Gefährliche Leidenschaft im Outback

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Eve fliegt zurück nach Australien – aber nur, um die lächerliche Bedingung im Testament ihres Vaters anzufechten: Wenn sie erben will, muss sie innerhalb eines Jahres heiraten. Was nicht infrage kommt. Schließlich glaubt sie weder an Liebe noch an die Ehe. Doch schon am ersten Abend im Outback wird Eve von ihrem Plan gefährlich abgelenkt: von einem unglaublich attraktiven Fremden namens Nate, dem sie zuerst ihr Herz ausschüttet und dann mit ihm im Bett landet. Um kurz darauf herauszufinden, dass ausgerechnet er der Anwalt ihres Vaters ist …


  • Erscheinungstag 07.01.2025
  • Bandnummer 012025
  • ISBN / Artikelnummer 9783751534550
  • Seitenanzahl 144
  • E-Book Format ePub
  • E-Book sofort lieferbar

Leseprobe

PROLOG

London, Juni

Eve starrte auf den Bildschirm ihres Laptops. Der Countdown für den Videoanruf lief erbarmungslos weiter, und es gelang ihr absolut nicht, ruhig zu bleiben.

Nervös kontrollierte sie ihren blonden Dutt. Er saß perfekt. Sie strich ihren königsblauen Business-Anzug glatt. Keine einzige Falte. Ihr modernes Büro war die perfekte Kulisse. Viel Glas und schwarz–weiße Möbel strahlten Erfolg und Raffinesse aus. Alles, was sie darstellen wollte.

Du schaffst das schon, sagte sie sich insgeheim und glaubte gleichzeitig nicht daran.

Ihr Vater war seit einem Monat tot. Und sie hatte noch keine einzige Träne vergossen – genauso wenig wie sie an seinem Staatsbegräbnis in Australien teilgenommen hatte. Sie hatte nicht an der Seite ihrer Schwestern gestanden, während die ganze Nation um ihn trauerte. Sie hatte sich nicht erlaubt, überhaupt nur an ihn zu denken.

Aber jetzt musste sie es tun. Sie war gezwungen, sich für die Verlesung seines Testaments per Videocall zuzuschalten.

Ein Testament, um das sie sich keinen Deut scherte. Sie wollte nichts von ihm haben. Nichts, was sie an das Leben erinnerte, das sie schon vor einem Jahrzehnt in Australien zurückgelassen hatte. Hier in London hatte sie alles, was sie brauchte. Ein tolles Leben, eine herrliche Wohnung und einen super Job als renommierte PR-Managerin.

Sie hatte ihr ganzes Erwachsenenleben damit verbracht, das Aussehen und die Ausstrahlung anderer Menschen zu perfektionieren. Dies heute war nur eine weitere Chance für sie zu glänzen. Denn der äußere Schein bedeutete alles.

Das hatte sie von ihren Großeltern gelernt, die sie bei sich aufgenommen hatten, nachdem ein paar heikle Sünden aufgeflogen waren und Eve aus Australien nach Großbritannien geflohen war.

Ihre Großeltern hatten sie den Umgang mit der feineren Gesellschaft gelehrt: wie man sprach und wie man sich bewegte, wenn man einen Raum beherrschen wollte. Und auch, wie sie die schlaksige Unbeholfenheit verlor, mit der sie aufgewachsen war. Ihr eigener Vater hatte ihr deswegen den Spitznamen Bambi verpasst. Bambi!

War es da ein Wunder, dass Eve in ihren frühen Teenagerjahren ständig versucht hatte, sich im Hintergrund zu halten? Dabei hatte sie insgeheim darauf gehofft, dass eines Tages ihr Prinz Charming vorbeikommen und sie in ein neues Leben entführen würde. So wie ihr Vater das bei ihrer Mutter getan hatte.

Das hatte Eve zumindest geglaubt, bis ihr die Augen geöffnet worden waren. Die Liebe ihrer Eltern war eine Lüge gewesen. Von da an hatte sie aufgehört zu träumen, alle Liebesromane weggeworfen und sich stattdessen ihrer Karriere gewidmet. Denn dem Erfolg konnte sie vertrauen. Der Liebe nicht.

