Erste Küsse auf der Hazienda

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Für die blonde Erzieherin Liza Kerri beginnt auf der Hazienda in Mexiko eine wunderschöne Zeit. Sie gewinnt ihren kleinen Schützling Mateo, den Neffen ihres Arbeitgebers Jay de Rojas, sehr lieb. Tief beeindruckt von den warmherzigen Menschen dieses Landes, öffnet auch sie ihr Herz. Nur in der Nähe des heißblütigen Jay versucht sie kalt zu bleiben, denn sie glaubt, daß er nur mit Frauen spielt. Doch in der heißen Sonne Mexikos schmilzt ihr Widerstand - Liza träumt davon, ein einziges Mal in Jays Armen zu liegen...


  • Erscheinungstag 05.06.2016
  • ISBN / Artikelnummer 9783733773472
  • Seitenanzahl 130
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

„Guten Tag, Miss Kerri. Zu Beginn unseres Gesprächs möchte ich Ihnen dieselbe Frage stellen wie den anderen sechs Bewerberinnen vor Ihnen auch. Wieso glauben Sie, für die Stellung, die ich zu vergeben habe, besonders geeignet zu sein?“

Trotz ihrer Nervosität blieb Liza überrascht mitten in dem großen Hotelzimmer stehen und sah auf den Mann, der in einem Drehsessel saß und ihr den Rücken zuwandte.

„Nun?“ Die tiefe, sonore Stimme klang auf arrogante Weise geduldig, doch Liza hatte ein feines Gehör. Der leichte Anflug von Gereiztheit entging ihr nicht. Zornesröte stieg ihr in die Wangen.

Was für ein unverschämter Kerl! Konnte er sich nicht umdrehen und sie ansehen, wenn er mit ihr sprach? Während sie im Unterbewusstsein die elegante Ausstattung des Zimmers registrierte, suchte Liza nach einer passenden Antwort. Sie brauchte diesen Job zwar, aber so dringend nun auch wieder nicht. „Ich käme nie auf die Idee, Ihr Urteil über mich durch eine eigene Beschreibung meiner Fähigkeiten beeinflussen zu wollen, Señor de Rojas“, erwiderte sie kühl und beherrscht. „Ich denke, meine Unterlagen liegen Ihnen vor. Wenn Sie alles Weitere bitte daraus entnehmen wollen. Es reicht mir völlig aus, meine Zeugnisse für mich sprechen zu lassen.“

Eine Weile herrschte Stille im Raum. Dann drehte sich der Mann so um, dass Liza sein Profil sehen konnte. „Und wenn mir das nicht ausreicht?“

Sie hob den Kopf. „Ich bin natürlich gern bereit, Ihre Fragen zu den Punkten zu beantworten, über die Sie sich nicht ganz im Klaren sind.“ Das war ein unmissverständlicher Hinweis darauf, dass sie nicht gewillt war, sich von ihm einschüchtern zu lassen.

Liza sah, wie er die breiten Schultern straffte. Das war es dann wohl, sie hatte die Sache endgültig verpatzt. Nun, daran war sie selbst schuld. Die Agentur hatte sie vorgewarnt, er sei ein äußerst schwieriger Kunde, bei dem Vorstellungsgespräche eher Ähnlichkeit mit einem Verhör hatten. Die Agentur Swifte hatte einen ausgezeichneten Ruf. Sie vermittelte nur hoch qualifizierte Nachhilfelehrer und Gesellschafter. Es war noch nie vorgekommen, dass eine ihrer Lehrkräfte abgelehnt worden war. Dieser Mann hingegen hatte bereits sechs Bewerberinnen abgelehnt.

„Ich verstehe.“ Seiner dunklen Stimme war keinerlei Emotion anzumerken, und noch immer sah er Liza nicht direkt an. „Der Ball ist also wieder bei mir gelandet.“

Sie biss sich auf die Unterlippe. Mit solch einer Antwort hatte sie nicht gerechnet. Sie wusste nicht genau, was sie darauf sagen sollte. Abgesehen davon, war es nicht gerade angenehm, dass er an einem großen Schreibtisch im Halbschatten saß, während sie im hellen Schein der Deckenlampe stand. Sie hätte nach dem Eintreten ins Zimmer sofort geradewegs zum Schreibtisch gehen sollen, dann wäre sie wenigstens in der Lage gewesen, den Mann zu sehen, mit dem sie sprach. In ihrer jetzigen Position befand sie sich eindeutig im Nachteil.

