Flammen der Leidenschaft

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Eigentlich bewahrt der Feuerwehrmann Aidan immer einen kühlen Kopf. Bis er seine Jugendliebe Kenzie von einem brennenden Boot rettet - bei diesem Einsatz lodern nicht nur die Flammen heiß … Kann er sein Verlangen durch eine sinnliche Nacht mit Kenzie endlich für immer stillen?


  • Erscheinungstag 18.06.2018
  • ISBN / Artikelnummer 9783733736255
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Die Feuerglocke läutete schon zum vierten Mal seit Mitternacht. Diesmal riss sie Aidan Donnelly aus einem erotischen Traum, in dem er äußerst fantasievollen Sex mit einer umwerfenden Blondine hatte. Offensichtlich stand Sex, ob imaginär oder real, für ihn in dieser Nacht nicht auf dem Programm.

Nach einer höllisch anstrengenden Doppelschicht, die eigentlich gleich zu Ende gewesen wäre, mussten er und sein Team erneut zu einem Einsatz ausrücken.

Während er die hinreißende Blondine aus seinen Gedanken verscheuchte und sich unter dem allgemeinen Gestöhne und Genörgel seines Teams erhob, warf Eddie die neueste Ausgabe der Time beiseite, auf deren Titelbild eine ganze Feuerwehrmannschaft abgebildet war.

„Was hat man davon, dass dieser Job angeblich so sexy ist, wenn man zu abgekämpft ist, um davon zu profitieren“, maulte er.

„Nicht alle von uns brauchen ihren Schönheitsschlaf“, warf Eddies Partner Sam ein. „Wie unser Kalenderstar hier“, stichelte er mit einem Blick auf Aidan, der zu müde war, um darauf einzugehen.

Ohne sein Zutun war Aidan zu Santa Reys aufregendstem Feuerwehrmann des Jahres gewählt worden. Eine fragwürdige Ehre, die mit einer weiteren verbunden war: Ein Foto von ihm zierte das Titelblatt des diesjährigen Feuerwehrkalenders der Gemeinde. „Ich habe meinen Namen nicht ins Spiel gebracht.“

Eddie grinste. „Nee, das waren wir, Mr. Waschbrettbauch.“

Aidan verzog nur das Gesicht und holte seine Ausrüstung. Da er sich noch immer wie gerädert fühlte, überließ er das Steuer Ty, seinem derzeitigen Partner, der ihnen von einer anderen Feuerwache zugeteilt worden war. Zach, sein eigentlicher Partner, war noch immer krankgeschrieben.

Nachdem auch Eddie, Sam, Cristina und Aaron, der ebenfalls nur vertretungsweise bei ihnen war, ihre Plätze eingenommen hatten, fuhren sie in die Nacht – oder vielmehr frühe Morgendämmerung – hinaus und folgten dem Rettungswagen, der vor ihnen das Gelände verließ. Die Luft war feucht vom nahen Ozean. Noch war es angenehm kühl, doch mittags würde es heiß werden in der kalifornischen Augusthitze. Aidan sprach über Funk mit der Einsatzzentrale. „Eine Explosion“, unterrichtete er die anderen dann grimmig.

„Wo?“, fragte Ty.

„Am Hafen.“ Das konnte praktisch überall sein, angefangen bei den Schiffsanlegestellen bis hin zu den ganzjährig bewohnten Hausbooten. „Bisher brennt nur ein Boot, aber das Feuer könnte auf andere übergreifen, und es ist noch nicht klar, was die Explosion verursacht hat.“

Hinter ihm fluchte Eddie, und Aidan stimmte ihm in Gedanken zu. Explosionen waren heikler als normale Feuer und sehr viel unberechenbarer.

„Schicken sie Verstärkung?“, fragte Sam.

Sie brauchten Unterstützung. Die Männer seiner Schicht waren völlig überarbeitet und schon fast am Ende ihrer Kräfte. Es gab viel zu tun, obwohl die eigentliche Brandsaison noch nicht einmal begonnen hatte. Sie hatten einen schlimmen Monat hinter sich. Sein Partner und bester Freund Zach war verletzt worden, als er versucht hatte, die mysteriösen Brandstiftungen aufzuklären, von denen Santa Rey heimgesucht worden war. Brandstiftungen, die jetzt mit Blake Stafford, einem ihrer eigenen Leute, in Verbindung gebracht wurden.