Im Alter von nur achtundzwanzig Jahren war sie in die prestigeträchtige Liste der Fünfunddreißig unter Fünfunddreißig von Management Today aufgenommen worden, die die erfolgreichsten jungen Geschäftsfrauen des Vereinigten Königreichs präsentierte.

Sie war zu jemandem geworden, auf den ihr Vater stolz gewesen wäre … wenn sie ihm jemals wieder die Chance gegeben hätte, sie wirklich kennenzulernen. Doch jetzt war es dafür zu spät.

Der Bildschirm erwachte zum Leben und zeigte einen Raum, der ihr auf schmerzliche Weise vertraut war. Dunkles Holz, getäfelte Wände, Ledermöbel, die sie fast unter ihren Fingerspitzen spüren konnte … Energisch legte sie beide Hände vor sich auf den Schreibtisch.

Dads Büro im Herzen von Garrison Downs. Als eine der größten Viehzuchtstationen Australiens, tief im Outback gelegen, war die Farm im ganzen Land berühmt für ihre anderthalb Millionen Hektar Land und die Zehntausenden von Rindern. Dazu der rote Staub und die zerklüftete Landschaft, die gespenstischen Eukalyptusbäume und der breite, kostbare Fluss, ohne den es die Farm gar nicht geben könnte.

Das Zimmer, das Eve jetzt vor Augen hatte, war schon oft in Zeitschriften und Fernsehsendungen zu sehen gewesen, einmal sogar als Filmkulisse. Wichtige Politiker und Geschäftsleute waren dort ein und aus gegangen, doch für sie war es bloß das Büro ihres Vaters gewesen. Und die Rinderzuchtstation ihr Zuhause.

Welch ein Witz!

Sie ballte die Fäuste und zwang sich dazu, sich auf die Gegenwart und nicht auf die Vergangenheit zu konzentrieren. Die Kamera war nach hinten gerichtet, sodass sie einen guten Blick auf die Menschen im Raum hatte. Die meisten waren fein gekleidet, einige saßen in Gruppen zusammen, andere standen etwas unnahbar herum. Es waren mehr, als sie erwartet hätte, und nur drei, die sie auf Anhieb wiedererkannte.

Vaters Anwalt, George Harrington, thronte hinter dem imposanten Schreibtisch, ganz in der Nähe saß Matilda – gut zu erkennen an ihrer blonden Mähne. Sie wirkte vor Trauer zusammengesunken, und Eves Herz schmerzte, während sie gegen den Drang ankämpfte, die Hand nach ihr auszustrecken. Warum wurde sie nicht von ihrer großen Schwester Rose getröstet?

Aber die saß auf dem Gästesessel vor dem Schreibtisch ihres Vaters, regungslos und mit steifem Rücken. Sie war aus dem gleichen Holz geschnitzt wie ihr Familienoberhaupt, besaß aber gleichzeitig die Sanftheit ihrer verstorbenen Mutter. Rose war für sie alle immer ein Fels in der Brandung gewesen.

Das braune Haar zu einem strengen Pferdeschwanz zurückgekämmt und in Arbeitskleidung, schien sie – im Gegensatz zu den meisten anderen Anwesenden – gerade von der Landarbeit zu kommen. Sie schonte sich keine Sekunde und hatte Garrison Downs alles gegeben, bis das Leben ihr den bisher größten Strich durch die Rechnung gemacht hatte: mit dem plötzlichen Tod eines Mannes, den sie vergöttert hatte. Weil Rose es, so wie die meisten anderen auch, schlicht nicht besser gewusst hatte …

„Ah, Evelyn!“

Sie versteifte sich, als Harrington sie ansprach und damit die Aufmerksamkeit aller Anwesenden im Raum auf sie lenkte.

„Können Sie mich gut hören?“

Sie verspürte den lächerlichen Impuls, sich zu ducken. Eine Reaktion, die in keiner Weise die Frau widerspiegelte, die sie jetzt war. Wütend auf sich selbst, richtete sie sich kerzengerade auf. „Ja. Ich kann Sie sehr gut hören, Mr. Harrington.“

Roses Schultern zuckten und Matilda drehte sich um.

