Eine Romantische Weltreise - 1: von Schottland nach Texas

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EIN SCHOTTISCHER SOMMER

Eine Fahrradtour durch Schottland, die eigentlich nur der Erholung dienen sollte, wird für Sabina zu einem erregenden Abenteuer. Von einem Unwetter überrascht, sucht sie Zuflucht in einer einsamen Hütte - und landet in den Armen des faszinierenden Popstars Joel Brent …

WIEDERSEHEN IN WALES

Plötzlich, nach all den Jahren, begreift die schöne Laura, wo wirklich ihr Zuhause ist: Im wildromantischen Wales, wo ihr Elternhaus steht und wo sie damals so heftig in Oliver Kemp verliebt war! Beim ersten Wiedersehen weiß Laura, dass es nicht leicht sein wird, Wales noch einmal ohne ihn zu verlassen und ohne ihn nach New York zu gehen …

HEIßER SOMMER IN ALASKA

Callie weiß genau, wen sie will: Mike! Einen Sommer lang hat sie Zeit, ihn zu erobern. Wer Callie kennt, weiß dass ihr das gelingen wird. Tatsächlich stellt Mike schnell fest, dass seine neue Sekretärin eine tolle Frau ist. Doch ihm kommt nicht der Gedanke, dass sie extra seinetwegen bis nach Alaska gereist ist …

TAUSEND STERNE ÜBER TEXAS

Überrascht sieht Polizeichef Alan Parker, dass ein hinreißendes Citygirl mitten in der Einsamkeit wohnt! Auf Robin Cummings Notruf hin ist er zu ihr in die Blockhütte gefahren, und es fällt ihm nicht schwer, Robin zu beruhigen: Die vermeintlichen Einbrecher waren freche Waschbären! Trotzdem ist Alan gerne bereit, sie in seine Arme zu nehmen und ihr so zu zeigen, dass sie völlig in Sicherheit ist …


  • Erscheinungstag 29.03.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733735593
  • Seitenanzahl 520
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

Cover

Carole Mortimer, Anne Mather, Julianna Morris, Victoria Chancellor

Eine romantische Weltreise - 1: von Schottland nach Texas

IMPRESSUM

Ein schottischer Sommer erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Cora-Logo Redaktion und Verlag:
Postfach 301161, 20304 Hamburg
Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0
Fax: +49(0) 711/72 52-399
E-Mail: kundenservice@cora.de

© by Carole Mortimer
Originaltitel: „Satan’s Master“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA
Band 89 - 1983 by CORA Verlag GmbH, Hamburg
Erste Neuauflage 2001 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe: JULIA EXKLUSIV, Band 89

Umschlagsmotive: inigofotografia/GettyImages

Veröffentlicht im ePub Format in 1/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733754846

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:
BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

 

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1. KAPITEL

Endlich war sie unterwegs, aber sehr sicher fühlte sie sich nicht auf dem Fahrrad, das sie in Inverness für vierzehn Tage gemietet hatte. Als Sabina noch in London war, hatte sie ihren Plan großartig gefunden, in den Ferien einen Teil Schottlands mit dem Fahrrad kennen zu lernen. Nun aber kamen ihr Zweifel, ob sie sich nicht zu viel zugemutet hatte, denn sie war seit Jahren nicht mehr geradelt.

Ihr Vater war außer sich gewesen, als sie ihm von ihrem Plan erzählt hatte. Er fand es unmöglich, London ausgerechnet jetzt zu verlassen, acht Wochen vor ihrer Hochzeit mit Nicholas Freed, seinem Partner und Mitinhaber einer der größten Tageszeitungen.

Dennoch stand für Sabina fest, dass sie wegfahren musste, um sich fern von London darüber klar zu werden, ob es richtig sei, Nicholas zu heiraten.

Je länger sie radelte, desto mehr Spaß machte es ihr. Mit ihren Gedanken war sie noch in London, aber sie merkte, dass sie Abstand gewann und nüchtern zu denken vermochte. In Gegenwart ihres Vaters gelang ihr das selten. Sie war neunzehn Jahre alt und hatte sich zeit ihres Lebens seinem Willen untergeordnet. Stets hatte er alle Entscheidungen für sie getroffen. Auch die Ehe mit Nicholas war sein Vorschlag gewesen.

Nicholas gehörte zur Generation ihres Vaters. Er war fünfundvierzig Jahre und hatte bereits zwei Ehen hinter sich. War er nicht zu alt für sie? Sabina wunderte sich jetzt, wie gedankenlos sie vor vier Monaten in die Verlobung eingewilligt hatte. Gewiss, Nicholas war attraktiv, groß und schlank, hatte dunkles Haar und tiefblaue Augen. Was sie für ihn empfand, war nicht Liebe, sondern Freundschaft, aber genügte das für eine Ehe?

Und da war noch eine ungeklärte Frage, die ihr zu schaffen machte. Warum hatte sich die zweite Frau von Nicholas scheiden lassen? Das Stillschweigen darüber beunruhigte sie. Ihr Vater, mit dem sie einmal darüber sprach, hatte ihr lediglich geraten, nicht weiter darüber nachzugrübeln.

Schluss mit diesen bedrückenden Gedanken! Sie passten nicht zu dem sonnigen Tag und der herrlichen Landschaft. Sabina fuhr am Ufer des Ness entlang und würde bald das Seegebiet des legendären Loch Ness erreichen. Total verrückt hatte ihr Vater sie gestern Morgen genannt, als sie sich mit gepacktem Rucksack verabschiedete. Verrückt oder nicht, sie genoss ihren ersten Ferientag in vollen Zügen und fühlte sich zum ersten Mal seit Jahren frei.

Eine öffentliche Telefonzelle am Wege erinnerte sie daran, ihren Vater anzurufen, damit er sich keine Sorgen um sie machte. Seit dem Tod ihrer Mutter vor fünf Jahren neigte er dazu, seinen Besitzanspruch auf Sabina geltend zu machen, und in seiner übertriebenen Liebe behandelte er sie wie ein unselbstständiges Kind.

Das Telefon läutete nur einmal, und schon wurde der Hörer abgenommen, als hätte ihr Vater neben dem Telefon gesessen und auf ihren Anruf gewartet. Seine Stimme klang ärgerlich. „Sage mir sofort, wo du bist.“

„Ich werde mich hüten, das zu tun. Sonst würdest du herkommen und mich zurückholen.“

„Das täte ich ganz bestimmt. Übrigens, auch Nicholas ist nicht gerade begeistert von deinem Benehmen.“

„Hast du es ihm erzählt?“

„Sollte ich etwa ein Geheimnis daraus machen? Du bist immerhin mit ihm verlobt.“

Sabina seufzte. „Daddy, du weißt, aus welchem Grund ich wegfuhr.“

„Angeblich, weil du nachdenken willst. Wieso musst du jetzt damit anfangen, acht Wochen vor der Hochzeit? Ich … Verdammt noch mal, was ist das? Sabina, bist du noch da?“

Sie warf wieder Münzen ein. „Kein Grund zur Aufregung, Daddy. Ich bin in einer Telefonzelle, und das Telefon wollte noch ein bisschen Geld haben.“

„Warum hast du nicht gleich genug Geld eingeworfen? Ich will nicht alle paar Minuten unterbrochen werden.“

„Wirst du auch nicht. Ich wollte dir nur sagen, dass es mir gut geht. Ich bin bisher weder vergewaltigt noch von einem Kidnapper entführt worden.“

„Kein Grund, sich lustig zu machen, Sabina. Auch in Schottland wird es schlechte Menschen geben.“

„Sicher, aber ich … Die Sprechzeit ist abgelaufen. Ich rufe nicht wieder an, Daddy.“

„Sabina …“

„Wir sehen uns in vierzehn Tagen“, konnte sie gerade noch sagen, bevor die Verbindung unterbrochen wurde.

Erleichtert setzte Sabina sich wieder auf ihr Rad. Ihre langen Beine waren noch sonnengebräunt vom Aufenthalt in Monte Carlo. Sie trug hautenge weiße Shorts und ein dunkelrosa T-Shirt. In ihren grünen Augen strahlte Vorfreude auf vierzehn Ferientage. Mit wehendem langen blonden Haar radelte sie Loch Ness entgegen.

Was für ein riesiger See, staunte Sabina, als sie das Ufer erreichte. Durch seine Länge schien er unendlich. Steilufer erhoben sich zu beiden Seiten von Loch Ness. Am jenseitigen Ufer weideten Schafe im saftigen Gras. Diesseits machte die Landstraße einen Bogen, bevor sie steil bergan stieg. Im dichten Grün der Bäume erspähte Sabina einige kleine Häuser.

Da sie ihre Radtour in Inverness erst am Nachmittag begonnen hatte, war es Abend geworden, bevor sie ihr Ziel, die Urquhart Schlossruine an der Urquhart Bucht, erreichte. Sie hatte ein Zelt mit und die notwendige Campingausrüstung. Da sie aber mehrere Hotels an der Bucht sah, beschloss sie, im Hotel zu übernachten und die Schlossruine am anderen Morgen zu besichtigen.

Es war fast Mittag, als Sabina am nächsten Tag aufwachte, so tief hatte sie geschlafen. Beim Aufstehen verspürte sie einen unbeschreiblichen Muskelkater. Alles tat weh, sogar Körperstellen, von denen sie angenommen hatte, dass sie nie schmerzen könnten. Wie wenig trainiert sie war, wenn schon eine harmlose Radtour solche Auswirkungen hatte!

Sabina humpelte aus dem Bett, nahm ein Bad, das die Schmerzen ein wenig linderte, und beschloss, anstelle eines Frühstücks das Mittagessen zu bestellen, zumal es beinahe zwölf Uhr war. Das Wetter hatte sich geändert. Es nieselte, und leichter Nebel lag über der Landschaft. Sie ließ sich davon nicht beirren. Da sie nun einmal hier war, wollte sie auch die Schlossruine besichtigen.

Sie zog Jeans, Pullover und eine wasserdichte Regenjacke an. Beim Bezahlen der Rechnung fragte sie den Hotelbesitzer, ob sie ihr Fahrrad zurücklassen könne, während sie Schloss Urquhart besichtigte.

„Sie werden heute doch keine größere Tour unternehmen?“, fragte der Mann, als er ihren Zimmerschlüssel entgegennahm.

„Ich will bis Fort Augustus radeln.“

„Bei diesem Wetter? Da kann ich nur abraten. Besser, Sie bleiben hier.“

Sabina sah durch die Fenster. „So schlecht sieht es draußen nicht aus, ein bisschen Regen.“

„Aber hier kann plötzlich dichter Nebel auftreten. Bis Fort Augustus ist es eine ziemliche Strecke. Es wäre schlimm, wenn Sie sich verirren.“

„Aber die Straße verläuft doch ganz gerade, nicht?“

„Das schon, nur gibt es Abzweigungen zu kleinen Häusern im Wald. Da kann man im Nebel leicht von der Straße abkommen.“

„Ich werde schon aufpassen“, sagte sie kühn, zog ihre Kapuze über das Haar und sah dem Nieselregen gefasst entgegen.

Schloss Urquhart lag in der Rundung der Bucht mit einzigartiger Aussicht auf Loch Ness, über dessen Wasserfläche sich jetzt leichter Nebel wie ein dünner, weißer Schleier ausbreitete.

Laut Reiseführer, den Sabina in Inverness gekauft hatte, war das Schloss im zwölften Jahrhundert erbaut und im sechzehnten Jahrhundert restauriert worden. Geblieben war eine malerische Schlossruine mit verfallenen Mauern aus grauem Stein, welche die einstige Größe und Pracht des Schlosses erahnen ließen.

Nach ihrem Rundgang goss es in Strömen. Sabina beschloss, in der Hotelhalle einen Kaffee zu trinken und zu warten, bis der Regen aufhörte.

„Wollen Sie wirklich losfahren?“, fragte der Hotelinhaber, als Sabina sich wenig später zum Abfahren bereitmachte.

„Ja.“

„Es ist leichtsinnig, wenn ich das mal sagen darf.“

„Wenn das Wetter schlechter wird, kehre ich um und komme zurück.“

Sie war schon längere Zeit unterwegs, als das Vorderrad plötzlich einen Plattfuß hatte. Die Luftpumpe half nicht, und gerade jetzt wurde der Nebel so dicht, dass sie kaum noch zwei Meter weit sehen konnte. Es blieb nichts anderes übrig, als das Rad zu schieben. Da Sabina überzeugt war, bis Fort Augustus sei es näher als bis zur Urquhart Bucht, beschloss sie, vorwärts zu gehen.

Wo Sabina von der Landstraße abgekommen war, wusste sie später nicht. Sie merkte nur an der veränderten Bodenoberfläche, dass sie sich nicht mehr auf der Straße, sondern auf einem Waldweg befand.

Hätte sie doch nur auf den Hotelbesitzer gehört! Als Einheimischer, der wahrscheinlich sein ganzes Leben in dieser Gegend verbracht hatte, kannte er sich mit dem Wetter aus.

Nun, es war sinnlos, hier stehen zu bleiben und sich Vorwürfe zu machen. Trotz des Nebels konnte sie auf dem Erdboden die Abdrücke von Pferdehufen entdecken, die vorwärts führten und nicht zurück. Gab es ein Dorf in der Nähe? Und wenn kein Dorf, dann zumindest eine Behausung? Das schien ihr wahrscheinlich, denn irgendwohin mussten die Hufspuren führen. Sie hoffte nur, der Besitzer eines Hauses würde einen ungebetenen Gast für die Nacht aufnehmen, denn ihr Zelt konnte sie bei diesem Wetter kaum aufbauen.

Es war nicht schwer, die Richtung einzuhalten. Trotz des dichten Nebels erkannte sie nun auf beiden Seiten hohe Bäume, sodass sie sich nicht verirren konnte. Dennoch fühlte sie sich unbeschreiblich erleichtert, als sie einen Lichtschimmer sah.

Wo es elektrisches Licht gab, mussten auch Menschen wohnen. Sabina erreichte ein kleines Bauernhaus. Rauch stieg aus dem Schornstein. Licht und Wärme! Für Sabina schien sich der Himmel zu öffnen. Erst jetzt merkte sie, wie feucht ihre Kleidung war.

Nichts rührte sich, als sie energisch an die Tür pochte, daher klopfte sie wieder. Keine Antwort. Aber es musste jemand im Hause sein. Sie ging bis zu dem Fenster, hinter dem Licht brannte, und blickte durch den schmalen Spalt der Vorhänge. Sie erstarrte, als sich die Vorhänge leicht bewegten und ihr zwei große grüne Augen entgegenfunkelten. Ihr Schrecken war so groß, dass sie aufschrie.

„Satan ist von neugierigen Besuchern genauso wenig begeistert wie ich“, ertönte eine eisige Stimme hinter ihr.

Sabina drehte sich um. Vor ihr stand ein hochgewachsener, etwas unheimlich wirkender Mann.