Allein der Gedanke versetzte Aidan jedes Mal einen Stich. Zach war krankgeschrieben, und Blake war tot. Es war für sie alle eine äußerst schwere Zeit gewesen. Besonders für Cristina, Blakes Partnerin. Sie hatte sich sehr gequält wegen seines Verlusts und auch wegen der Brandstiftungen, die ihm zur Last gelegt wurden.

Aidan hielt sich für einen ziemlich harten Typen, den nichts so leicht erschüttern konnte, aber Blakes Verlust hatte auch ihm beinah das Herz zerrissen. Er vermisste ihn und ärgerte sich über die gegen Blake erhobenen Vorwürfe. Er wollte weder glauben, dass Blake tot war, noch, dass er für diese Brandstiftungen – und den damit verbundenen Tod eines kleinen Jungen – verantwortlich war. Keiner von ihnen wollte das glauben, aber sämtliche Indizien wiesen darauf hin.

„Sie schicken uns zusätzliche Wagen von anderen Wachen.“

Keiner sagte etwas, aber alle dachten das Gleiche. Die Kollegen würden noch mindestens zehn Minuten bis zum Brandort brauchen. Ihr ungutes Gefühl verstärkte sich, als sie in die Zufahrtsstraße zum Hafen einbogen.

Wie sich herausstellte, wütete das Feuer nicht an den Docks, sondern an den Anlegestellen für kleinere Jachten, die sich in Privatbesitz befanden. Insgesamt waren es um die vierzig Boote, die hier lagen, und viele von ihnen waren bewohnt.

Chaos herrschte in der Morgendämmerung. Ihr Vorgesetzter war gewöhnlich als Erster vor Ort und richtete eine Kommandozentrale ein, doch diesmal kam er von einem anderen Brandort und war erst fünf Minuten nach ihnen da. Der Himmel war mondlos, und die Sicht wurde zusätzlich erschwert durch die dichten schwarzen Rauchwolken, die das Atmen schier unmöglich machten. Von einem Boot, das am zweiten der vier Piere vertäut war, schossen meterhohe Flammen in die Luft. Aidans Magen verkrampfte sich, als sein Blick über die dicht an dicht liegenden Boote neben der brennenden Jacht glitt.

Das sah gar nicht gut aus.

Während sie ihre Ausrüstung bereit machten, fuhren drei Streifenwagen und der Einsatzleiter vor, und die Polizei begann sofort, das Hafengebiet abzusperren. Aidan und sein Team mussten das Feuer eindämmen. Es war so heiß, dass man die Hitze schon aus über dreißig Metern Entfernung spüren konnte. Da der Chief inzwischen vor Ort war und Befehle in sein Funkgerät brüllte, begannen Aidan und die anderen sich mit ihren Schläuchen in Richtung Bootsstege zu bewegen, um zu verhindern, dass das Feuer auf die anderen Boote übergriff. Sie waren schon auf halbem Weg, als sie den Schrei vernahmen.

Einen schrillen, angsterfüllten Schrei.

Aidans Nackenhaare sträubten sich. Er und sein Partner ließen alles fallen, um zu dem brennenden Boot zu laufen.

Wieder ertönte der Schrei, der eindeutig von einer Frau kam, und Aidan lief noch schneller. Niemand wusste besser als ein Feuerwehrmann, wie es war, von Flammen eingeschlossen zu sein, die an einem emporzüngelten und einem die Haut versengten. Es war der pure Horror.

Sie mussten die Frau rechtzeitig erreichen.

Hinter ihnen kamen Sam, Eddie, Cristina und Aaron, die ihre Wasserschläuche auf die Flammen hielten, um ihm und Ty einen Weg zum Boot zu bahnen. Als sie vielleicht noch drei, vier Meter entfernt waren, sah er die Frau, die schwankend an Deck des brennenden Bootes stand, die Flammen schon direkt hinter ihr.

„Springen Sie!“, schrie er und fragte sich, wieso sie nicht schon auf den nahen Pier gesprungen war. „Springen …“

Eine weitere Explosion erschütterte den Pier. Aidan kam schlitternd zum Stehen, fuhr herum und warf sich nieder. Die Flammen prasselten immer heftiger, und Trümmer schossen in die Luft empor. Der Chief schrie etwas ins Funkgerät. Aidan meldete sich, während er sich mit angehaltenem Atem nach der Frau umsah.