„Bitte fahren Sie fort!“, sagte Eve schnell, bevor ihre Schwestern das Wort ergreifen konnten. Ein allzu vertrauliches Gespräch vor einem Raum voller Menschen, die sie nicht kannte, wollte sie tunlichst vermeiden, denn sie fühlte sich zutiefst verletzlich. Ein Gefühl, das sie schon lange nicht mehr verspürt hatte und mit dem sie nicht umzugehen wusste.

„Nun gut.“ Harrington räusperte sich. „Kommen wir gleich zur Sache.“

Und so begann die Verlesung des Testaments, ein Überblick über das Vermögen ihres Vaters und dessen Verteilung. Wie betäubt folgte Eve den Worten des Anwalts. Es ging um Zahlen, Immobilien, Aktien und Marktanteile. Sie mochte Holt weder als Vater noch als Ehemann ihrer Mutter respektiert haben, musste ihm aber zugestehen, dass er in finanziellen Dingen sehr geschickt gewesen war.

Und dann wechselte Harrington vom Geschäftlichen zum Persönlichen und Matilda rutschte unbehaglich auf ihrem Sitz hin und her. Zur Unterstützung hatte sie sich River an ihre Seite geholt, den alten Border Collie ihres Vaters. Er hatte sich zu Tilly auf das Sofa gesellt. Eve lehnte sich zurück und war dem Hund dankbar, dass er ihrer Schwester den Trost spendete, den sie sich so sehr für sie wünschte. Sie selbst war nicht in der Lage gewesen, nach Hause zurückzukehren … aus purer Feigheit.

Harrington stieß einen rumpelnden Husten aus, der Eve aus ihren Selbstvorwürfen riss.

„Meinen Töchtern hinterlasse ich alles oben Genannte und alle meine weltlichen Besitztümer, die hier nicht aufgeführt sind, einschließlich, aber nicht beschränkt auf die Gesamtheit von Garrison Downs.“

Wie erwartet. Wie es sein sollte.

Und Eve würde ihren Anteil so schnell wie möglich an ihre Schwestern weitergeben.

„Es ist mein Wunsch, dass meine älteste Tochter, Rose Lavigne Waverly, die volle Kontrolle über die Leitung des Anwesens übernimmt. Falls das auch ihr Wunsch ist. Wenn nicht, beuge ich mich ihrer Entscheidung“, fuhr Harrington fort.

Auch hier keine Überraschung. Aber warum war Rose gerade zusammengezuckt? Hatte ihre Schwester das nicht vorausgesehen? Wer sollte das gigantische Anwesen sonst übernehmen? Keiner kannte das Land und die damit verbundenen Aufgaben so gut wie sie.

„Nun …“ Seufzend blickte der Anwalt über den Rand seiner Lesebrille und dann wieder auf die Papiere vor ihm auf dem Schreibtisch. „Könnten jetzt bitte alle Anwesenden außer der engsten Familie den Raum verlassen?“

Allgemeines Gemurmel erhob sich, weil natürlich jeder der Anwesenden gern bleiben wollte, um kein saftiges Detail dieser Testamentseröffnung zu verpassen. Doch dann leerte sich der Raum allmählich, wobei jede Sekunde dieses Vorgangs an Eves Nerven zerrte.

Schließlich schenkte Harrington den Übriggebliebenen ein warmes, mitfühlendes Lächeln. „Es ist leider notwendig, die Einzelheiten des Testaments Ihres Vaters mit denjenigen zu besprechen, die Ihnen am besten dabei helfen können, den Betrieb und das Ansehen dieses Betriebs aufrechtzuerhalten. Da ist nur noch eine Sache …“

Er hielt inne und rieb sich mit der Hand über die Stirn. Eve beschlich das ungute Gefühl, dass irgendetwas Schlimmes bevorstand.