Er trug schwarze Cordhosen, einen schwarzen Pullover, und auch sein Haar war tiefschwarz. Sein Gesicht war schmal und kantig, und was ihr besonders auffiel, waren seine kalten grauen Augen, die sie unerbittlich anstarrten. Er wirkte verwegen und war, obwohl unrasiert und nicht sonderlich gepflegt, der bestaussehende Mann, dem sie je begegnet war.

Ihre Stimme zitterte. „Wer sind Sie?“

„Satans Herr, wer sonst?“

Als sie das Bewusstsein wiedererlangt hatte, lag Sabina auf einem harten Sofa. Nie zuvor war sie ohnmächtig geworden, aber genau das war ihr nun passiert. Guter Gott, was für ein Mann, der sich als „Satans Herr“ bezeichnete. Sie schwang die Beine auf den Fußboden, setzte sich aufrecht und blickte mit großen erschrockenen Augen zu ihm hinüber.

„Endlich aufgewacht?“ Er stieß den schwarzen Kater von seinem Schoß und stand auf. „Was wollen Sie hier? Wer sind Sie?“

„Ich habe zuerst gefragt. Wer sind Sie?“

„Und ich habe Ihnen geantwortet.“ Seine Stimme war dunkel und faszinierend.

„Aber das war Unsinn“, sagte Sabina und lachte nervös. Wie töricht war es gewesen, so einen Schreck zu kriegen! Dieser Mann in Schwarz mochte unheimlich wirken, aber er hatte bestimmt nichts mit dem Teufel zu tun. „Der Kater heißt Satan, ja?“

„Ja.“

„Gehört er Ihnen?“

Sein flüchtiges Lächeln zeigte sehr weiße Zähne. „Er hat keinen Besitzer. Er gehörte zum Haus, als ich es übernahm.“

Sabina nickte nur. Sie fühlte, wie er sie musterte. Auch sie hatte ihn heimlich betrachtet. Mit seinen geraden schwarzen Brauen, mit dem langen schwarzen Haar, das ihm bis zur Nasenwurzel fiel, kam ihr dieser Mann irgendwie bekannt vor.

Das Feuer im Kamin brannte. Der Mann hatte sie anscheinend so, wie er sie aufgefangen hatte, auf das Sofa gebettet. Darum schob Sabina jetzt ihre Regenkapuze zurück und begann, den Reißverschluss ihres feuchten Anoraks aufzuziehen. „Stört es Sie, wenn ich den Anorak ausziehe?“

„Ziehen Sie alles aus, was Sie möchten.“ Er betrachtete unverfroren ihre Rundungen, die beim Öffnen des Anoraks sichtbar wurden. „Weibliche Gesellschaft ist in dieser Gegend Mangelware.“

Sabina errötete unter seinem Blick und behielt den geöffneten Anorak an. Am liebsten hätte sie die Arme verschränkt vor sich gehalten, da er sie unentwegt musterte. „Warum leben Sie dann hier?“

Sein Gesichtsausdruck wurde hart, in seinen Augen blitzte es eiskalt auf. „Ich lebe hier, weil es mir passt, und jetzt wiederhole ich meine Frage: Wer sind Sie?“

„Sabina. Sabina Smith.“ Sie musste ihn ständig ansehen, denn unterschwellig grübelte sie, woher sie ihn kannte, oder ob sie jemanden kannte, der ihm ähnelte.

„Warum starren Sie mich so an?“ Er stieß gegen eines der brennenden Holzscheite, und im Kamin sprühte ein ganzer Funkenregen. „Antworten Sie mir.“

„Ich? Sie?“

„Ja!“

„Sie erinnern mich an jemanden.“

Sein Mund wurde hart und schmal vor Zorn, sodass sie sich tiefer in ihren Anorak verkroch. Er trat auf sie zu und krampfte seine Hände schmerzhaft in ihre Oberarme, während er sie hochzog. „An wen?“ Sein Gesicht dicht über ihr, schüttelte er sie wütend. „An wen erinnere ich Sie?“

„Ich weiß es nicht.“ Zum zweiten Mal an diesem Tag hatte sie das Gefühl, ohnmächtig zu werden. „Ich weiß es nicht“, wiederholte sie böse. „Was fällt Ihnen ein, mich so zu behandeln? Lassen Sie mich los.“

„Nicht bevor Sie mir geantwortet haben. Also sagen Sie, an wen ich Sie erinnere.“

Sabina trat einen Schritt zurück und unbeabsichtigt auf die Pfote des Katers, der fauchend mit der zweiten Pfote ausholte und ihr einen wütenden Schlag gegen den Knöchel versetzte. Dann lief er die Holztreppe nach oben hinauf.

Sie zuckte zurück. „Ihr Kater scheint von meiner Anwesenheit ebenso wenig erbaut zu sein wie Sie.“ Der Knöchel schmerzte, und sie hatte das Gefühl, als ob Blut aus einer Wunde sickerte. „Kann ich mal sehen, was mit meinem Knöchel los ist?“

„Warum nicht?“ Er trat ein wenig zurück. „Sie haben übrigens ganz recht, Satan spricht für uns beide. Es passt mir nicht, dass Sie hier sind.“

Sabina saß wieder auf dem Sofa, das sich in seiner Schäbigkeit nicht von den übrigen Möbeln und dem abgewetzten Teppich unterschied. Der Kleidung des Mannes dagegen sah man an, dass sie nicht aus irgendeinem billigen Warenhaus stammte. Er war ihr ein Rätsel.

Die Kratzwunde an ihrem Knöchel blutete. Sabina nahm ein Taschentuch und beugte sich vor, um das Tuch auf die Wunde zu drücken, wobei ihr langes blondes Haar über ihr Gesicht fiel. „Hat sich der Nebel verzogen?“, fragte sie.

„Nein.“

Sie strich das Haar hinter die Ohren. „Dann können Sie unmöglich erwarten, dass ich jetzt gehe.“

„So habe ich das auch nicht gemeint. Ich habe nur gesagt, es passt mir nicht, dass Sie hier sind.“

„Den Weg zurück würde ich im Nebel niemals finden.“

„Sie haben hergefunden, also könnten Sie auf dem gleichen Weg zurückkehren“, erwiderte er unfreundlich.

Wieder zerbrach Sabina sich den Kopf, woher sie dieses Gesicht kannte, ehe sie ihm antwortete. „Ich habe den Weg hierher nicht gefunden. Ich habe mich im Nebel verirrt. Haben Sie vielleicht ein Pflaster?“ Sie wies auf ihren Knöchel. „Ihr Liebling hat mich verletzt.“

„Das könnte ich auch tun, wenn Sie bleiben. Von mir aus können Sie bleiben. Machen Sie mich aber nicht für die Folgen verantwortlich.“

„Was für Folgen?“

„Hier gibt es nur ein Schlafzimmer.“

„Ich kann auf dem Sofa schlafen. Ich werde Sie nicht stören, bestimmt nicht. Ich will nur so lange bleiben, bis der Nebel aufhört.“

„Oh, der hält sich hier manchmal Tage.“

„Tage?“

„Ja. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen vielleicht tagelang bei mir fest, und keiner kommt Ihnen zu Hilfe.“

Sie warf ihren Kopf herausfordernd zurück. „Warum sollte ich Hilfe brauchen? Vor wem? Vor Ihnen?“

„Vor wem sonst? Ich sagte Ihnen ja, in dieser Gegend sind Frauen Mangelware. Ich lebe hier seit fast einem Jahr, und bis heute ist keine Frau über die Schwelle dieses Hauses getreten. Wenn Sie an meiner Männlichkeit zweifeln sollten …“ Er zog sie unvermittelt vom Sofa hoch und küsste sie heftig auf den Mund.

Nach anfänglichem Widerstand gab Sabina nach. Sie fühlte, wie seine Hände unter ihren Anorak glitten, den Pullover hochzogen und seine Handflächen auf ihren Brüsten lagen. Sie wich zurück und zog den Pullover herunter.

Mit einem fast abfälligen Lächeln beobachtete er sie. „Was ist los, Miss Smith? Ich dachte, jemand wie Sie würde alles tun für eine gute Zeitungsstory.“

„Jemand wie ich?“, wiederholte sie, noch völlig verwirrt von seiner plötzlichen Attacke. „Und was für eine Story?“

„Tun Sie nicht so, Miss Smith! Sie wissen genau, was ich meine.“

„Sie sprechen meinen Namen jedes Mal so ironisch aus, als ob Sie mir nicht glaubten, dass ich so heiße.“

„Natürlich glaube ich Ihnen nicht, verdammt noch mal!“ Er war jetzt wirklich böse, und seine Augen glühten vor Zorn. „Sie sind hergekommen, um mir nachzuspionieren, und Sie sind bereit, jeden Trick anzuwenden, um mich zum Reden zu bringen.“

„Sie müssen sich irren. Ich habe keine Ahnung, wer Sie sind und was Sie zu verbergen haben.“

„Ich habe nichts zu verbergen. Mich machen nur diese Zeitungsmenschen krank, diese neugierigen, schnüffelnden Reporter, die ihre Nase in alles stecken, was sie nichts angeht.“

Nun wurde auch Sabina wütend. „Ich bin keine Reporterin. Wie kommen Sie auf diese verrückte Idee?“

„Sie sind keine sehr gute Schauspielerin, und Sie hätten sich einen originelleren Namen zulegen müssen als ausgerechnet Smith.“

„Aber das ist mein Name. Ich kann es beweisen.“ Sie ging zur Tür.

Er hielt sie am Handgelenk fest. „Wo wollen Sie hin?“

„Zu meinem Fahrrad. Ich habe einen Personalausweis in der Satteltasche.“

„Mag sein, aber ich gehe jede Wette ein, dass Sie flüchten, sowie Sie draußen sind. Geben Sie es zu, Miss Smith: Inzwischen haben Sie festgestellt, dass Sie hier nichts erreichen, aber eine Veröffentlichung über meinen Aufenthaltsort wäre auch schon ein Erfolg.“

„Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie reden. Was sollte ich um alles in der Welt hier erreichen?“

„Ich kann mir gut vorstellen, wie das in London war“, höhnte er. „Jemand gab Ihnen einen Hinweis, wo ich mich aufhalten könnte. Sie beschlossen, das herauszufinden, um eine Story über mich zu schreiben. Sie dachten, Sie könnten alles, was gewesen ist, aus mir herauslocken. Durch den einfachsten Trick der Welt, natürlich. In meinem Bett.“

Sabina zitterte, als er ihr Handgelenk noch fester umschloss. „In Ihrem Bett? Mein Gott, Sie haben Nerven.“

„Mehrere hundert. Und alle fiebern Ihnen im Augenblick entgegen. Ihre Zeitung weiß nur zu genau, wen sie in solchen Fällen schickt.“ Er warf ihr einen kritischen Blick zu. „Sie brauchen sich nicht zu verstellen, Sabina.“ Seine Stimme war plötzlich sanft. „Schon in dem Augenblick, als ich Ihr blondes Haar sah und diese großen unschuldigen Augen, wäre es nicht mehr nötig gewesen. Hören Sie auf, Versteck zu spielen. Vielleicht, wenn Sie Ihre Karten offen auf den Tisch legen, erzähle ich Ihnen die ganze Geschichte.“ Seine Hand strich über ihr seidiges Haar. „Wie recht Ihr Redakteur hatte, gerade Sie zu schicken. Ich hatte schon immer eine Schwäche für Blondinen.“ Wieder küsste er sie, aber dieses Mal zärtlich ihre Lippen öffnend, bis sein Kuss leidenschaftlich wurde.

In diesem Augenblick veränderte sich alles in Sabinas Leben.

Während dieser Mann sie küsste, wurden alle Überlegungen hinfällig, ob sie Nicholas heiraten sollte oder nicht. Sie konnte ihn niemals heiraten. Sie gehörte diesem Fremden, einem harten und durch irgendetwas verbitterten Mann.

Seine Lippen und seine zärtlichen Hände versetzten sie in einen Taumel der Seligkeit, wie sie es noch nie erlebt hatte. Es schien ihr undenkbar, jemals einen anderen Mann zu lieben als ihn.

2. KAPITEL

Vielleicht, so überlegte Sabina, ließ er sich überzeugen, dass sie keine Reporterin war, nur wusste sie nicht wie. Ihr, als Tochter des Inhabers einer großen Tageszeitung, eines Skandalblattes, würde er niemals glauben. Nichts sprach zu ihren Gunsten, um sein Vertrauen zu gewinnen.

Sabina war wie betäubt. Was sie soeben erlebt hatte, kam ihr jetzt vor, als habe sie geträumt. Es war doch nicht möglich, sich in einen wildfremden Mann zu verlieben. Sie wusste nicht einmal seinen Namen. Ihr Vater würde so etwas als reine Einbildung bezeichnen, und das war es wahrscheinlich auch. Sie war so verwirrt, dass sie nur den einen Wunsch hatte: allein zu sein.

„Nun?“, fragte er herausfordernd. „Für welches Skandalblatt arbeiten Sie?“

„Ich …“

„Für welches? Für Chronicle, News and Views oder für das mieseste von allen, für Daily News?“

Ihr Gesicht wurde blass, als er die Zeitung ihres Vaters nannte. Sie wusste, welch schlechten Ruf diese Zeitung hatte, die ihre Auflagenhöhe den Skandalen, dem Unglück, der Verzweiflung anderer Menschen verdankte.

„Also Daily News. O Gott, welch ein Niveau. Und macht es ihm nichts aus, dass Sie für eine Story bereit sind, alles einzusetzen? Nicht nur Ihren Verstand, sondern auch Ihre körperlichen Reize?“

„Ihm? Wen meinen Sie?“

Seine Hand zog an der schmalen goldenen Kette, die sie um den Hals trug, bis am Ausschnitt ihres Pullovers ihr Verlobungsring zum Vorschein kam. „Sie haben mir noch nicht geantwortet. Macht es ihm nichts aus, mit wem Sie schlafen?“

„Was geht Sie das an?“, meinte sie ungeduldig. „Ich mache Ferien.“

„Ach so?“

„Ich bin allein unterwegs, wenn Sie es genau wissen wollen.“

Spott glitzerte in seinen Augen. „Wollte ich nicht, aber vielen Dank für die Auskunft.“

„Was sollte dann Ihre Bemerkung?“

„Mich interessiert, ob Sie immer dann Ihre Verlobung vergessen, wenn Sie ein Auge auf einen anderen Mann geworfen haben.“

„Auf Sie habe ich jedenfalls kein Auge geworfen.“ Wie konnte sie sich eingebildet haben, in einen so unverschämt arroganten Mann verliebt zu sein? Gott sei Dank war sie wieder vernünftig. Er hatte mit seiner starken sexuellen Ausstrahlung vorübergehend ihre Sinnlichkeit geweckt, sodass sie die Wirklichkeit vergessen hatte, aber das war vorbei.

„Aber beruflich haben Sie ein Auge auf mich geworfen.“

„Wie könnte ich, da ich nicht weiß, wer Sie sind.“

„Ich habe schon einmal gesagt, Sie sollten das Versteckspiel lassen.“

„Und ich glaube, Sie überschätzen sich, denn ich weiß es wirklich nicht. Sind Sie ein Bankräuber oder so etwas Ähnliches?“

„So etwas Ähnliches“, erwiderte er verbittert.

