Entführt von einem Wüstenprinzen

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

Wütend ertappt Kronprinz Khaled die hübsche Lily beim Einbruch in sein Londoner Hotelzimmer. Steckt sie etwa mit ihrem betrügerischen Bruder unter einer Decke, der Khaleds Gelder veruntreut hat? Auch wenn Lily hartnäckig leugnet, entführt Khaled sie in sein Wüstenreich, um sie und ihren Bruder zu einem Geständnis zu zwingen. Ein gewagter Plan mit ungeahnt sinnlichen Folgen. Ohne es zu wollen, gerät Khaled bald in Lilys unwiderstehlich erregenden Bann und stiehlt ihr einen heißen Kuss. Ein Fehler?


  • Erscheinungstag 28.06.2022
  • Bandnummer 2551
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509787
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Im weitläufigen Erdgeschoss des Herrenhauses in Surrey drängten sich die Reichen und Schönen der Stadt. Keiner der Anwesenden hätte die Einladung zu dieser Wohltätigkeitsveranstaltung ausgeschlagen. Allein dafür, im gleichen Raum zu sein wie der Gastgeber – der glamouröse „Traurige Prinz“ –, hatten sie die notwendige größere Geldspende gern gezahlt.

Offiziell war er Seine Königliche Hoheit, Kronprinz Khaled bin Bassam al Azir, aber wer außer denen, die ihn direkt ansprachen, benutzte schon diesen offiziellen Titel? Ganz sicher nicht die Presse. Die zog seinen ergreifenden Beinamen vor, der auch viel besser zu ihm passte.

„Aber sicher passt der Titel zu ihm“, sagte die Autorin einer Gesellschaftskolumne gerade zu einer Schar sie umgebender Gäste. „Oder könnt ihr euch an ein einziges Foto erinnern, auf dem der Prinz lächelt?“

Ihr Ehemann schüttelte den Kopf. „Kein einziges. Er sieht immer so melancholisch aus, der arme Kerl.“

„Arm? Der Mann ist reich wie Krösus, dabei ist er erst zweiunddreißig. Er steht in der Blüte seiner Jahre, und ihm liegt bereits die Welt zu Füßen. Was ist daran arm?“

„Vermutlich hast du recht“, stimmte ihr Mann zu und nahm sich ein Glas Champagner vom Tablett eines Kellners, der gerade vorbeiging. „Aber wann nimmt er sich die Zeit, das alles zu genießen?“

Es war sieben Jahre her, dass der schlechte Gesundheitszustand den König von Nabhan gezwungen hatte, sich aus dem öffentlichen Leben zurückzuziehen. Nun lasteten auf seinem einzigen Sohn sämtliche Pflichten als Prinz und Monarch, und soweit man wusste, hatte Khaled bin Bassam al Azir seitdem nicht mehr aufgehört zu arbeiten.

„Hätte der ältere Bruder den Unfall überlebt, wäre natürlich alles anders gekommen“, fuhr der Ehemann fort. „Aber hat sein schreckliches Ende wirklich jemanden überrascht? Er war schon immer zu leichtsinnig.“

Die Gruppe stimmte murmelnd zu. Bevor die Stimmung jedoch zu sehr kippen konnte, wechselte die Kolumnistin schnell das Thema.

„Habt ihr die Gerüchte gehört? Offenbar steht er kurz davor, sich eine Frau zu wählen.“

Ein kollektives „Ohhh …“ ertönte.

„Der Palast hat es natürlich geleugnet, aber wer glaubt denen schon? Vor allem, da er sich seit sechs Monaten auffällig oft als Single zeigt.“ Sie warf ihren Zuhörern einen bedeutungsvollen Blick zu. „Wenn das nicht auf einen Mann hindeutet, der den Weg für seine Braut frei macht …“ Sie hielt kurz inne, um die Spannung zu steigern. „Und ist euch aufgefallen, dass er Punkt dreiundzwanzig Uhr verschwunden ist? Vielleicht ist das Mädchen hier irgendwo im Haus versteckt?“

Dramatisch legte sie sich eine Hand aufs Herz. „Dann könnten wir sagen, dass wir an dem Abend dabei waren, als der Traurige Prinz um die Hand der zukünftigen Prinzessin angehalten hat. Oh, wie romantisch!“

„Romantisch?“, schnaubte ihr Mann, was ihm einen strengen Blick einbrachte. „Bei ihm wird sie froh sein können, wenn sie mal ein Lächeln geschenkt bekommt.“

Die junge Frau war tatsächlich in einem privaten Teil des Hauses versteckt, doch das Lächeln des Prinzen – oder vielmehr das Fehlen desselben – war nicht ihre größte Sorge. Auch Romantik lag nicht in der Luft.

