Feuerprobe der Versuchung

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Nach einer kalten Ehe will Pandora sich nie wieder binden und ihre Freiheit voll auskosten. Allein um Rupert Stirling, dem man skandalöse Eroberungen nachsagt, macht sie besser einen großen Bogen! Denn obwohl seine verwegene Erscheinung verlockende Gefühle in ihr weckt, ist Pandora überzeugt: Wenn sie sich mit ihm einlässt, wird sie sich ihm ganz und gar offenbaren – auch die Lüge, mit der sie seit Jahren lebt …


  • Erscheinungstag 23.03.2023
  • ISBN / Artikelnummer 9783751521864
  • Seitenanzahl 160
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Mai 1817, Highbury House, London

„Immer schön lächeln, Pandora. Ich bin sicher, weder Devil noch Luzifer haben die Absicht, dich zu verschlingen! Zumindest nicht auf eine Art, die dir unangenehm wäre.“

Pandora, verwitwete Duchess of Wyndwood, fiel nicht in das vielsagende Gelächter ihrer Freundinnen ein, während sie sich den beiden Gentlemen näherten, auf die Genevieve sich scherzhaft bezog. Stattdessen spürte sie, wie ihr Herz noch schneller zu schlagen begann, ihre Brüste sich unruhig hoben und senkten bei jedem raschen Atemzug, den sie tat, um ihre seltsame Aufregung zu zügeln und zu vergessen, dass ihre Hände unter dem Stoff der feinen Spitzenhandschuhe schwitzten.

Sie kannte natürlich keinen der Gentlemen persönlich. Beide waren Anfang dreißig, während sie erst vierundzwanzig Jahre zählte und nie zu der nicht ganz salonfähigen Menschenschar gehört hatte, welche die zwei umlagerte, wann immer sie sich zu einem ihrer seltenen Besuche in der gehobenen Gesellschaft herabließen. Erkannt hatte sie sie allerdings sofort – Lord Rupert Stirling, vormals Marquis of Devlin und jetzt der Duke of Stratton, und sein guter Freund Lord Benedict Lucas – zwei Gentlemen, die in den vergangenen zwölf Jahren besser bekannt waren unter den Namen Devil und Luzifer. Die Spitznamen hatten sie sich für ihre empörenden Heldentaten verdient, die sich zum Teil in den Schlafzimmern der Damenwelt, zum Teil außerhalb abgespielt hatten.

Ebendiese Gentlemen wären Genevieve zufolge sehr geeignete Kandidaten für die Rolle des Liebhabers, nun, da das Trauerjahr um ihre Gatten vorüber war …

„Pandora?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass ihr mit mir rechnen könnt, Genevieve.“

Beruhigend drückte ihre Freundin ihr den Arm. „Wir reden nur mit ihnen, mein Liebes. Solange Sophia sich mit dem unerwarteten Besuch des Earl of Sherbourne beschäftigt, spielen wir eben die Gastgeberinnen.“ Genevieve schaute kurz zur anderen Seite des Ballsaals, wo besagte Dame in ein leises, aber hitziges Gespräch mit dem verwegenen Dante Carfax vertieft zu sein schien, einem engen Freund von Luzifer und Devil.

So wie auch die drei Witwen eng befreundet waren …

Es war reiner Zufall gewesen, dass Sophia Rowlands, Duchess of Clayborne, Genevieve Forster, Duchess of Woollerton, und Pandora Maybury, Duchess of Wyndwood, innerhalb weniger Wochen im vergangenen Frühling zu Witwen wurden. Die drei Frauen, bis dahin einander fremd, hatten sich rasch zu einer Art von Allianz zusammengeschlossen, als sie vor einem Monat das Trauerjahr hinter sich ließen. Die Tatsache, dass sie alle drei in so jungem Alter verwitwet waren, zog sie zueinander hin.

Doch Genevieves Vorschlag, sie sollten sich einen Liebhaber nehmen, wenn nicht mehrere, noch bevor die Saison vorüber war, hatte Pandora eher in einen Zustand des Aufruhrs versetzt als in den der Vorfreude.

„Dennoch …“

„Unser Tanz, glaube ich, Euer Gnaden?“

Pandora hätte nie gedacht, sie könnte sich je über den Anblick Lord Richard Sugdons freuen, da sie das affektiert gute Aussehen und die viel zu vertrauliche Art des jungen Mannes als sehr unangenehm empfunden hatte, wann immer sie sich zufällig begegnet waren. Vorhin war ihr kein triftiger Grund eingefallen, seine Aufforderung zum ersten Walzer des Abends abzulehnen, doch nun zog sie selbst seine geckenhafte Gesellschaft der überwältigenden Präsenz von Rupert Stirling und Benedict Lucas vor.

„Das habe ich nicht vergessen, Mylord.“ Sie schenkte Genevieve ein entschuldigendes Lächeln, legte ihre Hand auf Lord Sugdons Arm und erlaubte dem jungen Mann, sie auf die Tanzfläche zu führen.

„Lieber Himmel, Dante, was hat dich denn derart durcheinandergebracht?“, fragte Rupert Stirling, Duke of Stratton, später am Abend, während er die Bibliothek von Clayborne House betrat und das leicht zerzauste Aussehen eines seiner besten Freunde bemerkte. „Oder vielleicht frage ich besser nicht …“, fuhr er nachdenklich fort, da ihm der Duft eines Damenparfums in die Nase stieg.

„Nein, vielleicht nicht“, entgegnete Dante Carfax, Earl of Sherbourne, bissig. „Und ich frage wohl besser nicht, was – oder vielmehr wem – es zurzeit gelingt, Benedict bei Laune zu halten?“

„Besser nicht“, meinte Rupert amüsiert.