„Es gibt eine Bedingung für das Vermächtnis. Eine, die fest an das Anwesen geknüpft ist, seit es vor Jahren an Ihre Familie übertragen wurde.“ Harrington nahm seine Brille ab und legte sie auf die Papiere. „Wie Sie sicher wissen, ist die Geschichte von Garrison Downs etwas kompliziert, denn Ihre Ururgroßmutter hat das Land 1904 bei einem Pokerspiel von der Familie Garrison gewonnen.“

Wenn die Garrisons bereit gewesen waren, ihre Ländereien in einem Spiel zu riskieren, hatten sie es Eves Meinung nach auch verdient, sie zu verlieren. Immerhin besaßen und leiteten sie immer noch Kalku Hills, eine große Farm im Süden.

Aber die Einheimischen liebten diese Legende um das Pokerspiel und die bittere Rivalität zwischen den beiden Familien.

„Jedes Mal, wenn das Land seitdem vererbt wurde, mussten bestimmte Bedingungen erfüllt werden.“ Seine Hände zitterten ein wenig, als er seine Brille wieder aufsetzte und direkt aus dem Testament vorlas. „Jeder männliche Waverly-Erbe, der derzeit lebt, würde das Anwesen natürlich direkt erben.“

Bedingungen? Eve kniff die Augen zusammen.

„Aber“, fuhr Harrington fort und hob den Zeigefinger, „sollte es keinen direkten männlichen Erben geben, müssen alle Töchter im heiratsfähigen Alter innerhalb eines Jahres nach der Testamentseröffnung verheiratet werden, um das gesamte Erbe antreten zu können.“

Eve blinzelte verwirrt. Hatte sie den Mann gerade richtig verstanden? Ihr Geburtsrecht würde verloren gehen, wenn sie nicht vor Ablauf des Jahres heiratete?

Sie lachte, obwohl ihr ganz sicher nicht danach zumute war.

Im Raum erhob sich ungläubiges Gemurmel.

„Das Land ist zunächst mal an Söhne vererbbar“, erklärte Matilda in Roses Richtung und ihre Worte übertönten das aufgeregte Gerede. „Wenn es keinen Sohn gibt, können die Waverly-Frauen erben: du, Eve und ich. Aber nur, wenn wir alle verheiratet sind.“

Rose schoss von ihrem Stuhl hoch und lief wie ein eingesperrtes Tier auf und ab. „Das kann unmöglich legal sein! Nicht in der heutigen Zeit, sicherlich nicht!“

Eve stimmte ihr lautstark zu.

„Das ist recht seltsam, aber rechtskräftig“, brummelte Harrington. „Soweit ich das beurteilen kann, ist der Letzte Wille eures Vaters gültig.“

Während Rose weiter auf und ab lief, schüttelte sie unentwegt den Kopf. „Wieso ist das bisher nie zur Sprache gekommen?“

„Die Waverlys hatten immer mindestens einen fähigen, farmbegeisterten Sohn als Nachkommen“, überlegte Matilda laut. „Bis zu unserer Generation.“

Tilly blieb ruhig, während Eve entgeistert auf die surreale Szene starrte, die sich vor ihr abspielte, als wäre es ein Film und nicht die Realität.

Es folgte eine kurze Diskussion, die Harrington mit einem Räuspern beendete. „Wenn die Bedingung nicht erfüllt wird“, fuhr er fort, „geht das Land an das derzeitige Oberhaupt der Garrison-Familie zurück. An Clay Garrison.“

„Und was passiert, wenn wir uns weigern zu heiraten?“, fragte Rose und verlor beinahe die Fassung, da sie einiges über den alten Clay zu sagen hatte – und noch viel mehr über dessen Sohn Lincoln! In ihrer Tirade ließ sie kein gutes Haar an Lincoln, der in ihren Augen ein verantwortungsloser Lebemann war.

„Das wird nicht passieren“, schaltete Eve sich ein. „Niemals!“

Harrington räusperte sich. „Wenn nicht alle vier leiblichen Töchter von Holt Waverly innerhalb von zwölf Monaten nach der Verlesung dieses Testaments verheiratet sind …“

„Zwölf Monate?“, unterbrach Rose ihn mit schriller Stimme. „Aber ich kann nicht … Ich meine, keine von uns datet momentan jemanden. Eve? Tilly?“

Ganz langsam schüttelte Matilda den Kopf.