„Würden Sie bitte Platz nehmen?“ Es war, als habe er ihre Gedanken gelesen.

Liza nickte und ließ sich ihm gegenüber im Sessel nieder. Aus der Nähe musste sie feststellen, dass sein Profil faszinierend war. Er hatte eine kühne, markante Nase, seine Haut war gebräunt und sein Haar pechschwarz.

„Also gut.“ Er wandte ihr ganz langsam das Gesicht zu, und Liza bemerkte erschrocken die lange helle Narbe, die sich von seinem linken Auge bis hinab zu seinem Kinn zog. Bei jedem anderen hätte sie entstellend wirken können, doch diesem dunklen attraktiven Gesicht verlieh sie einen verwegenen, beinahe piratenhaften Touch, der unbestreitbar sinnlich wirkte. Liza stockte der Atem. Sie sah den Mann aus großen grauen Augen verwirrt an.

„Stört es Sie, Miss Kerri?“ Flüchtig berührte er die Narbe, ohne den Blick von Liza zu wenden. Sie begriff, dass sein bisheriges Verhalten nur auf diesen Moment ausgerichtet gewesen und dass seine Geste nicht instinktiv, sondern durchaus kalkuliert war. Er musste einen furchtbaren Unfall gehabt haben, und aus Gründen, die nur ihm bekannt waren, wollte er jetzt ihre Reaktion auf seine Verletzung testen.

Liza atmete tief durch und hielt seinem Blick unbeirrt stand. „Nein, Señor de Rojas, es stört mich nicht. Meiner Meinung nach sind es im Allgemeinen die unsichtbaren Narben, die wesentlich schlimmer sind. Körperliche Verletzungen sind etwas, wogegen wir alle nicht gefeit sind. Sie gehören leider zum Leben, und dementsprechend muss man sich damit abfinden.“

Er musterte ihr klares, offenes Gesicht nachdenklich. Hoffentlich hatte sie nicht zu gleichgültig geklungen; das war nicht ihre Absicht gewesen. Die natürliche Reaktion auf seine Narbe hätte Mitleid sein müssen, aber irgendwie war das das Letzte, woran sie gedacht hätte. Das war kein Mann, der Mitleid in einem auslöste, eher …

Die tiefe Stimme riss sie aus ihren Grübeleien. „Was wissen Sie über die Stellung, um die Sie sich bewerben?“ Sein Englisch war sehr korrekt, beinahe zu korrekt, dennoch ahnte Liza, dass sie den ersten Test bestanden hatte.

Sie versuchte, sich ganz auf das Gespräch zu konzentrieren. Wenn sie diesen Job wollte, worüber sie sich plötzlich gar nicht mehr so sicher war, musste sie sehr beherrscht wirken und sich klar und gewählt ausdrücken. Sie wusste instinktiv, dass dieser Mann Unbeholfenheit und Dummheit nicht ertragen konnte. „Nur sehr wenig.“ Sie räusperte sich. „Ich war … im Urlaub und bin erst gestern nach London zurückgekehrt. Die Agentur rief mich heute Morgen um zehn an und informierte mich nur über das Nötigste.“ Falls ihm ihr kurzes Zögern aufgefallen war, so ließ er sich zumindest nichts anmerken. „Man teilte mir mit, Sie suchten für die nächsten zwölf Monate einen Nachhilfelehrer und Gesellschafter für Ihren Neffen, bis er so weit ist, hier eine Privatschule besuchen zu können. Ich weiß, dass ich dazu in Mexiko werde leben müssen. Man sagte mir aber auch, ich könnte jederzeit, wenn die Umstände es erforderlich machen sollten, nach England zurückkehren.“

Sí.“ Er schien sich seine nächsten Worte sorgfältig zu überlegen. „Aber natürlich ist das längst nicht alles, wie Sie sich denken können. Möchten Sie das Gespräch fortsetzen?“

Liza hob überrascht den Kopf. Um de Rojas’ Mund spielte ein flüchtiges Lächeln. „Natürlich“, erwiderte sie ruhig.

