Geborgen in deinen Armen

– oder –

Im Abonnement bestellen
 

Rückgabe möglich

Bis zu 14 Tage

Sicherheit

durch SSL-/TLS-Verschlüsselung

An den Märchenprinzen glaubt die hübsche Miranda nach einer schweren Enttäuschung längst nicht mehr. Bis sie bei einer Wanderung in einen schrecklichen Schneesturm gerät und von dem umwerfend gut aussehenden Bergretter Jake Blackwell vor dem Erfrieren bewahrt wird. Als Jake sie mit zu sich nach Hause nimmt und vorm heißen Kamin mit einem erregenden Kuss überrascht, fühlt sie sich für einen Moment wie verzaubert. Doch so sehr sie Jake begehrt, muss sie leider auch fürchten, dass er nichts mehr von ihr wissen will, sobald er ihr Geheimnis entdeckt …


  • Erscheinungstag 11.01.2022
  • Bandnummer 012022
  • ISBN / Artikelnummer 9783751509435
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

1. KAPITEL

Ihr Leben war ein Chaos!

Frierend und frustriert saß Miranda auf dem kalten Felsen und blickte finster vor sich hin. Durch die Kälte fühlten sich ihre Finger und Zehen fast taub an, doch sie nahm es im Moment kaum wahr. Auch an der Schönheit der Natur, den schneebedeckten Bergen des Lake District, konnte sie sich nicht erfreuen. Sie war hierhergekommen, um dem Weihnachtstrubel zu entfliehen, wovon hier oben auf dem Berg nichts mehr zu spüren war.

Zornig wischte sie die Tränen weg, die ihr über die Wangen liefen. Sechs Monate hatte sie nun Zeit gehabt, um sich an ihre Lage zu gewöhnen und sich ihren Fehler zu verzeihen, dass sie einem Mann vertraut hatte.

Miranda lachte bitter auf. Ausgerechnet sie, die die dunklen Seiten der menschlichen Natur nur allzu gut kannte, war auf das Werben und die netten Worte eines Mannes hereingefallen. Sie hasste sich dafür, weil sie sich so hatte täuschen lassen.

Sie atmete tief ein und versuchte, sich auf ihre Stärken zu besinnen, doch stattdessen kamen nur noch mehr Tränen. Verdammt, warum war sie bloß so emotional? Wahrscheinlich lag das nur an Weihnachten, denn da war bekanntlich alles anders. An den Feiertagen gaben sich die Menschen Mühe, nach außen ein perfektes Bild von sich zu zeigen. Ein Bild, das nicht der Wirklichkeit entsprach. Sie wusste, dass es keine heilen oder gar perfekten Familien gab, und deshalb wollte sie auch keine haben. Unabhängig und allein war sie einfach besser dran.

Leider hatte sie das wohl vergessen, als sie Peter kennenlernte. Ausgerechnet sie, die schon als Kind erfahren hatte, dass man keinem Menschen trauen konnte. Doch was passiert war, ließ sich nicht mehr ändern, und nun musste sie sich auf die Zukunft konzentrieren und vor allem darauf achten, dass sie nicht noch einmal in eine solche Falle tappte.

Miranda wischte sich erneut die Tränen weg und straffte ihre Schultern. Sie musste endlich damit aufhören, sich Hoffnungen und Träumen hinzugeben, die sich nie erfüllen würden, und stattdessen der Realität ins Auge sehen. Es existierten keine Prinzen in strahlender Rüstung, die auf einem edlen Pferd angeritten kamen und sie zu ihrem Märchenschloss mitnahmen. Normale Menschen gewannen auch nicht in der Lotterie, und Familien waren immer problematisch und gewiss nicht zu beneiden.

Und Weihnachten? Für Miranda war das Fest nichts Besonderes, also machte es auch keinen Sinn, auf diesem kalten Stein zu sitzen und sich zu bemitleiden, weil sie so allein war und sich etwas wünschte, was im Grunde gar nicht existierte. Stattdessen musste sie versuchen, das Beste aus ihrer Situation zu machen.