Da! Sie war noch an derselben Stelle wie zuvor, nur dass sie jetzt auf dem Boden kauerte und sich den Kopf hielt. Verdammt! Aidan rappelte sich auf, nahm Anlauf und sprang zu ihr aufs Boot.

Sie schrie panisch vor Schreck los, als er neben ihr aufkam. „Schon gut“, sagte er und ließ sich neben ihr auf die Knie fallen, um zu sehen, ob sie verletzt war, aber der Rauch war so dicht, dass sie kaum mehr als ein Schatten war.

„Das Boot“, keuchte sie zwischen Hustenanfällen. „Es … explodiert …“

„Können Sie aufstehen?“

„Ja. Ich …“ Sie gab einen Laut von sich, der ihn an irgendetwas erinnerte, aber er verdrängte den Gedanken, als sie sich aufrappelte. Mit seiner Hilfe stand sie auf, riss sich aber sofort wieder von ihm los und starrte zu den Flammen auf, die an Mast und Segeln hinaufzüngelten. „Oh Gott, oh Gott …“

Er zog sie an sich, um mit ihr auf den Pier zu springen, im selben Moment fiel ihm der Name des Bootes ins Auge.

Blake’s Girl.

Nein. Das kann nicht sein, schoss es ihm durch den Kopf, und augenblicklich wurde ihm noch etwas viel Besorgniserregenderes bewusst – das Ächzen und Vibrieren des Decks unter ihren Füßen. „Wir müssen weg!“

„Nein, bitte nicht!“, flehte die Frau. „Retten Sie das Boot.“

„Uns zuerst.“ Mehr brachte er nicht heraus wegen all der Befürchtungen, die ihm durch den Kopf schossen. Blake’s Girl

Er hatte vollkommen vergessen, dass Blake ein Boot besessen hatte. Und dann diese Frau in seinen Armen, die ihn zwar nicht ansah, ihm aber dennoch bekannt vorkam. Da war etwas an ihren widerspenstigen blonden Locken, dem Klang ihrer Stimme, das ihm vertraut war.

Die Intensität des Feuers hatte sich in der kurzen Zeit fast verdoppelt. Das Deck unter ihren Füßen schwankte und bebte, als würde es keine Sekunde länger halten.

Sie würden in die Luft fliegen. Aidan fuhr fluchtbereit herum und erlebte eine weitere böse Überraschung – das Feuer hatte ihnen mittlerweile auch den sicheren Fluchtweg in Richtung Kai versperrt.

Auf der anderen Seite der monströsen Flammen standen mit ihren Schläuche in den Händen Ty, Eddie und Sam und bekämpften das Feuer vom Anleger aus, was ihm und der Frau aber schon nicht mehr half. Auch Cristina und Aaron waren dort, und selbst auf die Entfernung konnte er ihre Anspannung und ihre grimmige Entschlossenheit, ihn zu beschützen, spüren.

Sie hatten erst kürzlich einen Kameraden verloren; sie würden nicht zulassen, dass das erneut geschah.

„Oh Gott“, stieß die Frau neben ihm aus und starrte wie hypnotisiert auf die Flammen, die sie von allen Seiten einschlossen.

Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte auch Aidan, als er nun zum ersten Mal einen guten Blick auf sie erhielt. Er kannte dieses Profil.

„Kenzie?“

Als sie ihren Namen hörte, sah sie ihn aus großen Augen überrascht an. Ihr welliges blondes Haar umrahmte ein blasses, mit Ruß und Blut verschmiertes, aber trotzdem bildhübsches Gesicht.

Es war Mackenzie Stafford, Blakes Schwester. Kenzie für diejenigen, die sie kannten und liebten; Sissy Hope für Millionen von Zuschauern, die sie in der Soap Hope’s Passion sahen.

Ihn interessierte ihr Fernsehruhm nicht. Er kannte sie persönlich.

Sehr persönlich.

„Kenzie!“, brüllte er sie an und packte ihre Schultern. „Ich will, dass du den Atem anhältst, wenn ich es dir sage.“ Es lagen etwa sechs Meter Wasser zwischen der Blake’s Girl und dem nächsten Boot, das ebenfalls schon qualmte und jeden Moment Feuer fangen konnte.

