Eingeschneit mit dem argentinischen Playboy

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Fassungslos liest Jess den Vertrag. Hinter ihrem Rücken hat Dante Acosta die Farm ihres Vaters gekauft! Sie will diesen Betrüger nie wieder sehen! Doch sie sind eingeschneit – und der stolze Argentinier setzt alles daran, sich in einer klirrend kalten Nacht leidenschaftlich mit ihr zu versöhnen …


  • Erscheinungstag 28.11.2024
  • ISBN / Artikelnummer 9783751536202
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Der Schatten eines Hubschraubers verdunkelte kurz die Sonne des kalten Novembertages. Jess Slatehome hielt den Atem an. Der goldene Schriftzug blitzte auf dem schwarzen Helikopter auf: Acosta España.

Die Acostas waren zurück!

Vor zehn Jahren war Jess der spanischen Familie auf dem Landsitz ihrer Familie in Yorkshire zum ersten Mal begegnet – vier fabelhaft aussehenden Brüdern und ihrer eleganten Schwester.

Und einen von ihnen habe ich geküsst.

Einen Moment schloss Jess die Augen. Besser nicht daran denken! Sie musste das Heute im Auge behalten, die Idee, die ihr in ihrer Verzweiflung gekommen war. Das Aktienpaket abstoßen, die Familienfarm retten … so lautete ihr Mantra.

Falls die Acostas mitspielten, würde so die berühmte Ponyzucht ihres Vaters fortbestehen können.

Jess wollte seine prämierten Ponys in einer spektakulären Parade vorführen – in der Hoffnung, zumindest eins zu verkaufen, um die Forderungen der Bank abzuschmettern und ihren Vater vor dem drohenden Bankrott zu bewahren.

Jim Slatehome war ein angesehenes Gemeindemitglied, und viele aus dem Dorf hatten versucht, ihrem Vater finanziell beizuspringen. Mit ihren eigenen bescheidenen Ersparnissen, der kleinen Erbschaft ihrer Mutter und der unschätzbaren Unterstützung einer Armee von Freiwilligen ging Jess aufs Ganze. Dutzende Einladungen hatte sie verschickt, um die einflussreichsten Vertreter der Poloszene herbeizulocken und ihren Vater wieder ins Scheinwerferlicht der internationalen Pferdeszene zu rücken.

Vor dem Tod seiner Frau war Jim Slatehome ein international erfolgreicher Trainer von Weltklasseponys gewesen. Aber in seiner Trauer hatte er sich komplett zurückgezogen. Fünf Jahre lang. Es hatte Jess’ ganzer Überzeugungskraft bedurft, um ihm klarzumachen, dass er sich nicht länger von allem ausschließen durfte.

Der heutige Tag sollte beweisen, dass er wieder da war. Wenn auch nur ein Mitglied der Familie Acosta Ponys kaufte, war ihr Vater wieder ganz oben.

Vor zehn Jahren war sie vom Glanz der Acosta-Brüder geblendet worden, als diese sich hier nach geeigneten Pferden umgesehen hatten. Als sie damals im Stall unvermittelt Dante Acosta gegenübergestanden hatte, hatte sie sich als schwärmerischer Teenager spontan dazu hinreißen lassen, ihn zu küssen. Bis heute schämte Jess sich dafür. Trotzdem konnte sie den Kuss nicht vergessen.

Ihre Anspannung wuchs, als der Hubschrauber aufsetzte. Mit angehaltenem Atem wartete sie, wer ausstieg. Dante Acostas Sachverstand über Pferde war ebenso legendär wie seine Erfolge bei den Frauen. Ständig umringten ihn Scharen weiblicher Bewunderer. Würde er sich überhaupt noch an die verrückte Begegnung mit ihr erinnern?

„Jess …“

Ertappt wirbelte sie herum. „Ja?“

Vor ihr stand einer der freiwilligen Helfer aus dem Ort.