„Wartet mal!“ Matilda erstarrte. „Sie sagten: vier Töchter! Wir sind aber nur drei.“

Das Mitleid im Blick des Anwalts war nicht zu übersehen.

Irritiert drehte sich Matilda um und schaute über ihre linke Schulter, um festzustellen, dass die dunkelhaarige junge Frau von vorhin, die auf dem Lieblingssessel ihrer Mutter gesessen hatte, sich immer noch im Zimmer befand.

„Wer sind Sie?“, wollte Matilda wissen.

„Ana“, antwortete die Fremde, stand auf und rang die Hände. Ihre Stimme klang sanft, fast etwas unsicher.

„Mit wem sprichst du, Tilly? Ich kann nichts sehen“, rief Eve und versuchte verzweifelt, ihre Kamera zu drehen.

Wer, in aller Welt, war Ana?

Langsam erschien eine dunkelhaarige Frau in der unteren Hälfte des Bildschirms, und Eve spürte, wie ihr das restliche Blut aus dem Gesicht wich, während ihr Gehirn nach einer Antwort suchte. Bitte lass sie eine entfernte Cousine sein

Seufzend stemmte sich Harrington aus dem Schreibtischsessel hoch und streckte einen Arm aus. „Komm nach vorn, Mädchen.“

Die Fremde machte einen kleinen, zögerlichen Schritt.

„Anastasia, das hier ist Matilda Waverly“, stellte er vor. „Das da ist Rose. Und oben auf dem Bildschirm siehst du Evelyn. Mädels, dies ist Anastasia Horvath.“

Ana hob die Hand zum Gruß und sagte: „Hallo.“

Matilda winkte zurück. Rose starrte einfach nur vor sich hin. Und Eve reagierte erst mal überhaupt nicht. Ihr Inneres fühlte sich an wie Eis.

„Ana ist die Tochter eures Vaters“, erklärte der Anwalt. „Eure Halbschwester. Und deshalb steht ihr nach dem Willen des alten Herrn ein gleichwertiger Anteil am Erbe zu. Unter den gleichen Bedingungen.“

Stille. Keiner bewegte sich. Keiner sagte ein Wort. Eve konnte nicht mehr atmen. Sie ertrank in einem Meer von Schmerz. All der kränkende Kummer von früher, der Grund, warum sie damals gegangen war und nie wieder einen Fuß in Richtung Garrison Downs setzen wollte …

„Unmöglich“, brachte Matilda leise hervor.

Nur Eve wusste, dass es durchaus wahrscheinlich war.

Sie kämpfte um ihre Selbstbeherrschung. Der Verstand sagte ihr, dass es nicht die Schuld dieses Mädchens war, dass es existierte. Sie war nicht verantwortlich für die Untreue ihres Vaters. Es war auch nicht die Schuld dieses Mädchens, dass Eve von ihren Eltern zur Geheimhaltung gezwungen worden war. Dass sie in diese fiese Lüge hineingezogen worden war.

Aber zu erfahren, dass es eine heimliche Schwester gab, das war einfach zu viel! Sie konnte sich nicht dazu durchringen, Ana anzusehen. Harrington redete immer noch, aber Eve hatte genug gehört.

Rose hielt sich an der Stuhllehne fest und drehte den Kopf, um Eve auf dem Bildschirm anzusehen. „Evie, wusstest du das etwa? Ist das der Grund, warum …?“

„Ich muss los“, unterbrach Eve ihre Schwester und klappte kurzerhand den Deckel ihres Laptops zu.

Sie stand unter Schock.

Hinter der Glasscheibe traf sie der kritische Blick ihrer Assistentin Kim.

„Geht es Ihnen gut?“, fragte sie.