„Leistest du mir bei einem Glas Branntwein Gesellschaft?“ Dante hielt die Karaffe mit hoch, aus der er sich eingeschenkt hatte.

„Warum nicht?“ Rupert schloss die Tür der Bibliothek hinter sich. „Ich ahnte schon, dass es meiner Stiefmutter am Ende doch noch gelingen würde, mich entweder zum Trinken oder zu einem Mord zu treiben!“

Nachdem ihr Tanz geendet hatte, wurde Pandora von Lord Sugdon in eine Ecke des Ballsaals in die Enge getrieben. Sie schaffte es nur durch Glück, sich seiner Gesellschaft zu entziehen, als ein Bekannter ihn in ein Gespräch verwickelte. Ihre Flucht führte sie auf die Terrasse vor der Bibliothek, wo sie zufällig Zeugin eines Gesprächs zwischen den beiden Gentlemen wurde.

„Dann lass uns heute Abend also trinken“, antwortete Dante Carfax seinem Freund. „Besonders, da die Duchess so aufmerksam war, einen ganz besonders guten Branntwein und ausgezeichnete Zigarren bereitzuhalten.“ Pandora hörte das Geräusch einer Flüssigkeit, die eingeschenkt wurde.

„Ah, schon viel besser.“ Devil Stirling seufzte zufrieden. Offenbar hatte er den Schluck dringend nötig gehabt.

„Was machen wir drei hier eigentlich heute Abend, Stratton?“, fragte sein Freund träge und öffnete weit die Terrassentür, zweifellos um den Rauch ihrer Zigarren entweichen zu lassen.

„Angesichts deines leicht derangierten Zustands sind deine Gründe doch offensichtlich, würde ich meinen. Und Benedict ließ sich freundlicherweise dazu überreden, mich zu begleiten, weil ich ihm von meinem tiefen Bedürfnis erzählte, einen Abend fern von meiner lieblich-lästigen Stiefmama zu verbringen.“

Dante Carfax lachte trocken. „Ich gehe jede Wette ein, dass die schöne Patricia es nicht gerade genießt, so von dir genannt zu werden.“

„Sie hasst es“, gab Rupert zufrieden zu. „Und genau das ist auch der Grund, weswegen ich es tue. Und zwar ständig!“

Ein Mann, der seinem Spitznamen wirklich Ehre macht.

Der Gedanke kam Pandora ungebeten, während sie reglos im Schatten auf der Terrasse verharrte, um nicht von den Gentlemen gehört zu werden. Der Duft ihrer Zigarren weckte eine bittersüße Erinnerung an glücklichere Zeiten in ihrem Leben – als sie noch jünger und unschuldig gewesen war und Ballabende wie diesen noch mit ihren Eltern besucht hatte, ohne eine einzige Sorge mit sich zu führen.

Damals hätte sie nicht den Wunsch verspürt, auf die Terrasse zu flüchten, nur damit keiner der hochvornehmen Gäste bemerkte, dass Lord Sugdons aufdringliche, vulgäre Annäherungsversuche sie zum Weinen gebracht hatten.

Nicht, dass der größere Teil des ton sich darum geschert hätte, ob sie beleidigt worden war oder nicht. Viele nahmen sie ja nicht einmal wahr oder machten sich gar nicht erst die Mühe, mit ihr zu sprechen. Warum sollten sie sich also darum kümmern, ob sie von gewissen Gentlemen einen unsittlichen Antrag bekam, die mutig genug waren, ihre skandalöse Gesellschaft zu riskieren?

Wenn Sophia und Genevieve nicht darauf bestanden hätten, sie zu jeder gesellschaftlichen Veranstaltung mitzunehmen, die sie besuchten, wäre Pandora wohl von allen geächtet worden, als sie es vor einem Monat wagte, sich wieder unter Menschen zu begeben.

„Dennoch ein nutzloses Unterfangen, wie sich zeigt“, fuhr Rupert Stirling müde fort, „da die Witwe meines Vaters vor Kurzem ebenfalls auf dem Ball erschienen ist.“

„Oh, ich bin sicher, Sophia hat nicht …“

„Beruhige dich, Dante, ich gebe nicht deiner Sophia die Schuld …“

„Sie ist nicht meine Sophia.“

„Ach? Dann habe ich mich getäuscht über das Parfum, das ich roch, als ich hereinkam?“

Es folgte ein kurzes Zögern, dann antwortete Dante widerwillig: „Nein, du hast dich nicht getäuscht. Aber Sophia versichert mir weiterhin, ich würde nur meine Zeit mit ihr verschwenden.“

Pandora hörte die letzten Worte fassungslos mit. Sophia und Dante Carfax? Das war doch unmöglich. Sophia ließ keine Gelegenheit aus, den unerhört gut aussehenden Earl of Sherbourne zu kritisieren.

„Würde es nicht wenigstens einen Teil deines Problems lösen, Rupert, wenn du dir eine Frau nimmst? Das müsste die Dowager Duchess zumindest davon abbringen, offen mit dir unter einem Dach zu leben?“, fragte Dante.

„Glaube mir, ich habe selbst schon daran gedacht“, entgegnete sein Freund grimmig.

„Und?“

„Und es würde zwar ein Problem lösen, mir aber ein anderes aufhalsen.“

„Welches denn?“

„Dass ich mich für den Rest meines Lebens mit einer Frau niederlassen würde, die ich weder brauche noch liebe!“

„Dann such dir wenigstens eine, die du begehrenswert findest. In jeder Saison werden Dutzende neuer Schönheiten eingeführt.“

„Mit meinen zweiunddreißig Jahren liegt mir nichts an jungen Dingern, die kaum aus dem Schulzimmer heraus sind.“ Dem leiser und lauter werdenden Klang seiner Stimme hörte Pandora an, dass er unruhig in der Bibliothek auf und ab ging. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, mich an eine junge Frau zu binden, die nicht nur kichert und plappert wie ein Hohlkopf, sondern darüber hinaus nicht die geringste Vorstellung davon hat, was im Schlafzimmer vor sich geht“, fügte er recht verächtlich hinzu.