„Dein Vater braucht dich. Ich glaube, seine Nerven flattern – wegen seiner Begrüßungsrede.“

„Okay. Ich komme mit und gehe sie nochmals mit ihm durch.“

Gut, dass der Mann sie von Dante Acosta und ihrem jugendlichen Patzer ablenkte. Die Sache lag zehn Jahre zurück. Inzwischen war sie eine gefragte Diplom-Physiotherapeutin und würde bald mit Dante Acosta zu tun haben – wenn nicht heute, dann morgen. Wegen ihrer Erfolge bei der Behandlung von Sportverletzungen war sie engagiert worden, um Dantes Beinverletzung in Spanien zu behandeln. Was bedeutete, dass sie zu seiner berühmten estancia reisen musste. Wie er auf das Wiedersehen reagieren würde, falls er sich an sie erinnerte, blieb abzuwarten.

Im Moment blieb Jess keine Zeit, darüber nachzudenken. Erst musste sie den Tag durchstehen. Gut möglich, dass der Mann, der aus dem Hubschrauber stieg, kein Mitglied der schwerreichen Familie Acosta war, sondern bloß der Vorarbeiter eines ihrer zahlreichen Landgüter.

Missbilligend betrachtete Dante Acosta den Gehstock, der bei jedem Schritt tief im weichen Boden einsank und ihm das Gehen erschwerte. Vor ihm lag keine moderne estancia, sondern eine heruntergewirtschaftete Farm mitten im Nichts.

Immerhin züchtete Jim Slatehome die besten Poloponys der Welt. Nur deshalb war er hier. Dieser Gelegenheit, ein Weltklassepony zu ersteigern, konnte er nicht widerstehen. Dante hielt stets Ausschau nach sensationellen neuen Abstammungslinien, um seinen Bestand zu erweitern.

Außer der Leidenschaft fürs Polospiel begeisterte er sich für die Ponyzucht. Nur das war es, was ihn seit seinem Unfall überhaupt noch aus seiner Lethargie reißen konnte. Sein Team hatte ihn darauf hingewiesen, dass die Farm in Yorkshire finanziell am Ende und günstig zu erwerben sei. Seine Leute hielten ihn permanent auf dem Laufenden über Konkurrenzentwicklungen und günstige Neuerwerbsmöglichkeiten. Hier in Yorkshire interessierte ihn einzig die Chance, seine Ponybestände zu bereichern.

Dante verwünschte sich, weil sein Bein ihn zwang, stehen zu bleiben. Er blickte sich um, musterte die Versammlung von Farmern, Einheimischen und der Pferdeweltelite, die dicht gedrängt auf den Beginn der Auktion warteten. Allen war eins gemeinsam: ihre Liebe zum Pferdesport. Eine Dorfkapelle bemühte sich redlich, die Stimmung anzuheizen. Nur Dantes finstere Miene passte nicht hierher.

Jemand hatte sich Mühe gegeben, die Gäste bei Laune zu halten. Sein Blick glitt über das Festzelt, die Imbissstände und das ganze Drumherum. Mit so viel Aufwand hatte er nicht gerechnet. Für ihn, den Großen El Lobo – den Wolf, wie er in Polokreisen hieß –, war es wenig schmeichelhaft, vor aller Welt mit einer Krücke herumzustolpern.

In der Nähe wieherte temperamentvoll ein Junghengst. Mit voller Aufmerksamkeit betrachtete Dante die auf einem Feld herumlaufenden Ponys. Fabelhaft … diese muskulösen, temperamentvollen Jungtiere. Ihretwegen war er hier!

Wirklich?

Er wehrte die Bemühungen eines Ordners, ihm zu helfen, ab und erkundigte sich nach Jim Slatehome.

„Jim ist im Wohnhaus und geht sicher seine Rede durch.“

Dorthin wollte Dante. Er war nicht extra aus Spanien angereist, um ein Volksfest oder Einheimischentratsch über sich ergehen zu lassen. Rechtzeitig bei der Versteigerung des erstklassigen Ponybestands antreten und zuschlagen war sein Ziel. In einer Stunde hätte er den Deal in der Tasche und könnte zurückfliegen.

Bin ich wirklich nur wegen der Ponys hier?

