Fünf Jahre und ein Leben lang

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Fassungslos hört Abby das Ultimatum: Nick Logan, der sexy Cowboy, an den sie vor fünf Jahren ihr Herz verlor, will ihren gemeinsamen Sohn zu sich holen. Entweder allein, oder Abby kommt mit ihnen. Und auf Nicks Ranch ist ihr Familienglück plötzlich nur noch einen Kuss entfernt …


  • Erscheinungstag 08.09.2017
  • Bandnummer 0002
  • ISBN / Artikelnummer 9783733733513
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
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Leseprobe

1. KAPITEL

Rechnungen.

Rechnungen.

Und noch mehr Rechnungen.

Abby Stafford seufzte, als sie die Post durchsah. In der Küche musste das Abendessen gekocht werden, und im Wohnzimmer sah Robbie ungeduldig fern.

Die Titelmelodie seiner Lieblingsserie dröhnte in voller Lautstärke, während er mit seiner hohen Stimme nicht immer ganz treffsicher dazu sang.

Hätte sie ihm zuvor keine Zwischenmahlzeit gegeben, würde er ihr jetzt durch die Wohnung folgen wie ein Welpe auf der Suche nach Nahrung.

Robbie war gerade viereinhalb, aber sie nannte ihn liebevoll ihr „Fässchen ohne Boden“.

Genau wie sein Daddy, dachte sie. Dennoch war er der Mittelpunkt ihres Lebens.

Als sie gerade die Telefonrechnung durchging, wurde sie von einem Klopfen an der Tür unterbrochen.

Bestimmt war das schon wieder Gail. Unzählige Male hatte Abby ihrer Nachbarin klargemacht, dass sie an einem Doppel-Date nicht interessiert war, doch die Frau schien es einfach nicht zu kapieren. Sie riss die Tür auf, ohne dabei die Augen von der Rechnung zu nehmen. „Ich habe es dir schon oft genug gesagt, Gail, ich komme nicht mit.“

„Und ich bin nicht Gail.“

Der Klang der Stimme war nicht zu verwechseln, die leicht gedehnte Sprechweise nur allzu vertraut. Bevor Abby auch nur den Kopf heben konnte, glitt ihr die Post aus den Händen und segelte langsam zu Boden. Es fehlte nicht viel, und sie wäre auch gefallen, aber wesentlich härter gelandet.

Die Vergangenheit hatte sie eingeholt. Der Mann, den sie seit ihrem sechzehnten Lebensjahr geliebt hatte, war nun endlich auf ihrer Türschwelle erschienen. „Was machst du denn hier?“

Sie hatte Nick Logan seit fünf Jahren nicht gesehen – zuletzt bei der Beerdigung seines Vaters. Seit Robert Logans Tod ihre Hochzeitspläne zerstört hatte. Ihren Plan, nach Cheyenne zu ziehen und Sydney Creek, die kleine Farmerstadt, in der sie beide aufgewachsen waren, hinter sich zu lassen.

Sie tastete ihn mit ihren Blicken ab, weidete sich an ihm.

Von seinen dunklen Haaren bis zu den Füßen, die in Cowboystiefeln steckten, war der Mann mit wachsendem Alter nur attraktiver geworden. Seine große Gestalt war muskulös, was zweifellos von der Farmarbeit kam. Er hatte braune Augen, und die Augenwinkel hatten in den Ecken kleine Fältchen bekommen, wahrscheinlich durch die tägliche Arbeit an der Sonne.

Nick nahm sich ebenfalls die Zeit, Abby ausgiebig zu mustern. Er hielt dabei den Stetson in seiner schwieligen Hand. „Ich besuche dich“, gab er zurück. Aber seine Stimme war nicht angenehm. Sie klang schroff und hart, so wie er selbst. Von der sanften Art, mit der er Abby Jahre zuvor behandelt hatte, war nichts mehr zu spüren.

„Ich … ich wusste gar nicht, dass du in der Stadt bist.“ Mehr brachte sie nicht über die Lippen.