In diesem Moment war der Traurige Prinz in seiner Suite und kleidete sich aus, doch im Gegensatz zu allen Gerüchten befand er sich dabei nicht in Gesellschaft einer Frau, sondern war allein. Das wusste Lily Marchant mit absoluter Gewissheit, obwohl sie weder seine zukünftige Braut noch seine neue Freundin war. Sie hatte auch nicht auf der Gästeliste des Fests gestanden, das im Erdgeschoss noch in vollem Gange war, und den Prinzen überdies das letzte Mal vor zehn Jahren gesehen.

Sie wusste es einfach, weil sie durch die Lamellentüren ihres Verstecks in seinem Ankleidezimmer einen unverstellten Blick auf ihn hatte.

Das Dinnerjackett hatte der Prinz bereits abgelegt, die Fliege hing ihm lose unter dem Kragen des weißen Hemdes. Im Moment war er dabei, ebendieses Hemd aufzuknöpfen, wobei er Stück für Stück seine aufreizend braun gebrannte Brust freilegte.

Lily wusste, dass sie besser hätte wegsehen sollen – immerhin hatte der Mann keine Ahnung, dass er beobachtet wurde. Doch das hier war Prinz Khaled al Azir. Mit dem Aussehen eines Filmstars, und mit einem Sex-Appeal, der Herzen zum kurzzeitigen Stopp brachte. Es war der Mann, der einst – bevor sie erwachsen geworden war und verstanden hatte, wie unsinnig das Ganze war – das Zentrum all ihrer romantischen Hoffnungen und Träume dargestellt hatte.

Die olivfarbene Haut und die rabenschwarzen Haare hatte er von seinem Vater geerbt. Von seiner englischen Mutter hingegen stammten die hohen Wangenknochen und die tief liegenden blassgrauen Augen. Der sinnliche Mund und die kühle Ausstrahlung machten sein Aussehen perfekt. Alles in allem war er einfach umwerfend. Und das sogar angezogen.

Lily schlich sich näher an die Lamellen in der Tür heran.

Eine goldene Uhr klapperte draußen auf den Nachttisch, gefolgt von Manschettenknöpfen, deren Diamanten im weichen Licht der Lampe glitzerten. Zusammen waren diese so achtlos hingeworfenen Schmuckstücke vermutlich mehr wert, als sie und ihr Stiefbruder Nate je in ihrem Leben verdienen würden.

In Erinnerung dessen, warum sie hier war, presste Lily die Lippen zusammen. Sie befand sich hier, weil der Prinz zu einem rücksichtslosen und harten Mann geworden war, einem Mann, der seinen besten Freund genau in dem Moment im Stich gelassen hatte, als dieser seine Unterstützung am meisten gebraucht hätte.

Woraufhin Nate sich an sie gewandt und um Hilfe gebeten hatte. Der morgendliche Anruf steckte ihr immer noch in den Knochen.

„Schwesterherz, ich stecke in Schwierigkeiten, und du bist die Einzige, der ich vertrauen kann.“

Stiefschwesterherz, hätte sie ihn korrigieren können, aber eigentlich war es egal. Nate war alles an Familie, was ihr geblieben war, und der Einzige, der sie anerkannte. Er war ihr älterer attraktiver Stiefbruder, für den all ihre Freundinnen geschwärmt hatten, aber für sie war er einfach Nate: ihr Rettungsring, und der einzige Mensch, für den sie die wichtigste Person war. Der seine eigenen Pläne verworfen hatte, um ihr zu helfen, ihr erstes offizielles Partykleid zu kaufen; der seine Termine so gelegt hatte, dass er bei ihren Schulsportveranstaltungen hatte dabei sein können. Nate war ihr Held, und sie würde ihm helfen, egal, was es sie kostete.

„Vom Wohltätigkeitskonto ist Geld verschwunden. Und Khaled glaubt, ich wäre dafür verantwortlich“, hatte er ihr erklärt.

Die Männer waren seit ihrer Schulzeit befreundet. Im Moment arbeitete Nate sogar als Direktor für die Wohltätigkeitsorganisation des Prinzen, die vom heutigen Abend profitieren würde. Wie konnte Khaled da so etwas glauben?