Plötzlich fiel Miranda auf, dass es deutlich stärker schneite als noch vor einer halben Stunde. Dazu war noch dichter Nebel aufgekommen, der die Sicht derart verschlechterte, dass die Gipfel nicht mehr auszumachen waren. Das Wetter war perfekt gewesen, als sie von zu Hause weggegangen war – wenn man ihre winzige und schäbige Wohnung überhaupt als solche bezeichnen konnte. Wo waren nur der blaue Himmel und der Sonnenschein geblieben?

Miranda wurde es nun etwas mulmig zumute, denn sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Sie hatte nur die weihnachtlich geschmückten Häuser mit den bunten Lichtern hinter sich lassen wollen, war auf ihr altes Fahrrad gestiegen und in Richtung Berge losgeradelt. Das Fahrrad hatte sie auf einem leeren Parkplatz abgestellt und war dann einfach in den Wald gelaufen. Da sie allerdings erst vor einer Woche hierhergezogen war, kannte sie sich in der Gegend überhaupt nicht aus.

Hier oben auf dem Berg war alles ruhig und still und von Weihnachten nichts zu merken. Ja, hier hatte sie nicht das schmerzliche Gefühl, der einzige Mensch in der ganzen Stadt zu sein, der Weihnachten allein verbringen musste. Ausgerechnet jetzt, da sie so verletzlich war …

Miranda verdrängte die Gedanken, denn im Moment hatte sie ein anderes Problem: Sie wusste nicht, wie sie zurück zum Parkplatz finden sollte. Bald würde es auch dunkel werden und sie würde die Wege vor ihr gar nicht mehr erkennen können.

Sie blickte auf ihre Sportschuhe, die völlig ungeeignet für so ein Wetter waren. Warum hatte sie nicht ihre warmen Stiefel angezogen? Dann wären ihre Füße jetzt wenigstens nicht so kalt.

Miranda überlegte, aus welcher Richtung sie gekommen war, doch sie konnte sich nicht mehr erinnern. Sie befand sich an einer Kreuzung, und alle Wege sahen irgendwie gleich aus. Auch ließ sich von ihrem Standpunkt nicht erkennen, welcher Weg bergauf und welcher bergab führte. Inzwischen war schon so viel Schnee gefallen, dass kaum ein Weg mehr zu erkennen war.

Miranda sah sich um, und Angst stieg in ihr auf. Sie hatte sich verirrt, und niemand wusste, wo sie war. Ihr Herz begann zu hämmern, denn jetzt wurde ihr der Ernst der Lage erst so richtig bewusst. Es schneite immer stärker und dämmerte bereits, und Miranda hatte keine Ahnung, wie weit es bis zum Parkplatz war.

Was sollte sie jetzt machen? Wenn sie einfach irgendeinen Weg einschlug, konnte es passieren, dass sie sich vom Parkplatz immer mehr entfernte und noch tiefer in den Wald ging. Doch hierzubleiben in der Hoffnung, dass sie jemand finden würde, wäre sicher sinnlos. Wer in aller Welt stapfte ausgerechnet jetzt im Wald herum, anstatt zu Hause gemütlich Weihnachten zu feiern?

Also musste sie den Rückweg finden, irgendwie. Ja, irgendwie würde sie’s schon schaffen …

Tief in Gedanken versunken stapfte Jake Blackwell durch den Schnee. Das Wetter hatte umgeschlagen, doch das machte ihm nichts aus. Er zog Regen oder starken Schneefall sogar Sonnenschein und blauem Himmel vor, denn dann war er meist allein im Wald und konnte die Natur noch mehr genießen.

Der Schnee knirschte unter seinen Sohlen, und dicke Flocken wirbelten um sein Gesicht. In der Ferne hörte er die Kirchenglocken zum ersten Weihnachtsfeiertag läuten. Ein Tag, an dem die meisten Menschen glücklich waren.

Bevor er aufgebrochen war, war Jake bei seinen Freunden Alessandro und Christy zum traditionellen Truthahnessen eingeladen gewesen, danach hatten sie gemeinsam deren beiden Kindern beim Öffnen der Geschenke zugesehen. Jake freute sich für Alessandro und Christy, dass sie es geschafft hatten, ihre Eheprobleme zu lösen, und nun wieder eine glückliche Beziehung führten.

