst sein!“

„Wir müssen reden, cara. Aber nicht hier. Wir gehen an einen ruhigeren Ort.“

Maria schrie über das Gebrüll ihres Babys hinweg, der Priester versuchte, auf das Brautpaar einzureden, und die wenigen Schaulustigen rückten näher, um sich nichts entgehen zu lassen.

Jillian riss sich von Rinaldo los und rannte zum Ausgang. Endlich draußen, lief sie wie blind durch die Gassen Venedigs, bis sie ein ruhiges Villenviertel am Canal Grande erreichte.

Außer Atem setzte sie sich auf die Kaimauer vor einem Palazzo und blickte hinaus auf den Kanal, ohne ihre Umgebung wirklich wahrzunehmen. Sie war wie betäubt. Die hässliche Szene in der Kirche ging ihr immer wieder durch den Kopf, so wie ein Albtraum, der nicht enden wollte.

Als sie sich etwas beruhigt hatte, fragte sie sich, was sie als Nächstes tun sollte. Ihr Geld war beinahe aufgebraucht, aber eine Rückkehr nach Hause kam nicht infrage. Wie konnte sie ihren Freunden und Angehörigen gegenübertreten, die sie gewarnt hatten, sich nicht in eine Ehe zu stürzen? Sie würde nichts als Vorhaltungen zu hören bekommen. Doch welche andere Wahl hatte sie denn?

Versunken in der verzweifelten Suche nach einer Lösung sah sie das Schnellboot nicht, das sich in rasantem Tempo näherte und eine Woge Wasser aufwirbelte, die sie von Kopf bis Fuß durchnässte.

Der Mann am Steuer sah aus wie ein Gondoliere in einem weißen Hemd mit offenem Kragen und einem Tuch um den Hals. Die Abendsonne ließ sein dichtes schwarzes Haar glänzen und unterstrich die klassischen römischen Züge seines tief gebräunten Gesichts. Er sah auffallend gut aus, doch Jillian war zu empört, um es zu bemerken.

Er vertäute das Boot vor der eindrucksvollen venezianischen Villa zu ihrer Rechten und sprang geschmeidig auf den Kai. Er reichte ihr die Hand und sagte auf Italienisch: „Es tut mir furchtbar leid. Ich hoffe, ich habe Ihr Kleid nicht ruiniert.“

„Das ist die Geringste meiner Sorgen“, murmelte sie in seiner Sprache, während sie sich das nasse Haar aus dem Gesicht strich. „Ich habe nicht vor, es noch einmal zu tragen.“

Sein Interesse erwachte, als er sie näher betrachtete. Sie trug Orangenblüten im Haar, und das zarte Kleid mit der Perlenstickerei um den Ausschnitt konnte durchaus als schlichtes Brautkleid durchgehen. Aber was tat sie da ganz allein? Sicherlich hätte kein Mann eine so wundervolle Frau am Altar versetzt. Doch warum saß sie dann so einsam und niedergeschlagen da?

„Sie müssen sich sehr unbehaglich fühlen in diesem nassen Kleid. Kommen Sie mit ins Haus. Ich gebe Ihnen ein paar Handtücher. Mein Name ist Gianni, ich wohne hier.“

Es war ein verlockendes Angebot. Ihr war nicht danach zumute, mit tropfnassem Haar und in dem Kleid, das wie ein nasser Lappen an ihrem Körper klebte, zum Hotel zurückzugehen. Jeder Passant hätte sie angestarrt und verhöhnt.

Die Pracht der Villa zog sie vorübergehend in ihren Bann. Dicke Teppiche bedeckten die Marmorböden. Damastgardinen waren kunstvoll an den Fenstern drapiert, die einen atemberaubenden Blick auf den Kanal boten. Die Möbel schienen wie aus einem Museum, ebenso wie die Gemälde in verzierten goldenen Rahmen und die geschmackvollen Kunstgegenstände auf Regalen und Tischen.