„So leichten Herzens solltest du eine solche Unschuld nicht zurückweisen, Rupert.“

„Und warum nicht?“

„Nun ja, zum einen kann dir niemand vorwerfen, dir mangelt es an genügend Finesse im Bett, um eine so junge, unschuldige Frau angemessen in die Freuden der Liebe und deiner persönlichen Wünsche einzuführen. Und außerdem hat die Unschuld wenigstens den Vorteil, dass die künftigen Erben des Herzogtums wirklich deinen Lenden entspringen, mein lieber Freund.“

„Was nicht unbedingt der Fall gewesen wäre, wenn es Patricia gelungen wäre, meinem Vater einen zusätzlichen Erben zu schenken. Sonst hätte ich von da an um mein Leben fürchten müssen“, bemerkte der Duke of Stratton giftig.

Pandora war sich bewusst, dass sie sich längst nicht mehr still im Schatten der Terrasse versteckte, um nicht mit Tränen in den Augen entdeckt zu werden, sondern weil das Gespräch der beiden Männer sie zunehmend interessierte. Sie konnte sich die beiden Gentlemen deutlich vorstellen, während sie sich unterhielten.

Dante Carfax war hochgewachsen, tadelloser Erscheinung, dunkelhaarig und besaß den kräftigen, muskulösen Körper eines Sportlers. Rupert Stirling war ebenso groß wie sein Freund, vielleicht überragte er ihn sogar, goldblonde Locken fielen ihm verwegen über die Brauen, und unter seiner perfekt sitzenden schwarzen Abendkleidung zeichneten sich breite Schultern, schmale Hüften und lange, muskulöse Schenkel ab. Er besaß geheimnisvolle graue Augen, die seinem hochmütigen Gesicht mit der schmalen Nase und den hohen Wangenknochen eine aristokratische Note verliehen. Die sinnlichen Lippen waren Pandora besonders deutlich in Erinnerung geblieben, wie er sie zu einem sarkastischen Lächeln verziehen oder voller Unmut zu einem schmalen Strich zusammenpressen konnte.

Dieser Unmut konzentrierte sich jetzt wohl auf die Frau, die sein verstorbener Vater vor vier Jahren geheiratet hatte.

Pandora war damals erst zwanzig gewesen und selbst seit Kurzem verheiratet, aber sie erinnerte sich noch gut daran, wie schockiert der ton darüber gewesen war, dass der verwitwete siebte Duke of Stratton in seinem sechzigsten Jahr beschlossen hatte, eine junge Frau zu ehelichen, von der man sich erzählte, sie sei mit dem Sohn des Dukes verbunden gewesen, bevor jener aufbrach, um mit Wellington gegen Napoleon zu kämpfen.

Ebenso wie alle anderen wusste auch Pandora, dass der neue Duke und seine Stiefmutter seit dem Tod des alten Dukes vor neun Monaten im selben Haus lebten – oder vielmehr in denselben Häusern, denn ob in der Stadt oder auf dem Land, Rupert Stirling und die Witwe seines Vaters lebten ausnahmslos unter demselben Dach.

„Wenn ich mich recht erinnere, musstest du schon immer um dein Leben fürchten, wenn du dich im Schlafzimmer dieser Dame aufgehalten hast“, meinte Dante trocken.

Pandora errötete verlegen. Vielleicht hatte sie dem Gespräch der Herren lange genug gelauscht und sollte sich jetzt besser wieder in den Ballsaal begeben, um sich bei Sophia zu verabschieden, bevor sie nach Hause ging. Ja, das wäre sicherlich das Beste …

„Die Hälfte aller Männer heute Abend folgen meiner Stiefmama mit hungrigen Blicken“, sagte der Duke mit ätzender Verachtung.

„Und die andere Hälfte?“

„Scheint sich nach einer zierlichen blonden Frau in einem violetten Kleid zu verzehren …“

„Ich glaube, du wirst feststellen, dass es veilchenblau ist.“

„Wie bitte?“

„Pandora Mayburys Kleid ist veilchenblau, nicht violett“, erklärte Dante Carfax gelassen.

Schon halb abgewendet, um die Männer ihren Zigarren und ihrer Unterhaltung zu überlassen, blieb Pandora mitten in der Bewegung stehen. Ein Schauder überlief sie, als sie plötzlich ihren Namen hörte.

„Barnaby Mayburys Witwe?“, fragte der Duke.

„Genau.“

„Ach so.“

Die Verachtung in der Stimme des Duke war unüberhörbar.

Dante lachte rau. „Ich weiß, du ziehst dunkelhaarige, hochgewachsene Frauen mit üppiger Figur vor, Stratton.“

„Und Pandora Maybury mit ihrer zierlichen, schlanken Gestalt und dem blonden Haar ist das genaue Gegenteil.“

„Ich gehe jede Wette ein, dass du nichts anderes mehr an ihr beachten wirst, sobald du ihr erst einmal in ihre bemerkenswert schönen Augen gesehen hast!“

„Ist es das, worauf du sonst immer bei einer Frau schaust, Dante – ihre Augen?“

Sein Freund lachte über den Spott in Ruperts Stimme. „Ich bin fest davon überzeugt, dass kein Mann der Schönheit von Pandora Mayburys Augen widerstehen kann.“

„Was ist denn so Besonderes an ihnen?“

„Sie haben dieselbe Farbe wie ihr Kleid heute Abend, die von Veilchen im Frühling“, fügte Dante mit unverhohlener Bewunderung hinzu.