„Hören Sie, wer Sie auch immer sind, haben Sie nun ein Pflaster für meinen Knöchel?“

Mit einem ungeduldigen Seufzer drehte er sich um und ging durch eine Tür in einen winzigen Raum, der offensichtlich die Küche war. Er suchte in einem Schränkchen über dem Ausguss, kam wieder zurück und warf ihr das Gewünschte zu.

„Danke“, sagte sie so ruhig, als habe er ihr das Pflaster höflich übergeben. Während Sabina die Wunde an ihrem Knöchel versorgte, merkte sie, dass er sie unentwegt beobachtete. Nervös fragte sie, ob sie jetzt das Haus verlassen könne.

„Wohin wollen Sie denn?“

„Ich habe ein Zelt mit. Irgendwo werde ich es schon aufstellen können.“

Er schüttelte den Kopf. „Sie wissen, dass ich an Ihrer Aufrichtigkeit Zweifel habe, aber ich bin bereit, diese zu verdrängen. Im Augenblick jedenfalls. Sie können heute Nacht hier bleiben.“

„Aber Sie sagten, Sie hätten kein Zimmer für mich.“

„Ich sagte, es gibt hier im Haus nur ein Schlafzimmer“, verbesserte er spöttisch.

„Oh.“

„Haben Sie in Ihrer Satteltasche auch einen Schlafsack?“

„Ja. Wieso?“

„Dann können wir zusammen in meinem Bett schlafen. Sie in der sicheren Hülle Ihres Schlafsacks natürlich.“

„Nein, ich möchte wirklich lieber hier unten auf dem Sofa schlafen, wenn Ihnen das recht ist.“

„Ist mir nicht recht. Ich lasse es nicht zu, dass mein Gast auf dem Sofa schläft.“

„Könnten Sie vielleicht …?“

„Kann ich nicht. Erstens ist das Sofa nicht lang genug für mich. Zweitens schlafe ich gern in meinem eigenen Bett und habe nicht die geringste Absicht, darauf zu verzichten für jemanden, den ich nicht eingeladen habe. Ob ich nun will oder nicht, ich muss Sie leider im Auge behalten.“

Sie sah ihn entgeistert an. „Mich im Auge behalten?“

„Ich bin mir nicht völlig im Klaren über Sie, Miss Smith.“ Jetzt wurde seine Stimme schneidend. „Daher kommt es nicht in Frage, dass ich Sie hier unten allein lasse, wo Sie herumschnüffeln können.“

„Ich schnüffele nirgends herum. Ich wäre doch nie zu Ihnen gekommen, wenn ich mich nicht im Nebel verirrt hätte.“

„Können Sie kochen?“, fragte er plötzlich.

„Kochen?“

„Ja. Bevor ich herkam, hatte ich so etwas nicht nötig. Seitdem bin ich durch eine harte Schule gegangen. Nicht einmal Satan rührte das Zeug an, das ich anfangs zusammenbrutzelte.“

„Sie meinen, dass ich für Sie kochen soll?“

„Ja.“ Er setzte sich mit lang ausgestreckten Beinen in den Sessel am Kamin. „Alles, was Sie zum Kochen brauchen, finden Sie in der Küche. Ist das als Gegenleistung für eine Unterkunft zu viel verlangt?“

„Wahrscheinlich nicht.“ Damit verschwand Sabina in der Küche.

Wenig später erschien er in der Küche. „Übrigens habe ich Ihre Taschen ins Haus gebracht. Also versuchen Sie nicht, durch die Hintertür zu entwischen.“

„Ich denke nicht daran. Ich habe Hunger.“ Tatsächlich schien ihr eine Ewigkeit vergangen zu sein, seitdem sie ihren Lunch im Hotel bestellt hatte.

„Hunger auf Essen oder auf Liebe?“

„Essen.“ Ärgerlich drehte sie ihm den Rücken zu.

„Schade“, reagierte er belustigt. „Ich würde sofort auf jedes Essen verzichten, um meinen Hunger auf Liebe zu stillen. Ein Jahr ohne Frau ist eine ziemlich lange Zeit.“

„Für einen Mann wie Sie sicher.“

Er packte sie und drehte sie mit einem Ruck herum, sodass sie ihn ansehen musste. „Was soll das heißen, ein Mann wie ich?“, zischte er.

„Nun ja, also, Sie wirken sehr männlich.“

„O ja.“

Er stand dicht vor ihr in der engen, schlecht beleuchteten Küche. Seine Hände ruhten noch immer auf ihren Schultern, und seine körperliche Nähe blieb auf sie nicht ohne Wirkung. Jetzt aber hütete sie sich, der Anziehungskraft, die von diesem Mann ausging, nachzugeben. „Kann ich das Essen fertig machen?“

Sofort nahm er die Hände von ihren Schultern. „Also los. Und ich bitte höflichst um Verzeihung, dass ich es wagte, Sie anzufassen, aber ich bin die Gegenwart einer schönen Frau nicht mehr gewöhnt.“

Sie waren beide sehr still während des Essens. Jeder hing seinen Gedanken nach. Satan hatte sich wieder eingefunden und saß geduldig auf dem dritten Stuhl vor dem alten Esstisch. Mit seinen grünen Augen verfolgte er aufmerksam jeden Bissen, den Sabina und ihr Gegenüber zu sich nahmen. Sabina kümmerte sich anfangs nicht darum, aber mit der Zeit störte sie dieses Angestarrt werden, zumal sie das Gefühl hatte, der Kater neide ihr das Essen.

„Bekommt Satan nicht sein eigenes Futter?“

Ihr Gastgeber kraulte den Kater hinter den Ohren, und ein lautes Schnurren durchbrach die Stille. „Natürlich bekommt er sein eigenes Futter, aber lieber hätte er unser Essen. Du bist fast ein Mensch, nicht wahr, alter Junge?“

Sabina flößte dieser schwarze Kater Unbehagen ein. Es war nicht seine Größe. Verglichen mit anderen Katzen war Satan sogar ziemlich klein. Es war der beharrliche Blick dieser grünen, auf sie gerichteten Augen, so voller Ablehnung, als sei der Kater eifersüchtig.

Sie war sehr müde. Der Fußweg im Nebel auf dem Waldpfad hatte sie mehr angestrengt als die Radtour am vergangenen Tag, aber um nichts in der Welt wollte sie diesem schwarzhaarigen Mann sagen, wie erledigt sie war. Er würde vorschlagen, nach oben zu gehen und das Bett mit ihm, wenn auch im Schlafsack, zu teilen, und diesen Augenblick versuchte sie hinauszuzögern.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, meinte er: „Ich habe Ihre Sachen nach oben gebracht.“

Panik ergriff sie. „Danke, aber ich bin noch nicht müde.“

„Lügnerin“, sagte er leise. „Seit einer Stunde fallen Ihnen die Augen fast zu. Kommen Sie.“ Er streckte die Hand aus, um ihr beim Aufstehen zu helfen. „Was Sie jetzt brauchen, ist ausgiebig Schlaf.“

Dazu würde es wohl kaum kommen. Mehr als einmal hatte er ihr unverblümt gezeigt, dass sie ihm gefiel. Von seiner Schwäche für Blondinen hatte er gesprochen, und sie war keineswegs sicher, ob er nicht versuchen würde, sich ihr zu nähern. Sie war auch keineswegs sicher, ob sie standhaft bleiben würde.

Sie übersah seine ausgestreckte Hand. „Ich bin wirklich noch nicht müde. Bitte gehen Sie nach oben. Ich komme dann nach.“

Er beugte sich und nahm sie auf seine Arme. „Ob Sie nun eine harmlose Touristin sind oder eine Reporterin, Sie kommen mit, wohin ich gehe, und umgekehrt, bis ich mir Klarheit über Sie verschafft habe.“

Ohne nachzudenken, hatte sie ihre Arme um seinen Hals geschlungen. So dicht an ihn geschmiegt, nahm sie ihn mit all ihren Sinnen wahr. Er duftete nicht nach feiner Seife oder Rasierwasser wie Nicholas, sein Geruch war ganz anders, und er erregte und verwirrte sie. Er sah sie fragend an, als habe er ihre Gefühle erraten, und sofort sagte sie: „Ich nehme an, ich kann mich irgendwo waschen und meinen Pyjama anziehen.“

„Natürlich.“ Er lächelte über ihren plötzlichen Gemütsumschwung. „Daher gibt es hier nur ein Schlafzimmer. Das zweite Zimmer habe ich als Badezimmer herrichten lassen.“

Er trug sie die schmale Treppe hinauf, stieß mit dem Fuß eine Tür auf und legte sie auf das Bett, bevor er die Lampe auf dem Nachttisch einschaltete. Das Licht erhellte den Raum nur wenig, und ihr Gastgeber erschien ihr in diesem Halbdunkel unheimlicher denn je.

Sabina blieb jedoch nicht liegen. Sie holte ihre Sachen aus der Satteltasche und ging ins Bad.

Welch ein Albtraum, tief im Wald mit einem fremden Mann allein zu sein, dessen Namen sie nicht kannte und der sich vor Zeitungsreportern fürchtete. Nein, fürchten war nicht das richtige Wort. Er verachtete und hasste sie.

Aber warum?

„Miss Smith?“ An der Tür wurde heftig geklopft. „Ich möchte endlich auch ins Badezimmer. Falls Sie etwas dagegen haben, dass wir das Bad gemeinsam benutzen, würde ich mich an Ihrer Stelle beeilen.“

Sabina hatte schon festgestellt, dass die Tür nicht abzuschließen war, daher zog sie schnell ihren Pyjama an. Welch ein Glück, dass sie ihn mitgenommen hatte und nicht eines ihrer verführerischen Nachthemden, die sie gewöhnlich zu Hause trug. Als sie aus dem Badezimmer trat, stand ihr Gastgeber vor der Tür. Er betrachtete sie belustigt in ihrem so männlich wirkenden Pyjama, während sie mit stolz erhobenem Kopf an ihm vorbeiging.

Sabinas Schlafsack lag jetzt auf der Bettdecke, und sie kroch in die warme Hülle. Während ihrer Abwesenheit war Feuer in dem kleinen Kamin angefacht worden. Das Zimmer begann warm zu werden. Es hätte gemütlich sein können, wenn sie es nicht mit jemandem hätte teilen müssen, der ihr als Mann gefährlich war.

Ihre Nerven waren gespannt, als er wieder im Zimmer erschien, schweigend seinen Pullover auszog und mit nacktem Oberkörper dastand. Als er die Gürtelschnalle öffnen wollte, sah er auf und begegnete ihrem entgeisterten Blick, mit dem sie ihn, vom Schlafsack bis zum Kinn verhüllt, beobachtete.

„Es macht mir überhaupt nichts aus, Ihnen einen Striptease vorzuführen“, sagte er. „Aber wenn Sie so unschuldig sind, wie Sie vorgeben, ist es für Sie natürlich ein bisschen peinlich, dass ich alles ausziehe.“

„Alles?“

„Ist das nicht üblich, wenn man schlafen geht?“

„Hm.“ Sie drehte sich schnell um. „Aber Sie ziehen einen Pyjama an, ja?“ Sie hörte, wie die Hose auf den Stuhl fiel, auf dem schon der Pullover lag.

Das Bett neben ihr gab nach. „Ich trage nie einen Pyjama.“ Seine Stimme war dicht neben ihrem Ohr.

„Oh.“ Sie hielt ihren Kopf abgewandt. „Gute Nacht, Mr. Unbekannt.“

Das Licht ging aus. Im Kamin knisterte das Feuer.

Er legte sich unter seine Decke. „Gute Nacht, Sabina. Warm genug?“

„Ja, danke.“

„Schade.“ Wieder einmal schien er sich über sie lustig zu machen. „Ich hätte Sie sonst wärmen können.“

„Nicht nötig.“ Ihr Stimme klang unnatürlich.

„Tatsächlich?“ Plötzlich fügte er mit energischer Stimme hinzu: „Und keine nächtlichen Ausflüge! Satan hat das nicht gern.“

„Wieso Satan?“

„Er liegt wie jede Nacht im Flur und lässt niemanden ins Zimmer oder aus dem Zimmer, mich ausgenommen.“

„Das klingt, als sei er ein Wachhund und kein Kater“, meinte Sabina schläfrig, während sie dem Mann an ihrer Seite den Rücken zukehrte. „Nun gut, ich werde mich also nicht bewegen.“

„Bewegen Sie sich gern, aber nur in meine Richtung.“

Sein Spott ärgerte Sabina maßlos, aber sie wollte nichts mehr entgegnen. Sie wollte nur schlafen. Morgen würde sie diesen Mann verlassen. Je weiter entfernt sie von ihm war, desto besser.

Es gelang ihr nicht, einzuschlafen. Die Erschöpfung war zu groß. Dagegen bewiesen die tiefen regelmäßigen Atemzüge des Mannes neben ihr, dass er längst schlief. Da sie nicht gewöhnt war, auf der rechten Seite zu schlafen, drehte sie sich zu ihm um. Er lag auf dem Rücken, hielt einen Arm über die Augen, und die Glut im Kamin warf rotgoldene Reflexe auf seine Brust. Er war schlank, aber muskulös. Während die meisten Männer seines Alters gegen zunehmendes Gewicht kämpften, brauchte dieser Mann sich keine Gedanken darüber zu machen.

„Genug gesehen?“, fragte er plötzlich und nahm seinen Arm von den Augen.

Vor lauter Verlegenheit, weil er sie ertappt hatte, stotterte sie: „Ich … ich …“ Mit einem mal wurden ihre Augen riesengroß, und sie starrte ihn fassungslos an. Während er im Badezimmer gewesen war, hatte er sich rasiert, und nun wusste sie, wer er war.

„Was ist? Was haben Sie?“ Er hatte sich aufgesetzt, und seine Stimme war schneidend.

Noch immer schaute Sabina ihn an. „Sie sind …“

Er unterbrach sie. „Also jetzt wissen Sie, wer ich bin.“

Sein Name war Joel Brent. Er war ein Superstar, ein Sänger. Weltberühmt. Er war der Mann, der seinen Wagen zu Schrott gefahren hatte, nachdem er von seiner Freundin Nicole Dupont erfuhr, sie werde ihn wegen eines anderen Mannes verlassen. Bei dem schweren Unfall im vergangenen Jahr hatte Nicole den Tod gefunden.

Gerüchte besagten, Joel Brent habe Nicole Dupont töten wollen und diesen Unfall beabsichtigt, in der Annahme, Nicole und er würden dabei ums Leben kommen. Er war am Leben geblieben und stand im Rampenlicht der Öffentlichkeit durch die Frage, ob er den Unfall absichtlich verursacht habe oder nicht. Zeitungen berichteten, Nicole Dupont habe mehrmals behauptet, Joel sei herrschsüchtig. Er sei ein Mann, der nicht wieder hergebe, was er besaß. Dadurch schürten sie die Verdächtigungen. Für den Unfall gab es keine Zeugen, aber es gab auch nicht den geringsten Beweis für eine vorsätzliche Handlung. Joels Name wurde rein gewaschen.