„K…kenne ich Sie?“

In der Dunkelheit, mit seinem Helm und seiner Ausrüstung und mit all dem Chaos um sie herum konnte sie ihn vermutlich nicht richtig sehen. Trotzdem ärgerte es ihn, dass sie ihn nicht erkannte. „Ich bin’s, Aidan. Halt den Atem an. Bei drei!“

„Aidan? Mein Gott!“

„Bist du bereit?“

„Das Boot wird explodieren, nicht?“

Ja, und uns mit in den Tod reißen, wenn wir uns nicht beeilen. Da sie den nächsten Pier nicht mehr erreichen konnten, blieb ihnen nur der Sprung ins kalte Wasser.

„Nein, es muss noch einen anderen Weg geben!“ Kenzie sträubte sich.

Den gab es aber nicht, deshalb legte Aidan hastig seine Jacke und die Ausrüstung ab. Zwar boten ihm die zusätzlichen fünfundsiebzig Pfund Gewicht in den Flammen Schutz, doch im Wasser waren sie eher hinderlich. Er war froh, dass Kenzie bei Bewusstsein war. Ein rascher Blick verriet ihm, dass sie weder Schuhe noch irgendetwas anderes Schweres an sich trug. „Bei drei hältst du den Atem an, okay?“

„Ich glaube nicht …“

„Eins …“ Er schob sie auf die Reling zu.

„Aidan …“

„Zwei …“

„Bist du verrückt?“

„Drei!“

„Nein, verdammt, ich …“

Er stieß sie ins Wasser, und sie schrie, bis sie darin versank.

2. KAPITEL

Kenzie versank im eisigen Ozean, und erst als sie prustend Wasser schluckte, merkte sie, dass sie vergessen hatte, den Atem anzuhalten – was sie jedoch sofort wieder vergaß, als hinter ihr die Blake’s Girl explodierte.

In dem gewaltigen Getöse registrierte sie kaum, dass sich zwei starke Arme um sie legten und sie hielten, während brennende Wrackteile durch die Luft flogen und neben ihr aufs Wasser aufschlugen.

Aidan. Mein Gott, Aidan. Dass er es war, brachte sie völlig durcheinander. Sie wollte ihn daran erinnern, dass sie schwimmen konnte, aber das eisige Wasser raubte ihr den Atem und beeinträchtigte ihre Fähigkeit zu denken.

Sie hatte so etwas noch nie erlebt. Noch nie war ihr so heiß und kalt zugleich gewesen. Die Flammen prasselten jetzt zwar hoch über ihnen, waren aber deshalb nicht minder Furcht einflößend. Gleichzeitig ergriff eine Eiseskälte von ihr Besitz, die sie lähmte, ihr die Brust zusammenpresste und die letzte kostbare Luft aus ihren überstrapazierten Lungen drückte.

Jemand schrie, und Kenzie beneidete ihn um die Fähigkeit, Luft schöpfen zu können, da ihre eigenen Lungen sich anfühlten, als wäre sie zwischen zwei Mühlsteine geraten.

Wieder hörte sie einen Schrei, und ihr wurde klar, dass sie es war, die voller Entsetzen um ihr Leben kämpfte und nach Luft schnappte.

Zwei kräftige Arme legten sich um sie und hielten ihren Kopf über Wasser, ein breiter Körper schirmte sie vor herumfliegenden Trümmern ab. Ohne die Hilfe des Feuerwehrmannes wäre sie untergegangen wie ein Stein.

„Ganz ruhig, Kenzie“, hörte sie ihn sagen. „Ich hab dich. Es wird alles gut.“

Sie war verletzt und fühlte sich elend, dennoch stürmten beim Klang seiner Stimme die Erinnerungen auf sie ein.

Wieso hatte sie ihn nicht sofort erkannt?

Er war schließlich der Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte.

Ohne den Helm konnte sie jetzt sein Gesicht besser sehen. Er wirkte nicht gerade, als würde er sich freuen, sie zu sehen. Wenn er nicht gerade dabei wäre, ihr das Leben zu retten, würde das durchaus auf Gegenseitigkeit beruhen. „Aidan.“ In seinen Augen spiegelte sich das Feuer auf der Blake’s Girl. Sie brannte mittlerweile lichterloh. „Mein Gott, wir wären beinah …“

„Ich weiß.“

Sein kurzes, dunkles Haar klebte an seinem Kopf, Wasser rann in kleinen Bächen über sein blasses Gesicht, und er blutete aus einer Platzwunde über einer Augenbraue. Trotz allem kam ihr der absurde Gedanke, wie unwahrscheinlich gut er aussah.