Seit dem Unfall war sein Leben langweilig geworden. Er brauchte Ablenkung. Ein unbedarftes junges Ding vom Land würde ihn auf andere Gedanken bringen und davon abhalten, sich über seine Geschwister zu ärgern, die über seinen Kopf hinweg eine Physiotherapeutin nach Spanien bestellt hatten. Nachdem er sich selbst aus der Klinik entlassen hatte, hatten seine Geschwister ihm das Krankenhaus kurzerhand nach Hause geholt. Und gegen die Familie kam er nicht an. Die Acostas bildeten eine unerschütterliche Front, sie blieben hart und hielten zusammen.

Wie immer.

Ein ironisches Lächeln huschte über Dantes Gesicht, als er sich dem alten Farmhaus näherte. Überall blätterte Putz ab, auch das Dach war reparaturbedürftig. Vor zehn Jahren war er zuletzt hier gewesen. Ob die freche Göre noch da war, die sich ihm im Stall an den Hals geworfen hatte? Sicher war sie längst verlobt oder verheiratet. Vielleicht hätte er sein Team anweisen sollen, das in Erfahrung zu bringen. Es wäre schade, wenn Jim Slatehomes Temperamentbündel mit den funkensprühenden grünen Augen sich zu einer Langweilerin entwickelt hätte.

Eins war sicher: Jim Slatehome und er hatten noch eine Rechnung offen.

„Ich muss zum Festzelt zurück, um die Leute bei Laune zu halten, bis du deine Rede hältst“, erklärte Jess ihrem Vater, der sichtlich nervös wirkte.

Auf keinen Fall durfte er sich in der Küche hinter einem Becher Tee verschanzen, während draußen die Kaufinteressenten herumschwirrten. „Alle warten gespannt auf deine Rede“, versuchte sie, ihm Mut zu machen, und erhob sich vom Küchentisch. „Du schaffst es, Dad!“

Seit dem Tod seiner Frau war ihr Vater sichtlich gealtert und schien allen Lebensmut verloren zu haben. Nicht einmal rasiert hatte er sich für den heutigen Tag. Wie stets trug er seine alte Tweedjacke, die abgewetzte Cordhose und eine ausgebeulte Trainerkappe.

Das gehört zu seinem Charme, sagte Jess sich. Sie liebte ihren Dad über alles und war entschlossen, ihn wieder an die Spitze zu bringen. Ihr Vater war ebenso großartig wie der milliardenschwere Polonarr, der in dem Protzhubschrauber eingeflogen war.

Als sie sich über ihn beugte, um ihm einen Kuss zu geben, bemerkte sie, dass Tränen in seinen Augen standen.

„Die Ponys sind mein Leben, Jess“, sagte er traurig. „Es bricht mir das Herz, sie abzugeben.“

„Ach Dad, wenn du die Farm halten willst, wird dir nichts anderes übrigbleiben“, erwiderte sie liebevoll. „Komm, du schaffst es …“

Er warf ihr einen herzerweichenden Blick zu. „Wenn du meinst, Liebes … dann sollte ich mich wohl etwas frisch machen. Ich darf dich nicht im Stich lassen.“

Ihr Vater war im Handumdrehen wieder unten – ohne sich umgezogen zu haben, doch immerhin zuversichtlicher, wie Jess erleichtert feststellte.

„Du hast recht“, meinte er. „Ich gehe ins Festzelt. Du bleibst hier. Die Leute sollen nicht glauben, ich hätte moralischen Zuspruch nötig.“

„Das ist die richtige Einstellung, Dad“, pflichtete Jess ihm bei.

Sie räumte gerade das Teegeschirr zusammen, als die Küchentür aufschwang. Wie versteinert hielt sie inne, und ihr wurde heiß und kalt.

„Dante!“

„Jess …“

Seine dunkle Stimme mit dem spanischen Akzent ging ihr durch und durch. Die dunklen Augen sprachen von Härte und Durchsetzungsvermögen, seine Lippen bildeten eine einzige harte Linie. Nichts an Dante Acosta war weich oder nachgiebig.

Im Raum gab es nur noch ihn.

