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Ava ist auf der Flucht - vor den Paparazzi, die sie nach ihrer gescheiterten Ehe mit einem Spitzendiplomaten verfolgen. In einem Hotelpool fern der Heimat trifft sie auf Roman: ein Gentleman mit muskulösem Körper, dessen Blicke brennendes Verlangen in ihr wecken. Ava erwidert sein Flirten, schüchtern erst, und ergreift dann die Initiative: zu einem wilden Kuss, zu einer heißen Nacht und zu einem neuen Leben! Doch so sehr Ava das Hier und Jetzt mit Roman genießt - es fällt ihr mehr und mehr auf, dass er Fragen nach seiner Vergangenheit ausweicht. Was hat er zu verbergen?


  • Erscheinungstag 24.06.2012
  • Bandnummer 152012
  • ISBN / Artikelnummer 9783864941979
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Mit einem wohligen Seufzen ließ Ava Beckett sich in das warme Wasser gleiten und schwamm gemächlich zum gegenüberliegenden Ende des Pools. Auf ihre Unterarme gestützt betrachtete sie die glitzernden Lichter Melbournes siebenundzwanzig Stockwerke unter sich.

Sie hatte in Luxushotels auf der ganzen Welt übernachtet, aber keines war so dekadent und ausgefallen wie Melbournes Neuzugang, das Crown Metropol.

Mit einem zweiten Seufzen ließ sie den Rand los, drehte sich auf den Rücken und schloss die Augen. Sie hatte den Pool ganz für sich allein.

Wie oft hatte sie so etwas getan? Nämlich nichts? Ungefähr … nie. Die Tochter des Premierministers zu sein, war schon schlimm genug, die Ehefrau eines Politikers noch härter. Jeder Tag ihres Lebens war bis auf die letzte Sekunde verplant: was sie anzog, was sie tat, was sie aß und wann.

Ava öffnete die Augen, konzentrierte sich auf die Reflexionen des Wassers an der Decke und genoss es, sich einfach treiben zu lassen. Es fiel ihr immer noch schwer zu glauben, dass sie frei war.

Endlich.

Ihre Beziehung mit Leon hatte zehn Jahre gedauert, ihre langweilige Ehe zwei. Wirklich wehgetan hatte die öffentliche Schmutzkampagne nach der Scheidung. Unzählige frei erfundene Artikel in diversen Klatschzeitschriften hatten ihr das Leben zur Hölle gemacht.

Also war sie geflohen. Hatte Canberra gegen Melbourne eingetauscht, ihren Nachnamen zu Beck abgekürzt und war in dieses neue Hotel mit seiner wohltuenden Anonymität eingecheckt.

Sie brauchte Abstand von den fiesen Enthüllungsjournalisten, die sich einen Dreck um die Wahrheit scherten und sich nur für ihre Auflage interessierten. Sie brauchte eine Pause, um ihre neu gewonnene Freiheit zu genießen, ohne sich ständig ängstlich nach dem nächsten Teleobjektiv umblicken zu müssen, mit dem man sie in einem zweideutigen Moment ablichten könnte.

Es gab Bilder von ihr beim Schwimmen, beim Einkaufen, und wie sie zum Tanzkurs fuhr – drei absolut harmlose Fotos von absolut belanglosen Alltagssituationen, die einer frisch geschiedenen Frau jedoch nicht zuzustehen schienen. Man hatte sie frivol, hartherzig, gefühllos genannt – und das waren noch die netteren Bezeichnungen.

Ava wusste, warum man sich auf sie stürzte und Leon in Ruhe ließ, aber leichter wurde es dadurch nicht. Dass sie keine Fragen beantwortete, sich immer beherrscht gab und ihrem berühmten Vater und später ihrem extrovertierten Ehemann den Vortritt ließ, war ihr als Unnahbarkeit und Arroganz ausgelegt worden. Leon hingegen lächelte ständig und wusste immerzu unterhaltsame Anekdoten zu erzählen, was ihn zum Liebling der Presse machte.