„Kommen Sie mit mir, und ich gebe Ihnen etwas anzuziehen, während Ihre Kleidung getrocknet und gebügelt wird.“ Gianni blieb am Fuße einer gewundenen Treppe stehen und wartete, dass Jillian ihm folgte.

Sie zögerte einen kurzen Moment. Dann sagte sie sich, dass sie nichts zu befürchten hatte. Dieser Mann war offensichtlich eine bedeutungsvolle Persönlichkeit. Er sah außerdem atemberaubend aus, wie sie erst jetzt richtig bemerkte. Er hatte es gewiss nicht nötig, irgendeiner Frau gegenüber zudringlich zu werden, und schon gar nicht bei einer, die wie ein begossener Pudel aussah.

Sie folgte ihm die Treppe hinauf und in ein prunkvolles Schlafzimmer. Während er in ein angrenzendes Ankleidezimmer ging, blickte sie sich in dem luxuriösen Raum um.

Ein riesiges Bett stand auf einer niedrigen Plattform. Darauf lag eine dunkelblaue Samtdecke, die ein geometrisches, mit Goldfaden gesticktes Muster zierte. Die Gardinen an den hohen Fenstern waren aus dem gleichen Stoff gefertigt.

Auf der gegenüberliegenden Seite standen zwei große, bequem aussehende Sessel und ein Sofa vor einem Kamin mit Marmorsims. Bücher und Zeitschriften bedeckten den Couchtisch.

Gianni kehrte mit einem weißen Seidenmantel in japanischem Stil zurück. „Sie können den hier anziehen, bis Ihr Kleid fertig ist. Legen Sie es einfach auf das Bett. Ich lasse es dann von einem der Angestellten holen.“

„Vielen Dank. Sie sind sehr aufmerksam.“

„Es ist das Mindeste, was ich tun kann, nachdem ich Sie durchnässt habe. Sie finden einen Haartrockner im Badezimmer. Kommen Sie hinunter in die Bibliothek, wenn Sie fertig sind. Es ist das Zimmer zur Rechten der Eingangshalle.“

Nachdem er sich zurückgezogen hatte, ging Jillian in das Badezimmer. Es war sehr prachtvoll eingerichtet. Wände, Fußboden und Waschtisch bestanden aus braunem Marmor mit weißen Sprenkeln, und eine Wand war völlig verspiegelt.

Bestürzt musterte sie ihre Haare. Sie trug immer noch den Kranz aus Orangenblüten. Was musste Gianni von ihr denken? Sie warf den Haarschmuck in den Mülleimer und griff nach dem Fön.

Als sie kurze Zeit später die Bibliothek betrat, saß Gianni an einem großen antiken Schreibtisch. In Leder gebundene Bücher nahmen zwei Wände vom Boden bis zur Decke ein.

Selbst in legerer Kleidung wirkte Gianni, als gehörte er in diese luxuriöse Umgebung. Jillian wünschte, von sich dasselbe sagen zu können. Sie fühlte sich sehr unbehaglich in dem dünnen Mantel, unter dem sie nichts als einen knappen Slip trug. Hastig blickte sie an sich hinab, um sich zu überzeugen, dass die Robe fest geschlossen war.

Ein kurzer Anflug von Verlangen leuchtete in Giannis Augen auf, als er sie betrachtete. Glänzendes kastanienbraunes Haar fiel ihr locker und natürlich auf die Schultern. In dem dünnen Morgenmantel, der die Rundungen des Körpers darunter erahnen ließ, sah sie aus, als wäre sie gerade nach einem Liebesspiel aus dem Bett gestiegen.

Als Jillian aufblickte, fragte er freundlich: „Haben Sie alles gefunden, was Sie brauchen, Signorina …?“ Er hielt inne und blickte sie erwartungsvoll an.