Dante war unrasiert, der Wind hatte sein dichtes, dunkles Haar zerzaust. Am rechten Ohr blitzte ein goldener Ohrring und verlieh ihm ein piratenhaftes Aussehen, das nicht zu seinem Reichtum passte. Dieser Mann war kein verweichlichter Milliardär, sondern ein Kämpfer voller Tatendrang und Leidenschaft. Aus der Yellow Press wusste Jess, dass sich über dem Herzen der Mitglieder seines Poloteams das Tattoo eines zähnefletschenden Wolfes verbarg. Lobos … Der bloße Name hatte eine erschreckende Wirkung auf jeden Gegner. Und im Nacken der Lobos, unter dem Haaransatz, prangte das Tattoo eines Totenschädels mit gekreuzten Poloschlägern. Die Lobos machten keine Gefangenen, sie siegten.

Dantes Gehstock schlug klappernd auf den Küchenfußboden und erweckte Jess aus ihrer Schockstarre. Der Mann müsste längst ohne Stock auskommen. Kein Wunder, dass seine Geschwister sie um Hilfe gebeten hatten. Da sie ihr außerdem seine medizinischen Unterlagen geschickt hatten, wusste sie, wie es um seine Beinverletzung stand.

„Dante …“ Unwillkürlich bückte Jess sich, als er seinen Stock aufheben wollte. „Schön … dich wiederzusehen.“

Er drückte ihre Hände, zog sie heran und betrachtete sie, als wäre sie ein Pony, das er begutachten wollte.

Möchtest du auch meine Zähne sehen? hätte sie ihn am liebsten herausgefordert, doch sie musste nett bleiben. Schließlich wollte sie etwas von ihm.

„Lass mich dich ansehen – Jess.“ Wieder diese elektrisierende Stimme.

Dante Acosta war eine Naturgewalt, der man sich nicht entziehen konnte. Und sie wusste, dass er seine Macht schamlos einsetzte.

Ihre Hände fühlten sich trügerisch zart in seinen an – doch das gehörte zu seiner Masche. Dieses Mal durfte sie sich von dem erfolgsgewohnten Milliardär nicht blenden lassen.

Ihr Dad. Um ihn musste sie sich sorgen. Wenn sie nicht wachsam war, würde er zum Opfer der kreisenden Geier werden. Alle waren scharf auf einen Deal. Warum sollte das bei Dante Acosta anders sein?

„Jess?“

„Entschuldigung. Willkommen auf der Bell-Farm. Möchtest du etwas trinken? Sicher hast du eine lange Reise hinter dir.“

Dante zuckte mit den Schultern. „Ein Katzensprung.“

„Aber einen Tee trinkst du doch?“ Sie fühlte sich gefährlich zu ihm hingezogen.

„Ich mag das Zeug nicht.“

„Dann vielleicht etwas anderes?“

„Was hast du da?“

„Was du willst“, erwiderte sie heiter. „Draußen an den Ständen wird fast alles angeboten.“

Nun lächelte er schwach. Eins zu null für sie. Diesmal würde sie mit ihm fertigwerden.

„Sicher möchtest du meinen Vater sprechen“, fuhr sie fort. „Kann ich dich zu ihm bringen?“

„Nicht nötig“, wehrte er ab. „Ich finde ihn schon.“

Als Dante sich abwandte, hatte Jess das Gefühl, abserviert worden zu sein. Gut, redete sie sich ein, hier geht es nicht um mich. Sie hatte die Versteigerung inszeniert, um Pferdeliebhaber wie Dante Acosta anzulocken, die im Geld schwammen. Falls Dante nicht anbiss, musste sie andere Zahlungskräftige auftun.

Nachdenklich bahnte Dante sich einen Weg zwischen den Schaulustigen hindurch zum Paradering – einer notdürftig eingezäunten Weide. Die Göre hatte sich zu einer schönen, ernsthaften Frau gemausert. Das war nicht mehr die unberechenbare, siebzehnjährige Rothaarige, die auf ihn zugestürmt war, sich auf Zehenspitzen gestellt und ihn geküsst hatte.

Nein, er hatte den Kuss nicht vergessen, obwohl er sich damals zurückgehalten hatte. Und das würde er auch heute tun. Mit einer ernsthaften Frau fing er nichts an, das könnte einengend werden. Warum Diät halten, wenn man das volle Menü haben konnte?