Nach der Scheidung hatten sich die Medien geradezu auf sie eingeschossen. Ein angeblicher Skandal folgte dem nächsten. Sie hatte genug davon.

Es war an der Zeit, ihr Leben wieder selbst in die Hand zu nehmen. Der Umzug nach Melbourne garantierte diese Freiheit … wenn sie sich ruhig verhielt.

Ein leises Platschen in der Nähe sandte eine kleine Welle in ihre Richtung. Doch die sanfte Bewegung störte sie nicht. Vermutlich würde nicht einmal eine Flutwelle sie aus diesem surrealen Gefühl der langersehnten Unabhängigkeit reißen können.

Weiterhin mit geschlossenen Augen, ließ sie sich genüsslich zum Ende des Pools treiben, vollführte eine gemächliche Drehung und stieß unvermittelt mit voller Wucht mit jemandem zusammen.

Bunte Sternchen flackerten vor ihren Augen auf, sie sank unter Wasser und wurde plötzlich von starken Armen zurück an die Oberfläche gehoben.

„Geht es Ihnen gut?“

Ava hustete ein paar Mal, nickte dann beschämt und strich sich die Haare aus den Augen.

„Ja, es ist alles in Ordnung“, krächzte sie in genau dem Moment, als sie ihren Retter zum ersten Mal sah, und musste prompt wieder husten.

Vielleicht war der Aufprall doch fester als gedacht gewesen, denn sie hätte schwören können, der Mann, der sie mit beiden Händen festhielt, war George Clooney.

„Sie haben einen ganz schön harten Kopf“, sagte er. Sein Lächeln war so unwiderstehlich, dass ihr ganz eng um die Brust wurde.

Errötend deutete sie auf seinen Kopf. „Ich könnte dasselbe über Ihren sagen.“

„Touché.“

Sein Lächeln verschwand, Besorgnis verdunkelte seine braunen Augen. „Geht es Ihnen wirklich gut? Soll ich einen Eisbeutel besorgen? Oder Sie auf Ihr Zimmer begleiten?“

Ungläubig schüttelte Ava den Kopf, was sie sogleich bereute. Ein scharfer Schmerz flammte an der Stelle auf, wo sie mit dem Fremden zusammengestoßen war.

„Sagen Sie mir bitte, dass das jetzt kein lahmer Anmachversuch war!“

Verwirrt runzelte er die Brauen, was Ava erleichtert aufatmen ließ. Dann lachte er – ein tiefes volles Lachen, das ihr ein so wohliges Gefühl gab, als würde warmer Sirup über ihre Haut fließen.

„Ich kann Ihnen versichern, dass ich mir elegantere Wege vorstellen kann, eine wunderschöne Frau um eine Verabredung zu bitten, als sie in die Notaufnahme zu bringen.“

„So schlimm war der Aufprall auch nicht“, meinte sie und fuhr mit den Fingerspitzen über ihren Kopf. Unwillkürlich zuckte sie zurück, als sie die Schwellung berührte, die sich mittlerweile gebildet hatte.

„Lassen Sie mich mal sehen.“

Seltsamerweise ließ sie es zu und hielt ganz still, als nun er mit den Fingern durch ihr Haar fuhr. Sie genoss das prickelnde Gefühl seiner Berührung. Als er die Beule ertastete, hielt sie den Atem an und hob dann den Kopf. Ihre Blicke trafen sich. Und plötzlich geschah etwas Unglaubliches.

Es war, als durchzucke ein elektrischer Schlag ihren Körper.

Das muss ein starker Aufprall gewesen sein, dachte sie. Mit einiger Verspätung wurde ihr jetzt auch die Intimität ihrer Position bewusst: Seine Hand lag auf ihrer Hüfte, mit der anderen hielt er ihren Kopf. Ihre nassen Körper waren nur durch wenige Zentimeter voneinander getrennt.

Es war lange her, dass sie einem Mann so nahe gewesen war – beinahe hätte sie wie ein Kätzchen geschnurrt, dem man den Bauch krault.