„Yeah. Julie hat mir geschrieben, wie sehr du ihr geholfen hast. Da dachte ich, ich sollte mal vorbeikommen und mich bedanken.“

Es hatte ihr große Freude bereitet, Nicks Schwester zu helfen. Immerhin waren sie vor Jahren befreundet gewesen. „Das ist sehr nett von dir, aber …“

„Versteh mich nicht falsch, Abby. Ich bin nicht nett.“ Er ging einen kleinen Schritt auf sie zu. „Ich bin stinkwütend.“

„Warum?“

„Als ob du das nicht wüsstest.“

Sie wusste es, aber sie würde es nicht zugeben, solange es nicht unbedingt sein musste. Deshalb log sie. „Nein, das weiß ich nicht. Und wenn du so grob bist, kannst du dich gleich wieder für fünf weitere Jahre aus dem Staub machen!“

Sie trat zurück und griff nach der Tür, um sie ihm ins Gesicht zu schleudern, als Robbies Stimme sie aufschreckte.

„Mommy, ist das Essen schon fertig?“, fragte er, als er in den Flur kam.

Abby bemerkte, dass der Blick aus Nicks harten, dunklen Augen von ihr zu dem Jungen wanderte und dabei auf einen Schlag sanftmütiger wurde.

„Hallo. Ich glaube nicht, dass ich dich kenne. Wie heißt du denn?“ Nick ging in die Hocke, wie Abby es einige Hundert Male bei ihm am Lagerfeuer gesehen hatte.

„Ich heiße Robbie. Wer bist du?“

Abby kam es so vor, als würde ihre gesamte Welt auf die Größe ihres winzigen Flures zusammenschrumpfen. Sie verkrampfte sich. „Nick, lass es“, sagte sie mit gepresster Stimme. „Bitte.“

Sein flackernder Blick ging zu ihr. Und obwohl sie keinerlei Gefühlsregung darin sah, antwortete er: „Ich bin ein Freund deiner Mutter. Mein Name ist Nick.“ Er streckte seine große Hand aus und hielt sie dem kleinen Jungen entgegen. „Schön, dich kennenzulernen.“

Robbie schüttelte seine Hand. „Bist du ein Cowboy?“, fragte er mit großen Augen.

Abby glaubte nicht, dass ihr Sohn sehr viel über Cowboys wusste. Sie war dem Thema immer aus dem Weg gegangen.

Doch erst neulich hatte ihm seine Vorschullehrerin eine Geschichte vorgelesen. Darin ging es um einen Hund, der einem Cowboy dabei geholfen hatte, eine Herde zusammenzutreiben. Seitdem hatte Robbie über nichts anderes mehr gesprochen.

„Yeah“, gab Nick zurück. „Ich bin ein Cowboy. Magst du Cowboys?“

Robbie nickte. „Reitest du auf einem Pferd?“

„Klar doch. Willst du mit mir ausreiten?“

Robbie sah zu seiner Mutter. „Darf ich, Mommy?“

Trotz des bittenden Blickes ihres Sohnes sagte Abby schnell: „Nein! Du musst morgen in die Schule, mein Schatz.“ Dann wurde ihr Tonfall milder, als sie Robbie aufforderte, sich fürs Essen die Hände zu waschen.

Nick rief den Jungen zurück. „Bevor du gehst, Robbie, will ich dich noch etwas fragen. Du siehst echt groß aus. Wie alt bist du?“

Das war die eine Frage, die Abby umschiffen wollte.

„Ich werde fünf, in … wie vielen Monaten, Mommy?“

Abby antwortete nicht. Stattdessen führte sie ihren Sohn den Gang hinunter.

Als sie allein wieder zurückkam, betete sie, dass Nick gegangen war. Zurück ins Nirwana, in dem er fast fünf Jahre gelebt hatte.

Doch der Mann war immer noch da. Seine breiten Schultern füllten den Türrahmen fast vollständig aus. „Warum hast du es mir nicht gesagt?“

Es gab keinen Grund mehr, das Offensichtliche zu leugnen. Zumal sie Nick eine Antwort schuldig war. „Du hast mich aufgefordert, in die Stadt zu ziehen und mir ein anderes Leben aufzubauen. Erinnerst du dich?“ Sie versuchte vergeblich, sich die Verbitterung nicht anmerken zu lassen.

„Ich wusste nicht, dass du schwanger warst.“

„Das wusste ich auch nicht!“, schrie sie zurück.

Nick holte tief Luft und fuhr sich durch das dicke, dunkle Haar. „Du hättest anrufen können. Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Es gibt unzählige Kontaktmöglichkeiten.“

Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe von einsdreiundsiebzig auf. „Warum? Damit du dich erst recht überfordert gefühlt hättest? Deine Mutter und fünf andere Logan-Kinder waren bereits auf dich angewiesen. Brauchtest du da noch ein Kind?“

„Nein. Aber seine Mutter.“

Abby war unfähig, den Mann anzusehen. Nach dem Tod von Nicks Vater war damals alles den Bach runtergegangen.