„Kann es sein, dass dein so lange unerfülltes Verlangen nach unserer schönen Gastgeberin dir endgültig den Verstand verwirrt hat?“, spottete Rupert.

„Du bist heute Abend schon der zweite, der diese Vermutung anstellt“, fuhr Dante ihn an. „Dennoch versichere ich dir, in diesem Fall sage ich nur die Wahrheit.“

„Veilchen?“, wiederholte der Duke skeptisch.

„Die tiefe, dunkle Farbe von Veilchen im Frühling. Und sie werden umrahmt von den längsten, seidenweichsten Wimpern, die ich je bei einer Frau gesehen habe.“

„Dieselben veilchenblauen Augen und seidenweichen Wimpern zweifellos, die es geschafft haben, nicht nur einen, sondern gleich zwei Männer in den Tod zu schicken?“, fragte der Duke höhnisch.

Pandora zog scharf den Atem ein und ließ sich auf die gusseiserne Bank sinken, die an der Wand stand. Schon lange hatte sie geahnt, wie die Gesellschaft über sie dachte, aber bisher hatte noch niemand in ihrer Gegenwart darüber gesprochen. Der Lauscher an der Wand hört seine eigene Schand, hieß es nicht so?

„Da deine Stimmung sich nicht zu bessern scheint, verabschiede ich mich jetzt“, sagte Dante.

„Ich beende nur noch meine Zigarre, dann gehe ich auch nach Hause“, entgegnete der Duke.

Pandora war noch zu vertieft in ihre eigenen bedrückenden Gedanken, um weiter auf die beiden Männer zu achten. Ihr Gespräch weckte einen tiefen Kummer in ihr, der sie zu ersticken drohte, wie schon so oft im vergangenen Jahr, seit ihr Mann und Sir Thomas Stanley beide auf so entsetzlich sinnlose Weise gestorben waren – und damit einen Skandal hervorgerufen hatten, der sich noch immer nicht gelegt hatte.

„Oh, da sind Sie ja“, machte sich eine vertraute Stimme in der Dunkelheit bemerkbar. „Noch dazu ganz allein“, fügte Lord Sugdon zufrieden hinzu und trat in den schwachen Lichtstreifen, der von der Kerze in der Bibliothek nach draußen drang.

Pandora beäugte ihn misstrauisch, während sie sich langsam erhob. „Ich wollte gerade eben wieder hineingehen …“

„Aber nicht doch.“ Der junge Lord Sugdon trat noch zwei Schritte näher. „Es wäre schade, das Mondlicht nicht auszunutzen. Oder die Abgeschiedenheit, die uns hier auf der Terrasse geschenkt wird“, fügte er mit einem vielsagenden Grinsen hinzu, den Blick gierig auf Pandoras tiefen Ausschnitt geheftet.

„Dennoch glaube ich, es wäre besser … Lord Sugdon!“, keuchte sie protestierend, als er sie rau in die Arme riss. „Lassen Sie mich sofort los!“

Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, indem sie die Hände gegen seine Brust stemmte. Lord Sugdon achtete jedoch kaum auf sie, sondern beugte unbeirrt den Kopf, um sie zu küssen. Allein der Gedanke, er könnte sie mit seinen feuchten Lippen berühren, verursachte Pandora Übelkeit.

„Das meinen Sie nicht wirklich.“

„Oh doch, ich meine genau, was ich sage!“, beharrte sie verzweifelt, voller Angst, sie könnte in Ohnmacht fallen, wenn sie sich nicht bald von ihm befreite. Allerdings deutete Lord Sugdons entschlossene Miene eher darauf hin, dass selbst eine Ohnmacht ihn nicht aufhalten konnte. Der Mann machte den Eindruck, als wäre er durchaus fähig, ihre Lage auszunutzen, sobald sie bewusstlos und hilflos in seinen Armen lag. „Hören Sie sofort damit auf, Mylord!“

„Sie mögen es wohl ein bisschen rau, was, meine kleine Schönheit?“ Sugdon grinste zufrieden. „Dagegen habe ich nichts einzuwenden!“ Er löste eine Hand kurz von ihrer Taille, um den Ausschnitt ihres Kleides zu zerreißen, sodass nur noch die hauchdünne Chemise ihre Haut bedeckte. „Das ist aber mal eine hübsche Aussicht.“ Sein Blick heftete sich hitzig auf ihre halb nackten Brüste, während er mühsam schluckte und sich voller Vorfreude die Lippen leckte.

Entsetzt schluchzte Pandora auf. So viele unglückliche Dinge waren ihr in den letzten vier Jahren zugestoßen, doch sie wusste, dass sie jetzt ein neues Tief erreicht hatte, das sie nie für möglich gehalten hätte. „Bitte, das dürfen Sie nicht!“, flehte sie verzweifelt und versuchte, ihn weiterhin von sich zu stoßen.