Wenige Wochen später war Joel Brent spurlos verschwunden. Kein Mensch fand seinen Aufenthaltsort heraus, keiner wusste, was aus ihm geworden war.

Nun hatte Sabina ihn in einem entlegenen schottischen Bauernhaus entdeckt, den Mann, der absichtlich oder nicht die Schuld am Tod von Nicole Dupont trug.

Es dauerte eine Weile, bis Sabina sich von ihrem Erstaunen erholt hatte. Zu fantastisch war der Gedanke, dass dieser weltberühmte Joel Brent, der so viel Sexappeal ausstrahlte, dessen Stimme jede Frau betörte, der seine Fans zu frenetischem Beifall hinriss und vielfacher Schallplattenmillionär war, hier neben ihr im Bett lag.

Sie wusste sonst nicht viel über ihn. Er war vierunddreißig Jahre alt, stammte aus irgendeinem Ort in Hampshire, hatte sechs Monate mit Nicole Dupont zusammengelebt und besaß keine engeren Familienangehörigen. Was hatte ihn nur in diese Wildnis gezogen? Konnten Schuldgefühle der Anlass für sein Bedürfnis nach Einsamkeit gewesen sein? Oder hatte er das Leben ohne die Frau, die er liebte, nicht mehr ertragen können und sich deshalb von allen Menschen zurückgezogen?

Forschend betrachtete sie das markante Gesicht, dessen Züge von Willensstärke und Bitterkeit geprägt waren. Instinktiv wusste sie, dass er niemals geplant hatte, Nicole zu töten. Sie sprach leise: „Sie haben es nicht getan.“

Sofort herrschte er sie an. „Was sagten Sie?“

Ihre Worte waren eine Art Selbstgespräch gewesen und nicht dazu bestimmt, dass er sie hörte. Sie sah ängstlich in sein ärgerliches Gesicht. „Ich meinte nur, dieses Autounglück – Sie haben es bestimmt nicht beabsichtigt.“

„Du lieber Himmel, nein. Aber dazu brauche ich Sie nicht, um mir das zu bestätigen. Über das Ergebnis haben die Zeitungen mehr als genug berichtet. Natürlich hat kein Mensch mich gefragt, was wirklich geschah. Die Wahrheit wäre damals für die Leser längst nicht so interessant gewesen wie all die Spekulationen. Was will denn jetzt Ihr Redakteur? Warum sollten Sie mich ausfindig machen? Für neue Einzelheiten? Blödsinn. Wer will denn nach einem Jahr noch die Wahrheit wissen?“

Er war jetzt so dicht über ihrem Schlafsack, dass sie nicht einmal ihre Arme bewegen konnte. „Warum haben Sie nie jemandem die Wahrheit gesagt?“, fragte sie.

„Weil niemand danach fragte, und Sie, kleines Mädchen, haben gerade einen großen Fehler begangen.“

„Was soll das heißen?“

„Ich hatte mich schon entschlossen, Sie morgen früh abfahren zu lassen. Ich war dem unschuldigen Blick Ihrer großen grünen Augen verfallen. Sie sind eine ideale Reporterin, Sabina Smith. Sie haben das Haar und das Gesicht eines Engels, aber wie sehr täuscht dieser Eindruck!“

„Ich bin keine Reporterin. Mr. Brent. Bitte glauben Sie mir. Wie schön, dass ich morgen weiterfahren kann!“

„Daraus wird nichts. Sie wissen jetzt, wer ich bin, und das ändert alles.“ Er spielte mit dem Verlobungsring an ihrer Kette. „Er wird lernen müssen, einige Zeit ohne Sie auszukommen.“

„Was meinen Sie damit?“

Joel Brent legte sich zur Seite und lachte leise. „Ich lebe gern hier und habe keine Lust wegzuziehen. Also bleiben Sie erst einmal hier. Ihr Redakteur wird auch ohne Neuigkeiten über Joel Brent genügend Stoff für sein Skandalblatt haben.“

„Das ist unmöglich. Ich kann nicht bleiben. Ich heirate in acht Wochen.“

„Das wollen Sie auch jetzt noch?“ Joel verließ das Bett und zog seine Hosen an. „Wie interessant.“

„Warum ist das interessant?“, fragte Sabina. Diesem Mann schien es nichts auszumachen, halb nackt im Zimmer herumzulaufen. Gewiss, sie hatte an vielen Stränden wesentlich weniger bekleidete Männer gesehen, aber was dort eine Selbstverständlichkeit war, wirkte in der intimen Atmosphäre dieses kleinen Schlafzimmers verwirrend auf sie.

Joel ging über ihre Frage hinweg. „Wer ist der glückliche Mann?“

„Er heißt Nicholas.“

„Nicholas. Und weiter?“

„Ist das wichtig?“ Sie würde sich hüten, den Nachnamen zu nennen.

„An sich völlig unwichtig, aber Sie haben offenbar einen Grund, seinen Nachnamen nicht zu nennen. Betrachten wir das einmal ganz logisch. Sie haben einen Verlobungsring mit einem Brillant, der so groß ist wie ein Eiswürfel. Sie arbeiten für die Daily News und sind verlobt mit einem Mann, der Nicholas heißt. Es kann also nur Nicholas Freed sein.“

Er blieb vor ihr stehen. Die Hand unter ihrem Kinn, hob er ihren Kopf ein wenig, sodass sie ihn ansehen musste. Ihre Verlegenheit bewies ihm, dass er richtig kombiniert hatte. „Interessant, wozu einige Mädchen fähig sind, um Karriere zu machen. Wie haben Sie es geschafft, dass er Ihnen einen Heiratsantrag machte? Das ist sonst überhaupt nicht seine Art. Haben Sie ihm Ihren Körper so lange verweigert, bis er mit dem Ehering winkte?“

„Nein, natürlich nicht.“

Joel wandte sich voller Widerwillen ab. „Wollen Sie damit sagen, dass Sie mit ihm geschlafen haben? Guter Gott, der Mann muss mindestens dreißig Jahre älter sein als Sie.“

„Sechsundzwanzig Jahre. Ich bin neunzehn.“

„Und er ist fünfundvierzig? Grässlicher Gedanke.“

Sabina seufzte tief. „Tut mir leid, dass Sie so denken. Übrigens werde ich ihn nicht heiraten. Ich habe es mir anders überlegt.“

„Warum? Haben Sie plötzlich Angst vor seinen Schlägen, die Sie ertragen müssen?“

Die Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. „Schläge?“

„Erzählen Sie mir nicht, dass er Sie noch nicht geschlagen hat. Seine zweite Frau ertrug das nicht, aber vielleicht gehören Sie zu den Frauen, die so etwas gern mögen.“

„Bestimmt nicht. Kennen Sie Nancy Freed?“

„Ja.“

„Und Nicholas hat das tatsächlich getan?“ Sie konnte es nicht glauben. Ihr Vater musste es gewusst haben. Wie hatte er es zulassen können, dass sie sich mit einem solchen Mann verlobte! Sie musste sofort mit ihm sprechen.

„Haben Sie Telefon?“, fragte sie Joel Brent.

„Warum?“

„Ich muss unbedingt jemanden anrufen.“

„Ich habe weder Telefon noch Radio oder einen Fernsehapparat, und Zeitungen lese ich auch nicht.“

Daher also wusste er nicht, dass sie die Tochter von Charles Smith war und hielt sie für eine junge Reporterin, die ihre Karriere durch einen Mann wie Nicholas Freed schaffen wollte. Wie sehr er sich doch irrte!

3. KAPITEL

Nun, die Wahrheit war: Sabina hatte noch nie gearbeitet. Ja, gelegentlich auf Wohltätigkeitsbasaren, wo sie geholfen hatte, aber das war auch alles. Ihrem Vater hatte sie oft gesagt, dass sie gern berufstätig sein würde. Er hatte es nicht gewollt. Ihm war es wichtiger, dass sie zu Hause war.

Nicholas war der gleichen Meinung, denn auch mit ihm hatte sie darüber gesprochen, sich nach der Hochzeit eine Stellung zu suchen. Wahrscheinlich hätte sie sich nicht so leicht überreden lassen, Nicholas zu heiraten, wenn sie einen Beruf gehabt hätte. Er hätte sie unabhängiger gemacht.

„Wenn Sie keine Zeitungen lesen, wissen Sie also auch nicht, wie sehr es die Öffentlichkeit interessiert, was aus Ihnen geworden ist.“

„Die so genannte Öffentlichkeit hat vor einem Jahr schnell ihr Urteil über mich gefällt und mich verdammt.“

„Aber …“

„Ich gebe morgens um zwei keine Interviews, Miss Smith. Ich gebe überhaupt keine Interviews, jetzt nicht mehr.“

„Ich wollte nur …“

„Es interessiert mich nicht, was Sie wollten.“ Er konnte seinen Ärger kaum bezähmen. „Sie können heute Nacht in diesem Bett schlafen. Morgen werden wir eine andere Lösung finden.“

„Morgen?“

„Ich habe schon gesagt, Sie werden nicht abfahren. Sie werden so lange hier bleiben wie ich, und das kann Monate dauern.“

„Ich kann auf keinen Fall bleiben, Mr. Brent.“

„Joel“, verbesserte er. „Wenn Sie mich direkt anreden, dann nennen Sie mich Joel. Ich habe hier selten Besucher, nur gelegentlich diesen oder jenen Nachbarn, und keiner ahnt, dass ich Brent heiße, verstanden?“

„Ja, aber wohin gehen Sie jetzt?“ Auf ihre Frage drehte er sich vor der Tür um, durch die er gerade auf den Flur gehen wollte.

„Was ist los? Sind Sie nicht gewöhnt, allein zu schlafen?“

„Ich schlafe immer allein.“

„So? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Freed jemals eine Jungfrau im Bett gehabt hat. Ihm fehlt das erforderliche Zartgefühl. Aber vielleicht lässt sich das ändern, bevor Sie von hier fortgehen.“

Seine plötzlich wieder sanfte Stimme weckte in Sabina erotische Vorstellungen, wie sie und dieser Mann sich liebten. Als ihre Augen seinem spöttischen Blick begegneten, wusste sie, dass er ihre Gedanken erraten hatte. „Sie sind abscheulich“, sagte sie, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

„Mag sein. Aber Sie scheinen mich dennoch zu mögen.“

Ihn mögen? Davon konnte keine Rede sein. Ihre Gefühle waren viel tiefer, obwohl sie sich fragte, wie es möglich war, sich derartig in einen Mann zu verlieben, den sie kaum kannte. So viel stand für sie fest: Sie würde keinen Versuch unternehmen, ihn zu verlassen. Wenn sie lange genug hier blieb, würde die Heirat mit Nicholas nicht zu Stande kommen. Sie erschien einfach nicht zur Hochzeit. Dieser Ausweg war feige, aber sicher, und er erforderte keine Auseinandersetzung mit ihrem Vater.

„Jemand vor Ihnen hat es auch schon versucht“, meinte er ohne Übergang.

Sabina sah ihn erstaunt an. „Was versucht?“

„Eine Kollegin von Ihnen, Sharon Kendal. Sie brachte mich in London so weit, mit ihr zu schlafen. Dann versuchte sie, mich über Nicole auszufragen. Ich habe sie hinausgeworfen.“

Sabina kannte Sharon Kendals Methoden. Sie war eine eiskalte, zielbewusste Karrierefrau und im vergangenen Jahr bei der Daily News eingestellt worden. In sechs Monaten hatte sie es geschafft, Chefreporterin zu werden. Sie war gerissen und alles andere als zimperlich, wenn es um eine gute Story ging. Merkwürdig, dass Joel auf sie hereingefallen war.

„Ich wusste erst nicht, dass sie Reporterin war“, fuhr er fort, „und dann war es zu spät.“ Er schien wieder einmal ihre Gedanken lesen zu können.

„Ich denke, Sie haben ihr nichts erzählt?“

„Also, um ihr etwas zu erzählen, dafür war es natürlich noch nicht zu spät.“

„Oh.“ Sabina ärgerte sich über ihre Dummheit. „Wohin gehen Sie, Joel?“ Es war besser, das Thema zu wechseln. In Joel Brents Vergangenheit gab es bestimmt viele Frauen, mit denen er geschlafen hatte, und Sabina stellte fest, dass sie jede von ihnen hasste.

„Ich gehe nach unten und schlafe auf dem Sofa. Für heute Nacht habe ich genug von Ihnen, so attraktiv Sie auch sind. Weiß Freed, wo Sie sich in Schottland aufhalten?“

„Warum soll ich Ihnen darauf antworten?“

„Also weiß er es nicht. Umso besser. Schlafen Sie jetzt, Sabina. Sie sehen aus, als hätten Sie Schlaf dringend nötig.“

„Danke.“

Er lachte, weil sie es so spöttisch sagte. „Ich lasse Satan hier oben zu Ihrer Gesellschaft.“

„Mir wäre es lieber, Sie würden das nicht tun“, erwiderte sie mit einem Blick auf die geöffnete Tür, wo der Kater mit seinen funkelnden Augen stand.

„Träumen Sie gut.“ Mit diesen Worten machte Joel die Tür hinter sich zu.

Von wegen, „träumen Sie gut“! Sabina konnte nicht einschlafen, geschweige denn träumen. Wie konnte sie die Meinung, die Joel von ihr hatte, ändern? Aus seiner Abneigung gegenüber Reportern hatte er keinen Hehl gemacht. In seinem Fall war dies berechtigt, wie Sabina zugeben musste. Es war für immer offen geblieben, ob er diesen Unfall absichtlich herbeigeführt hatte. Die Zeitungen würden bei Gelegenheit wieder über ihn herfallen, zumal er sich weigerte, ihre Darstellung zu berichtigen.

Wenn sie Joel überzeugen könnte, dass sie keine Reporterin war, würde er sie dann anders einschätzen? Sinnlos jedenfalls war es, ihm zu erzählen, wer ihr Vater war. Das würde sie in seinen Augen doppelt belasten. Wenn ihr Vater wüsste, wo Joel Brent sich aufhielt, würde er seine Tochter sofort mit einem Exklusiv-Interview beauftragen.

Schwer zu schaffen machte Sabina auch der Gedanke an ihren Vater, wenn er erfuhr, dass sie Nicholas nicht heiraten wollte. Er würde wütend werden.

Plötzlich bemerkte Sabina neben ihrem Bett einen großen Schatten. Sie schrie auf, aber die inzwischen so vertraute Stimme von Joel Brent mahnte: „Ruhig, Sie kleine Närrin!“

„Sie haben mich erschreckt“, meinte sie vorwurfsvoll, setzte sich auf und sah, dass es die Flammen im Kamin waren, die seinen Schatten so ungewöhnlich vergrößerten. Was wollte er?