Eve konnte nur stumm vor sich hin starren und Kim war sofort auf den Beinen. Sie kam rüber in Eves Büro und schloss die Fensterläden, bevor jemand anderes etwas bemerkte. „Ich sage Ihre Termine für heute ab. Fahren Sie nach Hause.“

„Nein“, flüsterte Eve. „Hier bin ich besser aufgehoben.“

Hier in London. In ihrer Wohnung. Nicht in Garrison Downs, wo ihre Schwestern gerade dabei waren, sich mit den unglaublichen Enthüllungen zu arrangieren.

Das Erbe ihres Vaters, so umstritten und zerstörerisch wie der Mann selbst, war in Gefahr. Es gab eine geheime Halbschwester und knallharte Bedingungen, die völlig irre waren. Sie alle in eine Ehe zu zwingen …

Na, das kannst du vergessen, lieber alter Papa!

Schon vor langer Zeit hatte sie sich geschworen, dass sie sich niemals an einen Mann binden würde, nicht in der Ehe und nicht in der Liebe. Und ihr verlogener Vater war schuld daran.

Aber sie wollte auch nicht, dass ihre Schwestern ihr Geburtsrecht verloren …

Sie musste diesem Wahnsinn ein Ende bereiten. Und wehe dem, der sich ihr in den Weg stellte!

1. KAPITEL

Ein paar Meilen von Marni entfernt, südaustralisches Outback, September

Wenn jemand Eve vor drei Monaten gesagt hätte, dass sie bald eine dreimonatige Auszeit nehmen und nach Garrison Downs zurückkehren würde, hätte sie ihm ins Gesicht gelacht. Denn ihre Arbeit war ihr Leben.

Und doch saß sie hier auf dem Rücksitz eines Taxis und fuhr nach Marni, der nächstgelegenen Outback-Stadt an diesem gottverlassenen Ort. Es war egal, dass die Klimaanlage des Autos voll aufgedreht war, ihr Stresspegel ließ sie von innen heraus überhitzen.

Nervös holte sie ihren Laptop hervor, um sich abzulenken. Doch was sie dort sah, brachte sie erst recht aus der Fassung. Ihre kleine Schwester Matilda. Als Braut eines Prinzen!

Eve war sich nicht sicher, was sie mehr schockierte: die Tatsache, dass Tilly in eine Königsfamilie eingeheiratet hatte, oder der Umstand, dass sie überhaupt verheiratet war!

Sicher, Matilda behauptete, sie sei verliebt. Sie sei glücklich. Und dass ihre Ehe nichts mit dem verfluchten Testament zu tun habe, sondern nur mit ihrem Herzen.

Aber die liebe, süße, abenteuerlustige Tilly?

Wie gebannt starrte Eve auf das Foto, das Teil der offiziellen königlichen Pressemitteilung war. Aber es waren Tillys Lächeln und ihr beseelter Blick, die Eve am meisten beeindruckten. War das möglich? Hatte ihre Schwester wirklich die wahre Liebe gefunden? Und nun ein echtes Märchenschloss als Zuhause gewählt?

Sie verschluckte sich fast an einem Lachen. Das war unwirklich. Genauso surreal wie die Situation, in der sie und ihre anderen Schwestern sich befanden …

Falls Tillys Glück vergehen sollte, dann würde Eve da sein, um die Scherben aufzusammeln. Denn es spielte keine Rolle, wie glücklich ihre Schwester jetzt aussah, in zwei oder zehn Jahren würde das Leben sie auf die Probe stellen!

Drei Monate lang hatte Eve versucht, einen Ausweg aus diesem Dilemma mit dem Testament zu finden. Sie hatte mit Anwälten in den Staaten gesprochen, sich im Kreis gedreht und war einfach nicht weitergekommen. Trotzdem weigerte sie sich, ihre Niederlage einzugestehen.

Wie konnte ihr Vater ihnen das nur antun, wenn doch seine eigene Ehe ein solcher Schwindel gewesen war? Wenn man bedachte, dass die Liebesbeziehung ihrer Eltern in ganz Australien als vorbildlich gelobt wurde! Angeblich hatte ihre berühmte, stürmische Romanze zu einem dauerhaften Happy End mit drei Töchtern und einem prächtigen, glücklichen Zuhause geführt. Das war die Geschichte, die von jedermann gefeiert wurde.