„Ich habe den Eindruck, Sie sind etwas … besorgt, Miss Kerri?“

„Es wäre unklug von mir, mich Hals über Kopf in eine neue Situation zu stürzen“, erwiderte sie. „Ich möchte gern erst Aufschluss darüber gewinnen, was genau von mir erwartet wird.“

„Gut.“ Beiden war klar, dass Liza seine hintersinnige Frage geschickt umgangen hatte. „Ich schätze Unüberlegtheit nicht, aber meiner Erfahrung nach neigen Engländer generell nicht so leicht dazu.“ Sein Blick streifte ihr hellblondes Haar und ihr zartes Gesicht, und mit einmal glaubte Liza, in seinen grünen Augen einen beunruhigenden, fast Unheil verkündenden Ausdruck wahrzunehmen. Doch sie verdrängte den Gedanken, als er sich in seinem Sessel zurücklehnte und weitersprach.

„Mein Neffe ist neun Jahre alt, Miss Kerri, und er leidet unter einer gewissen … seelischen Erregtheit. Seine Eltern kamen vor knapp zwei Jahren bei einem Autounfall ums Leben. Er war damals dabei. Eine äußerst unangenehme Geschichte.“ Seine Stimme klang so kühl und gefühllos, als habe er zu alldem gar keinen Bezug. „Wir dachten, dies würde sich mit der Zeit geben, aber dem scheint nicht so zu sein. Da er in etwa einem Jahr in England zur Schule gehen soll, halte ich einen Nachhilfelehrer in Englisch für unbedingt nötig. Nach dem Unfall war er einige Zeit im Krankenhaus. Bei seiner Rückkehr hatte er Schwierigkeiten, sich an die veränderten Umstände zu gewöhnen. Sein Benehmen lässt manchmal stark zu wünschen übrig.“

Zorn flammte in Liza auf. Wie konnte der Mann nur so herzlos sein! Er sprach von seinem Neffen, als sei der ein Möbelstück, für das er sündhaft viel Geld ausgegeben und das sich dann als fehlerhaft herausgestellt hatte. „Wie bedauerlich.“ Bei dem sarkastischen Unterton in ihrer sanften Stimme hob er abrupt den Kopf. Sie hielt seinem prüfenden Blick unschuldsvoll stand, bis er wieder auf die Papiere auf dem Schreibtisch sah. Offenbar war er sich nicht ganz im Klaren, ob sie ihn hatte kritisieren wollen oder nicht.

„Ja.“ Er nahm einen maschinebeschriebenen Bogen zur Hand, und Liza erkannte, dass es sich dabei um die Aufzählung ihrer bisherigen Tätigkeiten handelte. „Wie ich sehe, war das letzte Kind, das Sie über einen längeren Zeitraum hinweg unterrichtet haben, behindert?“

„Ja.“ Liza versuchte, ganz ruhig und sachlich zu sprechen, obwohl ihre Kehle plötzlich wie zugeschnürt war. Sie schaffte es noch nicht, Fragen über Samantha zu ertragen. Die Wunde war noch zu frisch.

„Sie haben die Stellung dort aufgegeben, weil …?“ Er verstummte, um sie antworten zu lassen.

Liza befeuchtete nervös die trockenen Lippen und merkte, dass ihm auch diese kleine Geste nicht entging. „Das kleine Mädchen starb.“ Sie war froh, dass sie den Satz mit fester Stimme hervorbringen konnte.