Jake hatte das Zusammensein mit seinen Freunden sehr genossen, und als er schließlich weggefahren war, hatte sich ein beklemmendes Gefühl der Leere in ihm breitgemacht. Dass er allein war, spürte er an Weihnachten ganz besonders.

Es war jedoch nicht so, dass es ihm an Interesse von Frauen fehlte, im Gegenteil. Jake wusste, dass es unter seinen Kolleginnen im Krankenhaus mehr als eine gab, die sein Junggesellendasein nur zu gern beendet hätte. Doch keine von ihnen interessierte oder faszinierte ihn so sehr, dass er sich eine ernsthafte Beziehung mit ihr vorstellen konnte.

Natürlich kam es hin und wieder vor, dass er sich mit einer Frau traf und einen netten Abend mit ihr verbrachte, schließlich hatte er Bedürfnisse wie jeder andere Mann in seinem Alter auch, und er wollte nicht so leben wie ein Mönch. Letztendlich kam es jedoch immer so, dass er Weinachten allein verbrachte. Keine seiner diesbezüglichen Bekanntschaften hatte es bisher geschafft, sein Interesse dauerhaft zu wecken und sein Herz zu erobern.

Keine außer Christy, doch die hatte sich für seinen besten Freund entschieden. Alessandro war ein echter Glückspilz, eine Frau wie sie zu haben und noch dazu zwei tolle Kinder …

Jake fluchte unterdrückt und forcierte seinen Schritt. Was war denn so schlimm daran, dass er keine feste Freundin hatte? Nichts. Er mochte sein Singleleben und fühlte sich momentan nur etwas einsam, weil Weihnachten war und sich alles um die Familie drehte. Da er keine eigene Familie hatte und nicht allein in seinem großen Haus sein wollte, hatte er beschlossen, eine Wanderung im Wald zu machen.

Er hätte auch zur Klinik fahren und den ganzen Tag arbeiten können, doch warum hätte er das tun sollen, da er ohnehin schon zu viel Zeit im Job verbrachte? Tatsächlich war sein Beruf wahrscheinlich auch der Hauptgrund, weshalb er keine Freundin hatte. Es war nicht leicht, genügend Zeit für eine Partnerin zu finden, wenn man als Chirurg in der Wöchnerinnenstation tätig war, Schichtdienst hatte und häufig Überstunden machen musste.

Während Jake durch die weiße Landschaft wanderte, besserte sich seine Laune. Wie schön es doch hier draußen war! Der Winter hüllte seinen weißen Mantel um die Bäume, und die Stille ließ Jake immer mehr entspannen.

Nein, er hatte wirklich keinen Grund zum Klagen. Er war gesund, hatte einen tollen Job und liebte seine Arbeit bei der Bergrettung. Und wenn er sich tatsächlich hin und wieder einsam fühlte, fiel es ihm nicht schwer, irgendeine Frau zu finden, die ganz unverbindlich mit ihm ausging und seine Einsamkeit vertrieb.

Jake mochte es, wenn es um ihn her so ruhig war, dass er nur den Schnee unter seinen Stiefeln knirschen hörte. Als die Sicht jedoch immer schlechter wurde, weil Nebel aufgekommen war, beschloss er, den Rückweg anzutreten. Er kannte sich zwar sehr gut in den Bergen aus und war entsprechend ausgerüstet, doch bei starkem Schnellfall und dichtem Nebel konnte man leicht in Gefahr geraten. Keinesfalls wollte Jake seinen Kollegen von der Bergrettung zumuten, an Weihnachten ausrücken zu müssen, weil er in Bedrängnis geraten war und ihre Hilfe brauchte.

Als er gerade umkehren wollte, nahm er plötzlich etwas aus den Augenwinkeln wahr. Etwas oder jemand hatte sich bewegt. Es war nur ein kurzer Augenblick gewesen, doch zwölf Jahre Erfahrung im Rettungsteam hatten Jakes Sinne so geschärft, dass ihm so leicht nichts entging. Da musste etwas sein, dessen war er sicher.