Doch es war alles eine Lüge gewesen.

Wenigstens kannten ihre Schwestern jetzt die Wahrheit, Eve war nicht mehr allein damit, aber die Uhr tickte. Ihr blieben neun Monate Zeit, um zu heiraten oder anderweitig aus diesem Schlamassel herauszukommen. Und sie würde es schaffen. Um Roses willen.

Für Eve mochte Garrison Downs nur eine ferne Erinnerung sein, aber für ihre große Schwester war es ihr Zuhause, ihr Lebensinhalt, ihr Ein und Alles. Eve hatte nicht den Wunsch, nach Hause zurückzukehren, geschweige denn einen Teil davon zu besitzen.

Und Matilda verfügte jetzt über ein kleines Fürstentum.

Was Anastasia betraf, so wusste der Himmel, was sie von alldem hielt. Es interessierte Eve nicht. Ana war eine Erinnerung an die ekelhafte Affäre, die Eve vergessen wollte. Was Rose betraf, war es eine Schande, dass sie ihr Leben und ihr Glück wegwerfen musste, weil sie keinen anderen Ausweg sah.

Für Ana galt allerdings das Gleiche. Sie, Eve, mochte das Mädchen nicht kennen, aber keine Frau hatte es verdient, wegen des verkorksten Erbes ihres Vaters an einen Mann gekettet zu sein.

Einer von ihnen musste einen klaren Kopf bewahren, und Eve fürchtete, dass sie die Einzige war, die über einen ausreichend rationalen Verstand verfügte, um dies zu tun.

Heimat der Harringtons, Marni, Südaustralisches Outback, September

„Du musst die Waverly-Mädchen gut im Auge behalten!“

Frauen, Papa. Es sind Frauen.“ Nate wandte sich vom Fenster des Arbeitszimmers ab, wo er seine Mutter bei der Pflege ihres Gemüsebeetes beobachtet hatte. „Soweit ich weiß, sind sie jetzt alle in ihren Zwanzigern.“

Sein Vater hustete rasselnd und streckte zitternd die Hand in Richtung seines Sohnes aus. „Sei nicht so pedantisch!“

Nate hütete seine Zunge. Ihm war nicht nach Streit zumute. Nicht wenn er sich immer noch mit dem Anblick seines Vaters in diesem desolaten Zustand abfinden musste. Der alte Mann war gebrochen. Schwach.

Sein Haar war grau, die Haut ungesund blass und seine haselnussbraunen Augen waren trüb und gelb und wurden von einer kleinen runden Brille verdeckt. Außerdem war er inzwischen auf einen Gehstock angewiesen. Und darauf, dass sein Sohn nach Hause eilte und die Familienfirma übernahm.

Es hatte eine Zeit gegeben, da Nate sich über diesen Anruf gefreut hätte. Er liebte die Vorstellung, dass er gut genug für Harrington Law war und seinen alten Herrn stolz machen durfte.

Aber dieser Anruf war nicht gekommen, weil George Harrington endlich zu der Überzeugung gelangt war, sein Sohn sei fähig genug, sondern aus purer Verzweiflung. Er wurde aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand gezwungen, ein Schritt, der von allen außer ihm selbst als längst überfällig angesehen wurde, und er hatte niemanden, den er um Hilfe bitten konnte.

„Für mich werden sie immer die Holts-Mädchen sein“, bekräftigte sein Vater und seufzte. War es die Trauer um seinen ältesten Kunden? Die Sorge um die Frauen, die nun ohne ihren Vater auskommen mussten?

Warum hatte er sich nie um Nate geschert?

Wenn sein Vater nur einen Bruchteil dieses Mitgefühls gezeigt hätte, – wie anders hätte alles sein können? Vielleicht wäre Nate nicht nach Sydney gegangen und hätte sich dort selbstständig gemacht. Vielleicht hätten sie eine Beziehung zueinander aufbauen können.

„Es gibt Bedingungen, die ich als Testamentsvollstrecker zu überwachen habe“, erklärte der Alte.