Er stellte einen Becher neben das Bett. „Kein Grund, das Haus zusammenzuschreien. Ich bringe Ihnen Kakao. Sie können offenbar nicht einschlafen. Das Bett knarrte unentwegt während der letzten Viertelstunde.“

„Tut mir leid.“ Also hatte sie ihn beim Einschlafen gestört. Misstrauisch betrachtete sie den Kakao.

Joel lächelte und hielt seine Arme über der Brust gekreuzt. „Da ist nichts weiter drin als Milch, Kakao und Zucker. Keine Droge. Mit der Drogenszene habe ich nie etwas zu tun gehabt.“

„Habe ich auch nicht angenommen, also brauchen Sie nicht so sarkastisch zu sein.“

„Verzeihung, Miss Smith“, gab er übertrieben höflich zurück. „Mein schlechtes Benehmen kommt durch den Mangel an menschlicher Gesellschaft. Satan erwartet von mir nichts weiter, als dass ich ihn füttere, wärme und ihm manchmal ein bisschen Liebe schenke. Eigentlich ganz ähnlich wie eine Frau.“

„Ich bin müde, Joel. Ich bin jetzt nicht munter genug für Wortgeplänkel.“

„Dann trinken Sie Ihren Kakao. Er ist ein gutes Schlafmittel.“

„Ich habe seit meiner Kindheit keinen Kakao mehr getrunken.“ Sabina kostete ihn und stellte fest, dass er gut war.

„Und die Kindheit liegt schon so weit zurück“, neckte er, nahm den leeren Becher aus ihrer Hand, drückte sie sanft in das Kissen zurück und zog den Reißverschluss ihres Schlafsacks hoch.

Sabina lächelte schläfrig. „Danke, Daddy.“ Sie hatte das aus Spaß gesagt, aber er reagierte zu ihrer Verwunderung ärgerlich.

„Das will ich nicht gehört haben, Sabina. Nicholas Freed ist alt genug, um Ihr Daddy zu sein. Ich nicht. Soll ich es beweisen?“ Er senkte seinen dunklen Kopf und suchte ihre Lippen.

Augenblicklich war es mit Sabinas Schläfrigkeit vorbei. Ihre Arme umschlangen seinen Hals, und ihre Finger strichen über sein Haar im Nacken. Er öffnete die Knöpfe ihrer Pyjamajacke, streichelte ihre Brüste, und sofort war sie entflammt. Ihr Körper bog sich zurück, als die Lippen eines Mannes zum ersten Mal ihre Brüste liebkosten und eine Welt des Wunders sich auftat, in der nur die Zärtlichkeit von Joel zählte.

Plötzlich zog er sich von ihr zurück und löste ihre Hände von seinem Nacken. In ihren Augen lag noch der Glanz der Verzückung, als sie ihn ansah, und wich dann einer tiefen Enttäuschung über seine Zurückweisung. „Joel?“

Ironisch lächelnd erklärte er: „Für heute Nacht habe ich genug von Ihnen. Sie haben Ihr Abendessen gehabt, dort ist ein Feuer, um Sie zu wärmen, und nun bekamen Sie ein bisschen Liebe.“ Er erhob sich vom Bett. „Jetzt können Sie ebenso zufrieden schlafen wie Satan.“

Seine Worte trafen sie wie ein Schlag. „Sie sind grausam.“

„Und Sie sind eine sehr gute Schauspielerin. Fast hätte ich glauben können, dass meine Zärtlichkeiten Sie glücklich machten.“

„Sehr glücklich.“

„Wirklich?“

„Denken Sie etwa, ich täusche etwas vor, um diese verdammte Story zu bekommen, die ich gar nicht haben will?“

„Genau das denke ich“, antwortete er kühl. „Und ich frage mich, ob Freed eine Ahnung hat, welche Kunstgriffe Sie in Ihrem Beruf anwenden. Sie haben den falschen Beruf gewählt, Sabina. Schauspielerin hätten Sie werden sollen. Sie sind hoch begabt. Schauspielern Sie auch, wenn Sie mit Freed im Bett sind? Das müssen Sie wohl. Mit einem Mann wie ihm ist das gar nicht anders denkbar.“

„Hinaus mit Ihnen!“ Sie zitterte vor Wut und zog ihre noch offene Pyjamajacke eng um sich. „Hinaus! Lassen Sie mich allein.“

Obwohl Nicholas ein attraktiver Mann war, hatte Sabina nie etwas empfunden, wenn er sie küsste. Sie hatte seine Küsse über sich ergehen lassen, nicht widerwillig, aber völlig unbeteiligt. Vielleicht hatte sie unbewusst immer geahnt, dass er nicht der richtige Mann für sie war. Jetzt wusste sie es, seitdem sie Joels Zärtlichkeit kennen gelernt hatte.

„Nicht so stürmisch!“, meinte Joel, während er zur Tür ging. „Und wenn Sie nicht schlafen können, dann liegen Sie wenigstens ruhig. Ich muss morgen, oder richtiger gesagt, heute arbeiten, und ich brauche meinen Schlaf.“

„Was arbeiten Sie?“

„Das geht Sie nichts an.“

Sabina war wieder allein. Trotz ihrer Müdigkeit kreisten ihre Gedanken um Joel. Sie konnte nicht begreifen, warum er sich in dieses einfache Haus zurückgezogen hatte. Er war ein weltberühmter Star, der Luxuswohnungen in mehreren europäischen Hauptstädten und ein großes Apartment in New York besaß. Seine Yacht lag im Hafen einer griechischen Insel vor Anker, und wohin er auch kam, überall gab es Angestellte, die ihn bedienten. Dennoch lebte er hier in Schottland in diesem Haus tief im Wald.

Es gab genug Frauen, die in diesem vergangenen Jahr sofort die idyllische Einsamkeit mit ihm geteilt hätten. Er hatte es jedoch vorgezogen, allein zu leben. Jetzt allerdings war er nicht mehr allein. Sie war da, und sie würde bleiben, solange er es wollte. Möglichst lange, hoffte sie.

In der Nacht wachte Sabina plötzlich auf und fühlte etwas Warmes, Weiches in ihrem Rücken. Hatte Joel es sich anders überlegt und das Sofa mit dem Bett vertauscht? Langsam drehte sie sich um. Neben ihr rührte sich Satan, und seine schlaftrunkenen Augen wurden plötzlich groß und wachsam, als er den Kopf hob und sie ansah. Sabina zog ihre Hand vorsichtig aus dem Schlafsack und hielt sie, soweit sie es wagte, dem Kater entgegen. Die schwarze Nase kam näher. Das Mäulchen öffnete sich und zeigte spitze Zähne, bevor die raue Zunge zum Vorschein kam und ihre Hand leckte.

„Nanu, Satan“, lachte sie leise, kraulte ihn am Hals, und mit einem zufriedenen Schnurren legte der Kater seinen Kopf in ihre Handfläche. Schließlich kuschelte er sich noch enger an Sabina. „Hoffentlich glückt es mir, dass dein Herr mich ebenso mag“, flüsterte sie, bevor sie weiterschlief.

Es war nach neun Uhr morgens, als sie aufwachte und von draußen ein seltsames Geräusch hörte. Als sie aufstehen wollte, um herauszufinden, woher es kam, hörte es auf. Jemand, vermutlich Joel, lief im Hause herum. Satan hatte das Schlafzimmer verlassen, und nichts wies darauf hin, dass er und Sabina in der Nacht Freunde geworden waren.

„Wollen Sie den ganzen Tag im Bett bleiben?“ Joel stand in der offenen Tür und zog den Kopf ein, um das Zimmer zu betreten. „Ich weiß nicht, was für ein Leben Sie in London führen, aber hier stehen wir um sieben Uhr auf.“

Sabina wünschte, sie hätte Zeit gehabt, sich etwas zurechtzumachen. „Hat sich der Nebel verzogen?“

„Ja, die Sonne scheint.“

„Was war das draußen für ein Geräusch?“

„Ich habe Holz gehackt, für die Kamine. Heute Abend wird es wieder kalt. Ich habe damit gewartet, so lange ich konnte, um Sie nicht zu stören. Aber jetzt möchte ich endlich duschen und mir neues Zeug anziehen.“

Joel hatte ganz offensichtlich in seiner Kleidung geschlafen. Seine Cordhose war völlig zerknittert. „Heute Nacht können Sie unmöglich wieder unten schlafen“, sagte Sabina.

„Habe ich auch nicht vor. Heute Nacht schlafe ich wieder in meinem Bett. Sie werden auf dem Campingbett schlafen, das ich im Schuppen gefunden habe.“

„Ein Campingbett?“

„Ja.“ Er lachte. „Die Besitzerin vor mir hat anscheinend gelegentlich netten Besuch gehabt.“

Wie gut sieht er aus, wenn er so unbekümmert lacht, dachte Sabina. Jetzt glich er viel mehr dem Joel Brent, den sie aus Fernsehshows kannte, wo er großen Wert auf sein Äußeres gelegt und stets Anzüge vom teuersten Schneider getragen hatte.

Seine Augen wurden dunkel, das Lachen schwand aus seinem Gesicht, als er merkte, dass sie über ihn nachdachte. „Von Ihnen kann ich nicht behaupten, dass Sie ein netter Besuch sind. Sie haben mich in meiner Ruhe gestört. Ganz ehrlich, ich bin nicht sehr begeistert von Ihrem Auftauchen.“

„Ich wollte heute abfahren.“

„Sie wissen verdammt gut, dass ich das nicht zulassen kann.“ Er holte ein dunkelgrünes Hemd aus einer Kommode. „Ziehen Sie sich an und gehen Sie hinunter. Da Sie nun einmal hier sind, können Sie das Kochen übernehmen.“

Sabina schlüpfte aus dem oberen Teil ihres Schlafsacks und setzte sich aufrecht im Bett hin. „Ich bin keine gute Köchin.“

„Schlechter als ich können Sie nicht sein. Außerdem habe ich es gern, wenn eine Frau mich bedient.“

Sie blickte auf seinen Rücken und war sicher, dass nur zu viele Frauen ihn gern bedienen würden. Missgelaunt stand sie auf und suchte in ihren Satteltaschen nach sauberen Sachen. Der Tag war sonnig und schien warm zu werden, daher zog sie weiße Baumwollshorts und eine hellgrüne Bluse an. Ihre gebräunten Beine waren lang und makellos, an den Füßen trug sie Kordelsandalen.

Ihre Augen begegneten herausfordernd Joels Blick, der vom Duschen zurückkam. Sabina rührte sich nicht, als er sie unverschämt von oben bis unten musterte.

„Nun?“, fragte sie schließlich, um das kaum erträgliche Schweigen zu brechen.

Er trug das dunkelgrüne Hemd und eine schwarze Hose und warf seine getragene Kleidung in eine Ecke des Zimmers. „Sie wissen, dass Sie zauberhaft aussehen, begehrenswert. Ich brauche Ihnen das nicht zu bestätigen.“

„Aber ich höre es gern.“

„Zwei Menschen, die sich näher kommen möchten, brauchen Zeit“, sagte er. „Wahrscheinlich haben Sie sonst nicht die Zeit dafür. Dieses Mal aber haben Sie so viel Zeit, wie Sie wollen. Man sollte nichts überstürzen, Sabina. Die Erwartung, Sie vielleicht eines Tages zu besitzen, macht das Erlebnis umso schöner.“

„Joel …“

„Nicht jetzt, Sabina.“ Er küsste sie kurz auf den Mund. „Nicht bevor ich mir über Ihre eigentlichen Absichten im Klaren bin.“

„Satan hat mich besser erkannt.“

„Er ist treulos.“ Joel ging zur Treppe, die nach unten führte. „Ich sah, wie er sich an Sie gekuschelt hatte, und ich war ziemlich eifersüchtig.“

Sabina dachte daran, wie sehr sie nachts gewünscht hatte, Joel läge neben ihr. Gott sei Dank kehrte er ihr den Rücken zu und konnte ihre Gedanken nicht lesen.

Offenbar missverstand er ihr Schweigen. „Keine Sorge. Ich habe mich nicht heimlich nachts hinaufgeschlichen, um zu sehen, ob Sie schlafen. Ich kam, um mehr Holz im Kamin nachzulegen.“ Spottend fügte er hinzu: „Um sicher zu sein, dass Satan es warm hat.“

„Ist er das einzige Wesen, das Ihnen nahe steht? Entschuldigen Sie, das wollte ich eigentlich nicht fragen.“

„Warum nicht? Es ist wahr, sonst steht mir niemand nahe.“

„Kein Mensch, der noch lebt?“

Er packte sie am Arm. „Was soll das heißen, Sabina? Warum plötzlich so negativ?“

Sie lächelte gezwungen. „Es hatte nichts zu sagen. Wollen wir jetzt Frühstück machen? Ich glaube, Schinken und Eier sind noch da.“

„Lügen Sie nicht.“ Er überging ihre Frage wegen des Frühstücks. „Wir kennen uns zwar erst kurze Zeit, aber ich kann Ihre Gedanken lesen. Aus Ihren Augen. Sie sagen mir alles, was ich wissen will.“ Er lächelte, als sie die Lider senkte. „Zu spät dafür.“

Schnell ein anderes Thema. „Wo ist das Campingbett?“, fragte sie.

„Das spielt jetzt keine Rolle.“

„Für mich doch. Ich möchte es reinigen, bevor ich darauf schlafe.“

„Es steht draußen in der Sonne. Satan schläft darauf, also ist es in Ordnung.“

„Katzen nehmen für sich immer die besten Plätze in Anspruch, nicht?“ Sie plapperte nervös drauflos. „Ich erinnere mich, als ich ein Kind war …“

„Ihre Kindheit mag sicher sehr abwechslungsreich gewesen sein, aber im Augenblick interessiert sie mich überhaupt nicht. Was sollen diese Ausflüchte? An wen denken Sie, der mir nahe stehen könnte?“

„An niemanden.“

„Ich kann mir denken, an wen. Ich habe schon erklärt, dass ich über Nicole nicht ausgefragt werden möchte. Versuchen Sie also nicht, mir irgendwelche Antworten zu entlocken.“

„Nichts wollte ich Ihnen entlocken“, gab sie unwirsch zurück. „Ich kann Ihnen versichern, dass mich die Beziehung zwischen Ihnen und Ihrer Geliebten nicht interessiert.“

Er packte sie am Arm, dass es ihr wehtat. „Sprechen Sie niemals wieder von ihr als meiner Geliebten. Niemals.“

Sie versuchte, sich von seiner Hand zu befreien. „Ich verspreche es.“

Er stieß sie von sich, und es war ihm gleichgültig, dass sie taumelte. „Ich will nie wieder ihren Namen von Ihnen hören. Ist das klar, Sabina?“

Also gehen seine Gefühle für diese Französin so tief, dass niemand sonst diese Frau erwähnen darf, dachte sie verzweifelt. „Ich habe genau verstanden, was Sie sagten“, erwiderte sie, und das Herz schien ihr vor Kummer fast zu brechen. „Wohin gehen Sie?“

Joel sah auf. Er hielt die Hand auf dem Türgriff. Die Tür führte zu einem Raum, der links neben dem Wohnzimmer lag und den Sabina nicht kannte. „Ich bin es nicht gewöhnt, Auskunft zu geben über das, was ich tue“, erwiderte er kühl.