Er ging noch ein paar Meter weiter, und dann sah er sie – eine zierliche Gestalt, die auf einem Felsen hockte. In diesem Moment hob sie den Kopf, und Jake erkannte, dass es eine junge Frau war.

Und was für eine!

Noch nie hatte Jake ein so faszinierendes Geschöpf gesehen. Ihre großen dunklen Augen waren gerahmt von dichten, langen Wimpern und bildeten einen exotischen Kontrast zu ihrer hellen Haut. Langes schwarzes Haar umschmeichelte ihr ebenmäßiges Gesicht, und ihre vollen Lippen waren derart sexy, dass Jake ein heißes Ziehen in den Lenden spürte.

Wow!

Sie saß jedoch nur da und zitterte, und Jake brauchte keine fünf Sekunden, um die Lage zu erfassen. Nein, das war keine Wanderin, die sich in der Gegend auskannte, sondern eine, die sich total verlaufen hatte.

„Hallo?“, rief er und ging auf sie zu. „Ist alles in Ordnung? Sind Sie allein, oder ist noch jemand in der Nähe?“

Nun sah sie ihn zwar an, sagte jedoch nichts, was ein Hinweis darauf war, dass sie schon unterkühlt sein konnte. Jake ging vor ihr in die Hocke und sah sie forschend an. „Wie heißen Sie? Sagen Sie mir Ihren Namen.“

Sie wirkte leicht verwirrt, was ebenfalls auf eine Unterkühlung hinwies. Und noch etwas fiel Jake sofort an ihr auf: Die tiefe Traurigkeit, die er in ihren Augen zu erkennen glaubte.

„Miranda“, antwortete sie schließlich leise. „Ich bin allein.“

Jake legte seinen Rucksack ab und nahm ein Isolierpad und eine Mütze heraus. Er schob ihr das Pad unter den Po und setzte ihr die Mütze auf, damit sie über den Kopf keine Wärme mehr verlor. Dann zog er einen Schokoriegel aus dem Rucksack und drückte ihn ihr in die Hand. „Essen Sie das bitte. Das gibt Energie und wärmt von innen auf.“

Der Schokoriegel glitt ihr aus den Fingern, und ihre Lider wurden schwer. „Habe keinen Hunger … bin nur müde …“

„Sie müssen etwas essen.“ Jake machte die Verpackung des Riegels auf, drückte ihn ihr wieder in die Hand und schloss ihre Finger darum. „Essen!“

Miranda blickte zunächst sekundenlang starr auf den Riegel, dann biss sie zu Jakes Erleichterung tatsächlich ein Stück ab.

Er zog ihr daraufhin den nassen Mantel aus, der für dieses Wetter völlig ungeeignet war, und nahm einen Fleecepullover und eine wasserdichte Jacke aus dem Rucksack.

„Ziehen Sie das an, das hält die Nässe ab.“

Als Miranda nur schweigend auf die Kleidungsstücke blickte, war Jake klar, dass er das übernehmen musste. Also zog er ihr zuerst den Pullover über den Kopf und danach die Jacke an.

Sie saß jedoch nur da und ließ wie eine Puppe alles mit sich machen. Die Kleidungsstücke waren viel zu groß für sie, doch sie hielten die Kälte und den Schnee ab. Zuletzt band Jake ihr auch noch einen Schal um den Hals und bedeckte damit Mund und Nase, damit sich ihre Atemluft erwärmte.

Dann spielte er verschiedene Möglichkeiten durch. Sollte er das Rettungsteam verständigen? Es würde allerdings recht lange dauern, bis die Kollegen hier sein würden, und Miranda musste dringend in die Wärme gebracht werden.