Lily funkelte den Prinzen durch die Lamellen an. Der zog gerade sein schneeweißes Hemd aus. Der Anblick ließ ihr den Atem stocken. Natürlich hatte sie Fotos gesehen, wer hatte das nicht? Sie war ihm auch schon einmal begegnet – nein, sogar zweimal, doch nichts davon hatte sie auf diesen Anblick vorbereitet. Aus dem Teenager, den sie einst gekannt hatte, war ein Adonis geworden.

Ihr Blick folgte ihm, als er den Raum durchquerte. Sie war so gebannt, dass sie beinahe in eine Reihe ordentlich aufgehängter Anzüge gestolpert wäre. Ein Kleiderbügel knarrte. Der Prinz blieb stehen, direkt neben dem kleinen Tischchen im Erker, das leer gewesen war, als sie die Suite betreten hatte. Und auf dem nun der Laptop ihres Stiefbruders lag.

Sie biss sich auf den Daumen. Warum hatte sie das vermaledeite Ding nicht mit ins Ankleidezimmer genommen? Panisch versuchte sie, sich an Nates Rat zu erinnern, was sie tun sollte, wenn das Schlimmste passierte.

„Improvisiere.“

„Wie genau soll ich das anstellen?“, hatte sie gefragt.

„Ich weiß es nicht … Weinen? Sich seiner Gnade ausliefern?“

Sie hatte auf einen weiteren, einen brauchbaren Ratschlag gewartet.

„Lass dich einfach nicht erwischen!“

Sich nicht erwischen lassen? Wenn Khaled direkt neben dem Beweis stand, dass es hier einen Eindringling gab? Doch nachdem er mit einem Finger nachdenklich über den Deckel des Laptops gestrichen hatte, drehte er sich um und verschwand im Badezimmer auf der anderen Seite des Zimmers.

Lily stieß einen langen Seufzer aus. Es gab noch eine Chance, hier herauszukommen. Der Prinz war jetzt anderweitig beschäftigt: Aus dem Bad erklang das Geräusch der laufenden Dusche.

Sie musste Nates Laptop holen. Nate wollte nach Beweisen suchen, auf welche Weise das Geld veruntreut worden war. Er habe einen Verdacht, hatte er ihr mitgeteilt, könne ihr aber nicht mehr verraten, weil er um ihre Sicherheit fürchtete. Khaled, hatte er gesagt, habe den Laptop bei sich. Ihn auf der Wohltätigkeitsveranstaltung an sich zu nehmen, sei ihre beste Chance.

Penny, Nates Sekretärin, hatte auf der Gästeliste gestanden, war aber krank geworden. Und so hatte Nate vorgeschlagen, dass Lily sich als Penny ausgab; wenn sie Glück hatte, prüfte das niemand nach. Also hatte Lily ihr einziges gutes Kleid aus dem Schrank geholt, war eine Stunde lang mit dem Zug aus London und dann noch mal zwanzig Minuten mit dem Taxi gefahren und hatte sich dabei eine plausible Erklärung für ihre Anwesenheit überlegt.

Die am Ende gar nicht nötig gewesen war, denn nach einer sehr oberflächlichen Überprüfung hatte man sie ins Haus gelassen. Den privaten Teil des Hauses zu betreten, hatte sich jedenfalls als ungleich schwieriger erwiesen. An der Treppe war sie von einem höflichen, aber einschüchternden Sicherheitsmann aufgehalten worden, und so hatte Plan B herhalten müssen.

Ein Rundgang über die Terrasse hatte sie zu einem offen stehenden Fenster geführt, durch das sie eingestiegen war. Im Zimmer auf dem Schreibtisch des Prinzen stand der Laptop. Sie hatte ihn an sich genommen, auf dem kleinen Tisch direkt am Fenster abgestellt und nach etwas gesucht, worin sie ihn transportieren konnte, als sich plötzlich Stimmen auf dem Flur genähert hatten. Es war gerade noch ausreichend Zeit gewesen, sich im Ankleidezimmer zu verstecken, bevor der Prinz seine Suite betrat. Daher steckte sie jetzt inmitten unzähliger, herb nach Zitrus duftender Maßanzüge und fragte sich, wie sie unbemerkt wieder aus dem Zimmer herauskommen konnte.

Das Klingeln des Telefons auf dem Nachttisch ließ sie zusammenfahren. Ein Handtuch um die Hüften geschlungen, kam Khaled aus dem Badezimmer. Während er den Anruf entgegennahm, schaute er direkt in Richtung ihres Verstecks. Lily zog sich zurück, wobei sie mit dem Ellbogen an das Regal mit den Schuhen stieß und unbeabsichtigt zwei Schuhe in die Luft katapultierte. Es gelang ihr, sie aufzufangen, bevor sie gegen die Tür flogen. Erleichtert atmete sie aus.