„Das fühlt sich übel an. Vielleicht sollten Sie eine Weile in einem der Liegestühle ausruhen?“

Sie schaffte es, schweigend zu nicken und nicht lustvoll aufzustöhnen, als der Fremde ihr die feuchten Haare aus der Stirn strich. Von der langsamen Bewegung ging eine subtile Sinnlichkeit aus, die noch dadurch gesteigert wurde, dass Ava nun ungehinderte Sicht auf seine breite sonnengebräunte Brust bekam, die offensichtlich täglich mit Hanteln gestählt wurde.

Allerdings gehörte er nicht zu diesen neumodischen Typen mit einem Faible für Heißwachs, wie ihr die seidenweichen, dunklen Härchen auf seiner Brust verrieten. Warum, fragte sie sich sofort, fiel ihr das eigentlich auf?

„Ich helfe Ihnen.“

Verärgert über sich selbst, weil sie ihn so angestarrt hatte, hob sie den Blick. Wenn ihr Retter sie nicht weiterhin festgehalten hätte, wäre sie genau jetzt wieder untergetaucht. Denn in den schokoladenbraunen Augen des Unbekannten funkelte nicht etwa Besorgnis.

Nein, in den faszinierenden Tiefen schimmerte derselbe Hunger, eine wilde Begierde, die ihre Fantasie zu den verrücktesten Ideen anstachelte. Ideen, wie einfach die Beine um seine Hüften zu schlingen, wie mit den Händen über seine muskulöse Brust zu streicheln, wie den Fremden ermutigen, sie zum Rand des Pools zu tragen und leidenschaftlich zu küssen.

„Kommen Sie.“ Er räusperte sich. Die Rauheit in seiner Stimme sagte ihr, dass er wahrscheinlich jede ihre wilden Ideen in ihrem Blick gelesen hatte.

Schon in jungen Jahren war ihr beigebracht worden, ihre Gedanken zu verbergen und keine Emotionen auf ihrem Gesicht zu zeigen. Immer wieder hatte ihr Vater ihr die Vorsicht vor den überall lauernden Paparazzi und ihrer Weitwinkelkameras eingebläut. Also hatte sie gelernt, ihre wahren Gefühle hinter einer ausdruckslosen Maske zu verstecken.

Doch sich entspannt im warmen Wasser treiben zu lassen und sich anschließend lustvollen Fantasien mit einem gut aussehenden Fremden hinzugeben, hatte sie verleitet, diese Maske abzunehmen.

„Wie geht es Ihrem Kopf?“

„Ich werde es überleben.“

Er zwinkerte ihr zu, als sie die Treppe erreichten. Ava hätte schwören können, ihr Herz setze einen Schlag aus. „Außerdem können Sie immer noch zur Mund-zu-Mund-Beatmung übergehen, wenn ich plötzlich einen Herzstillstand erleide.“

Wenn sie doch nur gewusst hätte, wie man richtig flirtet! Um Zeit zu gewinnen, musterte sie eingehend die Stelle, an der sein Herz saß … was ihr die perfekte Entschuldigung gab, noch ein bisschen seine Brust anzustarren. Sie biss sich auf die Unterlippe und tat, als würde sie angestrengt nachdenken. „Wendet man Mund-zu-Mund-Beatmung nicht dann an, wenn der Verletzte nicht mehr atmet?“

„Das ist bereits seit fünf Minuten der Fall.“

Sie konnte nichts daran ändern, sie wurde knallrot.

Einen Freund der Familie unmittelbar nach der Uni zu heiraten, verlieh einem nicht unbedingt das Ansehen einer Femme fatale. Ihre Beziehung mit Leon war angenehm und ruhig gewesen, ohne jede sinnliche Spannung. Aber wenn sie länger hier an diesem Pool verweilte, hätte sie vielleicht die Chance, eine Lektion in Sachen Leidenschaft und Erotik von einem echten Experten erteilt zu bekommen.

„Ich glaube, jetzt geht es.“

Sie machte einen Schritt und stolperte prompt. Sofort streckte er die Arme aus und hielt sie fest. So viel zu ihrem Fluchtversuch … statt sich dem Fremden zu entziehen, erreichte sie genau das Gegenteil.