Aidan Donnelly, ihr erster richtiger Freund, ihre große Liebe. Sie konnte es kaum glauben und wusste nicht, was sie denken oder sagen sollte, daher drehte sie sich um und starrte auf das Inferno auf dem Boot. „Es explodierte einfach so, und ich …“

„Kenzie …“

„Ich saß einfach nur da und dachte an Blake, und plötzlich …“

„Kenzie“, unterbrach Aidan sie scharf. „Du musst mir jetzt zuhören. Kannst du das?“

Sie konnte inzwischen wieder atmen, aber zuhören? Ihr dröhnten immer noch die Ohren. Das Wasser war schrecklich kalt, und sie zitterte so heftig, dass ihre Zähne aufeinanderschlugen.

„Halt dich an mir fest, Kenzie. Mehr brauchst du nicht zu tun. Halt dich einfach an mir fest.“

Halt dich einfach an mir fest.

Sie war in Santa Rey aufgewachsen und hatte sich früher einmal oft genug an Aidan festgehalten. Sich an ihm festgehalten, mit ihm gelacht, mit ihm geschlafen.

Aidan hatte damals gerade seine Ausbildung zum Feuerwehrmann abgeschlossen. Er war beliebt, hatte einen umwerfenden Körper und wusste auch, wie er ihn einsetzen musste. Er hatte sie völlig aus der Bahn geworfen.

Wie lange ist das nun schon her? fragte sie sich. Sechs Jahre? Kenzie schüttelte sich. Sie konnte kaum noch denken und schon gar nicht rechnen.

Aidan schleppte sie in Richtung Kai, weg von dem Boot und der Gefahr, die von den herumfliegenden Trümmern ausging. Er versuchte den Feuerwehrmännern an Land etwas zuzurufen, doch sie glaubte nicht, dass sie ihn bei dem Lärm verstehen konnten.

Kenzie erinnerte sich plötzlich, dass sie schon einmal bei einem Brand dabei gewesen war. Allerdings war das nur eine Simulation am Set von Hope’s Passion, bevor die Serie abgesetzt worden war. Die Umstände waren natürlich völlig andere. Was sie gerade erlebte, war keine Fernsehshow mit einem Drehbuch im Hintergrund, sondern das wahre Leben. Sie hätte jetzt nichts lieber als ein Skript mit einem Happy End gehabt.

Wenigstens war sie noch am Leben.

Blake hatte nicht dieses Glück gehabt. Da war er wieder, der schon vertraute Schmerz, der selbst ihre von der Kälte starren Glieder mühelos zu durchdringen schien – dieser Schmerz, der ihr ständiger Begleiter war, seit sie von Blakes Tod erfahren hatte. Was ihren Kummer noch verschärfte, sie verwirrte und empörte, war die Tatsache, dass Blake auch noch des Mordes und der Brandstiftung beschuldigt wurde.

Ein weiteres glühendes Wrackteil klatschte neben ihnen auf das Wasser, und Kenzie musste daran denken, dass es etwas war, das zu ihrem Bruder gehörte und das sie nie wiedersehen würde. Vielleicht war es aber auch ihr eigener Koffer oder ihr Laptop, der unter den gegebenen Umständen zwar kein großer Verlust war, aber die Drehbücher enthielt, die sie geschrieben hatte.

Wenigstens ein Gutes hätte es, wenn sie stürbe. Sie müsste sich keine Gedanken mehr darüber machen, dass sie ein Soapstar ohne Engagement war.

Welch verdammte Ironie des Schicksals. Sie hatte nie heimkommen können, als Blake noch lebte, weil sie zu beschäftigt gewesen war. Dann, nur wenige Tage nach seinem Tod, war ihre Serie abgesetzt worden. Jetzt konnte sie nach Santa Rey kommen, sooft sie wollte, doch Blake war nicht mehr da. Dies war seit Ewigkeiten ihr erster Besuch zu Hause, und sie war nur gekommen, um sich um seinen Nachlass zu kümmern, der jetzt im Wasser um sie herum verglühte.

„Halt durch“, sagte Aidan, den Blick auf irgendeinen für sie unsichtbaren Punkt gerichtet. Es war zu dunkel, um seine Augen deutlich sehen zu können, aber sie erinnerte sich, dass sie hellbraun waren mit grünen Sprenkeln.