„Du willst es doch auch.“ Jetzt legte er die Hand auf eine ihrer Brüste und presste sie, dass es schmerzte. „Den ganzen Abend hast du doch schon darum gebettelt.“

„Sie irren sich, wenn Sie das glauben, Sir!“, brachte Pandora keuchend hervor. „Bitte …“

„Bald wirst du nicht genug davon kriegen können, meine Schöne, gleich … Was zum …“, fauchte er, als Pandora ihm eine schallende Ohrfeige verpasste. „Dafür wirst du mir büßen, du kleine …“

„Ich denke, Sugdon, wenn eine Dame so vehement protestiert wie diese hier, sollten Sie besser auf der sicheren Seite bleiben und einfach akzeptieren, dass sie Ihre Avancen ablehnt.“

Pandora stolperte auf die Bank zurück, als Lord Sugdon sie gezwungenermaßen aus seiner widerwärtigen Umarmung freigab. Verwirrt presste sie sich das zerrissene Mieder gegen die Brust und blickte – sicher blass wie eine Leiche – über die Terrasse zu ihrem unerwarteten – und völlig unwahrscheinlichen – Retter hinüber.

Lord Rupert Stirling, der achte Duke of Stratton, im ton auch ganz schlicht bekannt als Devil …

2. KAPITEL

Rupert rauchte gerade genüsslich seine Zigarre, als seine behagliche Einsamkeit von erregten Stimmen gestört wurde. Sie kamen von der Terrasse, und zunächst glaubte er, es handle sich lediglich um einen harmlosen Streit zwischen einem Liebespaar. Also fuhr er fort, seinen Gedanken nachzuhängen – nämlich wie er sein Problem mit Patricia Stirling, der Witwe seines Vaters, angehen sollte.

Dass er überhaupt dazu gezwungen war, über diese Frau nachzugrübeln, genügte schon, um ihn in Rage zu versetzen. Aber er konnte unmöglich weiter mit ihr unter einem Dach leben. Etwas musste geschehen, und zwar bald.

Die Lautstärke der Unterhaltung auf der Terrasse hatte Ausmaße angenommen, die es ihm unerträglich erschwerten, sich zu konzentrieren. Und so erhob er sich schließlich missmutig und trat an die offene Terrassentür, um dem Paar anzuraten, den verflixten Streit gefälligst woanders auszutragen. Doch sofort wurde ihm bewusst, dass es sich nicht um ein Liebespaar handelte. Vielmehr zwang sich der junge Hund Richard Sugdon einer jungen Dame auf, die Rupert nicht genau sehen konnte. Sie wurde halb von den Armen Sugdons verborgen, es war aber dennoch deutlich zu erkennen, dass sie sich gegen ihn wehrte, mit Worten wie mit Taten.

Eine zierliche blonde Dame in einem violetten – nein, in einem veilchenblauen Seidenkleid. Wenn er sich nicht irrte, war es tatsächlich keine andere als Pandora Maybury, die Duchess of Wyndwood. Und er irrte sich nur selten.

„Na sieh mal einer an, Devlin“, brauste Sugdon auf.

„Für Sie Euer Gnaden, der Duke of Stratton“, korrigierte Rupert ihn mit eisiger Stimme. „Ich habe bereits genug gesehen und gehört, um zu wissen, dass Sie diese Dame belästigen.“

„Nichts an ihr erinnert an eine Dame …“ Sugdons Beleidigung wurde abrupt unterbrochen, als Rupert ihn am Krawattentuch packte und gegen die Backsteinmauer stieß.

Ruperts Gesicht befand sich dicht vor dem des jungen Mannes. „Erstens ist die Duchess“, brachte er zornig hervor, erleichtert darüber, seinem eigenen Ärger Luft machen zu können, „ein Mitglied des ton und somit sehr wohl eine Dame. Zweitens hat sie deutlich Ihre Avancen zurückgewiesen. Stimmt das?“ Die Kälte seiner Stimme genügte, um den jungen Mann erblassen zu lassen.

Sugdon schluckte mühsam. „Ja.“

Rupert verstärkte den Griff um sein Krawattentuch. „Und drittens: Sollte ich Sie jemals wieder in der Nähe Ihrer Gnaden sehen, werde ich dafür sorgen, dass Sie das bereuen. Ich denke, es wäre Ihrer Gesundheit sehr zuträglich, wenn Sie die nächsten Tage dazu nutzten, Ihre Angelegenheiten hier zu erledigen, um sich sofort danach für den Rest der Saison aufs Land zurückzuziehen.“

„Aber …“

„Und zum Abschied, bevor Sie gehen“, fuhr Rupert mit trügerisch sanfter Stimme fort, „können Sie sich bei der Duchess für Ihr gänzlich inakzeptables Benehmen von eben entschuldigen.“

Sugdon verzog verächtlich den Mund. „Ich habe nicht die Absicht, mich bei einer wie ihr zu entschuldigen.“

„Jetzt sofort, Sugdon. Bevor ich mich vergesse und Sie windelweich prügle.“ Tatsächlich war er heute Abend derart schlechter Stimmung, dass Rupert nichts lieber gewesen wäre, als sich auf diese Weise Luft zu machen.

„Die Frau stellt doch schon seit Wochen bewusst ihre Reize zur Schau …“

„Das ist nicht wahr!“, rief Pandora entgeistert. Lord Sugdon machte sie offensichtlich verantwortlich für die demütigende Lage, in der er sich plötzlich befand. Wie er allerdings zu diesem Schluss gekommen sein konnte, war ihr völlig unbegreiflich. Schließlich hatte Pandora nicht das Geringste getan, um sein schockierendes Benehmen zu ermutigen. Nicht einmal den Duke of Stratton hatte sie um Hilfe gebeten.

Schaudernd wandte sie sich von dem hasserfüllten Blick seiner Augen ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Duke. „Mir wäre es lieber, Sie ließen ihn einfach gehen, Euer Gnaden, damit er sobald wie möglich aus meiner Nähe verschwinden kann“, bat sie ihn mit rauer Stimme.