„Ich dachte nur, ich könnte dort drinnen vielleicht mein Campingbett aufstellen.“

„Können Sie nicht. Ich verbiete Ihnen, diesen Raum zu betreten.“

„Aber warum?“

„Habe ich es nötig, Ihnen einen Grund anzugeben? Es genügt, wenn ich sage, Sie dürfen dieses Zimmer nicht betreten. Die Tür hat kein Schloss, und als neugierige kleine Reporterin möchten Sie natürlich herumschnüffeln. Aber wenn Sie jemals in dieses Zimmer gehen, bringe ich Sie um.“

„Du lieber Himmel, was ist denn dort drin? Eine Leiche?“

„Was da drin ist, geht Sie nichts an.“

O Gott, dachte Sabina, das Zimmer ist bestimmt eine Art Erinnerungsstätte für Nicole Dupont. Wie sehr musste er sie geliebt haben! Eine lebende Rivalin hätte sie möglicherweise ausstechen können, aber gegen die Erinnerung an eine geliebte Tote war ein Kampf hoffnungslos. „Ich gebe mein Ehrenwort, dass ich nicht in das Zimmer gehe.“

„Ihr Ehrenwort! Dazu kenne ich Sie viel zu wenig, um zu wissen, was das bedeutet.“

„Ich habe mein Ehrenwort noch nie gebrochen. Und ich verspreche außerdem, dass kein Mensch von mir erfahren wird, wo Sie sich aufhalten.“

„Ganz nach Vorschrift“, höhnte er. „Erst Abwehr, dann routinierte Verführung und jetzt die ausgestreckte Hand der Freundschaft. Verführen können Sie am besten, Sabina. Bleiben Sie dabei.“

„Gehen Sie jetzt in das Zimmer?“, fragte sie, als er den Griff berührte.

„Das sehen Sie doch. Ich verbringe den größten Teil meiner Tage in dem Zimmer, manchmal auch Nächte, und ich wüsste nicht, weshalb ich meine Gewohnheiten Ihretwegen ändern sollte. Sie haben mir Ihr Ehrenwort gegeben, das Haus nicht zu verlassen, und Sie sagten, Sie würden ein Ehrenwort niemals brechen.“

„Ich möchte gern hinaus in die Sonne.“

„Gut. Aber laufen Sie nicht davon. Ich würde Sie überall finden. Da können Sie sicher sein.“

„Ich will nur Satan ein bisschen Gesellschaft leisten.“

„Er wird es zu schätzen wissen.“

Trotzig warf sie den Kopf zurück. „Jedenfalls mehr als Sie.“

„Oh, ich weiß Sie in ganz besonderer Weise zu schätzen, Sabina.“

„Warum so zynisch?“ Sein Spott und seine Beleidigungen wurden ihr allmählich zu viel. „Ich bin keine Reporterin“, erklärte sie wütend. „Ich will nicht mit Ihnen ins Bett gehen. Und wenn Sie weiterhin solche Bemerkungen machen, werde ich die erste Gelegenheit nutzen und auf und davon gehen.“ Sie war gespannt, wie er auf ihren Wutausbruch reagieren würde.

Der Blick seiner grauen Augen verwandelte sich langsam von Zynismus in Respekt. „Gut, Sabina, im Augenblick will ich auf Ihre Bemerkungen nicht eingehen, bis ich genaue Auskünfte habe. Ich werde ziemlich bald wissen, woran ich bin.“

„Also haben Sie Kontakt zu jemandem?“

„Ja, zu jemandem.“

Sabina fragte sich, ob dieser Jemand ihm erzählen würde, dass sie Charles Smiths Tochter war. Sie hoffte nicht, und der Ton seiner Stimme sagte ihr, dass er nicht im Geringsten gewillt war, ihr den Namen der in Frage kommenden Person zu nennen. „Ich bin draußen bei Satan, falls Sie mich brauchen.“

„Ich brauche niemanden.“ Die Tür schlug hinter ihm zu.

4. KAPITEL

Diesem Tag folgten drei Tage, die im gleichen Rhythmus verliefen. Das Campingbett wurde im Schlafzimmer aufgestellt. Joel schlief im Bett, Sabina auf dem Campingbett, und keiner sprach ein Wort, wenn das Licht ausgemacht wurde. Sie frühstückten zusammen, und dann verschwand Joel in seinem Zimmer.

Es war beinahe, als seien sie ein lang verheiratetes Ehepaar, das abends über unverbindliche Themen sprach. Sabina hatte schnell gelernt, welche Themen sie besser vermied, um keinen Ärger aufkommen zu lassen. Ihr Verhältnis zueinander war höflich, fast freundschaftlich-kameradschaftlich. Joel traute ihr nach wie vor nicht, aber er war auch nicht ausgesprochen misstrauisch.

Satan verbrachte jeden Abend auf Sabinas Schoß. Er reckte und streckte und kuschelte sich voller Wohlbehagen an sie, zeigte ihr offen seine Zuneigung und schnappte nach jedem Bissen, den sie ihm gab.

Dann kam der vierte Abend. Joel ging wie üblich nach dem Essen in sein Zimmer. Sabina blickte nachdenklich auf die verschlossene Tür, und Satans Hin- und Herlaufen verriet, dass er seinen Herrn entbehrte.

Sabina streichelte sein schwarzes seidiges Fell, als er wieder auf ihrem Schoß lag. Sie beugte sich zu ihm hinunter und sagte leise: „Es ist nicht nett von ihm, Satan, nicht wahr? Den ganzen Tag sind wir allein gewesen und heute Abend schon wieder. Wenn ich nicht hier wäre, würde dein schlecht gelaunter Herr dich in sein Zimmer lassen, dann hättest du …“

„Sein schlecht gelaunter Herr erlaubt Satan nie, in das Zimmer zu kommen, auch wenn Sie nicht hier sind“, unterbrach Joel sie amüsiert.

„Joel?“

„Ja, Joel.“ Er lachte so herzlich, dass sie seinem Charme augenblicklich verfiel. „Satan darf nie hereinkommen, weil ich mich dann nicht konzentrieren kann.“

„Worauf? Und weshalb sehen Sie so glücklich aus?“

„Weil ich fertig bin.“ Er setzte Satan liebevoll auf den Fußboden und legte sich, den Kopf auf Sabinas Schoß, der Länge nach auf das Sofa. „Gott, ist dieses Sofa ungemütlich. Aber Sie sind es nicht.“ Er strahlte sie an. „Haben Sie mich vermisst?“

„Natürlich. Es ist nicht sehr lustig, hier allein herumzusitzen.“

Er ergriff ihre Hand, legte ihren Arm über seine Brust und spielte mit ihren Fingern. „Viel Spaß haben Sie nicht gehabt, seitdem Sie hier sind. Möchten Sie, dass sich das ändert?“

„Was meinen Sie damit?“

Er lächelte über ihren verwirrten Gesichtsausdruck. „Sie denken an etwas anderes als ich. In den letzten Nächten hätte ich Sie lieben können, wenn mir danach gewesen wäre, aber …“

„Und jetzt ist Ihnen danach“, platzte sie heraus. „Dazu gäbe es auch von mir etwas zu sagen.“

„Sicher.“

Er war belustigt, und das ärgerte Sabina. „Ich würde jetzt nein sagen.“

„Kann ich verstehen, aber ich wollte einen anderen Vorschlag machen. Lassen Sie uns ausgehen.“

Seit vier Tagen war sie eine Gefangene in diesem kleinen Haus und wusste nicht einmal, ob sie jemals wieder frei sein wollte. Ihr gefiel dieses Zusammenleben mit Joel, so wie es war. „Wir beide gehen aus?“, fragte sie ungläubig.

„Ich sehe keinen Dritten im Zimmer, also meine ich Sie und mich. Wollen Sie, ja oder nein?“

„Gern.“

„Also gehen wir.“ Er stand auf und sah auf seine Armbanduhr. „Viel Zeit haben wir nicht, um dorthin zu kommen.“

„Wohin?“

„In das Hotel, in dem Sie kürzlich übernachteten. Ich dachte, es wäre nett für einen Drink.“

„Ja, sehr. Aber wird man Sie nicht erkennen?“

„Ich bin dort bekannt als Joe Bradley.“

Sabina zog ihren Mantel an, denn wie üblich war der Abend kalt. „Glauben Sie tatsächlich, dass Sie niemand erkennt?“

„Niemand. Offenbar führen die Menschen hier alle ein Einsiedlerleben. Außerdem stand lange nichts über mich in den Zeitungen.“

„Kommen wir denn rechtzeitig hin, bevor dort geschlossen wird?“

„Ich habe ein Auto.“

„Wo?“

„In der Garage unten an der Gabelung des Weges. Bevor der frühere Besitzer vier Unfälle baute, war es ein guter Wagen. Nach dem letzten Unfall vor drei Jahren hat er es dann verkauft. Ich brauche es selten. Meistens leihe ich mir ein Pferd von einer benachbarten Farm.

Das Auto war ein verrosteter, hellblauer Wagen mit ausgeblichenem schwarzen Verdeck. Auch die Ledersitze hatten einst bessere Tage gesehen. Nun quoll aus einigen Löchern Polstermaterial hervor.

„Meine Güte, was für ein Auto!“, rief Sabina.

„Weiß ich. Mein Porsche hätte in dieser Gegend Aufsehen erregt. Steigen Sie ein, Mylady“, meinte Joel galant.

„Einige Federn von meinem Sitz sind lose und stechen“, stellte sie fest, als der Wagen über den Waldpfad holperte.

„Kann gut sein.“

„Was macht Satan jetzt so allein?“ Sie hatten ihn zusammengerollt vor dem Kaminfeuer zurückgelassen, wo er ein Auge schläfrig öffnete und sofort wieder schloss, als sie den Raum verließen.

„Dem geht es gut. Seit Ihrer Ankunft haben Sie ihn so oft mit kleinen Bissen von Ihrem Teller gefüttert, dass er keine Lust mehr auf Mäuse hat.“

„Sie haben noch nicht erzählt, was wir heute Abend feiern?“

„Das Ende der Arbeit, wegen der ich nach Schottland gegangen bin.“

„Joel, was für eine Arbeit?“

„Wenn Sie jetzt wieder Fragen stellen, Sabina, fahre ich sofort zurück. Sollen wir zurückfahren?“ Er drosselte die Geschwindigkeit, bis der Wagen beinahe stand.

„Weiterfahren.“

Seine Hand berührte flüchtig ihre Wange. „Manchmal reizen Sie mich bis zur Weißglut. Warum können Sie nicht einfach vergessen, aus welchem Grund Sie nach Schottland gekommen sind? Ich gebe mir viel Mühe, das zu vergessen.“

„Ob Sie es nun glauben oder nicht, ich bin nach Schottland gefahren, weil ich mir darüber klar werden wollte, ob Nicholas der richtige Mann für mich ist. Inzwischen weiß ich, er ist es nicht.“

„Und wie sind Sie zu dieser Erkenntnis gekommen?“

„Ich habe mich in einen anderen Mann verliebt.“ Sie sah ihn an, und ihr Blick verriet ihm deutlich, wen sie meinte.

„Sabina, ich mag in mancher Hinsicht ein Narr sein, aber ich bin nicht so dumm, auf diesen alten Trick hereinzufallen. Auch wenn ich zugeben muss, dass Sie dafür begabter sind als die meisten Frauen.“

Sabina hatte sich dieses Gespräch anders vorgestellt. Aber was hatte sie eigentlich erwartet? Eine Liebeserklärung von ihm? Es war ungewöhnlich genug, dass sie sich innerhalb kurzer Zeit in ihn verliebt hatte. Wäre es ihm ähnlich ergangen, so hätte man von einem Wunder sprechen können. Sie empfand keinen Augenblick Verlegenheit, ihm ihre wahren Gefühle offenbart zu haben, nur seine Reaktion fand sie seltsam.

„Wofür begabter als die meisten Frauen?“, fragte sie.

„Nun, für Ihren Job und alles, was dazu gehört. Eines allerdings verstehe ich nicht. Drängt plötzlich die Zeit, um die Story zu bekommen? Haben Sie Torschlusspanik?“

„Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden.“

„Aber ich.“ Er fuhr den Wagen auf den Parkplatz des Hotels. „Und ich verstehe Sie sogar sehr gut. Leider muss ich Sie enttäuschen: Auch wenn Sie großartig heucheln, Sie seien in mich verliebt, werde ich Ihnen nichts erzählen.“

Ihre Augen funkelten vor Wut. „Zyniker! Wäre ich doch bloß nicht mit Ihnen ausgegangen! Sie können nichts ernst nehmen, wie?“

„O doch, das kann ich, mein kleiner Teufel!“ Er zog sie an sich und presste seinen Mund auf ihre Lippen.

Sabina war sofort verloren. In seiner Umarmung gab ihr Körper nach, und sie erwiderte seine Küsse. Eine Weile ging das so, und es war Sabina egal, dass Joel dachte, sie wolle nur diese dumme Zeitungsstory. Irgendwie schob sie diese Tatsache weit von sich. In diesem alten Auto neben ihm hätte sie immer bleiben und ihn küssen können.

Sabina und Joel setzten sich auf die Sitzbank in einer Ecke der Bar, die nur von wenigen Gästen besucht war. In der gegenüberliegenden Ecke saßen sechs Männer und an einem anderen Tisch zwei Ehepaare, die durch bunte, lässige Kleidung und ausgelassene Stimmung wie Touristen wirkten. Wie im Traum nahm sie von Joel das Glas Martini entgegen.

Joel schaute zum Nebentisch hinüber, an dem zwei junge Männer saßen.

„Ich glaube, der mag dich auch“, stellte er fest.

Erst jetzt merkte Sabina, wie dicht Joel neben ihr saß, den einen Arm ausgestreckt und auf der Lehne hinter ihrem Rücken. Sie hatte auch bemerkt, dass er zu dem vertrauten Du übergegangen war. Sie fand das gut.

Sabina folgte Joels Blick. Die beiden Männer schienen tatsächlich Interesse an ihr zu haben. Ja, der eine der beiden starrte sie an, und nun schaute auch sein Freund zu ihr herüber. Es störte sie, dass sie sich anders setzte und den beiden Männern den Rücken zukehrte.

„Vielleicht erinnere ich sie an jemanden.“ Es konnte auch sein, dass die beiden ihr Foto in den Zeitungen gesehen hatten, als sie sich mit Nicholas verlobt hatte. Das war sicher der Grund. „Vielleicht gilt das Interesse gar nicht mir, sondern dir“, fiel ihr dann ein.