Er warf ihr einen kurzen Blick zu und schwamm dann weiter, weg von den Flammen, aber auch weg von dem bisschen Wärme, während Kenzie tat, was er verlangt hatte, und sich an ihm festhielt. Sie konnte gar nichts anderes tun. Genau wie früher.

Warum musste ausgerechnet er es sein, der Mann, der ihr das Herz gebrochen hatte, der auf ihrem Stolz herumgetrampelt war und ihr dann den Rücken gekehrt hatte, ohne sich noch einmal umzublicken?

Bedauerte er Blakes Tod?

Glaubte er die Lügen?

Da dieser Gedanke und all die anderen, die er mit sich brachte, Kenzie aus ihrer tröstlichen Benommenheit zu reißen drohte, verdrängte sie sie rasch. Sie war seit sechs Jahren nicht mehr in Santa Rey gewesen, aber Blake hatte sie in L. A. am Set besucht, sooft er konnte. Außerdem waren sie per E-Mail und Telefon in Kontakt geblieben und hatten sich trotz der räumlichen Entfernung stets sehr nahegestanden. Er war alles an Familie, was sie gehabt hatte.

Nun war Blake nicht mehr da, war für immer fort aus ihrem Leben.

„Kenzie? Bist du noch bei mir?“

Aidans Gesicht wirkte hart vor Anspannung, sein Kinn rau, als hätte er seit Tagen keine Zeit gehabt, sich zu rasieren.

„Leider ja.“ Sie wünschte, sie wäre weit fort. Egal wo, Hauptsache, nicht hier bei ihm. Sie konnte die Bewegung seiner langen, kräftigen Beine an ihren spüren, was sie unvernünftigerweise ausgesprochen wütend machte. Sie wollte keine Hilfe, nicht von ihm. In einem Anfall von Trotz riss sie sich los, um ihm zu beweisen, dass sie ihn nicht brauchte, und ging unter wie ein Stein. Dabei war sie auch noch dumm genug, den Mund zu öffnen, und sog einen Schwall eisig kalten Salzwassers in ihre Lungen. Zum Glück wurde sie sofort wieder hinaufgezogen und an eine harte Brust gedrückt, während ein starker Arm sich um ihren Oberkörper legte und sie eisern festhielt – wie ein Feuerwehrmann das Opfer.

Nicht wie ein Exfreund seine Ex.

Sie musste wieder an früher denken und daran, dass er es gewesen war, der losgelassen hatte. Er wollte die Trennung wegen ihrer jeweiligen Berufe, so hatte er es begründet. Und auch, weil er ihre Beziehung nicht vor seinem Freund Blake verheimlichen wollte. Kenzie wusste, dass das nur eine Ausrede gewesen war. Er hatte sie verlassen, weil er geahnt hatte, dass sie sich in ihn verliebte. Er war für eine ernsthafte Beziehung noch nicht bereit gewesen.

Sie hatte ihn lange dafür gehasst, dass er sich keine Chance gegeben hatte, das Gleiche wie sie zu fühlen. Es hatte lange gedauert, aber irgendwann war ihre Wut verflogen. Sie hatte eingesehen, dass es richtig von ihm gewesen war, mit ihr Schluss zu machen, bevor sie noch mehr verletzt wurde. Das hatte ihren Schmerz damals allerdings nicht lindern können.

Vielleicht sollte sie sich glücklich schätzen, dass ihr Wiedersehen unter diesen Umständen stattfand – er bei seiner Arbeit und sie nur eins der vielen Opfer, die er rettete.

„Hör auf, dich zu wehren.“

Seine Stimme durchdrang den Lärm der Sirenen, das Prasseln des Feuers und das Rauschen der Wellen, die eben noch über ihrem Kopf zusammengeschlagen waren.

„Ich halte dich.“

„Das will ich aber nicht.“

„Okay, das verstehe ich. Aber du hast jetzt keine andere Wahl.“

„Von allen Feuerwehrmännern in dieser verdammten Stadt …“, weiter kam sich nicht, denn Wasser spritzte ihr ins Gesicht und den Mund. Als sie die Augen wieder aufriss, sah sie den Anflug eines grimmigen Lächelns über seine Lippen huschen. Ihm gefiel das Ganze also auch nicht mehr als ihr. Er sah sie nicht einmal an, sondern konzentrierte sich auf das Boot hinter ihnen und auf den Kai. Das erinnerte sie daran, dass er nicht nur ihre Haut zu retten versuchte, sondern wohl auch noch nach anderen Menschen Ausschau hielt, die Hilfe brauchten.