Alle Pflichten und die ganze Verantwortung hatten auf Nicks Schultern gelastet, ihn zu Boden gedrückt und für Abby nichts übrig gelassen. Jene Frau, die er angeblich liebte. „Ich wollte doch nur das Beste für dich, Abby.“

„Ja, wirklich? Und wer hat dir die Verantwortung für mich übertragen?“

Er wirkte verstört. Niemand bot Nick Logan die Stirn. Was er vorgab, wurde normalerweise bis aufs i-Tüpfelchen befolgt.

Doch Abby blieb bei ihrer Haltung. Sie wich nicht von der Stelle und hielt seinem Blick stand.

„Hättest du in Sydney Creek bleiben, das Haus putzen und für die ganze Bagage kochen wollen, nachdem du gerade das College beendet hattest?“

„Ich wollte einfach nur eine Wahl haben.“

Nick schüttelte den Kopf. „Das konnte ich dir nicht antun, Abby. Du hast für deinen Abschluss zu hart gearbeitet. Und du hattest bereits einen sicheren Job in Cheyenne.“

„Du doch auch.“

„Aber ich hatte Verantwortung. Verstehst du denn nicht, dass ich keine andere Wahl hatte?“

Sie nickte. „Genauso wenig wie ich.“

„Und deshalb hältst du meinen Sohn fünf Jahre lang von mir fern?“ Mühsam unterdrückte er seine Wut, und das auch nur wegen des Jungen, der in der Nähe war. Seine Augen blitzten jedoch.

Abby wollte ihr Gespräch nicht zu einem Schreiduell ausarten lassen. Sie trat zurück und atmete tief ein. „Ich finde, du solltest jetzt gehen, Nick.“

„Den Teufel werde ich tun!“, knurrte er mit gesenkter Stimme. „Du hattest Robbie in den letzten fünf Jahren. Die nächsten fünf bekomme ich ihn!“ Er sah sich um. „Die Stadt ist kein Ort, um ein Kind großzuziehen.“

Abby fühlte sich, als hätte er in ihre Brust gegriffen und ihr das Herz rausgerissen. Das Atmen fiel ihr zunehmend schwerer, und das Zimmer begann sich zu drehen. „Nein! Du bekommst ihn nicht! Robbie ist mein Kind! Er kennt dich doch gar nicht!“

„Und wessen Schuld ist das?“ Nicks Stimme hatte einen bedrohlichen Klang angenommen.

Abby ging nicht darauf ein, sondern schüttelte weiter den Kopf. „Jeden Tag seines Lebens habe ich mich um ihn gekümmert. Du kannst nicht einfach hier hereinmarschieren und ihn mir aus den Händen reißen! Du musst mir Zeit geben, um …“

Nick gab ihr gar nichts. Er beugte sich über sie, bis sein Gesicht nur noch Zentimeter von ihrem entfernt war. „Morgen früh fahre ich zurück nach Sydney Creek und nehme meinen Sohn mit. Ob du mitkommst, das überlasse ich dir.“

Damit drehte er sich auf dem Absatz um, stampfte so plötzlich, wie er gekommen war, hinaus und – ließ eine verzweifelte Abby zurück.

Nick saß in einem Fast-Food-Schuppen, führte einen saftigen Burger an seinen Mund und wog seine Möglichkeiten ab.

Er konnte sich ein Motelzimmer nehmen und sich gründlich ausschlafen, bevor er morgen nach Hause fuhr. Aber wie konnte er sicher sein, dass Abby nicht die notwendigsten Sachen packen und mitten in der Nacht mit seinem Sohn davonschleichen würde?

Wenn er an ihrer Stelle wäre und jemand ihm sein Kind wegnehmen wollte, würde er schleunigst das Weite suchen.

Nein, bei genauerer Überlegung hatte er keine Wahl. Er wusste, was zu tun war.

Und so packte er seinen Burger ein, nahm seinen Kaffee, ging zu seinem Truck, fuhr davon und hielt erst wieder vor Abbys Mietshaus.

Dort verbrachte er die Nacht – genau vor dem einzigen Ausgang. Er würde Abby keine Möglichkeit geben, mit seinem einzigen Kind abzuhauen.