Khaled legte auf.

„Mir scheint, wir stecken in einer Sackgasse.“

Seine Stimme war tief und männlich. Sie war genau so, wie sie sie in Erinnerung hatte. Woran sie sich allerdings nicht erinnerte, war das Kribbeln, das ihr bei diesem Klang über den Rücken strich.

Aber mit wem sprach er da?

Erneut blinzelte sie durch die Lamellen.

„Mein Wagen steht bereit, und ich muss mich anziehen. Also kann ich entweder so tun, als wärst du nicht dort drin, und eine Szene riskieren, sobald ich die Türen öffne. Oder du kommst selbst heraus und ersparst uns beiden das Drama.“

Lily wurde abwechselnd heiß und kalt.

Er wusste, dass sie hier war!

Mit einem übertriebenen Seufzer trat der Prinz auf das Ankleidezimmer zu. Die Tür wurde aufgerissen, und da stand er: Größer, breiter – und wesentlich unbekleideter, als er hinter den Lamellen gewirkt hatte.

„Miss Marchant, was für eine angenehme Überraschung.“ Sein eisiger Ton verriet, dass er das genaue Gegenteil meinte. „Bitte, leisten Sie mir doch Gesellschaft.“

Da er keinerlei Anstalten machte, beiseitezugehen, stieß ihre Nase beinahe gegen seine nackte Brust, als Lily aus dem Schatten und in sein Schlafzimmer trat. Dort hob sie den Blick und schaute den Traurigen Prinzen an, der mächtig, wütend und gleichzeitig ziemlich männlich vor ihr stand. Im Moment sah er auch nicht sonderlich traurig aus.

Wenn sie jemals hatte improvisieren müssen, dann jetzt …

„Hallo, Khaled“, sagte sie fröhlich. „Wir müssen aufhören, uns so zu treffen.“

Er zog die Augenbrauen zusammen. „Ich erkenne hier kein Muster. Wenn ich mich recht erinnere, war es beim letzten Mal dein Kleiderschrank, in dem du dich versteckt hattest, und definitiv war ich nicht in dein Zimmer eingedrungen.“

Er griff nach den Schuhen, die sie noch umklammert hielt.

„Ich habe auch nichts von dir gestohlen. Was willst du damit?“ Er hob die Schuhe hoch, bevor er sie aufs Bett warf. „Ein Souvenir?“

„Es tut mir wirklich leid. Ich weiß, ich sollte nicht hier sein, aber ich habe mich auf dem Weg zur … Toilette verlaufen.“

Seine Miene blieb eisenhart.

„Ich bin wirklich nicht absichtlich hier gelandet. Aber als ich deine Stimme gehört habe, bin ich panisch geworden und habe mich versteckt“, erklärte sie schnell.

„Ach ja?“ Sein Blick hielt sie fest. „Du hast dich verlaufen und nicht einen Moment daran gedacht, einen der Sicherheitsleute zu fragen, die überall stationiert sind?“

„Sicherheitsleute?“ Lily schluckte und dachte an den Furcht einflößenden Mann, dem sie vor der Treppe begegnet war.

„Ja. Sie stehen auf dem gesamten Weg vom Erdgeschoss zu meinem Zimmer.“

Er war immer noch verstörend nah. Fasziniert sah Lily zu, wie ein Wassertropfen von seinem Haar fiel und über seinen muskulösen Oberkörper rann. Dann aber riss sie sich entschlossen von dem Anblick los.

„Wenn ich sie gesehen hätte, wäre ich bestimmt nicht hier eingedrungen.“

„Und wenn sie dich gesehen hätten, hätten sie dich definitiv davon abgehalten.“

„Aber ich habe niemanden gesehen. Vielleicht haben sie sich gerade … die Nase gepudert?“

Sein Blick drückte das reinste Missfallen aus. „Ich glaube nicht, dass sich ehemalige Mitglieder der Special Forces jemals irgendetwas gepudert haben.“

Lily enthielt sich lieber eines Kommentars.

Der Blick aus arktisgrauen Augen bohrte sich in ihren. „Du bist also aus Versehen in meiner Suite gelandet? Dann kläre mich doch bitte auf, warum du dich überhaupt in meinem Haus aufhältst.“

„Natürlich wegen der Wohltätigkeitsveranstaltung“, sagte sie schnell. „Weshalb sonst?“

Er verschränkte die Arme vor der breiten Brust. Vermutlich trainierte er viel, denn solche Muskeln konnten nicht allein ein Geschenk der Natur sein.