„Vorsicht! Sie haben vielleicht eine leichte Gehirnerschütterung.“

Von leicht konnte gar keine Rede sein; vielmehr war es die einzig mögliche Erklärung, weshalb sie ihm erlaubte, sie zu den Liegestühlen zu führen und sich dann auch noch neben sie zu legen.

Erst allmählich wurde ihr bewusst, dass sie nur einen tief ausgeschnittenen marineblauen Badeanzug trug. Doch als sie nach ihrem Bademantel greifen wollte, war der unbekannte Mann ihr wieder einen Schritt voraus.

„Hier, bitte schön.“

Er half ihr in den Mantel. Als sie den weichen blaugrauen Stoff auf ihrer Haut spürte, erschauerte sie unwillkürlich – nicht weil sie fror, sondern weil sie nicht mit der zärtlichen Geste des Fremden gerechnet hatte.

„Besser?“

Sie nickte und ließ zu, dass er sie mit sanften Händen zurück auf die Liege dirigierte.

„Sie können jetzt gehen.“

Ihre Worte klangen sehr hart, vor allem weil er sich so fürsorglich verhalten hatte. Doch sie brauchte dringend Zeit für sich allein. Er sollte nicht bei ihr bleiben, sollte lieber grob und unausstehlich sein als unbekümmert und nett.

Denn sich auf einem Liegestuhl neben einem heißen Fremden an einem menschenleeren Pool im höchsten Stockwerk eines eleganten Hotels zu rekeln, schmeckte zu sehr nach Abenteuer, Gefahr und Romantik … drei Dinge, die so rein gar nicht zu Ava passten.

„Ich wünschte, ich könnte, aber es geht nicht.“

Der Mann ließ sich auf die Liegefläche sinken und rollte auf die Seite. Auf einen Ellenbogen aufgestützt wirkte er wie ein Männermodel aus den erotischen Fantasien von unzähligen Frauen: groß, schlank, sonnengebräunt, muskulös, tropfnass und nur mit einer eng anliegenden Badeshorts bekleidet, unter der sich abzeichnete, wie …

Ava schluckte und zwang sich, ihm ins Gesicht zu blicken. Nur um mit einem frechen Funkeln in seinen Augen konfrontiert zu werden, was auch nur unwesentlich besser war.

„Es ist meine Pflicht, sicherzustellen, dass Sie in Ordnung sind. Eine Gehirnerschütterung ist eine ernste Angelegenheit.“ Er tippte sich an den Kopf. „Vertrauen Sie mir, ich kenne mich damit aus. Ich hatte mehr als genug davon.“

Neugierig richtete sie sich auf. „Berufsrisiko?“ Sein Lächeln war so sexy, dass sie unvermittelt ein Kribbeln im Bauch verspürte.

„So könnte man es ausdrücken.“

Wenn sie sich weiter mit ihm unterhielt, würde er natürlich bleiben und nicht gehen. Also focht sie einen kurzen Kampf mit ihrem anderen Ich aus – jenem, das ihr immer sagte, sie solle gerade sitzen und ihre Meinung für sich behalten. Doch angesichts seines umwerfenden Lächelns war der Kampf vorüber, noch ehe er richtig begonnen hatte.

„Was machen Sie denn?“

„Extremsport.“

„Wie soll ich das verstehen?“

Er lachte über ihre offensichtliche Verwirrung. „Ich bin Vorsitzender eines weltweiten Dachverbandes für Extremsportarten; wir lieben alles, was mit Risiko oder Abenteuer zu tun hat. Haben Sie schon einmal davon gehört?“

Risiko? Oder sogar Abenteuer? Nichts war weiter von dem behüteten und ruhigen Leben entfernt, das sie geführt hatte.