„Das hätte hier doch vermerkt werden müssen.“ Er schüttelte den Kopf. „Bitte verzeihen Sie vielmals, Miss Kerri, darüber hat man mich nicht informiert. Ich möchte Sie nicht mit schmerzlichen Fragen quälen, aber …?“

„Schon gut.“ Sie senkte den Kopf und stellte erst jetzt fest, dass sie die Fäuste in ihrem Schoß krampfhaft geballt hielt. Sie zwang sich, sich zu entspannen, streckte die Finger, atmete tief durch und sah auf. „Sie war unheilbar krank. Es war unvermeidlich.“

„Das ist kein Trost, wenn es dann tatsächlich zum Schlimmsten kommt.“ Er drehte sich mit seinem Sessel herum und wandte ihr wieder den Rücken zu. Eine Weile herrschte angespanntes Schweigen. Im Zimmer war es unerträglich heiß. Liza fühlte sich plötzlich etwas schwindelig. Sie hätte etwas zu Mittag essen sollen, sich notfalls dazu zwingen müssen. Aber sie hatte kaum etwas heruntergebracht in jenen letzten neun Wochen nach Samanthas Tod. „Haben Sie Erfahrung mit schwierigen Kindern?“

„Entschuldigung, wie bitte?“ Sie sah benommen auf und merkte, dass er sich wieder zu ihr umgedreht hatte.

„Ich meine, Ihre letzte Stellung war doch bestimmt nicht immer ganz einfach. Sicher war das Kind auch ab und zu schwierig?“

„Samantha war wunderbar.“ Liza hatte das Gefühl, Señor de Rojas jetzt aus großer Entfernung zu sehen. Sein dunkles Gesicht verschwamm leicht vor ihren Augen. „Aber vorher hatte ich einen kleinen Jungen mit Lernschwierigkeiten, der konnte bisweilen sehr anstrengend sein.“

„Miss Kerri, fühlen Sie sich nicht wohl?“ Das Dröhnen in ihren Ohren schien seine Stimme zu übertönen, und als sie ihm antworten wollte, brachte sie kein Wort heraus. Liza nahm gerade noch eine rasche Bewegung hinter dem Schreibtisch wahr, dann wurde ihr schwarz vor Augen.

Als Liza wieder zu sich kam, lag sie auf einem Sofa. Irgendetwas vor ihrer Nase roch widerlich. Sie drehte ruckartig den Kopf zur Seite und streckte abwehrend die Hand aus. Der Geruch verschwand, und allmählich konnte sie wieder klar sehen. Señor de Rojas kniete neben ihr und stützte ihren Kopf, während ein Zimmermädchen sich mit einer kleinen Flasche in der Hand über sie beugte. „Das ist nur Riechsalz, Miss“, erklärte das junge Mädchen. „Señor de Rojas hat geläutet, als Sie ohnmächtig wurden.“

„Es tut mir so leid.“ Brennende Röte stieg ihr in die blassen Wangen. Liza versuchte, sich aufzusetzen. Ihr war noch immer leicht schwindelig, und ihre Beine fühlten sich seltsam schwach an. „So etwas ist mir noch nie passiert.“

Er stand auf. Seine Miene war kühl und distanziert. „Haben Sie heute schon etwas gegessen?“

„Wie bitte?“ Liza sah ihn verwirrt an.

„Sie sind entsetzlich dünn. Ich hatte das Gefühl, ein Kind auf meinen Armen zu tragen.“

Als ihr die ganze Bedeutung seiner ruhig gesprochenen Worte aufging, wurde Liza sehr verlegen. Er hatte sie getragen, als sie ohnmächtig gewesen war! Diese Vorstellung hatte etwas fast … Anstößiges, obwohl sie nicht sagen konnte, weshalb.

„Nun? Haben Sie schon gegessen?“, wiederholte er.

Liza schüttelte den Kopf. „Ich hatte keinen Hunger und außerdem keine Zeit.“

„Unsinn. Geraldine, bringen Sie den Tee heute bitte früher. Und zwei Gedecke, ja? Gracias.“

Das Zimmermädchen zog sich zurück. Liza strich sich kurz übers Haar und glättend über das hellgraue Kostüm. „Señor de Rojas, bemühen Sie sich nicht. Das ist wirklich nicht nötig. Sie waren sehr freundlich und …“

„Sie sind hier zu einem Vorstellungsgespräch, oder?“ Das gut aussehende Gesicht war auf einmal ganz nahe. Liza hielt den Atem an, als sie ihm in die Augen sah. Trotz der Narbe war er in der Tat der faszinierendste, bestaussehende Mann, dem sie je begegnet war. Durch den dunklen Teint wirkten die grünen Augen noch heller, als sie von Natur aus waren. Sein glattes schwarzes Haar war relativ lang und reichte ihm bis in den Nacken. Obwohl er sehr schlank war, zeugten seine breiten Schultern von beträchtlicher Kraft. Er war groß. Liza schätzte ihn auf mindestens einsfünfundachtzig. Plötzlich nahm sie den amüsierten Ausdruck in seinen grünen Augen wahr. Ihr wurde bewusst, dass sie ihn ziemlich unverhohlen gemustert hatte.