Sie nannte ihm ihren Namen und sagte dann: „Ja, danke. Ich habe die Handtücher in den Wäschekorb gelegt und mein Kleid im Badezimmer gelassen, weil es so nass ist. Es reicht, wenn es nur ein paar Minuten in den Trockner gesteckt wird. Mir ist egal, wie es aussieht.“

„Ich bin sicher, dass wir mehr tun können. Ich würde mich schlecht fühlen, wenn es ruiniert wäre. Es ist ein sehr schönes Kleid.“

„Das dachte ich auch, als ich es gekauft habe, aber inzwischen habe ich meine Ansicht geändert.“

Rinaldo hatte das Kleid im Grunde genommen ausgesucht und sie zum Kauf gedrängt, obwohl es wesentlich mehr gekostet hatte, als sie eigentlich hatte ausgeben wollen.

Hat er eine Provision dafür bekommen?, fragte sie sich nun. Noch am Vortag wäre ihr dieser Gedanke nie gekommen, aber ihr Vertrauen in ihn war offensichtlich naiv gewesen.

„Kommen Sie und setzen Sie sich auf die Couch“, forderte Gianni lächelnd.

Als er in dem Sessel daneben Platz nahm, klopfte es diskret an die Tür. Ein Butler in schwarzem Anzug trat ein und stellte ein barockes Tablett mit einem silbernen Service auf den Couchtisch. Während er Kaffee in zwei zierliche Tassen schenkte, beauftragte Gianni ihn, sich um Jillians Kleid zu kümmern.

Als sich der Butler zurückgezogen hatte, bemerkte sie: „Sie haben ein wundervolles Haus. Ich habe diese großen Palazzi von den Wassertaxis aus gesehen und mich immer gefragt, ob wirklich Leute in ihnen wohnen.“

„Jetzt wissen Sie, dass es wahr ist.“ Er lächelte wieder. „Sie leben nicht hier in Venedig?“

„Nein. Ich bin nur auf Besuch. Bestimmt merkt man an meinem Akzent, dass ich keine Italienerin bin.“

„Sie sprechen unsere Sprache ausgezeichnet. Aus welchem Land stammen Sie?“

„Den Vereinigten Staaten. Ich habe Italienisch und Französisch studiert und unterrichte an einer Privatschule.“

„Also besuchen Sie diese Länder regelmäßig, um Ihre Kenntnisse aufzufrischen?“

„Ich habe mir eingeredet, dass es als Geschäftsreise betrachtet werden könnte.“ Jillian lächelte zum ersten Mal, als sie sich an ihre Rechtfertigung der Unkosten erinnerte. „Es ist mein erster Besuch in Venedig.“

„Ich hoffe, es wird nicht Ihr letzter sein.“

Ihr Lächeln schwand. „Ich bezweifle, dass ich je wiederkommen werde.“

„Es täte mir sehr leid, wenn meine Achtlosigkeit verantwortlich für Ihre Entscheidung wäre.“

„Sie trifft keine Schuld. Außerdem sollte man auf Reisen auf kleine Missgeschicke vorbereitet sein.“

„Das ist eine sehr gesunde Einstellung. Vielleicht überlegen Sie es sich noch einmal und geben Venedig doch noch eine Chance.“

„Das bezweifle ich sehr.“ Als ihr bewusst wurde, dass ihre Bemerkung unhöflich klang, fügte sie hinzu: „Venedig ist eine zauberhafte Stadt, aber es gibt so viele andere Orte, die ich mir ansehen möchte.“

„Dann ist es also nur ein kurzer Stopp auf einer großen Tour?“

„Ursprünglich war es so geplant. Meine Schwester und ich wollten nach ihrem Schulabschluss gemeinsam durch Europa reisen, aber sie hat ihre Pläne geändert.“

„Das ist sehr schade. Ich hoffe, dass der Grund nichts Ernstes war.“

Jillian lächelte erneut. „Man könnte es so nennen. Bettina hat beschlossen, lieber zu heiraten.“

„Das ist allerdings ernst“, bemerkte Gianni in sarkastischem Ton. „Hat sie sich für eine große Hochzeit entschieden?“

„Vor der Trauung wurden viele Partys gegeben, aber die Hochzeit selbst war eine schlichte Zeremonie im Garten meines Elternhauses. Bettina und David sind der Meinung, dass sie mit dem Geld, das eine üppige Hochzeit verschlungen hätte, etwas Besseres anfangen können. Sie sind beide erst einundzwanzig und beabsichtigen, die Universität zu besuchen.“

„Das klingt sehr vernünftig.“

„Ja, das war eine Überraschung für uns alle. Ich wurde immer als die Vernünftige angesehen und Bettina als der impulsive Teenager.“ Sie verzog das Gesicht zu einem selbstironischen Lächeln.