„Sie meinen Sachen wie Bungee-Jumping?“

„Und den ganzen Rest.“

Sein Gesicht hellte sich auf. Seine Begeisterung für seine Arbeit musste Ava einfach bewundern. Dieser Enthusiasmus war ihr fremd, das langweilige Rechnungswesen in der Bank empfand sie nicht als sonderlich inspirierend. Trotzdem beging sie, der immer wachsamen Presse zufolge, einen großen Fehler, weil sie kurz nach dem Ende ihrer Ehe auch noch ihren Job gekündigt hatte.

„Erzählen Sie mir von Ihrer Arbeit.“

„Sind Sie sicher, dass es Sie interessiert?“

Sie nickte. Aufregung, Wagnisse … all das gehörte zu einem Lebensstil, von dem sie nur träumen konnte. Wie fühlte es sich wohl an, ein Leben am Limit zu führen? Risiken einzugehen? Sich nie Sorgen zu machen, was andere Leute von einem dachten?

„Oh ja, erzählen Sie mir von der Gefahr der Geschwindigkeit, von Sprüngen aus haarsträubenden Höhen und waghalsigen Stunts.“

„Dann wissen Sie also doch über Extremsport Bescheid.“

Sie machte eine unbestimmte Handbewegung. „Ein bisschen.“ Fragend zog er eine Augenbraue hoch. „Vergangenen Sommer habe ich ein paar Wettkämpfe im Fernsehen gesehen.“

„Kommen Sie, geben Sie es zu … Sie konnten es danach kaum erwarten, auf ein Wakeboard zu springen oder sich einen Fallschirm umzuschnallen.“

Allein die Vorstellung raubte ihr den Atem. Unbewusst beugte sie sich ein wenig nach vorne. „In Anbetracht der Tatsache, dass ich mit meinen Füßen am liebsten auf festem Boden stehe, muss ich leider verneinen. Aber es hat Spaß gemacht zu sehen, wie die Sportler nicht nur gegeneinander, sondern auch mit den Elementen gekämpft haben.“

„Wind, Schnee, Wasser, Berge, ganz egal was, wir sind dabei.“

„Dann sind Sie also süchtig nach Adrenalin?“

So wie sie die Worte aussprach, klang es, als würde er Kakerlaken töten, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Aber es schien ihn nicht im Mindesten zu stören. Vielmehr wurden die Lachfältchen um seine Augen noch tiefer. Wollte man irgendetwas aus den feinen Linien schließen, dann, dass ihr Retter sehr oft lachte.

„Darauf können Sie wetten. Es geht doch nichts über einen Endorphinkick.“ Er winkte sie mit gekrümmtem Zeigefinger noch näher zu sich. „Dazu noch ein bisschen Dopamin und Serotonin, und der Effekt ist fast so gut wie …“

Er sprach den Satz nicht zu Ende, doch seine Pupillen weiteten sich ein wenig, sodass völlig klar war, was er hatte sagen wollen.

Am sichersten wäre es, sofort das Thema zu wechseln. Aber auf Nummer sicher war sie ihr ganzes bisheriges Leben gegangen! Und hatte sie sich nicht erst gestern, als sie in Melbourne angekommen war, geschworen, lockerer und wagemutiger zu werden? Endlich anzufangen zu leben?

„So gut wie?“

Sie hielt den Atem an. Ein lustvolles Funkeln brachte seine Augen zum Leuchten, es wirkte wie ein Blitz aus Karamell in schokoladenbraunen Tiefen.

„Sex.“

Er blinzelte nicht, wandte nicht den Kopf ab. Und Ava spürte deutlich, wie das unsichtbare Band, das sie bereits verband, sich ein wenig enger zog.

Die Antwort der Flirtexpertin würde lauten: „So gut, ja?“ Doch sie hatte ihr ohnehin begrenztes Repertoire schon in den letzten Minuten aufgebraucht. Erschwerend kam hinzu, dass ihr der Gedanke, Sex könne etwas anders als reine Pflichterfüllung sein, in etwa so fremd war, wie dieser Mann und seine Liebe zu Extremsportarten.