Er stützte sich auf den verhassten Gehstock und begrüßte einige Polospieler. Jess hatte für eine interessante Mischung an ernsthaften Kaufinteressenten und illustren Gästen gesorgt – Einheimische, Adlige und Stars und Sternchen, aber auch Zuschauer aus der weiteren Umgebung. Und natürlich fehlte auch der übliche Schwarm von Bodyguards in schwarzen Anzügen mit verdächtigen Ausbuchtungen unterm Jackett im Gefolge eines bekannten Scheichs nicht. Dante hielt nichts von Sicherheitsleuten. Wenn es sein musste, verteidigte er sich selbst.

Seine Gedanken kehrten zu Jess zurück. Wäre sie damals nicht erst siebzehn gewesen – wer weiß, wie die Dinge sich entwickelt hätten?

Das Festzelt, in dem die Auktion stattfinden sollte, war bereits überfüllt, als Dante dort ankam. Er erkannte mehrere Pferdezüchter, Trainer und Polospieler, die sich wie er an Jim Slatehome schadlos halten wollten. Heute würde sich niemand zurückhalten. Die Anwärter würden sich verbissen überbieten, um der Konkurrenz die besten Tiere wegzuschnappen.

Kein Problem für ihn.

Ein Acosta konnte es sich mühelos leisten, das Doppelte oder Dreifache einzusetzen. Jim hatte ihm vor Jahren gute Zuchtbestände verkauft, und was er bisher hier gesehen hatte, ließ darauf schließen, dass der Mann sich zu lange hinter seiner Trauer verschanzt hatte.

Komisch, auf einmal verspürte er das Bedürfnis, dem alten Jim zu helfen. Ein Acosta konnte die Konkurrenz mühelos abschmettern. Ihm kam eine Idee. Wie würde Jess wohl reagieren, wenn er die ganze Farm kaufte? Sicher nicht gerade begeistert.

Dante beobachtete, dass sie wie ein Schutzengel an der Seite ihres Vaters auftrat. Er wusste, dass sie den Abschluss als Physiotherapeutin für Sportverletzungen an einer angesehenen Londoner Fachklinik als Jahrgangsbeste hingelegt hatte. Da sie beruflich sehr erfolgreich war, würde sie bald einen beachtlichen Patientenstamm, vor allem aus der Poloszene, hinter sich scharen.

Die Vorstellung, ihre weichen Hände an seinen Schenkeln zu spüren, elektrisierte Dante.

Stopp! Er war geschäftlich hier. Inzwischen hatte er die rothaarige Göre wiedergesehen und seine Neugier befriedigt. Das genügte.

Doch als Jim Slatehome das Podium erklomm und seine Rede begann, sah Dante nur Jess.

2. KAPITEL

Die Rede ihres Vaters ließ sich gut an. Er schien gelöst und entspannt. Vielleicht hatte das kurze Gespräch mit Dante Acosta ihren Dad an einstige Größe erinnert und seine Lebensgeister geweckt. Jedenfalls hoffte Jess das.

„Geduld, Jess“, bat Jim seine Tochter. „Ich spreche gleich noch einmal mit Dante. Misch du dich unter die Gäste, und halte sie bei Laune, während ich mit ihm verhandle. Es geht um wichtige Dinge, Jess“, setzte er bedeutsam hinzu.

„Ich bleibe lieber hier, Dad.“ Argwöhnisch blickte sie zu Dante, der auf ihren Vater wartete. Was hatten die beiden vereinbart?

„Es ist immer noch meine Farm, Jess“, sagte ihr Vater.

Damit musste sie sich zufriedengeben. Alles sollte ihr recht sein, solange ihr Vater nur Auftrieb bekam. „Versprich mir, nichts Unüberlegtes zu tun, solange wir nicht alles durchgesprochen haben, Dad.“

„Etwas Unüberlegtes, wie deinen Plan, als Wahrsagerin aufzutreten?“

„Gut, dass du mich daran erinnerst.“ Jess blickte auf die Uhr. Ihr blieb noch Zeit für Smalltalk mit einigen Gästen, ehe sie in dem kleinen, bunten Zelt unter dem geheimnisvollen Namen Skylar Schicksal spielen wollte.