„Du stehst nicht auf der Gästeliste“, stellte er fest.

Ah, hierauf war sie vorbereitet. „Eine Freundin sollte kommen, aber sie ist krank geworden und hat mir ihre Einladung gegeben. Sie wusste, wie gern ich dabei sein wollte.“

„Ich verstehe. Das Thema interessiert dich?“

„Natürlich.“ Das war auch nur halb gelogen, denn hätte sie gewusst, worum es ging, hätte es sie bestimmt interessiert. „Es liegt mir schon sehr lange am Herzen.“

„Die gefährdete Flora und Fauna der Marschlande von Nabhan?“, fragte er ungläubig. „Und wie lange unterstützt du unsere Arbeit schon?“

„Ach, weißt du“, sie winkte ab, „schon eine Ewigkeit.“

„Miss Marchant, die Stiftung ist heute Abend offiziell ins Leben gerufen worden!“

Sie öffnete den Mund, um zu antworten, aber ihr fiel nichts ein. Außer, die Tiere und Pflanzen der nabhanischen Marschlandschaft zu verfluchen, so gefährdet sie auch sein mochten.

„Dann habe ich das wohl mit einem anderen Projekt verwechselt.“

„Offensichtlich.“

Ihr schwaches Lächeln fand kein Echo. Es war an der Zeit, dass sie hier verschwand.

„Tja, es war nett, mal wieder mit dir zu plaudern, aber ich muss jetzt wirklich los.“

Starke Finger schlossen sich um ihren nackten Unterarm.

„Das glaube ich nicht.“

Seine Berührung lähmte sie. Entschlossen führte der Prinz sie zur Sitzecke seiner Suite.

„Setz dich“, befahl er und deutete auf das Sofa.

Lilys Knie gaben nach. Khaled schnappte sich die Fernbedienung für den Fernseher und zappte durch die Sender, bis Bilder einer Sicherheitskamera erschienen. Er lehnte sich dabei gegen den Schreibtisch, und Lily bemühte sich, nicht auf die muskulösen Oberschenkel zu starren, die sichtbar wurden, als das Handtuch etwas höher rutschte.

„Um es noch mal zusammenzufassen: Du behauptest, du wärst hier als langjährige Unterstützerin einer Stiftung, die erst heute ihre Arbeit aufgenommen hat, und ich finde dich beim Herumschnüffeln in meinen Privaträumen vor, in die du dich, wie du behauptest, aus Versehen verirrt hast.“

„Ja. Das habe ich dir doch schon erklärt. Ich habe mich verlaufen.“

„Dann erklär mir doch auch das hier bitte.“

Er drückte auf einen Knopf auf der Fernbedienung. Eine Frauengestalt erschien, die sich an einer Wand entlangschlich. Dann zog sie sich die Sandalen aus und hielt sie mit den Zähnen an den Riemchen fest, während sie ihre Clutch im Dekolleté verstaute, bevor sie den Saum des Kleides anhob und sie lieber doch in den Beinausschnitt ihres Slips steckte. So gerüstet, packte sie das Rankengitter des Efeus und kletterte zu einem Balkon hinauf.

Khaled schnaubte missbilligend, und Lily wandte den Blick ab. Sie wusste, was als Nächstes kam. Erst verlor sie ihre Schuhe, und dann, als sie sich über das Geländer schwang, fiel ihr auch noch die Clutch aus dem Ausschnitt und landete im Gebüsch unter dem Balkon. Zu allem Übel verfing sich ihr Kleid am Geländer und riss ein, womit auf dem Bildschirm nun ihr in Spitze gehüllter Po zu sehen war.

„Sie ist ziemlich risikofreudig“, bemerkte sie, während ihre Wangen vor Scham brannten. „Ist sie ein Groupie oder so?“

Khaled starrte sie an. „Du willst mir nicht wirklich weismachen, dass das nicht du bist.“

Zu weinen oder sich seiner Gnade zu ergeben würde ihr jetzt nicht helfen, so viel stand fest. Also konnte sie nur bluffen.

„Du meinst, ich würde so einen Stunt …“

„Genug!“

Sie zuckte zusammen, als die Fernbedienung klappernd auf dem Tisch landete.