Jake war froh, dass sie wenigstens den Schokoriegel aß. Er kramte in seinem Rucksack nach der Thermosflasche, die er zum Wandern immer mitnahm. „Hören Sie, Miranda, ich erkläre Ihnen jetzt mal Ihre Lage. Wir haben zwei Optionen: Entweder rufe ich die Bergrettung an, und bis die Leute hier sind, kuscheln wir uns aneinander, damit Sie wieder …“

Plötzlich blitzten ihre Augen auf, und sie lächelte sogar. „Was soll das denn heißen? Baggern Sie mich etwa an?“

Jakes Herz schlug schneller, denn ihr Lächeln schlug wie eine Bombe bei ihm ein. Dass sie in ihrem Zustand noch scherzen konnte, war jedenfalls ein gutes Zeichen. „Nein, dafür gibt es einen ganz praktischen Grund“, erklärte er. „Ob Sie’s glauben oder nicht, Hautkontakt ist der beste und schnellste Weg, um Menschen vor dem Erfrieren zu bewahren.“

Miranda biss noch ein Stück vom Schokoriegel ab und lächelte erneut. „Das ist der originellste Verführungsversuch, den je ein Mann bei mir gemacht hat, und glauben Sie mir, ich habe schon so einige hinter mir.“

Das konnte Jake sich sehr gut vorstellen, so wunderschön wie diese Frau war, doch er verdrängte den Gedanken schnell, denn jetzt galt es in erster Linie, sie so schnell wie möglich von hier wegzubringen. „Die zweite Möglichkeit ist die, dass wir den Berg hinunterlaufen. Fühlen Sie sich dazu in der Lage?“

„Klar.“

Jake war froh, dass es ihr nun offensichtlich besser ging. „Was machen Sie eigentlich hier oben bei der Kälte, noch dazu an Weihnachten? Wollten Sie sich umbringen?“

Miranda schüttelte den Kopf. „Ich wollte nur spazieren gehen, sonst nichts. Als ich von zu Hause weggegangen bin, war noch schönes Wetter.“

Jake sah auf ihre Schuhe und zog missbilligend die Brauen hoch. „In diesen Schuhen? Das sind ganz normale Turnschuhe, also völlig ungeeignet für eine Wanderung im Schnee.“

„Ich besitze keine Wanderschuhe und dachte mir, es wird schon gehen, wenn ich auf den gekennzeichneten Wegen bleibe.“

„Wir befinden uns auf einem gekennzeichneten Weg, aber durch den vielen Schnee sind die Wege kaum noch zu erkennen. Handschuhe haben Sie wohl auch nicht, oder?“ Sie schüttelte den Kopf, und Jake griff erneut in seinen Rucksack und zog welche hervor. „Ohne geeignete Kleidung sollten Sie nicht in die Berge gehen, vor allem nicht im Winter, das kann sehr gefährlich werden. Was haben Sie sich nur dabei gedacht?“

„Ich weiß nicht, ich … wollte einfach nur … spazieren gehen …“

Jake merkte, dass es keinen Sinn hatte, noch weiter mit Miranda zu diskutieren, denn sie zitterte immer noch vor Kälte und musste sich so schnell wie möglich aufwärmen. „Hier“, sagte er und legte ihr die Handschuhe auf den Schoß. „Ziehen Sie die an, damit Sie keine Erfrierungen bekommen, das geht bei dieser Kälte schnell. Ist Ihnen eigentlich klar, was für Temperaturen wir hier oben haben?“

Miranda aß den Rest des Schokoriegels auf und zog danach die Handschuhe an. „Schon, aber als ich losgelaufen bin, schien die Sonne, und der Himmel war strahlend blau. Ich konnte ja nicht ahnen, dass sich das Wetter so schnell ändern würde.“

Genau das war ein Fehler, den viele unerfahrene Spaziergänger oder Wanderer in den Bergen machten, nämlich anzunehmen, dass ein wolkenloser Himmel am Morgen eine Garantie für ganztags schönes Wetter war. Jake hatte mit seinem Team schon viele Menschen bergen müssen, die ihre Lage völlig unterschätzt hatten.

„Warum sind Sie überhaupt hier? Wieso sind Sie nicht zu Hause bei Ihrer Familie und feiern Weihnachten?“

Miranda senkte den Blick. „Ich habe keine Familie. Doch Sie haben völlig recht, es war dumm von mir, so tief in den Wald hineinzugehen. Ich wollte einfach irgendwohin, wo ich meine Ruhe habe.“

„Anstatt Geschenke zu bekommen, die man nicht gebrauchen kann, und sich Pfunde anzufuttern, die man hinterher schwer wieder loswird?“, scherzte Jake, um sie etwas aufzumuntern.