„Was tun sie noch außer Fallschirmspringen, Snowboard fahren und auf Berge klettern?“

Er lachte über ihr Ausweichmanöver. „Sie möchten wirklich etwas über achtzehn Sportarten zu Lande, fünfzehn zu Wasser und neun in der Luft erfahren?“

„Vielleicht doch nicht.“ Beeindruckt von seiner Tollkühnheit, schüttelte sie den Kopf. „Machen Sie wirklich all diese Sachen?“

„All das und noch mehr.“ Er hielt inne, sein Blick richtete sich auf ihre Lippen. „Viel mehr.“

Und wieder zog sich das Band ein Stückchen enger zusammen. Es fühlte sich wie eine unsichtbare, unwiderstehliche Kraft an, die Ava näher zu dem Fremden zog.

„Imponiere ich Ihnen?“

„Ich denke, dass Sie verrückt sind“, platzte sie heraus. Gab es jemanden, fragte sie sich insgeheim, der ein genaueres Gegenteil von ihr sein konnte?

„Das hat man mir schon häufiger gesagt“, erwiderte er nicht im Geringsten beleidigt. „Was tun Sie, um Spaß zu haben?“

In diesem Moment spulte sich der langweilige Film ihres bisherigen Lebens vor ihrem inneren Auge ab: Tochter des Premierministers, Privatschule, Chauffeure, Leibwächter, unablässige Lektionen in Etikette und Manieren, eine vorbestimmte Ehe, dann Frau eines Politikers, schließlich eine zivilisierte Scheidung.

Sie hatte wirklich genug davon. Es reichte endgültig! Sie musste diese Erinnerungen vertreiben und endlich anfangen, neue zu finden.

Und zwar genau jetzt!

„Was ich tue, um Spaß zu haben?“

Aufgestachelt von seinem Gerede über Adrenalin und der tief in ihrem Inneren verwurzelten Sehnsucht nach Freiheit, legte sie die Hände auf die Schultern des Fremden, zog ihn näher an sich und murmelte: „Das hier“, bevor sie ihre Lippen auf seine presste.

2. KAPITEL

In dem Moment, in dem Avas Lippen die des Fremden berührten, blendete sie alle Gründe aus, weshalb sie ihn nicht küssen sollte und erlaubte sich, einfach nur zu fühlen.

Als Erstes fiel ihr seine Wärme auf. Wie warm seine Lippen waren, wie weich und samtig und faszinierend! Spielerisch öffnete sie ihren Mund.

Als Antwort fuhr er mit einer Hand in ihr Haar und umfasste ihren Hinterkopf. Diesmal lag in der Berührung nichts zurückhaltend Zärtliches.

Oh nein, diesmal zog er sie fest an sich, während er den leidenschaftlichen Kuss vertiefte.

Als seine Zunge die ihre berührte, explodierten bunte Sterne in ihrem Kopf. Verwirrt fragte sie sich, ob sie nicht doch eine Gehirnerschütterung erlitten hatte.

Welche andere Erklärung konnte es dafür geben, dass sie, die sich sonst so beherrscht und rational verhielt, auf einmal diesen Mann, den sie gerade erst kennengelernt hatte, bis in alle Ewigkeit küssen wollte?

Oh ja, das fühlte sich gut an! Und als er seine Lippen von ihren löste, wollte sie am liebsten schreien: „Neeiin!“

Genau in diesem Moment meldete sich ihre vernünftige Seite wieder: Jene Ratio, die ihr geholfen hatte, auch die langweiligsten Formalitäten in fremden Botschaften durchzustehen, jener Verstand, der sie gedrängt hatte, ihren Traum vom Schreiben aufzugeben und sich stattdessen für eine sichere Ausbildung zu entscheiden, jene Logik, die darauf gepocht hatte, einen Freund der Familie zu heiraten, denn nur das bilde eine solide Basis für eine Ehe.

Zum Teufel mit der Vernunft!