Rupert Stirling blickte sie nicht einmal an. „Nicht, bevor er sich bei Ihnen entschuldigt hat.“

Unruhig sah sie zu Lord Sugdon hinüber. Er mochte ja Angst vor der Vergeltung haben, aber gewiss empfand er vor ihr keine derartige Ehrfurcht. Ganz im Gegenteil. Wenn Blicke töten könnten, läge sie schon längst niedergestreckt auf den kalten Fliesen der Terrasse!

Lord Sugdon straffte die Schultern und sagte gereizt: „Vergeben Sie mir, Euer Gnaden.“

Sie benetzte sich die Lippen, bevor sie stockend hervorbrachte: „Ich nehme Ihre Entschuldigung …“

„… selbstverständlich nicht an!“, fiel ihr der Duke ins Wort. „Aus welchem Grund entschuldigen Sie sich, Sugdon?“, drängte er den jungen Mann. „Weil Sie zugeben, wie unzumutbar Sie sich Ihrer Gnaden gegenüber benommen haben? Oder bedauern Sie es lediglich, auf frischer Tat ertappt worden zu sein, als Sie versuchten, ihr Gewalt anzutun?“

Sugdon schüttelte heftig den Kopf. „Ich verstehe nicht, wieso Sie einen solchen Aufstand machen, wenn doch jeder weiß, dass die Frau auf der Suche nach dem erstbesten Mann ist, der das Bett mit ihr teilt. Jetzt, da ihr Trauerjahr vorüber ist. Es sei denn, Sie sehen sich in der Rolle dieses Mannes, Stratton, und in dem Fall entschuldige ich mich, falls ich Ihnen auf die Zehen getreten bin. Wenn Sie das kleine Vögelchen für sich selbst …“ Er kam nicht weit mit seinem Vorwurf, da ließ der Duke schon sein Krawattentuch los, um auszuholen und ihm einen wohlgezielten Schlag auf das Kinn zu verpassen. Lord Sugdon stürzte bewusstlos zu Boden.

„Euer Gnaden!“ Pandora starrte entsetzt auf den reglos daliegenden Mann.

Erst jetzt schenkte Rupert der offensichtlich bestürzten Pandora Maybury einen Blick. Die hauchdünne Chemise unter dem zerrissenen Ausschnitt ihres Kleides enthüllte überraschend volle Brüste – wie er anerkennend feststellte –, ebenso zeichneten sich rosige Brustspitzen dunkel unter dem weißen Stoff ab.

Pandoras Wangen nahmen eine ähnlich rosige Farbe an, als sie sah, wohin er schaute, und hastig raffte sie die Fetzen ihres Kleides zusammen, um ihre Nacktheit vor ihm zu verbergen.

Rupert betrachtete sie unter halb gesenkten Lidern. Wie zum ersten Mal bemerkte er ihr goldblondes Haar, von dem einige Locken ihre Schläfen und ihren Nacken umschmeichelten, ihr vollkommenes Gesicht, das blass aussah im Mondlicht. Zu schade, dass sie ihren Blick auf den Mann richtete, der am Boden lag, denn so war es ihm nicht möglich, jene „bemerkenswert schönen“ veilchenblauen Augen zu bewundern, die sein Freund so wortgewandt beschrieben hatte.

Sie benetzte sich die volle Unterlippe, bevor sie heiser fragte: „Was sollen wir mit ihm anstellen?“

„Ich habe nicht die Absicht, irgendetwas mit ihm anzustellen, Madam. Vielmehr werde ich ihn einfach da liegen lassen, wo er hingefallen ist.“

„Aber …“

„Zweifellos wird ihn das Kinn gehörig schmerzen, wenn er erwacht“, fügte er voller Genugtuung hinzu. „Aber das und sein verletzter Stolz werden alles sein, worunter er leiden wird. Es sei denn, Sugdon hatte recht und Sie haben seine rauen Aufmerksamkeiten tatsächlich ermutigt und bedauern jetzt mein Eingreifen.“ Rupert betrachtete sie nachdenklich.

Empört schnappte Pandora nach Luft. Ihre Wangen glühten. „Wie können Sie so etwas auch nur denken?“

Er zuckte mit den Schultern. „Einige Frauen ziehen einen gewissen … Überschwang beim Liebesspiel vor.“

„Ich versichere Ihnen, ich gehöre nicht zu diesen Frauen!“, fuhr sie ihn ärgerlich an. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen …“

„Sie können unmöglich mit diesem zugerichteten Kleid ins Haus zurückkehren.“ Rupert machte kein Hehl aus seiner Ungeduld, während er aus seinem schwarzen Frackrock schlüpfte und ihn ihr hinhielt. „Hier, legen Sie sich das um die Schultern. Ich kümmere mich inzwischen um eine Kutsche, die Sie heimfahren kann.“

Pandora achtete penibel darauf, dass sie nicht mit den Händen des Dukes in Berührung kam, als sie seinen Rock entgegennahm. Mühsam versuchte sie, sich den Stoff ihres zerrissenen Kleides vor die Brust zu halten und gleichzeitig die Jacke umzulegen.

„Du meine Güte, Mädchen, lassen Sie mich das tun!“ Der Duke seufzte gereizt, nahm ihr die Jacke ab und legte sie ihr selbst um die Schultern.