„So ungefähr“, erwiderte sie ausweichend. „Und was ist mit Ihnen?“, fragte sie, damit er nicht noch mehr unbequeme Fragen stellte. „Was machen Sie allein hier oben? Sind Sie auch vor Weihnachten geflüchtet?“

Jake sah ihr in die Augen und verspürte plötzlich den Wunsch, diese wunderschöne Frau zu küssen. Das Verlangen war sogar so stark, dass er ein Stück zurückwich, um dem Drang nicht nachzugeben.

Verdammt, was war nur mit ihm los? Sie war ihm völlig fremd, und außerdem war dies weder der richtige Ort noch die richtige Zeit, um an so etwas zu denken.

„Ich bin gern allein in der Natur“, beantwortete er schließlich ihre Frage. „Das ist meine Lieblingsroute. Ich gehe oft hier wandern.“

„Dann hatte ich ja Glück, dass Sie ausgerechnet heute hier vorbeigekommen sind, sonst hätte ich wahrscheinlich niemanden getroffen. Wenn Sie mir jetzt bitte sagen, welchen Weg ich nehmen muss, gehe ich gleich los, bevor ich noch erfriere.“ Sie lächelte erneut, und wieder dachte Jake ans Küssen. „Es tut mir leid, dass ich Sie so lange aufgehalten habe, und Ihren Schokoriegel habe ich auch noch aufgegessen. Ich hoffe, zu Hause haben Sie noch genügend andere Süßigkeiten.“

Miranda verwirrte und faszinierte ihn zugleich. Jake kannte keine Frau, die auf die Idee gekommen wäre, unter diesen Umständen ganz allein den Rückweg anzutreten. Warum beabsichtigte Miranda das? Wollte sie ihn vielleicht loswerden, weil sie etwas zu verbergen hatte?

„Hören Sie, Miranda, wir sind hier nicht im Stadtpark, sondern mitten im Wald. Ist Ihnen überhaupt bewusst, wie gefährlich es ist, sich hier oben zu verirren?“

„Natürlich, aber es nützt mir nichts, in Panik zu geraten, oder? Sagen Sie mir einfach den richtigen Weg. Sonst wüsste ich tatsächlich nicht, welche Richtung ich einschlagen muss. Man kann ja kaum etwas erkennen. Es sieht aus, als wäre da nur eine weiße Wand.“

„Das nennt man Whiteout, eine der gefährlichsten Wetterlagen in den Bergen“, erklärte Jake. „Wenn viel Schnee gefallen ist und das Sonnenlicht durch den Nebel stark gedämpft wird, hat man das Gefühl, als gingen Himmel und Erde ineinander über. Viele Menschen sind dann völlig desorientiert und nicht mehr in der Lage, sich zurechtzufinden.“

„Ich finde mich schon zurecht, wenn Sie mir nur sagen, wohin ich mich wenden soll“, beharrte Miranda.

Jake schüttelte den Kopf. Miranda schien den Ernst der Lage gar nicht zu erfassen. Er öffnete die Thermoskanne und füllte den dazugehörigen Becker. „Hier, trinken Sie.“

„Was ist das? Ich trinke keinen Alkohol.“

„Ich gebe Kälteopfern bestimmt keinen Alkohol, ich will Sie ja nicht umbringen.“

Da blitzten ihre Augen wieder auf. „Ich bin kein Opfer, ich habe mich nur verlaufen!“

Ihre scharfe Reaktion überraschte Jake, und er fragte sich, weshalb Miranda so empfindlich reagierte, schließlich hatte er nichts Ungewöhnliches gesagt. „Sie werden aber bald eins sein, wenn Sie sich nicht schnellstens aufwärmen. Das ist heiße Schokolade, die schadet Ihnen ganz bestimmt nicht.“ Er drückte ihr den Becher in die Hand. „Jetzt reden Sie nicht mehr so viel, sondern trinken Sie das aus.“