„Was immer du sagst, Dad.“

Nate kehrte zurück zum Fenster, vergrub die Hände in den Taschen seiner Jeans und sah zu, wie seine Mutter ihren Korb mit frischen Früchten füllte. Ihr geblümtes Kleid war ebenso hell und sommerlich, wie es ihr herzliches Lächeln bei seiner Ankunft gewesen war. Ihre Erleichterung, ihren Sohn zu Hause zu haben, war offensichtlich gewesen. 

Er war innerlich aufgewühlt, hatte Schuldgefühle, weil er nicht öfter nach Hause kam. Schuldgefühle, weil er jetzt nicht hier sein wollte.

„Du erfüllst mich nicht gerade mit Vertrauen.“

Bitterkeit mischte sich in Nates Lachen. „Wann habe ich das jemals getan, Dad?“

Es spielte keine Rolle, dass er der jüngste Partner in seiner globalen Anwaltskanzlei geworden war, genauso wenig wie sein Penthouse mit Blick auf den Hafen von Sydney. Sein Vater hatte immer noch die Macht, seine Fähigkeiten kleinzureden.

„Erklär mir nur eins“, verlangte er. „Wie kam es dazu? Holt muss doch erkannt haben, was es bedeutet, keine Söhne zu bekommen. Findest du es etwa in Ordnung, dass nun vier Frauen in eine Ehe gezwungen werden?“

Ein weiterer Husten quälte den alten Körper und Nate verkniff sich einen Fluch. Er hasste dieses Gespräch.

Es war Zeit zu gehen. Er hatte getan, was er sich vorgenommen hatte, und die Position seines Vaters übernommen.

„Als Holts Anwalt und sein Freund habe ich seine Wünsche respektiert“, dröhnte die Stimme seines Vaters. „Ich glaube, er wollte für seine Töchter einfach jemanden, mit dem sie die große Verantwortung für Garrison Downs teilen können. So wie er es mit seiner Frau getan hat.“

„Wie kannst du das sagen, wenn du doch von seiner Affäre weißt?“

Nate war von dieser Enthüllung überrumpelt worden. Bis vor Kurzem hatte er wie alle anderen auch an das idyllische Märchen von der großen Romanze zwischen dem australischen Tycoon Holt Waverly und der englischen Prominenten Rosamund Lavigne geglaubt. Nate hatte gedacht, dass der Mann alles gehabt hätte, was er sich eines Tages für sich selbst wünschte: eine Karriere, eine Frau, Kinder und ein glückliches Zuhause.

Ein geborgenes Heim, nicht wie in seiner Kindheit.

Aber ganz so perfekt war das alles dann doch nicht gewesen, was Anastasias Existenz bewies.

Sein Vater warf ihm einen merkwürdigen Blick zu. „Es steht mir nicht zu, darüber zu reden. Glaub mir einfach, dass die Affäre nur von kurzer Dauer war. Ihre Ehe hat überlebt und ihre Liebe ist dadurch nur noch stärker geworden.“

Nate schüttelte den Kopf. „Wenn du meinst.“

„Um ehrlich zu sein, ich glaube, Holt hat gehofft, das Erbe würde die Mädels vereinen.“

„Sie vereinen?“

„Ja. Abgesehen von Rose und Matilda gehen sie getrennter Wege, und ich glaube, er hat befürchtet, das würde sich nie ändern. Rose war mit dem Land verheiratet. Evelyn kam nie mehr nach Hause. Matilda wollte nie weggehen. Und was Anastasia betrifft, so hat er die Affäre vielleicht bereut, aber er hat seine illegitime Tochter geliebt.“

Nate gab es zwar nur ungern zu, aber er konnte diese romantische Idee nachvollziehen.

Sein Vater seufzte schwer, nahm seine Brille ab und rieb sich müde über die Stirn. „Holt hat mir die Verantwortung für seinen Nachlass übertragen, und nun brauche ich dich. Bitte, mach mich stolz!“

„Stolz?“ Nate verschluckte sich beinah.

„Ist das zu viel verlangt?“

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