Verstohlen musterte Gianni sie und fragte sich, was in ihrem Leben schiefgelaufen war. „Sicherlich war es eine schöne Hochzeit. Waren Sie die Trauzeugin?“

Jillian nickte.

Nichts, was sie ihm bisher erzählt hatte, erklärte die Orangenblüten in ihrem Haar oder warum sie einsam und traurig auf seiner Kaimauer gesessen hatte.

„Es war eine schöne Hochzeit“, sagte Jillian. Warum stellte er ihr all diese Fragen? Sein Interesse an ihr, einer völlig Fremden, wirkte suspekt. Sie traute keinem Mann mehr und beschloss daher, selbst ein paar Fragen zu stellen. „Leben Sie ganz allein in diesem großen Haus?“

Er nickte. „Abgesehen von der Dienerschaft, ja. Ich bin unverheiratet.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, in einem so großen Haus ganz allein zu leben.“

„Die Einsamkeit wirkt wie ein Segen, nachdem meine Neffen wieder weg sind.“ Er schmunzelte. „Ich mag sie sehr, aber neunjährige Zwillinge sind das personifizierte Chaos.“

„Haben Sie viele Nichten und Neffen?“

„Nein. Angelina ist meine einzige Schwester, und ich bezweifle, dass sie weitere Kinder bekommen wird. Joseph und Roberto scheinen ihr zu genügen.“

„Ich freue mich darauf, Tante zu werden, aber ich fürchte, dass es noch lange dauern wird. Bettina und David haben noch Jahre der Ausbildung vor sich.“

„Gewiss freuen Sie sich für Ihre Schwester, aber es ist sehr schade, dass sie diese Reise nicht mit Ihnen unternehmen konnte.“

Jillians Miene wurde ernst. „Ja, es hätte so schön sein können.“

„Sie werden alle Unannehmlichkeiten vergessen, sobald Sie wieder zu Hause bei Ihrer Familie sind“, sagte Gianni sanft. „Im Nachhinein erinnert man sich nur an das Schöne.“

Eine kurze Weile lang war es ihr gelungen, den durchgestandenen Albtraum ebenso wie das bevorstehende Dilemma zu verdrängen. Nun dachte sie wieder an ihre Probleme. Gianni war zweifellos ein einflussreicher Mensch und hatte sich als sehr freundlich erwiesen. Vielleicht konnte er ihr helfen.

„Sicherlich trifft es zu, dass man sich nur an die schönen Dinge erinnert, aber ich habe eigentlich keine schlechten Erfahrungen hier gemacht“, sagte sie in sorgsam gelassenem Ton. „Venedig ist ganz anders als Kalifornien. Ich würde gern noch ein paar Wochen bleiben und mir hier alles anschauen.“

„Das klingt vernünftig.“

„Das Problem ist nur, dass ich mir einen Job besorgen müsste, um bleiben zu können. Kennen Sie zufällig jemanden, der eine vorübergehende Hilfskraft braucht? Vielleicht in einem Büro als Urlaubsvertretung. Ich bin sehr gut im Umgang mit Computern. Oder ich könnte als Hauslehrerin oder Kassiererin arbeiten. Ich bin bereit, fast alles zu tun, was nicht gegen das Gesetz verstößt.“ Jillian hasste es, ihn darum zu bitten, aber sie wusste nicht, an wen sie sich sonst wenden sollte.

Sie sah so jung und verletzlich aus, dass Gianni sie in die Arme schließen und ihr eine Lösung all ihrer Probleme versprechen wollte. Leider bat sie um etwas, das selbst ihm bei seinen guten Beziehungen nicht möglich war – zumindest nicht sofort, wie sie es sich erhoffte.