Niemals hätte er sich vorstellen können, irgendwann ein Teilzeitvater zu sein. Als er aufgewachsen war, hatte es in der Schule Kinder gegeben, die sich in so einer Situation befunden hatten. Und es hatte sie innerlich zerrissen.

Das würde er seinem eigenen Sohn auf gar keinen Fall zmuten.

Er war immer davon ausgegangen, sein Leben mit Abby und ihren gemeinsamen Kindern zu teilen. In Sydney Creek waren sie als Nachbarn und beste Freunde aufgewachsen – bis er sie mit sechzehn im Rahmen einer Mutprobe geküsst hatte.

Ab da waren sie ein Paar. Unzertrennlich.

Treu folgte er ihr überall hin, und sie waren sogar auf dasselbe College gegangen. Mit jedem Tag war seine Liebe zu ihr gewachsen.

Am schwersten war es Nick gefallen, sich zu gedulden und mit der körperlichen Liebe zu warten. Er hatte jedoch seinem Vater versprochen, sich verantwortungsvoll zu verhalten.

Und das hatte er auch getan – bis zur Nacht ihres Abschlusses, als sie ihre Diplome in Händen hielten und sich auf eine vielversprechende Zukunft freuen konnten.

Zwei Tage später war sein Vater gestorben. Und mit ihm Nicks und Abbys Träume.

Seine Mutter konnte sich nicht allein um die Logan-Ranch und um Nicks fünf jüngere Geschwister kümmern. Nick hatte gar keine andere Wahl gehabt, als bei ihr zu bleiben.

Abby jedoch schon. Sie hatte sich so auf ein Leben außerhalb von Sydney Creek gefreut, dass Nick sie einfach ziehen lassen musste.

Er erinnerte sich an den Tag ihrer Abreise, als wäre es erst gestern gewesen, und nicht schon fünf Jahre her. Dies war mit der schwärzeste Tag seines Lebens gewesen.

Obwohl sie versucht hatte, ihm ein schlechtes Gewissen einzureden, glaubte er immer noch, dass er richtig gehandelt hatte.

Allerdings hatte er nichts von ihrer Schwangerschaft gewusst.

Starr blickte er durch das Fenster des Trucks zu Abbys Wohnung hinauf. Er konnte sich kaum vorstellen, welche Ängste sie gerade durchlitt.

Schlief sie? Mit Robbie in ihren Armen? Heulte sie sich die Augen aus?

Er musste aufhören, Mitleid mit ihr zu empfinden. Abby hätte ihm sagen müssen, dass er Vater geworden war. Sie hätte zurück auf die Ranch kommen müssen, um dort mit ihm zu leben. Sie hätten ihr Kind gemeinsam großziehen können.

Dieser Gedanke ließ ihn abrupt innehalten.

Die letzten fünf Jahre wären um einiges leichter gewesen, wenn er sie mit Abby gemeinsam verbracht hätte.

Vor seinem inneren Auge sah er, wie sie ihm zuvor die Tür geöffnet hatte.

Sie war noch genauso hübsch wie in seiner Erinnerung. Ihr hellbraunes Haar war länger geworden und fiel ihr in Wellen über die Schultern. Obwohl sie schlank geblieben war, hatte sie nun die Kurven einer Frau.

Ihn überkam das Verlangen, sie zu berühren, sie an seinem Körper zu spüren. Diesem Drang zu widerstehen, forderte all seine Willenskraft. Vorhin hatte er seine Hände in die Gesäßtaschen seiner Jeans gesteckt, damit Abby nicht sehen konnte, wie sehr sie zitterten.

Er musste ihr jedoch widerstehen. Schließlich war er wegen seines Sohnes gekommen.

Wenn er ganz ehrlich war, dann wollte er auch Abby … sie jedoch hatte seinen Sohn vor ihm geheim gehalten.

Urplötzlich wurde ihm klar, dass sie den Jungen Robbie genannt hatte. Sein Vater hatte Robert Logan geheißen. Nicks Augen wurden bei diesem Gedanken feucht. Vor Jahren hatten sie über ihre zukünftigen Kinder geredet und sich mögliche Namen überlegt.

Nick hatte nie wirklich daran gedacht, seinen Sohn nach seinem eigenen Vater zu nennen – bis zu dessen plötzlichem Tod. Er war nie dazu gekommen, es Abby zu sagen.

Trotzdem hatte sie es getan. Für ihn.