„Ich war allein auf dem Boot“, informierte sie ihn.

„Was wolltest du dort?“

„Mich von Blake verabschieden.“

„Kenzie …“

„Er hat nichts von dem getan, was ihr ihm vorwerft.“ Jetzt hatte sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit. „Er war es nicht, Aidan.“

„Hat er irgendwas zu dir gesagt, bevor er starb?“

Ihn so reden zu hören machte Blakes Tod noch realer. Kenzies Kehle war plötzlich so zugeschnürt, dass sie nur den Kopf schütteln konnte. Blake hatte absolut nichts zu ihr gesagt, was für sie alles noch schlimmer machte. „Er hat diese Brände nicht gelegt. Ich weiß es.“

„Kenzie“, sprach Aidan beruhigend auf sie ein.

Sie wollte nichts hören, schüttelte den Kopf und schloss die Augen, wodurch ihr jedoch derart schwindlig wurde, dass sie sich an Aidan festklammerte. „Ich will hier raus!“

„Ich weiß. Sie holen uns gleich.“

Das ist gut, dachte sie, denn irgendetwas schien plötzlich nicht mit ihr zu stimmen. Sie hatte das Gefühl, nicht mehr richtig sehen zu können, auch ihre Gedanken waren verschwommen. Hilflos und erschrocken drückte sie ihr Gesicht an Aidans Halsbeuge, aber diese so schmerzlich vertraute Geste rief wieder all die Erinnerungen wach.

Sie bildete sich ein, er roch genau wie früher. Dieser Duft, den sie nie ganz hatte vergessen können, brachte sie völlig aus der Fassung, mehr noch als die Tatsache, dass sie gerade eine Explosion überlebt hatte und ein nächtliches Bad im kalten Ozean nahm. Und mehr noch als die Tatsache, dass dies ein unangenehmes Wiedersehen mit dem einzigen Mann war, dem sie je die Macht gegeben hatte, ihr das Herz zu brechen.

„Kenzie.“ Aidan schüttelte sie. „Bleib bei mir. Mach die Augen auf. Bleib wach, und werd mir jetzt nicht ohnmächtig.“

Sie wollte sich nur noch dieser köstlichen Lethargie überlassen, die mehr und mehr Besitz von ihr ergriff. „Ich bin müde.“

„Ich weiß, aber du musst durchhalten. Du kannst alles schaffen, weißt du noch?“

Sie lächelte fast bei der Erinnerung an ihr persönliches Motto, dann fiel ihr wieder ein, wer sie daran erinnerte. Sie hatte früher tatsächlich einmal geglaubt, sie könnte alles erreichen mit Aidan an ihrer Seite.

Er hatte ihr das Gegenteil bewiesen.

Ihr fielen wieder die Augen zu. Es wäre so leicht, sich einfach fallen zu lassen und die Kälte nicht mehr zu spüren. Trotz ihrer Benommenheit wusste sie, dass das schlecht war, und zwang sich, die Augen aufzuschlagen.

Inzwischen waren am Kai Scheinwerfer eingeschaltet worden, und sie konnte Aidan zum ersten Mal deutlich erkennen. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, waren sie beide noch sehr jung gewesen. Sie war damals zweiundzwanzig und gerade von einem Agenten aus L. A., der ihr ihre erste kleine Rolle verschafft hatte, unter Vertrag genommen worden. Aidan war zwei Jahre älter, sehr fit und gut aussehend und überglücklich über seinen Job als Feuerwehrmann. Offensichtlich war er noch immer gut in Form, und er sah auch immer noch gut aus, wie sie jetzt feststellen konnte. Hätte er sie damals nicht so sang- und klanglos abserviert, wäre sie froh gewesen, ihn zu sehen.

Eine Gruppe von Feuerwehrleuten hatte sich mittlerweile zum Ende des Nachbarpiers vorgekämpft und sicherte ihn mit dicken Wasserstrahlen. Einer der Männer sprang ins Wasser und schwamm mit langen, kräftigen Zügen auf sie zu.

Autor

Jill Shalvis
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