„Mich sehen sie nicht an.“

„Neidisch?“

„Halt lieber deinen Mund, bevor du etwas sagst.“

Sabina bedauerte ihre Bemerkung sofort, zumal Joel überhaupt nicht eingebildet war. „Tut mir leid.“

Er stand auf. „Komm, lass uns gehen.“

„Aber ich habe meinen Martini gar nicht angerührt.“

„Pech! Ich habe meinen Whisky ausgetrunken. Da ich den fahrbaren Untersatz habe, musst du wohl oder übel mit mir kommen. Ich bin zwar sicher, unser junger Freund dort am Tisch würde dich nur zu gern für ein paar Tage in seine Obhut nehmen, für einen bestimmten Preis natürlich, aber dir scheint es ja nichts auszumachen, den zu bezahlen.“

„Warum beleidigst du mich und sagst derart scheußliche Sachen! Wenn ich mich von dir küssen lasse, bedeutet das noch längst nicht, dass der Mann dort mich küssen darf.“

„Komm!“ Er zog sie zur Ausgangstür. „Bloß raus hier.“

Sabina zögerte. „Schade. Nun gehen wir schon mal aus, und da muss so etwas passieren!“ Sie verstand seine Ungeduld absolut nicht.

Als sie im Auto saßen, fragte Joel, ob Sabina lieber in der Bar geblieben wäre, um sich mit diesem jungen Verehrer zu unterhalten. „Er wollte gerade an unseren Tisch kommen, um dich anzusprechen.“

„Glaube ich nicht. Er sah doch, dass ich mit dir zusammen war.“

„Dreh dich bitte um! Na, wer steht dort?“

Sabina drehte sich um, während Joel den Austin zur Ausfahrt des Parkplatzes lenkte. Tatsächlich stand der eine der beiden Männer vor dem Hotel und blickte ihnen nach. „Ich glaube nach wie vor, er hat dich erkannt“, meinte sie mehr zu ihrer Verteidigung als aus echter Überzeugung.

„Mag sein. Mein Gott, seitdem du im Nebel aufgetaucht bist, habe ich nichts als Scherereien. Ich hätte dich gleich am ersten Abend hinauswerfen sollen.“

„Du wolltest mich ja nicht gehen lassen.“

„Ob Reporterin oder nicht, ich hätte dich hinauswerfen sollen. Ich hätte nicht auf diese langen goldblonden Haare und diese großen grünen Augen hereinfallen dürfen. Damit habe ich mir alles unnötig schwer gemacht.“

„Was schwer gemacht?“

„Als du bliebst, hätte ich mit dir schlafen und dir alles erzählen sollen. Du hättest das Geständnis einer schönen Seele gehabt. Die Versuchung war groß.“

„Joel …“

„Nein.“ Seine Hände umklammerten das Steuer, als wollte er sich daran festhalten. „Jetzt keine Tricks, Sabina. Hätte ich mit dir geschlafen, dann hätte ich das bisschen Selbstrespekt, das ich noch besitze, verloren. Ich wäre wahrscheinlich vorübergehend mit dir glücklich gewesen, aber hinterher hätte ich dich dafür leiden lassen.“

„Bitte …“

„Keine weiteren Liebeserklärungen“, sagte er ironisch. „Ich werde bald von hier fortgehen, sehr bald sogar.“

„Fortgehen? Wohin?“ Panik ergriff sie. Undenkbar, dass er für immer aus ihrem Leben verschwinden könnte. Wenn es zahllosen Reportern bisher nicht geglückt war, ihn zu finden, so würde es ihr erst recht nicht glücken, sein neues Versteck aufzuspüren.

Er lächelte über ihr Entsetzen. „Das möchtest du gerne wissen, ja? Ich gebe dir einen guten Rat, Sabina. Gib diesen Beruf auf, bevor er das Gute in dir zerstört. Noch ist es nicht zu spät. Noch steckt in dir viel von einem bezaubernden kleinen Mädchen. Vergiss den Beruf und die Ehe mit Freed. Suche dir einen netten jungen Mann zum Heiraten, mit dem du ein Dutzend Kinder bekommst. Ja, ich meine es ganz ehrlich. Für dich wäre es das Beste, Ehefrau und Mutter zu werden und nicht irgendeine hart gesottene Reporterin, die alles tut für eine Story.“

„Aber ich …“

„Willst du Freeds nächster Punchingball werden? Willst du das wirklich?“

„Nein.“

„Dann vergiss ihn. Gib ihm den Brillantring zurück und mach Schluss mit der Geschichte.“

Sabina wunderte sich über seine Heftigkeit. „Warum dein Interesse, was ich aus meinem Leben mache?“

„Ich mag dich zu gern, um mit anzusehen, dass du einen großen Fehler begehst.“

„Du magst mich?“

„Ich mag das an dir, was du sein könntest“, verbesserte er sich und parkte den Wagen. Bis zum Haus mussten sie noch ein Stück laufen.

Die Schneise war schmal und uneben. Sabina versuchte neben ihm Schritt zu halten. Die Einsamkeit und Dunkelheit des Waldes erzeugten das Gefühl einer Intimität, der Joel offenbar möglichst schnell entfliehen wollte. Mit großen Schritten eilte er vorwärts, ohne daran zu denken, dass Sabina ihm kaum folgen konnte.

Im Haus angekommen, legte sie eine Hand auf seinen Arm und fühlte, dass sich seine Muskeln unter ihrer Berührung spannten. „Was könnte ich sein, Joel?“

„Das habe ich dir bereits gesagt.“ Er schüttelte ihre Hand ab, warf das Jackett auf einen Stuhl und ging zu dem Zimmer, das sie nicht betreten durfte.

„Willst du jetzt noch arbeiten?“, fragte sie enttäuscht.

Er betrachtete sie kurz. „Arbeit ist bekanntlich ein guter Ersatz.“ Mit diesen Worten schlug er die Tür vor ihrer Nase zu.

Wenn er denkt, er wird mich diese Nacht los sein, so irrt er sich, dachte Sabina. Sie legte sich im Wohnzimmer auf das Sofa. Hier würde sie liegen bleiben, bis Joel herauskam. So ohne weiteres ließ sie sich nicht aus seinem Leben verdrängen.

Es war dunkel, als sie aufwachte. Das Feuer im Kamin war ausgegangen, und Satan, auf der Suche nach Wärme, lag auf ihrem Schoß. Durch einen Türspalt sah sie Licht im Nebenzimmer. Also arbeitete Joel noch immer. Was mochte das für eine Arbeit sein, von der er doch behauptete, er habe sie beendet?

Sie stöhnte, als sie aufstand. Alles tat ihr weh. „Ein elendes Sofa“, flüsterte sie dem Kater zu. „Es ist nicht nur ungemütlich, es ist eine Folter.“

Das Zimmer war plötzlich erleuchtet, als sich die Tür hinter ihr öffnete und Joel sie ansah.

„Du bist nicht ins Bett gegangen?“

Sabina zog eine Grimasse. „Wie gut du das erraten hast.“

„Warum bist du nicht oben?“

„Weil ich auf dich gewartet habe.“

Er ging auf sie zu und hob sie in seine Arme. „Gibst du nie auf?“

Sie schlang die Arme um seinen Hals und legte ihren Kopf müde an seine Schulter. „Ich wollte nicht, dass du ohne mich fortgehst.“

Joel trug sie die Treppe hinauf, und sie merkte, dass er ärgerlich war. „Ich werde dir sagen, wenn ich von hier fortgehe.“

„Gut.“

Er küsste sie auf die Nase. „Ich bin gleich wieder zurück und freue mich auf mein Frühstück.“

Sabina lächelte trotz ihrer Tränen. „Du bist Tarzan, ich bin Jane.“

„Richtig.“ Er lachte, bevor er fortging.

Sabina betrat glücklich die enge Küche und summte vor sich hin. Alles würde gut werden zwischen ihr und Joel. Sie war jetzt felsenfest davon überzeugt.

Als sie Schritte im Flur hörte, lief sie nach vorn, um Joel zu begrüßen. Stattdessen standen die beiden Männer, die am vergangenen Abend am Nebentisch in der Bar gesessen hatten, vor ihr.

„Was wollen Sie?“, herrschte sie die Männer an.

Der Jüngere, der sie ständig angeschaut hatte, fragte kurz: „Wo ist Brent hingegangen?“

Sabina konnte ihr Erstaunen kaum verbergen. „Tut mir leid, ich weiß nicht, wen Sie meinen.“

Der Dunkelhaarige, ein Mann von etwa dreißig Jahren, lachte. „Wir meinen Joel Brent, Schätzchen.“

Ihre Miene wurde hochmütig. „Sie meinen wahrscheinlich meinen Mann?“ Dabei stieg ihr die Röte in die Wangen, und der Gedanke, sie könnte mit Joel verheiratet sein, der Gedanke an so viel Glück machte sie schwindelig. „Er wird oft für Joel Brent gehalten“, behauptete sie kühn.

„Er interessiert uns weniger“, erklärte der blonde Mann. „Wir wissen genau, wer Joel Brent ist. Sie interessieren uns viel mehr – Miss Smith.“

„Das muss ein Irrtum sein. Ich heiße Bradley und wohne hier mit meinem Mann.“

Der Dunkelhaarige nahm ein Foto aus seiner Brieftasche und zeigte es ihr. Sabina ergriff es mit zitternder Hand. Es war ein Foto, das in Monte Carlo aufgenommen worden war, wo sie mit ihrem Vater Urlaub gemacht hatte.

Sie sah die beiden Männer entgeistert an. „Aber das …“

„Hat Ihr Vater aufgenommen“, beendete der Blonde ihren Satz. „Und er hat es uns gegeben.“

„Was heißt das?“

„Das heißt, wir arbeiten für Ihren Vater, Miss Smith, und wir sind hergekommen, um Sie nach London zurückzubringen.“

5. KAPITEL

Also ihr Vater hatte diese Männer geschickt! Wie hatte sie sich nur vormachen können, er würde nachgeben? Seit sie denken konnte, hatte er über ihr Leben bestimmt. Er hatte sie auf die teuersten Schulen geschickt und ihr nur den Umgang mit Freundinnen erlaubt, deren Herkunft ihm passend für sie erschien. Ihr Vater hatte sogar den Ehemann für sie ausgesucht, und in ihrem ganzen Leben war sie nie länger als höchstens einige Tage außerhalb seiner Befehlsgewalt gewesen. Ihr Wille zur Unabhängigkeit, den sie durch die Fahrt nach Schottland zum ersten Mal im Leben gezeigt hatte, musste wie eine Art Schock auf ihn gewirkt haben.

„Wie haben Sie mich gefunden?“, fragte sie. Nachdem sie das Foto gesehen hatte, schien es sinnlos, diesen Männern noch länger etwas vorzumachen.

„Darüber können wir auf der Rückfahrt nach London reden“, sagte der Dunkelhaarige. „Wann kommt Brent zurück?“

Joel. O Gott, Joel! Sie konnte ihn nicht verlassen, konnte nicht von hier fortgehen und ihn vielleicht niemals wieder sehen. „Er muss jeden Augenblick zurückkommen.“ Ihre Stimme klang abwesend.

„Also weg von hier, und das so schnell wie möglich!“, entschied der Blonde. „Ray, du bringst Miss Smith zum Wagen, und ich hole ihre Sachen.“

Der Mann packte Sabina am Arm und zog sie zur Haustür.

„Ich verlasse dieses Haus nicht, bevor ich nicht Mr. Brent gesehen habe“, versetzte sie eisig und war in diesem Augenblick die Tochter von Charles Smith.

„Mike?“ Der Mann wandte sich fragend an den Blonden, der ihm offenbar übergeordnet war.

„Der Auftrag Ihres Vaters ist, Sie sofort mitzunehmen“, erklärte Mike. „Ihre Einwände gehen mich nichts an. Ich denke nicht daran, mich mit Ihrem Vater anzulegen.“

Kaum jemand wagte das. Der einzige Mensch, der ihm widersprach, war Nicholas, und den sollte sie heiraten.

„Ich komme nicht mit, solange ich nicht mit Mr. Brent gesprochen habe“, beharrte sie.

„Ray.“ Mike gab Ray durch eine Kopfbewegung in Richtung Haustür ein Zeichen. „Bring sie hier raus. Mr. Smith hat befohlen, dass wir Gewalt anwenden sollen, wenn seine Tochter nicht freiwillig mitkommt.“

„Okay. Tut mir leid, Miss Smith.“ Er legte seine Arme um ihre Taille und hob sie hoch. „Ich habe keine andere Wahl.“

„Doch.“ Sie strampelte mit den Beinen und schlug mit den Fäusten auf ihn ein. „Lassen Sie mich runter! Lassen Sie mich sofort runter!“

„Raus mit ihr. Ich suche ihre Sachen zusammen und bin in einer Minute beim Wagen.“ Mit diesen Worten ging der Blonde zur Tür des Zimmers, das Sabina nie betreten durfte.

„Unterstehen Sie sich, in das Zimmer zu gehen!“, schrie sie und kämpfte mit Ray wie eine Wilde, aber er war stärker. „Dort dürfen Sie nicht rein!“, schrie sie Mike an.

Gleichgültig öffnete der die Tür. Satan schlüpfte zwischen seinen Füßen in das Zimmer. „Hallo! Damit also hat Brent seine Zeit verbracht. Ray, schauen Sie sich das mal an.“

Ray kam mit Sabina zu der geöffneten Tür, und sie staunte. Das war keine Erinnerungsstätte für Nicole Dupont, sondern ein Musikzimmer. Ein Flügel stand in der Mitte, und beschriebene Notenblätter lagen verstreut überall herum. In diesem Zimmer also hatte Joel komponiert.

Sie hatte ihn nie Klavier spielen gehört. Also hatte er in den letzten Tagen anscheinend nur noch geschrieben.

„Mann! Deshalb hat er sich also von der Öffentlichkeit zurückgezogen“, sagte Ray.

Sabinas Wille, sich gegen diese fremden Männer aufzulehnen, schwand. Sie fragte sich nur, was Joel komponiert haben mochte, und ob es etwas mit dem Paket zu tun hatte, das er zur Post brachte.

Auch Mike erholte sich von seinem Erstaunen. „Gehen wir. Ist besser, Brent nicht zu begegnen.“ Er blickte Sabina unverschämt an. „Er wäre wahrscheinlich nicht sehr begeistert, wenn er sieht, dass wir seine kleine Gespielin kidnappen.“

„Mein Vater hat Sie bestimmt nicht angeheuert, um mich zu beleidigen.“

„Kann sein. Ray, los. Du übernimmst Miss Smith.“

Wieder wurde sie von diesen widerwärtigen Armen aufgehoben. „Aber mein Fahrrad“, protestierte sie törichterweise, weil es ihr gerade in den Sinn kam, und weil sie hoffte, sie würde Zeit gewinnen und Joel vielleicht doch noch sehen. „Das Rad ist geliehen, ich muss …“

„Schon erledigt. Wir haben uns darum gekümmert. Wir haben es gekauft“, sagte Mike.

Natürlich. Ihr Vater hatte Verlage aufgekauft, warum sollte er nicht ein Fahrrad kaufen lassen?