Sofort wurde Pandora von der Wärme umhüllt, die der Stoff vom Körper des Dukes aufgenommen hatte, und gleichzeitig von dem Duft seines Rasierwassers und der Zigarre, die er eben geraucht hatte. „Ich gehe hinein und schicke nach der Kutsche, dann sorge ich noch dafür, dass unsere Gastgeberin von den Kopfschmerzen erfährt, die Sie gezwungen haben, früher zu gehen.“ Er blickte voller Verachtung auf den jungen Mann, der sich in diesem Moment leicht rührte und ein Stöhnen von sich gab. „Ein sehr großer Kopfschmerz!“

Pandora wich dem durchdringenden Blick aus Devil Stirlings grauen Augen aus. „Ich glaube, ich habe Ihnen noch nicht gesagt, wie sehr ich Ihnen für Ihr rechtzeitiges Einschreiten verpflichtet bin, Euer Gnaden. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.“

„Wirklich nicht?“

Sie sah abrupt zu ihm auf, als sie den trockenen Ton hörte. „Euer Gnaden?“

„Schon gut“, lenkte er knapp ab und atmete tief ein. „Am besten gehen Sie in die Bibliothek, damit Sie die Türen abschließen können, während ich fort bin, und nicht wieder belästigt werden.“ Sein Blick heftete sich kurz auf den Mann zu seinen Füßen, der langsam wieder zu sich kam.

Pandora erschauderte trotz der Wärme der Jacke, die sie umhüllte, einer Wärme, die einerseits angenehm beruhigend auf sie wirkte, sie andererseits seltsam aufwühlte. „Sehr gern“, willigte sie ein und betrat vor dem Duke die von Kerzen erleuchtete Bibliothek. Ihr Herz klopfte etwas ruhiger, als sie ihn die Tür abschließen hörte und er gleich darauf die Vorhänge zuzog.

Jetzt, da die unmittelbare Gefahr vorüber war, wurde ihr erst richtig bewusst, was gerade geschehen war und was ihr hätte zustoßen können, wäre Rupert Stirling ihr nicht zu Hilfe gekommen. Lord Sugdon war trotz seiner Geckenhaftigkeit ein starker Mann, so viel stärker als sie. Wäre der Duke nicht rechtzeitig erschienen, hätte er sein Vorhaben gewiss zu Ende geführt.

„Sie sollten besser nicht zu viel darüber nachdenken, was hätte geschehen können“, riet ihr Rupert, der leicht den Grund für ihre plötzliche Blässe erriet.

„Nicht viel darüber nachdenken?“, wiederholte sie mit erstickter Stimme. „Wie kann ich das nicht, wenn er mich doch ohne Ihr Eingreifen …“

„Lieber Gott, jetzt weinen Sie doch nicht etwa!“ Rupert stöhnte leise auf, als er sah, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. Wie den meisten Männern gaben ihm weibliche Tränen ein Gefühl der Hilflosigkeit. „Vergessen Sie doch bitte nicht, dass ich eingegriffen habe, Madam, und denken Sie nicht mehr daran“, bat er sie hastig.

Sie öffnete die langen seidenweichen Wimpern und erlaubte ihm den ersten Blick in ihre „bemerkenswert schönen“ Augen. Erst jetzt erkannte er, dass sie tatsächlich die Farbe von Veilchen im Frühling hatten und einen Mann – mindestens zwei Männer, von denen er es sicher wusste – dazu bringen konnten, sich in ihren verführerischen Tiefen zu verlieren …

„Verzeihen Sie mir, Euer Gnaden. Ich wollte Sie nicht mit meinen Tränen beunruhigen.“ Pandora bemühte sich sichtlich, sich zu fassen, und betupfte die Wangen mit einem Spitzentaschentuch, das sie aus dem perlenbesetzten Retikül an ihrem schlanken Handgelenk geholt hatte.

Rupert war tatsächlich beunruhigt, aber eher wegen der unerwarteten Wirkung, die ihre Augen auf ihn hatten, als wegen ihrer Tränen. „Wenn Sie auch nur einen Funken Vernunft besitzen, versuchen Sie nicht, die Bibliothek zu verlassen, bevor ich mich um die Kutsche gekümmert habe.“

Pandora zuckte leicht zusammen über seine unfreundlichen Worte und das verärgerte Stirnrunzeln. Bereute er, ihr geholfen zu haben? „Ich versichere Ihnen, ich bin mir meiner misslichen Lage nur allzu bewusst, Euer Gnaden“, sagte sie leise. „Sollten Sie sich allerdings ohne Ihren Frackrock in der Halle sehen lassen?“

„Mir bleibt ja wohl keine andere Wahl, wenn Sie ihn im Moment so viel nötiger brauchen als ich.“ Er warf ihr noch einen Blick zu, bevor er sich auf dem Absatz umdrehte, den Raum verließ und die Tür fest hinter sich schloss. „Schließen Sie ab“, wies er sie noch einmal von der anderen Seite an.

Pandora folgte rasch seinem Befehl, zog dann seine Jacke fester um sich und lehnte sich matt gegen die Tür. Jetzt fühlte sie sich ein wenig sicherer, wusste aber, dass sie sich nur dann völlig in Sicherheit glauben würde, wenn sie Clayborne House und seine Gäste hinter sich gelassen hatte.

Einschließlich ihres widerwilligen Retters?

Ja, tatsächlich auch einschließlich des Dukes, gestand sie sich ein und begann plötzlich wieder zu zittern. Etwas in Rupert Stirlings Blick hatte sie berührt, diese durchdringende Art, sie zu mustern, als würde er sie voll und ganz in sich aufnehmen. Sein rascher Abgang deutete allerdings wohl eher darauf hin, dass er genug gesehen hatte und sie nun einfach nur so schnell wie möglich loswerden wollte.

Die Beine drohten unter ihr nachzugeben, je deutlicher ihr wieder bewusst wurde, was fast geschehen wäre. Gewiss, sie kannte die Meinung der Gesellschaft über sie. Man vermutete allgemein, sie hätte ihren Gatten mit Sir Thomas Stanley betrogen. Die beiden Männer hatten sich im Morgengrauen zu einem Duell getroffen, und wenige Minuten später hatten beide Gentlemen leblos auf dem Boden gelegen.