„Entschuldigung.“

„Mir ist bereits aufgefallen, dass Engländer sich ständig entschuldigen, auch wenn gar kein Grund dazu besteht.“

„Sehen Sie, Señor de Rojas, ich …“

„Jay.“

„Verzeihung?“ Das Wort rutschte ihr einfach so heraus, und leicht verärgert registrierte Liza sein spöttisches Lächeln.

„Ich heiße Jay“, sagte er ruhig. „Wenn wir gleich Tee miteinander trinken, halte ich es für wesentlich angenehmer, wenn wir uns nicht ganz so förmlich geben.“ Seine Stimme klang kühl, als habe er eine Anordnung erteilt, der sie sich gefälligst zu fügen hatte. „Ihr Name ist Liza?“ Sie hatte ihren Namen immer für langweilig gehalten. Doch so wie er ihn aussprach, mit seinem harten Akzent, fand sie ihn plötzlich sehr interessant.

„Ja, aber …“

Es klopfte an der Tür, und das Zimmermädchen trat strahlend ein. Sie rollte den Teewagen zum Couchtisch und deckte auf. „Soll ich den Tee einschenken, Sir?“

„Nein, vielen Dank, Geraldine.“ Er entließ das Mädchen mit einem Lächeln, woraufhin es prompt errötete und verschwand.

Der Tisch bog sich förmlich unter all den vielen Köstlichkeiten. Es gab appetitlich aussehende Canapés, Cremeschnittchen, Weißbrot, mehrere Sorten Marmelade und Obstkuchen, dazu eine Kanne mit Kaffee und eine mit Tee.

„Kaffee oder Tee?“ Jay de Rojas kniete sich neben den niedrigen Tisch, und plötzlich konnte Liza nicht den Blick von seinen Oberschenkeln wenden, über deren Muskeln sich bei dieser Bewegung der Stoff der Hose spannte.

„Lassen Sie, das kann ich doch …“

Er fiel ihr kühl und bestimmt ins Wort. „Setzen Sie sich bitte ganz ruhig hin, Liza. Mir wäre es lieber, wenn Sie versuchten, sich etwas zu entspannen. Also, Kaffee oder Tee? Und was möchten Sie essen?“

Sie antwortete leise. Beherrschende Männer hatte sie noch nie gemocht. Sie fand, diese Eigenschaft sei für gewöhnlich ein Zeichen von mangelndem Feingefühl und von Grobheit. Allerdings war sie aber auch so ehrlich, zuzugeben, dass ihr Vater sicherlich ihre Ansichten über Männer geprägt hatte. Er war sehr brutal gewesen, und als er starb, hatte sie in erster Linie grenzenlose Erleichterung empfunden. Sie hatte nie verstanden, warum ihre Mutter es bis zum bitteren Ende bei ihm ausgehalten hatte.

Während Liza zu essen begann, spürte sie, wie Jay de Rojas sie ab und zu prüfend beobachtete, obwohl er den Blick meist auf die Papiere auf seinen Knien gerichtet hielt. Hier und da machte er sich einige Notizen. Liza stellte fest, dass er nur eine Tasse schwarzen ungesüßten Kaffee trank und nichts dazu aß. Das ganze Essen hatte er eindeutig nur für sie bestellt.

„Also, Liza.“ Er sah auf, als sie den letzten Bissen heruntergeschluckt hatte. Sie musste zugeben, dass es ihr wirklich erheblich besser ging. „Ich möchte nicht in Ihrem Privatleben herumstöbern. Aber da Sie sich um eine Stelle in meinem Haus bewerben, werden Sie einsehen, dass ich Sie fragen muss, warum Sie ganz augenscheinlich Sorgen haben. Schließlich hat mein Neffe selbst Probleme, Sie verstehen, sí?