„Unglaublich, was Sie so alles in Ihrem Rucksack haben. Jede Menge Kleidung, Schokoriegel und jetzt auch noch heiße Schokolade. Sind Sie vielleicht der Weihnachtsmann?“

Da musste Jake lachen. „Nein, nur ein gut ausgerüsteter Wanderer, der alles dabeihat, was man in den Bergen braucht.“

„So eine tolle Ausrüstung kann sich nicht jeder leisten.“

„Es geht nicht um irgendwelchen tollen Schnickschnack, sondern um Sicherheit, Miranda. Wenn man nicht dementsprechend ausgerüstet ist, sollte man nicht in die Berge gehen.“

Sein Ton war nun strenger als beabsichtigt, und Jake fragte sich erneut, was mit ihm los war. Normalerweise war es überhaupt nicht seine Art, andere Menschen zu belehren, denn er war der Meinung, dass jeder seine eigenen Entscheidungen treffen sollte. Bei Miranda war es jedoch anders, er war regelrecht um sie besorgt. Was, wenn sie eine solche Tour bald wieder unternahm und er dann nicht in ihrer Nähe war, um sie zu retten?

Miranda trank einen Schluck und schloss dabei genüsslich die Augen. „Hm, köstlich! So was Gutes habe ich schon lange nicht mehr getrunken.“

Wieder kam in Jake der Wunsch auf, sie zu küssen. Verdammt, wie erbärmlich musste wohl sein Leben sein, wenn er scharf auf eine wildfremde Frau wurde, die sich auf dem Berg verlaufen hatte?

Als Miranda den Becher geleert hatte, gab sie ihn Jake zurück, der die Thermoskanne wieder einpackte. Dann zog er ein Seil mitsamt Geschirr aus dem Rucksack.

„Was ist das?“, fragte Miranda.

„Das lege ich Ihnen an, damit Sie gesichert sind, falls Sie hinfallen.“

„Aber …“

„Nichts aber. Wenn Sie fest mit mir verbunden sind, kann Ihnen nichts passieren.“

„Und was ist, wenn ich falle und Sie mit ins Unheil ziehe?“

Jake lächelte vielsagend. „So ein Fliegengewicht wie Sie? Unmöglich.“

Sie ging jedoch nicht auf seinen Scherz ein, sondern sah ihn entschlossen an. „Das ist nett von Ihnen, aber ich kann durchaus allein weitergehen. Vielen Dank noch mal für Ihre Hilfe. Wenn Sie mir jetzt nur noch sagen, wo Sie wohnen, schicke ich Ihnen die Sachen, die Sie mir gegeben haben, gleich nach Weihnachten nach Hause.“

Jake glaubte, sich verhört zu haben. „Miranda, jetzt hören Sie mir mal zu. Sie sind völlig durchgefroren und haben keine Ahnung, wo wir sind. Wie in aller Welt wollen Sie den Heimweg finden?“

„Sie brauchen mir doch nur zu sagen, welchen Weg ich nehmen soll und wann ich nach links oder rechts abbiegen muss, dann schaffe ich das schon.“

„Der Weg“, erklärte Jake mit Nachdruck, „ist durch den vielen Schnee nicht mehr erkennbar, und er führt auch nicht klar nach rechts oder links, sondern macht immer wieder leichte Wendungen. Und noch etwas wissen Sie wahrscheinlich nicht: Hier gibt es Stellen, an denen man leicht in eine Schlucht stürzen kann, wenn man nur einen Schritt zu weit nach rechts oder nach links macht.“

„Keine Angst, ich bekomme das schon hin. Ich bin es gewohnt, mich allein durchzuschlagen.“

Jake sah Miranda forschend an, denn er hatte wieder das Gefühl, dass es bei ihr um mehr ging als nur darum, den Weg zurück zu finden. Sie hatte ein Problem, deshalb war sie auch hierhergekommen.