„Geh schon“, drängte ihr Vater.

Mit klopfendem Herzen und nach einem argwöhnischen Blick zu dem dunkelhaarigen Hünen im Hintergrund gab Jess ihrem Vater einen Kuss und ging.

Das Wetter war kälter geworden, als Jess das beheizte Festzelt verließ. Der Himmel war wolkenlos blau, für die Jahreszeit war es in Yorkshire verhältnismäßig warm. Dennoch trug Jess unter Daunenweste und Steppmantel einen dicken Pullover. Selbst im Sommer konnte es im Moor empfindlich kalt werden – und im November allemal.

Sie sollte froh sein, dass alles gut zu laufen schien, konnte aber eine dunkle Vorahnung nicht abschütteln.

Dante wiederzusehen, hatte sie mehr aufgewühlt als erwartet. Die Begegnung vor zehn Jahren stand ihr lebhaft vor Augen – als Dante ihren Kuss kurz erwidert und sie damit für andere Männer verdorben hatte. Auch mit fast siebenundzwanzig konnte sie nichts an Dozenten, Handybesessenen, Sportverrückten und Society-Typen finden. Mit dem Draufgängerwolf konnte es keiner aufnehmen.

Er war noch attraktiver geworden. Unerreichbarer. Die Kluft zwischen ihnen war kilometerbreit.

Jess rief sich zur Ordnung. Statt sich mit Dante Acosta zu beschäftigen, sollte sie Kaufinteressenten motivieren. Selbstbewusst bewegte sie sich von einer Gästegruppe zur anderen, bis es Zeit wurde, sich umzuziehen.

Der Boden war hartgefroren, und ein eisiger milchiger Nebel zog auf. Unwillkürlich blieb Jess stehen, um sich stumm mit ihrer Mutter zu unterhalten. Fünf Jahre war ihre Mum nun tot, doch in Jess würde sie ewig weiterleben.

Jim wird allen Lebenswillen verlieren und sich treiben lassen. Ihre Mum hatte sie angefleht, sich um den geliebten Mann zu kümmern, und Jess hatte es versprochen.

Dieses Versprechen war ihr heilig.

Nach dem Tod der Mutter hatte sie nie geweint.

Kalter Wind peitschte Jess ins Gesicht und trieb sie weiter. Ihr Vater hatte genug Tränen für sie beide vergossen. Sie selbst hatte ihre Trauer fest in sich verschlossen. Die Tränen ihres Vaters hatten nicht geholfen – und holten ihre Mum nicht zurück. Sie musste ihren Vater retten. Bisher hatte sie die Bankübernahme verhindern können – aber wie lange noch? Mit dem Verkauf von ein, zwei Ponys wäre ihr Problem nicht gelöst. Notfalls mussten sie außerdem einen Teil des Landes veräußern.

Ihre Stimmung hob sich, als sie die Interessentenscharen um ihren Vater bemerkte. Menschen, die in der Pferdewelt etwas galten, hingen förmlich an seinen Lippen. Er wirkte so glücklich wie schon lange nicht mehr.

Doch wo war Dante?

Jess blieb keine Zeit, darüber nachzudenken.

Als Jess als Skylar verkleidet im auffälligen Wallgewand und mit Glöckchen durchsetzten Fransenschal nach unten kam, fand sie Dante und ihren Vater einträchtig am Küchentisch vor. Als sie erschien, verstummten die beiden.

Ihr Wahrsagerinnenaufzug schien Dante zu verblüffen, der noch nicht allzu viele Lumpengestalten mit Hexentuch und Halsglöckchen erlebt haben dürfte. Tatsächlich hatte Jess die Fetzen bei einer Lumpensammlung ergattert. In Jeans und Arbeitsstiefeln wirkte Dante neben ihr wie ein Landedelmann. Immerhin lächelte ihr Vater zufrieden. Nur das zählte.

„Jetzt bin ich froh, gekommen zu sein“, brummelte Dante, der sich wieder gefangen hatte.