Als er zögerte, sagte sie: „Ich brauche nur genug Geld, um mein Hotelzimmer zu bezahlen. Das Monaco ist ein kleines Touristenhotel für Leute mit wenig Geld. Vielleicht bekomme ich sogar einen günstigeren Preis, wenn ich länger bleibe.“

„Wenn das Ihr einziges Problem ist, kann ich Ihnen helfen. Sie können mein Gast für ein paar Wochen sein.“

„Ich hatte es nicht auf eine Einladung abgesehen“, protestierte sie.

„Das habe ich auch nicht angenommen. Aber es ist eine gute Lösung. Wie Sie sehen, habe ich genügend Platz.“

„Sie sind sehr freundlich, aber ich kann unmöglich annehmen“, entgegnete sie entschieden. „Allerdings würde ich Ihre Hilfe bei der Beschaffung eines Jobs akzeptieren.“

„Ich wünschte, Sie hätten mich um etwas Einfacheres gebeten. Es ist sehr schwierig für einen Ausländer, in Venedig zu arbeiten“, erklärte er. „Sie brauchten eine Arbeitserlaubnis, deren Beschaffung Monate dauern kann – vorausgesetzt, dass Sie überhaupt eine bekommen. Die Genehmigungen werden nur sehr sparsam ausgestellt.“

„Das überrascht mich nicht. Es ist nicht anders in den Vereinigten Staaten.“

„Ich könnte den Prozess zwar abkürzen, aber Sie müssten trotzdem wochenlang warten.“

„Das ist das Problem. Ich kann nicht warten.“ Sie ließ die schlanken Schultern hängen. „Nun, trotzdem danke. Ich werde wohl die bittere Pille schlucken und nach Hause zurückkehren müssen.“

„Wie lange können Sie durchhalten? Vielleicht fällt mir noch etwas ein.“

Bevor Jillian antworten konnte, trat der Butler nach einem diskreten Klopfen ein. „Entschuldigung, Signore, aber die Contessa di Rivoli wünscht Sie am Telefon zu sprechen.“

„Sagen Sie ihr, dass ich momentan beschäftigt bin und sie zurückrufen werde“, entgegnete Gianni.

„Sie können das Gespräch ruhig annehmen“, warf Jillian ein. „Mein Kleid muss inzwischen trocken sein. Ich werde mich umziehen gehen.“

Doch Gianni winkte den Butler hinaus und erwiderte: „Sie brauchen nicht so überstürzt zu gehen. Ich werde frischen Kaffee bestellen. Oder möchten Sie vielleicht etwas Stärkeres?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich habe Ihre Zeit schon genügend in Anspruch genommen.“ Es war ihr peinlich, dass sie ihn um einen Gefallen gebeten hatte – und zurückgewiesen worden war. Er musste sie für eine Opportunistin halten.

Hastig stand sie auf und stolperte in ihrer Eile über den langen Mantel. Der Stoff öffnete sich, und als ob das nicht schlimm genug wäre, taumelte sie geradewegs in Giannis Arme, der sich gleichzeitig mit ihr erhoben hatte und sie auffing.

Der unerwartete Anblick ihres schlanken, beinahe nackten Körpers bestätigte, was er bereits vermutet hatte. Obwohl ihr Gesicht unschuldig und engelhaft wirkte, besaß sie den makellosen Körper einer Sirene. Unwillkürlich glitten seine Hände über ihre zarte Haut.

Jillians Wangen erglühten wie wilde Rosen. Konnte ihr noch Schlimmeres widerfahren an diesem unglückseligen Tag? Sie atmete erleichtert auf, als sie das Gleichgewicht wiederfand und Gianni sie losließ.

„Ich scheine heute besonders unfallgefährdet zu sein“, bemerkte sie in leichtem Ton, doch sie wagte nicht, ihn anzusehen.