Okay, also schuldete er ihr etwas. Dennoch hatte sie nicht das Recht, ihm sein Kind vorzuenthalten.

Keine Macht der Welt konnte das.

2. KAPITEL

„Mommy, ich bin müde!“, beschwerte sich Robbie am nächsten Morgen.

Abby versuchte gerade, zwei Koffer, ihre Autoschlüssel, eine Tasche und die kleine Hand ihres Sohnes gleichzeitig zu halten.

„Ich weiß, mein Schatz aber wir … besuchen jetzt eine Freundin vom Mommy.“ Sie hasste es, ihn anzulügen. „Wenn wir dort sind, darfst du so viel fernsehen, wie du möchtest.“

Und sie hatte dann Zeit, sich zu wünschen, dass ihr Leben anders verlaufen wäre. Sie und Nick hatten große Pläne gehabt. Nach Cheyenne zu ziehen, dort zu leben und zu arbeiten.

Zu heiraten.

Sie hätte jemanden gehabt, bei dem sie sich anlehnen, mit dem sie ihre Probleme teilen konnte. Gemeinsam hätten sie Robbie großziehen, mit ihm Ausflüge nach Sydney Creek unternehmen, ihm das Reiten beibringen, ihn auf das Leben auf einer Ranch vorbereiten können.

Stattdessen lebte sie allein und erzog Robbie als Stadtkind.

Der Junge sah mit verschlafenen Augen und verwundertem Blick zu ihr auf. „Aber Mommy, du hast gesagt, ich muss immer in die Schule. Außer am Sonntag und am Samstag. Ist heute Samstag?“

„Nein.“ Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um mit Robbie zu reden. Es war bereits sechs, und sie mussten hier raus, bevor Nick zurückkam. Ihr schauderte bei dem Gedanken, dass Nick sie bei der Flucht überraschte.

Sie durfte ihren Sohn nicht verlieren.

Letzte Nacht hatte sie höchstens eine Stunde geschlafen, so viel hatte sie noch zu tun gehabt. Sie hatte schon Angst gehabt, gar nicht mehr zum Schlafen zu kommen.

Nachdem sie ihre und Robbies Sachen gepackt und sich um ihre Finanzen gekümmert hatte, wollte sie sich für die lange Fahrt ausruhen, die sie an diesem Morgen vor sich hatte.

Es gab keine Freundin, die sie besuchen wollte. Sie hatte vor, Robbie ins Auto zu verfrachten und eine möglichst große Distanz zwischen sie und Nick zu bringen.

Robbie zu wecken, hatte sich jedoch als schwerer erwiesen als erwartet.

Noch immer ließ er sich hinter ihr herziehen. „Frühstücken wir gar nicht, Mommy? Ich habe nämlich Hunger.“

Sie schleifte ihn jetzt fast über den Boden, bis sie endlich den Ausgang des Gebäudes erreichten. „Ich weiß, wo man ganz toll frühstücken kann, Schätzchen. Es wird dir gefallen. Du darfst Pfannkuchen haben.“

„Bekomme ich auch welche?“, fragte hinter ihr eine raue Stimme.

Es war nicht nötig, sich umzudrehen. Ihr Herz machte einen Satz, und ihre Schultern sackten nach unten. Nun, wo sie ihren Sohn endlich nach draußen gebracht hatte, war ihre Flucht auch schon zu Ende.

Nach einem kurzen Moment sah sie über ihre Schulter.

Nick lehnte an der Mauer neben dem Eingang. Er gab sich äußerlich gelassen, aber sie wusste, dass es in seinem Inneren brodelte. „Hallo, Nick. Ich … ich kann das erklären.“

„Davon bin ich überzeugt. Aber lass mich zuerst.“ Er sah den Jungen an. „Hey, Robbie. Hat deine Mom dir erzählt, dass ihr zu meiner Ranch fahrt? Wir haben dort jede Menge Kühe und Pferde.“

Robbies braune Augen, die denen seines Vaters so sehr ähnelten, pendelten zwischen den beiden Erwachsenen hin und her. „Ehrlich? Mommy, das ist toll! Gibt es da auch Hunde?“

„Na klar. Komm schon, Kumpel. Ich zeige sie dir.“

„Wir werden so viel Spaß haben, Mommy. Magst du auch Pferde, Mommy?“

Bevor Abby antworten konnte, ging Nick dazwischen. „Deine Mom kommt nicht mit.“

Robbie hörte auf, herumzuhüpfen, und seine Begeisterung nahm deutlich ab. „Warum?“, fragte er stirnrunzelnd.