„Ich habe dir die Gelegenheit gegeben, ehrlich zu sein, aber du scheinst entschlossen, mit diesem Unsinn weiterzumachen, und dafür habe ich keine Zeit. Also, hier sind deine Optionen: Entweder wir rufen die Polizei und erlauben ihr, der Sache auf den Grund zu gehen …“

Lily schluckte. „Oder?“

„Oder wir wählen den zivilisierteren Weg. Ich habe demnächst ein paar Geschäfte in der Hauptstadt zu erledigen. Du begleitest mich und denkst dabei ein wenig über deine Situation nach, und wenn du zur Einsicht gekommen bist, beantwortest du mir meine Fragen über deinen Stiefbruder.“

Okay. Im Moment war alles besser, als verhaftet zu werden.

„Ich habe den letzten Zug verpasst, also wäre es nett, wenn du mich in die Stadt mitnehmen könntest“, antwortete sie. „Ich entscheide mich also für die zweite Option. Auch wenn ich nicht weiß, was wir beide zu besprechen hätten.“

Ein siegreicher Zug legte sich um seine Mundwinkel. „Endlich kommst du zu Verstand.“

Kurz darauf verließen sie die Residenz durch eine Seitentür, wo bereits ein Wagen wartete. Als Khaled nach ihr einstieg, drang sein würziger Zitrusduft in ihre Nase, was ein seltsames Kribbeln bei ihr auslöste. Zuerst war ihr der Wagen beeindruckend groß vorgekommen, doch nun, wo Khaled neben ihr saß, fühlte sie sich wie gefangen. Auf der Fahrt warf sie ihm einen Blick aus dem Augenwinkel zu: Er checkte die Nachrichten auf seinem Handy. Im Licht des Displays sah er auf einmal nicht mehr ernst, sondern eher melancholisch aus. Vielleicht ließ er ja doch mit sich reden?

„Möglicherweise könnten wir einen Kompromiss schließen?“, schlug sie vor.

Keine Antwort.

„Wenn ich heute Abend nach Hause darf, verspreche ich, mich morgen mit dir in London zu treffen, wo auch immer du willst.“

Jetzt schaute er auf. „In London?“

„Du hast gesagt, dass du Termine in der Hauptstadt hättest“, erwiderte sie zögernd. Etwas in seiner Miene ließ alle Alarmglocken in ihr klingeln.

„Das stimmt. Aber ich meinte die Hauptstadt meines Landes.“

„Deines Landes?“ Ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern.

„Nach dem, was du gerade abgezogen hast, glaubst du wirklich, dass ich dich einfach gehen lasse, während dein treuloser Stiefbruder frei herumläuft? Nein, wenn er deine Freiheit will, muss er sich mir stellen, und bis dahin behalte ich dich in meiner Nähe. Ich fliegt nach Hause – und Sie, Miss Marchant, kommen mit mir nach Nabhan.“

2. KAPITEL

Von ihrem Sitz in seinem Privatjet musterte Lily Marchant ihn mit einem Blick, der einen schwächeren Mann durchaus in Flammen hätte aufgehen lassen. Es war ein Blick, den Khaled gern erwidert hätte, nach dem Unsinn, den sie in seinem Haus verzapft hatte.

Er hatte ihr alle Gelegenheit gegeben, ihm die Wahrheit zu sagen, doch sie hatte darauf bestanden, ihre lächerliche Scharade weiterzuspielen. Hielt sie ihn für einen Idioten? Vermutlich schon. Ihr heuchlerischer Stiefbruder tat es jedenfalls.

Bei dem Gedanken an Nate wallte erneut Wut in Khaled auf. Es war sein engster Freund, den er zum Direktor seiner neuen Stiftung ernannt hatte, weil es ihm mit seinem Charme gelang, den Reichen und Schönen Millionenspenden zu entlocken; ein Mann, von dem er nie geglaubt hätte, dass er sich an diesen Millionen selbst bedienen würde.

Wenn er nur an die Ausreden dachte, die er sich an diesem Abend hatte einfallen lassen müssen, um Nates Abwesenheit zu erklären. Doch unter all der Wut lag auch der Schmerz über den Verrat eines Freundes, der für ihn wie ein Bruder gewesen war.

Eine Bewegung auf der anderen Seite des Ganges erregte seine Aufmerksamkeit. Turbulenzen schüttelten den Jet. Lily krallte sich an den Armlehnen fest. War sie noch nie zuvor geflogen?