„Selbstverständlich, Señor de Rojas.“ Sie brachte es nicht über sich, ihn bei seinem Vornamen anzureden. „Wäre es Ihnen vielleicht lieber, wenn ich jetzt ginge?“

„Es wäre mir lieber, wenn Sie sich mir anvertrauten. Ich versichere Ihnen, alles, was Sie mir sagen, bleibt strikt in diesen vier Wänden. Wenn Sie sich jedoch nicht in der Lage fühlen …“ Er machte eine lässige Handbewegung zur Tür hin. „Mein Hauptinteresse gilt natürlich Mateo, wie Sie sich denken können.“ Seine Miene war ausdruckslos, und das machte es Liza irgendwie leichter.

Sie sah ihn fest an. „Ich muss mich für mein Verhalten entschuldigen, Señor de Rojas, und ich verspreche Ihnen, dass so etwas nicht mehr vorkommt, für den Fall, dass Sie sich für mich entscheiden.“ Was das betraf, hegte sie nicht mehr die geringsten Hoffnungen, aber sie fand, dass sie ihm zumindest eine Erklärung für den seltsamen Verlauf dieses Vorstellungsgesprächs schuldete. „Wie Sie schon vermuteten, hatte ich heute noch nichts gegessen. Ich habe innerhalb kurzer Zeit gleich zwei schwere Verluste hinnehmen müssen und fürchte, dass ich eine Zeit lang seelisch nicht ganz auf der Höhe war.“ Er zog die dunklen Augenbrauen hoch und wartete darauf, dass Liza fortfuhr.

„Meine Mutter starb vor drei Monaten nach kurzer, schwerer Krankheit, und vier Wochen darauf verstarb auch mein kleines Pflegekind Samantha. Ich nahm längere Zeit Urlaub, um mein inneres Gleichgewicht wiederzufinden, aber offenbar war es das Schlimmste, was ich tun konnte. Ich hätte sofort wieder versuchen müssen, mich den Anforderungen des täglichen Lebens zu stellen.“

Jay de Rojas nickte. „Ich verstehe.“

„Nun fühle ich mich jedoch wieder imstande, zu arbeiten. Ich möchte es sogar gern. Ich glaube, ich könnte Ihrem Neffen vieles geben. Meine Zeugnisse …“

„Sí, sí.“ Er hob abwehrend die Hand. „Ihre Fähigkeiten in dieser Hinsicht stehen gar nicht zur Debatte, sonst wären Sie schließlich nicht hier.“ Er verstummte und betrachtete sie eingehend. „Was ist mit Ihrer restlichen Familie? Wie steht sie dazu, dass Sie nach diesen traumatischen Ereignissen eventuell das Land verlassen wollen?“

„Ich habe keine weiteren Angehörigen mehr, Señor.“ Liza wusste selbst nicht, woher sie die Kraft nahm, so ruhig sprechen zu können, aber sie war außerordentlich froh darüber. „Ich bin Einzelkind, und mein Vater starb vor zwei Jahren.“

„Sie haben zweifelsohne schon viel Schweres durchgemacht im Leben.“ Nachdenklich sah er sie an. „Sie sind fünfundzwanzig?“

„Ja.“

„Ich bin der Ansicht, dass man erst durch viele Erfahrungen wirklich weise wird. Stimmen Sie mir da zu?“

„Ich denke schon“, meinte Liza mit einem leicht zweifelnden Unterton. Jay lächelte unvermittelt, und Lizas Herz zog sich zusammen. Dieses Lächeln auf dem verschlossenen Gesicht wirkte wie plötzlicher Sonnenschein an einem grauen Wintertag.

„Die anderen Bewerber, die ich gesehen habe, waren außerordentlich fähig“, meinte er trocken. „Allerdings vermisste ich das Verständnis, das Mateo meiner Meinung nach momentan dringend braucht. Ihm fehlt ein mitfühlender Mensch, der gleichzeitig wirklich versteht, was er gerade durchmacht. Er ist ein sehr sensibles Kind, das einerseits nicht durch zu viel Nachsicht verweichlicht werden darf, andererseits soll seine Empfindsamkeit nicht abgestumpft werden. Er braucht gleichzeitig Mitgefühl und Disziplin, Liebe und, wenn nötig, auch Strenge. Ihre Arbeit wird schwierig, zeitraubend und manchmal auch sehr bedrückend sein. Glauben Sie, damit fertig werden zu können?“

„Ja, ich bin mir ganz sicher.“ Dieses Mal klang Lizas Stimme entschieden, und Jay lächelte erneut.