„Keiner der Zwischenfälle war Ihre Schuld.“ Er unterdrückte mühsam ein Lachen, als sie den Gürtel so festzog, dass sie vermutlich kaum noch atmen konnte.

„Ja, nun, ich sollte lieber verschwinden, bevor noch etwas passiert.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, raffte sie die Robe bis zu den Knien und rannte zur Tür.

Gianni versuchte nicht, sie aufzuhalten. Er wusste, wie verlegen sie war, weil er einen Blick auf ihren Körper erhascht hatte. Er hätte ihr sagen können, dass sie stolz auf ihre Figur sein konnte, aber sie hätte es nicht als Kompliment erachtet. Jillian war nicht wie die raffinierten Frauen, die er kannte.

Sie war wie keine andere Frau, die er kannte. Ihre Unschuld wirkte sehr erfrischend. Er fragte sich, was geschehen sein mochte, befand dann jedoch, dass er es nicht wissen wollte. Er erinnerte sich lieber an ihre strahlend blauen Augen und das bezaubernde Lächeln, das sie ihm zu seinem Bedauern nur selten geschenkt hatte.

Hastig zog Jillian sich an. Ohne wirkliches Interesse stellte sie fest, dass ihr Kleid wieder wie neu aussah. Sie wollte es zwar nie wieder tragen, aber zumindest brauchte sie sich nicht in ihr Hotel zu schleichen.

Am liebsten wäre sie aus dem Haus geschlüpft, ohne Gianni noch einmal zu begegnen, aber sie konnte schlecht gehen, ohne ihm für seine Gastfreundschaft zu danken. Ihre gute Kinderstube hätte es niemals zugelassen, auch wenn sie ihn nie wiedersehen würde.

Ausnahmsweise stand das Glück auf ihrer Seite. Sie hörte seine Stimme, als sie sich der Bibliothek näherte. Er telefonierte offensichtlich. Während sie in der Halle zögerte, erschien der Butler.

„Ich gehe jetzt“, teilte sie ihm mit. „Bitte richten Sie dem Signore meinen Dank aus und sagen Sie ihm, dass ich ihn nicht stören wollte.“

Als sie sich schnellen Schrittes von der Villa entfernte, wurde ihr bewusst, dass sie Giannis Nachnamen gar nicht erfahren hatte. War er davon ausgegangen, dass sie wusste, wer er war? Ein so reicher und selbstsicherer Mensch war vermutlich in der ganzen Stadt bekannt. Er sah gut genug aus, um ein italienischer Filmstar zu sein. Außerdem war er äußerst maskulin, wie sie entdeckt hatte, als sie mit nackten Brüsten an seine harte Brust gestolpert war.

In jenen peinlichen Momenten hatte sie intime Bekanntschaft mit seinem eindrucksvollen Körper geschlossen. Hätte Rinaldo ihr nicht für die vorhersehbare Zukunft das gesamte männliche Geschlecht verleidet, hätte sie sich durchaus zu Gianni hingezogen gefühlt. Große, schlanke Männer mit südlichem Charme hatten ihr schon immer gefallen.

Doch das war vorbei. Nun interessierte sie nur noch, wie sie angesichts ihrer rasch schwindenden Finanzen in Venedig bleiben konnte. Entschlossen reckte sie das Kinn vor. Noch wollte sie sich nicht geschlagen geben. Wenn sie diesen furchtbaren Tag durchgestanden hatte, konnte sie alles überleben!

2. KAPITEL

Es enttäuschte Gianni zu erfahren, dass Jillian gegangen war. Er hätte sie gern näher kennengelernt. Doch da sie sich vermutlich nie wieder begegnen würden, erwartete er, sie rasch zu vergessen. Es überraschte ihn, dass er an diesem Abend immer wieder an sie denken musste, und sogar noch am nächsten Morgen. Vermutlich lag es an der geheimnisvollen Aura, die sie umgab. Und dieses Geheimnis wirkte besonders reizvoll, weil es ungeklärt bleiben würde.