„Keine Sorge, das ist ganz normal“, versicherte er ihr. „Uns passiert nichts.“

Das brachte ihm einen weiteren verärgerten Seitenblick von ihr ein. Vielleicht war sie immer noch sauer darüber, wie er sie an Bord gebracht hatte. Auf den wenigen Metern zwischen der Limousine und dem Jet hatte sie sich so heftig gewehrt, dass ihm am Ende nichts anderes übrig geblieben war, als sie sich wie ein Gepäckstück unter den Arm zu klemmen und in den Jet zu tragen.

Nervös zupfte Khaled an seinen Manschetten, als in ihm die Erinnerung an den Druck ihres warmen Körpers gegen seinen aufstieg. Er hob den Kopf, und ihre Blicke trafen sich. Bevor Lily wegschaute, sah er einen Anflug von Angst in ihrer Miene aufblitzen und fühlte sich schuldig. Aber warum? Er war nicht schuld daran, dass sie sich in dieser Lage befanden. Wäre sie nicht in seine Suite eingedrungen, würde sie jetzt ruhig und friedlich bei sich zu Hause auf dem Sofa sitzen.

Mit einem Seufzer widmete er sich wieder den Papieren, die vor ihm auf dem Tisch lagen. Doch es gelang ihm nicht, sich darauf zu konzentrieren, was eindeutig an der Frau lag, die schmollend auf ihrem Platz saß.

„Kann ich Ihnen etwas bringen, Sir?“

Stella, die Stewardess, trat an ihn heran. Sie stand im Dienst der Familie, seit Khaled ein kleiner Junge gewesen war.

„Nein, danke“, sagte er, denn der Appetit war ihm vergangen.

„Dann kümmere ich mich mal um Miss Marchant. Sie wirkt ein wenig … unbehaglich.“

Er sah zu, wie Stella sich Lily näherte, und wünschte, heute hätte eine andere Stewardess Dienst gehabt; eine, die es nicht wagte, eine Reaktion darauf zu zeigen, dass er eine Frau mit an Bord gebracht hatte. Dabei war das Problem nicht, dass Lily eine Frau war. Khaled hatte schon oft Freundinnen mitgenommen. Nein, der Unterschied lag vielmehr darin, dass er diese Freundinnen niemals nach Nabhan gebracht hatte. Zu allen anderen Zielen, zu denen seine Pflichten ihn führten, ja – aber niemals nach Hause.

Er wusste, sobald er das tat, würde die Öffentlichkeit daraus schließen, dass er ein ernsthaftes Interesse an der Frau hatte, und solche Spekulationen versuchte er, auf ein Minimum zu begrenzen. Was nicht leicht war, denn die Presse stürzte sich auf jede noch so winzige Information aus dem Leben des Traurigen Prinzen.

Dieser verfluchte Spitzname! Wie er ihn hasste – und ebenso die endlose Aufmerksamkeit, die damit einherging. Verdammt, er lächelte ja durchaus manchmal. Seine Mutter hatte sogar ein Foto, um es zu beweisen.

Aber im Moment war ihm nicht danach zumute. Gerüchte, dass er kurz davorstand, seine Verlobung zu verkünden, waren hochgekocht, und das hatte die Presse aufmerksam gemacht – was wiederum das Risiko erhöhte, dass die Veruntreuung der Gelder seines Stiftungskonto öffentlich wurde.

Oh, wie seine Feinde diese Nachricht lieben würden!

In der Folge würde es Zweifel an seinen Entscheidungen geben, an der Wahl seiner Freunde, Gerede über Korruption und Vetternwirtschaft. Und die lautesten Fragen würden, gehüllt in ein Gewand aus Loyalität und Sorge um das Land, von George Hyde-Wallace kommen, dem vierundsiebzigjährigen Cousin seiner Mutter und Leiter des Familienrats.

Der Engländer hatte mit Mitte dreißig seinen Dienst bei den britischen Spezialkräften quittiert, um in Nabhan einen Posten als Bodyguard für den jungen König Bassam anzunehmen. Jahre später hatte er seinem verwitweten Auftraggeber seine wunderschöne Cousine vorgestellt, was ihm die ewige Gunst des Königs eingebracht hatte. Intelligent, ehrgeizig und mit einem einzigartigen Gespür für Politik sowie einer Leidenschaft für Nabhan, war er in eine Position mit großem Einfluss aufgestiegen, hatte in eine der alteingesessenen Familien eingeheiratet und war seither der einzige Europäer, der je in den Familienrat aufgenommen worden war.