Nick ging vor ihm in die Hocke. „Nun … weißt du, sie hat einen Job. Er ist ihr sehr wichtig, deshalb muss sie da unbedingt hin.“

Robbie sah zu ihr auf. „Mommy?“

Abby konnte nicht länger dastehen und sich dieses Drama tatenlos ansehen. Sie überwand die Lähmung, die die Angst in ihr ausgelöst hatte. Sofort ging sie vor ihrem Sohn, ihrem einzigen Lebensinhalt, auf die Knie und blickte in seine feucht schimmernden Augen. „Nick irrt sich, mein Schatz. Nichts auf der Welt ist mir wichtiger als du. Erinnerst du dich an das, was ich immer gesagt habe? Wo du hingehst, gehe ich auch hin.“

„Ja, Mommy, daran erinnere ich mich. Ich will zwar die Pferde und Hunde sehen, aber nicht ohne dich.“ Lächelnd schlang er seine Arme um Abbys Hals.

Abby kämpfte vergeblich gegen die Tränen, die in ihre Augen stiegen.

„Du kommst also mit?“, fragte Nick. „Was ist mit deinem Job?“

Sie sah zu ihm auf und zuckte die Schultern. „Ich warte einfach ab, wie sich die Dinge entwickeln.“

Vielleicht wurde er seine Gäste ja nach einigen Tagen leid. Oder seine Mutter. Davon abgesehen würde sie niemals zugeben, dass ihr Job nicht der war, den sie sich vorgestellt hatte.

Nachdem sie das College mit einem betriebswirtschaftlichen Abschluss verlassen hatte, war sie bei einer renommierten Anwaltskanzlei als Büromanagerin eingestiegen. Nach zwei Jahren hatte sie die Firma aufgrund persönlicher Schwierigkeiten mit einem der Partner wieder verlassen.

Ihr neuer Job bei einer kleineren Firma war keine wirkliche Herausforderung. Da er ihr jedoch genug Zeit ließ, um bei Robbie zu sein, hatte sie beschlossen, ihn auszusitzen.

Nick musterte sie mit einem seltsamen Blick, unter dem sie sich unwohl fühlte. Als würde er versuchen, ihre Antwort in ihrem Gesicht zu lesen. Dann zuckte er mit den Schultern und nahm ihre Koffer.

„Na, dann kommt! Wir Männer sind hungrig. Nicht wahr, Robbie?“ Er grinste den Jungen an.

„Yeah. Wir Männer, Mommy.“

Abby zögerte noch, dann hob sie Tasche auf, zusammen mit den Autoschlüsseln. „Ich nehme mein Auto und fahre dir nach. Robbie sollte bei mir mitfahren. Sein Kindersitz ist bei mir auf der Rückbank.“

Nick kam näher an sie heran und sagte so leise, dass Robbie es nicht hören konnte: „Du willst doch nicht etwa abhauen?“

Sie straffte sich und sah ihn empört an. „Ich bringe mein Kind nicht durch eine Verfolgungsjagd in Gefahr!“

„Dann ist es gut. Bis wir da sind, behalte ich aber deine Koffer als Pfand.“

Ihre Koffer? Die letzten fünf Jahre hatte er ihr Herz in seinem Besitz gehabt.

„Ich weiß, Mr. Johnson, und es tut mir auch leid, aber mit diesem Notfall war nicht zu rechnen. Ich muss heute nach Hause fahren.“

Nick machte sich über seine Pfannkuchen her und belauschte Abby, die wenige Meter entfernt stand, bei ihrem Telefonat.

„Nein, Sir, ich kann es nicht verschieben. Ich habe …“ Sie machte eine Pause, bevor sie sagte: „Ja, Sir, verstehe.“ Sie legte auf, ohne sich zu verabschieden.