„Er braucht die Nähe einer Frau, verstehen Sie, ohne dabei verhätschelt zu werden. Mateo wird eines Tages die Ranch und die Ländereien seines Vaters übernehmen, und er braucht Härte und Intelligenz, um solch einen Besitz erfolgreich halten zu können. Seine Mutter …“ Sein Blick wurde auf einmal wieder eisig. „Sie hat ihn nach Strich und Faden verwöhnt. Das werde ich nicht dulden.“

„Ja, ich verstehe, Señor de Rojas.“

„Jay, por favor.“ Es war keine Bitte.

„Ich möchte bitte eins wissen …“ Liza verstummte, weil sie plötzlich Angst hatte, er würde sie für zu neugierig halten, in Anbetracht der Tatsache, dass er ihr ja noch gar keine Zusage gegeben hatte.

„Sí?“

„Dieser Unfall … Was hat Mateo gesehen? Ich meine, hat er bewusst …“

„Schlimmer konnte es gar nicht kommen. Jay wandte sich ab, sodass sie die Gesichtshälfte mit der Narbe nicht mehr sehen konnte. „Karen, seine Mutter, saß am Steuer und …“

„Karen?“, unterbrach Liza ihn überrascht, sie hatte eher mit einem spanisch klingenden Namen gerechnet.

„Sie war Engländerin.“ Seine Miene zeigte keinerlei Regung, trotzdem ahnte Liza sofort, dass Mateos Mutter und ihr Schwager sich nicht gemocht hatten. „Alfredo, mein Bruder, saß neben ihr, und Mateo war auf dem Rücksitz angeschnallt. Ungefähr eine Meile von ihrem Haus entfernt überschlug sich der Wagen. Karen war zu dem Zeitpunkt etwas … erregt und unterschätzte eine Kurve. Ich fuhr direkt hinter ihnen.“ Liza spürte, dass er ihr nicht alles sagte. „Bis ich zu ihnen laufen konnte, stand der Wagen schon in Flammen.“ Jay schwieg einen Moment, doch als er weitersprach, klang seine Stimme ganz ruhig. „Karen war auf der Stelle tot. Alfredos Beine waren eingeklemmt, er schrie mir zu, ich solle Mateo retten. Die Türen ließen sich nicht öffnen, und die Windschutzscheibe war gesplittert. Natürlich passte ich in der Situation nicht besonders auf, deshalb …“ Er berührte flüchtig die Narbe. „Eine scharfe Metallkante, die ich nicht bemerkt hatte. Ich holte den Jungen heraus und wollte zurück, um meinen Bruder zu befreien. Ich war nur noch wenige Meter entfernt, da explodierte der Wagen. Mateo musste alles mit ansehen.“

„Oh, nein“, murmelte Liza entsetzt. „Das ist ja grauenvoll.“

„Nun, Miss Kerri, das gehört der Vergangenheit an.“ Jay sah sie durchdringend an. „Mein Neffe muss lernen, seine natürlichen Emotionen diesbezüglich zu überwinden. Er muss lernen, sich wie ein Vogel über all das zu erheben, was ihn zerstören könnte. Ich kann mich nicht ständig gleichzeitig um seine und um meine Interessen kümmern. Er muss lernen, auf eigenen Beinen zu stehen.“

„Er ist doch noch ein kleiner Junge!“, protestierte Liza unwillkürlich.

„Eines Tages wird er ein Mann sein.“ Der Blick seiner grünen Augen war unnachgiebig. „In der Welt, in der er lebt, ist kein Platz für Schwächen.“

„Wohnen Sie auf der Ranch?“, erkundigte sie sich.