Einen Monat nach dem ersten Herzinfarkt des Königs war George Hyde-Wallace von den anderen Mitgliedern zum Leiter des Rats gewählt worden. Und seitdem war er ein Stachel in Khaleds Fleisch. Da Hyde-Wallace durch seine Heirat mit der Krone verwandt war, glaubte er, seinen jungen Cousin kontrollieren zu können, und seit er herausgefunden hatte, dass dem doch nicht so war, ließ er nichts unversucht, um Khaled zu unterminieren, indem er sich offen gegen die Reformen des Prinzen aussprach und behauptete, sie würden die traditionellen Werte Nabhans zerstören.

Dabei interessierte sich Hyde-Wallace nicht wirklich für Traditionen, sondern nur für Macht. Macht, die ihm Khaleds Bemühungen um mehr Demokratie nehmen würden.

Viele Bewohner von Nabhan hatten für die neue Stiftung gespendet, doch die größte Spende war von Hyde-Wallace gekommen. Wenn die Veruntreuung entdeckt wurde, würde er mit Sicherheit versuchen, daraus Kapital zu schlagen. Und all das, während die seit sechs Monaten andauernden geheimen Verhandlungen für Khalebs Ehe sich dem Ende näherten.

Ironischerweise war diese Verbindung von George Hyde-Wallace vorgeschlagen worden. Und so ungern Khaled es zugab, es war ein guter Vorschlag gewesen. Die Tochter des Königs von Qaydar war dazu erzogen, den Ansprüchen des königliches Protokolls zu genügen. Und, wichtiger noch, diese Verbindung würde es ihm ermöglichen, den neuen Damm in den Bergen bauen zu lassen, der den westlichen Teil von Nabhan mit ausreichend Trinkwasser versorgen sollte.

Allerdings waren die Gespräche zäh verlaufen und vom König von Qaydar immer wieder mit neuen Forderungen torpediert worden. Schnell hatte Khaled erkannt, dass Hyde-Wallace diese Verbindung vor allem deshalb vorgeschlagen hatte, um seinem Cousin einen erzkonservativen, altmodischen Schwiegervater an die Seite zu stellen.

Sobald die Verlobung verkündet war, würde ohne Zweifel versucht werden, eine große Liebesgeschichte daraus zu spinnen. Aber nicht mit ihm! Gefühle kamen für ihn nicht infrage. In seinen bisherigen Beziehungen war es um Gesellschaft und das Ausleben körperlicher Bedürfnisse gegangen. Gefühle würden ihm bei seiner Arbeit nur in die Quere kommen, und das konnte er nicht zulassen. Denn nichts war ihm so wichtig wie die Pflicht an seinem Land.

Wie sonst sollte er den Tod seines Bruders wettmachen?

Unter seinen Wimpern schaute er hinüber zu Lily.

Sie trug ein dunkelgrünes Kleid – eine gute Wahl, die nicht nur die Flecken verbarg, die sie sich beim Erklimmen des Rankengitters zugezogen hatte, sondern auch ihre elfenbeinfarbene Haut und die kastanienrote Mähne gut zur Geltung brachte. Im Moment blätterte sie durch eine Zeitschrift. Die nackten Füße hatte sie unter sich gezogen, und er erhaschte einen Blick auf schmutzige Fußsohlen.

Der Anblick löste einen Sturm der Erinnerungen in ihm aus; Erinnerungen an einen lang vergangenen Sommer und ein dünnes Mädchen mit roten Haaren und Sommersprossen. Mit Füßen so schwarz wie ein Gassenkind war sie Bäume hinaufgeklettert oder lachend durch die Gärten ihres Stiefvaters gelaufen. Ein Mädchen mit aufgeschürften Knien, Schmutz im Gesicht und Grasflecken auf der Kleidung. Wie lange es her war, dass er an sie gedacht hatte – und daran, wie sie ihm in jenem Sommer für zwei Wochen einen Frieden geschenkt hatte, den er nie zuvor gekannt hatte.

Es war der Sommer, in dem sie Faisal verloren hatten; seinen strahlenden, brillanten Faisal. Seinen leichtsinnigen Bruder, wie alle sagten. Oh, wenn sie nur wüssten …

Autor

Julieanne Howells
<p>Julieanne Howells liebt die Romantik eines stürmischen Tages, weshalb sie gern im regnerischen Nordosten Englands wohnt. Wenn sie nicht schreibt oder liest, genießt sie es, bei schlechtem Wetter zu kochen. Manchmal sind die Ergebnisse sogar essbar. Ihren Mangel an häuslichen Fähigkeiten kompensiert sie mit ihrem Talent zum Tagträumen. Ständig überlegt...
Mehr erfahren