„Wir sind auch froh, dich hierzuhaben … nicht wahr, Dad?“ Jess strahlte sonnig.

Dante stand auf. „Komm, Jess. Ich begleite dich. Mal sehen, wie du dich als Hellseherin machst. Vielleicht werde ich sogar dein erster Kunde. Kannst du die Zukunft aus Teeblättern lesen?“

„Jess hält es mit Kristallkugeln.“ Ihr Vater lachte vergnügt. „Warum versuchst du dein Glück nicht bei ihr?“

Dante warf ihr einen herausfordernden Blick zu. „Das mache ich vielleicht.“

Was ihr nur recht sein konnte. Dante Acosta war eine Naturgewalt, der sie sich stellen musste – so oder so.

Verkrampft lief Jess voraus. Es ärgerte sie, dass sie sich immer noch so stark zu Dante hingezogen fühlte.

Der Himmel hatte sich bewölkt, doch obwohl das Wetter umschlug, hatte sich vor Skylars Zelt eine lange Menschenschlange eingefunden. Es ging nichts über ein bisschen Hokuspokus, um einem Tag zum Erfolg zu verhelfen. Jim traute seiner Tochter die Wahrsagerei zu, seit ihre Mutter auf dem zauberbehafteten Zweitnamen Skylar bestanden hatte, der überirdische Kräfte verhieß und ihrer Tochter das Rückgrat stärken sollte.

Es musste gewirkt haben, denn Jess hatte den besten Jahresabschluss an der Uni hingelegt.

Ehe sie sich duckte, um im Dunkeln des bunten Zeltes abzutauchen, warf sie einen Blick zurück.

Niemand folgte ihr. Dante interessierte sich so wenig für sie wie damals. Höchste Zeit, ihn zu vergessen und zur Tagesordnung überzugehen.

Zum ersten Mal in seinem Leben fiel es Dante schwer, sich zu konzentrieren. Während er mit Jim Slatehome einen Deal ausgehandelt hatte, waren seine Gedanken zu Jess geschweift. Und sie ging ihm auch nicht aus dem Kopf, als er sich jetzt einen Weg zwischen der Menge hindurch bahnte, um zu dem kleinen, bunten Zelt zu gehen.

Er war ein Zyniker, der nicht an Hellseherei glaubte, doch das hielt ihn nicht davon ab, Jess zu sehen. Vor zehn Jahren, mit zweiundzwanzig, hatte er keinen Gedanken ans Heiraten verschwendet. Frauen mussten Glamour und Status aufweisen, wenn er sich mit ihnen beschäftigte, mehr nicht. Jess mit ihren klaren ungeschminkten Zügen, dem zurückgekämmten Haar und der dreckigen Jeans, die alles andere als gut duftete, war kilometerweit von dem entfernt, was ihn anmachen konnte.

Bis sie ihn geküsst hatte.

Das hatte ihn überrascht, seine Sinne geweckt und ihm bewusst gemacht, dass ihm etwas entgangen sein musste.

Die Schlange vor dem Zelt der Wahrsagerin ließ ihn innehalten. Er war kein Mann, der sich hinten anstellte.

Warten war nicht seine Stärke.

Vor dem provisorisch aufgemöbelten kleinen Zelt blieb Dante stehen. Auf der Spitze wehte ein Wimpel, der kühn verkündete: „Skylar Slatehome – Verkünderin der Geheimnisse der Sterne“.

Belustigt lächelte er. Dem würde er auf den Grund gehen – und erst mal die Warteschlange ausschalten.

Er ging zu einem Stand, kaufte ein Wasser, klemmte es sich unter den Arm und erklärte einer Frau, die ihn daran hindern wollte, sich vorzudrängen, mit Blick auf seine Krücke: „Das ist schon in Ordnung.“

Burschikos rammte er den Gehstock in den Boden und erklärte den Wartenden: „Wasser für die Wahrsagerin.“ Worauf die Meute sich wie das Rote Meer teilte und dem Humpelnden mit dem Wasser Platz machte. Zum ersten Mal erwies sich seine Verletzung als nützlich.

Am Zelteingang stellte er die Krücke an der Plane ab, hob die Plane und betrat geduckt das Zelt.

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