„Kann ich das auf die Gehirnerschütterung schieben?“

Auf den Lippen, die sie gerade noch geküsst hatte, zeichnete sich ein feines Lächeln ab. „Kommt darauf an.“

„Worauf?“

„Wie schlimm es ist.“

Mit einem gespielten Wimmern deutete sie auf ihren Kopf und täuschte einen Schwindelanfall vor. „Furchtbar schlimm.“

„Wenn das so ist, bestehe ich darauf, dich zu deinem Zimmer zu begleiten.“ Einen Augenblick verharrte sein Blick auf ihrem Mund. „Nur damit du nicht jeden Fremden küsst, dem du auf dem Weg begegnest.“

Seine Worte brachten die hübsche Illusion zum Platzen. Denn genau das hatte sie getan. Einen Fremden geküsst, irgendeinen Typen, den sie im Hotel getroffen hatte.

Meine Güte! Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Es war eine Sache, sich frei fühlen zu wollen, und eine ganz andere, jeden Sinn für Tatsachen zu verlieren.

„Hey, ich habe nur Spaß gemacht.“

Er berührte ihren Arm. Ein Funke jagte durch ihren Körper und erinnerte sie wieder daran, weshalb sie ihre Besonnenheit überhaupt aufgegeben hatte.

„Wenn wir uns einander vorstellen würden, wäre schon mal das Problem mit dem ‚Fremden‘ gelöst.“

Sein Strahlen ließ ihren Brustkorb enger werden. Attraktive Charmeure sollten nicht auch noch so ein umwerfendes Lächeln besitzen!

„Roman. Hauptberuflich Extremsportfanatiker.“ Er streckte ihr die Hand hin. „Und nebenberuflich Rettungssanitäter an Hotelpools.“

Sie lachte – und die Sorglosigkeit in ihrem Lachen klang in ihren eigenen Ohren fremd. Wann hatte sie sich das letzte Mal so amüsiert?

Nicht während ihrer Zeit in Canberra, unter Daddys wachsamen Augen, nicht während ihrer zwei Jahre dauernden Ehe und ganz sicher nicht während ihrer Scheidung vergangenen Monat. Einer Scheidung, bei der die Boulevardpresse ihren Namen durch den Dreck gezogen hatte. Und das nur aus dem einen Grund: weil sie Ava Beckett war, und endlich bekam, was sie längst verdiente.

Sie reichte ihm die Hand. „Ava. Aussteigerin aus einem langweiligen Finanzjob. Ungeschickte Schwimmerin und eine Gefahr für alle anderen im Pool.“

Seine Finger umschlossen ihre, sein Griff fühlte sich warm und fest an. Ein kleiner angenehmer Schauer durchfuhr sie.

„Nun, bei deiner Tollpatschigkeit und meinen Fähigkeiten als Sanitäter bilden wir ein absolutes Traumpaar.“

Er drückte ihre Hand, ließ sie jedoch los, als Ava das Gesicht verzog.

„Sag mir, dass diese Sprüche normalerweise nicht funktionieren.“

Roman beugte sich näher zu ihr. „Sag du es mir.“

Seine heisere Stimme und sein verschwörerisches Blinzeln brachten sie wieder zum Lachen.

„Also, wenn du nicht gerade arme Jungfrauen aus Notsituationen rettest oder von Brücken springst, wo lebst du dann?“

Zum ersten Mal, seit sie ihm begegnet war, huschte ein Schatten durch Romans dunkle Augen, der jedoch gleich darauf wieder verschwand und den Weg wieder für das nunmehr vertraute Funkeln freigab.

„Im Moment wohne ich in London.“

Sie glaubte ein winziges Zögern gehört, eine kaum merkliche Versteifung in seinen Schultern gesehen zu haben. Dann raubte ihr sein umwerfendes Lächeln wieder den Atem.

„Langweiliger Finanzjob, ja? Was für ein Glück, dass du aufgehört hast!“

„Oh ja, Glück ist das richtige Wort.“

Sie wollte gleichgültig klingen, als ob es ihr nichts ausmache, einen soliden Job aufzugeben und ein sorgloses Leben irgendwo auf diesem Planeten zu führen. Stattdessen tat sie, was ihr seit klein auf eingeimpft worden war: Sie sagte die Wahrheit.