„Sie gehen nicht allein zurück“, sagte er entschlossen. „Ich war sowieso schon auf dem Rückweg, also gehen wir zusammen.“

Miranda seufzte auf. „Also gut, wenn Sie unbedingt darauf bestehen, dann machen wir das eben so. Warum haben Sie überhaupt so viele Sachen dabei? Nehmen Sie das immer alles mit, wenn Sie wandern gehen?“

Jake legte ihr den Gurt an und stellte das Seil auf eine kurze Länge ein, damit sie nahe bei ihm war, falls sie stürzen sollte. „Das ist bei mir Routine, ich bin Mitglied bei der Bergrettung. Und wenn wir jetzt nicht endlich aufbrechen, werde ich mein Team noch rufen müssen, was ziemlich peinlich für mich wäre. Fühlen Sie sich fit genug zum Laufen?“

„Natürlich.“

Jake schwang sich den Rucksack auf den Rücken. „Na, dann los.“

„Wie weit ist es denn bis unten?“

„Wissen Sie das wirklich nicht?“

„Nein. Ich bin einfach losgelaufen und habe gar nicht auf die Zeit geachtet.“

Wieder machte Jake sich Sorgen. Miranda musste wirklich ein Problem haben, wenn sie völlig kopflos in den Wald gegangen war und noch nicht einmal wusste, wie viel Zeit inzwischen vergangen war.

Dann besann er sich jedoch. Was ging es ihn an, welche Sorgen und Probleme diese Fremde hatte? Er überprüfte noch einmal das Seil, mit dem er sie gesichert hatte, dann wies er mit dem Kopf nach vorn. „Da geht’s lang.“

Jake achtete darauf, nicht zu schnell zu gehen, damit Miranda ihm problemlos folgen konnte. Nun war er auch schon etwas ruhiger, denn es schien ihr tatsächlich deutlich besser zu gehen. Sorgen machten ihm jedoch ihre psychische Verfassung. Kaum aufgebrochen, verfiel sie in ein tiefes Schweigen und setzte wie automatisch einen Fuß vor den anderen.

Was war nur los mit dieser Frau? Lag es vielleicht an Weihnachten? Wollte sie dem Fest mit seinem Glanz und all den fröhlichen Gesichtern entfliehen, weil sie einsam und alles andere als glücklich war?

Nach einer knappen halben Stunde erreichten sie den Parkplatz, und Jake befreite Miranda von dem Gurt. Dann blickte er sich um, doch außer seinem war kein anderes Auto zu sehen. „Wo haben Sie denn geparkt?“

„Oh … da drüben.“

Jake blickte in die Richtung, in die Miranda zeigte. „Da ist kein Auto, ich fürchte, Ihr Wagen ist gestohlen worden.“

Sie lächelte verlegen. „Nein, ich bin nicht mit dem Auto da, sondern mit dem Fahrrad.“

„Mit dem Fahrrad?“, wiederholte Jake verblüfft und blickte noch einmal in die entsprechende Richtung. Da entdecke er tatsächlich ein altes rostiges Fahrrad, das an einen Baum gelehnt war. „Das ist ihr Fahrrad?“

„Ja.“ Miranda zog sich die Mütze vom Kopf und hielt sie Jake hin. „Die brauche ich jetzt nicht mehr. Vielen Dank noch mal.“

„Behalten Sie sie lieber an.“ Er setzte ihr die Mütze wieder auf, und als er dabei ihr Haar berührte, das sich seidenweich anfühlte, spürte er ein elektrisierendes Prickeln. Verdammt, er hatte es gewusst, er war scharf auf diese Frau!

„Sie können unmöglich mit dem Rad nach Hause fahren, so durchgefroren, wie Sie sind“, sagte er schroffer als beabsichtigt, um seine verwirrenden Gefühle abzuschütteln. Doch das war nicht der einzige Grund, warum er so etwas sagte. Er wollte Miranda nicht aus den Augen verlieren, weil er sie unbedingt kennenlernen wollte.

Autor

Sarah Morgan
<p>Sarah Morgan ist eine gefeierte Bestsellerautorin mit mehr als 21 Millionen verkauften Büchern weltweit. Ihre humorvollen, warmherzigen Liebes- und Frauenromane haben Fans auf der ganzen Welt. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von London, wo der Regen sie regelmäßig davon abhält, ihren Schreibplatz zu verlassen.</p>
Mehr erfahren