„Ich besitze eine eigene Ranch, die unmittelbar an Mateos Besitz angrenzt. Zurzeit lebt er bei mir, bis er in das Internat in England kommt, in dem seine Mutter ihn noch angemeldet hat.“

„Ich verstehe.“

„Noch eine Tasse Tee?“, fragte Jay de Rojas höflich.

Liza sah ihn fassungslos an. Da sprachen sie über Leben und Tod unter den tragischsten Umständen, und er konnte mühelos umschalten und fragen, ob sie noch Tee wollte! Er war der kälteste, härteste Mann, den sie je erlebt hatte. Sie empfand tiefstes Mitleid mit dem kleinen Mateo, der nur noch diesen einen Menschen hatte. Bestimmt machte er seinem Neffen das Leben furchtbar schwer. Sie schüttelte den Kopf auf seine Frage hin und wandte den Blick von ihm ab. Seine nächsten Worte verrieten ihr jedoch, dass es ihr nicht gelungen war, ihre Empfindungen vor ihm zu verbergen.

„Sie halten mich für hart?“, erkundigte er sich grimmig. „Nun, Sie haben vollkommen recht. Und ich möchte, dass Mateo genauso wird. Er hat einen kleinen Teil eines wunderschönen Landes geerbt, das ihn vernichten wird, wenn er es nicht beherrschen kann.“

Liza antwortete nicht. Jay de Rojas verkörperte alles, was sie an einem Mann verabscheute – Arroganz, Hochmut, Grausamkeit und Gefühllosigkeit. Er war in der Tat genau wie ihr Vater.

„Glauben Sie, ich übertreibe? Das macht nichts.“ Seine weißen Zähne blitzten auf, als er spöttisch lachte. „Ihre Meinung ist nicht wichtig. Ich führe mein Haus und das meines Neffen so, wie ich es für richtig halte. Eine Einmischung in meine Angelegenheit dulde ich ebenso wenig wie Widerspruch.“

Liza saß da, blass, mit großen grauen Augen. Sie konnte seine Gedanken buchstäblich lesen. Er hielt sie für zerbrechlich und formbar, für eine Frau, die ihm keine Schwierigkeiten machen und seinem Neffen ein freundlicher, verständnisvoller Mutterersatz sein würde. Unbewusst hob sie das Kinn. Und doch … wenn er ihr diesen Job anbot, was sie stark bezweifelte, würde sie mit beiden Händen zugreifen.

Ihr Hauptgrund, sich um diese Stelle zu bewerben, war gewesen, dass sie das Land verlassen wollte, das momentan noch zu viele schmerzliche Erinnerungen für sie barg. Aber dieses Leid schien ihr plötzlich unbedeutend im Vergleich zu der Tragödie, die dem kleinen Mateo widerfahren war. Trotzdem täuschte sich sein Onkel, wenn er glaubte, sie würde sich allem demütig und widerspruchslos beugen. Sie würde mit Mateo so umgehen, wie es ihr richtig erschien. Und sie ahnte, dass sie damit direkt auf einen Konflikt mit diesem herrischen Mann zusteuerte, der mit anderen Menschen spielte, als seien sie Figuren auf einem Schachbrett.

„Fühlen Sie sich der Aufgabe gewachsen?“, fragte er nüchtern.

Liza sah ihm ruhig in die Augen und nickte. „Ja, Señor. Wie ich schon sagte, die unsichtbaren Narben sind die schlimmsten. Aber gerade um sie muss man sich besonders kümmern.“

„Richtig. Dieser Ausdruck gefiel mir vorhin bereits sehr gut. Sie sind die Erste, der ich meinen Neffen anvertrauen würde. Er braucht keine nichtssagenden Phrasen und Gefühlsduseleien.“

Liza senkte hastig den Blick und betrachtete ihre Hände. „Möchten Sie sonst noch etwas wissen, Señor de Rojas?“

Autor

Helen Brooks
Bereits seit über 20 Jahren veröffentlicht die britische Autorin unter dem Pseudonym Helen Brooks Liebesromane, unter ihrem richtigen Namen Rita Bradshaw schreibt sie seit 1998 historische Romane. Weit über 40 Bücher sowie einige andere Werke sind bisher unter dem Namen Helen Brooks erschienen, von Rita Bradshaw gibt es 14 Romane....
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