Ein Anruf von seiner Sekretärin am späten Vormittag erschien ihm wie ein Omen. Bella war eine sehr kompetente Frau Ende dreißig und arbeitete seit einer ganzen Weile für Gianni. Nachdem sie und ihr Mann die Hoffnung auf ein Baby schon aufgegeben hatten, war sie schließlich schwanger geworden. Doch nun, im achten Monat, hatten sich Komplikationen eingestellt.

„Der Doktor hat mich gewarnt, dass es in meinem Alter keine leichte Schwangerschaft werden würde.“ Sie seufzte. „Ich soll mindestens zwei Wochen im Bett bleiben.“

„Dann sollten Sie genau das tun“, riet Gianni.

„Aber Sie geben doch in einem Monat den Maskenball. Wie wollen Sie denn ohne mich zurechtkommen?“

„Denken Sie nicht einmal daran. Ihr Job besteht jetzt darin, auf sich aufzupassen, damit ich Patenonkel werden kann.“

„Ich weiß, dass Sie recht haben, aber ich hasse es, Sie im Stich zu lassen. Es gibt so viel zu tun. Männer sind sich dessen nicht bewusst. Meinen Sie, dass Sie jemanden finden, der vorübergehend für mich einspringen kann?“

„Ich habe sogar eine junge Frau kennengelernt, die Arbeit sucht. Ich werde sie anrufen.“

„Ich hätte nicht gedacht, dass ich so leicht zu ersetzen bin“, sagte Bella in gekränktem Ton.

Gianni verbarg seine Belustigung, während er sie hastig beruhigte. „Diese Person könnte niemals Ihren Platz einnehmen, aber zumindest kann sie das Telefon beantworten und die Zusagen und Absagen registrieren.“

„Aber es gibt wesentlich mehr zu tun.“ Sie gab ihm eine lange Liste mit Anweisungen, die er weitergeben sollte. Schließlich schloss sie: „Sagen Sie ihr, dass sie mich anrufen soll, falls sie Probleme hat.“

Nachdem Gianni sich von Bella verabschiedet hatte, versuchte er, sich an den Namen von Jillians Hotel zu erinnern. Etwas mit M. Moroni? Moresco? Da fiel es ihm wieder ein: Monaco. Er ließ sich die Telefonnummer von der Auskunft geben und vom Portier mit Jillian verbinden.

Ihre düstere Stimmung wich unglaublicher Freude, als sie sein Angebot hörte. „Natürlich bin ich interessiert! Ich nehme liebend gern an.“

„Hervorragend. Wann können Sie anfangen? Bella ist erst seit zwei Tagen weg, und schon stapelt sich die Arbeit.“

„Ich komme sofort.“

Als Jillian in der Villa eintraf, waren Gianni gewisse Bedenken gekommen. Es war zwar ein schönes Gefühl, jemandem helfen zu können, und er würde es genießen, sie um sich zu haben und sie besser kennenzulernen. Aber er brauchte wirklich eine Sekretärin. War sie eine kluge Wahl? Warum wollte sie trotz ihrer schlechten Erfahrungen in Venedig bleiben? Würde sie es sich nach ein paar Tagen anders überlegen und nach Hause zurückkehren? Jillian war sich seiner negativen Gedanken nicht bewusst, als sie ihm gegenüber an Bellas Schreibtisch saß. Ihr Gesicht strahlte wie ein Sonnenaufgang.

Insgeheim stöhnte er. Sie sah so jung und eifrig aus, dass er sein Angebot nicht zurückziehen konnte. Doch zumindest musste er etwas mehr über sie in Erfahrung bringen. „Ich bin der Ansicht, dass wir alles gründlich besprechen sollten, bevor Sie sich verpflichten, diesen Job anzunehmen“, eröffnete er.

„Ich weiß, dass ich die Aufgabe meistern kann“, versicherte sie hastig. „Ich bin mit allen Arten von Computern vertraut, und ich kann Geschäftsbriefe schreiben und archivieren. Ich kann sogar die Bücher führen, falls es nötig sein sollte.“

Autor

Tracy Sinclair
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