Doch alles, jede Einzelheit daran, war eine Lüge.

Eine Lüge jedoch, die der ton vor einem Jahr glauben wollte, als Pandora ihre Unschuld beteuert hatte. Leider bewies der heutige Vorfall, dass bis jetzt keiner daran glaubte. Auch das Gespräch zwischen Rupert und Dante zeigte ihr, dass sie von dem Gerücht damals gehört hatten und es für wahr hielten.

Vor der Heirat mit Barnaby vor vier Jahren war Pandora die naive, vertrauensvolle Miss Simpson gewesen, das einzige Kind Sir Walter Simpsons, eines verarmten Landadeligen und Gelehrten der griechischen Philosophie aus Worcestershire, und dessen Frau Sarah.

Nach Pandoras erster Saison, in der sie mehrere Anträge von Gentlemen erhalten hatte, die ihr zwar gefielen, aber die ihr Vater für ungeeignet hielt, war ihr erst später klar geworden, dass keiner dieser Herren wohlhabend genug gewesen war, um die Familie aus ihrer Armut zu reißen. Sir Walter hatte kein Talent für die Führung seines Gutes und seiner Ländereien besessen und stets seine Bücher vorgezogen.

Während Pandoras zweiter Saison hatte sie schließlich den Antrag des jungen, attraktiven und ausnehmend reichen Barnaby Maybury, Duke of Wyndwood, erhalten – ein Antrag, den Sir Walter ohne einen Moment zu zögern akzeptiert hatte.

Vielleicht war es ein wenig ungerecht von ihr, die Schuld an ihrer Ehe ganz ihrem Vater anzulasten, schließlich war er doch nicht mehr am Leben, um sich zu verteidigen. Er war vor drei Jahren an einer Influenza gestorben, ihre Mutter nur wenige Wochen danach von ihr gegangen. Immerhin musste Pandora zugeben, wie sehr es ihr geschmeichelt hatte, dass ein so schöner, wohlhabender Mann wie Barnaby Maybury ihr den Hof machte – und sie seine Duchess werden würde.

In jenen aufregenden Tagen ihrer kurzen Verlobung, als er ihr gegenüber noch so charmant und aufmerksam gewesen war, hatte es noch keine Anzeichen für den Albtraum gegeben, zu dem ihr Leben sich auswachsen würde.

Und der Albtraum hatte nicht aufgehört, auch nach dem Tod ihres Mannes in dem Duell nicht, das angeblich stattgefunden hatte, um ihre Ehre zu verteidigen. Heute hatte er mit Lord Sugdons niederträchtigem Angriff seinen endgültigen, demütigenden Höhepunkt erreicht.

Endgültig, so sollte es sein. Pandora erkannte an diesem Abend, dass es besser wäre für jeden – ganz besonders aber für sie –, wenn sie sich ganz aus der Gesellschaft zurückzog.

Der Großteil von Barnabys Vermögen war an einen entfernten Verwandten gegangen, seinem männlichen Erben, da er keine Kinder hinterlassen hatte. Aber der Ehevertrag hatte wenigstens vorgesehen, dass Pandora nicht mittellos zurückblieb. Bis auf ein kleines Vermögen, das für ihre Bedürfnisse mehr als ausreichte, besaß sie noch ein Haus in London. Zwar in keiner besonders vornehmen Gegend, doch ein Verkauf würde ihr gewiss ermöglichen, sich irgendwo auf dem Land ein kleines Anwesen zu erwerben, in dem sie den Rest ihres Lebens in friedlicher Abgeschiedenheit verbringen konnte.

Sie wusste, Sophia und Genevieve würden sie von dem Plan abbringen wollen. Beide Frauen hatten ihr oft über schwierige Zeiten hinweggeholfen und ihr sogar versichert, es gäbe keine Ehefrau, die sich nicht manchmal wünschte, ihrem Mann Hörner aufzusetzen oder ihn vielleicht sogar ein für alle Mal verschwinden zu lassen.

Doch so nah sie Sophia und Genevieve jetzt auch stand, Pandora konnte selbst ihnen nicht verraten, dass sie sich diese Taten nicht vorzuwerfen hatte. Es gab Gründe dafür. Andere Menschen, noch unschuldiger als sie, könnten durch die Wahrheit ernsthaft verletzt werden.

Nach den unangenehmen Ereignissen des heutigen Abends allerdings, und so sehr sie die Freundschaft der beiden Damen schätzte, sah Pandora keinen anderen Ausweg. Sie musste London verlassen, wenn sie nicht auch anderen ehrlosen Männern wie Sugdon zum Opfer fallen wollte. Und um nichts auf der Welt wollte sie das.

„Sie können aufschließen, Pandora.“ Ein rasches Klopfen, gefolgt von den knappen Worten des Duke of Stratton.

Rupert erkannte auf einen Blick, dass Pandora sich ein wenig gefasst hatte. Noch immer war sie sehr blass, was ihren veilchenblauen Augen eine gehetzte Eindringlichkeit verlieh. Aber der Ausdruck auf ihrem hübschen Gesicht sprach von klarsichtiger Würde und erinnerte nicht mehr daran, wie aufgewühlt sie noch vor so kurzer Zeit gewesen war.

Autor

Carole Mortimer
<p>Zu den produktivsten und bekanntesten Autoren von Romanzen zählt die Britin Carole Mortimer. Im Alter von 18 Jahren veröffentlichte sie ihren ersten Liebesroman, inzwischen gibt es über 150 Romane von der Autorin. Der Stil der Autorin ist unverkennbar, er zeichnet sich durch brillante Charaktere sowie romantisch verwobene Geschichten aus. Weltweit...
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