„Eigentlich habe ich keine Ahnung, was ich jetzt machen soll.“

„Das ist einfach. Wie sieht dein Traumjob aus?“

Wieder vertieften sich die Lachfältchen um seine Augen. Am liebsten hätte sie mitgelacht. Diesem Mann schien nichts Angst einzuflößen. Andererseits sprang er von hohen Gebäuden oder Felsen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen – was wusste er schon davon, wie es war, einen sicheren Job zu kündigen?

„Traumjob?“ Zu träumen hatte sie vor langer Zeit aufgegeben, ungefähr zu dem Zeitpunkt, als andere Menschen die Kontrolle über ihre Leben übernahmen.

„Ich meine, wofür schlägt dein Herz? Zahlen und Geld?“

„Nein, bloß nicht!“

Er lachte über die Heftigkeit ihrer Antwort. „Also keine Zahlen. Dann vielleicht Worte? Wie wäre es, wenn du dein Fachwissen über Zahlen für einen anderen Beruf benutzt, zum Beispiel als Lehrerin für Mathematik oder Statistik?“

„Etwas Furchtbareres kann ich mir kaum vorstellen.“

In einem Raum voller fremder Menschen stehen, die jede ihrer Bewegungen beobachteten? Keine Chance. Zu dicht an ihrer Vergangenheit.

Nachdenklich tippte er mit einem Finger auf seine Lippen, während Ava den Blick nicht von seinem Mund abwenden konnte. „Worte … hey, wie wäre es mit Schreiben?“

Bei diesem Vorschlag pochte ihr Herz plötzlich ganz wild. Vor langer Zeit hatte sie davon geträumt zu schreiben. Doch dieser Traum war den Anforderungen und Erwartungen, die an das Leben der Tochter des Premierministers gestellt wurden, ziemlich schnell zum Opfer gefallen. Seit dem Literaturkurs in der zwölften Klasse hatte sie kein Wort mehr zu Papier gebracht, selbst ihr Tagebuch hatte sie nicht mehr weitergeführt.

Ironischerweise hatte sie sich, als sie im Zentrum der Hetzkampagne der Medien stand, gewünscht, sie könne über die Wahrheit berichten, sodass kein Unsinn mehr über sie verfasst wurde. Dieser Gedanke hatte die Idee zu schreiben wieder lebendig werden lassen. Vielleicht konnte sie als freie Mitarbeiterin anfangen und Interviews führen, für die sie ihre Erfahrung auf dem internationalen Parkett nutzen könnte.

Bestimmt würde es Spaß machen, es zumindest zu versuchen. Aber würde es für ihren Lebensunterhalt reichen? Und wer würde ihr eine Chance geben – einer ehemaligen Finanzexpertin, die öffentlich durch den Dreck gezogen worden war, nur weil sie den Namen Ava Beckett trug?

„Allein hier gibt es eine Menge, über das es zu schreiben lohnt.“ Roman schnippte mit den Fingern. „Lass mal sehen. Melbournes neustes Hotel leistet sich einen Poolwärter, der erst die Gäste schwimmunfähig schlägt und sie dann mit Mund-zu-Mund-Beatmung rettet …“

„Ich habe dich geküsst“, platzte sie beschämt heraus, als sein Blick kurz zu ihren Lippen wanderte. Hitze und Verlangen blitzten in seinen Augen und raubten ihr fast den Verstand.

„Ja, das hast du. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie beeindruckt ich bin.“

Ava genoss den unbeschwerten Flirt mehr, als sie sich hatte vorstellen können. Sie verdrehte die Augen und gab vor, ernsthaft nachzudenken.

„Wegen meiner Technik? Meiner Spontaneität? Meiner …?“

Autor

Nicola Marsh
Als Mädchen hat Nicola Marsh davon geträumt Journalistin zu werden und um die Welt zu reisen, immer auf der Suche nach der nächsten großen Story. Stattdessen hat sie sich für eine Karriere in der Gesundheitsindustrie entschieden und arbeitete dreizehn Jahre als Physiotherapeutin

Doch der Wunsch zu schreiben ließ sie nicht los...
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