„Ruhe jetzt, Miss Smith. Sie sollen zu Ihrem Vater zurückkommen, und wir sind damit beauftragt. Er hatte keine Ahnung, dass Sie Brent kennen und mit ihm zusammenleben. Jetzt will er, dass Sie nach Hause kommen, bevor es einen Skandal gibt.“

Sabina wurde blass. „Was für einen Skandal?“

„Wenn Sie erst wieder in London sind, gibt das für die Zeitung Ihres Vaters eine tolle Story. Versteck des berühmten Joel Brent gefunden. Was hat Brent im letzten Jahr gemacht? Komponiert. Und so weiter. Das könnte die Zeitung natürlich nicht bringen, wenn jemand herausfindet, dass Sie bei Brent waren. Ein hübscher, kleiner Skandal, den Ihr Vater selbstverständlich vermeiden will. Also müssen Sie weg von hier.“

„Aber Sie wissen es“, sprach sie kaum hörbar.

Mike lachte. „Wir sind so gut bezahlt worden, dass wir unseren Mund halten.“

Es gelang Ray, Sabina zum Wagen zu bringen, obwohl sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte. Ihre Wut und ihre Verzweiflung waren unbeschreiblich, denn Joel würde denken, sie hätte ihn verraten. Hätte ihr Vater diese Männer nicht beauftragt, sie zu suchen, so hätte kein Mensch Joels Aufenthaltsort gefunden. Wie sehr musste er sie hassen, und sie konnte ihm das nicht einmal übel nehmen.

Mike kam aus dem Haus und warf einige Sachen in den Kofferraum des Wagens, bevor er sich ans Steuer setzte. Langsam fuhren sie die schmale Waldschneise entlang.

Sabina wandte den Kopf und schaute zurück auf das kleine Haus, das in den vergangenen Tagen ihr Heim gewesen war. Satan saß vor der Haustür in der Sonne und putzte sein schwarzes Fell, ohne zu ahnen, dass sie ihn und seinen Herren für immer verließ.

Die Fahrt war lang und alles andere als angenehm. Obwohl der Wagen ein großer Mercedes war, brauchten sie zehn Stunden bis London, einschließlich der kurzen Zwischenstopps, um zu tanken und belegte Brote zu kaufen.

Sabina aß allerdings keinen Bissen. Ihre Gedanken waren nur bei Joel. Wenn er vom Postamt zurückkam, das Haus leer und das Musikzimmer offen fand, musste er zwangsläufig denken, seine anfänglichen Vermutungen hätten sich voll und ganz bestätigt. Und nach dem, was Mike erzählt hatte, beabsichtigte ihr Vater, eine Story über Joel zu veröffentlichen. Joel würde denken, sie sei dafür verantwortlich. Er würde sie abgrundtief verachten.

Die Wohnung ihres Vaters war hell erleuchtet, als sie endlich in London waren. Sie wurde also erwartet.

Sabina stieg aus dem Wagen. „Danke“, sagte sie kühl, „ich kenne den Weg.“

„Ihr Vater hat uns aufgetragen, Sie bis in die Wohnung zu begleiten“, erklärte Mike, „und das werden wir tun.“

Hochmütig übersah sie die beiden Männer. Sie ging voran und begrüßte Simon, den Portier, bevor sie die Eingangshalle des Hauses betrat.

Ihr Vater war allein im Zimmer und stand bei ihrem Kommen sofort auf. „Sabina.“ Er schien unendlich erleichtert und umarmte sie. „Gott sei Dank, du bist zurück!“

Sie befreite sich aus seiner Umarmung. „Ich bin nur zurückgekommen, weil deine Bluthunde mich dazu zwangen.“

„Danke, meine Herren“, verabschiedete ihr Vater die Männer. „Wir sehen uns morgen.“

Sabina ging sofort zum Angriff über. „Warum hast du das getan? Ich fuhr in die Ferien, und du schicktest mir zwei Spürhunde hinterher.“

„Ferien!“ Er sah auch mit Fünfzig noch gut aus. Sein eisgraues Haar war zurückgekämmt, sein sonnengebräuntes Gesicht ohne Falten, sein Körper schlank und durchtrainiert.

„Ja, Ferien“, antwortete sie ärgerlich. „Ich wollte zwei Wochen Freiheit, zwei Wochen zum Nachdenken, ob ich …“

„Mit Joel Brent zusammenleben will“, ergänzte er ebenso aufgebracht. „Hast du dir Gedanken gemacht, was Nicholas tun würde, wenn er davon wüsste?“

„Soll das heißen, er weiß es noch nicht?“

„Natürlich nicht.“ Ihr Vater ging im Zimmer auf und ab. „Wenn er es wüsste, würde er die Verlobung sofort lösen.“

Sabina setzte sich. „Gut. Das ist genau das, was ich möchte.“

Ihr Vater lächelte spöttisch. „Weil du ein paar Tage mit Brent in Schottland verbracht hast, willst du die Verlobung lösen? Kind, in sieben Wochen ist eure Hochzeit.“

„In sieben Wochen sollte sie sein. Aber sobald ich Nicholas sehe, werde ich ihm sagen, dass daraus nichts wird. Ich liebe ihn nicht, Daddy.“ Das war wie eine Bitte um Verständnis. „Hast du gewusst, dass er seine zweite Frau geschlagen hat?“

„Das hat dir natürlich Brent erzählt.“

„Stimmt es?“

„Also gut, er und Nancy hatten ziemlich viel Krach in ihrer Ehe, und vielleicht hat er sie gelegentlich geschlagen.“

„Du gibst es also zu. Und wann bin ich dran? Wie soll ich mich auf die Dauer gegen den allmächtigen Nicholas verteidigen?“

„Bei euch wird das ganz anders sein. Durch Nancy kam es immer wieder zu Streitigkeiten. Du bist anders als sie.“

„Nett, das zu hören.“

„Sabina, du bist jetzt nervös.“

Sabina stand auf, und trotz ihrer Zierlichkeit wirkte sie plötzlich wie eine Kämpferin. „Der Gedanke an die Hochzeit mit Nicholas macht mich keine Spur nervös. Ich werde ihn nicht heiraten.“

„Du musst ihn heiraten“, erklärte ihr Vater ruhig. „Sonst bin ich ruiniert.“

„Bitte, mach keine Witze, Daddy. Wir können einen kleinen Skandal wie eine gelöste Verlobung hinnehmen. Nicholas wird nicht begeistert sein, aber darüber kommt er hinweg.“

„Nicholas kann mich ruinieren, Sabina“, bekannte ihr Vater mit leiser Stimme, ohne ihrem Blick zu begegnen.

Sie holte tief Luft. „Wieso?“

„Vor einigen Monaten habe ich an der Börse spekuliert und Pech gehabt. Ich habe daraufhin von meinem Kapitalanteil bei Chasnick Enterprises Geld entnommen, geliehen sozusagen, um aus der Sache herauszukommen.“

„Chasnick“ war eine Abkürzung der Namen Charles und Nicholas, und unter diesen Namen als Verlagsgesellschaft gegründet worden. „Chasnick Enterprises“ veröffentlichte neben mehreren Zeitschriften die bekannte „Daily News“. Sabina wusste, dass für eigene Geschäfte kein Geld aus „Chasnick Enterprises“ herausgezogen werden durfte. Ihr Vater hatte also den Vertrag verletzt.

„Und Nicholas hat das entdeckt“, mutmaßte sie verstört, und es kam ihr vor, als schlösse sich eine Gefängnistür hinter ihr.

„Noch nicht. Aber er wird es beim Jahresabschluss wissen.“

„Ich verstehe. Deshalb wolltest du, dass ich ihn heirate, damit er keinen Prozess gegen dich anstrengt.“

Leider konnte Charles ihr Argument nicht entkräften. Dennoch verteidigte er sich: „Sabina, ich dachte, du hättest ihn gern, sonst hätte ich diese Beziehung zwischen euch nie gefördert.“

„Wirklich nicht?“, fragte sie bitter.

„Nein, keiner hat dich zu dieser Heirat gezwungen. Ich hatte das Gefühl, du magst ihn.“

„Du hast mir dauernd erzählt, wie fabelhaft er ist und wie tüchtig, und dass er mich immer beschützen würde.“

„Das wird er auch. Hör zu, Kind: Nicholas hat dich immer gut behandelt. Du musst ihn heiraten, Sabina. Wirklich, ich wünschte, die Situation wäre anders, aber ich finde keinen Ausweg. Die Zeit, die du mit Brent verbracht hast, kann nichts Ernsthaftes für dich bedeutet haben.“

„Wie kannst du das wissen?“

„Du kennst den Mann ja kaum.“

„Ich kenne ihn gut genug, um ihn zu lieben. Ich bin gespannt, was Nicholas sagt, wenn er hört, dass ich die Ferientage in Schottland bei Joel Brent verbracht habe.“

„Er glaubt, du seist bei Tante Daphne in Bedfordshire gewesen. Du brauchtest Erholung, warst nervös. Von Schottland weiß er nichts.“

„Wäre es nicht besser gewesen, ihm die Wahrheit zu gestehen?“

„Auf keinen Fall.“

„Und wann erwartet er mich von diesem Ausflug zu Tante Daphne zurück?“ Ihre Frage war alles andere als freundlich.

„Als Mike und Ray mir am Telefon mitteilten, sie hätten dich gefunden, rief ich Nicholas an und erzählte ihm, dass du nach Hause kehrst. Er wird morgen früh kommen.“

„Und ich soll dann die zerknirschte Braut spielen? Soll ihn um Verzeihung bitten, weil ich mich wie ein dummes kleines Mädchen benommen habe? Ich tue es nicht. Ich heirate ihn nicht. Ich liebe Joel.“

Jetzt wurde ihr Vater wütend. „Du kennst diesen Mann kaum. Du hast seinen Namen nie erwähnt.“

„Ich muss meinem Vater nicht unbedingt alle Namen meiner Freunde mitteilen.“

„Du musst Nicholas heiraten. Wenn du es nicht tust, werde ich …“

„Wirst du was? Sprich ruhig weiter. Nur sage ich dir jetzt schon, dass ich mich nicht zu einer Ehe mit einem Mann zwingen lasse, den ich nicht liebe.“

„Ich weiß, wo Brent zur Zeit ist“, kam ihr Vater seinem Thema näher.

Sabina blickte ihn erstaunt an. „Das weißt du?“

„Natürlich. Er ist nach wie vor in Schottland. Ich habe jemanden, der das Haus beobachtet. Brent hat das Haus nicht verlassen, seitdem er heute Morgen fünf Minuten nach eurer Abfahrt zurückkam.“

Sie erstarrte. Um fünf Minuten hatte sie ihn verpasst! Aber er ist noch dort, dachte sie, und das schien ihr wie ein Hoffnungsstrahl. Sie könnte zu ihm zurückfahren.

Ihr Vater schien ihre Gedanken lesen zu können. „Nein, Sabina. Du fährst nicht wieder nach Schottland.“

„Aber wenn Joel noch dort ist?“

„Brent ist nicht abgefahren. Er ist aus irgendeinem Grund überzeugt, dass du seinen Wohnsitz keiner Zeitung bekannt geben wirst. Wenn nun morgen eine Story mit Einzelheiten in der Daily News erscheint, muss er denken, du steckst dahinter, oder?“

„So etwas kannst du nicht tun.“

„O doch, ich kann sehr wohl gehässig werden.“

„Das wäre nicht nur gehässig, das wäre ein schmutziges Geschäft. Dad, das wirst du mir nicht antun.“

„Kind, ich muss es tun, falls du deine Meinung nicht änderst. Mit Nicholas wirst du kein schlechtes Leben führen. Er wird dich niemals verletzen.“

„Körperlich vielleicht nicht. Was glaubst du, was es bedeutet, wenn ich einen Mann heirate, den ich nicht liebe?“

„Will Brent dich heiraten?“

„Darauf möchte ich nicht antworten.“

„Gut. Also halte ich dieses Zwischenspiel in Schottland für das, was es war.“

„Und was war es?“, fragte Sabina.

„Gegenseitige Anziehung, bedingt durch die Umstände. Du warst unsicher wegen Nicholas, Brent hat in Schottland seit elf Monaten ohne Frau gelebt. Ich weiß das aus guter Quelle. Plötzlich seid ihr euch begegnet. Die Gelegenheit war günstig. Ich kann mir das schon vorstellen, Sabina. Ich habe sogar Verständnis dafür. Aber du bedeutest Brent nichts, Darling. Tut mir leid, das zu sagen. Vergiss ihn!“

Jetzt reichte es Sabina. Sie wollte kein Wort mehr hören. „Ich gehe schlafen“, sagte sie angewidert und verließ das Zimmer. Sie musste nachdenken und in dieser Nacht zu einem Entschluss kommen. Ein Abgrund von Schwierigkeiten tat sich vor ihr auf, und Urheber war ihr Vater. Da war die Drohung, eine Story über Joel zu veröffentlichen. Das durfte auf keinen Fall geschehen, denn Joel würde denken, sie stecke dahinter. Hinzu kam die Dummheit ihres Vaters, der vom Kapital von „Chasnick Enterprises“ Geld abgezogen hatte. Genau genommen blieb ihr in diesem Dilemma keine Wahl.

Dennoch wollte sie sich mit ihrem Schicksal nicht abfinden. Was für ein Leben stand ihr bevor in der Ehe mit einem ungeliebten Mann? Andererseits würde sie ihren Vater ruinieren, und es war anzunehmen, dass die Öffentlichkeit davon erfuhr. Der Skandal würde für ihn wahrscheinlich das Ende sein.

Sabinas Gedanken kreisten und kreisten immer um dasselbe Thema. Ihre Ehe mit Nicholas war für ihren Vater die Rettung. Und Joel? Dass er sie heiratete, schien ausgeschlossen.

Welch ein entsetzliches Durcheinander! Hätte sie Joel nicht kennen gelernt, so hätte sie Nicholas ohne Bedenken geheiratet. Gewiss, sie war unsicher gewesen, ob er der richtige Mann für sie sei, aber diese Gefühle hatten auch andere Mädchen kurz vor der Hochzeit. Ja, sie hätte Nicholas geheiratet, wenn sie nicht Joel, ihrer großen Liebe, begegnet wäre. Sie musste ihn vergessen. Ihr blieb nichts anderes übrig als die Ehe mit Nicholas.

„Nun?“, fragte ihr Vater am anderen Morgen beim Frühstück.

Sabina trank nur frisch gepressten Orangensaft. Sie hatte keinen Appetit. Wie anders war das Frühstück mit Joel und Satan gewesen, so reichhaltig, und Satan hatte immer geduldig auf ein paar Häppchen gewartet. Aber sie war nicht mehr in Schottland.

„Sabina?“

„Ja?“, antwortete sie kühl.

„Du weißt, was ich wissen möchte. Kind, ich habe diese Nacht kaum ein Auge zugetan.“

Er sah ziemlich blass aus, aber Sabina ließ sich nicht erweichen. „Soll ich dich bemitleiden?“

Sein Gesicht war zerknirscht. „Wie hast du dich entschieden?“

Sie stand auf, sehr schlank in einer engen grünen Hose und einer grünen Seidenbluse. „Das werde ich zuerst Nicholas sagen.“

Autor

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