Als sie zum Tisch zurückkam, sah Nick sie an. „Mr. Johnson hat deinen Notfall wohl nicht sehr verständnisvoll aufgenommen?“

Sie griff nach ihrer Kaffeetasse. „Er hat mich gefeuert. Bist du jetzt zufrieden?“

„Mir doch egal. Es war deine Entscheidung, mitzukommen.“

Sie presste die Lippen zusammen, bevor sie einen weiteren Schluck trank. Dann wandte sie sich ihrem Sohn zu. „Fertig, Robbie? Komm, wir gehen ins Bad und machen uns sauber.“

Nick stand auf und reichte dem Jungen die Hand. „Ich bringe ihn zur Herrentoilette. Er ist zu groß, um mit dir zu den Ladys zu gehen.“

„Ist das okay, Mommy?“

Ihrem Blick nach zu urteilen, nahm er an, sie würde protestieren. Stattdessen überraschte sie ihn. „Ja, mein Schatz, es ist okay.“ Sie wusste, dass Nick ihm niemals etwas antun würde.

Robbie nahm Nicks Hand. „Wie sieht es in deinem Raum aus?“

„Mein Raum?“

„Du weißt schon. Dem Männerklo. Ich war da noch nie drin.“

Nick lächelte. „Sieh es dir am besten selbst an.“

Sie gingen in den hinteren Bereich des Restaurants, während Nick seine Hand hielt.

„Das ist fast so, wie einen Daddy zu haben, oder?“ Robbies Frage überraschte Nick.

„Hm … ja, wahrscheinlich.“

„Ich habe mir einen Daddy gewünscht, aber Mommy hat gesagt, sie kann keinen aus dem Katalog bestellen“, meinte der kleine Junge kichernd.

„Hat dir deine Mommy denn nie von deinem Daddy erzählt?“

„Nein, ich habe keinen, hat Mommy immer gesagt. ‚Es gibt nur uns beide, Robbie.‘“ Er kicherte erneut.

Und wieder spürte Nick die Wut in sich aufsteigen. Abby hätte dem Jungen doch etwas erzählen können. Etwas über …

Nun ja, vielleicht auch nicht.

Wenigstens hatte sie nicht behauptet, dass Nick seinen Sohn nicht haben wollte.

Robbie war bereits nach wenigen Minuten Fahrt eingeschlafen.

Zum Glück. Abby musste nachdenken. Sie hatte so viel Kraft darauf verwendet, ihren ganzen Mut zusammenzunehmen, um Nick die Stirn zu bieten, dass sie jetzt müde war.

Nun musste sie sich auf das vorbereiten, was in wenigen Stunden auf sie zukommen würde.

Nicht unbedingt was. Wer.

Mrs. Logan.

Während ihrer ganzen Zeit an Nicks Seite hatte sie sich im Haus seiner Familie nie willkommen gefühlt. Insbesondere seine Mutter hatte sie spüren lassen, dass Abby nicht gut genug für ihren Sohn war.

Abby verstand das.

Sie war selbst auf einer kleinen Farm im landwirtschaftlich geprägten Sydney Creek aufgewachsen. Obwohl ihre Eltern hart gearbeitet hatten, besaßen sie nie sehr viel.

Während der Highschool hatte Abby im Café des Ortes gearbeitet, um sich Klamotten kaufen zu können. Die Logans dagegen besaßen eine der größten Ranches der Gegend und führten ein privilegiertes Leben im Luxus.

Nick und seine Familie besaßen Dinge, die Abby nicht hatte. So wie den neuen Truck, den Nick zu seinem sechzehnten Geburtstag bekommen hatte.

Abby hatte ihr erstes eigenes Auto bekommen, nachdem sie nach Cheyenne gezogen war. Einen Gebrauchtwagen. Diesen fuhr sie noch immer. Und da sie gerade ihren Job verloren hatte, würde sich das in absehbarer Zeit auch nicht ändern.

Eigentlich sehnte sich Abby nach Sydney Creek, ihrer alten Heimat, zurück. Allein der Gedanke, dort ständig Nick zu begegnen, hielt sie in Cheyenne.

Nun, da sie zurückkam, brauchte sie als Erstes einen Job. Das war nicht gerade leicht in einer Stadt wie Sydney Creek, in der nur wenige Geschäfte florierten.

Für Abby war eine Festanstellung jedoch unerlässlich, denn sie musste nicht nur für Robbie sorgen, sondern unterstützte auch noch ihre Mutter, die nach Florida gezogen war.

Abbys Vater war ein Jahr nach ihrem Collegeabschluss gestorben, und ihre Mutter zog nach Cheyenne, um bei ihr und Robbie zu leben. Susan Stafford kümmerte sich in den ersten beiden Jahren um Robbie. Als jedoch eine Freundin von ihr ins sonnige Florida zog, folgte sie ihr.

Autor

Judy Christenberry
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